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DIE BRÜCKE
ZUR WELT
STUTTGARTER ZEITUNG
Samstag, 23. Februar 2013 | Nr. 46
V3
LEBEN, GESELLSCHAFT & KULTUR AM WOCHENENDE
Rotlicht
Antonia Zennaro dokumentiert in ruhigen, melancholischen Bildern,
was von der legendären und viel besungenen Reeperbahn übrig geblieben ist.
Hamburg
ie Reeperbahn. Das war einmal die sündigste Meile Deutschlands, ach was, der Welt.
Der Ort, an dem ausgehungerte Seeleute
schnellen Sex fanden. Eine Bühne für Lebenskünstler. Zwielichtiger Treffpunkt für
Zuhälter und Außenseiter. Vorbei. Heute ist die Anziehungskraft eine andere. Wo Bordelle waren, stehen Kaffeefilialisten. Der Kiez ist zum angesagten Wohn- und Büroviertel geworden, zu teuer für die Alteingesessenen.
Touristen kommen in Bussen, um zu flanieren und sich
ein bisschen verrucht zu fühlen. Die Erotik bringt kaum
noch Geld, denn die Leute auf den Straßen sind zu jung
und zu betrunken. Was ist übrig von der goldenen Zeit?
Die Hamburger Fotografin Antonia Zennaro ist dreieinhalb Jahre lang in die alte Rotlichtwelt getaucht und
den Menschen dabei sehr nahe gekommen. Gebliebenes
und Verschwindendes dokumentiert sie unromantisch
und ungeschminkt, manchmal fast sentimental.
Da ist Sigi, der einst zur See fuhr und dann im Hotel
Hongkong putzte, dem letzten Relikt von Chinatown.
Später war er abhängig vom Alkohol. Auf Antonia Zennaros Porträt klammert sich der Mann im roten Pullover an
seinen Hund Daisy, den Blick ernst und verletzlich, aber
auch würdig. Da ist Barbara, 71, die als Kind ausriss und
mit 20 auf der Reeperbahn landete. Damals saß sie am
Telefontisch des Hotels Luxor und nahm sich nur die
schönsten Männer, am liebsten Japaner. Der Fotografin
erzählte sie: „Das Leben habe ich genossen. Heute habe
ich nichts mehr.“ Da ist Udo, im früheren Leben Schiffszimmermann, jetzt Frührentner. Er ist erst 58, aber wie er
so dasitzt, an der Bar im Hotel Hongkong, wirkt er um
Jahrzehnte älter. Und da ist der Safari-Club, der noch immer mit seinen Kostümen und Liveshows wirbt. Viele
Künstler versuchen, das Sex-Cabaret nur als Sprungbrett
zu nutzen. Aber nicht alle schaffen es, wieder auszusteigen. Zumindest das war in alten Zeiten nicht anders. cle
D
Ausstellung Die Bilder sind bis 17. März in der vhs-Fotogalerie,
Rotebühlplatz 28, zu sehen. Zennaros Arbeiten sind bei Prestel
in dem schönen Band „Reeperbahn“ erschienen (39,95 Euro).
Antonia Zennaro, geboren 1980 in Hamburg,
ist in Südtirol aufgewachsen. Sie hat in Rom
und Aarhus Fotografie studiert. Ihr nächstes
Langzeitprojekt wird in Kolumbien spielen.
Das ist die alte Reeperbahn: Szene im Sex-Cabaret
des Safari-Clubs (oben rechts), das legendäre
Hotel Keese, der ehemalige Schiffszimmermann
Udo (links), ein Dampferbild von Erwin Ross,
der die Wände vieler Bars auf dem Kiez bemalte,
Sigi mit seinem Hund Daisy sowie Barbara.