Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Bewährungshelfers a.D.

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Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Bewährungshelfers a.D.
Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Bewährungshelfers a.D.
Der Autor, ein Bewährungshelfer im Ruhestand, nimmt in seinem Beitrag zwei Reden des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelfer e.V. zum Anlass, sich mit der aktuellen
Lage seiner Profession auseinanderzusetzen. Er orientiert sich dabei an dem Motto: Wer nicht weiß,
wo er herkommt, kann nicht wissen, wo er hin will. Insofern ist dies auch ein Beitrag zur Geschichte
der Bewährungshilfe in der Bundesrepublik Deutschland, die allerdings noch nicht niedergeschrieben
worden ist.
Distanz führt zu einem näheren Zugang
Das Engagement für etwas, dem man sich tief verbunden fühlt, endet nicht damit,
dass man an seiner aktiven Gestaltung nicht mehr unmittelbar beteiligt sein kann.
Gleichwohl nimmt man weiter Anteil an seiner Entwicklung, sucht immer wieder einmal nach Informationen zur aktuellen Lage und freut sich an Siegen und leidet bei
Niederlagen. Eine grundlegende Veränderung erfährt nur die Perspektive.
Die erzwungene Außensicht erweist sich als Vorteil bei der Innensicht, die Distanz
führt zu einem näheren Zugang auf das Gesamtwerk1. In der bildenden Kunst haben
sich die Pointillisten in besonderer Weise dieses Prinzip zu Eigen gemacht: Die Bilder bestehen aus kleinen regelmäßigen Farbtupfern. Erst aus einer bestimmten Entfernung ergibt sich für den Betrachter der Gesamtfarbeindruck einer Fläche. Das war
die Kunst des Malers: Zu wissen, wie die aus der Nähe aufgetragenen Farbpunkte in
ihrer additiven Verschmelzung aus der Ferne aussehen. Das ist auch die Kunst der
parteipolitischen oder berufspolitischen Politik, zu beachten, wie das Klein-Klein aus
der Ferne wirkt.
Die schriftliche Äußerung ist hier von Vorteil, weil im Pre-Test ,etwa eines Vorstands,
erprobt werden kann, ob die Worte das bewirken, was der Absicht des Verfassers
entspricht. Stoibers von liebevoller Hand morgens hingerichtete Blumen 2 hätten eine
größere Öffentlichkeit nie erreicht, wenn über sie nicht mündlich, sondern in einem
Schriftsatz berichtet worden wäre. Mundartlich gefärbte Hinrichtungen von Blumen
werden in Wattenscheid eben anders verstanden als in Wolfratshausen.
Wenn politische Reden veröffentlicht werden, geschieht dies meist vorab, und in der
Regel sind sie mit dem vorsorglichen Hinweis versehen, dass im Zweifel das gesprochene Wort gilt, falls der Redner von seinem Konzept abweicht. Bei den im Internet
veröffentlichten Reden des Vorsitzenden der ADB e.V., Holger Gebert, findet sich
dieser Hinweis nicht, soweit es die am 14. Juni 2013 gehaltene Rede auf der 11.
1 Siehe auch „Außensicht der Innensicht – Bewährungshilfe in der Erinnerung ehemaliger Bewährungshelfer“,
DBH-Materialien Nr.67
2 „"Ich hab's mir angewöhnt, dass ich jeden Tag in der Früh in den Garten schau' und vielleicht eine Blume
hinrichte. (...)“
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/die-fuenf-besten-stoibers-schoenste-sprueche-1.302424
1
Bundesdelegiertenversammlung in Vallendar3 und die am 5.12. 2013 zur Eröffnung
des 4. Bewährungshelfertages4 in Berlin gehaltene Rede betrifft.
Beide betexteten Termine standen lange vorher fest, so dass Reden in gediegener
Qualität erwartet werden konnten, die nicht nur die Rednerqualität des Vortragenden,
sondern – in einem demokratisch konstituierten Verein selbstverständlich - die Qualität der Körperschaft widerspiegeln.
Vom Faktensteinchen zum Geschichtsmosaik
Wie Historiker generell, sind Sprecher von Berufsverbänden bei der Würdigung von
historischen Daten ihrer Vereinigung dann in gewisser Weise auch Pointillisten, die
aus vielen kleinen Faktensteinchen ein Geschichtsmosaik bilden, dessen konstituierender Wert sich erst aus dem zeitlichen Abstand seiner Zusammenfassung ergibt.
60 Jahre Rückblick auf die Arbeitsgemeinschaft eines Berufszweiges der Sozialen
Arbeit, dessen weiterer Bestand bei seiner praktischen Erprobung durchaus unklar
und ungewiss war, hätten ein klareres Bild ergeben können, als Gebert es in seinen
Texten gezeichnet hat. Beim Rückblick auf das 60-jährige Bestehen der Deutschen
Bewährungshilfe e.V. (DBH), die 1951 unter dem Namen „Verein Bewährungshilfe
e.V.“ gegründet und am 26. September 1973 in „Deutschen Bewährungshilfe e.V.“
umbenannt wurde, war das dort von den Rednern gezeichnete Bild jedenfalls um
einiges deutlicher und konturschärfer.
Auch detailsicherer. Entgegen der Feststellung Gebers in der Rede anläßlich des 60jährigen Bestehens des Verbandes, ist der erste hauptamtlich Bewährungshelfer, Dr.
Wolfgang Klein, nicht am 1.10.1953, sondern 3 Jahre zuvor, nämlich am 1.Oktober
19505 ernannt worden. Und die ABD e.V. hat sich die Lebenslagenuntersuchung weder 30.000 Euro, wie in derselben Rede festgestellt wird, kosten lassen, noch 3000
Euro, wie in der Eröffnungsrede zum 4. Bewährungshelfertag behauptet. Die Untersuchung wurde 1999 durchgeführt, der Euro wurde aber erst am 1. Januar 2002 als
Zahlungsmittel eingeführt.
Reden und Öffentlichkeitswirkung
Den Texten hätte man – vor deren Veröffentlichung – im Übrigen nicht nur die Prüfung der korrekten Zitierung historischer Daten oder Zahlen, sondern generell ein
grundlegendes Lektorat gewünscht. Hörern wie Lesern hätte das einen Zugang zu
deren Inhalten um Einiges erleichtert. Was für die Hörer der Veranstaltungen nicht
mehr zu ändern ist, sollte doch für Leser (Interessierte Bürger, Journalisten, Politiker), die sich auf der ADB-Seite im Internet über Inhalt und Standpunkte informieren
3 http://www.bewaehrungshilfe.de/wp-content/uploads/2013/07/H-Gebert-Er%C3%B6ffnungsredeBundesdelegiertenversammlung-14-06-2013-in-Vallendar.pdf
4 http://www.bewaehrungshilfe.de/wp-content/uploads/2013/12/H-GebertEr%C3%B6ffnungsbeitrag-Bew%C3%A4hrungshelfertag.pdf
5 Hans-Jürgen Kerner, Straffälligenhilfe in Geschichte und Gegenwart, Schriftenreihe der Deutschen Bewährungshilfe e.V., 1990, Vorwort, S.III
2
wollen, umgehend geändert werden. Ansonsten wird man sich beides schon aus semantischen Gründen kaum erarbeiten können.
Das gilt auch für die, die darauf trainiert sind. Studenten der Sozialarbeit an einer der
Fachhochschulen etwa, die sich so und an dieser Stelle über das Berufsfeld der Bewährungshilfe informieren wollen. Eine der ehemaligen Bundesvorsitzenden, die
auch von der inflationären Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der ADB e.V. überzogen worden ist, hat einmal im Verlauf einer Debatte zur Entwicklung von Standards
verlauten lassen, dass man das Metier schließlich studiert und insofern keinen weiteren Bedarf an Qualifizierung habe. Das ist so bedenklich wie in der Sache falsch.
Wer nicht gerade an einer Hochschule eingeschrieben ist, an der ein Bewährungshelfer im Rahmen eines Lehrauftrags über das Arbeitsfeld Bewährungshilfe informiert, wird in seinem Studium darüber wenig bis nichts erfahren.6 In den seltensten
Fällen wird auch an einer Fachhochschule für Sozialarbeit Strafrecht gelehrt, so dass
es schon in dieser Hinsicht an Basiswissen mangelt. Studierende tun also gut daran,
sich selbst um Informationen über Bewährungshilfe zu bemühen.
Nur eben besser nicht in den vorbezeichneten Reden des Vorsitzenden der ADB e.V.
In der Rede vom Dezember 2013 zur Eröffnung des 4. Bewährungshelfertages hält
der den Studierenden der Sozialarbeit bei Anwesenheit eines Justizministers und
internationaler Gäste vor, dass die wenigsten über „…sozialarbeiterische und politisch ethisch fundierte Wertvorstellungen in der Arbeit mit Menschen …verfügen.“ Es
werde gar der Einzelne für seine Situation verantwortlich gemacht.
Der nachfolgende Versuch einer Abschwächung der generalisierenden Feststellungen gelingt im Ergebnis nicht und folgt dem Ich-will-ja-nichts-sagen-aber-Muster, mit
dem genau diese Diskriminierungen eingeleitet und exkulpiert werden. Insofern bleibt
es bei der diskriminierenden Feststellung, die selbst im Widerspruch zu den codes of
ethics der Sozialarbeit stehen, die unter 4.2 Soziale Gerechtigkeit darauf hinweisen,
dass …“Sozialarbeiter/-innen …die Pflicht (haben),negativer Diskriminierung entgegenzutreten,…“ Das gilt auch für Diskriminierungen von Studierenden der Sozialarbeit.
Bewährungshelfer und Ethik
Die ADB e.V. hat Anlass genug, sich mit Richtlinien der Ethik in der Sozialen Arbeit
und der Darstellung der Prinzipien intensiver auseinanderzusetzen. Haben die doch
erklärtermaßen zur Absicht, …“ Sozialarbeiter/-innen in aller Welt (zu) ermutigen,
ihnen begegnende Herausforderungen und Dilemmata zu reflektieren und ethisch
informierte Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie in jedem einzelnen Fall handeln sollen. Einige dieser Problembereiche beinhalten:

die Tatsache, dass die Loyalität der Sozialarbeiter/-innen oft inmitten wider-
6 Paul Reiners, Anmerkungen zu einem Aufbaustudiengang Devianzmanagement für Sozialarbeiter, BoD 2008,
ISBN-13: 9783837058796
3


streitender Interessen liegt
die Tatsache, dass Sozialarbeiter/-innen einerseits die Rolle des Helfers und
andererseits die des Kontrolleurs ausfüllen
den Konflikt zwischen der Pflicht der Sozialarbeiter/-innen, die Interessen der
Menschen, mit denen sie arbeiten, zu schützen, und den gesellschaftlichen
Erfordernissen von Effizienz und Nützlichkeit.“
In der Präambel des Leitbildes der ADB e.V., erarbeitet auf der 7. Bundesdelegiertenversammlung und Bundestagung 01. bis 03. Dezember 2006 in Potsdam, heißt
es: „Leitlinie für das berufliche Handeln ist der Code Of Ethics“.
Nach dem Wunsch der Verfasser des Code Of Ethics sollten nationale Verbände
ihre eigenen ethischen Kodizes und Richtlinien im Einklang mit der Stellungnahme
von IFSW und IASSW entwickeln und regelmäßig überarbeiten, denn
…“Sozialarbeiter/-innen sollen in Übereinstimmung mit dem ethischen Kodex oder
den Richtlinien ihres Landes handeln. Diese werden im Allgemeinen detailliertere
Richtlinien für die ethische Praxis - bezogen auf den jeweiligen nationalen Kontext beinhalten.“
Das war und ist die Aufgabe der ADB e.V., nämlich im Einklang mit den ethischen
Grundprinzipien ihre eigenen Kodizies und Richtlinien zu den o.g. Problembereichen
zu entwickeln. Da gibt es noch Einiges zu tun, und auf diesem Wege wären denn
etwaige Mängel in der Ethikbildung von Studierenden der Sozialarbeit ebenfalls zielführend zu beheben. Denn die Richtlinien weisen darauf hin, dass es in der Verantwortung der nationalen Verbände liege, die Ausbildungsstätten Sozialer Arbeit über
diese Kodizes und Richtlinien zu informieren.
Von Sozialarbeitern wird erwartet, dass sie redlich handeln.7 Das wird man bei Bewährungshelfern so voraussetzen, was im Groben beinhaltet, dass sie…“ die Vertrauensbeziehung zu den Menschen, die ihre Dienste nutzen, nicht missbrauchen,
dass sie die Grenzen zwischen privatem und beruflichem Leben beachten und dass
sie ihre Position nicht für persönlichen Vorteil oder Gewinn ausnutzen.“ (Codes Of
Ethics, 5. Berufliches Handeln, 3.)
Aber es mag auch eine gleichsam fahrlässige Unredlichkeit geben, die sich aus eigener Unkenntnis und perpetuierten Verhalten speist. Wer zu besserer Kenntnis gelangt, weiss um sein Verhalten und muss es verändern, um den Prinzipien der Ethik
zu folgen. Solche Veränderungen durchzusetzen wird einem Verband aber in höherem Maße gelingen als einem Einzelnen. Und das scheint bezüglich der Inhalte der
Erstgespräche mit Probanden notwendig zu sein.
Bewährungshelfer und Redlichkeit
7 Paul Reiners., Redlichkeit als Standard, BewHi Jahrgang 57 2010, Heft 2, S.178
4
In der Erörterung der Bewährungsauflagen wird dem Probanden in der Regel vermittelt, dass es zu seinen Verpflichtungen gehört, sich regelmäßig beim Bewährungshelfer zu melden. Dem ist aber nicht so. Kommt der Proband diesem rechtlich nicht gestütztem Hinweis nach, erspart er dem seinerseits nicht unerheblich unter Kontrolle
stehenden Bewährungshelfer zwar einige Unannehmlichkeiten. Den eigenen könnte
er aber gelassen entgegensehen. Manch einer mag um die rechtliche Würdigung der
Folgen wissen, anderen mag es gleichgültig sein. Der Prozentsatz der Probanden,
die sich nie beim Bewährungshelfer melden, ist ja durchaus nicht gering. So sie nicht
gerade unter Führungsaufsicht stehen, lässt ihr Verhalten des Sich-Entziehens der
Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers bei ansonsten straffreier Lebensführung
und bei Erledigung anderer, individuell formulierter Auflagen nicht ohne weiteres
Rückschlüsse auf eine widerrufsbegründende kriminelle Prognose zu.
Im Erstgespräch – so es zu einem kommt – wären Probanden auf die Unterschiedlichkeit von Auflagen und Weisungen aufmerksam zu machen. Auflagen, wie etwa
die Ableistung von Arbeitsstunden, dienen als Reaktion auf das Fehlverhalten der
Genugtuung für das begangene Unrecht und sind insofern eher eine strafähnliche
Maßnahme als eine Maßnahme der Resozialisierung. Ihre Nichtbeachtung durch
gröbliche oder beharrliche Verstöße beinhaltet die Möglichkeit des Widerrufs. Weisungen sind dagegen als Mittel zur Einwirkung auf den Täter zu verstehen, keine
Straftaten mehr zu begehen und verfolgen insofern spezialpräventive Ziele.
Elke Trapp8 hat in ihrer Dissertation „Rechtswirklichkeit von Auflagen und Weisungen bei Strafaussetzung zur Bewährung“ schon 2003 auf einige Unzulässigkeiten
hingewiesen:
„Unzulässig bzw. schon gar nicht als Weisung im Sinne von § 56c StGB zu werten
sind Anordnungen, die ausschließlich der Erleichterung der Überwachung des Verurteilten durch das Gericht dienen, wie bspw. die in der Praxis häufige „Weisung“, dem
Gericht während der Bewährungszeit jeden Wohnungs- und Arbeitsplatzwechsel anzuzeigen, da diesen – wie das OLG Köln ausführt – die Zweckbestimmung „Einwirkung auf die künftige Lebensführung des Verurteilten mit dem Ziel einer Resozialisierung – wenigstens mittelbar –“ nicht entnommen werden kann. Eine Nichtbefolgung
dieser weiteren Anordnungen berechtigt daher auch nicht zum Widerruf der Strafaussetzung.“ (Trapp, 2003, 188)
Dazu auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 22.6.2007 ( 2
BvR 1046/07):
„Entgegen der Ansicht des Landgerichts im Beschluss vom 2. Mai 2007 ergebe sich
die negative Prognose auch nicht allein aus dem Verstoß gegen Bewährungsweisungen. Nach § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB müsse unter Würdigung der Verstöße in ihrer
konkreten Bedeutung eine neue Prognose gestellt werden. Hierbei sei der Widerruf
8 Elke Trapp, „Rechtswirklichkeit von Auflagen und Weisungen bei Strafaussetzung zur Bewährung“
TOBIAS-lib, Universitätsbibliothek Tübingen, 2003
5
nicht als Strafe für einen etwaigen Weisungsverstoß oder allgemeine Disziplinlosigkeit anzusehen. Der Weisungsverstoß allein trage einen Bewährungswiderruf gerade
nicht… (RN 10)…
Der Verstoß gegen die Weisung, jeden Wohnungswechsel mitzuteilen und das SichEntziehen der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers lässt nicht ohne weiteres
Rückschlüsse auf eine kriminelle Prognose zu….Gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB
wird die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, wenn der Verurteilte gegen
Weisungen gröblich oder beharrlich verstoßen hat oder sich der Aufsicht und Leitung
des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis
gibt, dass er erneut Straftaten begehen werde. Bereits der Wortlaut des Gesetzes
stellt klar, dass allein der beharrliche und gröbliche Verstoß des Verurteilten gegen
ihm erteilte Weisungen oder das beharrliche Sich-Entziehen der Aufsicht und Leitung
des Bewährungshelfers den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht
rechtfertigen. Der Bewährungswiderruf ist keine Strafe für den Weisungsverstoß.
Maßgeblich ist nach allgemeiner Auffassung vielmehr, ob unter Berücksichtigung der
gesamten Umstände der Verstoß zu der kriminellen Neigung oder Auffälligkeit des
Verurteilten so in einer kausalen Beziehung steht, dass die Gefahr weiterer Straftaten
besteht.“
Der in der Regel rechtlich nicht gebildete Proband wird unbeschadet der Rechtsmittelbelehrung subjektiv davon ausgehen, dass der von einem Richter gefasste Widerrufsbeschluss seine Richtigkeit hat und er nichts mehr dagegen unternehmen kann.
Schon gar nicht wird er als Reaktion in Erwägung ziehen, zu seinem Schutz das
Bundesverfassungsgericht anzurufen. Insofern ist es auch und gerade Sache des
Bewährungshelfers, die Substanz der o.g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ihren Probanden verständlich zu machen und ihnen die Erfolgsmöglichkeiten
eines Rechtsmittels und ggfs. einer Verfassungsbeschwerde aufzuzeigen.
Es ist aber auch ihre Sache und die ihrer Berufsverbände, den Dienstherrn aufzuzeigen, dass es bei der dargelegten Rechtslage nicht deren Sache ist, in Qualitätshandbüchern oder Dienstanweisungen generalisierend vorzuschreiben, wie oft ein
Proband einzubestellen ist. In der genannten Entscheidung weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg
Gelegenheit zur Äußerung hatte; es hat von einer Stellungnahme abgesehen.(s.
RN12).
Das hat die ADB e.V. bislang auch so gehalten. Wenn sie darin fortfährt, handelt sie
unredlich.
Der eigene Beritt
Nach diesem ethischen Exkurs zurück zur Informationssuche Interessierter und der
Frage, welche Hilfe die hier betrachteten Reden des Vorsitzenden der ADB e.V. einem Studierenden der Sozialarbeit oder anderweitigem Interessenten bieten, der
sich über die Arbeit von Bewährungshelfern informieren will. Da ist die Frage, was
denn eigentlich ein guter Bewährungshelfer ist, eine gute Möglichkeit, sich ein Bild
6
über die Tätigkeit in diesem Arbeitsfeld der Sozialarbeit zu machen. So hat es auch
Prof. Dr. Dölling gesehen und sich mit eben dieser Frage an den Vorsitzenden Gebert gewandt. Am Ende wird er zu demselben Schluss gekommen sein, wie Lehrer
Kuhle im Gedicht von Tucholsky: Sie wissen et nich. Sie wissen et nich .9
Denn erhält zur Antwort – besser: als Antwort – dass die ADB e.V. eine Antwort auf
diese Frage auch nach 60 Jahren immer noch suche, und dass seine – Geberts –
Beantwortung nicht die Auffassung der ADB e.V. oder des Bundesvorstands sei,
sondern diese Antwort im Auftrag des Vorstands erfolge, …damit sich die ADB e.V. ,
wenn sie denn schon gefragt werde, an der Diskussion zur Evaluation beteiligen
kann.“ Dass sagt der Vorsitzende eines Berufsverbands, der nun 60 Jahre existiert.
Da bleibt auch offen, welche Standards von der ABD entwickelt worden sind, wie in
der Rede auf dem Bewährungshelfertag und in der zur Delegiertenversammlung
festgestellt. Dort heisst es : …“Die Bewährungshilfe verfügt im Gegensatz zu anderen Bereichen der Justiz über eigenständig entwickelte Standards.“ Und in These 8
wird verkündet: „Die Bewährungshilfe verfügt bereits über Standards, welche eine
gute Arbeit absichern.“
Prof. Dölling erhält aber zur Antwort, dass es in fast allen Bundesländern inzwischen
Standards geben dürfte, er, Gebert, aber nicht wisse, ob diese gut oder schlecht seien. Sie seien nach seiner Meinung aber jedenfalls dann gut, wenn sie durch die Kollegenschaft ohne administrative Vorgaben erarbeitet wurden. Denn, - so seine These
1 : – …“Der basisdemokratische kollegial erzielte Konsens unter der Kollegenschaft
bei der Entwicklung von Standards, ist Ausdruck einer guten Bewährungshilfe.“ Kurze fasst in seiner umfangreichen Arbeit „Soziale Arbeit und Justiz 10„ von 1999 die
Debatte um die Standards so zusammen, dass die …“Diskussionen allen Anschein
nach sehr mühselig (verliefen), zu unterschiedlich waren bereits die Vorstellungen
über das, was Bewährungshilfe eigentlich verfolgen, aber vor allem, wie sie es konkret erreichen sollte. Als Resultat konnten zwar berufliche Standards verabschiedet
werden, die jedoch nach Meinung einiger Kritiker zu sehr auf ethische oder moralische Appell bauten, bzw. deren Konkretisierungsgrad zu wünschen übrig liess.“11
So hat die Diskussion beispielweise seinerzeit nicht klären können, was inhaltlich in
ein Amtshilfeersuchen gehört, das an den nun durch Umzug des Probanden an einen
anderen Ort zuständig gewordenen Berufskollegen zu richten ist. Erst die obligatorische Nutzung der Fachanwendung SoPart-Justiz12 hat dem ein Ende bereitet, wie
auch vieles andere erst durch die verwendeten Fachanwendungen mit hohem Konkretisierungsgrad standardisiert worden ist. Das bezieht sich aber nur auf gleiche
.9
01.09.1931, Nr. 35, S. 3479 Also wat nu – ja oder ja?, Theobald Tiger, Die Weltbühne,
10 Kurze, Martin (1999). Soziale Arbeit und Strafjustiz. Eine Untersuchung zur Arbeit von Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht. (Kriminologie und Praxis ; Bd. 26). Wiesbaden: KrimZ.
11 a.a.O. S.28
12 http://www.gauss-lvs.de/index.php?option=com_content&view=article&id=57&Itemid=37
7
Arbeitsabläufe, die jeder abarbeiten kann, der in der Lage ist, einen Computer zu bedienen und der lesen und schreiben kann. Eines Sozialarbeiters bedarf es dazu
nicht.
Was also sind die berufsspezifischen Inhalte und Methoden, die die Bewährungshilfe
so erfolgreich, oder eben, so „gut“, gemacht haben? Die klassischen Methoden der
Sozialarbeit sind Einzelfallhilfe, Soziale Gruppenarbeit und die Gemeinwesenarbeit,
bzw. die Kunst der Vernetzung. Das wird an den Fachhochschulen gelehrt und ist
Inhalt der Ausbildung. Auch deren Fortentwicklung, etwa im Bereich der Einzelfallhilfe, die im Lauf der Jahre mehr zu einer multiperspektivischen Methode geworden ist.
Vernetzung, also etwa die Kenntnis dessen, was vor Ort oder generell an Hilfemöglichkeiten für eine spezifische Falllage besteht, erfordert viel Zeit für die Informationsgewinnungt und eben auch zeitaufwändige Kontaktpflege, wie auch die ebenso zeitaufwändige wie notwendige Inaugenscheinnahme von entsprechenden Einrichtungen.
Wer wegen des Arbeitsdrucks nur noch am Schreibtisch sitzen und Probanden einbestellen kann, realisiert letztlich keine Sozialarbeit mehr und öffnet einer Entwicklung Tür und Tor, an deren Ende – wie in England13 – die Bewährungshilfe nicht
mehr von Sozialarbeitern betrieben wird. Dort, in dem Land mit der längsten Tradition
(seit 1907) einer in staatlicher Regie betriebenen Bewährungshilfe, greift man bei der
Rekrutierung neuer Bewährungshelfer schon seit 1997nicht mehr auf die Sozialarbeiter zurück. Es ist auch Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Bewährungshelfer, sich dem entgegenzustellen, um diese Zukunft zu verhindern.
Günter Obstfeld und die DBH
Wer nicht weiss, wo er herkommt, kann auch nicht wissen, wohin er geht. Auch,
wenn Gebert es anders formuliert, ist ihm doch im Ergebnis zuzustimmen. Aber man
muss auch klaren Blickes zurückblicken.
Wie man im Rückblick auf die Gründerjahre das Wirken von Günter Obstfeld nicht
nur vernachlässigen, sondern ihn gar völlig unerwähnt lassen kann, bleibt rätselhaft.
So konnte es nicht gelingen, die Entwicklung des Vereins Bewährungshilfe, bzw. der
DBH zutreffend darzustellen. Die zweigleisige Existenz von DBH und ADB erklärt
sich jedenfalls nicht – wie von Gebert kolportiert - damit, dass der eine Teil für die
inhaltliche Arbeit zuständig war und er andere als Anstellungsträger fungierte und
damit administrative Aufgaben hatte, die dann 1956 durch die Justizbehörde übernommen wurden.
Günter Obstfeld gehörte von Anfang an zu den Protagonisten der Bewährungshilfe,
für die er ständig und umtriebig warb. Zunächst war er 10 Jahre als Bewährungshelfer in Esen und später in Wiesbaden tätig, bis er 1961 hauptamtlicher Geschäftsführer der DBH wurde. Ihm lag insbesondere die qualifizierte Fortbildung der Bewäh13 Mutz, Jürgen: Entwicklung der Bewährungs- und Straffälligenhilfe in Europa. Was geschieht in den verschiedenen Ländern? in: DBH Materialien Nr. 55, 2007.
8
rungshelfer am Herzen. Im Jahr 1963 fand auf seine Initiative das erste Einführungsseminar für Neueingestellte Bewährungshelfer statt. „Diese Seminare gewannen im
Lauf der Zeit eine Bedeutung für die fachliche Entwicklung der Bewährungshilfe, die
nicht unterschätzt werden kann“, stellen Peter Kühnel und Theo Quadt in ihrem
Nachruf auf Günter Obstfeld,…“einem geschätzten Kollegen und Freund“, fest. Der
Aufgeschlossenheit für neue Entwicklungen und seiner Beharrlichkeit war es zu verdanken, dass 1966 das erste gruppendynamische Seminar in Deutschland stattfand,
und sich sehr früh neue Formen in der Fortbildung von Bewährungshelfern entwickelten. Dass man sich in gruppendynamischen Seminaren im Kreis sitzend gegenseitig
vorstellt, gehörte in Bewährungshelferkreisen längst zum Standard, so dass die Unkenntnis dieser Gepflogenheit im Jahr 1991 doch eher verwundert.
Das DBH-Qualifizierungsprogramm
Mit der Wiedervereinigung ergab sich im Bereich der Strafrechtspflege die Notwenigkeit, auf Sozialarbeiter zurückzugreifen, um gesetzliche Aufträge in der Jugendgerichtshilfe, der Gerichtshilfe oder der Bewährungshilfe erfüllen zu können. Der Unterausschuß der Konferenz der Justizminister und –senatoren hielt in der Sitzung vom
25.4.1991 fest…“daß auch in den neuen Ländern Aufgaben der Sozialdienst in der
Strafrechtspflege – Bewährungshilfe, Erwachsenengerichtshilfe, Sozialarbeit im
Rahmen der Führungsaufsicht – grundsätzlich nur von stattlich anerkannten Sozialarbeitern/Sozialpädagogen wahrgenommen werden und daß dies in den zu erlassenden Vorschriften verankert wird. Es besteht Übereinstimmung, daß für die genannten Aufgaben – solange, bis staatlich anerkannte Sozialarbeiter/Sozialpädagogen aus diesen Ländern zur Verfügung stehen – auch überprüfte Fachkräfte aus
den neuen Ländern ohne diese staatliche Anerkennung eingestellt werden müssen
und daß dabei ein je nach fachlicher Vorqualifikation unterschiedliche grundlegende
berufsbegleitende Fortbildung dringend erforderlich ist. Diese Fortbildung soll jeweils
einheitlich und nach Möglichkeit länderübergreifend unter der Trägerschaft der Deutschen Bewährungshilfe e.V. durchgeführt werden.“14
Man wird sich vorstellen können, welche Überlegungen und Gespräche dem vorangegangen sein müssen und es ist ein großes historisches Verdienst der DBH, von
Prof. Kerner und seinem Vorstand, der Mitarbeiter der DBH, insbesondere aber der
Kollegen Theo Rensmann und Willi Thörner, dass diese Aufgabe erfolgreich durchgeführt und abgeschlossen wurde. Von der ADB e.V., die nach Gebert für das Inhaltliche zuständig war, hatte man in diesem Zusammenhang nichts Zielführendes wahrnehmen können. Aus eigenem Erleben als Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der ADB sind mir diese Mängel an verbandlicher Unterstützung durchaus
schuldhaft bewusst, aber zum einen ist uns die Bedeutung der Notwendigkeit nicht
bewusst geworden, zum anderen gaben die eigenen Strukturen für zeitaufwändige
Planungen oder einen größeren personalen Einsatz nichts her. Der Eindruck von
größerer Dynamik der ADB in diesem Zusammenhang drängt sich in der persönlichen Nachschau jedenfalls nicht auf.
14 Behwi Jahrgang 42; Nr: 3 1995, S. 262.
9
Parallel dazu stellten westliche Bundesländer erfahrene Kollegen mit ihrer Zustimmung zur Aufbauarbeit in die neuen Bundesländer ab. Nicht alle werden sich dafür
ohne Hoffnung auf positive Auswirkung in Bezug auf die eigene Karriere gemeldet
haben, und nicht jeder wird jederzeit Beratung von Belehrung zu unterscheiden gewusst haben. Das jedenfalls wäre nicht der DBH anzulasten und kaum als Begründung heranzuziehen, dass – wie Gebert konstatiert – die Ostdeutschen mit der DBH
fertig waren.
Was dann aber im Redetext folgt, muss sich den Vorwurf der Geschichtsklitterung
gefallen lassen. Die Perpetuierung historischer Irrtümer wird man nicht als Aufarbeitung der Geschichte zweier Vereine durchgehen lassen können.
Vorsitz und Wissen
Als das Clostermannhaus in Bad Godesberg, das über viele Jahre Sitz der DBHGeschäftsstelle war und in dem Seminare durchgeführt und die Teilnehmer (beköstigt von Frau Obstfeld) untergebracht werden konnten, verkauft wurde, ergab sich der
Eindruck, die DBH würde leichtfertig das Stammhaus veräußern, mit dem viele Bewährungshelfer Erinnerungen verbinden. Darüber hat sich in besonderer Weise Karl
Rohr echauffiert, der seinerzeit den ADB-Vorsitz innehatte. Tatsächlich war das Haus
aber nie im Eigentum der DBH, wovon die Mehrheit der Bewährungshelfer ausging,
sondern gehörte dem Bundeszusammenschluss für Straffälligenhilfe (BZ), der mit der
Abnahme des Spendenaufkommens das Haus veräußern musste. Darüber hat Prof.
Kerner die Mitglieder des geschäftsführenden Vorstands der ADB informiert, was
Karl Rohr nicht davon abhielt, sich weiter ablehnend über die DBH zu äußern.
Dies aber wohl kaum auf einer Delegiertenversammlung Anfang der 90er Jahre mit
800 Teilnehmern, wie Gebert mitteilt, dem die Strukturen des eigenen Verbandes
offensichtlich nicht geläufig sind. Vermutlich gemeint ist die Delegiertenversammlung
der ADB, die sich aus den von den Landesarbeitsgemeinschaften entsandten Delegierten zusammensetzte. Das werden von 11 Bundesländern kaum 800, sondern
bestenfalls 80 Mitglieder gewesen sein.
Sofern er die Bundestagung in Saarbrücken meint, mag es dort zu einer Teilnehmerzahl von 800 gekommen sein, nicht aber zu Reden eines ADB-Vorsitzenden vor diesem Gremium. Es gab Gruß- und Eröffnungsworte und dann zog man sich, wie es
über die Jahre Gepflogenheit war, in die Arbeitsgruppen zurück, deren Ergebnisse
dann am Ende wieder im Plenum vorgetragen wurden. Die Schlußrede war dem Vorsitzenden, bzw. Präsidenten der DBH vorbehalten, dessen kleiner Mitarbeiterstab im
Engagement für und bei Bundestagungen jedes Mal über sich hinauswuchs. Eine 3tägige Veranstaltung mit 800 Teilnehmern und internationaler Beteiligung auf die
Beine zu stellen, ist nicht schlecht für einen elitären Klub, der sich nur noch mit sich
selbst und seiner Außendarstellung beschäftigt, wie Gebert in der Rede am
14.6.2013 zum 60-jährigen Bestehen der ADB im Blick zurück konstatiert.
Was hier eher despektierlich gemeint ist, gerät so eher zum Lob. Bezeichnet man mit
Elite doch üblicherweise eine Gruppierung überdurchschnittlich qualifizierter Perso10
nen, oder auch einflussreiche Kreise, die sich von der Masse, oder dem Durchschnitt
abheben. Der DBH stand viel Jahre in der Funktion des Vorsitzenden, später der des
Präsidenten, einer der weltweit angesehensten Kriminologen vor, und dessen Vorstand, Geschäftsführer und hauptamtlichen Mitarbeiter bilden den wahrnehmbaren
Teil der DBH, in deren Mitgliederversammlung demokratisch durch Beschluss über
die Angelegenheiten des Vereins entschieden wird. Da werden auch der Vorsitzende
und der Vorstand gewählt, und wenn die sich die Bezeichnung Elite verdient haben,
können die Mitglieder des Vereins Deutsche Bewährungshilfe sicher sein, aus ihrem
Kreis tatsächlich die Besten gewählt zu haben. Erstklassige Vereine haben auch
erstklassige Vorsitzende, sagt eine soziologische Erkenntnis. Nach unten nimmt das
im Übrigen durchaus nicht linear ab, denn zweitklassige Vereinigungen haben schon
drittklassige Vorsitzende.
Legenden zum Organisationsgrad
Sofern Gebert in seiner Rede vom 14.6.2013 neidvoll auf die Jahre zurückblick, in
denen es für 100 Prozent der Bewährungshelfer selbstverständlich war, sowohl Mitglied in der ADB wie auch in der DBH zu sein, unterliegt er einem Irrtum, der vermeidbar gewesen wäre, hätte er umfassender in den eigenen Quellen recherchiert.
Immerhin ist zutreffend, dass es viele Jahre lang in 100 Prozent der Bundesländer
eine Landesarbeitsgemeinschaft der Bewährungshelfer gegeben hat. Aktuell ist das
in 6 Bundesländern, also 37,5 % der Bundesländer nicht der Fall. Die ADB vermerkt
in diesen Fällen auf ihrer Internetseite, dass sich die ADB vorbehalte, bis auf weiteres die Interessen der Profession von der Bundesebene aus zu vertreten. Das ist
ebenso irritierend, wie es basisdemokratischen Prinzipien eher zuwiderläuft.
Die ADB war vorrangig mit der Absicht gegründet worden, den lokal verstreuten Kollegen, die sich ein neues Arbeitsfeld erarbeiteten, den fachlichen Austausch zu ermöglichen. Da verwundert es dann doch, dass ausgerechnet in Baden-Württemberg,
in dem mit der Übertragung der Bewährungshilfe an einen privaten Träger die umfassensde Veränderung der letzten Jahrzehnte realisiert worden ist und damit erheblicher Austauschbedarf angenommen werden kann, keine Arbeitsgemeinschaft der
ADB mehr besteht.
Die Untersuchung der ADB aus dem Jahr 1983 zur „Bestandsaufnahme der Strukturen und Organisationsformen der Bewährungshilfe in der Bundesrepublik Deutschland“15 ergab in Baden-Württemberg einen Organisationsgrad von 77,5%. In NRW
85%, so dass offensichtlich schon längst nicht mehr selbstverständlich war, einer
LAG anzugehören. Die in 10 Bundesländern erhobenen Daten führen zu einem
durchschnittlichen Organisationsgrad von 93,7 %.
15 Rolf Hilje, Friedbert Steinhauser, Bestandsaufnahme der Strukturen und Organisationsformen der
Bewährungshilfe in der Bundesrepublik Deutschland, Beihefte zum Rundbrief Soziale Arbeit und
Strafrecht, Beiheft Nr. 4, Deutsche Bewährungshilfe e.V., 1985
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Das hätte ja immer noch als machtvolles Argument geführt werden können und Außenstehende mussten den Eindruck gewinnen, dass die ADB für die Mehrheit der
Bewährungshelfer sprach16. Nun war dem nicht so, da der einzelnen Bewährungshelfer bei der damaligen Struktur nicht unmittelbar Mitglied der ADB werden konnte. Der
ADB gehörte er nur Kraft Mitgliedschaft in seiner Landesarbeitsgemeinschaft an. Und
da ist nun zu relativieren, dass in Berlin, Hamburg, Baden-Württemberg, Niedersachsen und dem Saarland jeder Bewährungshelfer Mitglied war, der dem nicht ausdrücklich widersprochen hatte. Verständlich, dass auf die Erhebung von Mitgliedsbeiträgen
verzichtet wurde, sie hätte sich im erheblichen Maße als Korrektur auswirken können. Andererseits betrug der Organisationsgrad zum Zweitpunkt der Erhebung 1983
in NRW 85 %, und dort wurde ein Mitgliedsbeitrag erhoben.
Nicht in dem Maße selbstverständlich, wie Gebert anführt, war für Bewährungshelfer
auch die Mitgliedschaft in der DBH, die sich als Verein über die Beiträge ihrer Mitglieder finanzieren musste. Wären alle Bewährungshelfer Mitglied gewesen, hätte
dies aber die angespannte Finanzlage nicht verbessert, sondern vermutlich eher in
größerem Maße verschlechtert, denn sie nahmen mehr Kosten in Anspruch als ihre
Beiträge der DBH einbrachten. Neben den Bewährungshelfern, die als Einzelpersonen Mitglied der DBH waren, gab es die Mitgliedschaft vieler in begrenzten lokalem
Raum tätigen Vereine, die sich in unterschiedlicher Weise der Straffälligenhilfe verpflichtet sahen und der DBH als sog. kooperative Mitglieder angehörten. Die Satzung
sah proporzwahrend vor, dass in jedem Fall ein Vertreter der kooperativen Mitglieder
und ein Vertreter aus der Gruppe der Bewährungshelfer im Vorstand vertreten sein
sollte.
In finanzieller Hinsicht war der Proporz aber nicht gewahrt. Die Bewährungshelfer,
die Mitglied der DBH waren, erhielten auch 4 Mal im Jahr das aktuell erscheinende
Exemplar der Zeitschrift Bewährungshilfe, die als Broschüre gestartet längst eine
angesehene Fachzeitschrift ist. Zudem wurde an alle Bewährungshelfer im Bundesgebiet kostenlos der „Rundbrief Soziale Arbeit und Strafrecht“ verteilt, der kostenträchtig auf der DBH-eigenen Druckmaschine produziert wurde und einen Umfang
von rd. 30 Seiten hatte.
Verflechtung von DBH und ADB
Die ADB war als eine von anderen Fachgruppen in die DBH implementiert worden,
die über Jahre die Kosten für deren Gremiensitzungen übernahm, so auch die Kosten für Zusammenkünfte des Gesamtvorstandes der ADB, der aus den Sprechern
der 11 LAG´s und den 6 Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstands zusammensetzte. Die nicht unerheblichen Kosten waren eine von vielen Positionen im Kassen16 So seinerzeit auch der Vorsitzende des Justizausschusses in NRW, der davon ausging, hinter dem Landesvorsitzenden der LAG NRW, Larisch, stehe eine Organisation wie die ÖTV oder die IG Metall. Aber auch, als ihm
klar wurde, der lediglich 220 Mitglieder vertrat, hat ihn das nicht davon abgehalten, für die Belange der Bewährungshilfe weiterhin ein offenes Ohr zu haben. Siehe: Außensicht der Innensicht – Bewährungshilfe in der
Erinnerung ehemaliger Bewährungshelfer“, DBH-Materialien Nr.67, S.111
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bericht der DBH, die aber lange Zeit nicht debattiert wurde, obwohl die Kassenlage
nahezu traditionell angespannt war.
Erst als durch nachlassendes Spendenaufkommen und durch nicht vorhersehbare
Ereignisse, wie etwa das, im Zuge des Verkaufs des Clostermann-Hauses durch den
BZ eine neue Geschäftsstelle anmieten und den Umzug finanzieren zu müssen, fand
diese Position im Kassenbericht bei den DBH-Mitgliedern nähere Beachtung. Mancher mag sich auch an der als fordernd und vorhaltend empfunden Diktion aus ADBKreisen gerieben haben. Es wurde die in der Sache nachvollziehbare Frage aufgeworfen, warum die DBH als Verein, die Aktivitäten einer Gruppierung finanziert, deren Mitglieder nicht Vereinsmitglieder der DBH sind, gleichwohl aber von der DBH die
Abarbeitung eigener Beschlüsse einforderte, und die sich öffentlich gegen die Beschlüsse der DBH aussprach. In der Folge wurden die Zuwendungen an die ADB
eingeschränkt.
Ohne diese Korrektur wären dann auch noch die Kosten übernommen worden, die
durch die Erweiterung um fünf weitere Bundesländer und den Kosten der von dort
entsandten Gremienvertretern in der ADB entstanden wären, ohne dass dies zu einem gleichgroßen Anwachsen der Mitgliedschaft in der DBH geführt hätte.
Letzteres dadurch begründet, dass die Mitgliederversammlung der DBH – durchaus
aus finanziellen Zwängen geleitet - in Münster beschlossen hatte, die DBH als
Dachverband anderer Vereine umzustrukturieren und eine Einzelmitgliedschaft nicht
mehr zu ermöglichen. Damit war dem einzelnen Bewährungshelfer die Mitgliedschaft
als Einzelperson verwehrt, die Mitgliedschaft der ADB als Verein aber möglich.
Bei den Bewährungshelfern führte der Verlust der Einzelmitgliedschaft, die als Kränkung erlebt wurde zu Unmut. In der Folge gründete sich der Verein „Vereinigung der
Freunde und Förderer des DBH-Fachverbandes e. V.“. Erklärtes Ziel des Vorstandes
des VFF war es, dass wieder eine persönliche Mitgliedschaft im DBH-Fachverband
möglich ist.
„Am 7.10.07 fand eine gemeinsame Sitzung von DBH Präsidium und VFF Vorstand
in Würzburg statt, deren Anliegen es war, Voraussetzungen zu schaffen wieder eine
Einzelmitgliedschaft im DBH zu ermöglichen. Für die notwendige Satzungsänderung
hatte der VFF Vorstand einen Entwurf vorbereitet. Auf der nächsten DBH-Bundesversammlung soll den kooperativen Mitgliedern ein Antrag mit dieser Zielsetzung zur
Abstimmung vorgelegt werden. Herr Prof. Dr. Kerner hat in seiner Eigenschaft als
Präsident des DBH noch einmal die historische Situation, die seinerzeit zur Umstrukturierung des DBH geführt hat skizziert. Er führte aus warum die daran geknüpften
Erwartungen nicht realisiert werden konnten. Der Verlust der persönlichen Mitglieder
wurde vom DBH bald als Mangel erlebt und deshalb wurde 1999 der VFF gegründet.
Mit viel Verständnis und Empathie ist Herr Kerner auch auf die Kränkungen vieler
älterer Kollegen eingegangen, die mit dem Ausschluss der Einzelmitgliedschaft einhergegangen sind. Es war bei der gemeinsamen Sitzung Konsens, dass schnellstmöglich wieder persönliche Mitglieder in den DBH aufgenommen werden sollen. Es
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wurde auch überlegt, wie die künftigen Einzelmitglieder den DBH Fachverband bei
dessen satzungsgemäßen Aufgaben am besten aktiv unterstützen können. Die dazu
notwendigen formalen Schritte wurden diskutiert. Geeignet könnte z.B. eine eigenständige Fachgruppe oder Sektion im DBH sein. Auch das Stimmrecht der Einzelmitglieder im Verhältnis zu dem der kooperierenden Mitgliedern und die künftige Beitragshöhe waren Themen.“ 17 Ein Jahr später, zum 31.12.2008 löste sich der Verein
auf und forderte seine (ehemaligen) Mitglieder auf, dem DBH-Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik beizutreten. Das erklärte Ziel des VFF sei
durch die Beschlüsse in der DBH-Bundesversammlung am 26.06.2008 in Frankfurt
umgesetzt worden.18
Es lag wieder in der Hand der Bewährungshelfer, die DBH durch eine Einzelmitgliedschaft zu unterstützen.
Die Einzelmitgliedschaft in der ADB war in diesem Maße nicht möglich. Bevor die
ADB Verein wurde, war sie gänzlich unmöglich. Die Mitgliedschaft in der ADB ergab
sich aus der Mitgliedschaft in der LAG, die in ihrem Zusammenschluss dann die ADB
bildeten. Die aktuelle Satzung der ABD e.V. in der Fassung vom 14.6.2013 19 sieht in
§ 5 die Einzelmitgliedschaft von hauptamtlichen Bewährungshelfern und Mitarbeitern
der Ambulanten Sozialen Dienste der Justiz in der Bundesrepublik zwar vor, dies
aber doch eher als Ausnahme, wenn – wie in § 5,5 erläutert – im eigenen Bundesland keine Landesarbeitsgemeinschaft besteht. Sobald sich aber im eigenen Bundesland eine Landesarbeitsgemeinschaft gründet und diese der ADB e.V. beitritt, erlischt
die Einzelmitgliedschaft und der Betreffende wäre nun genötigt, seinerseits dieser
LAG beizutreten, um überhaupt in die ADB eingebunden zu sein.
Zu größerer Einflussmöglichkeit führt diese Einzelmitgliedschaft bei Nichtexistenz
einer LAG indes nicht, da Einzelmitglieder nur ohne Stimmrecht an der Bundesdelegiertenversammlung teilnehmen können, der als höchstes Organ …“Beratung und
Beschlußfassung über alle Vereinsangelegenheiten…obliegen. Basisdemokratie
sieht anders aus und im Vergleich dazu schneidet die DBH mit den Möglichkeiten,
die sie ihren Einzelmitgliedern bietet, in dieser Hinsicht deutlich besser ab.
Ausblick auf Inhalte
Ein Blick zurück kann nicht schaden, um zu wissen, woher man kommt und wohin
man will.
Der etwas unklare Rückblick auf die historische Entwicklung und Kooperation von
ADB und DBH lässt kaum klare Aussichten auf inhaltliche Schwerpunkte der nächsten Jahre erwarten. Die Themensetzung des 4. Bewährungshelfertages im Jahr 2013
„Spannungsfeld Bewährungshilfe – Sicherheits-(Angst-)management und/oder Resozialisierung?!“ macht es dem Leser schon semantisch nicht leicht, zu verstehen, wo-
17 Quelle: VFF-Infobrief 1/08 Jahresüberblick 2007
18 Vgl. http://www.dbh-online.de/vff/
19 http://www.bewaehrungshilfe.de/wp-content/uploads/2013/06/Satzung-der-ADB-e.-V..pdf
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rum und wohin es denn nun geht. Die gleichzeitige Verwendung von Frage- und Ausrufezeichen macht nicht deutlich, ob es sich vorrangig um eine Frage, oder um eine
Feststellung handelt.
Das wäre eine schöne Aufgabe für einen Doktoranden, der sich forschend um die
Entwicklung der Bewährungshilfe bemüht, nämlich: herauszufinden, wie oft Aufsätze
und Tagungen der Bewährungshilfe in den letzten Jahren betitelt sind, mit „Bewährungshilfe im Spannungsfeld zwischen…Die Dissertation des Kollegen Dr. Sommer
aus dem Jahr 1986 war folgerichtig betitelt mit „Bewährungshilfe zwischen Beratung
und Zwang“20 und die des Kollegen Dr. Kipp aus dem Jahr 1994 mit „Akteursorientierte Analysen zur Spannung zwischen gesetzlichem Auftrag, organisatorischem
Standort und fachlichem Anspruch“.21
Tucholsky beschrieb den schlimmsten seiner Albträume mit der Vorstellung, er müsse seine Abiturarbeit in Deutsch noch einmal schreiben und deren Thema laute „Gothe als solcher“. Tatsächlich ist ihm das erspart geblieben. Aber er hätte wohl seine
grausige Freude an dem Thema der Bundesdelegiertenversammlung der ADB im
Jahr 2010 gehabt: Bewährungshilfe im Spannungsfeld zwischen gestern und morgen.
Die ADB kann ihren Tagungsthemen und Ankündigungen das Albtraumhafte nehmen, wenn sie sich endlich um Antwort bemüht, und nicht immer wieder nur die gleiche Frage in neuer Form aufwirft. Ja, die Bewährungshilfe findet in einem Spannungsfeld statt. So what? Das ist in vielen anderen Arbeitsfeldern in der Sozialarbeit
auch so. Im Bezirkssozialdienst eines Jugendamtes, der im Übrigen früher einmal
Allgemeiner Sozialer Dienst hieß, tut sich öfter die Frage nach der Herausnahme eines Kinds aus seiner Familie auf, und natürlich wissen die Kollegen Sozialarbeiter
um die Folgen, die eine Fremdunterbringung nach sich ziehen kann. Gleichwohl
muss dafür oder dagegen entschieden werden und es gehört zu den Gepflogenheiten in gut geführten Jugendämtern, sich die Situation vor Ort zu zweit anzusehen und
auch die Begründung der eigenen Entscheidung mit einem weiteren Kollegen abzusprechen. Möglicherweise entscheiden Bewährungshelfer zu Vieles allein.
Wer sich für diesen Beruf bewirbt, soll sich darüber im Klaren sein, dass seine Berichte und Mitteilungen an das Gericht seinen Probanden auch schaden kann, er
gleichwohl durch das Gesetz zur objektiven Berichterstattung verpflichtet ist. Wer
sich damit schwertut, mag in einem anderen Arbeitsfeld der Sozialarbeit tätig werden.
Wer Hitze nicht verträgt, sollte eben kein Koch werden.
Zudem besteht der begründete und durch die Reaktion von hunderten von Probanden belegte Eindruck, dass die sich dieser Tatsache, dass ihr Bewährungshelfer die
Dinge dem Gericht gegenüber so darstellen muss, wie sie sind, und das in dem Fall,
20 Manfred Sommer, Bewährungshilfe zwischen Beratung und Zwang, Schriftenreihe der Deutschen Bewährungshilfe e.V., Neue Folge, Band 7
21 Inaurugaldissertation zur Erlangung des Grads eines Doktors der Philosophie im Faxch Soziologie an der
Universität - Gesamthochschule – Esssen, vorgelegt 1994
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wo sie „Mist gebaut haben“ zum Widerruf und Freiheitsentzug führen kann, ebenso
undramatisch wie untraumatisch bewusst sind. Basiert unser aller Erziehung nicht
auf einem Wechselspiel zwischen Beratung und Kontrolle, und hat dies das Vertrauensverhältnis zu den Eltern unmöglich gemacht?
Ja, in den Fällen, in denen die Kontrolle hinterrücks und ohne, oder -schlimmer
noch- entgegen der Ankündigung erfolgte, wird das so gewesen sein. Wer im Erstgespräch seine Probanden über seine Rolle und seine Handlungen aufklärt, lässt
wenig an Spannung aufkommen.
Die immer drängendere Frage ist die, ob „..wir erkennbar als Profession von Sozialarbeitern bleiben wollen oder ob wir uns zu Verwaltungsangestellten mutieren lassen
wollen.“ In dem Punkt stimme ich inhaltlich Gebert in vollem Umfang zu. Das ist in
der Tat zu klären, sonst wird, wie es in England und USA schon längst der Fall ist,
die Bewährungshilfe zukünftig auch hier ohne Sozialarbeiter stattfinden. Die Bewährungshilfe in der Bundesrepublik hat sich längst bewährt und die Bewährungshelfer
sind bei den Strafrichtern angesehen. Die Vermutung Geberts, dass…“ unsere Methoden nicht die schlechtesten gewesen (sind)“ ist aber wenig geeignet, die Mutation
zu verhindern, deren Betreiber nicht die Richter, sondern die Anstellungsträger sind.
Notwendig ist die Darstellung und Kommunikation der berufsspezifischen Methoden,
die die Bewährungshilfe so erfolgreich, oder eben, so „gut“, gemacht haben. Natürlich ist das vorrangig die Einzelfallhilfe in all ihren Facetten. Sie besteht aus der
Anamnese, der Aufnahme der Daten zur Vorgeschichte und der Benennung des
Grundproblems, aus den Festlegungen, wie es gelöst werden soll, und der ständigen
Evaluation, ob der richtige Lösungsweg gefunden worden ist, aber auch, ob das
Grundproblem richtig erkannt worden ist.
Jeder Kollege beschreibt in seiner Stellungnahme im Zweitverfahren vor Gericht diesen Prozess und leitet daraus seine Prognose im Hinblick auf weitere Straffälligkeit
ab. Prognostik gehört ständig zum Geschäft eines Bewährungshelfers, dessen Handlung immer von dem Grad des Rückfallrisikos bestimmt wird, das er seinem Probanden zuschreibt. Das ist nichts neues, sondern der alte Hut präsentiert sich aktuell
unter dem Namen Risikomanagement. Leider ist auch alt, dass die Standarddebatte
dies massiv vernachlässigt hat, und die Lage von allzu sehr individuellen Varianten
geprägt wird.
Die ADB hatte vor einiger Zeit auf ihrer Internetseite auf MIVEA(Methode der idealtypisch vergleichenden Einzelfallanalyse) hingewiesen, die Prof. Bock entwickelt hat. 22
MIVEA ist eine Methode zur kriminologischen Einzelfalldiagnostik, die keinesfalls
Kriminologen oder Gutachtern vorbehalten ist, sondern allen Praktikern in der Strafrechtspflege eine wissenschaftlich abgesicherte und in der Praxis erprobte Möglichkeit an die Hand gibt, die kriminologisch relevanten Stärken und Schwächen eines
Menschen sowie darauf abgestimmte Maßnahmen zu erkennen und zu beschreiben.
22 http://de.wikipedia.org/wiki/MIVEA
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Die ADB hat es bei dem bloßen Hinweis auf die Existenz dieser Methode belassen.
Warum kann sie sich nicht durchringen, MIVEA als Standard der Arbeit von Bewährungshelfern zu propagieren und zu implementieren? Das würde die interne Kommunikation ebenso erleichtern, wie die äußere, nämlich die Begründung der eigenen
Prognostik vor Gericht. Die würde dann Gutachtenqualität haben und nicht nur Richter werden diese Zunahme an Qualität erkennen.
Dem Autor ist zufallsbedingt bekannt geworden, dass einige Kollegen in Oberhausen
sich entschlossen haben, sich die Methode MIVEA anzueignen, um nach ihr zu arbeiten. Vermutlich wird man gesichert prognostizieren können, dass über ihre Erfahrungen mit dieser Methode in der Alltagsarbeit nichts bekannt wird, weil darüber zu
kommunizieren in der Bewährungshilfe so wenig Tradition hat wie in deren Berufsverbänden. Entsprechend wenig können deren Vorsitzende über Bewährungshilfe
berichten und sollten sich dieses Dilemmas bewusst sein. Lawrence Kohlberg beschreibt in seinem Werk „Die Psychologie der Moralentwicklung“23 die Bearbeitung
eines Dilemmas als Notwendigkeit einer weiteren moralischen Entwicklung.
Fazit
Wer auszieht, über die Dörfer zu reiten, sollte seinen Beritt kennen. Besser noch: Er
weiß, was ein Pferd ist.
Kurze, dessen Untersuchung zur Arbeit der Bewährungshilfe die letzte große dieser
Art war, kommt 1999 zu der Feststellung:“…Es wäre wohl an der Zeit, sich selbst als
Experten für das eigene Berufsfeld zu begreifen, Kompetenz zu zeigen und eigene
Konzepte zu entwickeln, die Fronten aufzuweichen, vermeintliche Tabuthemen anzugehen und endlich die Optionen wahrzunehmen, die den Sozialen Diensten seit
langem offenstehen.“ 24
Fünfzehn Jahre und zwei Reden später drängt sich eher der Eindruck auf, dass diese
Chance endgültig vertan sein könnte.
Paul Reiners
Dipl. Sozialarbeiter
Kriminologe und Polizeiwissenschaftler M.A.
war vor dem Eintritt in den Ruhestand 34 Jahre als hauptamtlicher Bewährungshelfer tätig ist aktuell
freier Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie und Polizeiwissenschaft der Ruhruniversität Bochum
23 Lawrence Kohlberg: Die Psychologie der Moralentwicklung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-51828832-6.
24 Kurze a.a.O. S.31
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