1 Vorwort
Transcrição
1 Vorwort
Marikas Beratungsstelle für anschaffende Jungen, junge Männer und Mädchen Jahresbericht 2006 Gefördert durch: Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 Inhaltsverzeichnis 1 2 3 4 Vorwort................................................................................................................. 3 Träger und Finanzierung ...................................................................................... 5 Personalentwicklung ............................................................................................ 5 Arbeitsschwerpunkte ............................................................................................ 6 4.1 B e r a t u n g ................................................................................................ 6 4.1.1 Allgemein .......................................................................................... 6 4.1.2 Häufig wiederkehrende Beratungsthemen 2006............................... 6 4.1.3 Virtuelle Anlaufstelle ......................................................................... 7 4.1.4 Teamberatung .................................................................................. 7 4.2 S t r e e t w o r k ........................................................................................... 9 4.2.1 Standards ......................................................................................... 9 4.2.2 Aktuelle Entwicklungen..................................................................... 9 4.3 Streetwork für Mädchen und Jungen in der Innenstadt .............................. 11 4.3.1 Allgemein ........................................................................................ 11 4.3.2 Aktuelles aus der aufsuchenden Arbeit am Hauptbahnhof ............. 11 4.4 Anlaufstelle ................................................................................................. 13 4.4.1 Angebot .......................................................................................... 13 4.4.2 Aktuelle Entwicklungen................................................................... 13 5 Aktuelle Projekte ................................................................................................ 15 5.1 „FAIR-PLAY Sex aber sicher“................................................................... 15 5.2 Professionalisierungsseminar..................................................................... 16 5.3 Straßenfeste ............................................................................................... 18 5.3.1 CSD und Hans-Sachs-Straßenfest ................................................. 18 5.3.2 Kultfabrik......................................................................................... 18 6 Statistische Angaben.......................................................................................... 19 6.1 Kontakte in unseren Räumen ..................................................................... 19 6.2 Beratungsschwerpunkte ............................................................................. 20 6.3 Newsletter................................................................................................... 21 6.4 Kontakte im Rahmen der aufsuchenden Arbeit .......................................... 21 6.5 Beratungsthemen im Rahmen der aufsuchenden Arbeit ............................ 21 6.6 Streetwork für Mädchen und junge Frauen in der Innenstadt ..................... 22 6.7 Beratungsthemen von Mädchen................................................................. 22 6.8 Kontakte zu Jungen und jungen Männern .................................................. 23 7 Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit............................................................... 24 8 Wir danken allen Spendern ................................................................................ 25 9 Team .................................................................................................................. 26 Impressum............................................................................................................... 27 2 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 1 Vorwort Liebe Leserinnen, liebe Leser, ein bewegtes Jahr liegt hinter uns – die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland hat das vergangene Jahr geprägt, auf die mann-männliche Prostitution hatte sie jedoch kaum einen Einfluss. Im Vergleich zur weiblichen Prostitution wurde diesem Bereich der Prostitution seitens der Politik und der Öffentlichkeit kaum Beachtung geschenkt. Es wurde zwar gemutmaßt, dass wegen der WM mehr Stricher aus dem osteuropäischen Raum nach Deutschland kommen würden, dies konnte jedoch aus unserer Sicht nicht bestätigt werden. Innerhalb der Stricherszene, die zu 85% aus Jungen und jungen Männern aus dem südosteuropäischen Raum besteht, wurde aufgrund der WM kaum eine Veränderung festgestellt. Im Berichtsjahr ließ sich ein Anstieg der Jungen und jungen Männer aus Bulgarien in der Szene erkennen. Die sprachlichen und kulturellen Unterschiede stellten uns vor eine neue Herausforderung. Aus diesem Grund sind wir sehr froh, eine bulgarische Studentin aus dem Fachbereich Soziale Arbeit als ehrenamtliche Mediatorin gewonnen zu haben. Mit ihrer Unterstützung war es uns möglich, die ersten Kontakte zu den bulgarischen jungen Männern herzustellen. Aus den Gesprächen mit bulgarischen Strichern ging hervor, dass sie über keine ausreichende Ausbildung verfügen, häufig unter traumatischen Erfahrungen leiden, oft der Minderheit der Roma angehören, keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und häufig mit einem dreimonatigen Touristenvisum nach München reisen. Sie befinden sich somit in einer unsicheren Wohnsituation ohne Einkommen. Die jungen Männer kommen überwiegend aufgrund mangelnder beruflicher Perspektiven, aber auch aufgrund des diskriminierenden Umgangs mit Homosexualität in ihren Heimatländern nach München. Sie leben mit einem hohen Risiko, sich mit HIV oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren. Durch den ungesicherten Aufenthaltsstatus, durch fehlende Ausbildung und mangelnde Sprachkenntnisse gestalten sich die Hilfeangebote sehr schwierig. Trotzdem wurden die Angebote unserer Anlaufstelle (Ausruhen, Duschen, Wäsche waschen, Gespräche, Essen, Lesen, andere Jungen treffen usw.) und die Angebote der HIV- und Gesundheitsprävention in den unterschiedlichen Sprachen von den Strichern gut angenommen. Oft schaffen regionale und lokale Bedingungen zusätzlich sozial und rechtlich schwierige Lebensumstände für anschaffende Jungen und junge Männer. In München gibt es im 3 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 gesamten Innenstadtbereich keinen ausgewiesenen Ort, an dem Stricher ihre Freier legal treffen und ihre Tätigkeit ausüben können. Dank der Finanzierung durch das Stadtjugendamt können wir notwendige muttersprachliche Beratungen für Migranten aus Osteuropa sowohl in den Szenekneipen als auch in der Anlaufstelle für ein weiteres Jahr anbieten. Wir dürfen mit der kontinuierlichen sozialen Arbeit für diese Personengruppe nicht nachlassen. Allen engagierten KollegInnen danke ich sehr herzlich für die motivierte und ideenreiche Zusammenarbeit in dem vergangenen Jahr. Genauso herzlich möchte ich mich bei allen ZuschussgeberInnen, SpenderInnen, FachkollegInnen, PolitikerInnen, Behörden und den Medien für ihre großzügige Unterstützung bedanken. Der vorliegende Projektbericht bietet einen ausführlichen Einblick in die Arbeit der Beratungsstelle Marikas. Die nachfolgenden Textbeiträge vermitteln Ihnen einen Eindruck von der großen Angebotsvielfalt und der Lebendigkeit unseres Arbeitsfeldes. München, Januar 2007 Carmen Jörg Dienststellenleiterin 4 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 2 Träger und Finanzierung Die Beratungsstelle Marikas ist eine Einrichtung des Evangelischen Hilfswerks München gGmbH, dieses ist wiederum eine 100%ige Tochter der Inneren Mission München, Diakonie in München und Oberbayern e.V. Marikas erhält neben den Eigenmitteln des Trägers einen Zuschuss des Stadtjugendamtes der Landeshauptstadt München, der überwiegend zur Aufrechterhaltung unserer Beratungs- und Betreuungsangebote für junge Prostituierte und Stricher beiträgt. Die Beschäftigung zweier kultureller Mediatorinnen für die Arbeit mit jungen Migranten in der Prostitution konnte durch den Zuschuss aus Restmitteln des Stadtjugendamtes der Landeshauptstadt München finanziert werden. Durch Kirchgelder war es uns möglich, vom 1.10.2005 bis 31.03.2006 eine kulturelle Mediatorin (Muttersprache rumänisch) für ein halbes Jahr mit geringer Stundenzahl anzustellen und sie mit Unterstützung des Stadtjugendamtes bis Ende des Berichtjahres zu beschäftigen. Wir möchten uns an dieser Stelle für die finanzielle Sicherstellung unserer Arbeit mit prostituierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei unseren Zuschussgebern ausdrücklich bedanken. 3 Personalentwicklung Für den Arbeitsbereich „jugendliche und heranwachsende Stricher und minderjährige Prostituierte“ standen der Beratungsstelle Marikas im Berichtszeitraum zwei Diplom-Sozialpädagoginnen und zwei Diplom-Sozialpädagogen in Teilzeit sowie eine Teilzeit Diplom-Sozialpädagogin für Leitungsaufgaben zur Verfügung. Zwei in Teilzeit beschäftigte kulturelle Mediatorinnen ergänzten das sozialpädagogische Fachteam bei der Kontaktaufnahme zu Klienten mit Migrationshintergrund. Die Finanzierung hierfür war und ist projektgebunden und muss jedes Jahr neu beantragt und entschieden werden. Zum 1.10.2006 konnten wir auf ehrenamtlicher Basis eine kulturelle Mediatorin für unsere Arbeit gewinnen, die sporadisch die DiplomSozialpädagogen bei der Streetwork begleitete und mit den bulgarischen Jungen und jungen Männern Kontakt aufnehmen konnte. Eine Verwaltungsmitarbeiterin, in Teilzeit beschäftigt, entlastet das sozialpädagogische Fachteam bei verwaltungstechnischen Aufgaben. 5 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 4 Arbeitsschwerpunkte 4.1 B e r a t u n g 4.1.1 Allgemein Unsere Zielgruppe besteht aus männlichen Jugendlichen bzw. jungen Männern, die in München von Freiern Angebote bekommen, sexuelle Dienstleistungen gegen Geld und andere materielle Werte zu erbringen. Manche der jungen Männer erwägen daher den Einstieg in die Prostitution, andere wiederum wollen aussteigen bzw. sind ausgestiegen und haben weiterhin Bedarf an persönlicher Unterstützung. Was junge Männer zur Prostitution bewegt: • Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes sowie des der Familie. • Der Lohn aus „normaler“ Erwerbsarbeit reicht nicht aus. • Im osteuropäischen Heimatland ist keine bzw. nur extrem gering bezahlte Beschäftigung möglich. Probleme, die mit der Prostitution im Zusammenhang stehen: • Es kann eine massive Gesundheitsgefährdung durch HIV, andere sexuell übertragbare Infektionen und durch ein Leben ohne Obdach bzw. ohne festen Wohnsitz auftreten. • Nicht-EU-Ausländer verstoßen gegen das Ausländerrecht, wenn sie mit Touristenstatus in Deutschland anschaffen gehen. • Armut kann zu „rechtswidrigen“ Verhaltensweisen führen (z. B. Schwarzfahren). 4.1.2 Häufig wiederkehrende Beratungsthemen 2006 Die meisten der jungen Männer aus Osteuropa kommen nach Deutschland, um hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder sich eine Existenz im Heimatland aufzubauen. Wenn ihr Herkunftsland noch nicht EU-Mitglied ist, gestaltet sich der Weg zu legaler Erwerbsarbeit in Deutschland eher schwierig. Die Erweiterung der EU hatte zur Folge, dass sich zumindest die rechtliche Situation für Schwule in Südosteuropa verbesserte. Für einige der südosteuropäischen jungen Männer bedeutet eine Tätigkeit in der Prostitution in Deutschland auch eine Annäherung an die eigene sexuelle Orientierung. Das Thema „Homosexualität“ ist leider nach wie vor für viele Klienten ein Tabu, ein „klassisches“ coming out ist für sie nicht vorstellbar. Dennoch erleben viele junge Männer hier in München mehr Selbstbestimmung als in ihren Herkunftsländern. Nicht wenige osteuropäische junge Männer erwägen für sich die Möglichkeit, eine Eingetragene Lebenspartnerschaft mit einem Mann einzugehen. Manche möchten nicht wahrhaben, dass sich ihre finanzielle Situation mit Eingehen der Eingetragenen Partnerschaft nicht verbessert. Insbesondere dann, wenn der Betroffene nur wenig oder schlecht Deutsch spricht, muss er sich mit gering bezahlten und anstrengenden Aushilfsjobs über Wasser halten. Häufig sehen sich verpartnerte junge Männer gezwungen, weiterhin gelegentlich in der Prostitution tätig zu sein. Das Le- 6 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 benspartnerschaftsgesetz existiert seit 2001, das Thema „Verpartnerung“ ist allerdings erst 2006 zu einem häufig wiederkehrenden Beratungsthema geworden. Viele Gespräche der kulturellen Mediatorinnen drehen sich um die hohen Erwartungen und enttäuschten Illusionen der jungen Männer in der Prostitution in München. Den „Jungs“ fällt es schwer zu verstehen, dass auch in Deutschland ein „Normalbürger“ seinen Lebensunterhalt mehr oder weniger hart verdienen muss und dass Freier ihr Geld nicht einfach so verschenken. Viele Callboys, die ihre Dienste verstärkt über Internet anbieten, lernen wir in der Regel nicht persönlich kennen. Manche von ihnen reisen z. B. im wöchentlichen Rhythmus durch Deutschland. Dabei kann die eine oder andere Panne beim „Geschäft“ passieren: Das Kondom reißt oder wird bei einem privaten Kontakt im (Irr-)Glauben der Unbedenklichkeit weggelassen. Oder es zeigen sich Symptome von sexuell übertragbaren Infektionen in der Genitalregion. In solchen Fällen besteht von Seiten der Ratsuchenden Interesse an einem persönlichen Gespräch und an ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten ohne Krankenversicherungsschutz. 4.1.3 Virtuelle Anlaufstelle „Gut Ding will Weile haben“, dieses alte deutsche Sprichwort hat sich im Falle der Webseite www.info4escorts.de (Infos für Taschengeldjungs) jedenfalls bewahrheitet. Wenn acht unterschiedliche Hilfseinrichtungen für junge Sexarbeiter aus dem gesamten deutschsprachigen Raum kooperieren, kann es etwas länger dauern. Seit Ende Dezember 2006 steht diese Webseite denjenigen für Informationen und Beratung zur Verfügung, die in Deutschland der mann-männlichen Prostitution nachgehen. Moderierte Gruppenchats mit der Möglichkeit zur Einzelberatung an fünf Tagen in der Woche, insbesondere am Nachmittag und am frühen Abend, sollen den Ratsuchenden den Zugang erleichtern. 4.1.4 Teamberatung Information und Sensibilisierung für Fachkräfte in Jugendhilfeeinrichtungen zum Thema Minderjährigenprostitution Immer stärker beobachten wir die Tendenz, daß Prostitution bereits bei Minderjährigen ein Thema ist. Die Gründe, warum Mädchen und Jungen in die Prostitution abrutschen, sind vielfältig: finanzielle Probleme, materielle Gegenleistungen, die Suche nach Liebe, Anerkennung und Geborgenheit, Mißbrauchserfahrungen, etc. Wir erhalten Anrufe von u.a. Fachkräften aus Jugendhilfeeinrichtungen, die Hinweise auf Prostitution bei Jugendlichen zu erkennen glauben. Verständlicherweise sind die Anrufenden sehr verunsichert, fühlen sich gedrängt schnell handeln zu müssen und suchen nach geeigneten Schutzmaßnahmen. Aus diesem Grunde hat Marikas das Angebot einer Teamberatung entwickelt mit dem Ziel, Multiplikatoren für das Thema Prostitution zu sensibilisieren und zu informieren. 2006 wurden etwa ein Dutzend Teamberatungen, vor allem bei ambulanten Erziehungshilfen, erfolgreich durchgeführt. Unterschiedlichste Themen wurden in den zweistündigen Veranstaltungen diskutiert: Z. B. die Frage, an welchen Merkmalen sich erkennen lässt, ob Jugendliche der Prostitution nachgehen und in welcher Wei7 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 se die Fachkräfte darauf reagieren können. Welche Orte in München stellen eine Gefährdung für Jugendliche dar? Zusätzlich wurden die Teilnehmer aufgefordert, ihre eigene Haltung zum Thema Prostitution zu reflektieren. In Hinblick darauf, dass das Thema Prostitution auch vor Minderjährigen nicht halt macht, waren die Veranstaltungen sehr sinnvoll und dringend notwendig. Anhand der Nachfrage sowie der positiven Rückmeldungen konnten wir einen Bedarf feststellen und entsprechend darauf reagieren. Viele Multiplikatoren konnten auf diese Weise geschult und mit dem Thema vertraut gemacht werden, so dass sie professioneller und sicherer reagieren können, wenn sie durch ihre jugendlichen Klienten mit Prostitution konfrontiert werden. Uwe Schneidewind Petra Blumenstein 8 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 4.2 S t r e e t w o r k 4.2.1 Standards • • • • • • • • • • Die Streetwork wird immer von zwei Fachkräften durchgeführt: ein Dipl.-Sozialpädagoge und eine kulturelle Mediatorin oder zwei Dipl.-SozialpädagogInnen. Erstkontakte zu potenziellen Klienten werden hier geknüpft. Wir stellen uns als Streetworker der Beratungsstelle Marikas vor. Wir erläutern die personenbezogenen Hilfen von Marikas. Das Verteilen von Giveaways (z. B. Feuerzeugen, Süßigkeiten) sowie Kondomen und Gleitgel erleichtert uns die Kontaktaufnahme. Streetwork ist Beziehungsarbeit. Unsere Verlässlichkeit und Kontinuität erhöhen die Akzeptanz bei der Zielgruppe. Der „Erfolg“ wird für uns sichtbar, wenn „Jungs“ von sich aus auf uns zukommen und nach Kondomen, ärztlicher Hilfe oder um Rat fragen. Wir halten Kontakte zu den Kneipenwirten. In den einschlägigen Kneipen legen wir Broschüren in verschiedenen Sprachen u. a. zu Safer Sex sowie kostenlose Kondome aus. 4.2.2 Aktuelle Entwicklungen Junge Männer aus unterschiedlichen Ländern bieten in München sexuelle Dienstleistungen an. Obwohl im Berichtsjahr die WM München quasi auf den Kopf gestellt hat, war in der Stricherszene diesbezüglich kaum eine Veränderung spürbar. 2006 trat insbesondere die Gruppe der bulgarischen jungen Männer stark in Erscheinung. Einige von ihnen kamen während der Streetwork auf uns zu, als sie beobachteten, wie wir uns mit anderen Jungs unterhielten. Z. B. wollten sie wissen, was es mit „Gleitgel“ auf sich hat, wofür man es gebrauchen kann. Uns wurde schnell klar, dass wir neben unserer slowakischen und deutsch-rumänischen kulturellen Mediatorin auch noch eine Bulgarische benötigen würden. Schließlich fanden wir in einer bulgarischen Sozialpädagogikstudentin eine geeignete Helferin. Sie ist zunächst auf ehrenamtlicher Basis in geringfügigem Umfang für Marikas tätig. Mit ihrer Hilfe konnten wir das „Eis“ brechen. Das führte dazu, dass in 9 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 der zweiten Jahreshälfte viele Bulgaren unsere Anlaufstelle besuchten. Es stellte sich heraus, dass die Mehrzahl von ihnen Roma sind, und einer ethnischen Minderheit in ihrem Heimatland angehören. Oft sprechen diese jungen Männer noch weitere südosteuropäische Sprachen, z. B. serbisch oder türkisch. Das erhöht die Möglichkeit, mit ihnen zu kommunizieren oder ihnen geeignetes Präventionsmaterial anzubieten. 2006 war noch eine weitere Tendenz in der einschlägigen mann-männlichen Prostitutionsszene zu beobachten. Die Zahl der jungen Männer, die sich völlig „blauäugig“ und ohne Vorerfahrung dort aufhielt, schien wesentlich geringer zu sein als in den Vorjahren. Wahrscheinlich haben verschiedene Faktoren dazu geführt. So könnte es z. B. sein, dass es sich in den Heimatländern „herumgesprochen“ hat, wo und wie man Geld verdienen kann und wo es sich nicht lohnt hinzugehen. Möglicherweise haben strengere Kontrollen an den Grenzen (z. B. in Rumänien) unbedarfteren Personen die Ausreise nach Deutschland erschwert. Es kann auch sein, dass die Münchner Wirte mehr Gebrauch von ihrem Hausrecht machen. Ein nicht zu vernachlässigender Faktor könnten auch die polizeilichen Personenkontrollen (hinsichtlich des Aufenthaltsstatus) in der „Stricherszene“ darstellen. Oder ist es etwa ein Zeichen für eine zunehmende „Professionalisierung“? Nicht zuletzt kann es gut sein, dass unsere kontinuierliche Arbeit ihre Früchte trägt! 97 % der Stadtfläche Münchens sind Sperrbezirk, also tabu für jegliche Form von Anbahnung und Prostitution. Regelmäßig besuchen wir auch einen bordellartigen Betrieb für mann-männliche Prostitution außerhalb des Sperrbezirks. Viele Freier ziehen es vor, wenn sie den Sex gegen Geld in ihrer eigenen Wohnung oder im Hotelzimmer haben können. Das wiederum führt die jungen Männer zwangsläufig in Versuchung, gegen die Sperrbezirksverordnung zu verstoßen und damit straffällig oder erpressbar für Freier zu werden. Uwe Schneidewind 10 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 4.3 Streetwork für Mädchen und Jungen in der Innenstadt 4.3.1 Allgemein Zielgruppe und Angebote der aufsuchenden Arbeit Über die aufsuchende Sozialarbeit im Gebiet rund um den Hauptbahnhof werden von uns mittlerweile drei Zielgruppen erreicht: 1. Mädchen und junge Frauen, welche ihre Freizeit im Gebiet um den Hauptbahnhof verbringen und somit prostitutionsgefährdet sind 2. Jungs und junge Männer, die sich rund um den Hauptbahnhof aufhalten und somit prostitutionsgefährdet sind 3. Drogengebrauchende Mädchen und junge Frauen, die der Beschaffungsprostitution nachgehen Die Mädchen und jungen Frauen, die wir antreffen: • sind vorwiegend im Alter zwischen 16 und 25 Jahren, • kommen aus zerrütteten Familienverhältnissen und leben oft nicht mehr zu Hause, • haben meist keinen geregelten Tagesablauf, • sind teilweise arbeitslos oder in Berufsförderungsmaßnahmen; • konsumieren verstärkt Alkohol und regelmäßig oder unregelmäßig illegale Drogen. Die Jungen und jungen Männer, die wir antreffen: • sind zwischen 16 und 28 Jahren alt • haben häufig einen Migrationshintergrund • halten sich häufig mit einer Duldung in Deutschland auf • verfügen über keinerlei Zukunftsperspektiven und • haben keinen geregelten Tagesablauf. Angebot während der aufsuchenden Arbeit: • Kontakt- und Gesprächsangebote im informellen Setting, • Vermittlung von Informationen über weiterführende Hilfsangebote, • Ausgabe von gesundheitspräventiven Informationsmaterialien und Kondomen. 4.3.2 Aktuelles aus der aufsuchenden Arbeit am Hauptbahnhof Mädchen und junge Frauen, die ihre Freizeit rund um den Hauptbahnhof verbringen Auffällig war, dass wir in den ersten sechs Monaten des Verlaufsjahres mit 105 Kontakten einen starken Anstieg verzeichnen konnten. 2005 hatten wir zu dieser Zeit 65 Kontakte. Diese Entwicklung wurde jedoch bis zum Ende des Jahres stark rückläufig. Insgesamt erreichten wir 2006 133 Mädchen, 2005 erreichten wir 135 Mädchen. Wie durch Zauberei waren nach der WM die Mädchen von den uns bekannten Plätzen verschwunden. Das Interesannte war, dass mehr und mehr Jungs und junge Männer sich an den Plätzen aufhielten, an denen wir vorher fast ausschließlich Mädchen angetroffen hatten. Wo sich die Mädchen jetzt aufhalten, können wir uns auch nach häufigem fachlichen Austausch mit KollegInnen anderer Einrichtungen, 11 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 die Streetwork in der Innenstadt anbieten, nicht erklären. Es ist wichtig, weiterhin Ausschau zu halten und neue bzw. andere Treffpunkte von Mädchen zu finden oder zu erkennen. Drogengebraucherinnen Diese Zielgruppe haben wir im Berichtszeitraum nur noch sehr vereinzelt angetroffen. Gründe hierfür sehen wir in der zunehmenden Möglichkeit, die Inner- und Außerszenekontakte über Handy und Internet abzuwickeln, und nicht zu vergessen, in der in München praktizierten Vertreibungspolitik von Drogenabhängigen. Die Jungs, die sich im Gebiet um den Hauptbahnhof aufhalten Mit Abnahme der Kontakte zu Mädchen bemerkten wir eine deutliche Zunahme von Jungen und jungen Männern an diversen Plätzen. Dies veranlasste uns, unsere aufsuchende Arbeit rund um den Hauptbahnhof auf die Gruppe der Jungen zu erweitern. Wir treffen sie inzwischen auf der Straße, an belebten Plätzen, in und vor Kneipen und Spielhalle an. Die meist aus muslimischen Herkunftsländern stammenden Jungen haben kaum Wissen und Informationen über Geschlechtskrankheiten und deren Übertragungswege. Die durch den unsicheren Aufenthaltsstatus bedingte Perspektivlosigkeit öffnet für sie in besonderer Weise den Weg in die Prostitution. Unser Angebot zum Thema Gesundheitsprävention wird auch von den Jungen erstaunlich offen und gut angenommen. Wünschenswert ist für das kommende Jahr eine noch stärkere Vernetzung mit allen professionellen HelferInnen, die sich in der Innenstadt speziell um diese Zielgruppe kümmern. Sandra Ender Natascha Fuchs 12 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 4.4 Anlaufstelle 4.4.1 Angebot Die Anlaufstelle von Marikas ist ein geschützter Raum und Treffpunkt fernab der Stricherszene, in dem die Klienten sich ausruhen, kochen, Wäsche waschen, duschen, essen, unterhalten und ihre Freizeit verbringen können. Freier haben zu den Räumen der Anlaufstelle keinen Zutritt, was den Jugendlichen und jungen Männern ermöglicht, sich zu entspannen ohne sich präsentieren zu müssen. Zudem stehen die Stricher nicht in Konkurrenz zueinander. Die Anlaufstelle wird von Jugendlichen und jungen Männern besucht, die anschaffen und: • neu in der Stadt sind, • obdachlos sind • oder sich vorübergehend in Deutschland aufhalten. In den (oft südosteuropäischen) Herkunftsmilieus der Klienten ist es in der Regel nicht üblich, Beratung in Anspruch zu nehmen. Hier bietet die Anlaufstelle von Marikas mit den unterschiedlichen Angeboten eine gute Möglichkeit zur Kontaktaufnahme. Marikas verfügt seit einigen Jahren sowohl über eine slowakisch als auch über eine rumänisch sprechende Fachkraft. Im Berichtsjahr ist es gelungen, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin mit bulgarischem kulturellem Hintergrund, für einige Stunden zur Unterstützung des Fachteams zu gewinnen. Die Anlaufstelle stellt den Klienten verschiedene Angebote bereit: • • • • • • Selbstportrait eines Strichers • kostenlose Inanspruchnahme der Versorgungsangebote (Lebensmittel, Wäsche waschen, Duschen, Kondome und Gleitgel) Kontakt- und Gesprächsangebote mit Übergang zu Beratungsgesprächen weitergehende Unterstützung und Begleitung Vermittlung von Informationen über ausliegende muttersprachliche Flyer Vermittlung von gesundheitsfördernden Maßnahmen Vermittlung von Informationen zur Münchner Stricherszene und den speziellen lokalen Besonderheiten Vermittlung zu anderen Beratungsstellen sowie zu Ärzten 4.4.2 Aktuelle Entwicklungen Nach der Schließung der Notschlafstelle in 2005 haben wir seit Mitte des Jahres 2006 wieder ein, wenn auch beschränktes, Schlafangebot für unsere Besucher bereitgestellt. Wir haben festgestellt, dass eine Schlafmöglichkeit für die Zielgruppe 13 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 einen existenzieller Bedarf darstellt, den die Prostitutionsszene nicht ohne Gegenleistung deckt. Das heißt, Stricher können bei Freiern durchaus übernachten, so lange sie als Gegenwert sexuelle Dienstleistungen entsprechend den Wünschen, Neigungen und Launen der Freier bieten. Diese Forderungen beinhalten durchaus auch „unsafe“ Sexualpraktiken, die für den Stricher gesundheitsbedrohende Risiken mit sich bringen. Damit sind die jungen Männer natürlich in der weitaus schwächeren Position und machen Zugeständnisse, zu denen sie unter frei gewählten Umständen nicht bereit wären. Darum bieten wir vorläufig von Dienstag bis Freitag drei Notschlafbetten in der Zeit von 9.00 -16.00 Uhr in unserer Anlaufstelle an, welche in der Regel auch belegt sind. Entsprechend der Nachfrage sind wir bemüht, diese Zeiten auf die frühen Morgenstunden auszuweiten, wenn wir dafür personelle Ressourcen akquirieren können. Durch die tatkräftige und finanzielle Unterstützung der Inneren Mission, vertreten durch Herrn Appler, Hausverwaltung, konnten wir das in die Jahre gekommene Badezimmer renovieren und haben dadurch eine zweite Duschmöglichkeit erhalten. Beinahe wäre die Fußballweltmeisterschaft unbemerkt an uns vorübergegangen, denn allen „Unkenrufen“ zum Trotz haben wir keinen Anstieg der Nachfrage von mann-männlicher Prostitution und somit auch keine erhöhte Anzahl von Strichern in München registrieren können. Mit der WM verbinden wir vielmehr die Neuanschaffung eines Tischkickers, den wir durch die finanzielle Unterstützung des „SZAdventskalenders“ erwerben konnten. Wenn wir manchmal die sprachlichen Barrieren zu unseren südosteuropäischen Besuchern mit Worten nicht überwinden können, so schaffen wir es in den meisten Fällen doch, einen förderlichen Kontakt mittels eines kleinen Fußballspiels herzustellen. So ist uns dieses „Spielzeug“ ein wunderbarer Helfer, wenn Worte anfangs nicht weiterhelfen. Martin Jautz 14 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 5 Aktuelle Projekte 5.1 „FAIR-PLAY Sex aber sicher“ Die Fußball-WM 2006 Zeit bei Marikas öffentlich aktiv zu sein. Die MitarbeiterInnen der Beratungsstelle „Marikas“ beteiligten sich an den öffentlichen Aktionen der Beratungsstellen „Mimikry“, „Münchner AIDS-Hilfe“ sowie des „Referats für Gesundheit und Umwelt Anonyme Beratungsstelle zu AIDS und sexuell übertragbaren Krankheiten“. Gemeinsam setzten wir ein von context e.V. initiiertes Konzept zur Ansprache von Freiern um. Die Kampagne freiersein, welche bundesweit in allen Austragungsorten der WM 2006 und darüber hinaus in einigen weiteren Städten umgesetzt wurde, spricht vor allem Kunden von Prostituierten an und richtet den Fokus auf ihr Verhalten und Handeln im Kontakt mit weiblichen und männlichen Prostituierten. Die Aktion umfasste zudem gesundheitsfördernde Maßnahmen, die die Prävention von STIs und damit auch die HIV-und Aids-Prävention mit einschließt. Durch verteilen von Kondomen und Postkarten, welche „10 Goldene Regeln im Umgang mit Prostituierten“ enthielten und in den Sprachen deutsch, englisch und spanisch zur Verfügung standen, erreichten wir vor allem männliche Fußballfans, die zu Besuch in München waren. Alle MitarbeiterInnen der verschiedenen Kooperationspartner waren in Teams von drei Personen eingeteilt. Einheitliche T-Shirts mit dem Aufdruck „Fair Play-Sex aber sicher“, auf der Vorderseite machten uns schon von weitem als Gruppe erkennbar. Anzutreffen waren wir vor allem rund um den Hauptbahnhof, entlang der Sendlinger Straße, auf dem Marienplatz und am Chinaturm im Englischen Garten. Hier verteilten wir unsere „give aways“ (Kondome und Postkarten) und kamen mit den Passanten ins Gespräch. Ganz besonders hoch zu bewerten ist der Einsatz der Taxi München eG, der einzigartig bei der bundesweiten Umsetzung des Konzeptes war. Bei Verlassen des Fahrzeugs wurde den Männern, die sich während der WM zu Prostitutionsbetrieben befördern ließen, eine Postkarte mit den „10 goldenen Regeln der Prostitution“ und ein Kondom aushändigt. Insgesamt wurden an den Aktionstagen in München rund 30.000 Kondome und 20.000 Fair-Play Postkarten verteilt. Auch die Reaktionen der männlichen Fußballfans ließen darauf schließen, dass die Aktion sehr gut angenommen wurde. Es ergaben sich zum Teil intensive Gespräche, in denen das Anliegen von freiersein nochmals verdeutlicht werden konnte. Sandra Ender 15 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 5.2 Professionalisierungsseminar Chaos herrscht im Seminarraum, alle reden gleichzeitig, dann geht die Tür auf und ein Junge verlässt den Raum. Kurze Stille - dann laufen ihm zwei weitere hinterher. „Wir müssen ihn trösten, wir können ihn jetzt nicht alleine laufen lassen, sonst tut er sich noch was an!“ Betretenes Schweigen bleibt im Raum zurück. Das Seminar ist für diesen Nachmittag wohl gelaufen. Zum Abendessen kommen alle Teilnehmer nach und nach in den Speisesaal. Wir setzen uns an einen großen Tisch und essen gemeinsam. Timo sagte ganz unerwartet: „Es war gut, dass ich heute Nachmittag endlich mal über meine HIVInfektion sprechen konnte und dass ihr mir zugehört habt, Danke!“ Das Seminar für Stricher, das die Beratungsstelle Marikas bereits seit sieben Jahren im Auftrag der Deutschen Aidshilfe durchführt, ist für die meisten Teilnehmer ein Ort, an dem sie mit anderen Strichern über die „Szene“ und ihre Erfahrungen dort sprechen können. In dem geschützten Rahmen bietet sich die Gelegenheit, ohne Angst vor Abwertung und Konkurrenz, sich untereinander auszutauschen. Der Szenealltag ist geprägt von Wettbewerb um die wenigen Freier, die guten Umsatz versprechen. Jeder Fehltritt, jede Auffälligkeit und jeder Schwachpunkt, den Stricher dort offen legen, wird von den anderen gegen sie verwendet. Jeder versucht gut auszusehen, sich von seiner „Schokoladenseite“ zu zeigen und seinen Körper zur Schau zu stellen. Der Prostitutionsmarkt im mann-männlichen Bereich stellt sich oft als eine Scheinwelt voller Illusionen, Träume und eben auch Enttäuschungen dar. Die Enttäuschungen bleiben die streng verborgenen „Geheimnisse“ eines jeden Einzelnen. Viele Jungs, besonders diejenigen, deren komplettes soziales Umfeld nur aus der Szene besteht, können dem Druck kaum standhalten. Manche versuchen mit Alkohol, Drogen oder Glückspiel die Anforderungen in der Prostitution auszuhalten. Andere beginnen durch Autoaggressivität und Nichtbeachtung der eigenen körperlichen und psychischen Bedürfnisse den Stress und den Druck aus dem Szenealltag wieder abzubauen. Eine Strategie, die viele Jungen verfolgen, ist die Aufwertung der eigenen Person durch Stigmatisierung und Abwertung der Konkurrenten. Das zeigt sich in einer aus der Sicht der Stricher strengen und klar definierten Szenehierarchie, in der z. B. vom Standpunkt eines deutschen Strichers die rumänischen Jungen weit unterhalb angesiedelt sind, während die rumänischen Stricher wiederum die Gruppe der Roma im Sexgeschäft deutlich abwerten. 16 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 Mit dem „Professionalisierungsseminar“ bieten wir eine Plattform, die individuell auf die Bedürfnisse von Sexarbeitern zugeschnitten ist. Hier bieten wir für Stricher eine Möglichkeit, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Wir erarbeiten mit ihnen Strategien, damit sie lernen mit Erlebnissen aus ihrem Alltag professionell umzugehen und sie verarbeiten zu können. In Rollenspielen üben wir mit den Jungen schwierige Situationen zu meistern. Außerdem können sie ihr Wissen über sexuellübertragbare Infektionen, über Gesundheitsvorsorge und den Schutz vor HIV ausbauen und auch im gesundheitlichen Bereich präventive Maßnahmen erlernen. Es wäre vermessen anzunehmen, dass wir dieses weitgegriffene Ziel in nur drei Tagen erreichen könnten. Aber wir können den Teilnehmern eine Idee davon mitgeben, wie es sich anfühlen könnte, wenn sie sich auf ähnliche Angebote in den Stricherprojekten vor Ort einlassen würden. Martin Jautz 17 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 5.3 Straßenfeste 5.3.1 CSD und Hans-Sachs-Straßenfest Mann-männliche Prostitution ist ein Bestandteil der schwulen Szene, das war sie schon immer und wird es auch immer bleiben. Darum ist es für Marikas eine Selbstverständlichkeit bei den großen schwulen Münchner Straßenfesten, dem CSD und dem Hans-Sachs-Straßenfest diese Randgruppe der Szene zu vertreten. • • • • Wir diskutieren mit den „Festgästen“ sehr gerne über deren Akzeptanz gegenüber Strichern oder Freiern. Wir fragen nach, wo es zu Problemen kommen könnte. Wir klären Missverständnisse und Klischees auf. Wir freuen uns über Zuspruch und Akzeptanz der Besucher. Kurzum, wir werden wahrgenommen, und der eine oder andere kennt uns, unsere Arbeit und manchmal auch unsere Zielgruppe schon ganz gut. Durch die WM wurden in diesem Jahr der CSD und das Hans-Sachs-Strassenfest an zwei auf einander folgende Wochenenden im August gelegt. So ergab sich für uns der positive Effekt, dass einige Passanten uns gleich wieder erkannten und beim zweiten Treffen noch offene Fragen stellen konnten. Martin Jautz 5.3.2 Kultfabrik Jährlich im Sommer veranstalten wir in Kooperation mit ConAction eine öffentlichkeitswirksame Aktion auf dem Gelände der Kultfabrik am Münchner Ostbahnhof. Auf diesem Diskotheken- und Kneipenareal halten sich am Wochenende Tausende von jungen Menschen auf. An einem Stand informierten wir die Partygäste über unsere Arbeit, Safer Sex, Geschlechtskrankheiten und Gefahren im Rahmen eines möglicherweise bestehenden Suchtmittelkonsums. Während der Veranstaltung im Sommer dieses Jahres konnten wir erfreulicherweise eine große Offenheit für gesundheitspräventive Botschaften sowie auch vereinzelten spontanen Beratungsbedarf feststellen. Natascha Fuchs 18 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 6 Statistische Angaben 2006 ging es uns um eine differenzierte Erfassung und ein schnelles Erkennen von Veränderungen unserer Klientel auf struktureller Ebene, z.B. durch gesellschaftliche Veränderungen oder Umgestaltungen der Szene aufgrund politischer und rechtlicher Neuerungen. Aus diesem Grund war es notwenig weitere Veränderungen an unserem Dokumentationssystem vorzunehmen. Das Alter der männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, mit denen wir Kontakt hatten, lag zwischen 17 und 28 Jahren. Ca. 90% unserer Klienten haben einen Migrationshintergrund. 6.1 Kontakte in unseren Räumen telefonische Kontakte 12% Infogespräche 26% Beratungen 30% offener Treff 20% Tagschlaf 12% Grafik 1 Erläuterung der Grafik 1 In den ersten drei Monaten des Berichtsjahres war die Anlaufstelle wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Es wurde ein bedarfsgerechtes Bad installiert. Zu Beginn der WM stellten wir ein neues Tagesangebot mit folgenden Öffnungszeiten für junge Stricher bereit: • Dienstag bis Freitag von 9.00 bis 15.00 Uhr ein Schlafangebot • Ein Schlafraum mit drei Betten • Dienstag bis Freitag Frühstücksangebot von 15.00 Uhr bis 17.00 Uhr • Dienstag bis Freitag von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr offener Treff Im letzten Quartal 2006 konnten wir mit Hilfe unserer neuen ehrenamtlich tätigen bulgarischen Mediatorin als neue Klientel Bulgaren und die bulgarischen Roma erreichen. Das neu angepasste Anlaufstellen-Angebot wurde von unseren Klienten gut angenommen. So hatten wir 169 Tagesschläfer im Berichtszeitraum und zu unserem 19 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 offenen Treff kamen 279 junge Männer. Wir führten in der Anlaufstelle insgesamt 366 Informationsgespräche über Themen wie z.B. Regeln im Umgang miteinander, über die Szene in München und Prävention vor HIV und STIs. In unseren Räumlichkeiten kamen 412 ausführliche persönliche Beratungsgespräche zustande. Da es den Strichern häufig zu kompliziert und zu weit ist, zu uns zu fahren, dehnte sich die Beratungsarbeit auch auf die Streetwork aus. Wir hatten 164 telefonische Kontakte, mehrfach mit anderen Hilfeeinrichtungen wie Gesundheitsdiensten, Stricherprojekten, Ämtern und Behörden und anderen sozialen Fachdiensten. Dazu gehörten auch einige Beratungsgespräche mit Strichern, die sich jedoch als sehr schwierig gestalteten, da die Stricher sehr schlecht Deutsch und wenig Englisch sprachen. 6.2 Beratungsschwerpunkte ausländerrechtliche Fragen 13% Krisen 5% persönliche Situation 28% Ausstieg 7% G esundheitsprävention 26% Arbeitsbedingungen 21% Grafik 2 Erläuterung Grafik 2 Die Inhalte einer Beratung stehen meistens in Verbindung mit den Arbeitsbedingungen in der Prostitution, mit der persönlichen Situation von Strichern sowie mit dem Thema Gesundheitsprävention. Die Stricher erzählten von ihrer schwierigen Situation im Heimatland, von ihrer Familie, ihrer Partnerschaft, von Sexualität und von ihrer Zerrissenheit, in der sie sich befinden. Zu Hause haben sie häufig Freundin, Frau und Kind und hier verdienen sie ihr Geld in der mann-männlichen Prostitution. Über diesen Konflikt können sie mit niemandem sprechen. In den Beratungsgesprächen spielen neben dem Thema Prostitution auch noch andere Inhalte eine Rolle, wie ausländerrechtliche Fragen, z.B. Aufenthaltstatus, Wohnen, Arbeit. Der Ausstieg ist eher selten Thema, da sich die jungen Männer häufig nicht als Stricher, geschweige denn als professionell arbeitende Prostituierte sehen; sondern diese Tätigkeit nur in der Not als kurze Überbrückung oder wegen fehlender Alternativen ausüben möchten. 20 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 6.3 Newsletter Unseren Newsletter verschicken wir regelmäßig vier bis sechs Mal im Jahr über das Internet an ca. 275 Adressen. Wir haben in diesem Berichtsjahr weiterhin versucht, unser Angebot bei jungen Callboys/Sexarbeitern (Alter zwischen 19 und 23 Jahren) in speziellen Kontaktforen von mann-männlicher Prostitution bekannt zu machen. Dies ist wichtig, um die im Dezember 2006 neu installierte bundesübergreifende „Virtuelle Anlaufstelle“ im Internet öffentlich zu machen. 6.4 Kontakte im Rahmen der aufsuchenden Arbeit Im Rahmen der aufsuchenden Arbeit wurden im Verlaufsjahr 1.182 (998) Gespräche mit Strichern geführt. 336 (366) Beratungsgespräche fanden direkt vor Ort in den einschlägigen Szenelokalen statt. Es handelte sich dabei zum einen um Gespräche, die anfangs von den kulturellen Mediatorinnen initiiert und dann gemeinsam mit Sozialpädagogen weitergeführt wurden, zum anderen kamen Klienten mit direkten, zielgerichteten Fragestellungen auf die Sozialpädagogen zu. 846 (632) Gespräche dienten der Bekanntmachung unseres Angebotes oder der Weitergabe von eigenem Infomaterial und Informationen über andere Einrichtungen. Diese Zahlen lassen erkennen, dass sich gegenüber dem Vorjahr die Gesamtgesprächskontakte etwas erhöhten, die Anzahl der Beratungsgespräche jedoch leicht abnahm. Ein Grund dafür ist, dass wir in der zweiten Jahreshälfte des Berichtsjahres feststellten, dass sich mehr bulgarische Jungen, die wir sprachlich nicht erreichen konnten in den Kneipen aufhielten. Mit Hilfe unserer neuen ehrenamtlich tätigen kulturellen Mediatorin ist es uns gelungen, gegen Ende des Jahres Kontakt zu dieser Gruppe herzustellen, und unser Angebot in Ihrer Sprache bekannt zu machen und auch Beratungsgespräche zu führen. 6.5 Beratungsthemen im Rahmen der aufsuchenden Arbeit Alternativen 8% ausländerrechtliche Fragen 4% A rbeitsbedingungen 16% G esundheitsprävention 28% persönliche Situation 38% Grafik 3 In Grafik 3 sind die am häufigsten in Gesprächen formulierten Themen der Stricher erfasst. Diese Statistik lässt erkennen, dass die Jungen das Anliegen haben, über ihre persönliche Situation zu sprechen. Es besteht offensichtlich ein starkes Bedürf21 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 nis, sich jemandem anzuvertrauen, der Verständnis für ihre Lebensumstände hat und sie dafür nicht verurteilt. Mit 28% steht die Gesundheitsprävention an zweiter Stelle. Hier geht es um Aufklärung über Infektionskrankheiten (STIs) und somit um safer sex und um Vermittlungen zu Ärzten oder Gesundheitsdiensten. 16% der Gespräche drehten sich um die Arbeitsbedingungen in der mann-männlichen Prostitution. 8% erkundigten sich über Alternativen zur Prostitution. Meist sind mehrer Themen Inhalt eines Beratungsgesprächs. 6.6 Streetwork für Mädchen und junge Frauen in der Innenstadt Die Schwerpunkte der Streetwork für Mädchen waren im Berichtsjahr die Bahnhofsgegend (HBF) und die Gegend um den Karlsplatz. Im Verlauf des Jahres 2006 führten wir 133 (135) Gespräche mit jungen Frauen, ihr Durchschnittsalter betrug zwischen 15 und 24 Jahren. 32 (43) Beratungsgespräche fanden direkt vor Ort statt. Es handelte sich dabei um Gespräche, die von den Sozialarbeiterinnen initiiert wurden, oder Gespräche, die auf Anfrage eines Mädchens mit zielgerichteten Inhalten geführt wurden. 101 (92) Gespräche dienten der Bekanntmachung unseres Angebotes, der Prävention vor Prostitution oder der Weitergabe von Informationsmaterial und Informationen über andere Einrichtungen im Rahmen der Gesundheitsförderung und der Jugendhilfe. Konkret bedeutete dies die Weitergabe von Kondomen, von Adressen innerhalb des Gesundheitswesens und der Jugendhilfe. Weitere wesentliche Bestandteile der Gespräche war die Aufklärung bzw. Information über Handlung und Reaktionsmöglichkeiten im Fall von ersten Prostitutionsangeboten mit denen die Mädchen konfrontiert werden könnten. 6.7 Beratungsthemen von Mädchen und jungen Frauen Lebensperspektive 22% Beziehung Unterkünfte 4% 5% Prävention vor Prostitution 59% Existenzsicherung 10% Grafik 4 In der der Grafik 4 werden die Beratungsschwerpunkte dargestellt. Die Hauptthemen im Berichtsjahr waren die Prävention vor Prostitution mit 59% und die fehlenden Lebensperspektiven der jungen Frauen mit 22%. Weitere Fragestellungen bezogen sich auf Unterkunft, Gesundheitsförderung sowie auf finanzielle Existenzsicherung. Meist waren mehrere dieser Themen gleichzeitig Inhalt eines Beratungsgesprächs. 22 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 6.8 Kontakte zu Jungen und jungen Männern während der Streetwork Innenstadt Bei unserer regelmäßigen Streetwork in der Gegend um den Hauptbahnhof bemerkten wir, dass an den Plätzen, an denen wir sonst Mädchen getroffen haben, sich vermehrt Jungen aufhielten. Sie waren durchschnittlich zwischen 16 und 24 Jahren alt und hatten häufig einen Migrationshintergrund. Ca. 45% der männlichen Jugendlichen waren Iraker. Im Zuge dieser Arbeit hatten wir 86 Kontakte mit jungen Männern. In den Gesprächen ging es vordergründig um Fragen zu Ihrem Aufenthaltsstatus, um Prävention vor Prostitution und um Gesundheitsförderung. 23 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 7 Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit Informationsveranstaltungen und kollegiale Beratung: Regelmäßig bieten wir Informationsveranstaltungen über unsere Arbeit und die Lebens-/Arbeitsbedingungen von Strichern in unseren Räumlichkeiten an. Außerdem bieten wir kollegiale Beratung vor Ort. Diese Angebote wurden nach wie vor hauptsächlich von Fachhochschulen, StudentInnen und Jugendhilfe-Einrichtungen in Anspruch genommen. Kooperation: Wir kooperierten mit der Münchener AIDS-Hilfe der Deutschen AIDS-Hilfe dem SUB e.V. dem Referat für Gesundheit und Umwelt, München allen Stricher-Projekten im deutschsprachigen Raum (Mitglieder AKSD) Dr. Beck, Allgemeinarzt Malteser Migranten Medizin Con-Action, Condrobs e.V. Vernetzung: Wir besuchten regelmäßig die Arbeitskreise AKSD (Fachkreis für Stricherarbeit im deutschsprachigen Raum) AK Jungenarbeit Arbeitsgemeinschaft AIDS Fachforum Münchner Mädchenarbeit FAK Jugend Planungsforum Mitte Jugendarbeit des Stadtjugendamtes Facharge Jugendsozialarbeit Medien: Im Verlaufsjahr gab es häufige Kooperationen mit VertreterInnen der Medien, nicht zuletzt wegen der Fußballweltmeisterschaft 2006. Es handelte sich unter anderem um folgende Medien: Münchner Merkur Sergej (Szenemagazin) Our Munich (Szenemagazin) Süddeutsche Zeitung Abendzeitung DPA Bayerischer Rundfunk 24 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 8 Wir danken allen Spendern und Spenderinnen, die Marikas 2006 mit Sach- und Geldspenden unterstützt haben. o Adventskalender der Süddeutschen Zeitung e.V. o Völklinger Kreis e.V. o Wirtschaftsweiber e.V. o Süddeutsche Zeitung o Münchner Tafel e.V. o Kleiderkammer der Inneren Mission o Zeitschrift Sergej o Zeitschrift Our Munich o Firma Pjur Group o MAPA GmbH o LITEC Computer o Kustermann GmbH, München o Ritex Gummiwarenfabrik GmbH o anonyme Spenderinnen und Spender 25 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 9 Team Carmen Jörg, Dipl. Sozialpäd., Supervisorin Dienststellenleiterin Sabine Skutella Dipl. Sozialpädagogin Stellvertretende Dienststellenleiterin Uwe Schneidewind Dipl. Sozialpädagoge Petra Blumenstein Dipl. Sozialpädagogin Martin Jautz, Dipl. Sozialpädagoge Sandra Ender Dipl. Sozialpädagogin Natascha Fuchs Dipl. Sozialpädagogin Siegrun Jäger kulturelle Mediatorin (Mutterspr. Rumänisch) Livia Jansen kulturelle Mediatorin (Mutterspr. Slovakisch) Katharina Friderich Verwaltungsfachkraft 26 Beratungsstelle Marikas Jahresbericht 2006 Impressum Herausgeberin Beratungsstelle Marikas Evangelisches Hilfswerk München gGmbH Dreimühlenstr. 1 80469 München Tel: 089 / 725 90 84 Fax: 089 / 74 79 39 43 [email protected] Homepage: www.marikas.de Auflage 50 Stück Weitere Jahresberichte (auch aus vergangenen Jahren) können Sie zum Preis von 2,-- € zuzüglich Versandkosten bei unser Beratungsstelle anfordern oder kostenlos von unserer Homepage als pdf-Datei herunterladen. Spendenkonto Evangelisches Hilfswerk München gGmbH HypoVereinsbank München Konto Nummer: 275 44 44 BLZ: 700 202 70 Bei Spende bitte immer „Verwendungszweck Marikas“ angeben. Über Ihre Spende freuen wir uns sehr! 27