16/5082 - Niedersächsischer Landtag

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16/5082 - Niedersächsischer Landtag
Niedersächsischer Landtag − 16. Wahlperiode
Drucksache 16/5082
Kleine Anfrage mit Antwort
Wortlaut der Kleinen Anfrage
der Abgeordneten Renate Geuter (SPD), eingegangen am 18.06.2012
Sonntage sind verfassungsrechtlich als Tage der Arbeitsruhe geschützt - Wird durch unternehmensfreundliche Genehmigungspraxis Sonntagsarbeit mehr und mehr zum Regelfall?
Die Sonntage und die staatlich anerkannten Feiertage sind durch das Grundgesetz als Tage der
Arbeitsruhe und der seelischen Erholung geschützt. Dieser Anspruch wurde in den vergangenen
Jahren mehrfach durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Auch das Arbeitszeitgesetz geht
vom Regelfall des arbeitsfreien Sonntags aus, und zwar rund um die Uhr, d. h. von null bis 24 Uhr.
Das Sonntagsarbeitsverbot wurde in den letzten Jahren insbesondere mit dem Verweis auf die globale Konkurrenz mehr und mehr aufgeweicht. Die ursprüngliche Intention des Arbeitszeitgesetzes,
Sonntagsarbeit nur dort zuzulassen, wo es unvermeidlich ist, weil diese Arbeiten nicht an Werktagen erledigt werden können, rückt vielfach in den Hintergrund.
Nach Novellierungen des Arbeitszeitgesetzes wurde Arbeit an Sonn- und Feiertagen auch aus wirtschaftlichen Gründen zugelassen und der Katalog der Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsarbeitszeitverbot erweitert. Für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zur Sonntagsarbeit spielen die Arbeitszeitbedingungen der ausländischen Konkurrenten eine wichtige Rolle. Der Nachweis
längerer Betriebszeiten in den ausländischen Konkurrenzbetrieben ist allerdings ausgesprochen
schwierig. Die pauschale Darlegung eines Betriebes, dass er nicht konkurrenzfähig sei, wenn er die
verfassungsmäßig garantierte Sonn- und Feiertagsruhe einhalte, und dass ohne Sonn- und Feiertagsarbeit Arbeitsplätze verloren gingen, führt nach Einschätzung von Experten ganz offensichtlich
im Regelfall dazu, dass dem Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung stattgegeben wird.
Ein großer Schlachtbetrieb im Landkreis Cloppenburg begründete daher vor wenigen Wochen seinen Plan des Vorziehens des Schlachtbeginns auf den Sonntagabend lediglich mit einer Optimierung der Produktionsprozesse. Nach öffentlichen Protesten legte er diesen Plan zwar wieder ad acta, aber nicht aus Einsicht, sondern weil sich herausgestellt hatte, dass sich der gewünschte wirtschaftliche Erfolg mit der Sonntagsarbeit gar nicht erzielen ließe.
Die Gewerbeaufsichtsämter, die in Niedersachsen für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen
(Sonntagsarbeitsverbot) zuständig sind, können daher lediglich eine Prüfung vornehmen, die sich
überwiegend an formalen Kriterien orientiert. Die Anforderungen an die inhaltliche Begründung sind
in den Antragsunterlagen nach § 13 Arbeitszeitgesetz auch eher allgemein formuliert.
Sonntagsarbeit findet in Niedersachsen längst nicht mehr überwiegend im Bereich der Daseinsvorsorge und im Dienstleistungsbereich statt. So sind heute auch große Bereiche des verarbeitenden
Gewerbes davon betroffen. Mit dem Argument der Unternehmen, dass man sich geänderten ökonomischen Bedürfnissen anpassen müsse, wird Sonn- und Feiertagsarbeit auch in Niedersachsen
durch immer neue Ausnahmen mehr und mehr zur Regel.
Kirchliche und gesellschaftliche Gruppen sowie Familienverbände haben sich in Niedersachsen zur
„Allianz für den freien Sonntag“ zusammengeschlossen und konkrete Maßnahmen für den Erhalt
des arbeitsfreien Sonntags zum Wohle einer humanen Gesellschaft eingefordert.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1.
Wie viele Ausnahmegenehmigungen vom Sonn- und Feiertagsgebot haben die einzelnen
Gewerbeaufsichtsämter in den Jahren 2009, 2010 und 2011 erteilt, und zwar a) befristete
Ausnahmen und b) unbefristete Ausnahmen?
2.
In wie vielen Fällen wurden diese Ausnahmen für Firmen a) des verarbeiteten Gewerbes und
b) im Dienstleistungsbereich erteilt?
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3. Wie groß war die Mitarbeiterzahl der Firmen, für die eine Ausnahmegenehmigung beantragt
wurde, und zwar a) unter 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, b) unter 300 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, c) unter 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, d) unter 1 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, e) über 1 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?
4. In wie vielen der genehmigten Ausnahmefälle verfügte die antragstellende Firma über einen
Betriebsrat, und in wie vielen Fällen hat der Betriebsrat diesem Antrag auf Ausnahmegenehmigung zugestimmt?
5. Wie viele Ausnahmegenehmigungen wurden mit dem Hinweis auf vergleichbare Arbeitszeitregelungen der ausländischen Wettbewerber beantragt?
6. Nach welchen Kriterien erfolgt die Prüfung der besonderen Verhältnisse zur Verhütung eines
unverhältnismäßigen Schadens entsprechend der Formulierung auf dem Antragsformular?
7. Wie viele Kontrollen, ob die Vorschriften für die Sonn- und Feiertagsarbeit eingehalten wurden, haben die Gewerbeaufsichtsämter in den Jahren 2009, 2010 und 2011 vorgenommen,
und zwar a) bei Firmen mit Ausnahmegenehmigung, b) bei Firmen, die kraft gesetzlicher Vorgaben genehmigungsfrei sonn- und feiertags arbeiten dürfen, und c) bei Firmen, die weder
über eine Ausnahmegenehmigung verfügen noch kraft gesetzlicher Regelungen sonn- und
feiertags arbeiten dürfen?
8. Wie oft hat es aufgrund der Überprüfungen Beanstandungen gegeben?
9. Wie oft wurde gegen überprüfte Firmen wegen Verstoßes gegen das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eröffnet?
10. Wie oft sind in den Jahren 2009, 2010 und 2011 gegen Firmen Bußgelder wegen Verstoßes
gegen das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot verhängt worden?
(An die Staatskanzlei übersandt am 21.06.2012 - II/72 - 1406)
Antwort der Landesregierung
Niedersächsisches Ministerium
für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit
und Integration
- 403-01425 -
Hannover, den 02.08.2012
Dem Schutz der Sonntage und der anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erholung wird zu Recht traditionell im deutschen Recht ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Allerdings unterliegt auch dieses Gut - wie viele andere soziale Standards - vor dem Hintergrund der sich wandelnden Gewohnheiten und dem Einfluss weltweiter Rahmenbedingungen Veränderungen. Hiesige Firmen kooperieren und konkurrieren mit Firmen in allen Ländern, wobei sich
insbesondere aufgrund der modernen Kommunikationsmedien und günstigen Transportmittel die
Möglichkeiten, quasi rund um die Uhr zu arbeiten, direkt auf die Firmen auswirken. Die Richtlinie
des Europäischen Parlamentes und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung
(Arbeitszeitrichtlinie) sieht daher keinen ausdrücklichen Schutz von Sonn- und Feiertagen vor. Sie
operiert allerdings mit Siebentageszeiträumen einschließlich des Grundsatzes eines freien Tages in
diesem Zeitraum.
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) schützt dagegen die Sonn- und Feiertage. Es räumt allerdings den
Betrieben eine Bandbreite von Möglichkeiten ein, mit Genehmigung oder genehmigungsfrei an
Sonn- und Feiertagen zu arbeiten. So haben die Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter und das Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration nur auf einen Teil des Einsatzes von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen durch die von ihnen zu
erteilenden Genehmigungen Einfluss.
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Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1:
Die Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter erteilen grundsätzlich befristete Ausnahmegenehmigungen
vom Sonn- und Feiertagsgebot. Die in § 13 Abs. 3 Nr. 2 ArbZG genannten Genehmigungen, wie
z. B. die fünf Sonn- und Feiertage zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens, sind per
Gesetz in ihrer Anzahl begrenzt. Genehmigungen nach § 13 Abs. 4 ArbZG sind statistisch nicht erfasst. Sie dürften in der Regel nicht erfolgt sein, da diese Fälle praktisch durch § 10 Abs. 1 Nr. 15
ArbZG (u. a. Misslingen von Arbeitserzeugnissen) abgedeckt werden.
Die Anzahl der von den Gewerbeaufsichtsämtern erteilten Ausnahmegenehmigungen nach § 13
Abs. 3 Nr. 2 ArbZG ist der Anlage 1 zu entnehmen.
Zu 2:
Es wird bei der statistischen Erfassung nicht nach Ausnahmen für Firmen des verarbeitenden Gewerbes und des Dienstleistungsbereichs differenziert.
Zu 3:
Die erteilten Genehmigungen beziehen sich überwiegend auf einzelne Betriebsuntergliederungen.
Sie ermöglichen in der Regel also nicht dem ganzen Betrieb Arbeiten an Sonn- und Feiertagen. Die
Anzahl der in eine Genehmigung einbezogenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird statistisch nicht erfasst.
Zu 4:
Ist ein Betriebsrat vorhanden, wird dieser bei der Entscheidungsfindung der Behörde mit einbezogen. Hat er Bedenken, wird diesen nachgegangen. Beteiligung und Votum des Betriebsrates werden statistisch nicht erfasst.
Zu 5:
Zuständig für die Erteilungen der Ausnahmegenehmigungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG ist das Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration.
Übersicht der Ausnahmegenehmigungen nach § 13 Abs. 5 ArbZG
Jahr 2009
Jahr 2010
Jahr 2011
Gesamt: 61
Gesamt: 110
Gesamt: 158
Zu 6:
„Besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens“ im Sinne von § 13
Abs. 3 Nr. 2 a und 2 b ArbZG (Handelsgewerbe und andere Gewerbezweige), können auftreten,
wenn diese vom üblichen Arbeitsablauf erheblich abweichen. So können z. B. branchenübliche Ordertermine des Großhandels in einer Veranstaltung an Sonn- oder Feiertagen den Einzelhändlerinnen und -händlern präsentiert werden. In produzierenden Gewerbebetrieben können sich beispielsweise durch kurzfristiges Ausfallen eines Zulieferers oder durch plötzlich auftretende Qualitätsprobleme bei einem Zulieferer in der Serienfertigung Produktionsrückstände ergeben, die nur
fristgerecht mit Sonn- und Feiertagsarbeit kompensiert werden können. Durch eine Genehmigung
kann so ein unverhältnismäßiger Schaden minimiert werden, der sich aus der nicht fristgerechten
Lieferung ergibt. Bei nicht fristgerechter Lieferung droht ggf. der Verlust eines wichtigen Kunden.
Zu 7 bis 10:
Bei der statistischen Erfassung wird nach den in der Anlage 2 genannten Kriterien differenziert. Die
Zahlen der Anlage geben die Anzahl der Besichtigungen und Maßnahmen wieder, die das Arbeitszeitrecht insgesamt betreffen.
Aygül Özkan
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Anlage 1
Bewilligungen von Ausnahmen nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 ArbZG
für 1 bis 10 Sonn- oder Feiertage*
Gewerbeaufsichtsamt
2009
2010
2011
Braunschweig
312
375
364
Celle
85
108
115
Cuxhaven
208
310
279
Emden
211
258
286
Göttingen
131
150
148
Hannover
289
342
403
Hildesheim
111
168
142
Lüneburg
66
97
89
Oldenburg
354
356
404
Osnabrück
373
349
356
*Bei der Ermittlung des Datenmaterials kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass vereinzelt Doppelberücksichtigungen vorliegen.
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Anlage 2
(Ausgegeben am 08.08.2012)
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