Um den 11. November essen Hunderttausende Österreicher
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Um den 11. November essen Hunderttausende Österreicher
CHRONIK Gans im Glück... NUSSBACH IN OBERÖSTERREICH Die Gänse von Bauer Christoph Hebesberger verbringen jeden Tag ihres Lebens auf der Weide, fressen Gras und hofeigenes Getreide. Wenn er ruft, laufen sie zu ihm. Um den 11. November essen Hunderttausende Österreicher Martingansln. Unser guter Appetit bedeutet für die einen das Ende eines glücklichen Lebens... FOTOS R I C A R D O H E R R G OT T & M A R C U S D E A K 46 45/14 45/14 47 CHRONIK ... Gans ohne B Gewissen ... für die anderen die Erlösung von monatelanger Qual. Ein NEWS-Report zwischen Bio und Fließband. KECSKEMET IN UNGARN Der Arbeiter rammt einer Gans einen Gartenschlauch in den Hals. Mit einem Luftdruckgerät wird ihr in zwei Sekunden ein halbes Kilo Maisbrei in den Magen gepresst. 48 ehutsam überklettert Christoph Hebesberger den niedrigen Weidezaun, kauert sich in die Wiese und ruft freundlich: „Lüppi, Lüppi, Lüppi! Lüppi, Lüppi, Lüppi!“ Die Gänseschar zögert nicht. Mit vorgereckten Hälsen eilen die resoluten Vögel zu ihm, so dass der Bauer ohne Mühe ein besonders prächtiges Tier schnappen und auf den Arm nehmen kann. Die Gans sträubt sich kaum. Es scheint fast so, als lehne sie sich an ihn. Der 38-jährige Landwirt und seine 35-jährige Ehefrau Heidi halten auf dem Gehöft im oberösterreichischen Nußbach seit 15 Jahren Weidegänse. Begonnen haben sie mit 50 Tieren, heute sind es tausend. Die Vögel verbringen jeden Tag draußen auf der Weide, bei Regen wie bei Sonnenschein, bewegen sich frei, tauchen die Köpfe in die bereitgestellten Wassertröge, streiten sich und rupfen Gras, vom frühen Morgen bis zum Einbruch der Dunkelheit. Die Familie besitzt zehn Hektar Grund, unterteilt in 20 Koppeln, mindestens jeden zweiten Tag gehen die Gänse auf eine andere Weide. „Wir bekommen sie im Frühling als Küken. Zwischen November und Dezember schlachten wir sie hier am Hof, rupfen sie selbst, nehmen sie aus und verkaufen sie an Privatkunden und Gastronomiebetriebe“, sagt Heidi Hebesberger. Mehr als tausend Tonnen Import-Fleisch. 1.557 Tonnen Gänsefleisch wurden im vergangenen Jahr in Österreich verzehrt, das sind durchschnittlich 0,2 Kilo pro Kopf. Die mit Abstand meisten Tiere werden um Martini am 11. November verzehrt, immer öfter auch als Weihnachtsbraten. Allerdings: Nur knapp ein Viertel der Gänse stammt aus heimischer Zucht. Der Großteil – im vergangenen Jahr 1.324 Tonnen Fleisch – wird aus dem Ausland importiert. Und das hat oft mit unermesslicher Qual zu tun. In Österreich schreibt das Tierhaltungsgesetz für Wasservögel wie Enten und Gänse relativ strenge Haltungsbedingungen vor. Pro Tier müssen zehn Quadratmeter Auslauf zur Verfügung stehen. Bei Weidegans-Betrieben, die ein Drittel des heimischen Bestands ausmachen, sind es sogar 100 Quadratmeter pro Schna49 KECSKEMET IN UNGARN CHRONIK Stopfgans: 800 Gänse in einer Halle, auf einem Quadratmeter sind vier Tiere zusammengepfercht. Sie kauern auf Metallgittern und gehen oft aufeinander los. Vor den Käfigen verläuft eine schmale Rinne mit Wasser. Es gibt keine Fenster, das Licht wird nur zweimal am Tag aufgedreht, wenn die Arbeiter zum Stopfen kommen. Preis: 4,50 Euro pro Kilo NUSSBACH IN OBERÖSTERREICH Weidegans: Die Tiere verbringen den ganzen Tag draußen. Pro Gans müssen 100 Quadratmeter Weide zur Verfügung stehen, nur nachts sind sie im Stall. Die Vögel fressen Gras und hofeigenes Getreide. Im Alter von sieben Monaten werden sie auf dem Hof geschlachtet, gerupft und ausgenommen. Preis: 10,50 bel. Zudem muss eine Dusch- oder Bademöglichkeit vorhanden sein, die Haltung in einem Stall ohne Einstreu ist verboten. Vor allem aber sind Qualaufzuchten wie die Stopfmast untersagt. In Ungarn, woher ein Großteil der nach Österreich importierten Gänse kommt, gelten diese Vorschriften nicht. Millionen der beklagenswerten Vögel werden dort unter empörenden Bedingungen gestopft. Kein Wunder, dass sich viele dieser Unternehmen mit Mauern, Videokameras und Elektrozäunen gegen unbefugte Blicke sichern. NEWS gelang es dennoch, sich zu einem solchen Betrieb Zutritt zu verschaffen. Ein halbes Kilo in zwei Sekunden. Acht Meter breit und 40 Meter lang ist die niedrige Halle in dem Ort nahe der Stadt Kecskemet südlich von Budapest. Dort, in der ungarischen Tiefebene bis zu den Grenzen zu Serbien und Rumänien, ist das Hauptansiedlungsgebiet der ungarischen Geflügelindustrie. Das Bild, das sich uns bietet, ist verheerend. In fünf langen Reihen stehen Stahlkörbe, in denen dieGänse zusammengepfercht kauern, vier auf einem Quadratmeter. Etwa 800 Tiere 50 sind in jede der drei Hallen gepfercht. Das Metallgitter, auf dem sie hocken, schneidet in die Füße mit den empfindlichen Schwimmhäuten. Es gibt kein Stroh, kein Heu, keine Einstreu. Das Federkleid ist in üblem Zustand, die unter normalen Umständen sehr sozialen Tiere gehen mit den Schnäbeln aufeinander los und hacken einander nieder. Die Fäkalien fallen durch die Stäbe nach unten in eine Metallwanne. Die Halle hat keine Fenster, belüftet wird sie nur durch Ventilatoren. Es herrscht Dunkelheit, in der die Tiere ihr ganzes Leben zubringen müssen. Nur zweimal am Tag wird das Licht aufgedreht. Und dann beginnt für die Gänse ein albtraumhaftes Martyrium. Ein Arbeiter schiebt einen Rollcontainer herein, auf dem ein Behälter mit Maisbrei und ein Kompressor stehen. Er nimmt eine Gans, drückt ihr den Schnabel auf, rammt ihr einen Schlauch in den Hals, drückt auf einen Knopf. Mittels Druckluft wird innerhalb von zwei Sekunden ein halbes Kilo Brei in den Magen des Tieres gepumpt. Deutlich ist zu sehen, wie sich der Schlund wölbt, der Arbeiter streift das Futter in den Magen, zieht den Schlauch heraus. Die nächste Gans ist an der Reihe, pro Kilo wie am Fließband. Zu dritt brauchen sie zwei Stunden, bis die 800 Gänse gestopft wurden. Zurück bleiben würgende, verstörte Tiere. Licht aus. Die Arbeiter gehen weiter, in die nächste Halle. Zwei bis drei Wochen werden die Gänse täglich auf solche Art gequält. In dieser Zeit schwillt ihre Leber auf bis zu einem Kilogramm an, das Zehnfache des normalen Gewichts, denn Gänseleber ist eine Delikatesse. „Die Folgen des Stopfens sind Atemnot, Halsverletzungen, Knochenbrüche, Leberblutungen, Herzversagen“, sagt Susanne Hemetsberger vom Österreichischen Tierschutzverein. „Die Tiere werden geschlachtet, kurz bevor sie an den Folgen des Stopfens ohnehin verenden würden. Viele sterben noch langsam und qualvoll, bevor sie geschlachtet werden.“ In Folge des abnormen Wachstums drückt die Leber auf die Lunge. Viele Gänse ersticken. Nur männliche Tiere werden gestopft, weil ihre Leber schneller wächst. Weibliche Küken werden nach der Geburt aussortiert, weggeworfen und getötet. Stopfgänse auf heimischen Tellern. In den meisten EU-Staaten ist, wie auch in Österreich, das Stopfen von Gänsen und 45/14 Enten verboten. Praktiziert wird es auch in Belgien, Spanien, Bulgarien und Frankreich, wo die Fettleber, Foie gras genannt, eine Art Nationalgericht ist. Deshalb ließ sich Frankreich, genau wie Ungarn, diese Art der Mast als „kulturelles Erbe“ schützen. Und da der Export nicht untersagt ist, erreicht Fleisch aus Stopfmastbetrieben auch in Österreich. Wie aber schützt sich der Konsument? „Auf allen tierischen Lebensmitteln muss eine EWG-Nummer angebracht sein. Mit dieser Nummer kann der Konsument nachprüfen, woher das Produkt stammt und wer es verarbeitet hat“, rät Tierschützerin Hemetsberger. So steht das Länderkürzel „F“ für Frankreich, „HU“ für Ungarn. Die Ziffer kennzeichnet den jeweiligen Betrieb. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten erstellte eine Schwarze Liste der Stopfmast-Betriebe und, alternativ, die Positiv-Liste. Letzere ist auf der Homepage der Organisation zu finden und kann beim Einkaufen herangezogen werden. Vier Pfoten und der Österreichische Tierschutzverein setzen sich dafür ein, dass auch der Import von Fleisch aus Stopfmast in Österreich untersagt wird. „In der 45/14 Gastronomie ist es schwieriger, die Herkunft nachzuvollziehen, weil man schon das Endprodukt serviert bekommt“, sagt Susanne Hemetsberger. „Der Kunde sollte vor der Bestellung kritisch nachfragen, woher die Tiere stammen. Zudem gibt es auf www.weidegans.at eine Liste von Restaurants, die von Weidegans-Bauern beliefert werden.“ Leben auf der Weide. Es handelt sich um die Homepage der Gemeinschaft IGV Weidegans, eines Zusammenschlusses von mehr als 200 bäuerlichen Betrieben aus ganz Österreich, der auch Heidi und Christoph Hebesberger angehören. Während die malträtierten Gänse in Kecskemet in ihren dreckigen Käfigen leiden, weidet ihr Federvieh im Klee. „Als Küken bekommen sie Tee, mein Mann redet jeden Tag eine halbe Stunde mit ihnen, darum folgen sie ihm auch so“, grinst Heidi Hebesberger. Mit zwei bis drei Wochen bekommen sie den ersten Auslauf, aber erst, wenn sie ihr volles Gefieder ausgebildet haben, dürfen sie den ganzen Tag draußen bleiben. „Vorher würden sie sich erkälten oder Sonnenbrand bekommen“, erklärt die Bäuerin. Ihr Leben lang fressen die Tiere nichts anderes als Gras und hofeigenes Getreide. Und wenn es kalt wird und das Ende des Gänselebens naht, so ist es das Ende eines glücklichen Gänselebens. ■ Marcus Deák, Kecskemet; L. Walchshofer Das schockierende Video aus Ungarn. Jetzt auf: www.news.at/mastfarm AUF EINEN BLICK WIE ERKENNE ICH EINE WEIDEGANS? FLEISCHQUALITÄT: Weidegänse haben weniger Fett als Mastgänse ohne Auslauf. Zudem sind sie wasserärmer, was zu weniger Bratverlust führt. Durch viel Bewegung haben Weidegänse ein dunkleres Fleisch, das feinfaserig und zart schmeckt. PREIS: Heimische Weidegänse kosten zwischen 10 und 14,50 Euro das Kilo, Gänse aus Massenproduktion sind schon ab 4,50 Euro das Kilo zu bekommen. INFOS: www.weidegans.at 51