Broschüre zur Studie. - Universität der Bundeswehr München

Transcrição

Broschüre zur Studie. - Universität der Bundeswehr München
Sozialpolitik
Vorstand
Praxismodelle für mehr
Versichertennähe in
gesetzlichen Krankenkassen
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Eine Studie im Auftrag der IG Metall
Herausgeber
Industriegewerkschaft Metall, Vorstand, Funktionsbereich Sozialpolitik
Wilhelm-Leuschner-Straße 79, 60329 Frankfurt am Main
Verantwortlich
Christoph Ehlscheid
Autorinnen und Autoren
Andreas Hartje, Dr. Nora Knötig und Prof. Dr. Thomas Wüstrich, Universität der Bundeswehr München
Redaktionelle Mitarbeit
Angelika Beier
Gestaltung
Lingovision Hamburg/Gelsenkirchen
Bildnachweis
Werner Bachmeier (Titel), Agnes Stoffels
Druck
Druckhaus Dresden GmbH
Auflage
Zweite, überarbeitete Auflage, Februar 2013
Copyright
© 2012 by IG Metall, Frankfurt am Main
2
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Inhalt
Vorwort...................................................................................................................................... 3
1
Legitimation durch gute Versorgung, Versichertennähe und Transparenz...................................... 4
2
Theorie und Systematik der Modelle zur Herstellung von Versichertennähe in der GKV.................. 6
2.1Versichertenälteste/Versichertenberater............................................................................................................ 6
2.2Regionalbeiräte/Regionalausschüsse/Bezirksräte...............................................................................................7
2.3 Aufbauorganisatorische Einordnung der Praxismodelle....................................................................................... 8
2.4Versichertenberater und Regionalbeiräte aus der Perspektive der betroffenen Systemakteure...............................9
2.5 Chancen und Risiken von Praxismodellen: Pluralismus versus Korporatismus..................................................... 14
3
Empirie der Modellvarianten......................................................................................................17
3.1Stichprobe....................................................................................................................................................... 17
3.2 Ausprägungen der Modellvarianten und Beispiele............................................................................................. 17
4Erfolgsfaktoren......................................................................................................................... 22
5Zusammenfassung................................................................................................................... 27
6Anhang.................................................................................................................................... 29
6.1Literatur...........................................................................................................................................................29
6.2Abkürzungsverzeichnis.....................................................................................................................................29
Materialien...............................................................................................................................31
1
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
2
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Vorwort
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
nige Kassen nutzen bisher diese Möglichkeit einer engeren
Eine wichtige Aufgabe der Selbstverwaltung in den ge-
Bindung zu den Mitgliedern vor Ort bzw. in den Betrieben.
setzlichen Krankenkassen ist es, im Interesse der Versi-
Doch welches Modell ist empfehlenswert? Welche Erfahrun-
cherten den Auf- und Ausbau einer bedarfsgerechten und
gen können im Sinne einer guten Praxis wegweisend sein?
qualitativ hochwertigen Versorgung voranzutreiben. Diese
Aufgabe kann die Selbstverwaltung nur erfüllen, wenn sie
Um dies heraus zu finden, hat die IG Metall Wissen-
auch weiß, wie der tatsächliche Versorgungsbedarf ist und
schaftler der Universität der Bundeswehr München
was die Versicherten und Patienten unter einer solchen
beauftragt, einige der bisherigen Praxismodelle zu
Versorgung verstehen. Gar keine leichte Aufgabe, zumal
untersuchen. Die Ergebnisse der Studie wurden auf
durch die vielen Fusionen der letzten Jahre die Kassen grö-
der Selbstverwaltertagung im November 2012 vorge-
ßer werden und immer mehr Kassen bundesweit agieren.
stellt. Das Team Hartje/Knötig/Wüstrich plädiert für ein
Unter diesen Bedingungen ist es für die Selbstverwalter-
3-Ebenen-Modell: Zusätzlich zum Verwaltungsrat sollte
innen und Selbstverwalter schwierig, den Kontakt zu den
nicht nur ein flächendeckendes Netz von örtlichen Ver-
Versicherten aufrecht zu erhalten und das Versorgungs-
sichertenberatern aufgebaut werden, zudem sollte die
geschehen im Blick zu behalten. Ob Krankenhausbedarfs-
Selbstverwaltung im Hinblick auf das regionale Versor-
planung, die Verbesserung der Bedingungen im Bereich
gungsgeschehen über Regionalbeiräte verankert sein.
der häusliche Pflege oder die ausreichende Versorgung
durch niedergelassene Ärzte: Ohne Berücksichtigung
Die Empfehlungen der Wissenschaftlerinnen und Wissen-
der regionalen und örtlichen Besonderheiten ist eine be-
schaftler können in den kommenden Jahren eine Hilfestel-
darfsgerechte Versorgung nur schwer zu gewährleisten.
lung für all die Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter
sein, die vorhandene Strukturen ausbauen oder neue
Um nah an der Versorgungsrealität und nah an den Versi-
aufbauen wollen, um mehr Versichertennähe und eine
cherten zu sein, braucht die Selbstverwaltung eine regiona-
bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen.
le und örtliche Verankerung und Arbeitsstrukturen, die die
Kommunikation mit Versicherten und Patienten fördern. Ein
Beitrag hierzu könnte der Aufbau von Versichertenberatern
bzw. Vertrauenspersonen in der GKV analog den Versichertenältesten der gesetzlichen Rentenversicherung sein. Das
Hans-Jürgen Urban
SGB IV (§ 39) lässt deren Einführung zwar zu, aber nur we-
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied
3
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
1
Legitimation durch gute Versorgung, Versichertennähe und Transparenz
Die Frage nach der Legitimation sozialer Selbstverwaltung
nicht möglich ist, kommt in diesem Zusammenhang den
wird aus gewerkschaftlicher Perspektive häufig kontrovers
Selbstverwaltern eine besondere Verantwortung zu. Ihre
und engagiert unter den Aspekten von Ur- oder Friedens-
primäre Aufgabe ist es, in den Entscheidungsgremien
wahlen – also unter inputlegitimatorischen Gesichtspunk-
betroffenheitsbezogen und versichertennah für eine
ten – diskutiert. Dem gegenüber kann sich der »Mehr-
nachhaltig bedarfsgerechte, wirtschaftliche und qualitativ
wert« einer versicherten- und arbeitnehmerorientierten
hochwertige Gesundheitsversorgung Sorge zu tragen.
1
Selbstverwaltungsarbeit aber auch aus ihrem Beitrag zur
Gewährleistung einer »guten« Versorgung von Versicherten
Ein Bedarf an versorgungsorientierter Versichertennähe
und Patienten ergeben. Neben der für die Versicherten in
kann in zweifacher Hinsicht eine Herausforderung für die
der gesetzlichen Krankenversicherung unmittelbaren Vor-
Selbstverwaltung darstellen, und zwar in einzelfall- und in
teilhaftigkeit dieser primär versorgungsorientierten Her-
versichertenkollektivbezogener Hinsicht: Individuell und
angehensweise an das Thema »Selbstverwaltung« könnte
anlassbezogen als versichertenorientierter Beratungs- und
darüber hinaus diese outputlegitimatorische Orientierung
Betreuungsbedarf in einer konkret-persönlichen Problemla-
die sozial- und gesundheitspolitische Kampagnenfähig-
ge des Versicherten mit seiner Krankenversicherung. Ferner
keit gewerkschaftlicher Listenträger nachhaltig stärken.
arbeitnehmer- und versichertenbezogen als Beitrag der
2
Selbstverwaltung zur bedarfsorientierten Steuerung des reDiese betroffenheitsorientierte und outputbezogene
gionalen Versorgungsgeschehens unter Berücksichtigung
Ausrichtung sozialer Selbstverwaltung in der GKV setzt
örtlicher Erfordernisse und Besonderheiten. Hierzu zählen
allerdings voraus, dass die Arbeitnehmer-Selbstverwalter
u.a. die Bereiche häusliche Pflege, Krankenhausbedarf
in den diversen Selbstverwaltungsgremien der einzelnen
(-splanung) sowie eine ausreichende und flächendecken-
Krankenkassen und ihrer Verbände wissen, was die von
de allgemein-, fach- und spezialärztliche Krankenversor-
ihnen vertretenen Versicherten und Patienten konkret
gung durch niedergelassene Ärzte in der Region. Soziale
unter einer bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen
Selbstverwaltung kann in diesem Zusammenhang einen
Gesundheitsversorgung verstehen und wo sich gegebe-
maßgeblichen Beitrag zum verfassungsmäßigen Gebot
nenfalls das Verhältnis zu ihrer Krankenkasse problema-
der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse leisten,
tisch gestaltet. Da aber aufgrund der Besonderheiten der
indem sie auf Schieflagen im regionalen Versorgungsge-
sozialen Krankenversicherung eine Präferenzerfassung
schehen aufmerksam macht und bei Bedarf im Rahmen
bei den Versicherten über die tradierten (»Präferenzent-
ihrer gesetzlichen Möglichkeiten für Abhilfe sorgt.
hüllungs«-) Instrumente Wahlen oder Markt in der Regel
3
1 Siehe hierzu beispielhaft Nürnberger und Frank (2012), S. 148-151.
2 Vgl. hierzu Güner (2012), S. 208, Beier, Güner (2011), S.372-376 sowie Baumeister,
Hartje, Knötig, Wüstrich (2012), S. 297.
3 Im Zusammenhang mit Wahlen müssen die Wähler spätestens am Wahltag durch
eine an ihren Präferenzen orientierte Wahlhandlung ihre Vorliebe für ein bestimmtes (Partei-)Programm offenbaren. Auf einem Markt geschieht diese Präferenzenthüllung durch eine konkrete Nachfrageentscheidung zugunsten oder zuungunsten eines bestimmten Gutes.
Die Herstellung von betroffenheitsorientierter Versichertennähe gestaltet sich jedoch für die Arbeitnehmervertreter
in den Verwaltungsräten der gesetzlichen Krankenkassen
zunehmend schwieriger: Fusionen und Konkurse gesetzlicher Krankenkassen und die hierdurch bedingte Konzentra-
4
Legitimation durch gute Versorgung, Versichertennähe und Transparenz
Abb. 1: Anzahl der Krankenkassen im Zeitablauf − Konzentrationsprozess durch Fusionen
2000
1800
1600
1815
1400
1319
1200
1000
1147
800
960
600
400
420
200
0
1970
1980
1990
1995
2000
267
221
202
169
156
146
2005
2008
2009
2010
2011
2012
Quelle: GKV Spitzenverband, Angaben zum Stichtag 1. Januar.
tion der Kassenlandschaft lassen die Mitgliederzahlen pro
für die Aufnahme und Weitergabe von Bedürfnissen der
Kasse immer weiter wachsen. Demzufolge gestaltet sich
Versicherten in Bezug auf eine gute Versorgung ist.
eine direkte, persönliche Kommunikation oder Interaktion
zwischen der immer kleiner werdenden Zahl an Verwal-
Gegenstand dieser Untersuchung sind bereits bestehen-
tungsräten und dem größeren Kreis der von ihnen reprä-
de Praxismodelle zur Herstellung von Versichertennä-
sentierten Versicherten zunehmend schwieriger, wenn
he, die geeignet erscheinen, die zunehmende Distanz
nicht gar unmöglich. So mahnen auch die im Rahmen des
zwischen Arbeitnehmervertretern und Versicherten zu
HBS-Forschungsprojekts »Soziale Selbstverwaltung in der
verringern. Als mögliche Modellvarianten kommen dabei
GKV: Ökonomische und soziale Handlungsperspektiven für
zunächst die auch im Bereich der gesetzlichen Renten-
Versicherte und Arbeitnehmer« befragten Arbeitnehmer-
versicherung und im Bereich einiger Krankenkassen5
vertreter erheblichen Verbesserungsbedarf hinsichtlich der
bewährten Versichertenältesten/Versichertenberater
Transparenz ihres Handelns sowie der Kommunikation im
und die bei einigen Krankenkassen bereits eingerichte-
Sinne einer Interaktion, also des gegenseitigen kommuni-
ten Regionalbeiräte/Regionalausschüsse in Betracht.
4
kativen Austauschs zwischen ihnen und den Versicherten
explizit an. Gerade Letzteres kann einen Mechanismus
zur Erfassung von Versicherteninteressen ermöglichen,
der zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses genutzt
werden kann, das wiederum eine wichtige Voraussetzung
4 Vgl. Baumeister, Hartje, Knötig, Wüstrich (2012), erscheint in Kürze als HBS-Arbeitspapier
5
5 So z. B. bei der AOK Baden-Württemberg und der AOK Plus.
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
2 Theorie und Systematik der Modelle zur
Herstellung von Versichertennähe in der GKV
2.1Versichertenälteste/Versichertenberater6
SGB IV, der auch den gesetzlichen Krankenkassen die
Die gesetzliche Rentenversicherung (DRV) sowie die
Möglichkeit einräumt, in ihrer Satzung die Wahl ehren-
Knappschaft Bahn See verfügen traditionsgemäß seit
amtlicher Versichertenältester vorzusehen. Ihre pri-
langem auf der Basis satzungsmäßiger Schlüssel über
märe Aufgabe besteht gem. § 39 Abs. 3 SGB IV in der
ein weit und dicht gespanntes Netz an Versichertenältes-
Herstellung, Pflege und dem Ausbau einer ortsnahen
ten. Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung, vor
Verbindung zwischen einer Krankenkasse und ihren
allem bei den AOK, waren Versichertenälteste bis in die
Versicherten sowie in deren umfassender rechtlicher
siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bekannt,
Beratung und Betreuung.10 Sie fungieren folglich als Bin-
ihre Bedeutung relativierte sich jedoch im Laufe der Zeit,
deglied zwischen der Kasse und ihren Versicherten.
7
spätestens jedoch mit der wettbewerblichen Neuorientierung der GKV seit 19968. Nicht zu verwechseln sind
Da die Vorschiften des SGB IV keine Angaben darüber
die Versichertenältesten jedoch mit den häufig in den
machen, was unter einer ortsnahen Verbindung zu verste-
Personalabteilungen der Betriebe integrierten Vertrau-
hen ist, obliegt es dem Satzungsrecht der Kasse, diesen
ensleuten der Ersatzkassen, deren Aufgabe weniger in
unbestimmten Rechtsbegriff zu besetzen. Der Beratungs-
der Beratung und Betreuung der Versicherten bestand,
anspruch der Versicherten ergibt sich aus § 14 SGB IV,
sondern vor allem in der Akquise neuer Mitglieder.
wonach den Versicherten ein umfassendes und einzelfallbezogenes Recht auf vollständige und richtige Beratung
In der gegenwärtigen, im Nachgang zu den Sozialwahlen
über den ihnen zustehenden Leistungsanspruch zusteht.
2011 stehenden sozialpolitischen und wissenschaft-
Welche Aufgaben die Versichertenältesten im Einzelnen
lichen Diskussion über die zukünftige Legitimation,
erledigen sollen, ergibt sich aus der Satzung der Kasse.
Rolle und Bedeutung der sozialen Selbstverwaltung
Die Beratung soll dafür Sorge tragen, dass die Versicher-
gewinnt die Funktion der Versichertenältesten an neu-
ten ihren gesetzlich unbestimmten Versorgungsanspruch
er Aktualität. So spricht sich der Bundesbeauftragte für
individuell und bedarfsgerecht konkretisieren können.
die Sozialversicherungswahlen in seinem Schlussbericht explizit für eine stärkere Nutzung des Instruments
Unter Betreuung wird dagegen ganz allgemein die Vermitt-
Versichertenberater bei denjenigen Versicherungs-
lung von Informationen der Krankenkasse an die Versicher-
trägern aus, die dies noch nicht hinreichend tun.
ten verstanden, so z. B. in Bezug auf mögliche Organisa-
9
tionsreformen der GKV oder die Einführung des GesundGesetzliche Grundlage für die Bestellung von Versicher-
heitsfonds. Eine Betreuung erfolgt also durch die Informati-
tenältesten im Bereich der GKV ist § 39 Abs. 2 Ziffer 2
on der Versicherten durch die Krankenkasse, ohne dass ein
6 Die Begriffe »Versichertenälteste« und »Versichertenberater« werden im Folgenden synonym verwendet.
7 Grundsatzbeschluss der BfA-Vertreterversammlung vom 30.5.1961 in der Fassung
vom 22.6.1994.
8 Vgl. Leopold (2012), S. 226.
9 Vgl. Der Bundesbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen (2012), S. 25, 222.
konkretes einzelfallbezogenes Beratungsanliegen besteht.
10 Vgl. ebd., S. 224.
6
Theorie und Systematik der Modelle zur Herstellung von Versichertennähe in der GKV
Durch den fusionsbedingten Rückgang der Anzahl an
Krankenkassen geht die Zahl an Arbeitnehmer-Selbstverwaltern ebenfalls zurück. Folglich wächst auch die Distanz
zwischen den Selbstverwaltern und den Versicherten.
Versichertenberater könnten diese Lücke ausfüllen und
so zu einem wichtigen Bindeglied zwischen Krankenkasse und Versicherten avancieren.11 »In fusionsbedingt
immer größeren Einheiten ist etwa der Auf- und Ausbau
eines regionalen Netzwerks von Vertrauenspersonen
oder Versichertenältesten – wie es heute bei einigen
Krankenkassen existiert – ein wichtiger Meilenstein.«12
2.2Regionalbeiräte/Regionalausschüsse/Bezirksräte13
Im Gegensatz zu den Versichertenältesten sind die Regionalbeiräte/Regionalausschüsse nicht gesetzlich vorgesehen. Ihre Existenz, ihr organisatorischer Aufbau und ihre
Einordnung sowie ihre Aufgaben und Zuständigkeiten ergeben sich ausschließlich aus den Satzungen der Kassen.
Als Beiräte haben sie nur beratende oder empfehlende
Funktionen und keine eigenen Entscheidungsbefugnisse.
Häufig spiegeln die Regionalbeiräte hinsichtlich ihrer personellen und ggf. auch paritätischen Zusammensetzung die
Foto: Hans-Jürgen Urban spricht über Perspektiven der Selbstverwaltung.
Mehrheits- und Stimmverhältnisse im Verwaltungsrat einer
Gesamtkasse auf regionaler Ebene. Unter der Annahme,
Die Aufgaben der Regionalbeiräte ergeben sich im Ein-
dass sich das Versorgungsgeschehen für die Versicherten
zelnen aus den Satzungen der Krankenkassen.14 Allen
immer regional konkretisiert, sollen durch die Herstellung
gemeinsam ist jedoch die Herstellung eines Regionalbe-
eines Regionalbezugs überregional tätige Kassen in der Re-
zugs. Dieser umfasst die Beratung und Unterstützung von
gion verortet werden. Sie geben ihr somit die Möglichkeit,
Arbeitgebern, Handwerksbetrieben und Selbstverwaltern
regionale Belange und Besonderheiten im Versorgungsge-
anderer Sozialversicherungsträger sowie die gesund-
schehen im Gesamtkassenhandeln zu berücksichtigen.
heitspolitische Unterstützung der geschäftsführenden
11 Vgl. ebd., S. 226.
12 Urban (2011), S. 364.
13 Die Begriffe »Regionalbeirat«, »Regionalausschuss« und »Bezirksrat« werden im
Folgenden synonym verwendet.
14 So z. B. § 39 Abs. 2 der Satzung der DRV Knappschaft Bahn See (Regionalausschüsse); § 33 Abs. 5 der Satzung der AOK Bayern (Regionalbeiräte); § 26 Abs. 6
der Satzung der AOK Baden-Württemberg (Bezirksräte).
7
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Regionaldirektionen. Im regionalen Kontext geben sie
und ihre organisationsrechtliche Zuordnung ergeben
Empfehlungen zur Prävention, betrieblichen Gesundheits-
sich aus dem SGB. Ihre regionale Zuständigkeit er-
förderung und Gesundheitspolitik ab. Sie unterstützen
streckt sich in geographischer Hinsicht auf den gesam-
das Hauptamt auf regionaler Ebene, indem sie Erfahrun-
ten Geschäfts- und Tätigkeitsbereich einer Kasse.
gen und Erwartungen aus der Gesellschaft, Arbeitswelt
und Wirtschaft in die Entscheidungsprozesse einfließen
Auf der mittleren Ebene (Mittelstufe) stellen die Regio-
lassen. Ferner geben sie auch Beschlussempfehlungen zu
nalbeiräte eine Verbindung zwischen der örtlichen und
operativen Maßnahmen auf regionaler Ebene ab, wie z. B.
zentralen Stufe her. Sie sind bei den AOK je nach Land
zur Öffnung oder Schließung örtlicher Geschäftsstellen,
sowie bei DRV Knappschaft-Bahn-See unterschiedlich
zu regionalen Marketingmaßnahmen, zur Öffentlichkeits-
benannt: Regionalbeiräte (AOK Bayern), Bezirksrä-
arbeit, zum regionalen Haushaltsplan, zu Baumaßnah-
te (AOK Baden-Württemberg), Regionalausschüsse
men, zum Erwerb und zur Veräußerung von Liegenschaf-
(Knappschaft). Ihre personelle Zusammensetzung ein-
ten bis hin zur Bestellung der Regionaldirektoren.
schließlich der Bestellung oder Wahl ihrer Mitglieder,
ihre Aufgaben und ihre organisatorische Einordnung
2.3 Aufbauorganisatorische
Einordnung der Praxismodelle
ergeben sich aus der Satzung der Kasse. Ihre regiona-
Die aufbauorganisatorische Einordnung und Verankerung
Zuordnung ihrer Regional- bzw. Bezirksdirektion.
le Zuständigkeit ergibt sich aus der flächenmäßigen
von Versichertenältesten und Regionalbeiräten könnte
organisationssystematisch in Anlehnung an den dreistu-
Auf der örtlichen Ebene (Unterstufe) sorgen die Versi-
figen Verwaltungsaufbau der unmittelbaren Bundes- oder
chertenberater für eine betriebs- resp. ortsnahe Verbin-
Landesverwaltungen erfolgen. In vertikaler Hinsicht
dung der Versicherten zu ihrer Krankenkasse. Ihre Wahl,
ergibt sich dann folgende Gliederungssystematik:
örtliche Zuständigkeit und Aufgaben werden auf der
Abb. 1: Aufbauorganisatorische Einordnung und regionale
Zuständigkeit von Regionalbeiräten und Versichertenältesten
Grundlage der Vorschriften des § 39 Abs. 2 und 3 SGB IV
in den Satzungen der jeweiligen Krankenkasse geregelt.
Zentrale Ebene
Verwaltungsrat
Regionale Ebene
Regionalbeirat/Regionalausschuss/Bezirksrat
Versichertennähe sollte aufgrund der unterschiedlichen
Örtliche Ebene
Versichertenberater
Aufgabenzuordnung alle drei Ebenen umfassen. Auf
Ein geschlossenes Praxismodell zur Herstellung von
den ersten Blick wird deutlich: Das 3-Ebenen-Modell
Die zentrale Ebene (Zentralstufe) besteht aus den Ver-
kann seine volle Funktionalität nur dann entfalten, wenn
waltungsräten der Einzelkassen sowie ihrer Verbän-
alle Ebenen besetzt werden. Fehlt eine Ebene, ist das
de einschließlich des Spitzenverbandes Bund. Ihre
Modell unvollständig. Aufgrund der unterschiedlichen
personelle Zusammensetzung einschließlich ihrer
Aufgaben und Zuständigkeiten können die verbleiben-
Wahl, ihre Aufgaben im Einzelnen, ihre Rechtsform
den Ebenen den Ausfall nur bedingt kompensieren.
8
Theorie und Systematik der Modelle zur Herstellung von Versichertennähe in der GKV
chendeckend erfolgen. Auf der Basis erfahrungsgestützter,
2.4 Versichertenberater und
Regionalbeiräte aus der Perspektive
der betroffenen Systemakteure
zweckmäßiger Schlüsselzahlen sollte ein dichtes Netz an
Praxismodelle zur Herstellung von Versichertennähe
Versicherberatern und Regionalbeiräten geknüpft werden,
stehen im Spannungsfeld z. T. konkurrierender Erwar-
das über die Fläche eine gleichmäßige und vollständige Ab-
tungen, Interessenslagen und Perspektiven: Gesetz-
deckung aller Versicherten gewährleistet. Sollen darüber
liche Krankenkassen, Listenträger/Gewerkschaften,
hinaus die Versicherten nicht nur nach dem Zufallsprinzip
Arbeitnehmer-Selbstverwalter, Betriebe und Versicherte
in den Genuss solcher versichertennaher Beratungs- und
verfolgen aus ihrer jeweiligen Rolle heraus unterschied-
Betreuungsarrangements ihrer Selbstverwaltung kommen,
liche Zielsetzungen. Die Konstellation der Handlungs-
so muss ferner sicher gestellt werden, dass alle Kassenar-
logiken der Akteure lässt sich wie folgt darstellen:
Auch in horizontaler Hinsicht sollte die Verwirklichung der
vorgestellten Praxismodelle möglichst vollständig und flä-
15
ten im Rahmen solcher Netze abgebildet werden. Konkret
Abb. 2: Systemakteure im Praxismodell
bedeutet dies, dass die Arbeitnehmer-Selbstverwalter,
Versicherte
unabhängig von der jeweiligen Kassenart, in den Verwaltungsräten möglichst aller Kassen die Einrichtung der
hier vorgestellten Modelle einfordern.16 Da im Gegensatz
Selbstverwalter/
Verwaltungsrat
Betriebe
zur Rentenversicherung die Krankenversicherungsträger
untereinander in einem ständigen Wettbewerb um Versicherte stehen, wird sich eine organisatorische Einbettung
Gewerkschaften/
Betriebsräte
Krankenkassen
der Versichertenberater in den einzelnen Betrieben möglicherweise als problematisch erweisen: Mit Blick auf ihre
Krankenkassen
Akzeptanz, insbesondere auf der Arbeitgeberseite, muss
Gesetzliche Krankenkassen konkurrieren im derzeitigen
daher für die Wahrung des innerbetrieblichen Friedens
GKV-Wettbewerbsmodell primär um Versicherte. Ein morbi-
gewährleistet sein, dass die Versichertenberater vor Ort
ditätsorientierter Risikostrukturausgleich soll verhindern,
nicht als (Wettbewerbs-)Instrument der Kassen im Kampf
dass sich der Wettbewerb um Versicherte auf die Akquise
um Marktanteile und Mitglieder instrumentalisiert werden.
sogenannter »guter Risiken« beschränkt. Weitere Wettbewerbsfelder oder -parameter sind mit Ausnahme der Vermeidung von Zusatzbeiträgen derzeit kaum entwickelt. Die
einseitige Fokussierung auf den Preiswettbewerb führt im
Fall einer Erhebung von Zusatzbeiträgen zu massiven Wan-
15 Die Schlüsselzahlen könnten sich auch in der GKV an den satzungsmäßigen
Vorschriften der DRV und der Knappschaft Bahn See orientieren.
16 Nicht erforderlich sind dagegen solche Modelle zur Herstellung von Versichertennähe ggf. in Krankenkassen, deren Zuständigkeitsbereich sich nur auf eine Stadt
und/oder einen Landkreis erstreckt und die nur über einen kleinen und übersichtlichen Kreis an Mitgliedern verfügen. Dies dürfte vor allem kleinere, geschlossene
Betriebskrankenkassen betreffen.
9
derungsbewegungen zwischen den Kassen. Wollen Kassen
wettbewerbsfähig sein, so müssen sie Zusatzbeiträge nach
Möglichkeit vermeiden, da diese als Ausdruck schlechten
Kassenmanagements angesehen werden und andere Diffe-
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
renzierungsmerkmale für »gutes« Kassenhandeln gesund-
einer Kasse einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil
heitspolitisch gewollt allenfalls in Ansätzen rudimentär
gegenüber nur überregional bundes- oder landesweit
und für die betroffenen Versicherten kaum wahrnehmbar
agierenden Konkurrenten darstellen. Nicht unterschätzt
vorhanden sind. Ein Qualitätswettbewerb in Bezug auf
werden sollte in dem Zusammenhang auch, dass eine
eine möglichst gute Versorgung der Versicherten findet
Entscheidung zugunsten oder zuungunsten einer Kasse
aufgrund der weitgehenden gesetzlichen Normierung des
über rein pragmatische und wirtschaftliche Erwägungen
Leistungskatalogs und beschränkter wettbewerblicher
hinaus häufig auch familiär und regional tradiert ist, also
Handlungsmöglichkeiten der Kassen folglich kaum statt.
in der Person eines Versicherten und seinem familiären,
betrieblichen und örtlichen Umfeld begründet sein kann.
Regionalbeiräte und Versichertenberater können
aus Sicht der Krankenkassen in wettbewerblicher
Zum anderen können Regionalbeiräte und Versicherten-
Hinsicht aus zwei Gründen vorteilhaft sein:
berater auch ein Instrument zur genaueren Präferenzerfassung sein. Sie können den Entscheidungsträgern der
Zum einen können sie für die Kassen ein wichtiger Wett-
Kasse, also dem hauptamtlichen Vorstand und dem Ver-
bewerbsparameter und ein mögliches Alleinstellungs-
waltungsrat, konkrete Einblicke und Rückschlüsse über
merkmal sein. Mit ihrer Hilfe werden die Kassen für die
die regionalen, örtlichen und ggf. auch betrieblichen Be-
Versicherten auf Bezirks- oder Landkreisebene regional
dürfnisse sowie Befindlichkeiten ihrer Versicherten geben.
präsent und können somit auch auf regionale Belange und
Sie sind somit Voraussetzung für ein stimmiges patien-
Besonderheiten Rücksicht und möglicherweise sogar Ein-
ten- und versichertenorientiertes Versorgungsgeschehen.
fluss nehmen. Sie geben der Kasse ein regionales Gesicht.
Gerade über die Regionalbeiräte ist ein direkter Austausch
Entscheidend für den Erfolg von Regionalbeiräten und
und eine Vernetzung mit regionalen Entscheidungsträ-
Versichertenberatern ist jedoch ihre uneingeschränkte
gern und Multiplikatoren, wie Landräten, Bürgermeistern,
Befürwortung und Unterstützung durch das Hauptamt.
Gemeinde- und Kreisräten, Handwerksbetrieben sowie
Nur wenn die Modelle zur Herstellung von mehr Versi-
örtlichen Arbeitgebern und ihrer Repräsentanten (z. B. in
chertennähe als vorteilhaft integrative Ergänzung des
den Kammern), also den so genannten in der Regel tief in
regionalen Kassenhandelns und nicht als Konkurrenz
der Region verwurzelten örtlichen »Honoratioren« möglich.
zu den örtlichen Servicezentren der Kassen verstanden
Umgekehrt habe diese wiederum die Möglichkeit, ihren
werden, können diese erfolgreich wirken. Insofern dür-
gesundheitspolitischen Anliegen über die Kassenverbände
fen diese »Anwälte« der Versicherten nicht primär als
und hauptamtlichen Kassenvorstände auf Landes- und/
lästige, tendenziell leistungsausweitende und somit
oder Bundesebene eine Stimme zu geben. Da das Versor-
kostentreibende Bedrohung der eigenen Wettbewerbs-
gungsgeschehen in erster Linie regional erfolgt und als
position interpretiert werden, sondern müssen im
solches von den Versicherten wahrgenommen wird, kann
Gegenteil als funktional im Sinne einer wettbewerbsför-
eine regional aktive und deutlich erkennbare Präsenz
derlichen und versichertenorientierten, regional pass-
10
Theorie und Systematik der Modelle zur Herstellung von Versichertennähe in der GKV
genauen Absatz- und Distributionspolitik einschließlich
der Kassen Anfang der neunziger Jahre noch über 1 200,
eines regional stimmigen und zielgenauen Marketings
so hat sich deren Zahl durch Fusionen und Konkurse inzwi-
angesehen werden. Kann in diesem Zusammenhang
schen auf etwa 140 gesetzliche Krankenkassen reduziert.
auch das inzwischen mehr als obsolete neo-klassische
Aufgrund des zunehmenden und auch politisch gewollten
Marktmodell als Managementmaxime relativiert wer-
Wettbewerbsdrucks wird dieser Prozess der Marktbereini-
den, wonach der Wettbewerb ausschließlich über den
gung noch einige Zeit anhalten. Hierdurch und durch die
Preis erfolgt, so können beide Modellvarianten für
aufbauorganisatorische Neuordnung der GKV-Selbstverwal-
die Kassen einen entscheidenden Wettbewerbsvor-
tung Mitte der neunziger Jahre hat sich auch die Zahl der
teil in der Konkurrenz um Versicherte darstellen.
Selbstverwalter von insgesamt über 30 000 auf inzwischen
1 932 drastisch reduziert.17 Dieser Prozess hat zwangsläufig
Arbeitnehmer-Selbstverwalter/Verwaltungsrat
Die Zulassung von Kassenwettbewerb 1996 hat in der Kassenlandschaft einen dynamischen und bis dato anhaltenden Konzentrationsprozess eingeleitet. Betrug die Anzahl
zur Folge, dass immer weniger Selbstverwalter immer mehr
17 So beträgt in der laufenden Wahlperiode (2011-2017) die Gesamtzahl der Selbstverwaltungsmandate bei den AOK, IKK, BKK und Ersatzkassen 1932. Davon entfallen 1358 Mandate auf die Arbeitnehmerseite. Vgl. Der Bundesbeauftragte für die
Sozialversicherungswahlen (2012), S. 29.
Foto: SelbstverwalterInnen-Tagung am 2./3. November 2012 in Sprockhövel
11
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Versicherte repräsentieren müssen. Für die Selbstverwalter
wirklichkeit als auch eine reflektierend evaluatorische
wird es demnach zukünftig schwieriger in einen direkten
Rückkopplung des eigenen Selbstverwalterhandelns.
persönlichen Kontakt mit den Versicherten zu treten, um
etwas über ihre Anliegen oder Bedürfnisse zu erfahren. Für
Gewerkschaften/Betriebsräte
die Outputlegitimation von Selbstverwaltung sind jedoch,
Soziale Selbstverwaltung ist traditionell ein angestammt
wie jüngste Forschungsergebnisse zeigen, Kommunikation
wichtiges sozialpolitisches Betätigungs- und Profilie-
und Interaktion mit den Versicherten von herausragen-
rungsfeld gewerkschaftlicher Listenträger. Ihre tradiert
der Bedeutung. Nur so können Selbstverwalter erfahren,
dominierende Rolle in den Verwaltungsräten und Ver-
was Versicherte unter »guter Versorgung« verstehen.
treterversammlungen der Sozialversicherungsträger
18
wurde jedoch bei vorangehenden Sozialwahlen durch
Beide Modellvarianten, Regionalbeiräte und Versicher-
die »sonstigen Arbeitnehmerorganisationen«, die häufig
tenberater, können in ihren unterschiedlichen Rollen
unter dem Namen des jeweiligen Versicherungsträgers
und Aufgabenstellungen dazu beitragen die sich ver-
firmieren und damit eine besondere sozialpolitische
größernde persönliche und räumliche Distanz zwischen
Kompetenz für sich reklamieren sowie die sogenann-
Selbstverwaltern und Versicherten abzubauen. Insti-
ten »freie Listen«, mehr und mehr in Frage gestellt.
tutionenökonomisch argumentiert, handelt es sich um
Insbesondere bei denjenigen Versicherungsträgern,
eine klassische Principal-Agent-Beziehung, die durch die
bei denen tatsächlich Urwahlen stattfanden, wurde der
Schaffung neuer oder Fortentwicklung bestehender insti-
gewerkschaftliche Stimmenanteil und Einfluss in den
tutioneller Arrangements besser gestaltet werden kann.
Selbstverwaltungsgremien deutlich zurückgedrängt.
19
Das Einziehen ergänzender Selbstverwaltungsebenen
mit regionalem und örtlichem Bezug kann unmittelbar
Die gewerkschaftlich initiierte und möglicherweise dadurch
zur Herstellung von Versichertennähe beitragen und so
auch beeinflussbare Bestellung von Versichertenberatern
der Selbstverwaltung vor Ort ein konkretes Antlitz geben.
und Zusammensetzung von Regionalbeiräten eröffnet die
Sie ermöglichen dadurch dem Selbstverwalter sowohl
Möglichkeit, das sozial- und gesundheitspolitische Heft
eine explizite und praktisch-konkrete Bezugnahme auf
des Handelns wieder zurückzugewinnen und nach außen
Versicherteninteressen und ihre Lebens- und Versorgungs-
deutlich sichtbar versichertenbezogene Kompetenz auch
im betrieblichen Kontext zu vermitteln. Dies wird insbe-
18 Vgl. Baumeister, Hartje, Knötig, Wüstrich (2012), S. 299.
19 Selbstverwaltung kann als Principal-Agent-Verhältnis dargestellt werden. Principal ist der Versicherte. Seine Agenten sind die Verwaltungsräte/Regionalbeiräte/
Versichertenberater, die durch den Einsatz ihrer Instrumente zu einer guten medizinischen Versorgung beitragen sollen. Problematisch könnte sein, dass die
Selbstverwaltungsakteure (Agenten) möglicherweise bestrebt sind, ihre eigenen
Vorstellungen und nicht diejenigen des Principals (Versicherte) zu verfolgen. Die
Versicherten müssen also die Möglichkeit haben, die Agenten über ihre Vorstellungen einer guten Versorgung zu informieren. Durch geeignete institutionenökonomische Arrangements ist dafür Sorge zu tragen, dass die Agenten (Verwaltungsräte/Regional-beiräte/Versichertenberater) tatsächlich im Sinne ihrer Principale
(Versicherte) handeln und keine eigenen Interessen verfolgen. Hierzu ist Versichertennähe erforderlich. Vgl. Blankart (2008), S. 476f.
sondere dann gelingen, wenn Versichertenberater und
Betriebsräte, ggf. in Personalunion, eng zusammenarbeiten und sich gegenseitig austauschen. Insbesondere auf
den originären Handlungsfeldern der Selbstverwaltung,
Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung, können Betriebsräte und Versichertenberater zur Verbesserung
des gewerkschaftlichen Profils und Kampagnenfähigkeit
12
Theorie und Systematik der Modelle zur Herstellung von Versichertennähe in der GKV
beitragen. Darüber hinaus stehen sie als individuelle
sowie häufig auch persönlich bekannte und damit auch
vertrauenswürdige Sachverwalter für Versicherte in individuellen Problem- und Notlagen zur Verfügung, was Vertretern »freier« Listen in der Regel nicht gelingen dürfte.
Auch das innergewerkschaftliche Sozialprestige
und Ansehen von Selbstverwaltung dürfte im Beziehungsgeflecht von Aufsichtsrat, Betriebsrat und Verwaltungsrat eine deutliche Aufwertung erfahren.
Versicherte
Foto: Monika Lersmacher, Bericht aus dem Praxis-Workshop
Versichertenberater eröffnen versicherten Arbeitnehmern
die Möglichkeit einer ortsnahen und zumeist betriebs-
Umfeld wenden, mag zunächst dahingestellt bleiben.
nahen Verbindung zu ihrem Krankenversicherungsträger
Durch die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erfahren Versi-
und konkretisieren damit ihren gesetzlichen Anspruch auf
chertenberater oft persönliche Dinge über Menschen in
eine rechtlich richtige, umfassende und einzelfallbezogen
ihrem engsten betrieblichen oder nachbarschaftlichen
individuelle Beratung und Betreuung über die ihnen zuste-
Umfeld. Zumindest formal sind Versichertenberater ge-
henden Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversiche-
mäß § 35 SGB I zur Wahrung des Sozialgeheimnisses
rung. Erfolgt die Beratung im unmittelbaren betrieblichen
verpflichtet. Verstöße können zu einer Amtsenthebung
Kontext, so können die Barrieren für eine Kontaktaufnahme
führen. Im Gegensatz zu den Versichertenältesten
in persönlicher, sachlich-inhaltlicher, räumlicher und zeit-
im Bereich der Rentenversicherung geht es eben um
licher Hinsicht deutlich niedriger liegen: Im Gegensatz zu
mehr als das formale Ausfüllen von Rentenanträgen
den Mitarbeitern in regionalen Service- oder Callcentern
zur Durchsetzung gesetzlicher Leistungsansprüche.
sind die örtlich zuständigen Versichertenberater, insbesondere dann, wenn sie gleichzeitig auch als Betriebsräte
Betriebe
tätig sind, persönlich bekannt. Ferner wird der Zugang zur
Für die Betriebe könnte sich die organisatorische Einbet-
Kasse und auch zur Selbstverwaltung durch eingesparte
tung von Versichertenberatern in zweifacher Hinsicht als
Transaktionskosten in Form wegfallender Wege- und Zeit-
vorteilhaft erweisen. Zum einen ermöglichen sie ihren
kosten (einschließlich möglicher Wartezeiten) erleichtert.
Beschäftigten im unmittelbaren betrieblichen Umfeld eine
direkte, bequeme und barrierefreie Kontaktaufnahme zu
Ob sich Versicherte mit ihren persönlichen gesundheits-
ihren Krankenkassen. Auch wenn dieser Kontakt nicht un-
oder pflegebezogenen, oft der Intimsphäre zurechenbaren
bedingt während der Arbeitszeit erfolgen muss, so könnte
Anliegen an (Vertrauens-)Personen aus ihrem kollegialen
durch den Wegfall unnötiger Zeit- und Wegekosten auch
13
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
ein Beitrag zum Abbau von Fehlzeiten geleistet werden.
nehmen. Aus Sicht des zahlenden Versichertenkollektivs
Zum anderen erleichtert die sachkundige, arbeitnehmer-
ist dieses Verhalten jedoch keineswegs vernünftig, da es
bezogene Kassenpräsenz vor Ort im Zusammenspiel oder
die von allen zu zahlenden Leistungsausgaben nach oben
vielleicht sogar in Personalunion mit dem Betriebsrat die
treibt und somit unter Umständen höhere Beitragsätze
passgenaue Einführung, Umsetzung, Mitarbeiterakzeptanz
bzw. die Erhebung von Zusatzbeiträgen erforderlich macht.
und Evaluation der immer wichtiger werdenden betrieblichen Gesundheitsförderung. Prävention und betriebliche
Versichertenberater geben ihrer Kasse im Betrieb ein Ge-
Gesundheitsförderung können nur gelingen, wenn Ma-
sicht und können den Versicherten verdeutlichen, dass sie
nagement, Betriebsrat und Krankenkasse in allen Fragen
auch Teil einer betrieblichen Solidargemeinschaft sind. Sie
solcher Maßnahmen eng kooperieren. Vor dem Hintergrund
tragen somit zur betrieblichen und kollegialen Kohäsion
der zunehmenden Konkurrenz um qualifizierte Fachkräfte
bei. Freerider-Verhalten im Sinne einer exzessiven über den
wird eine erfolgreich implementierte, mitarbeiterorientierte
tatsächlichen Bedarf hinausgehende Leistungsinanspruch-
betriebliche Gesundheitsförderung mehr und mehr Vor-
nahme (z. B. durch krankheitsbedingte Fehlzeiten) fällt im
aussetzung für ein erfolgreiches Personalmanagement.
kleinen Kreis unter dem Blick persönlich bekannter Kollegen schwerer: Genau hierin liegt ja gerade der solidarische
Ferner können Versichertenberater dazu beitragen, dem
Vorteil kleiner Betriebskrankenkassen, in denen jeder je-
entsolidarisierenden Trend anonymer, mitgliederstarker
den kennt und unsolidarisches Verhalten kaum verborgen
(Groß-)Kassen entgegen zu wirken. Je größer und ano-
bleiben kann. Versichertenberater könnten hierzu einen
nymer Versichertengemeinschaften sind, desto weniger
Beitrag leisten, indem sie große, für den Einzelnen abstrak-
verstehen sich die Versicherten als Teil einer Solidarge-
te und kaum überschaubare Versichertenkollektive auf die
meinschaft. Da sowohl der Beitrag als auch die Kosten
Ebene des Betriebs dekonstruieren und damit wieder den
einer Leistungsinanspruchnahme durch den einzelnen
unmittelbaren Zusammenhang zwischen Beitrag und Ver-
Versicherten kaum mehr ins Gewicht fallen, werden im
halten jedes einzelnen Versicherten bzw. Beschäftigten im
Schutz der Anonymität häufig mehr Leistungen in Anspruch
Sinne einer kollegial-betrieblichen Solidarität herausstel-
genommen als erforderlich. Konkret liegt eine typische
len: Die Beschäftigten verstehen sich dann z. B. nicht mehr
Rationalitätenfalle, verbunden mit einem ausgeprägten
ausschließlich als Mitglieder der AOK Bayern, sondern
»moral hazard« der beteiligten Systemakteure, also dem
darüber hinaus als Angehörige einer »AOK ihres Betriebs«.
einzelnen Versicherten und den betroffenen Leistungsanfallen auseinander. So ist es aus der Sicht eines Versicher-
2.5 Chancen und Risiken von Praxismodellen:
Pluralismus versus Korporatismus
ten, ggf. im Verbund mit dem an Einkommensmaximierung
Zum primären Selbstverständnis von Arbeitnehmer-Selbst-
interessierten Leistungsanbieter durchaus rational, medizi-
verwaltern sollte es gehören, den hauptamtlichen Vorstand
nischen Leistungen in möglichst großem Umfang und mög-
ihrer Krankenkasse im Interesse der von ihnen vertretenen
licherweise über den erforderlichen Bedarf in Anspruch zu
Versicherten zu beeinflussen. Zu ihren Möglichkeiten ge-
bietern, vor. Individuelle und gesellschaftliche Rationalität
14
Theorie und Systematik der Modelle zur Herstellung von Versichertennähe in der GKV
hört vor allem die Information der Entscheidungsträger
über konkrete Bedarfs- und Problemlagen. Praxismodelle
zur Herstellung von Versichertennähe können diesen
Abb. 3: Pluralistische und korporatistische
Wege der Willensbildung 20
Pluralismus
Versicherte/
Patienten
Selbstverwaltung
Hauptamt
Korporatismus
Versicherte/
Patienten
Selbstverwaltung
Hauptamt
Einfluss vergrößern, da örtlich und betrieblich verankerte Versichertenberater sowie Regionalbeiräte im engen,
gegenseitigen Austausch mit den Verwaltungsräten das
örtliche und regionale Versorgungsgeschehen unmittelbarer, sachlich genauer und zeitnaher an das Hauptamt
Die meisten hauptamtlichen Kassenvorstände stehen
spiegeln und somit rechtzeitig auf erkennbare Fehlent-
der Selbstverwaltung offen, konstruktiv und koopera-
wicklungen und Defizite aufmerksam machen können.
tiv gegenüber. Hinzu kommt, dass sie in der Regel eine
klare Vorstellung von der Rollen- und Aufgabenvertei-
Der Informationsbedarf des Hauptamts eröffnet der Selbst-
lung zwischen Selbstverwaltung und Hauptamt haben.21
verwaltung den Zugang zur Entscheidung. Der Vorstand
Dennoch versuchen sie bereits im Vorfeld häufig mit
ist häufig über das konkrete Versorgungsgeschehen und
Verweis auf wettbewerbliche Sachzwänge der Kasse, die
die Problemlagen vor Ort nur unzureichend oder verzerrt
Verwaltungsräte für schwierige unternehmerische Ent-
informiert. Greift die Selbstverwaltung versichertennah
scheidungen zu gewinnen und mögliche Widerstände
allfällige Probleme und Defizite auf und macht immer
auszuräumen. Entscheidend für das Gelingen einer sol-
wieder auf sie aufmerksam, belegt sie einerseits ihr En-
chen Vorgehensweise ist vor allem das Rollenverständnis
gagement für die Versicherten und macht andererseits
der Verwaltungsratsvorsitzenden, weil diese häufig einen
auf die Dringlichkeit ihres Anliegens aufmerksam. Die
wichtigen Einfluss auf die »einfachen« Verwaltungsrats-
Chance dieser unter pluralistischer Perspektive idealty-
mitglieder ausüben. Dies ist insbesondere dann der Fall,
pischen Herangehensweise besteht für den hauptamt-
wenn es sich um starke, politisch erfahrene Persönlich-
lichen Vorstand darin, durch eine deutlich erkennbar
keiten mit langjähriger Verbandserfahrung handelt.
an den Präferenzen und Bedürfnissen der Versicherten
orientierte Geschäftspolitik die Wettbewerbsposition
Für die Selbstverwaltung ist eine solche korporatistische
der Kasse zu stärken. Selbstverwaltung und Hauptamt
Integration in die unternehmerischen Entscheidungen
legitimieren durch eine an der tatsächlichen Bedarfs-
einer Kasse nicht ohne Risiko. Versichertenberater und
lage orientierte Versorgung. Sie befinden sich dann
Regionalbeiräte können wegen ihrer Nähe zu den Be-
erkennbar in einer klassischen Win-Win-Situation.
troffenen diesen im Prinzip systemwidrigen Trend ver-
20
stärken, insbesondere dann, wenn sie zur Vermittlung
»unpopulärer« Entscheidungen des hauptamtlichen
Kassenmanagements instrumentalisiert werden sollen.
20 In Anlehnung an Teichmann (1993), S. 42.
15
21 Vgl. Baumeister, Hartje, Knötig, Wüstrich (2012), S. 298.
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Aus objektiver Sicht verbessert sich zwar die Möglichkeit,
hen und durch Versichertenälteste an die betroffenen
Versicherteninteressen in die Geschäftspolitik einfließen
Leistungsempfänger vor Ort kann der in den vergan-
zu lassen, unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, ob dies
genen Jahren erkennbar zunehmenden Distanz und
den Versicherten ausreichend verdeutlicht werden kann.
Entfremdung zwischen den Selbstverwaltungsorganen,
Dieses Informationsdefizit entsteht vor allem, wenn nicht
insbesondere in den mitgliederstarken Kassen sowie
wie üblich, die Position des Listenträgers bzw. des Ver-
in ihren Verbänden, und den von ihnen repräsentierten
waltungsrats klar formuliert wird und dann den Plänen
Versicherten entgegenwirken. Sie schärfen somit das
und Entscheidungen des Kassenmanagements gegen-
sozialpolitische, primär arbeitnehmerbezogene Profil
übergestellt wird. Das Hauptamt will nicht nur präemptiv
der Arbeitnehmerselbstverwalter und ihrer Listenträger,
mögliche Widerstände ausräumen, sondern hofft darüber
indem sie immer wieder verdeutlichen, dass Kranken-
hinaus, dass die Selbstverwalter seine Entscheidun-
kassen zwar im Wettbewerb untereinander stehen, sich
gen legitimieren, begründen und für sie eintreten.
ihr Selbstverständnis als soziale Krankenversicherung
und ihr daraus abgeleiteter Status als Körperschaft des
Andererseits eröffnen Modelle zur Herstellung von mehr
öffentlichen Rechts vor allem aber aus ihrem Beitrag zur
Versichertennähe der Selbstverwaltung aber auch die
öffentlichen Daseinsvorsorge im Sinne einer bedarfsge-
Chance, sich diesem korporatistischen Trend entgegen-
rechten, solidarischen Gesundheitsversorgung und nicht
zustellen. Die Anbindung der Verwaltungsräte durch
primär aus ihrem unternehmerischen Erfolg ergibt.
Regionalbeiräte an das regionale Versorgungsgesche-
16
Empirie der Modellvarianten
3
Empirie der Modellvarianten
3.1Stichprobe
reiche und innerhalb der Gesamtstruktur komple-
Die Stichprobe umfasst 15 Befragte, darunter 2 weibliche
mentär aufeinander abgestimmte Funktionen vor.
Interviewteilnehmer über 9 empirisch erfasste, nach Kassen bzw. Kassenarten differenzierte Modellvarianten. In
Unterhalb des auf zentraler Ebene angesiedelten Verwal-
einer ersten Erhebungsrunde konnte zu 8 der 9 für die Stu-
tungsrats befindet sich die in einer Region (Direktionen
die ausgewählten Kassen je ein Verwaltungsratsmitglied
oder Bezirke) verankerte Ebene der Bezirks- oder Regi-
befragt werden. Darauf folgend wurde in einer zweiten
onalbeiräte, die vergleichbar mit dem Verwaltungsrat
Erhebungsrunde zu 6 der 9 Modellvarianten je eine Person
Aufgaben der Beratung und Kontrolle der Geschäftsstel-
in ihrer Funktion als Versichertenberater oder Regional-
lenleitung bzw. Regionaldirektionsleiter wahrnehmen.
beirat befragt. Insgesamt wurden auf diese Weise 15 Personen befragt, deren Funktion und Kassenzugehörigkeit
Dabei leistet der Regionalbeirat seinen Beitrag zum ein-
untenstehender Tabelle entnommen werden können:
heitlichen Leistungsgeschehen unter Rücksichtnahme
Tab. 1: Stichprobe
auf regionale Besonderheiten. Er nutzt seine regionalen
VR-Mitglied
RB
1
1
2
1
AOK Baden Württemberg
AOK Bayern
AOK plus
AUDI BKK
Barmer GEK
BKK ZF & Partner
IKK classic
Knappschaft-Bahn-See
TK
SUMME
VB
Andere Gesamt
ternehmen, Sparkassen und Leistungsanbietern, um
Versichertennähe strukturell über die qualitative Verbes-
1
1
1
1
1
1
1
8
serung und bedarfsgerechte Ausgestaltung des Versor-
1
1
4
Netzwerke zu Entscheidern in kleinen und mittleren Un-
1
2
gungsangebots in der Region herzustellen. Diese Form der
Regionalisierung der Selbstverwaltung ist nur in wenigen
der heute noch bestehenden Krankenkassen realisiert.
1
15
Unterhalb dieser Ebene und ihr zugeordnet, befinden sich
3.2 Ausprägungen der
Modellvarianten und Beispiele
die Versichertenberater resp. die Versichertenältesten.22 Der
Gemäß der aufbauorganisatorischen Verankerung von
verankerte Struktur der Selbstverwaltung dar.23 Seine Aufga-
Versichertenberatern und Regionalbeiräten (vgl. Kapitel
be ist die Beratung und Betreuung der versicherten Arbeit-
2.3) lassen sich auf Basis der empirischen Ergebnisse
nehmer. Er stellt das Bindeglied zwischen dem einzelnen
drei mögliche Ausprägungen der Modellvarianten zur
Versicherten und der regionalen Selbstverwaltungsebene
Herstellung von mehr Versichertennähe ausmachen.
dar. In dieser Beziehung erfolgt auch die Betreuung: in der
Versichertenberater stellt die lokale, in der Regel betrieblich
Regel wird von den Regionalbeiräten unter Einbeziehung
3.2.13-Ebenen-Modell
einzelner Verwaltungsratsmitglieder zu regionalen Informati-
In der Praxis findet sich das 3-Ebenen-Modell in einer
22 Vgl. § 39 SGB V.
23 Eine Ausnahme bildet die KBS, die auf der regionalen Ebene zwar ebenfalls Regionalausschüsse eingerichtet hat, die ihre Versichertenältesten in der Regel
auch in den privaten Räumlichkeiten der Versicherten oder den Versichertenältesten die Beratung und Betreuung der Versicherten durchführen lässt.
Reihe von Varianten umgesetzt. Alle Varianten sehen
für die drei Ebenen je unterschiedliche Aufgabenbe-
17
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
onsveranstaltungen eingeladen. Er stellt sozusagen den ver-
ckend vorzunehmen. Das Konzept liegt allen Direktionen vor,
längerten Arm von Verwaltungsrat und Regionalbeirat dar.
ist jedoch nicht verpflichtend. Die Vorschläge für die Handwerksrepräsentanten kommen von den Landesbeiräten.
Beispielhaft untersucht wurden die KnappschaftBahn-See, die AOK Baden-Württemberg sowie
Knappschaft-Bahn-See
die IKK classic. Besonderheiten der einzelnen Va-
Drei Selbstverwaltungsebenen hat ebenfalls die Knapp-
rianten werden im Folgenden beschrieben.
schaft-Bahn-See, die mit ihren Regionalausschüssen und
den traditionellen »Versichertenältesten« sowohl die
AOK Baden-Württemberg
regionale als auch die örtliche Ebene ausfüllt und somit
Dem 3-Ebenen-Modell entspricht exemplarisch die AOK
in Ergänzung des Verwaltungsrats ein geschlossenes Pra-
Baden-Württemberg. In dieser sowohl regional als auch
xismodell zur Herstellung von Versichertennähe aufweist.
betrieblich gut verorteten Krankenkasse sind die Hälfte
Im Unterschied zu den beiden anderen Varianten sind die
aller Verwaltungsräte auch im Bezirksrat vertreten. Die
Versichertenältesten der KBS nicht in Betrieben angesiedelt.
hierdurch durgehend gute Vernetzung von Verwaltungsräten und Regionalbeiräten ist bei der AOK BW mit dafür
3.2.22-Ebenen-Modelle
verantwortlich, dass die Bestellung von Versichertenbera-
Das 2-Ebenen-Modell tritt in zwei Ausprägungen auf. Im
tern in den Direktionen Ostwürttemberg, Ulm-Biberach und
einen Fall ist die zentrale, überregionale bzw. landesweite
Neckar-Fils nach eigenen Angaben sehr erfolgreich verlief.
Ebene des Verwaltungsrats um einen Regionalbeirat ergänzt.
Die zweite Variante kommt ohne regionale Selbstverwal-
IKK classic
tungsorgane aus, hat aber auf lokaler Ebene in Betrieben
Drei Selbstverwaltungsebenen finden sich auch bei der IKK
tätige Versichertenberater. Die beiden Modelle stellen
classic. Zu den bereits etablierten Landesbeiräten befindet
somit teilrealisierte Varianten des 3-Ebenen-Modells dar.
sich derzeit eine dritte Ebene der Selbstverwaltung, die
übernehmen wie die Versichertenberater die Aufgabe der
Verwaltungsrat –
Regionalbeirat AOK Bayern
Herstellung von Versichertennähe in den Betrieben der
Die AOK Bayern verfügt seit ihrer Fusion aus allen bay-
jeweiligen Innungen durch Unterstützung der Versicherten
erischen Ortskrankenkassen im Jahr 1994 über ein flä-
bei der Antragstellung, bei Anregungen zu Maßnahmen der
chendeckendes Netz an Regionalbeiräten. Diese sind
betrieblichen Gesundheitsförderung sowie der Herstellung
mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern paritätisch
des Kontaktes zur zuständigen Geschäftsstelle vor Ort.
besetzt und jeweils den AOK-Regionaldirektionen in den
Handwerksrepräsentanten sind bisher eingeführt in den Re-
39 Landkreisen und kreisfreien Städten zugeordnet. Dem
gionen Nordrhein, Westfalen-Lippe und Baden-Württemberg.
Verwaltungsrat sollen sie eine Bezugnahme auf regionale
Es ist geplant, die Handwerksrepräsentanten flächende-
Besonderheiten ermöglichen. Ihre primäre Bedeutung liegt
24 Vgl. § 7 Handwerksrepräsentanten, Satzung der IKK classic vom 1.8.2011.
aber in der Mitgestaltung des regionalen Versorgungsange-
sogenannten Handwerksrepräsentanten, im Aufbau. Diese
24
18
Empirie der Modellvarianten
botes. Die Regionalbeiräte, die auf der Arbeitnehmerseite
vielfach gleichzeitig auch als (freigestellte) Betriebsräte
tätig sind, pflegen den Kontakt zu den regional ansässigen
Betrieben und Leistungsanbietern und versuchen diese
mitunter auch für lokale Veranstaltungen mit den Krankenkassen zu engagieren. So werden von den Unternehmen
z. B. Veranstaltungen wie Stadtläufe o. ä. gesponsert, um
auf das Leistungsangebot der Krankenkasse aufmerksam
zu machen. Regionalbeiräte sind insofern »Botschafter
der AOK« in der Region. Ferner sollen sie nach eigenem
Ermessen, Motivation und Zeit auch für die individuelle
Beratung von Versicherten zuständig sein, von denen sie
persönlich oder im Rahmen ihrer Tätigkeit als Betriebsrat
angesprochen werden. Durch die räumlich und zeitlich
begrenzten Möglichkeiten, mit Versicherten direkt in
Kontakt zu treten, sind die tatsächlich zustande kommenden Gespräche über konkrete Anliegen der Versicherten
eher selten und auch nur unter der Voraussetzung mög-
Foto: Ralf Niemann (Verwaltungsrat bkk firmus)
lich, dass die Versicherten im Einzelfall wissen, welchen
setzung erfolgt aufgrund mangelnden Bedarfs auf Arbeit-
Regionalbeirat sie wo und wann kontaktieren können.
geberseite in der Regel nicht paritätisch. Die Mitgliederzahl
Versichertennähe bleibt in dieser Modellausprägung
eines Regionalbeirats beträgt derzeit insgesamt 12 Vertreter,
schwerpunktmäßig auf die eher allgemeine Beeinflussung
je nach Beirat ist die Zusammensetzung unterschiedlich.
des regionalen Versorgungsgeschehens beschränkt.
Die Vorschläge zur Listenbesetzung erfolgen durch die Gewerkschaftsvertreter in den Unternehmen, die Wahl erfolgt
Audi BKK
durch den Verwaltungsrat.26 Die Regionalbeiräte bestim-
Die BKK Audi verfügt ähnlich wie die AOK Bayern ebenfalls
men sog. »Beiratssprecher«, die den Verwaltungsrat der
über Regionalbeiräte. Sie wurden im Zusammenhang mit
BKK Audi über aktuelle Themen, Inhalte und Probleme in
der Fusion aller zur Volkswagen AG gehörenden BKK zur BKK
ihrem Zuständigkeitsbereich auf dem Laufenden halten.
Audi eingerichtet. Die BKK Audi strebt an, dass aus allen
Darüber hinaus denken die Versichertenvertreter im Ver-
Betrieben mindestens ein Vertreter in einen Regionalbeirat
waltungsrat der BKK Audi aktuell über die Einführung von
entsandt wird. Regionalbeiräte werden für diejenigen sechs
Versichertenberatern nach, um zusätzliche Ansprechpartner
Regionen eingerichtet, in denen Konzern-Betriebsstätten
für die Versicherten vor Ort in den Betrieben zu haben.
oder weitere Trägerunternehmen disloziert sind. Die Be25
25 Derzeit sind dies die Regionen Nord, Mitte, Ingolstadt, Neckarsulm, Singen, München.
19
26 Nicht zwingend sind dies Betriebsräte, es gibt auch Arbeitnehmervertreter ohne
Gewerkschaftszugehörigkeit, dann aber mit einschlägigen sozialpolitischen Erfahrungen.
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Barmer GEK
der TK zeigt sich, dass sich Fehlen einer regionalen Ebe-
In der Barmer GEK gibt es keine Regionalbeiräte, aber un-
ne, die nicht nur die regionale Präsenz der Krankenkasse
terhalb der Ebene des Verwaltungsrates sog. Vertrauensper-
leisten, sondern auch die Versichertenberater vor Ort be-
sonen. Vertrauenspersonen gehen auf die bewährte Ersatz-
treuen und beraten soll, nachteilig auswirkt, da der direkte
kassentradition zurück, Mitarbeiter in Personalabteilungen
Kontakt zwischen dem Verwaltungsrat und dem ehrenamt-
als Ansprechpartner der jeweiligen Kasse vorzusehen, die
lichen Berater die Arbeitnehmervertreter überfordert.
vor allem potentielle Neumitglieder werben sollten. Sie ermöglichen vor allem eine betriebliche Anbindung der Barmer
BKK ZF & Partner
GEK. Da sie häufig aus dem Kreis der Betriebsräte rekrutiert
Durch die Fusionen mit anderen Betriebskrankenkassen
werden, sind sie für die Mitarbeiter vor Ort im Betrieb gut
wurden ausgeschiedene Veraltungsräte als Versicherten-
ansprech- und erreichbar. Als Besonderheit dieser Modellva-
berater übernommen. Diese Versichertenberater sollen
riante muss festgehalten werden, dass die Vertrauensperso-
für Versichertennähe und gute Beratung stehen, d. h.
nen nicht nur von der Krankenkasse geschult, sondern auch
eine starke ortsnahe Verbindung zu den Versicherten
betreut werden. Der Verwaltungsrat der Barmer GEK hat mit
über den Betrieb ermöglichen. Versichertenberater sind
der Bestellung dieser nah an den Versicherten agierenden
zumeist auch Betriebsräte, die ihre Doppelrolle auch
Handlungsebene nichts zu tun. Die Vertrauenspersonen stel-
dazu nutzen, die BKK bei neueingestellten Mitarbeitern
len ein erweitertes Beratungsangebot der Geschäftsstellen
oder im Rahmen der Übernahme von Leiharbeitern bei
resp. Servicezentren dar und dienen auch der Mitgliederge-
den neuen Kollegen bekannt zu machen. Vorteilhaft wird
winnung für die Kasse in den Betrieben. Aus der Perspektive
diese Praxis auch im Hinblick auf die in vielen Betrieben
der Selbstverwaltung handelt es sich bei den Vertrauensper-
vorgesehene Einführung einer Gesundheitsförderung.
sonen der Barmer GEK um ehrenamtliche Ansprechpartner
der Kassen in den Betrieben, die eine Rückkoppelung an
AOK plus
den Verwaltungsrat und das Hauptamt ermöglichen sollen.
Versichertenälteste der AOK Plus, die keine regionalen
Selbstverwaltungsorgane kennt, haben die Aufgabe, di-
Techniker Krankenkasse
rekte Ansprechpartner für die Versicherten zu sein. Sie
Die ehrenamtlichen Berater der TK sind wie die Vertrau-
übernehmen dort, wo die AOK Plus keine Geschäftsstellen
enspersonen der Barmer GEK in den Betrieben aktiv.
unterhält, die Vertretung der Krankenkasse vor Ort. Versi-
Grundsätzlich übernehmen aber die Geschäftsstellen der
chertenälteste sind in der Mehrheit in der Geschäftsregion
TK die individuelle Kontaktpflege zu den Versicherten. Die
Thüringen im Einsatz, in Sachsen hat sich dieses Modell
ehrenamtlichen Berater arbeiten der Kasse zu und stellen
bisher nicht etabliert. Daneben werden von der Arbeitge-
ein erweitertes Serviceangebot der TK für die Versicherten in
berseite des Verwaltungsrates Vertrauensleute gewählt,
den Betrieben dar. Da die TK eine bundesweit operierende
die in den Betrieben im Rahmen des betrieblichen Gesund-
Kasse ist, ist sie in sehr vielen Betrieben präsent. Auch bei
heitsmanagements für die Arbeitgeber beratend tätig sind.
20
Empirie der Modellvarianten
Die folgende Tabelle listet die Ausprägungen der
Modellvarianten nach Krankenkasse auf:
Tabelle 2: Empirisch belegte Modellvarianten nach Kasse
Modellvariante
3-Ebenen-Modelle:
VR & Landesbeiräte &
Handwerksrepräsentanten
VR & Versichertenberater & Bezirksräte
VR & Versichertenberater
& Regionalausschüsse
2-Ebenen-Modelle:
Fokus auf regionaler Ebene:
VR & Regionalbeiräte
VR & Regionalbeiräte
Fokus auf örtlicher Ebene:
VR & Ehrenamtliche Versichertenberater
VR & Versichertenberater
VR & Vertrauenspersonen
VR & Versichertenälteste
Foto: Andreas Strobel (Verwaltungsrat SBK)
21
Krankenkasse
IKK Classic
AOK Baden-Württemberg
Knappschaft-Bahn-See
AUDI BKK
AOK Bayern
TK (Airbus Bremen)
BKK ZF & Partner
Barmer GEK
AOK plus
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
4Erfolgsfaktoren
Derzeit stellt sich die aufbau- und ablauforganisatorische
dadurch geschehen, dass regionale Besonderheiten in
Ausgestaltung von Praxismodellen zur Herstellung von
den Versorgungstrukturen auf Seiten der Leistungsan-
Versichertennähe in der GKV-Selbstverwaltung unein-
bieter mit den Bedürfnissen der Versicherten sowie den
heitlich dar: Es existiert ein Vielzahl an Modellvarianten.
Ansprüchen der im Geschäftsbereich der Krankenkasse
Sie weisen in ihrer Zusammensetzung, ihren Zustän-
ansässigen Betriebe aufeinander abgestimmt werden.
digkeiten, ihrem Selbstverständnis, ihrer Tradition und
Die Mitgestaltung hinsichtlich der Anpassung an die re-
ihren Aufgaben zum Teil große Unterschiede auf. Eine
gionalen Besonderheiten obliegt dem Regionalbeirat/
vollständige regionale Abdeckung durch Praxismodelle
Bezirksbeirat, der gemeinsam mit den Geschäftsstellen
wird nur in seltenen Fällen erreicht. Aus den hier un-
die hierfür nötigen Netzwerke und sozialen Kontakte auf-
tersuchten Varianten wurden Erfolgsfaktoren abgeleitet,
baut und einsetzt. Deutlich sind aber auch die begrenzten
die auf der Basis der normativen Analyse in Kapitel 2 als
Möglichkeiten der Regionalbeiräte, wenn es darum geht,
wesentlich für eine erfolgreiche Implementierung und Wei-
ein auf die individuellen Bedürfnisse der Versicherten
terentwicklung von Praxismodellen angesehen werden.
zugeschnittenes Betreuungs- und Beratungsangebot zu
27
leisten. Diejenigen Modellvarianten, denen die lokale resp.
Die zur Ableitung dieser Faktoren gewählte Methode
betrieblich angesiedelte Selbstverwaltungsebene in Form
orientiert sich am Modell der aus der quantitativen
der Versichertenberater/Versichertenältesten fehlt, sehen
Statistik bekannten Faktorenanalyse. Die Bildung der
die Herstellung individueller Versichertennähe entweder
Faktoren erfolgte induktiv und war theoretisch angelei-
als nicht nötig (Versicherteninteresse ist bekannt) oder
tet. Mehrfach genannte und von den Interviewpartnern
nicht realisierbar (organisatorischer Aufwand zu groß) an.
immer wieder erwähnte Aspekte wurden thematisch
zusammengefasst und auf ihre Übereinstimmung mit
Die individual- und regionalbezogene Herstellung von
den theoretisch hergeleiteten Merkmalen geprüft.
Versichertennähe wird nur dann gelingen, wenn alle drei
Ebenen von Selbstverwaltung ausdifferenziert werden.28
Vollständigkeit des Praxismodells
Wichtig ist aber nicht nur die Vollständigkeit in vertikaler
Die Herstellung von Versichertennähe wurde in zweifacher
Richtung. Auch auf der horizontalen Ebene müssen die
Hinsicht problematisiert. Regional sollte eine Krankenkas-
Modelle komplettiert werden, soll Versichertennähe nicht
se unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten
ein von Zufälligkeiten abhängiges »Exklusiv-Konzept« für
ein am Bedarf ihrer Versicherten orientiertes, qualitativ
wenige privilegierte Versicherte bleiben. Erforderlich ist
hochwertiges Leistungsangebot realisieren. Dies kann
deshalb, dass unabhängig von Kassenart, Betriebsgröße
27 Sehr weit vorangekommen ist die Umsetzung dieser Modelle im Geschäftsbereich
der AOK Baden-Württemberg. Geradezu beispielhaft wird Versichertennähe durch
Regionalausschüsse und Versichertenberater im Bereich der Knappschaft-BahnSee praktiziert. Diese kann allerdings auf eine langjährige Tradition im Umgang
mit beiden Modellvarianten als Rentenversicherungsträger zurückgreifen. Dennoch gestaltet sich auch hier die regionale Abdeckung unterschiedlich: Erfolgt
diese im Ruhrgebiet fast vollständig, so gibt es in den neuen Bundesländern noch
erhebliche Lücken.
und Listenträger ein flächendeckendes Netzwerk an Regionalbeiräten und Versichertenberatern realisiert wird.
28 D. h. auf der zentralen, mittleren und örtlichen Ebene.
22
Erfolgsfaktoren
Ein in horizontaler Hinsicht vollständig flächen- und be-
»Die Stärken des Regionalbeirats liegen in der
triebsabdeckendes 3-stufiges Selbstverwaltungsmodell
Informationsweitergabe aus dem Verwaltungsrat
darf jedoch nicht zur Folge haben, dass die wettbewerbli-
hinein in die Regionen … die Stärken des Versichertenbe-
che Konkurrenz der Kassen um Versicherte in den Betrie-
ratermodells liegen in der Betriebsnähe, in der Möglich-
ben ausgetragen wird. Eine Repräsentation aller Kassen in
keit nah an den Meinungen und Befürchtungen der Versi-
Unternehmen ab einer gewissen Mindestgröße ist ebenso
cherten zu sein.« (Interviewteilnehmer/in)
wenig praktikabel wie die Einrichtung eines »Ombudsmanns«, der für Versicherte aller Krankenkassen beratend
Aufbauorganisatorische Komplementarität
und betreuend tätig wird (ganz abgesehen davon, dass
Erforderlich ist weiterhin eine schnittmengenfreie
dieser kassenübergreifende Versichertenberater kaum
Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen den ver-
noch an die weiteren Selbstverwaltungsebenen anschließ-
schiedenen Ebenen der Selbstverwaltung. Sie müssen
bar wäre). Auch wenn es bei der Knappschaft-Bahn-See
aufbau- und ablauforganisatorisch komplementär
in der Praxis üblich ist, dass die Versichertenältesten
ausgestaltet sein. Dies bedeutet eine reibungslose
bspw. Reha-Maßnahmen oder Krankengeld-Anträge für
und ineinandergreifende Zusammenarbeit der Ak-
Versicherte anderer Krankenkassen begutachten, ist doch
teure, die sich mit unterschiedlichen Anforderungen
schwerlich vorstellbar, dass eine solche Praxis selbstorga-
und Erwartungen auseinandersetzen müssen, aber
nisiert entsteht. Es bedürfte auf dem Weg zu einem solchen
gemeinsame Ziele verfolgen sollten. Das schließt
Modell kassenunabhängiger Versichertenberater einer
eine klare Definition der Bring- und Holschuld bei
konzertierten Aktion der drei Akteure Gewerkschaften,
der Aufnahme und Weiterleitung von Informationen
Krankenkassen und Arbeitgeberverbände. Eine mögli-
und Erfahrungen ebenso mit ein wie das Wissen um
che Eingrenzung des hierin liegenden Konfliktpotentials
die Zuständigkeit der jeweils anderen Ebenen für
könnte auch in einer Regel liegen, wonach nur in den
die Realisierung des Ziels einer versichertennahen,
Betrieben (wiederum ab einer Mindestgröße) Kranken-
d. h. einer bedarfsgerechten Versorgung, die sich
kassen ihre Versichertenberater einrichten dürfen, in
an den regionalen Besonderheiten orientiert.
denen Betriebsräte mit einer entsprechenden Kassenzugehörigkeit tätig sind und deren Gewerkschaft zugleich
Die Kommunikation in horizontaler und vertikaler
als Listenträger bei eben dieser Krankenkasse auftritt.
Ebene erweist sich als notwendig, damit sich die zentralen, regionalen und örtlichen Aufgabenbereiche
Wenngleich bei kleineren Krankenkassen mit über-
ergänzen und sich der Herausforderung der wach-
schaubarer Mitgliederzahl und begrenztem regi-
senden Versichertenzahl annehmen können:
onalen Aktionsradius (wie z. B. bei kleineren und
vor allem geschlossenen Betriebskrankenkassen)
»Es herrscht ein gewisses Defizit innerhalb der Kas-
die Verwirklichung solcher Modelle aus Opportuni-
senstruktur, weil kein strukturierter Dialog zwischen
tätskostenerwägungen obsolet sein kann, gilt:
23
Regionalbeirat und Verwaltungsrat stattfindet, d. h. wenig
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Unterstützung durch das Hauptamt
Wo die Einführung von Versichertenberatern geplant
ist, geht dies nicht ohne eine gute Vernetzung von Verwaltungsrat und Regionalbeirat. Um eine gemeinsame
Strategie der Verwirklichung von mehr Versichertennähe
zu verfolgen, muss das Hauptamt die Selbstverwaltung
als wichtigen Akteur im Zusammenspiel sozialer und betriebswirtschaftlicher Aspekte begreifen. Hier muss gegebenenfalls noch Überzeugungsarbeit geleistet werden:
»Gegen den Willen der Geschäftsführung ist das
nicht möglich!« (Interviewteilnehmer/in)
Vor dem Hintergrund einer pluralistischen Herangehensweise (vgl. Kap. 2.5) lässt sich dem Hauptamt
gegenüber argumentieren, dass durch eine erkennbar
an den Präferenzen und Bedürfnissen der Versicherten orientierte Geschäftspolitik die WettbewerbspoFoto: Das Autoren-Team dieser Studie auf der Selbstverwaltertagung 2012:
(v. l. n. r.) Prof. Dr. Wüstrich, Andreas Hartje und Dr. Nora Knötig
sition der Kasse gestärkt wird. Von einer Legitimation
durch bedarfslagenorientierte Versorgung profitieren
Selbstverwaltung und Hauptamt gleichermaßen.
Info von unten nach oben auf dieser Linie.« (Interviewteil-
Individuelle Versichertennähe
nehmer/in)
Versichertennähe ist zunächst ein Konstrukt und muss
Die Organisation dieses komplementären Aufbaus
in der Praxis operationalisiert und als funktionsfähi-
muss zudem nicht nur auf allen drei Ebenen gege-
ges Modell etabliert werden. Die Unterscheidung von
ben sein, sondern darüber hinaus flächendeckend,
versorgungs- und betroffenheitsorientierter Versicher-
da für alle Versicherten gleiche Bedingungen gelten
tennähe muss auf verschiedenen Ebenen der Selbst-
sollten. Vor diesem Hintergrund muss sich die Eh-
verwaltung eingelöst werden, wenn eine umfassende
renamtsstruktur langfristig an einem konkret for-
Versichertennähe Ziel aller relevanten Akteure sein soll.
mulierten Verteilungsschlüssel orientieren.
29
29 Empirisch erwies sich das Versichertenberatermodell eher als eines von großen
Betrieben, weshalb es zunächst keine flächendeckend gleichmäßige Anzahl von
Versichertenberatern gibt (nicht überall finden sich gleichmäßig viele große Betriebe). Dabei entscheiden teils komplexe Schlüssel über ihre Verteilung, wie
beispielsweise in den Versichertenälteste-Bezirken im Knappschaft-Bahn-SeeModell: für je 7000 Mitglieder wird hier ein Versichertenältester gewählt.
Individuelle Versichertennähe kann über zufällig entstehende Kontakte hinaus nur durch ein flächendeckendes
Netz von Versichertenberatern hergestellt werden. Wo
diese in Betrieben angesiedelt sind, haben nicht nur die
24
Erfolgsfaktoren
Versicherten (geringe Transaktionskosten durch Betreu-
betriebliche Position als Ansprechpartner einsetzen
ung und Beratung am Arbeitsplatz, etabliertes Vertrau-
wollen, um Kolleginnen und Kollegen in gesundheitsre-
ensverhältnis zum Betriebsrat) unmittelbar erkennbare
levanten Fragen zu beraten. Diese erweiterte Tätigkeit
Vorteile. Es bestehen weiterhin Vorteile für die Kranken-
muss von den Mentoren, die in der Initialphase der
kasse, die ihre Beratungsleistung dort anbieten kann, wo
Einrichtung von Versichertenberatern in der Regel aus
Bedarf entsteht. Die in den meisten Fällen bestehende
dem Verwaltungsrat kommen, regelmäßig gewürdigt
Doppelrolle von Betriebsrat und Versichertenberater
werden. Die Regionalbeiräte, auf die mit der Etablierung
ermöglicht zudem die konsensorientierte Vermittlung
des Modells der Versichertenberater ein Großteil der
zwischen einem Mitarbeiter mit Gesundheitsproblemen
Koordinierungs- und Betreuungsaufgaben übergeht,
und eventuell daraus entstehenden arbeitsrechtlichen
hat hier eine informationelle Holschuld. Wo diese nicht
Konflikten mit der Geschäftsleitung. Versichertennähe,
eingelöst wird, wo nicht in regelmäßigen Abständen re-
die an den Einzelnen selbst ansetzt, wird dem pluralis-
gionale Informationsveranstaltungen und Konferenzen
tischen Praxismodell gerecht, das den Anspruch auf das
für die Versichertenberater abgehalten werden, kann
Mitwirken der Versicherten, mithin deren individuelle
der vertikale Informationsfluss nicht funktionieren und
und anlassbezogene Integration in das Versorgungs-
eine Transparenz über die Tätigkeit der Selbstverwal-
geschehen beansprucht. Vor diesem Hintergrund kann
tung für die Versicherten nicht geschaffen werden.
daher folgende Aussage kaum als repräsentativ gelten:
»Die Beiräte sind für die Versicherten kaum sichtbar;
muss auch nicht – wie die Kasse die Struktur für die
Kassenartenübergreifende
Aus-, Fort- und Weiterbildung
Versicherten schafft, kann ihm egal sein.« (Interviewteil-
Die Befragung bestätigte, was die im Rahmen des HBS-
nehmer/in)
Forschungsprojekts »Soziale Selbstverwaltung in der
GKV: Ökonomische und soziale Handlungsperspektiven
Mentoring
für Versicherte und Arbeitnehmer«30 durchgeführte Studie
Die Mentoren müssen geeignete »Persönlich-
zum Ergebnis hatte, nämlich die Wichtigkeit einer ein-
keiten« als Versichertenberater aussuchen:
schlägigen Aus-, Fort- und Weiterbildung. Angesichts der
»Das muss jemand wollen und vorantreiben und
Komplexität und Dynamik des Gesundheitssystems wird
dann die entsprechenden Leute finden. Ein Versi-
ein erheblicher Aus-, Fort- und Weiterbildungsbedarf in
chertenberater-Modell braucht Mentoren!« (Interviewteil-
rechtlicher, betriebswirtschaftlicher und gesundheitsöko-
nehmer/in)
nomischer Hinsicht festgestellt. Darüber hinaus sollte auch
die Methodenkompetenz der Selbstverwalter verbessert
Eine gute Vernetzung der Mentoren auf allen drei
werden. Ökonomische, rechtliche und organisatorische
Ebenen der Selbstverwaltung ist die Voraussetzung,
Grundlagen sollten möglichst zentral vermittelt werden,
um diejenigen Betriebsräte oder gewerkschaftlichen
was zusätzlich auch einen kassen- bzw. kassenarten-
Vertrauenspersonen ausfindig zu machen, die ihre
30 Vgl. Baumeister, Hartje, Knötig, Wüstrich (2012), HBS a. a. O.
25
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
und ebenenübergreifenden Erfahrungsaustausch unter
Die aktuelle Diskussion über die Fortentwicklung der
den Selbstverwaltern ermöglichte. Spezifische Inhalte
Selbstverwaltung problematisiert derzeit die durch die
und Problemlösungen mit regionalem Hintergrund soll-
dynamische Konzentration der Kassenlandschaft (Fusio-
ten dagegen auf der dezentralen Ebene vermittelt wer-
nen, Konkurse, etc.) größer werdende Distanz zwischen
den. Für eine zentrale Organisation der Aus-, Fort, und
Selbstverwaltern und Versicherten. Der angestrebte Aus-
Weiterbildung spricht ferner, dass einige Listenträger
bau der regionalen sowie örtlichen/betrieblichen Ebene
bereits über geeignete zentrale Bildungseinrichtungen
(Versichertenberater) sind unmissverständliche Anzei-
verfügen. Zudem wurde seitens der Befragten ange-
chen dafür, dass die Selbstverwaltung und ihre gewerk-
regt, diese deshalb kassenübergreifend abzuhalten,
schaftlichen Listenträger die »Zeichen der Zeit« erkannt
weil das als gewinnbringend für alle angesehen wird:
haben: die Bedeutung des Wettbewerbs der Kassen um
»Wir hatten gute Erfahrungen mit den kassenüber-
Versicherte, die konkreten individuellen Erwartungen der
greifenden Fortbildungen, die waren sehr gut … da
Versicherten an eine gute Versorgung, der auch vor dem
sind alle Versichertenvertreter zusammen gekommen. Hier
Hintergrund des demographischen Wandels für gewerk-
wurde wirklich über den eigenen Tellerrand geguckt, ge-
schaftliche Listenträger und ihre Kampagnenfähigkeit
fragt, wie machen die anderen das? Da kann man viel mit-
zunehmend wichtiger werdende Gesundheitsaspekt in
nehmen!« (Interviewteilnehmer/in)
einer dynamischen und globalisierten Arbeitswelt (betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention). Alle
In diesem Zusammenhang müssen auch mögliche Freistel-
diese Aspekte legen den Ausbau einer auf Versicherten-
lungsregelungen für die Selbstverwalter diskutiert werden.
nähe angelegten »modernen Selbstverwaltung« nahe.
Einigkeit bei den Befragten herrscht in der Überzeugung,
dass bei den bisherigen und zukünftigen Versichertenberatern der Schwerpunkt mehr auf Beratung und Betreuung und weniger auf Werbung für die Kasse liegen soll.
Abschließend muss mit Blick auf die hier beschriebenen Erfolgsfaktoren sichergestellt werden, dass
ihre Umsetzung weder von Kassenarten noch von
Listenträgern oder engagierten Einzelpersonen abhängig sein sollte. Es müssen personen- und organisationsunabhängige Strukturen gebildet werden.
26
Zusammenfassung
5Zusammenfassung
Gegenstand der durchgeführten Studie war die Unter-
auch in kleineren Betrieben präsent zu sein. Versi-
suchung konkreter Praxismodelle für mehr Versicher-
chertenberater werden durch ein professionelles
tennähe in der sozialen Selbstverwaltung. Dabei sollte
Mentoring in persönlicher, zeitlicher und sachlicher
erweiterter Handlungsspielraum der Selbstverwaltung
Hinsicht unterstützt und können somit, möglichst als
im Bereich individueller Beratung und Betreuung der
freigestellte Betriebsräte, eine unbürokratische und
Versicherten aufgezeigt werden. Die vorliegende quali-
in vertrauensvoller Atmosphäre stattfindende indivi-
tative Interviewstudie konnte gemäß der aufbauorgani-
duelle Beratung und Betreuung vor Ort leisten. Wird
satorischen Verankerung von Versichertenberatern und
eine zusätzliche Ebene in Form regionaler Beiräte
Regionalbeiräten (vgl. Kapitel 2.3) aufzeigen, dass es zur
vorgesehen, spiegeln diese das regionale Versorgungs-
Herstellung von mehr Versichertennähe insgesamt drei
geschehen über den Verwaltungsrat an das Hauptamt.
Möglichkeiten innerhalb der untersuchten Modellvarian-
So kann der Informationsfluss von den betroffenen
ten gibt, die auf unterschiedliche Handlungsperspektiven
Versicherten über die regionale Ebene hin zum Ver-
verweisen. Wenngleich sich die vorgefundenen Inter-
waltungsrat optimiert werden. Die Versichertenberater
essenslagen und Perspektiven der Krankenkassen, der
erarbeiten mit den Regionalbeiräten Perspektiven für
Gewerkschaften, der Arbeitnehmer-Selbstverwalter, der
eine bessere Beratung und Betreuung der Versicherten
Betriebe und der Versicherten durchaus im Spannungsfeld
in den Betrieben wie auch in der Region. Die aus der
konkurrierender Erwartungen befinden, zeichnete sich
Praxis im Kontakt mit den Versicherten gewonnenen
doch deutlich ab, dass aufgrund der unterschiedlichen
Informationen ermöglichen die Identifizierung von
Aufgabenzuordnung nur über ein geschlossenes Praxismo-
Best-Practice-Modellen zur Verwirklichung einer guten
dell größtmögliche Versichertennähe hergestellt werden
Versorgung. Die diskutierten Praxismodelle können
kann. Dies bedeutet, dass die volle Funktionalität aller
darüber hinaus auch einen kasseninternen Wettbewerb
möglichen Aufgaben sich nur dann entfalten kann, wenn
der regionalen Organisationseinheiten einer Kasse
alle drei Ebenen besetzt werden. Entsprechend lässt sich
um die bestmögliche Versorgung ihrer Versicherten
aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie eine »ide-
initiieren. Mehr Versichertennähe bedeutet demzufolge
altypische« Situation ableiten, die wie folgt aussieht.
einen entscheidenden Mehrwert für alle Beteiligten.
Wo die 2-Ebenen-Modelle (vgl. Kapitel 3.2) um eine
Die Untersuchung der Praxismodelle zeigte aber auch
dritte aufbauorganisatorische Ebene innerhalb der
Probleme auf. So wurde in der Befragung ein gewisses
Selbstverwaltung ergänzt werden, sind die Vorausset-
»Einzelkämpfertum« erkennbar. Dies kann möglicher-
zungen für die Verbindung der Versicherten zu ihrer
weise auf die Heterogenität der Einzelgewerkschaften
Krankenkasse optimal gewährleistet. Ein flächende-
und ihrer programmatischen Ausrichtungen zurück-
ckendes Netz von Versichertenberatern ermöglicht
geführt werden. Nachteilig ist ferner, dass einige Kas-
den Krankenkassen über die Geschäftsstellen hinaus
senvorstände die Herstellung von Versichertennähe
31 Regionalbeiräte und Versichertenberater.
durch die Selbstverwaltung für unnötig halten.
31
27
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Problematisch für eine stärkere Outputlegitimation von
Abschließend wird mit Blick auf gesamtgesellschaftliche
Selbstverwaltung ist, dass die Versicherten häufig den
Entwicklungen deutlich, dass die Umsetzung von mehr Ver-
Zusammenhang zwischen guter Versorgung und Selbst-
sichertennähe auch für sich allein genommen einen wich-
verwaltungsarbeit gar nicht herstellen. Für die Outputlegi-
tigen Wert darstellt. Aus der Perspektive der Versicherten
timation von Selbstverwaltung ist es daher unabdingbar,
werden die Kassen mehr und mehr zu amorphen, unper-
dass die Versicherten den Zusammenhang von guter
sönlichen Großorganisationen. Die hier vorgestellten Pra-
Versorgung und Selbstverwaltungsarbeit herstellen. In
xismodelle bieten allen Beteiligten die Chance, dieses Bild
diesem Zusammenhang muss deutlich werden, dass
zu korrigieren. Mehr Versichertennähe betont den bürger-
Regionalbeiräte und Versichertenberater Teil der Selbst-
nahen, partizipativen, subsidiären, dezentralen, versicher-
verwaltungs- und nicht der Kassenorganisation sind.
orientierten und demokratischen Charakter sozialer Selbst-
Glaubwürdige Interessenvertretung – Ergebnisorientierung
verwaltung. Dies kann nur über die Versicherten selbst und
– Transparenz: Mit dieser Ausrichtung der Selbstverwal-
ihre Selbstverwalter verwirklicht werden und trägt damit
tungsarbeit werden nicht nur die Listenträger kampagnen-
zu einem Versicherungswesen bei, das unter »maßgeb-
fähig, sondern auch wählbar im besten Sinne des Wortes.
licher Mitwirkung der Versicherten«32 geschaffen wird.
32 Vgl. Artikel 161 der Verfassung des Deutschen Reiches von 1919: »Zur Erhaltung
der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutz der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen
des Lebens schafft das Reich ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten.«
28
Anhang
6Anhang
6.1Literatur
■■ Nürnberger, Ingo; Frank, Marco (2012):
■■ Baumeister, Katharina; Hartje, Andreas; Knötig, Nora;
Vorschläge zur Weiterentwicklung der Sozial-
Wüstrich, Thomas (2012): Handlungsfelder identifizie-
wahlen und Stärkung der sozialen Selbstverwaltung,
ren, Hemmnisse abbauen, Handlungskompetenzen
in: Soziale Sicherheit 4/2012, S. 148-151.
stärken, in: Soziale Sicherheit 8-9/2012, S. 293-299.
■■ Urban, Hans-Jürgen (2011): Soziale Selbstverwal-
■■ Baumeister, Katharina; Hartje, Andreas; Knötig, Nora;
tung: Eine problemorientierte Weiterentwicklung
Wüstrich, Thomas (2012): Soziale Selbstverwaltung in
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Ökono-
ist nötig, in: Soziale Sicherheit 11/2011, S. 364.
■■ Teichmann, Ulrich (1993), Wirtschafts-
mische und soziale Handlungsperspektiven für Versi-
politik, 4. Auflage, Tübingen.
cherte und Arbeitnehmer. Handlungsfelder identifizieren – Hemmnisse abbauen – Handlungskompetenzen
stärken. Erscheint in Kürze als HBS-Arbeitspapier.
■■ Beier, Angelika/Güner, Günter (2011): Selbstverwaltung
braucht Versichertennähe, Versorgungsorientierung und
Transparenz, in: Soziale Sicherheit 11/2011, S. 372-376.
■■ Blankart, Charles B. (2008): Öffentliche
Finanzen in der Demokratie, München, 7. Aufl.
■■ Der Bundesbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen (2012): Schlussbericht über die Sozialwahlen 2011, Berlin 2012, S. 25, 222. Online zu finden
unter: www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/
DE/PDF-Publikationen-DinA4/a411-schlussberichtsozialwahlen-2011.pdf?__blob=publicationFile
■■ Güner, Günter (2012): Selbstverwaltung
verteidigen und weiterentwickeln,
6.2Abkürzungsverzeichnis
in: Soziale Sicherheit 6/2012, S. 206-211.
AOK
■■ Kienle, Sascha (2010): Ehrenamtliche AOK-Versichertenberater – ein praktikables Modell?! Unveröffentlichte
BKKBetriebskrankenkasse
BKK ZF & Partner
Studienarbeit, Studiengang »AOK-Betriebswirt/-in«
(2008) aus der AOK-Bezirksdirektion Ulm-Biberach.
■■ Leopold, Dieter (2012): Die Tätigkeit der
Allgemeine Ortskrankenkasse
Betriebskrankenkasse
Zahnradfabrik und Partner
DRV
Deutsche Rentenversicherung
GKV
Gesetzliche Krankenversicherung
von der Selbstverwaltung gewählten
HBSHans-Böckler-Stiftung
Versichertenältesten bzw. Versichertenberater, in:
SGBSozialgesetzbuch
Soziale Sicherheit 6/2012, S. 223-227.
TK
29
Techniker Krankenkasse
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Raum für Notizen
30
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Raum für Notizen
31
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
32
PRAXISMODELLE FÜR MEHR VERSICHERTENNÄHE IN GESETZLICHEN KRANKENKASSEN
Materialien
Die Arbeitshilfe für gewerkschaftliche Selbstverwalterin-
Die »Starthilfe« erleichtert Neulingen den Einstieg
nen und Selbstverwalter in der GKV soll denjenigen eine
in das komplexe Feld der Gesundheitspolitik und
Hilfestellung sein, die das Thema Krankengeldmanage-
führt in die Aufgaben der Selbstverwaltung ein. Zu
ment im Interesse der Versicherten anpacken wollen. Sie
den Themen Versorgung, Versichertennähe und
enthält rechtliche Hinweise und einen Fragenkatalog.
Transparenz zeigt sie auf, wie Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter initiativ werden können.
Bezug: Mitglieder und Funktionäre der IG Metall über das Extranet (www.extranet.igmetall.de),
Einzelexemplare bitte bei Agnes Stoffels ([email protected]) anfordern.
33
www.igmetall.de