in Bayern - Bayerischer Landesverein für Heimatpflege eV

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in Bayern - Bayerischer Landesverein für Heimatpflege eV
Volksmusik
in Bayern
Mitteilungsblatt der Volksmusikberatungs- und Forschungsstellen des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege e. V.
26. Jahrgang
•
Heft 1
•
München 2009
80 Jahre Boareibl-Jodler
Prof. Kurt Huber und der Kiem Pauli auf Wanderschaft
Andreas Estner
Es waren zwei ungleiche
Das Boareibl
Wanderer, die da im Spätherbst 1928 in Wildbad
Die Alm, nach der der
Kreuth im Miesbacher OberBoareibl-Jodler benannt
land den Rucksack schulist, heißt auf den amtterten und losmarschierten,
lichen Landkarten „Bayer
zu ihrer ersten gemeinsamen
Alm“. Sie liegt abgeschieSuche nach Volksliedern. Der
den zwischen Wildbad
Eine – in modernen KnickerKreuth und dem Valepper
bockerhosen – Kurt Huber,
Hochtal im SpitzingseeMusikwissenschaftler und
gebiet. Der Name „Bayer
Professor für Philosophie
Alm“ kommt vermutlich
und Psychologie aus Mündaher, weil diese Alm an Tirol
chen. Der Andere – mit Hut,
grenzt, aber eben doch noch
Lodenjoppe und Pfeife – der
zu Bayern gehört. „Eibl“
Kiem Pauli, Volkssänger und
kommt von „Alpl“ und
Volksmusikant, der in Wildwird im oberbayrischen
bad Kreuth unter dem Dach
Volksmund öfter für Alm
der Wittelsbacher Zither
verwendet. Unterhalb der
und Gitarre unterrichtete
Almweide ducken sich die
und Volkslieder sammelte.
alten herzoglichen WinEigentlich zwei arg verterstuben an den Hang.
Die „Bayer-Alm“, malerisch im Spitzingseegebiet gelegen, Foto: Hörth
schiedene Menschen, und
Holzgezimmerte, sonnendoch hat sie eines sofort
gebräunte Hütten, die mit
verbunden: Das innige Interesse an der
das Forstamt Kreuth bei einer Aufforstung.
ihren niedrigen Vordächern wirken wie
bayerischen Volkskultur und vor allem am
Der Kiem Pauli wusste das und er wusste,
aus einer anderen Zeit. Dort waren die
Volkslied. Kurt Huber sammelte Lieder
dass die Tirolerinnen Volkslieder können, die
Tiroler Lohnpflanzerinnen untergebracht,
für die Deutsche Akademie in Berlin1, der
möglicherweise interessant sein könnten.
die „Boschensetzerinnen“. „Ich hatte die
Kiem Pauli für seine eigene Sammlung
Da, wo sich heute hunderte MountainTirolerinnen schon vorher von unserem
oberbayerischer Volkslieder. Das Ziel ihrer
biker in bunten Klamotten eine breite
1 Bayerische Staatsbibliothek: „Volksmusik
ersten gemeinsamen ForschungswandeForststraße hinauf schinden, sind die zwei
in Bayern“, Kurt Huber und Kiem Pauli,
rung war die Bayer Alm, im Volksmund das
Volksliedsammler also marschiert. Mehrere
München 1985, S. 172
2
„Boareibl“ oberhalb von Wildbad Kreuth.
Stunden auf einem einfachen Almweg
2 Es existieren verschiedene Schreibweisen:
Dort nämlich arbeiteten damals junge
von der Schwaigeralm bei Wildbad Kreuth
Bareibl, Boareibi, Boareibl.
Pflanzerinnen aus Brandenberg in Tirol für
durch die Langenau in Richtung „Boareibl“.
Volksmusik in Bayern 26 (2009), Heft 1
1
Tränen der Rührung: Der Boareibl
Jodler
Der Kiem Pauli und Prof. Kurt Huber
machten sich auf den Heimweg, und
da spielte sich jene Szene ab, die in der
Nacherzählung beinahe wirkt, wie aus
einem kitschigen Heimatfilm, wäre sie
nicht echt gewesen. „Prof. Kurt Huber
und ich mochten ungefähr 100 Meter
gegangen sein, als uns die Diandln einen
Jodler nachsangen. Professor Huber sagte:
‚Pauli, schnell etwas Papier!‘ und dann
schrieb er denselben (Anm.: aus dem
Gehör) in Generalbassschrift nieder, dabei
liefen ihm die Tränen über das Gesicht vor
Rührung; von den Bergen warf das Echo
die Akkorde zurück und es war, als wenn
die ganze Natur mitsingen würde. Als wir
weiterwanderten, wurden uns noch die
herrlichsten Juchezer nachgesandt, die
alle vom Huberl festgehalten wurden“.6
Musikanten in gemütlicher Runde vor der „Bayer-Alm“ heute, Foto: Hörth
„Das Huberl“ und der Pauli
Kommen verständigt“, berichtet der Kiem
Pauli später, „und so saßen wir bald mit
ihnen gemütlich beisammen und tranken
Tee, den die Diandln mit Zusatz von Zimt
und Schnaps gemacht hatten. Ich packte
meine Zither aus, ließ ein Liedl hören, und
dann sangen die Diandln ohne sich betteln
zu lassen ganz von selbst. Professor Huber
war in seinem Element und schrieb alles
Gehörte genau auf.“3
und die zwei Volksliedfanatiker lagen wie
Haremswächter, in einige Decken gewickelt, am Boden im Vorraum; den guten
Professor hörte ich nachts öfters jammern,
weil er so fror…
Als wir aufstanden, begrüßte uns ein herrlicher Morgen und nach dem Frühstück,
das ich für alle bereitet hatte, nahmen wir
Abschied, der mir immer unvergesslich
bleiben wird!“5
Prof. Kurt Huber und der Kiem Pauli
waren in diesem Moment sicher eine
Empfindungsgemeinschaft, die man heute vielleicht „seelenverwandt“ nennen
würde: „zwei selige Menschen gingen
schweigend nebeneinander durch das
Tal“.7 Kennen gelernt hatten sich Kurt
Huber und der Kiem Pauli schon drei
Jahre früher in Josefstal: „Ich glaube,
es war im Jahr 1925, als eines Tages
„Schokoladi für die Diandln“
Der Kiem Pauli wusste, wie man Menschen
zum Singen bringt. Das zeigt die Tatsache,
dass er zuerst einmal selbst ein Lied anstimmte, um das Eis zu brechen. Und er
hat sie auch „bestochen“, das hat er in seinen Erinnerungen 1947 verschwiegen. Die
zwei Tirolerinnen, Lena Marksteiner und
Maria Haaser, haben sich nämlich später so
erinnert: „Wia s’ ausn Rucksack a Flaschei
süaßn Schnaps und a Schokoladi außa do
ham, da ham ma mir aa gsunga“, so hat
es der Tiroler Volksmusikfachmann Sepp
Landmann später erfahren.4 Die jungen
Frauen sangen den zwei Forschern mehrere Lieder vor, die sie schon kannten, zum
Beispiel „Ja steign ma aufi, aufs Bergele“
oder „Über d’Alma“. Die Krönung sollte
erst am nächsten Tag kommen.
Eine kalte Herbstnacht für die „Volksliedfanatiker“
Weil die Pflanzerinnen früh aufstehen
mussten, berichtete der Kiem Pauli später,
gingen alle früh zu Bett: „Die Diandln
schliefen in einem abgeschlossenen Raum
2
Der Original-Abdruck des Bareibl-Jodlers aus:
„Altbayerisches Liederbuch für Jung und Alt“, 1934
3
Kiem, Pauli: „Auf Volksliedfahrt“, in: Huber, Clara: Kurt Huber zum Gedächtnis, Regensburg 1947
4
Landmann, Sepp: „Interview mit Lena Marksteiner und Maria Haaser“, in: Sänger- und
Musikantenzeitung, SMZ 26/5, 1983, S. 294-295
5
Kiem, Pauli: „Auf Volksliedfahrt“, in: Huber, Clara: Kurt Huber zum Gedächtnis, Regensburg 1947
6
Ebd.
7
Ebd.
Volksmusik in Bayern 26 (2009), Heft 1
Kathi Greinsberger.11 Die drei Sängerinnen
aus Fischbachau im Leitzachtal sangen,
wie sie es mit allen Liedern taten, frei eine
dritte Stimme dazu. Nicht alle Gesangsgruppen haben sich an diesen Jodler und
seine exponierte Höhe herangewagt, im
Bayerischen Rundfunk gibt es nur wenige
Aufnahmen. Drum wird der „Boareibe“
heute noch vor allem mit den Fischbachauer Sängerinnen in Verbindung gebracht.
Trauriger Nachgesang
Prof. Kurt Huber in den 1930er Jahren, aus:
Huber, Clara (Hg.): „...der Tod...war nicht
vergebens“ – Kurt Huber zum Gedächtnis,
München, 1986
Emanuel Kiem, vulgo Kiem Pauli um
1930
ein schmächtiger, dunkler junger Mann
mit einem geistvollen Gelehrtenkopf und
ausgerüstet mit einem Phonographen zu
mir kam und mich ersuchte, ihm einige
Volkslieder vorzusingen, die er dann mit
seinem Apparat aufnehmen wollte; ich sang
einige Lieder…hernach erzählte er mir, dass
er für die Deutsche Akademie Volkslieder
sammle, und als ich ihm erwiderte, dass
ich selbst schon einige Jahre das gleiche
für mich mache, meinte er: „Wir können ja
vielleicht zusammenarbeiten!“ Und so kam
es auch. Wir konnten uns gut ergänzen, er
der Wissenschaftler, der die gelehrte Technik
seines Faches meisterhaft beherrschte, ich
der Praktiker, der mit den Sängern lebte
und sang“.8
auch in Oberösterreich wurde die Melodie
aufgeschrieben unter dem Namen „Die
lusti’ Bäurin“ (Hermann Derschmidt in
Neustift bei Steyr in Oberösterreich 1929).
Das Anfangsmotiv, die charakteristischen
Intervalle der ersten sechs Töne, findet
sich auch bei Jodlern im Salzkammergut
wieder (Adolf Dengg „D’ Lustige Bäurin“)
oder in der Steiermark, zum Beispiel beim
Jodler „S’ damisch Weibl“ (Josef Pommer
444 Jodler, Nr. 225a). Freilich war es für die
bayrische Volksmusik trotzdem bedeutsam,
dass Kurt Huber und der Kiem Pauli „ihren“
Boareibl-Jodler selbst entdeckt hatten,
weil sie ihn 1934 in der Sammlung „Oberbayerische Volkslieder“ veröffentlichten
und ihn so in der allgemeinen Volksmusikeuphorie, die seit dem Preissingen von
1930 herrschte, für die Gesangsgruppen
verfügbar machten. Endgültig überregional
bekannt wurde der Jodler in Bayern durch
die Rundfunkausstrahlung. Hans Seidl,
Leiter der Abteilung Volksmusik im Bayerischen Rundfunk von 1949 bis 1959, gab
den Jodler Anfang der 1950er Jahre den
Fischbachauer Sängerinnen, erinnert sich
80 Jahre Boareibl Jodler
Der zweistimmige Jodler, den die Pflanzerinnen den Volksliedsammlern hintennach
gesungen hatten, ging pfeilgrad in die
oberbayrische Volksmusikgeschichte ein.
Kurt Huber und der Kiem Pauli hießen
ihn „Boareibl Jodler“ und veröffentlichten
ihn auch gleich in ihrer Sammlung „Oberbayrische Volkslieder“. Freilich war dieser
Jodler nicht spontan entstanden, es hat ihn
bereits in weiten Teilen Österreichs gegeben und er war auch schon mehrfach, in
variierten Formen, aufgeschrieben worden.
So gibt es in Tirol sechs aufgezeichnete
Versionen, etwa den „Laninger Jodler“9
(Karl Horak, vorgesungen in Vögelsberg/
Wattens Tirol am 25.11.1956) oder den
„Alpbacher Jodler“10 (aufgezeichnet im
Tiroler Inneralpbach im August 1936) und
Volksmusik in Bayern 26 (2009), Heft 1
Die Wanderung auf „das Boareibl“ und dieser einzigartige Jodler müssen bei Prof. Kurt
Huber einen starken Eindruck hinterlassen
haben. So stark, dass er auch noch in seinen
letzten Stunden daran dachte. Kurt Huber
wurde 1943 wegen seiner Verbindungen
zur Münchner NS-Widerstandsgruppe
„Weiße Rose“ von den Nationalsozialisten
hingerichtet. Aus dem Gefängnis schrieb er
auch dem Kiem Pauli einen Abschiedsbrief:12
„Ihr lieben Freunde ihr,
laßt eure Stimmen klingen.
Ihr sollt zum Abschied mir
das Lied vom Hofer singen.
Ihr habt mit Herz und Hand
für euer Lied gestritten,
ich hab für unser Land
den bittern Tod gelitten.
Kein Mensch auf dieser Erd
soll uns der Väter Glauben
der Heimat stillen Herd,
der Berge Freiheit rauben
Laßt vom Boaraibi weit
Den alten Jodler hallen
In Bergeseinsamkeit,
den ich geliebt vor allen!
Galnt13 ihr dann eins hinauf
in blaue Himmelsfernen,
es wird euch Antwort drauf
dort von den ew‘gen Sternen.“14
Anmerkung: Der Autor dankt dem Tiroler Volksmusikverein und dem Steirischen Volksliedwerk für die
Notenbeispiele aus Österreich.
8
Kiem, Pauli: „Auf Volksliedfahrt“, in: Huber, Clara: Kurt Huber zum Gedächtnis, Regensburg 1947
9
Schneider, Manfred: Jodler aus Tirol, Tiroler Volksliedwerk, Innsbruck 1982
10
Ebd.
11
Bayerischer Rundfunk: Interview mit Kathi Greinsberger, Fischbachau, 30. November 2003
12
Mit einem Abschiedsgedicht in Abwandlung des Andreas-Hofer-Liedes „Ach Himmel, es ist
verspielt“, Anm. d. Schriftleitung.
13
galnen = juchzen, Anm. d. Schriftleitung.
14
Müller, Karl Alexander von: „Abschied von Kurt Huber“, in: Feldhütter, Wilfried: Lieder, Land
und Leute, München 1980, S. 216
3