Analytische Grundlagen spiritueller und religiöser

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Analytische Grundlagen spiritueller und religiöser
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Analytische Grundlagen
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
als Beitrag zur Diskussion
über die Berechtigung des Faches „Instruction Religieuse et
Morale“
an Luxemburger Schulen
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Erklärung
„Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit nach den Vorschriften der
Großherzoglichen Bestimmung vom 23. April 1981 selbstständig verfasst
und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt
habe. Alle Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder Sinn
nach entnommen wurden, habe ich in jedem Fall unter Angabe der Quelle
als Entlehnung kenntlich gemacht. Das Gleiche gilt auch für die
beigegebenen Zeichnungen, Kartenskizzen und Darstellungen.“
Luxemburg, im August 2010
Sandra Droste
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Sandra M. Droste
Professeur candidate d’Instruction religieuse et morale,
au Lycée Michel-Rodange Luxembourg
Analytische Grundlagen
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
als Beitrag zur Diskussion
über die Berechtigung des Faches „Instruction Religieuse et
Morale“
an Luxemburger Schulen
Travail de candidature im Fach Instruction religieuse et morale
Luxemburg 2010
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Zusammenfassung
In jüngster Vergangenheit steht das Unterrichtsfach „Instruction Religieuse et Morale“ an
Luxemburger Schulen unter wachsendem gesellschaftlichem Beschuss. Groß ist der Anspruch
an die schulischen Institutionen, moralische Werte und Bildungsinhalte zu vermitteln.
Umstritten ist jedoch, ob diese Werte weiterhin parallel zum Unterrichtsfach Moral auch in
verantwortlichen Händen des klassischen religiösen Religionsunterrichts liegen oder auf ein
neues Unterrichtsfach mit Arbeitstitel „Einheitsfach“ ohne institutionelle Beeinflussung durch
die Kirche verlegt werden sollen. Wenig beleuchtet, ja geradezu vernachlässigt wurde bei
dieser Diskussion bisher die Frage, welche spirituellen und religiösen Grundlagen bzw. haltungen Luxemburger Jugendliche heute mitbringen, um sich auf das eine oder andere Fach
einzulassen und in diesem Kontext nachhaltig gebildet zu werden. Die vorliegende Arbeit geht
eben dieser Frage nach.
Nach einer Einleitung, die Nutzen und Motivation der vorliegenden Arbeit verdeutlichen soll,
untersucht das zweite Kapitel die Frage, was Religiosität und Spiritualität in ihrer
Vielschichtigkeit und angesichts einer vorherrschenden Begriffsverwirrung heutzutage
bedeuten können und sollen. Zur Sprache kommen Begriffe wie Kirchlichkeit, Christlichkeit,
Glaube, Heiligkeit, Moral, Ethik, Tugenden und Werte. Vorgestellt wird das Messverfahren
zur Religiosität von Stefan Huber. Außerdem wird kritisch hinterfragt, ob Religiosität etwas
dem Menschen Eigenes ist, und in welchem Verhältnis Religiosität, Moralität und
tatsächliches Verhalten stehen.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, der sich Religiosität
in Luxemburg gegenübersieht. Analysiert werden verschiedene Bereiche, die Auskunft darüber
geben, in welchem Werteklima Luxemburger Jugendliche aufwachsen, welche Stellenwert
Religiosität in Luxemburg besitzt und welche pastorale Bemühungen seitens der Kirche und
des Staates unternommen werden, um Religiosität im Großherzogtum zu fördern.
Im vierten Kapitel werden Besonderheiten der Zielgruppe „Jugendliche“ im Zusammenhang
mit Religiosität erkundet. Dabei geht es insbesondere um die Prägungsstätten sowie
alternative Ausdrucksformen von Religiosität.
Das fünfte Kapitel problematisiert die Messbarkeit von Religiosität. Dies geschieht zunächst
auf theoretischer Basis, dann anhand einer Analyse bisheriger Studien, die sich mit dem
Thema „Religiosität“ auseinandersetzen. Diese werden auf der Grundlage der im zweiten
Kapitel getroffenen Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Aussagekraft bezüglich Religiosität
Jugendlicher bewertet.
Das sechste Kapitel fasst die erworbenen Erkenntnisse über das Großherzogtum als Ort für
Religiosität zusammen und begründet die Notwendigkeit einer weiterführenden
Kulturtheologie im Luxemburg der Zukunft unter besondere Berücksichtigung der Frage nach
nachhaltiger Wertebildung. Es diskutiert die Berechtigung des Faches am hiesigen Standort
auf Grundlage der vorangegangenen Ergebnisse.
Der abschließende Ausblick engagiert sich für Werte-Bildung als einem wichtigen Beitrag zu
einer friedvollen, glücklichen Gesellschaft und bewertet dessen Chancen in dem Fach
„Instruction Religieuse et Morale“ sowie in einem Einheitskurs.
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Danksagung
Mein Dank gilt an dieser Stelle Herrn Helmut Häring, der von Anfang an
mit Interesse und Geduld diese Arbeit als Tutor mitgetragen und betreut
hat. Ich danke ihm herzlich für die wissenschaftliche und menschliche
Begleitung und bin ihm für die interessanten Hinweise und Gespräche
sehr verbunden.
Auch danke ich Herrn Professor Dr. Udo Schmälzle, Lehrstuhldozent für
Pastoraltheologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
(Deutschland). Er trug durch seine durchgängig wertschätzenden und
bereichernden Rückmeldungen dafür Sorge, dass hier etwas Eigenes
entstehen konnte.
Weiterhin dankbar bin ich Herrn Generalvikar Mathias Schiltz, der mich
ermutigt hat, auf diesem Gebiet zu forschen.
Ebenso zolle ich meinem Fachkollegen am Lycée Athenée Luxembourg
Herrn Jean-Louis Gindt Dank und Anerkennung für hilfreiche Einblicke
in Daten und Statistiken über Jugend und Religion in Luxemburg.
Sehr geschätzt habe ich den Gesprächsaustausch mit verschiedenen
Pfarrern des Bistums Luxemburg, allen voran Herr Emile André. Sie
zeigten mir hilfreich unterschiedliche Aspekte der Jugendpastoral in
Luxemburg auf und sind mir ein Beispiel für Idealismus bei der Arbeit mit
Jugendlichen.
Danken möchte ich auch dem Jugendpfarrer Luxemburgs, Herrn Edmond
Ries, für das zur Verfügung Stellen vieler inhaltlicher Materialen zum Pélé
des Jeunes, der Springprozession in Echternach und der Willibrord-Oktav.
Herzlich gedankt sei allen Schülerinnen und Schülern, die mich zu dieser
Arbeit inspiriert und motiviert haben.
Zum Schluss danke ich besonders meiner Familie: meinen Eltern Helga
und Hans-Willi Pomp, die immer an mich glauben, und auch meinen
Kindern Oliver, Helena und Jonathan für ihre Geduld und die Freude, die
sie am Leben haben und verschenken. Vor allem aber danke ich meinem
Ehemann Dirk. Der Abschluss dieser Arbeit ist sein Verdienst als
kritischer Leser, geduldiger Vater und warmherziger Lebenspartner.
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Für Oliver
Für Helena
Für Jonathan
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Die
vorliegende
Arbeit
ist
nach
den
Regeln
der
überarbeiteten
deutschen
Rechtschreibreform (Stand 2010) verfasst. Wörtlich übernommene Zitate verbleiben
unverändert in ihrer originalen Schreibweise.
Zugunsten einer flüssigen Lesart wird bei Personenangaben wie „Schüler“, „Lehrer“ etc.
auf die weibliche Form verzichtet. Sie sei jedoch immer miteingeschlossen.
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Ich bin ein Sucher
Eines Weges.
Zu allem was mehr ist
Als
Stoffwechsel
Blutkreislauf
Nahrungsaufnahme
Zellenzerfall.
Ich bin ein Sucher
Eines Weges
Der breiter ist
Als ich.
Nicht zu schmal.
Kein Ein-Mann-Weg.
Aber auch keine
Staubige, tausendmal überlaufene Bahn.
Ich bin ein Sucher
Eines Weges.
Sucher eines Weges
Für mehr als mich.
Günter Kunert
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1. Einleitung
1. 1
Persönlicher Zugang zum Thema und Relevanz der Arbeit
„Der Typ des Religionskomponisten symbolisiert am deutlichsten die
unter säkularen Bedingungen entstandene spirituelle Suche. Dabei
sind die Dimensionen dieser breiten Kulturbewegung bunt und
vielfältig – und viel zu wenig erforscht.“
Paul Zulehner, Religionspädagoge 1
„Versucht nicht, uns zu verstehen.
Ihr könnt uns untersuchen, befragen, interviewen, Statistiken über uns
aufstellen,
sie
auswerten,
interpretieren,
verwerfen,
Theorien
entwickeln und diskutieren, Vermutungen anstellen, Schlüsse ziehen,
Sachverhalte klären, Ergebnisse verkünden, sogar daran glauben.
Unseretwegen. Aber Ihr werdet uns nicht verstehen.
Wir sind anders als Ihr. (…)
Wir sind unfassbar. Das ist unser Geheimnis.“
Peter König: „Wir sind Vodookinder“2
Peter Königs Text als Antwort auf Paul Zulehners explizierten Forschungsbedarf klingt
ermutigend und entmutigend zugleich. Etwas über Jugendliche, gar zum Thema Religiosität
herausfinden, was soll das? Geht das?
„Jesus ist an einer Krankheit gestorben.“ Dieser Satz eines zwölfjährigen Schülers aus
meiner 7. Klasse brachte mich im Jahr 2005 beim Korrigieren der Trimesterprüfung im
Fach „Religion“ erst einmal zum Schmunzeln, ja, beim Erzählen im Familienkreis zum
lauten Lachen. Je öfter ich mir diese Aussage vorsagte, nahm sie mich jedoch auch mit wurde mir doch bewusst, welche Dimension die in der Gesellschaft oft konstatierte, nicht
selten beklagte Ferne zwischen Jugendlichen und Religion für mich persönlich erreicht hat.
Der „Steckbrief Jesu“ war im Unterricht konkret besprochen worden, aber es ging mir
weniger um die Tatsache, dass der Schüler innerhalb eines guten Klassendurchschnitts nicht
ausreichend gearbeitet hatte. Vielmehr zeugte die Antwort auf die Prüfungsfrage von einem
Mangel an religiöser Bildung, auf den ich in diesem Ausmaß nicht vorbereitet war: An einer
1
2
Zulehner (2005b), S. 100.
Zitiert nach Kuld (2001), S. 115.
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katholischen Privatschule, in deren Eingangshalle und auf den Fluren Kruzifixe hängen, in
einem Land mit einem katholischen Bevölkerungsanteil von etwa neunzig Prozent soll das
Kreuz keinerlei Bedeutung mehr in sich tragen? Nicht daran glauben... - akzeptiert. Aber es
selbst als Alltagsgegenstand nicht mehr wahrnehmen… - wie ist das möglich; und was
bedeutet es für mich persönlich, als Religionslehrerin, als Mutter dreier Kinder, aber auch
Gemeindemitglied und als Bürgerin eines Landes beziehungsweise eines geeinten Europas,
das sich auf eine christlich-abendländische Wertetradition beruft? Religionslehrer Reiner
Jungnitschs Antwort ist nicht eben hoffnungsstiftend, wenn er sagt: „Von Glauben zu
reden, ist nicht gerade Mode. Das hat gleich so einen frommen Beigeschmack, riecht nach
Kirche, Weihwasser und trockenen Sprüchen. Je nachdem, was man in dieser Richtung für
Erfahrungen gemacht hat, ist eine solche skeptische bis ablehnende Haltung sehr
verständlich.“3
In Luxemburg steht die Legitimation des klassischen RUs4 derzeit auf dem Prüfstand, mehr
noch: auf der Kippe. Insbesondere das „Bündnis für d’Trennung vu Kierch a Stat“5 macht
sich diesbezüglich stark für eine schulpolitische Richtungsänderung und einer
Verabschiedung der Kirche aus den öffentlichen Schulen. Als Alternative schlägt das
Bündnis tvkas im Namen des Zusammenschlusses verschiedener Organisationen wie
“Liberté de Conscience a.s.b.l.“ und Sokrates (Internetportal für kritische ZeitgenossInnen) oder
Parteien wie „Déi jonk Greng“, den Jungsozialisten, den Jungliberalen und den Linken die
Einführung eines Einheitsfachs vor.
Hinzu kommen die Negativschlagzeilen über die Institution Kirche, die es in jüngster
Vergangenheit zu Genüge gegeben hat. Da gibt es die Bischöfe wie den britischen
Erkonservativen Richard Williamson, der mit seinen Genossen der Piusbruderschaft durch
Papst Benedikt XVI. von der Exkommunikation rehabilitiert wurde und es bleibt, obwohl
er öffentlich den Holocaust leugnet und dafür im April 2010 von einem deutschen Gericht
zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Da ist der brasilianische Bischof José Gomes
Sobrinho, der 2009 ein seit seinem sechsten Lebensjahr vom Stiefvater missbrauchtes
neunjähriges Mädchen exkommunizierte, das mit Zwillingen schwanger wurde und diese
abtrieb, weil es die Entbindung wahrscheinlich nicht überlebt hätte. Auch die Mutter des
Mädchens sowie die ausführenden Ärzte wurden exkommuniziert, nicht aber der überführte
3
Jungnitsch (1996), S. 8.
Hier zukünftig kurz RU.
5
Hier zukünftig kurz Bündnis tvkas.
4
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Täter. Auch wenn die offizielle Kirchenseite sich nach dem öffentlichen Aufschrei der
Empörung über den Fall entschuldigte, bleibt bei Vielen Groll über eine Institution, die
Nächstenliebe und Gerechtigkeit predigt, selbst jedoch anders richtet und handelt.
Es gibt Pressestimmen, die den Vatikan und seine Entscheidungen verteidigen, wie etwa der
Journalist Peter Seewald, der in einem Online-Artikel das päpstliche Verhalten zu läutern
versuchte: Papst Benedikt handle, wenn er Leuten wie Williamson „die Hand
entgegenstrecke, (...) wie einst Jesus“. Schließlich habe er doch auch gegen Folter
aufgerufen, den Turbokapitalismus „gegeißelt“, Kriege verurteilt, den Dialog mit anderen
christlichen Kirchen, den Juden und dem Islam gesucht, als erster Papst überhaupt eine
jüdische Synagoge besucht, mit „persönlicher Anteilnahme“ in Auschwitz des Holocaust
gedacht und sei nie müde geworden, jegliche Form von Antisemitismus zu verurteilen.6
Seewalds Plädoyer bleibt jedoch ein relativ einsamer Ruf gegen einen Chor der Empörung,
der 2010 einen weiteren Höhepunkt erreicht: Eine besonders schlimme Welle von
Negativschlagzeilen überschwemmt u.a. auch die Luxemburger Presse, seitdem in den USA,
Irland und im deutschsprachigen Raum unzählige Fälle von Misshandlungen und
Missbrauch durch Geistliche beziehungsweise Angestellte im Kirchendienst an
Schutzbefohlenen wie Messdienern und Schulkindern öffentlich geworden sind. Die Wut
der Menschen fußt nicht allein auf der Tatsache des Missbrauchs an sich, sondern auch auf
die vielfach hinzukommenden Vertuschungsbemühungen seitens der verantwortlichen
institutionellen Träger.7
Was bedeutet dies für den RU an Luxemburger Schulen? Falls Glaube tatsächlich aus der
Mode gekommen ist, falls die Kirche als Institution in der öffentlichen Meinung so unter
Beschuss steht, muss sich die Schule nicht auch entsprechend bewegen? Gilt in puncto
Bildung im Zusammenhang mit verschiedenen Fächeroptionen nicht das Prinzip von
Angebot und Nachfrage, so auch im RU?
Ebenfalls im Jahr 2005 erlebte ich völlig andere Bilder: August 2005, Weltjugendtag in
Köln, es versammeln sich in den Gemeinden Tausende Jugendliche, unter ihnen viele aus
Luxemburg. Die Kirche ist lebendig, zumindest hier. Junge Menschen aus der ganzen Welt
haben eine weite Reise auf sich genommen, singen religiöse Lieder, tanzen, hören den
Worten Papst Benedikts XVI. gebannt zu, besuchen Gottesdienste und Workshops, kaufen
6
Seewald (2009), Quelle: http://www.zeit.de/online/2009/06/seewald-papst.
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
religiöse Bücher. Wenige Monate zuvor war im Fernsehen ein ähnlicher Zulauf beim
Sterben Papst Johannes Pauls II., seiner Beerdigung sowie der Wahl seines Nachfolgers zu
verfolgen. Nicht seine Altersgenossen prägten das Bild auf dem Petersplatz, es waren
unzählige Jugendliche und junge Erwachsene, die der Geschehnisse ausharrten, beteten und
mitfeiern wollten.8 Und im Klassenraum? Da sprechen mich Zehntklässler an: „Haben Sie
eigentlich das Buch von dem deutschen Comedytypen gelesen, dem Hape Kerkeling? Der
ist ja gepilgert! Total weit! Cool.“ Ja, gelesen hatte ich das, aber nicht damit gerechnet, dass
solch eine Idee eines Komikers oder gleich wessen sonst Jugendliche in irgendeiner Weise
beeindrucken („vom Hocker reißen“...) würde. Hans-Peter Kerkeling landete 2006 einen
Bestseller über seine 800 Kilometer lange, keineswegs humoristisch gemeinte Pilgerreise
zum Grab des Apostels Jacobus in Santiago de Compostella – und die Schüler sind
beeindruckt?! Noch 1990 erwarben keine 5000 Wanderer das Pilgerzertifikat dorthin, 2006
waren es 100.000.9
Luxemburg im November 2005: Innerhalb von 24 Stunden nehmen sich drei Jugendliche in
der Hauptstadt das Leben, zwei von ihnen hatten viele Jahre konfessionelle Schulen
besucht. Familien, Freunde, Mitschüler und Lehrer sind schockiert – wer hat versagt?
Schüler, die sonst stets ihre Antihaltung gegenüber Glauben und erst recht Kirche betonten,
gestalten die Trauerfeier mit religiösen Texten und fragen nach dem „Danach“. In der
Aufarbeitung bitten Eltern wie Schüler um Beistand, auch bei Geistlichen, auch bei
Religionslehrern, auch bei mir. – Also doch: „Kirche, nein, danke, und auch keine
moralischen Vorschriften, kein Beten um des Betens willen“ – aber Spiritualität, Antworten
auf Fragen, ein Halt im Nichts… suchen Jugendliche nicht doch danach?
Was sind das für Jugendliche? Was war das für ein religiöser Fankult, ähnlich wie bei
Popstars, vor dem großen Sturm? Daheim im Alltag sind die Kirchenbänke leer, die
Religionslehrer beklagen Abmeldungen aus dem Unterricht, Tischgebete finden nur noch in
den wenigsten Familien statt; religiöse Feste wie Weihnachten oder Ostern erfahren
Sinnentfremdung durch ausschließliches Konsumverhalten, ihre tieferen Bedeutungen sind
7
Vgl. hierzu entsprechende Presseberichte etwa bei www.tagesspiegel.de im jeweiligen Jahr.
Ähnliche Gedanken machten sich in diesem Zusammenhang Riegel, Kalbheim und Ziebertz:
„Bei den Trauerfeiern um Johannes Paul II. lobten junge Menschen ihn als Vorbild.
Gleichzeitig wurde das Gerücht kolportiert, die römischen Straßenkehrer hätten besonders mit
gebrauchten Kondomen zu kämpfen. Als Schlaglicht legt diese Episode zwei Schlüsse nahe:
Heutige Jugendliche sind ansprechbar für religiöse Sinnangebote, aber sie wollen selbst
bestimmen, wie weit sie ihnen folgen.“ Dies. (2005), S. 16.
9
Siehe hierzu Weber (2006), S. 69.
8
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
vielen nicht mehr bekannt, und zwar nicht nur in Luxemburg – viele Staaten im
zusammenwachsenden Europa stellen einen Bruch zwischen Kirche und Jugend fest,10 und
im Leitartikel von Luxemburgs größter Tageszeitung, dem Luxemburger Wort, beklagt Léon
Zeches im Mai 2006 im Zusammenhang mit dem Roman und Kinofilm The Da Vinci Code
„religiösen Bildungsnotstand“ und fordert Kultur- und Schulpolitik unseres Landes dazu
auf, dem entgegenzuwirken.11 Was aber folgt, sind öffentliche Streitigkeiten über die Rolle
des Religions- beziehungsweise Wertunterrichts in einem Sozialwort seitens der
katholischen Kirche Luxemburgs und keine konkreten, konstruktiven Handlungsschritte.
Augenscheinliche Abwesenheit von religiösem Wissen und Handeln im Alltag,
reger Zulauf bei christlichen Events, Suche nach spirituellem Beistand – wie
kommt es zu diesen scheinbaren Widersprüchen, was bedeuten sie und wie kann
ihnen die Schule mit ihrem Bildungsauftrag und einem entsprechenden
Unterrichtsfach begegnen?
Im Folgenden will nach jugendlicher Religiosität und Spiritualität fragen und mit dieser
Arbeit Grundlagen für eine entsprechende empirische Studie schaffen.
Mir stellt sich hierzu eine Reihe von Fragen:
1.
Hat Religiosität für Jugendliche in Luxemburg innerhalb einer weitgehend
säkularisierten Alltagswelt eine lebensweltliche Bedeutung oder müssen wir
tatsächlich feststellen und hinnehmen, dass Jugendliche mit Religion nichts mehr „am
Hut“ haben, dass sie gar atheistisch sind?
2.
Was bedeutet es eigentlich, einen Menschen als religiös zu bezeichnen? Wie kann
Religiosität im Zusammenhang mit Jugendlichen überhaupt definiert werden?
3.
Gibt es eine Art Spiritualität, die sich an das Christentum anlehnt oder ihr als eine
Alternative Konkurrenz macht? In welchem Bedeutungszusammenhang steht diese
mit dem klassischen Verständnis von Religiosität?
4.
Welchen Stand hat Religiosität in Luxemburgs Lebenswirklichkeit? Welches
Pastoralangebot gibt es im Großherzogtum?
5.
Wie kann ich verlässliche Antworten auf die Frage nach der empirischen Erfassung
von jugendlicher Religiosität finden? Wie soll ich Jugendlichen die Frage antragen?
10
Dem Säkularisierungsprozess der europäischen Jugend schenkte bereits 1987 das Göttinger
Symposium unter der Leitung von Ulrich Nembach Aufmerksamkeit. Ders. (1990).
11
Zeches (2006a), S. 3.
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Welche Prägungsorte jugendlicher Religiosität sind zu beachten, wo erkenne ich
weiteren Forschungsbedarf?
6.
Ist Religiosität messbar und gibt es bereits entsprechende Erkenntnisse
beziehungsweise Datenmaterial in Luxemburg? Was sagt es mir, was kann ich mit
den Antworten anfangen? Reichen sie mir?
7.
Welches Recht und welchen Wert hat Religiosität in unserer heutigen Gesellschaft?
und schließlich
8.
Welche Relevanz und Berechtigung besitzt das Fach „Instruction Religieuse et
Morale“ an
Luxemburger Schulen?
Diesen Fragenhorizont und dieses Interesse hege ich persönlich, unterstelle sie aber auch
der Gesellschaft. Wir alle sehen uns traurigerweise mehr denn je einem Wertekrieg
gegenüber, der sich eher um religiösen Fundamentalismus als um Politik zu drehen scheint,
und uns konfrontiert mit (nicht nur religiösen) Vorurteilen und Hass.12
Wie legt man aber kulturell motivierte Konflikte bei, ohne die eigenen Werte und kulturellen
Wurzeln zu kennen und zu verstehen? Kann der Mensch nicht erst durch das Wissen um
die eigene Position eine Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen entwickeln?
Diese Arbeit, die im Kontext der gesetzlichen Bestimmung der Lehrerausbildung im Staat
Luxemburg steht,13 ist für die Luxemburger Gesellschaft insofern von Nutzen, weil der
Staat bisher stets eine enge und aufgeschlossene Haltung gegenüber der Kirche in
Luxemburg pflegte. Zudem unterhält er eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgern, und
zwar sowohl bezüglich deren moralethischer Bildung als auch der Wahrnehmung
emotional-spiritueller Bedürfnisse.
Man kann sich der religiösen Frage nicht entziehen, weil die Gesellschaft dies - wenn auch
zum Teil nur unbewusst! - nicht zulässt. Dies meint auch der Professor für
Pastoraltheologie Udo Schmälzle, wenn er konstatiert:
12
Hierauf bezieht sich auch Léon Zeches in seinem Artikel über religiösen Bildungsnotstand.
Ders. (2006a), S. 3.
13
Règlement grand-ducal du 30 novembre 1989 fixant les modalités de l’épreuve scientifique
complémentaire prévue à l’article 10, paragraphe 7b, de la loi du 22 juin 1989 portant
modification de la loi modifiée du mai 1968 portant réforme de l’enseignement, titre VI: de
l’enseignement secondaire.
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
„Wer sich heute auf das Problem einlässt, wie die Milliarden Menschen auf unserem Globus
überleben können, wird mit der religiösen Frage konfrontiert. Diese Frage begegnet uns in der
Angst des Intellektuellen vor der zerstörerischen Kraft eines neu aufflammenden religiösen
Fundamentalismus. (…) Wir erleben (sie …) in den Kirchen erst recht als Provokation, wenn
eine junge Mutter vor Gericht steht, weil sie ein Kind tötete, um die ‚bösen Geister’ zu
versöhnen. Spätestens bei solchen Berichten in den Medien begreifen wir, daß die Kirchen nicht
mehr die ‚Rationalisierung der Religiösen’ in unserer Kultur leisten und der ‚Verwilderung’ im
religiösen Bereich’ wehren“.14
Es nützt nicht nur der Bildungsinstitution Schule, sondern der Gesellschaft insgesamt,
gerade bezüglich Luxemburg als starkem Streiter für ein einiges Europa, etwas über das
religiöse Bewusstsein der heranwachsenden Generation zu erfahren: Um zu wissen, wie sie
die Wähler und Regierenden von morgen zu verantwortungs- und wertebewussten
glücklichen Mitmenschen erziehen kann, muss eine Gesellschaft ihre Werte in Erfahrung
bringen und auch etwas darüber, was Jugendliche spirituell bewegt.
Luxemburgs Gesellschaft, im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern, verjüngt
sich: Der Anteil der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerungszahl nimmt stetig zu.15 Wir
dürfen die Wahrnehmung der jugendlichen Generation nicht deskriptiven Sozialstudien,
Marktforschern und Trendscouts überlassen, sondern sollten sie als Aufgabe auch religiöser
Wissenschaft begreifen. Bisher ist hier in Luxemburg in den vergangenen Jahren keine
Arbeit veröffentlicht worden, die sich dem vorliegenden Thema auf diese Weise nähert. In
einer Gesellschaft, die soziale Verbundenheit sucht, ist es nicht nur Aufgabe der Eltern,
sondern auch der praktischen Theologie, der Religionslehrer und Erzieher, Kinder und
Jugendliche emotional-ganzheitlich zu verstehen, auch religiös. Hierzu möchte die
vorliegende travail de candidature einen Beitrag leisten.
14
15
Schmälzle (1999/2000), S. 3. Er entnimmt die beiden wörtlichen Zitate Schmidtchen (1978).
Lag der Prozentsatz der 15-24-Jährigen 1998 noch bei 11%, errechnen Statistiker für das Jahr
2010 einen Anstieg auf 13%. Quelle: „Lage der Jugend in Europa“, s. Bibliographie.
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1. 2
Bestimmung des Gegenstandsbereichs und Entwicklung des analytischen
Wegs der Arbeit
„Religion ist wie die Titanic –
sie geht unter aber sie gerät nie in Vergessenheit.“
Schüleraussage16
Jugendliche verkörpern nicht nur Unabhängigkeit, Gesundheit und Innovation, sondern
auch kritischen Umgang mit dem, was die ältere Generation aufbaut und überliefert. In
diesem Tenor wird jeder jungen Generation schon beinahe traditionell unterstellt, sich
generell von Kirche und religiösen Formen mehr und mehr zu entfernen, nach dem Motto:
„Die heutige Jugend ist nicht mehr religiös.“ Aber ist dies tatsächlich der Fall?
Im RU wie im Alltag finde ich trotz negativer Erlebnisse immer wieder Spuren von
Religiosität; nur sind diese schwer zu beschreiben. Bisher begegnen mir eher wenige
Schülerinnen oder Schüler, die sich klar als Atheisten bekennen möchten. Es geht mehr um
den „Alltagsatheismus“, wie Zulehner es nennt: „Es ist ein Lebensstil, der nicht primär von
der Gottesleugnung lebt, sondern von der intensiven Konzentration der Lebensenergie auf
die vermeintlich allein verfügbaren neunzig Lebensjahre“17, und in dem die pure Frage nach
Religion eher lästig erscheint.
Insofern löst sich Religiosität vielleicht von der traditionell-kirchlichen Form, aber das
bedeutet nicht zwangsläufig eine prinzipielle Trennung von Religion und Alltagswelt. So
stellt Sandt bezüglich der Forschungsergebnisse in Deutschland interessanterweise fest, dass
Religiosität von Jugendlichen durch den Rückgang der Kirchlichkeit nicht insgesamt
marginalisiert ist, sondern religiöse Lebenseinstellungen wie der Glaube an ein Leben nach
dem Tod und religiöse Praktiken wie etwa Beten noch immer vorhanden sind. Überzeugte
Atheisten seien in der Minderheit.18
Dennoch aber scheint die Frage nach dem, wie sich heute Menschen religiös verstehen,
nicht auf althergebrachtem Weg beantwortbar zu sein. Da ist zum einen die Unklarheit bei
16
Das Zitat ist dem Arbeitsbuch für den Religionsunterricht von Stratmann entnommen, als
Antwort auf die Frage „Was ist Religion für uns?“. Stratmann (2001), S. 41.
17
Zulehner (2005a), S. 94.
18
Sandt (1996), S. 47.
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
der Verwendung des Begriffs („Was meint Religiosität überhaupt?“), dann auch die
Bedenken, ob ich Religiosität überhaupt erfassen beziehungsweise messen kann, weiterhin
die Frage, wo man heute Religiosität insbesondere bei Jugendlichen – auch institutionell verorten kann und welche Konsequenzen schließlich die für religiöse Vermittlung hat. Wir
suchen, wie Schmälzle es formuliert, eine religiöse „Phänomenologie, wie die Menschen
unserer Tage Religiosität innerhalb und außerhalb der Kirche erleben (und wir …) müssen
uns
mit
Erlebnisformen
nichtchristlicher
Religiosität
in
und
außerhalb
von
Religionsgemeinschaften (… und) Derivaten nicht gelebter, neutralisierter und verdrängter
Religiosität beschäftigen.“19
Religiosität, wie sie in der Einleitung dieser Arbeit im Raume steht, scheint zunächst
semantisch eindeutig. In ihrem Verhältnis zur Spiritualität ist ihre Erklärung bereits
komplizierter. Interessiert man sich aber für eine empirische Datenerfassung von
Religiosität, wie es hier der Fall ist, ist es wichtig, alle Teilaspekte miteinzubeziehen, die mit
Religiosität zu tun haben. Der Begriff Religiosität muss in seinen Bedeutungsausprägungen
geklärt und eindeutig sein.
Dem entsprechend befasst sich das zweite Kapitel dieser Arbeit mit der genauen
Begriffsbestimmung von Religiosität. Neben Spiritualität geht es dabei auch um die
Relation zu den Begriffen Kirchlichkeit, Christlichkeit, Gläubigkeit, Frömmigkeit, ethisches
Verhalten und Moral. Dabei möchte die Definition dem Anspruch größtmöglicher
Unabhängigkeit Rechnung tragen, und auch religionskritische Aspekte berücksichtigen. Als
Erzieher – sei es als Eltern oder Lehrer – sollten wir uns zudem verschiedene, unter
anderem psychologische Perspektiven zunutze machen und versuchen, mit den Augen der
Jugendlichen zu sehen.
Anschließend an die Definition von Religiosität soll der Begriff in Bezug zur
gesellschaftlichen Wirklichkeit in Luxemburg gesetzt werden. Hierbei geht es um die
landesspezifischen Hintergründe zur Herausbildung von jugendlicher Religiosität
innerhalb verschiedener Lebensbereiche, wie etwa der Familienstrukturen, die Rolle der
Kirche oder etwa der Umgang mit sozialethischen Fragen, aber auch das pastorale Angebot
speziell an die Jugendlichen.
19
Schmälzle (1999/2000), S. 7.
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Das vierte Kapitel beschäftigt sich damit, wie man sich jugendlicher Religiosität
empirisch nähern kann. Dabei geht es um den Aspekt, welcher gesamtsozialen, nicht
allein religiösen Situation Jugendliche im Allgemeinen ausgesetzt sind und auch, wie sie sich
emotional, wie spirituell von Erwachsenen unterscheiden – beide Faktoren führen zu einer
spezifischen Begegnung mit dem Gegenstand Religiosität. Wie aber kann man dies
empirisch erfassen? Religiosität – ein Begriff, konkret wie zugleich abstrakt oder
unverbindlich vielleicht wie „Liebe“, lässt sich auf objektiver Ebene wahrscheinlich
letztgültig nur annähernd beschreiben.
Wenn wir aber nach empirischen Ergebnissen suchen, brauchen wir Parameter, die uns
sinnvolle Aussagen über Religiosität treffen lassen. Um unter anderem diese Messbarkeit
von Religiosität soll es im fünften Kapitel dieser Arbeit gehen. Außerdem untersucht das
Kapitel die empirische Wahrnehmung generationsspezifischer Religiosität in bereits
durchgeführten wissenschaftlichen Studien. Vorhandene Jugendstudien werden unter
der Fragestellung ihrer Aussagekraft bezüglich jugendlicher Religiosität unter die Lupe
genommen und auf ihre Tragfähigkeit, national unabhängig wie aber auch im
luxemburgischen Kontext überprüft. Als eine wichtige Grundlage nimmt die vorliegende
Arbeit die Untersuchungen und Ergebnisse einer Analyse aus den 1990er Jahren des
Luxemburgers Jean-Louis Gindt wahr. In einem ähnlichen Forschungskontext beschäftigte
Gindt sich zu seiner Zeit als Erster mit Jugend und Kirche in Luxemburg in einem größeren
Rahmen und sammelte eine Reihe interessanter und wichtiger Daten bezüglich religiöser
Institutionen und Sakramentenspendung in Luxemburg. Gindt stellte sich am Ende seiner
Erhebung die Frage nach der Glaubenssituation der Jugendlichen in Luxemburg, konnte
jedoch seinerzeit nur auf rudimentäre empirische Ergebnisse einer ILReS20-Umfrage
zurückgreifen.
Außerdem werden die aktuelle luxemburgische Wertestudie aus dem Jahr 200221 sowie die
deutsche Shell-Jugendstudie zur Sprache kommen. Bisher fehlt augenscheinlich konkretes
Datenmaterial, das sich ausdrücklich mit dem Religiositätsbegriff und dazugehörigen
Werten befasst. Da der kulturelle Hintergrund zwischen Deutschland und Luxemburg
ähnlich ist, ist Manches der deutschen Studien einbeziehenswert. Jedoch ist das
20
21
Institut Luxembourgeois de Recherches Sociales. Es handelt sich hierbei um das größte
Meinungsforschungsinstitut Luxemburgs.
Bereits jetzt sei jedoch einschränkend gesagt, dass die luxemburgische Wertestudie das
religiöse Feld eher als Nebenschauplatz studiert, und es sich zudem bei den Befragten um
Erwachsene handelt.
22
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Datenmaterial keinesfalls eins zu eins auf Luxemburg übertragbar. Der Lebensstandard ist
auf den ersten Blick vielleicht „europäisch-ähnlich“, dennoch ist in Luxemburg, anders als
in Frankreich oder Deutschland, trotz eines hohen Ausländeranteils die Religionslandschaft
immer noch relativ einheitlich katholisch. Zum einen spürt man, anders als in Deutschland,
fern von der Reformation, weniger Einfluss durch die protestantischen Kirchen. Zum
zweiten trägt die Tatsache, dass die größte ausländische Bevölkerungsgruppe, die
Portugiesen, gefolgt von den Franzosen und Italienern,22 nach wie vor eine traditionelle
katholische Glaubensnähe pflegen, hierzu bei. Weiteres sei im entsprechend Kapitel näher
erläutert und statistisch belegt. Wir haben eine multinationale, eventuell noch
multikulturelle, nicht aber eine multireligiöse Gesellschaft vor uns. Auch hat Luxemburg im
wirtschaftlichen Bereich eine Sonderposition. Daher ist die Vermutung begründet, dass es
weiterer Schritte bedarf, um sich der Religiosität Luxemburger Jugendlicher anzunähern.
Die vorliegende Arbeit versteht sich in diesem Sinn als Vorbereitung einer solchen Studie
auf theoretischer Basis. Sie soll den genauen Forschungsbedarf klären und begriffliche
Grundlagen liefern.
Das sechste Kapitel fasst die Lebenswirklichkeit Jugendlicher in Luxemburg als Basis
für christlich-religiöse Wertebildung zusammen und zieht Konsequenzen für die weitere
Erforschung jugendlicher Religiosität in Luxemburg. Es sichtet und diskutiert die
Position des Unterrichtsfachs „Instruction Religieuse et Morale“ innerhalb des schulischen
Fächerkanons zunächst für sich allein sowie gegenüber der alternativen Einführung eines
Einheitskurses.
In dieser Weise orientiert sich die Gliederung der vorliegenden Arbeit chronologisch wie
inhaltlich an den Fragen, die im Eingangskapitel gestellt wurden.
Vorausgeschickt sei außerdem, dass die Thematisierung jugendlicher Religiosität zunächst
auf einer deskriptiven, nicht wertenden Ebene geschieht. Von einem Missionsanspruch
möchte sich die vorliegende Arbeit ausdrücklich distanzieren. Denn im Gegensatz zum RU,
wo man nicht nur als Theologe, sondern als Pädagoge wie Fachlehrer die Schüler für „seine
Sache“ gewinnen will, möchte diese Arbeit möglichst objektive Grundlagen liefern, die
sowohl dem Jugendlichen als auch dem Sachgegenstand Religiosität gerecht werden.
Religiöse und spirituelle Grundhaltungen lassen sich nur erfassen, wenn den Jugendlichen
22
Von der Gesamtbevölkerungszahl von 451.600 Einwohnern im Großherzogtum sind 174.200
Ausländer. Unter ihnen sind 63.800 Portugiesen, 21.900 Franzosen und 18.900 Italiener. Quelle:
Statec 2004 (s. Bibliographie).
23
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
glaubhaft vermittelt wird, dass es nicht um religiösen Stimmenfang oder gar Bewertung
ihres Handelns und ihrer Aussagen geht, sondern dass grundsätzlich klar ist, dass allein ihre
tatsächliche Haltung zutage treten soll, und nicht etwa ein Wunschbild.
Nichtsdestoweniger soll am Schluss dieser Arbeit Platz sein, um darüber nachzudenken,
warum eine religiöse Erziehung gesellschaftlich bildet und in welcher Form,
konkret: mit welchem Unterrichtsfach diesem Anspruch die größtmöglichen
Chancen eingeräumt werden.
24
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
2 Religiosität und Spiritualität im Spiegel ihrer dimensionalen
Vielschichtigkeit
„Die selbst gesuchte Religion hilft uns im Letzten nicht
weiter.
Sie ist bequem, aber sie lässt uns allein.“
Papst Benedikt XVI. in seiner Predigt auf dem Marienfeld in
Köln, Weltjugendtag 2005
2. 1
Über die Desorientierung bei der Begriffsverwendung
Religion – in der alltäglichen Wahrnehmung gibt es ein funktionierendes Verständnis von
diesem Begriff. Wenn er benutzt wird, wissen die Gesprächspartner in der Regel
voneinander, worüber sie reden.
In der wissenschaftlichen Beschäftigung liegen die Dinge anders. Die Verunsicherung
beziehungsweise Uneinigkeit bezüglich dessen, was als religiös zu bezeichnen ist, herrscht
innerhalb aller theologischen Disziplinen, die religiöse Phänomene unterschiedlich erklären
und beurteilen, sei es sozial, psychologisch, pädagogisch oder auch philosophisch. Religion
ist kein toter Untersuchungsgegenstand, im Gegenteil, so meinen auch Ziebertz, Kalbheim
und Riegel:
„Indem Menschen religiös handeln und indem über Religion gesprochen und geforscht wird,
entsteht und verändert sich zugleich das, was mit Religion gemeint ist. Religion ist, wie Kultur
insgesamt, in Bewegung. Daher kann der Bedarf, das kulturelle Phänomen der Religion und die
Religiosität von Menschen zu begreifen, nicht durch eine Studie oder ein Buch endgültig
befriedigt werden.“23
Religion und Religiosität sind also wandelbar, und die Suche nach einem einheitlichen
Religions- und auch Religiositätsbegriff ist nicht unproblematisch. Detlef Pollack vertritt die
Ansicht, dass das, was man unter Religion verstehe, mit darüber entscheide, was und wie
viel an Religion man in der Gesellschaft wahrnehme, man andererseits aber den Prozess des
religiösen Wandels nur dann angemessen erfassen werde, wenn eine gefestigte Definition
von Religion vorliege. Insofern sei eine der wichtigen Bedingungen für einen sinnvollen
Religionsbegriff neben einer Trennschärfe doch seine Weite, denn dies habe den Vorteil,
25
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
bisher unentdeckte religiöse Phänomene aufspüren zu können.24 Ich stimme Pollack in
dieser Aussage zu, da wir Religiosität in einem inkulturierten und generationsspezifischen
Kontext beachten, und daher genau bestimmen müssen, was Religiosität mit all ihren
Facetten genau hier bedeutet.
Gesucht wird hier ein Religiositätsbegriff, der uns etwas über den Menschen, insbesondere
über die Zielgruppe Jugendliche, erklärt. Entsprechend soll Religion hier nicht kritischfunktional als „operationaler Begriff“, als „Sammelbezeichnung für alle angesprochenen, in
ihrer geschichtlich-gesellschaftlichen Auswirkung beschreibbaren Fragehaltungen und
Erfahrungsweisen“25 definiert werden, und insofern ist der Ansatz Pollacks überzeugend,
denn er warnt zum einen vor der durchaus gegebenen Gefahr der Engstirnigkeit bezüglich
der Definition von Religiosität: Jugendliche unserer Gesellschaft sind sicher nicht nur
religiös, wenn sie klassischen Mustern wie Kirchgang entsprechen! Zum Zweiten besteht
Pollack auf einer grundlegenden Orientierung, die sich an der Lebenswelt orientiert, und
ohne die man Religiosität nicht entdecken kann. Religiosität ist in jedem Fall von Mensch zu
Mensch verschieden und hat individuell eine Daseinsberechtigung und Würde.
In diesem Sinn versteht die vorliegende Arbeit Religion prinzipiell als Objekt, das in
seinem Ursprung und seiner individuellen Ausprägung beim Subjekt liegt.
Wie dieses Objekt und die Ausprägungen nun inhaltlich zu füllen sind, sollen die folgenden
Teilkapitel verfolgen.
23
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 13.
Pollack (1995), S. 163-165, zitiert nach Könemann (2002), S. 66.
25
Feifel (1972), S. 46, zitiert nach Schmälzle (1999/2000), S. 29.
24
26
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
2. 2 Abschied von christlicher Religiosität als Sammelbegriff von Kirchlichkeit
Ob Jugendliche heute religiös sind, lässt sich aus Sicht der Kirche relativ schnell und leicht
beantworten: nicht genug! Kirche verbindet eben den Religiositätsbegriff automatisch mit
der Institution; und die Kirchenbesucherzahlen sinken, es finden sich immer weniger
Interessenten für religiöse Berufe, leere Priesterseminare, geringer Nachwuchs bei den
Orden, das Schulfach Moral macht dem RU die Schüler streitig. Dies alles ist in Luxemburg
keineswegs anders als in vielen europäischen Nachbarländern. Wer mag heute noch von
einer kirchlich orientierten Jugend sprechen? Die Kirche als biografische Begleiterin,
sozusagen von der „Wiege bis zur Bahre“, entspricht einem veralteten Ideal vergangener
Jahrhunderte. Entsprechend bedarf es keiner groß angelegten wissenschaftlichen
Untersuchung oder Empirie, um die Kirche in Luxemburg offiziell antworten zu hören:
Jugendliche Religiosität ist kaum oder oft gar nicht vorhanden. Folglich lenkte sich die
Aufmerksamkeit zur Wahrnehmung von Religiosität seitens der Amtskirche bisher lediglich
auf Kirchenbesuchszahlen.26
Die sichtbar kritische Distanz Jugendlicher zur Kirche ist jedoch nicht gleichbedeutend mit
flächendeckender und völliger Ablehnung. Ein spannender Aspekt im Zusammenhang mit
rückläufigen Kirchenbesuchszahlen ist etwa der Befund der deutschen Shell-Studie von
1992, dass ein allgemeiner Rückgang kirchenbezogener Religiosität nicht gleichzeitig etwas
mit Verlust von Religiosität überhaupt zu tun haben muss. Man stellte in der
Bundesrepublik fest, dass zwar die großkirchlich verfasste Religiosität rückläufig, die
individuelle religiöse Praxis entgegen dem Trend jedoch stabil oder sogar leicht steigend
ist.27 Erfahrungen aus Gemeinde und Schulpraxis bestätigen: Fehlende Kirchenpraxis hat
längst keinen verbindlichen Verweischarakter zur Abwesenheit jugendlicher Religiosität
mehr. In ähnlichem Tenor stellt Udo Schmälzle heraus: „Kirche ist e i n Partner für
Jugendliche, wenn sie sich daran machen, ihre eigene Weltsicht und das eigene
Menschenbild zu entwickeln und zu konstruieren.“28
Damit ist die Frage nach dem Charakter von Religiosität selbstverständlich nur zu einem
kleinen Teil beantwortet, und auch nur, was Religiosität eben nicht ist: ausschließlich
Kirchlichkeit. Die Gleichsetzung von Religion gleich Kirche gleich christlicher Glaube
funktioniert so nicht mehr. Wir beobachten bei Jugendlichen bezüglich Religiosität eine
26
Nähere Erläuterungen hierzu in Kapitel 4.
Vgl. hierzu die Daten von Zinnecker und Fischer (1992), S. 237.
28
Schmälzle (1999/2000), S. 23.
27
27
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
ungebundenere Religionsform: Jugendliche mögen vielleicht beten, „müssen“ aber nicht an
einen personalen Gott glauben; Jugendliche „können“ von einem „Danach“ nach dem Tod
reden, das aber nichts mit Gott zu tun haben soll usw. Fred-Ole Sandt vermutet, dass sich
ein Teil der Jugendlichen weiterhin auf christliche Elemente bezieht, diese aber neu
interpretiert.
Dieser Prozess der Abwendung von traditionell kirchengebundener Religion und die
Zunahme von institutionell ungebundener Religiosität lassen uns begründetermaßen von
einer pluralen und dispersiven Religiosität ausgehen, bei der die klassischen
Kategorien nicht mehr greifen.
Eben das meint Udo Schmälzle, wenn er von Religiosität außerhalb der Kirche oder auch
nicht gelebter, neutralisierter und verdrängter Religiosität spricht. In ähnlichem Tenor
definieren auch andere Religionspädagogen, die sich mit Jugendforschung befassen. So
erklären Ziebertz, Kalbheim und Riegel
Religiosität als „individuelle subjektive Religion“ beziehungsweise ein „Bündel von
Glaubensüberzeugungen, Weltsichten und Sinnvergewisserungen, die verbunden
sein können mit einer bestimmten Lebenspraxis“29.
Diese Definition schließt also nicht mehr zwingend Konfessionalität und Kirchlichkeit mit
ein und respektiert die Fülle an Möglichkeiten, die mit Religiosität verbunden sein kann,30
und korrespondieren mit dem Pollackschen Anspruch von inkulturierter und gleichzeitig
trennscharfer Definition von Religiosität. Sie trägt im positiven Maße der noch näher zu
beschreibenden gesellschaftlichen Pluralität Rechnung, ist für unsere Zwecke jedoch noch
zu allgemein als dass man ein Frageinstrumentarium für Jugendliche daraus ableiten könnte.
Daher soll die Definition im Folgenden weiter vertieft werden.
29
30
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 18.
Ziebertz, Kalbheim und Riegel postulieren, dass „Religiosität das Leben eines Menschen
koordinieren (kann), sie kann aber auch, weniger explizit, als Hintergrundfolie jene letzte
Gewissheit zur Verfügung stellen, um sich symbolisch im Universum zu platzieren. In diesem
Sinne steht Religiosität in Kontrast zur Religion (…). Religiosität ist unter modernen
Bedingungen wohl nur in Ausnahmefällen identisch mit den Inhalten eines Systems. In der
Regel wird es um ein mehr oder ein weniger an Übereinstimmung gehen. Zudem können
Inhalte aus verschiedenen Religionen kombiniert, moduliert und aneinander angepasst
werden.“ Dies. (2003), S. 18.
28
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
2. 3
„Religiosität als komplexes Konstruktsystem“ – Definition von Religiosität
in Orientierung an dem Religiositätsbegriff Stefan Hubers
Die bis hierher erlangten Erkenntnisse bedeuten ein sich Wegbewegen von Antworten, die
auf der Hand zu liegen scheinen, wie die erläuterte, lange Zeit beliebte Gleichsetzung von
Religiosität
und
Kirchlichkeit.
Im
Folgenden
soll
nun
der
Religiositätsbegriff
multiperspektivisch noch präziser definiert werden.
Einen in diesem Zusammenhang interessanten und brauchbaren Ansatz liefert der
Religionspsychologe Stefan Huber, der 2003 unter dem Titel „Zentralität und Inhalt“ ein
neues allgemeines sozialwissenschaftliches Messmodell von Religiosität vorlegte und damit
gegenwärtig bereits Studien zur Religiosität in Deutschland durchführt.31 Huber entwickelte
für die monotheistischen Religionen einen interreligiösen Religiositätstest, der sich an der
Glaubenspraxis orientiert.
Das neue Messmodell gewinnt Huber aus einer Synthese der Modelle von Gordon Allport
und Charles Y. Glock, um deren Schwächen zu beseitigen und deren Stärken zu nutzen.
Religiosität ist bei Huber definiert als
System persönlicher Konstrukte, die als subjektive Deutungsmuster zu verstehen
sind.
Diese Definition korrespondiert inhaltlich stark mit dem Gedanken der Definition von
Ziebertz, Kalbheim und Riegel. Die Qualität des Huberschen Ansatzes liegt m. E. in der
Genauigkeit der inhaltlichen Aufspaltung von Religiosität in die verschiedenen
Perspektiven, und entsprechend sei sie hiermit für die vorliegende Arbeit als
Weiterführung von Ziebertz’, Kalbheims und Riegels Ansatz akzeptiert.
Für Hubers Ansatz zur Definition von Religiosität spielt Psychologie eine wichtige Rolle.
Huber geht davon aus, dass menschliches Erleben und Verhalten wesentlich durch interne
Repräsentationen der Umwelt gesteuert werden. Darunter stelle man sich vor, dass jeder
von uns ein persönliches Konstrukt in sich trägt, also ein Deutungsmuster, welches der
Antizipation von Ereignissen dient und dadurch das menschliche Erleben und Verhalten
strukturiert. Daher benennt Huber Religiosität auch als „Fähigkeit, Wirklichkeit mit einer
31
Huber (2003).
29
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
religiösen Semantik zu konstruieren.“32 Für ihn ist ein Mensch „immer dann religiös,
wenn er gewissermaßen seine ‚religiöse Brille’ aufsetzt, durch diese Brille
Wirklichkeit wahrnimmt und auf der Basis dieser Wahrnehmung Erfahrungen
macht und Handlungsperspektiven entwickelt.“33
Auf Grundlage des Allportschen Ansatzes, der sich als Persönlichkeitspsychologe dafür
interessierte, welche Rolle die Religiosität in der inneren Struktur und Dynamik der
Persönlichkeit eines Menschen spielt, schafft Huber so einen vom Subjekt ausgehenden
Religiositätsbegriff, der die individuelle Persönlichkeit im Verhältnis zur Umwelt
berücksichtigt. Mittelpunkt der Zentralität und der Inhalte persönlicher religiöser
Konstruktsysteme ist das religiöse Erleben und Verhalten. 34
Der Grad des Einflusses des religiösen Konstruktsystems auf das Erleben und Verhalten
des Menschen hängt bei Huber von seiner Zentralität in der Persönlichkeit eines
Individuums ab, also in welcher Art beziehungsweise wie stark die Begriffe beim Einzelnen
verankert sind. Wenn man beim Bild der „religiösen Brille“ bleibt, würde Huber sagen: „Je
öfter ein Mensch seine ‚religiöse Brille’ aufsetzt, desto religiöser ist er.“ Der jeweilige
(alternativ konstruierbare) Inhalt der religiösen Deutungsmuster bestimmt die Richtung des
Einflusses des religiösen Konstruktsystems auf das Erleben und Verhalten des Menschen.
So kann ein Mensch beispielsweise ein vergebendes oder strafendes Gottesbild haben, je
nachdem wie seine „religiöse Brille“ getönt ist.35
Huber benennt in Anlehnung an Glocks fünf die religiöse Zentralität bestimmende
Dimensionen:
1. religiöse Ideologie (messbar etwa daran, wie hoch jemand die Wahrscheinlichkeit eines
Lebens nach dem Tod einschätzt)
2. Gebet (messbar etwa daran, wie häufig jemand betet und wie wichtig ihm Gebet ist)
3. religiöse Erfahrung (messbar etwa daran, wie oft jemand das Gefühl hat, dass Gott in
das eigene Leben eingreift)
4.
Gottesdienst (messbar etwa daran, wie häufig jemand am Gottesdienst teilnimmt und
wie wichtig ihm das ist)
32
Huber (2004), S. 80.
Huber (2004), S. 80.
34
Die Zusammenfassung des Modells von Stefan Huber stützt sich auf die Erläuterungen von
Achtermann (2006), S. 1.
35
Vgl. Huber (2004), S. 81.
33
30
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
5.
Interesse an Religion (messbar etwa daran, wie oft jemand über religiöse Fragen
nachdenkt und wie sehr er sich dafür interessiert, etwas über religiöse Fragen zu
erfahren)
Bezüglich der Messbarkeit von Religiosität und ihren Möglichkeiten sollen weitere
Überlegungen im fünften Kapitel dieser Arbeit vertiefend angestellt werden.
Positiv hervorzuheben an diesem Modell ist im Zusammenhang mit dem vorliegenden
Forschungsinteresse, dass es das Individuum in seiner ganzen Komplexität berücksichtigt.
Die formale Unterscheidung der verschiedenen Ebenen ermöglicht einen differenzierten
Blick auf die verschiedenen Ausdrucksformen von Religiosität. Die Zentralitätsskala nimmt
Kirchlichkeit als einen Faktor von Religiosität wahr, beachtet aber nicht nur konkret die
Erfahrungen, die Jugendliche im Glauben machen und Empfindungen beziehungsweise
Haltungen, die sich in ihnen gegenüber dem Glauben ausgeprägt haben. Sie berücksichtigt
auch, inwiefern ihr praktisches Verhaltensmuster mit Glaubensinhalten korrespondiert oder
auch nicht.
Darüber hinaus erfasst der Religiositätsbegriff auch die Inhalte und Deutungsmuster,
beispielsweise des bestimmten Gottesbildes (personal, apersonal atheistisch) oder auch
Fundamentalismus, was gerade angesichts aktueller gesellschaftlicher Realitäten wie
Pluralismus und religiösem Fanatismus sinnvoll erscheint, und schließlich auch Inhalte, die
die Empfindungen betreffen wie etwa die Erfahrung von Hilfe und Geborgenheit durch
Religion oder auch belastende Emotionen wie Schuld oder Angst – Gefühle, die bei
Jugendlichen wie Erwachsenen traurigerweise nicht selten im Zusammenhang mit Kirche
und Glauben zitiert werden. Durch diese Wahrnehmung wird jedes weitere Erleben und
Erfahren gefiltert und beurteilt, und so kommen abfragbare Meinungen und sichtbares
Verhalten zustande.
Dieser religionspsychologische Ansatz Hubers auf Grundlage von Allport und Glock
zur Erklärung von Religiosität hat gegenüber anderen Vorschlägen den Pluspunkt, dass
sein Interesse an der inneren Haltung und das Verhalten bei dem ansetzen, was
Religiosität einerseits erklärt und anderseits sichtbar macht. Anders als theologische
Modelle, die sich eher auf die inhaltliche Seite der Religiosität, insbesondere auf den
Zusammenhang zwischen Religiosität und institutionell repräsentierter Religion (z. B.
Glaubensbekenntnis, Sakramente, Gottesdienstbesuch usw.) konzentrieren, bestimmt
Huber Religiosität nicht allein von den kirchlichen Riten und Ausrucksformen her,
31
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
sondern respektiert konfessionsunabhängige Faktoren und lässt sie trotzdem als
religiös gelten.36
In dieser Form nimmt das Hubersche Konzept dann auch entwicklungspsychologische
Spezifika der jeweilig empirisch zu erfassenden Generation wahr, also etwa die konkrete
Stufe der jugendlichen Identitätsentwicklung und Sinndefinition, welche in einem
bestimmten Entwicklungsstadium entsprechend ausgeprägt ist, und einem normativ
fixierten Religiositätskonzept mit seiner christlichen Glaubenslehre und sittlichem Anspruch
widerspricht. Nach dessen Definition wäre dann nämlich ein die Sakramente missachtender
Mensch von vorneherein „weniger religiös“, was die vorliegende Arbeit hinterfragen
möchte: Unser heutiges Menschen- und Weltbild kann nicht mehr in diesem Maße von dem
Anspruch der Kirche geprägt sein, was insbesondere für Jugendliche als religiöse
Wirklichkeit anzuerkennen ist. Begriffe wie etwa Erbsünde rufen in heutigen Zeiten vielfach
mehr Kopfschütteln als ein demütiges sich Beugen hervor.
Interessant bezüglich der Wahrnehmung von Religiosität ist beim Huberschen Ansatz noch
seine Überlegung bezüglich der Motivation von Religiosität, die Huber von Allport
übernimmt. Allport postuliert eine intrinsische religiöse Motivation, wenn Religion zu den
zentralen religiösen Werten eines Menschen gehört.37 In diesem Fall ist „ein eigenständiges
religiöses Motivsystem vorhanden …, das in genuiner Weise das Erleben und Verhalten des
Menschen bestimmt. Dies sollte sich in einem religiös geprägten Selbstbild, in zahlreichen
alltäglichen Konsequenzen der Religion und nicht zuletzt in einem vielfältigen und
intensiven spezifisch religiösen Erleben und Verhalten ausdrücken.“ Huber spricht in
diesem Fall von einer „religiös geprägten Persönlichkeit“.38 Gehört Religion nicht zu den
zentralen Werten, spricht Allport von einer extrinsischen religiösen Motivation. Das
religiöse Motivsystem hat dann keinen eigenständigen Charakter, sondern ist abhängig von
Vorgaben anderer, nicht-religiöser Motivsysteme, die in der Persönlichkeit eine zentrale
Rolle spielen. Dies könnten beispielsweise Rückmeldungen bezüglich Religion wie etwa ein
Gutheißen oder Ablehnung durch direkte Bezugsperson wie die Eltern, Lehrer usw. sein,
ein areligiöser Freundeskreis oder Bestätigung in einer Ministrantengruppe. Huber nimmt
36
Ziebertz, Kalbheim und Riegel erklären allerdings, dass diese beiden Zugangsweisen nicht als
Konkurrenz zueinander stünden und sich auch nicht ausschlössen; vielmehr könne die
christlich-theologische Reflexion von den formalen Modellen profitieren und untersuchen, wie
sie inhaltlich gefüllt würden. Vgl. Dies. (2003), S. 19.
37
Huber (2004), S. 82.
38
Huber (2004), S. 82.
32
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
mit Allport an, dass mit der Stärke des religiösen Selbstbildes, der alltäglichen
Konsequenzen der Religiosität und dem spezifischen religiösen Erleben und Verhalten auch
die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass das religiöse Motivsystem in der Persönlichkeit einen
funktionell autonomen Status hat beziehungsweise dass eine intrinsisch motivierte
Religiosität vorliegt.39
Mit diesem Modell konstruieren Allport und Ross eine Skala, die in Items den Grad der
religiösen Prägung erfasst. Huber greift diesen Ansatz in seiner Synthese der Ansätze von
Allport und Glock auf und legt mit seiner Zentralitätsskala einen m. E. glaubwürdigen
Ansatz zur Erfassung zur Religiosität vor.
2. 4
(Inwiefern) ist der Mensch ein religiöses Wesen? – Kritische Diskussion
der Frage nach der religiösen Motivation
2. 4. 1
Religion als Teil humaner Biologie und als Teil menschlicher Kultur
Bei der Erfassung von Religiosität geht es nicht nur darum, Vorhandensein und Art
derselbigen aufzuspüren. Früher oder später tritt vielmehr auch ein Interesse daran zutage,
worauf diese individuell ausgeprägte Religiosität gründet. Wenn wir heute im
Schulunterricht Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichsten Biografien und religiösen
Erfahrungen begegnen, stellt sich immer wieder neu die Frage nach dem „Woher“ des
Glaubens. Wie kommt es, dass bei manchen der Glaube unhinterfragbar vorhanden zu sein
scheint, während bei anderen sich die Glaubensfrage laut ihrer eigenen Auskunft nie gestellt
hat? Ist Religiosität ein Teil des Menschen? Ist sie intrinsisch oder extrinsisch
motiviert?
Mit der „Vermessung des Glaubens“ haben, wie Werner Trutwin in einer Rezension des
gleichnamigen Werks von Ulrich Schnabels konstatiert, nicht mehr allein die
Geisteswissenschaftler zu tun: „Heute sind es Mediziner, Neurologen, Paläontologen,
Genetiker, Evolutionsbiologen und Hirnforscher, die wissen wollen, wie Religion
entstanden ist, wie sie sich auswirkt, ob sie Krankheiten und Heilung bewirken kann, welche
39
Vgl. Huber (2004), S. 88.
33
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Hirnzellen bei religiösem Tun aktiv werden, ob Gebete fassbare Ergebnisse haben, wie sich
religiöse Ekstasen zu Drogenwirkungen verhalten und ob es ein Gott-Gen gibt.“40
Entsprechend
beschäftigt
sich
in
seinen
Forschungsarbeiten
der
kognitiven
Neurowissenschaft der Professor für Psychiatrie Dr. Manfred Spitzer u. A. mit der Frage
nach dem Gott-Gen: Besitzt der Mensch ein Gen, das uns Menschen die
Persönlichkeitseigenschaft der Neigung zur Spiritualität mitgibt? Seine Antwort ist Ja, und
er sagt gleichzeitig „aber“: Zwar entdeckte der Verhaltensgenetiker Dean Hamer als
„Nebenprodukt der Arbeit zur Genetik von Suchterkrankungen (...), dass die
Persönlichkeitseigenschaft der Neigung zur Spiritualität mit Varianten (...) eines Gens
korreliert, das ein Protein codiert, welches in der Transmission von Dopamin, Serotonin
und Noradrenalin eine Rolle spielt. (...) Das Gen liegt auf Chromosom 10 des menschlichen
Genoms. Sein Name bezeichnet den genauen Ort, an dem sich entweder die Base Adenin
(A-Variante) oder Cytosin (C-Variante) befindet. Wer die C-Variante auf mindestens
einem seiner beiden Chromosomen Nr. 10 mit sich herumträgt, neigt signifikant
zur ‚Selbsttranszendenz’ und etwas zu ‚Mystizismus’ und ‚transpersonaler
Identifikation’ in entsprechenden Persönlichkeitsfragebögen.“41 Dabei handelt es
sich laut Spitzer weniger um ein Gott-Gen – hinter diesem Titel vermutet er eine
Marketing-Strategie von Hamers Verlag...-,42 sondern um eine „Persönlichkeitsvariante
wie etwa Neugier oder Extraversion, (...und es gehe also nicht) um einen bestimmten
Glauben, denn dieser ist erlernt und damit nicht genetisch, sondern durch die Umwelt
bedingt, wie zahlreiche Studien belegen“43
Alsdann fragt sich Spitzer danach, wie sich dieses Gen herausgebildet haben könnte, und
gelangt nach einer Prüfung unterschiedlicher Studien zu dem Schluss, dass die
Überlegungen zu den evolutionären Vorteilen von Religiosität damit „letztendlich auf die
Argumente von Gruppenselektion“ hinausliefen: „ Indem (Religiosität) Normen etabliert,
soziale Bindung und Identität stiftet und nicht zuletzt potentielle Betrüger fernhält, fördert
40
Trutwin (2009), S. 129.
Quelle für die nachfolgende wissenschaftliche Darstellung ist Spitzer (2006), S. 1.
42
Ebd.
43
Spitzer (2006), S. 2. Er zitiert Arbeiten aus der Zwillingsforschung: „Eine Untersuchung an
3.810 australischen Zwillingen ergab, dass sich die Religionszugehörigkeit vor allem nach der
Umgebung und kaum nach den Genen richtet. Mütter haben einen größeren Einfluss auf die
Religiosität der Kinder als Väter, und es ist der Effekt des gleichen Elternhauses (nicht der
gleichen Gene), der sich in der gleichen Religionszugehörigkeit bei Zwillingen zeigt. Nicht
religiöse Inhalte werden vererbt, sondern der Grad der Religiosität.“
41
34
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
sie Kooperation nach innen und Konkurrenzfähigkeit nach außen. Kurz: Religiosität ist
eine biologische Angepasstheit“.44 Hierfür wurden von den von Spitzers These
herangezogenen Wissenschaftlern Voland und Soeling vier sogenannte „kognitive
Domänen“ identifiziert, deren „komplexes Zusammenspiel das Phänomen Religiosität
bewirken“ soll:
1. Mystik
2. Ethik
3. Mythen
4. Rituale
Diese vier „Module“ seinen von evolutionärem Vorteil gewesen:
„Mystik beruht auf intuitiven Ontologien und dient der Kontingenzbewältigung und
Entscheidungsfindung in einer fluktuierenden und ungewissen Lebenswelt. Ethik erhöht
die Sozialkompetenz und die Kooperationsgewinne in einer Welt persönlicher
Nutzenmaximierer. Mythen dienen als Identität stiftende soziale Bindemittel der In-group /
out-group-Differenzierung, und Rituale schließlich exekutieren das ’Handicap-Prinzip’ zur
Etablierung verlässlicher moralischer Standards innerhalb der Gruppe“.45
Halten wir Spitzers Erkenntnisse für plausibel, bedeutet dies aber noch längst nicht,
dass Religiosität als rein biologisches Phänomen abgetan werden kann. Mit der
Identifizierung eines Gens für das Persönlichkeitsmerkmal der Religiosität verstehen wir
möglicherweise besser, warum manche Menschen mehr und andere weniger religiös sind.46
Jedoch heißt dies nicht automatisch, dass die konkreten religiösen Gottesbilder
und religiösen Vorstellungen der verschiedenen Religionen „Hirngespinste“ auf
Grundlage einer biologischen religiösen Disposition wären. Wir finden mit diesen
wissenschaftlichen Erkenntnissen nur eine Teilwahrheit heraus, nicht jedoch eine
allgemeingültige Aussage über die Bedeutung von etwa Jesus Christus oder anderer
personaler religiöser Sinnstifter.
Relevant für die Frage, ob der Mensch kulturell ein religiöses Wesen sei, könnte die
Feststellung
sein,
dass
Kulturforschung
sich
stets
auch
mit
Gottesglauben
auseinandergesetzt hat. Angefangen bei den religiösen Funden alter Kulturen wie bei den
Ägyptern scheinen die Menschen zu allen Zeiten einen wie auch immer ausgeprägten
44
Spitzer (2006), S. 7, letztes Zitat von Voland und Soeling, zitiert nach Spitzer ebd.,
Hervorhebung von mir, S. D.
45
Spitzer (2006), S. 7, Hervorhebung von mir, S. D.
46
Ebd.
35
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
göttlichen Dialog geführt zu haben; und so wird in der Forschung Religiosität selbstbewusst
als „anthropologische Konstante“ 47 beschrieben. Immerhin bezeichnen auch Theologen wie
Hans Küng die kulturhistorische These vom Ende oder Absterben der Religion als
eindeutig falsifiziert:
„Weder dem atheistischen Humanismus (à la Feuerbach) noch den atheistischen Sozialismus (à
la Marx) noch der atheistischen Wissenschaft (à la Freud oder Russell) ist es gelungen, die
Religion zu ersetzen. Im Gegenteil: Je mehr die Ideologien, diese modernen säkularen
Glaubensüberzeugungen, an Glaubwürdigkeit verloren, umso mehr hatten die Religionen, alte
und neue Glaubensüberzeugungen, Auftrieb. Man spricht heute von einem postideologischen, aber kaum jedoch von einem post-religiösen Zeitalter.“48
Als Beleg führt Küng Statistiken der 1990er Jahre an, die zeigen, dass von einem
„Massenatheismus“ selbst in Westeuropa nicht ausgegangen werden kann, selbst wenn die
westliche Gesellschaft nicht zu leugnende säkulare Spuren mit sich trägt.49 Es ist laut Küng
vielmehr die institutionalisierte Religion, die zumindest in Europa in einer Krise steckt. Die
These vom Absterben der Religion sei falsch, selbst bei einem Trend zur „Diffusion von
Religion
und
dem
Bekehrungseifer
fundamentalistischer
oder
alternativer
Gemeinschaften“50.
Falls wir aber von einer „dem Menschen eigenen“ Religiosität ausgehen, beobachten wir
doch – das ist Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit – eine sich verändernde Grundlage
beziehungsweise Ausformung von Religiosität. Können wir daher von einer „neuen
Religiosität“ sprechen, die ihre traditionellen Wurzeln hinter sich lässt?
Die Antwort lautet Nein. Zwar können wir beobachten, dass Religiosität, wie wir sie heute
beobachten, sich von den Kirchen und ihren Sakramenten und Vorschriften entfernt,
jedoch finden wir in unserem Alltag immer noch Rituale und Verhaltensweisen (zum
Beispiel die liturgieähnliche Gestaltung wichtiger Fußballspiele oder messiasähnliche
47
Siehe hierzu etwa Schmälzle (1999/2000), S. 4. Schmälzle bescheinigt der Religion als
anthropologische Konstante eine breite Anerkennung und zeichnet auf, dass sich in Europa
etwa drei Viertel der Bevölkerung zum Glauben an Gott bekennen und sich immerhin zwei
Drittel als religiös bezeichnen.
48
Küng (1990), S. 68. Hervorhebung von mir, S. D.
49
So zählt er auf, dass einer Gallup-Umfrage zufolge 1987 in den USA 94% an Gott glaubten, in
Deutschland nach einer Allensbacher Umfrage 70%, nur 13% nicht. Vgl. Küng (1990), S. 68.
50
Küng (1990), S. 68.
36
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Vergötterung bestimmter Popstars51) sowie alternative Gemeinschaften beziehungsweise
außerkirchlicher Bewegungen wie die Sekten, die das Religiöse auf irgendeine Art in sich
tragen. Es handelt sich hierbei um Inhalte und Verhaltensweisen, die von offizieller
kirchlicher Seite bisher nur zögerlich oder gar nicht mehr als religiös im christlichen Sinn
betrachtet und meist als spirituell bezeichnet werden.
2. 4. 2
Religion und religiöse Ausdrucksformen als Teil der Spezies Mensch
Lange Zeit war es so, dass mit fehlender Kirchlichkeit auch das religiöse Apriori des
Menschen infrage gestellt wurde. Im familiären wie auch beruflichen Alltag mit Kindern
und Jugendlichen können wir nun aber immer wieder beobachten, dass Jugendliche sich
durchaus mit religiösen Fragen beschäftigen, religiöse Bedürfnisse äußern und nach
Ausdrucksformen dafür suchen, auch wenn sie nicht Kirchgänger sind. Besonders häufig
fragen Kinder und Jugendliche auf ihrer entwicklungspsychologisch existenziellen Suche
nach dem Warum, nach dem Sinn hinter den Dingen. Sie nehmen die materielle Welt nicht
mehr als ausschließlich hin, sondern öffnen sich für Transzendenz. Aber sind sie deswegen
schon religiös?
Unterhalten wird die Theorie, dass dem Menschen Religiosität inne sei, auch von
Forschungen, die sich etwa mit der Suche Jugendlicher nach emotionaler Stabilität
auseinandersetzt. So beschreibt Josef Sudbrack den Wunsch Jugendlicher nach Wärme,
Geborgenheit Eindeutigkeit, Glaubenssicherheit, Sinnerfüllung und Frieden als religiöse
Sehnsucht.52
Das seinsphilosophische Konzept, das von einem religiösen Apriori des Menschen ausgeht,
also einer Anlage, die der Mensch „existenziell aktualisiert“53, will nicht konfessionellreligiös bevormunden. So steht im „Handbuch für Religionspädagogik“ etwa der RU nicht
mehr unter dem Anspruch der Glaubensvermittlung; es soll garantiert sein, dass „die
Religionspädagogik auch gegenüber anderen Wissenschaften Bestand haben kann.
Religiosität sichert Humanität. Religiöse Erziehung ist Teil menschlicher Erziehung, sie ist
51
So stilisierte sich der Sänger Michael Jackson († 2009) während seiner erfolgreichen Zeit als
Messias. Siehe hierzu auch Buschmann (1999), S. 59-63.
52
Vgl. Sudbrack (1987), S. 38.
53
Vgl. Schmälzle (1999/2000), S. 32.
37
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
methodisch wie didaktisch so zu gestalten, daß sie den Menschen für sein tiefstes
Vermögen, nämlich zur Transzendenzerfahrung fähig macht“54.
Theodore Roszak formuliert,55 dass
die Menschen unserer Zeit in der Auseinandersetzung mit fundamentalen Verlusterfahrungen
eine alte Wahrheit neu entdecken lernen, die „Tolstoj gegenüber Marx geltend machte, die Jung
gegenüber Freud geltend machte: daß wir bis ins Innerste religiöse Wesen sind; daß es für
uns keine Ganzheit, keine geistige Gesundheit gibt, bis wir die spirituellen Bedürfnisse für
noch fundamentaler halten als alles andre“56.
Aus ähnlicher Richtung kommend beschäftigt sich auch der Religionssoziologe Jakobus
Wössner mit dem Thema. Er schreibt dem Menschen zwei grundlegende religiöse
Bedürfnisse zu: das Bedürfnis nach Absolutheit und das Bedürfnis nach existenzieller
Annahme. Letzteres zielt auf eine Identität, die die Kontingenz des Menschen überwinden
kann, etwa Handlungen, mithilfe derer man die Verlusterfahrungen des Todes verarbeiten
und überwinden kann. Diese Grunderfahrungen bestimmen das Leben jedes Menschen und
werden von Wössner als religiös beschrieben.57
Es handelt sich also weniger um eine „neue Religiosität“, sondern metaphorisch gesprochen
um Saat, die jeder Mensch in sich trägt, die gegossen werden muss und Triebe schlagen will.
Die Blüten sind heute anders, aber die Saat ist noch dieselbe.58 Die Abkopplung der
Religiosität von Konfessionalität durch einen empirisch-analytischen Religionsbegriff macht
sie zu einem gewissen Teil auch unabhängig vom Zugriff christlicher Theologie, christlicher
Glaubensvorstellung und kirchlicher Lehrtraditionen: Religiosität als „anthropologisch
grundlegende Erfahrung“ wird anthropologisch „vom Individuum aus definiert“.59 Dieser
ontologische Religionsbegriff ist durchaus angreifbar. So vermutet Nipkow, dass „die
Generalisierung empirisch-anthropologischer Erfahrung … ins Ontologische“ den
54
Schmälzle (1999/2000), S. 33. Schmälzles Beschreibung der Theorie und der darauf
aufbauenden Arbeitsweise des „Handbuchs für Religionspädagogik“ (Feifel u. a., 1973, S. 62
f.) wird im folgenden Haupttext übernommen.
55
Vgl. Schmälzle (1999/2000), S. 4.
56
Roszak (1982), S. 7, zitiert nach Schmälzle (1999/2000), S. 4.
57
Vgl. Wössner (1973), S. 133-143.
58
Vgl. hierzu auch Schmälzles Aussage, dass es die alte Religion sei, „die sich in den heutigen
Bedürfnissen und Erlebnismöglichkeiten entsprechende Formen schafft. (…) Faktum ist, daß
die religiöse Frage in der Moderne verdrängt wurde und heute neue Formen sucht. Sie tritt im
Gegensatz zu den überlieferten Institutionen und gesellschaftlich legitimierten
Sozialisationssystemen auf, die ihre integrierende und orientierende Kraft verloren haben und
deshalb die fundamentale religiöse Problematik menschlicher Existenz nicht mehr lösen
können.“ Schmälzle (1999/2000), S. 4 f.
59
Schmälzle (1999/2000), S. 28.
38
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Religionsbegriff endgültig absichere und damit die Präsenz der Kirche in der Schule
unangreifbar werde.60 Nipkow wehrt sich dagegen, Sinnfragen wie die nach Wahrheit, dem
Guten, der Zukunft usw. automatisch mit Religion zu verknüpfen; so würde Religion „für
jeden zu einer unentrinnbaren Seinsverfassung erklärt, ob er will oder nicht und ob er es
weiß oder nicht. Andere wissen es für ihn.“61
Dabei hält Schmälzle Nipkow jedoch die Unabhängigkeit der Kirchen von Religion
entgegen: „Faktum ist, daß es auch dort noch Religion gibt, wo keine Kirche anwesend ist.
Faktum ist weiter, daß alle wichtigen Beiträge zum Verständnis von Religion und
Religiosität nur danach entstanden sind, daß sie sich von konfessionellen Engführungen
freigemacht haben.“62 Schmälzle fordert daher eine starke Verortung der empirischanalytischen Forschung in den religiösen Ausdrucksformen. Sie soll inhaltlich beschreiben,
welche Einstellungen und Verhaltensweisen Menschen mit Religion und Religiosität in
Verbindung bringen.63 Der Hubersche Ansatz tut genau dies.
Solange Religiosität konfessionsunabhängig zuschreibbar ist und sich nicht vom Anspruch
der Kirchlichkeit instrumentalisieren lässt, ist der Vorwurf Nipkows nicht mehr wirklich
haltbar. In diesem Sinne argumentiert dann auch Judith Könemann: „Als Vermögen der
Offenheit ist (das transzendentale Verhältnis von Religion) nicht allein das Vermögen der
Offenheit zur Ausbildung einer religiösen Haltung innerhalb eines konkreten religiösen
Umfeldes, sondern das Vermögen der Offenheit zur Transzendenz.“64
Könemann möchte Religion aber nicht lediglich im Sinne eines Vermögens oder als
anthropologische
Grundkonstante
begreifen,
sondern
mit
Bezug
auf
Bewusstseinsphilosophie und den Ansatz Udo Schmälzles als religiöses Bewusstsein,65 das
man nicht hintergehen kann und bestimmt wird als „Fähigkeit wie auch ein Bedürfnis“, als
60
Nipkow (1984), S. 148, zitiert nach Schmälzle (1999/2000), S. 31.
Nipkow (1984), S. 148, zitiert nach Schmälzle (1999/2000), S. 31.
62
Schmälzle (1999/2000), S. 32.
63
Vgl. Schmälzle (1999/2000), S. 31.
64
Könemann (2002), S. 69. Könemann bezieht sich ausdrücklich auf das Rahnersche Konzept
einer transzendentalen Religionsphilosophie, das auf Heideggers Existenzphilosophie
zurückgreift. Jedoch sei laut Könemann hier keineswegs das christliche Verständnis von
Religion vorausgesetzt. Rahner entfalte seine Religionsphilosophie zunächst einmal
unabhängig von der christlichen Religion. Vgl. Könemann (2002), S. 69.
65
Für Schmälzle wird Religiosität greifbar im religiösen Selbstbewusstsein des Menschen, für ihn
bezieht sich religiöses Bewusstsein „auf radikale Endlichkeit menschlicher Existenz und
umfasst darüber hinaus alle inneren und äußeren Aktivitäten, in denen der Mensch seine
Endlichkeit zu leben und zu überwinden sucht.“ Schmälzle (1996), S. 116 f., zitiert nach
Könemann (2002), S. 69.
61
39
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
transzendentales Apriori des Menschen.66. Dabei betont Könemann, dass dieses religiöse
Bewusstsein keineswegs den Zwang oder auch die Notwendigkeit beinhalte, „diese
Offenheit auf Religion hin konkret zu vollziehen“. Religiöses Bewusstsein könne sich in der
Auseinandersetzung mit den Grundfragen menschlicher Existenz in eine Öffnung auf
konkrete Religion hin münden, müsse dies aber nicht; der Mensch habe die Freiheit zu
entscheiden,
wie
und
mit
welchen
religiösen
beziehungsweise
nicht-religiösen
Sinndeutungssystemen er diese existenziellen Grundfragen angehen möchte – entziehen
aber könne er sich dieser Entscheidung nicht.67
In dieser Konsequenz spielt also auch Könemann dem Ansatz Hubers zu, dass Religiosität
zum Selbst des Menschen gehört, auch wenn dieser Mensch unter Umständen völlig
säkularisiert ist. Verändert oder verschwunden ist dann nicht die Religiosität selbst,
sondern lediglich ihr Inhalt.
2. 4. 3
Der religiöse Mensch in der Kritik
„Jedem Menschen wohnt Religion inne.“ Diese These ist nicht wirklich neu, sondern im
Grunde das, was Christen seit Jahrhunderten im Glauben trägt – und was auch die
Religionskritiker, neben den erwähnten Marx und Freud allen voran Ludwig Feuerbach,
scharf verurteilt haben. Als Begründer des modernen, philosophisch durchdachten
Atheismus und Vertreter der Projektionstheorie, Gott sei ein Wunschgebilde menschlicher
Hoffnungen und Sehnsüchte, kommt Feuerbach zu dem Schluss: „Der Mensch schuf Gott
nach seinem Bilde“ und „Der Mensch hat sein eigenes Wesen angebetet“68. Das, was der
Mensch an Religion und Gottesbild in sich trägt, ist nach Feuerbach also – um in der
Bildersprache zu bleiben – Saatgut, das er selbst gesät hat.
Warum der Mensch dies tue, erklärt Feuerbach im Grunde mit demselben Argument, das
auch die Vertreter von Religion als anthropologische Konstante benennen: „weil er (der
Mensch) den Trieb hat, glücklich zu sein. (…) Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte er
trotz Phantasie und Gefühl keine Religion“69. Allerdings ist der Umkehrschluss der
Feuerbach-Gegner ein genau gegenteiliger: Während Feuerbach aus der richtigen (!) These
66
Könemann (2002), S. 70.
Könemann (2002), S. 70.
68
Feuerbach (1841), zitiert nach Reclam (1969), S. 53 ff.
67
40
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
über inneliegende Wünsche und Sehnsüchte den Schluss zieht, die Erfüllung dieses
Wunsches könne nur Projektion und kein tatsächlicher Gott sein, muss man ihm kritisch
entgegensetzen, dass ein Wesen, das menschlichen Wunschvorstellungen entspricht, sehr
wohl auch existieren kann. So hielten Feuerbachs Kritiker ihm auch bald entgegen, etwa
dass Brot nicht eine Projektion des Hungers sein müsse, nur weil es dem Bedürfnis nach
Sättigung entspricht. Insgesamt, so resümiert es etwa auch Küng, darf Feuerbachs
Projektionsargument als „erkenntnistheoretisch durchschaut gelten“70, denn auch wenn
psychologisch gesehen der Gottesglaube selbstverständlich immer Strukturen und Gehalt
einer Projektion ausweisen, entscheidet diese Tatsache noch lange nicht darüber, ob das
Objekt, auf das sich das Projizieren bezieht, existiert oder nicht.
Feuerbach geht, so beschreibt es auch Peter Kliemann, bei seiner Argumentation selbst von
unbewiesenen und auch nicht beweisbaren Annahmen aus und ignoriert zudem die
Betonung des Alten Testaments, dass der Gott Israels der ganz andere, der nicht
Verfügbare und Kalkulierbare sei (so etwa in Ex 3, 14), von dem der Mensch sich kein Bild
machen dürfe (Ex 20, 4).71 Kliemann argumentiert auch, dass der biblische Gott sich nicht
den menschlichen Vorstellungen füge und sich auch im Neuen Testament zeige, „wenn der
von den Menschen sehnsüchtig erwartete Messias als Obdachlosenkind im Stall geboren
und am Kreuz als politischer Aufrührer unschuldig hingerichtet wird. Dass ein solches
Gottesbild – zumindest auf den ersten Blick – nicht gerade menschlichen Wünschen und
Sehnsüchten entspricht, sieht schon Paulus; er schreibt, der gekreuzigte Christus sei „für
den gesunden Menschenverstand (…) eigentlich ‚ein Ärgernis’ und ‚eine Torheit’ (1 Kor 1,
18 ff).“72
In Wahrheit, so sehen es die Theologen, betrieb Feuerbach keine Lehre von Gott
(Theologie), sondern eine Lehre vom Menschen (Anthropologie). Diese kann uns immerhin
helfen, uns unserer vielleicht durchaus vorhandenen Projektionen bewusst zu werden – es
wäre sicher unrealistisch, vom Menschen zu erwarten, sich gar keine Bilder und
Vorstellungen von Gott zu machen -, was aber eben nicht dazu führen muss, dass der
tatsächliche Gott bezweifelt wird. Darüber hinaus verwendet Feuerbach den Einheitsbegriff
der Religion gänzlich undifferenziert: Er subsumiert alle Religionen unter dem Theismus.
Feuerbach tut dies, „um dadurch eine deutliche Grenze zum Atheismus zu erhalten, die in
69
Ebd.
Küng (1990), S. 70.
71
Siehe hierzu die Darstellung von Feuerbachs und seinen Kritikern bei Kliemann (1990), S. 27
f.
70
41
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Wirklichkeit in der Religionsgeschichte nicht zu ziehen ist, und dies wiederum rührt daher,
daß Modell und polemischer Gegenstand im Grunde ausschließlich das Christentum ist“.73
In diesem Sinne ist die Ausgangsfrage zu bejahen:
Der Mensch ist ein religiöses Wesen in dem Sinne, dass er eine Sehnsucht in sich
trägt, die nur Religion und religiöse Formen zufriedenstellen können.
Denn die existenziellen Grundfragen des Lebens wie etwa nach dem Ursprung, nach dem
Lebenssinn, nach Leid und dem Tod, sind anthropologisch unbestreitbar immanente
Fragen, die nicht rein philosophisch zu beantworten sind. Man muss also davon ausgehen,
dass die unterschiedlichen Ausprägungen (kirchliche Religiosität, außerkirchliche usw.) zu
tun haben mit externen Einflüssen, die den Menschen dazu veranlassen, seine Suche nach
spiritueller Zufriedenheit in diese oder eine andere Richtung zu verfolgen. Religiosität ist
also ein echtes, menschliche Identität formierendes Bewusstsein und ist primär intrinsisch.
Die Art ihrer Ausprägung hängt von extrinsischen Einflüssen ab.
Diese Wahrnehmung korrespondiert mit dem Religiositätsmodell Hubers. Wir besitzen eine
religiöse Brille, aber ob und wie wir uns religiös zeigen, hängt davon ab, wie oft wir die
Brille aufsetzen und wie sie getönt ist!
Verantwortlich für das „Aufsetzen“ sind neueren Forschungen zufolge nicht die Eltern
allein. Zwar antwortet das Kind nach dem Reiz-Reaktion-Schema auf Zuwendung und
Belohnung, Ablehnung oder Strafe, jedoch bedeutet das nicht, dass das Verhältnis des
Kindes zur Umwelt auf der geraden, nicht umkehrbaren Linie verlaufen muss, wie es
Kohlberg und Piaget beschreiben. Vielmehr nimmt das Kind von Beginn an an sozialen
Interaktionsprozessen teil, „in denen die Art der kognitiven Entwicklung und die Art des
Erlernens sozialer Kompetenzen abhängt von der affektiven Beziehung zu den
Bezugspersonen“74. Als Konsequenz für Erzieher, insbesondere für die Eltern als engste
Bezugspersonen bedeutet dies, dass sie sich von Anfang an den emotionalen Bedürfnissen
und Interessen des Kindes annehmen müssen.
Lothar Kuld kritisiert die Piagetsche Theorie zur kognitiven Entwicklung des Kindes und
neuere darauf aufbauende Arbeiten zum religiösen Denken des Kindes als zu vereinfacht,
72
Kliemann (1990), S. 28.
Gollwitzer (1970), S. 31 f.
74
Roster (1993), S. 270 f.
73
42
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
weil Kinder eben sehr wohl schon Gott als etwas Unsichtbares begreifen, und zwischen
„Darstellung und Gemeintem“ unterscheiden könnten. Dabei geht es Kuld in jedem Fall
um die kognitive Seite des Glaubens, jedoch unter Einbeziehung anderer Dimensionen wie
Gefühl, Beziehung, Hingabe, Mutterbindung und Vaterbild, Familientradition und Milieu.
Damit leistet Kuld einen m. E. glaubwürdigen Kompromiss der Erfassung von
Religiosität, indem er die Piaget-Tradition mit ihren Möglichkeiten ihrer
Konstruktion wahrnimmt, jedoch den Glaubens- und Gottesbildhorizont des
Menschen weiter zieht und so öffnet für seine individuellen Erfahrungen und
Wahrnehmungen.
Kuld formuliert es so:
„Darin liegt der Stachel zum Denken. Alle weiteren Konstruktionen Gottes bis hin zu Gott als
„Kraft“ oder „Gefühl“ sind Konstruktionen des Unsichtbaren in immer neuen Anläufen. (…)
Wir setzen (…) auf die Piagettradition, weil sie uns die Entwicklung von Kognition zeigt.
Kognition, philosophisch: Verstand und Rationalität, ist das Medium der Vermittlung und
Selbstverständigung in unserer Kultur. Auch die Religion braucht Kognition und Rationalität.“75
Wenn
wir
es
schaffen,
das
Unsichtbarkeitsproblem mit seinen verschiedenen
Lösungsmöglichkeiten, die der Jugendliche vornimmt, zu verstehen, ist ein erster Schritt in
Richtung des Verständnisses jugendlicher Religiosität getan: Gott kann, nach dem Abschied
von Bildervorstellungen im Kindesalter entweder als Märchen beschrieben werden oder
auch als Gefühl. Kult beschreibt sehr eindrücklich, wie diese Psychologisierung und
Entmythologisierung im Jugendalter keineswegs einen direkten Religiositätsverlust bedeuten
muss.76 Wenn wir als Interpretatoren jugendlicher Aussagen über Religiosität es
schaffen, eine Sprache (für Antwortmöglichkeiten) zu finden, um Jugendlichen das
Beschreiben ihres Glaubens zu erleichtern, oder erst recht ihnen die Chance
geben, dies in eigene Worte zu fassen, hätte eine messbare Erkenntnis über die
Religiosität Jugendlicher gar nicht so schlechte Chancen.
Relevant für die empirische Erfassung von Religiosität, die auf dem hier entwickelten
Religiositätsbegriff fußen soll, ist die Erkenntnis darüber, wie Jugendliche in dieser
religiösen Verfasstheit als Subjekt das Transzendente, das Heilige konkret erleben und
beschreiben. Die Diskussion hat mit Feuerbachs religiöser Anthropologie einerseits und
dem seinsphilosophischen beziehungsweise empirisch-analytischen Ansatz andererseits das
75
Kuld (2001), S. 16. Kuld entnimmt den Begriff der Konstruktion der gleichnamigen
philosophischen Strömung, die eine nicht ontologische Erkenntnistheorie zum Inhalt hat und
die Rationalität des Einzelnen betont. Ebd.
76
Kuld (2001), S. 63-78.
43
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Problem der Verabsolutierung des Subjekts angesprochen. Hierfür zitiert der jüdische
christliche Denker Levina folgenden Ausweg aus dem babylonischen Talmud: „Wenn ich
nicht für mich einstehe, wer wird dann für mich einstehen? Aber wenn ich nur für mich
einstehe – bin ich dann noch ich?“77. Hierbei handelt es sich um eine „vom anderen
Mitmenschen bestimmte Begründungsmöglichkeit des menschlichen Subjekts und der
menschlichen Erfahrung“ 78. Für die Empirie wie auch für die Religionspädagogik bedeutet
dies die Wahrnehmung des Individuums in seiner sozialen Eingebundenheit
beziehungsweise – um bereits mit Begegnungsphilosophen wie Buber zu sprechen - der
„Ich-Einsamkeit“.
Ist dann aber jegliche Art der Offenbarung religiös? Welches Gottesbild steht hinter dieser
doch relativ „großzügigen“ Transzendenz und Transpersonalität und wie und mit welchen
Inhalten wird das Absolute beschreibbar?
Hierbei kann das Einbringen des Glaubens- sowie Spiritualitätsbegriffs hilfreich sein. Diese
sollen im Folgenden zudem in ihren Verzweigungen beziehungsweise häufig synonymen
Verwendungen bezüglich Religiosität beleuchtet werden.
2. 4. 4
Der Mensch auf der Suche nach der Begegnung mit dem Heiligen –
Interpretation einer Theorie als Hinführung zur Eventisierung von
Religion
“This is my church
This is where I heal my hurt
For tonight
God is a DJ”
Faithless: God is a DJ
(Techno-Popsong)
Akzeptiert man den Huberschen Ansatz, kann das seinsphilosophische Konzept von
Religion nicht allein stehen bleiben - es fehlt ihm die Gegenstandsdimension religiöser
Erfahrung: Wir können uns mit ihm noch nicht wirklich etwas unter religiösen
Ausdrucksformen vorstellen oder religiöse Phänomene oder Gefühle beschreiben.
77
Levina, zitiert nach Schmälzle (1999/2000), S. 38.
44
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Schmälzle verweist hier unter anderem auf die Arbeiten von Otto, die die irrationale Welt
des Religiösen („Die Welt des Numinosen, Dämonischen und Irrationalen“)79 mit dem
Heiligen in Verbindung bringen:
„Religion ist die Begegnung des Menschen mit dem Heiligen … Das Heilige im
vollen Sinne des Wortes ist für uns eine zusammengesetzte Kategorie.“80
Die Hubersche „religiöse Brille“ wäre demnach prinzipiell nichts anderes als die
Wahrnehmung von Heiligkeit.
Wie der Einzelne dieses Heilige fasst, erlebt, ideell füllt und empfindet, ist graduell
verschieden, doch es eint die Menschen. So beschreibt es der Sozialphilosoph Max
Horkheimer als eine „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“81.
Dass für Jugendliche Heiligtümer nicht selten etwas ganz anderes bedeuten als für ihre
Eltern, ist nicht wirklich überraschend. Sie verbinden mit der Vokabel meist etwas, das
ihnen über alles andere hinaus am Herzen liegt und ihrem Leben einen Sinn verleiht. Das
kann ein Hobby sein, ein Schmuckstück oder Talisman, ein bestimmter Mensch, ein
Kuscheltier, eine partikuläre Gewohnheit wie das Treffen mit der Clique am Freitagabend.
In dieser semantischen Bedeutung nutzen es zudem auch Erwachsene, etwa wenn sie davon
sprechen, was für sie unantastbar ist, wie beispielsweise die Ruhe bei einer bestimmten
Fernsehsendung (klischeehaft: die Sportschau bei Männern) oder das Zeitunglesen am
Sonntagmorgen.82
Wird mit diesen Verweisen auf den ersten Blick nichts klassisch Religiöses bezeichnet,
verweisen sie doch auf den Stellenwert, den andere Dinge im Leben der Jugendlichen
haben, und die oft als Ersatzbefriedigung dienen. Mitgedacht ist hierbei immer die
78
Vgl. Schmälzle (1999/2000), S. 38.
Schmälzle (1999/2000), S. 34.
80
Otto (1963), S. 21 f., 27 f., 35 f. Was dies ferner bedeuten kann, definieren u. a. Kamper und
Wulf: „Was man unter dem Vorzeichen des sensus numinis, dem Zorn Gottes, die
schlechthinnige Unnahbarkeit, die numinose Leidenschaft, Kraft, Bewegung, Erregtheit,
Tätigkeit … nennt, das sind keine einfachen Zeichen oder natürliche Prädikate für das
Dämonisch-Gespenstische, das Tremendum oder die Majestas, die liebende Energie, das
andere, sondern es sind Ideogramme oder reine Deutezeichen eines eigentümlichen
Gefühlsmomentes im religiösen Erleben.“ Dies. (1987), S. 44; beide Stellen zitiert nach
Schmälzle (1999/2000), S. 34.
81
Siehe hierzu etwa Horkheimers Werk „Dialektik der Aufklärung“ in Zusammenarbeit mit
Adorno (1947/1969).
82
Leopold Neuhold bezeichnet dies als etwas, das Jugendliche „nicht angetastet wissen wollen“.
Neuhold (2005b), S. 22.
79
45
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Begegnung mit dem Sakralen, wobei dies in der Erfahrung des religiösen Menschen von
den primitiven Äußerungen reichen kann, die mit einem Stein oder Baum verbunden sind,
„bis zu der höchsten, die für den Christen die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus
ist“83.
Das Sakrale manifestiert sich laut Pollo in „der religiösen Erfahrung des vormodernen
Menschen in einem Gegenstand der profanen Welt, der jedoch im selben Augenblick, in
dem er etwas anderes zeigt, nicht mehr er selbst ist, sondern das Sakrale, das ganz Andere.“84
Ein entsprechendes Phänomen ist beschreibbar mit den modernen utopischen Formen der
Esoterik und Parapsychologie. Neuhold bezeichnet die auch als die Befriedigung „des
kleinen spirituellen Hungers zwischendurch“85. Es ist die Suche nach „Verzauberung in
der entzauberten Welt“,86 in der wir heute leben und doch auch spirituell Mensch
bleiben wollen. So vertritt etwa Christoph Wulf die Theorie, dass das Heilige nicht
vergangen ist, sondern als „Verschobenes, Verborgenes, Verdrängtes und Vergessenes
durchaus aktuell“ sei.87 Gemeint ist, dass wir in unserem Alltag zuweilen aufgerüttelt
werden durch Erlebnisse, Dinge, Situationen oder Menschen, die in unser Leben treten und
dessen normale Ordnung durcheinanderbringen. Unsere Routine wird verändert und gerät
aus dem Rhythmus, und wir nehmen an sich Vertrautes anders, neu wahr. Wir machen die
Erfahrung, nicht alles kontrollieren zu können, ja, auch verletzlich „verfügbar“88 und
schutzbedürftig zu sein. Diese veränderte Wahrnehmung von Menschen, Zeit und Raum
können den Menschen in seinem Verständnis von sich und der Welt verändern. Insofern
verweisen solche Erfahrungen auf das Heilige, das als Erfahrung des Geheimnisvollen
(numinosum), Faszinierenden (fascinosum) und Schrecklichen (tremendum) beschrieben
wird. Denn der Mensch wird sensibler für das, was sich ihm in der Religion anbietet.
An diesen Schnittstellen des Lebens, in den Momenten von Freude, des sich getragen
Fühlens, aber insbesondere auch von Angst und Leid, kann ein Erleben des Heiligen
stattfinden, und dieses Erlebnis der Heiligkeit muss nicht an Religion gebunden sein – kann
es aber.
83
Pollo (1998), S. 59.
Pollo (1998), S. 61.
85
Neuhold (2005b), S. 23.
86
Die Bezeichnung benutzt Wulf (2005), S. 24.
87
Wulf (2005), S. 24. Wulf bezieht sich hier auf weitere Überlegungen in dieser Art von Kamper,
s. Wulf (1987), S. 1.
84
46
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Erzeugt beziehungsweise vermittelt wird diese Erfahrung meist durch Rituale, etwa durch
Feste
religiöser
oder
nicht-religiöser
Natur.
Beispiele
hierfür
können
der
Weihnachtsgottesdienst sein oder die Wahrnehmung bestimmter Sakramente (Taufe,
Kommunion, Konfirmation, Hochzeit) als festliche Anlässe. Insofern hat die Kirche mit
ihren Riten der Taufe, Kommunion, Firmung, Trauung, und Beerdigung immer noch wie
Morgenthaler es nennt ein „breites (und unkonkurrenziertes) Angebot von symbolischen
Handlungen, die sich zwar auf jenseitige Mächte, aber spezifisch auch auf die Übergänge im
Familienleben beziehen und dieses damit sakral bestätigen und überhöhen.“89
In diesem Tenor bewertet auch der Bruder Papst Benedikts XVI., Georg Ratzinger, die
praktizierte Volksfrömmigkeit. Er schreibt: Das besonders Schöne am katholischen
Glauben seien „die sinnlichen Elemente. Unser Glaube beschränkt sich nicht nur auf das
Gebet, auf die Innerlichkeit und die Rationalität. Er erfasst den ganzen Menschen. Der
ganze Mensch ist zur Heiligkeit berufen, und so muss auch der ganze Mensch mitwirken
und aktiv werden“.90
Aber auch Jugendweihen in der ehemaligen DDR, und m. E. auf jeden Fall auch das
Mitwirken in Vereinen (das berühmte Lagerfeuer mit Singen zur Gitarre im Zeltlager der
Messdiener oder auch Pfadfinder), musikalische Großveranstaltungen wie Popkonzerte
oder eben auch der Weltjugendtag, die alljährliche Karnevalsprozession oder das Feiern des
luxemburgischen Nationalfeiertags mit Fackelumzug können diese Funktion auf
vergleichbare Art und Weise erfüllen. Diese Anlässe schaffen Ähnliches wie das, was Wulf
für das Weihnachtsfest in der Kirche beschreibt:
„Wenn im Rahmen der christlichen Liturgie die Weihnachtsgeschichte verlesen wird, die
Gemeinde die vertrauten Lieder singt, der Pfarrer oder Pastor die den Kirchenbesuchern seit
früher Kindheit bekannten rituellen Handlungen vornimmt, dann entsteht zwischen den
Anwesenden ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Gemeinschaft, in der
Festgemeinde breitet sich ein „Fließen“ aus. In solchen Momenten entstehen Gefühle
der Sicherheit und der Geborgenheit. Kosmos und Welt werden als geordnet
erfahren.“91
Ähnliches oder Gleiches kann jeder beschreiben, der Gemeinschaft im positiven Sinne
erlebt und gespürt hat, welche Gefühle, welches Sich-fallen-Lassen, welche Kräfte und
welche Faszination diese Erfahrung in einem Menschen freisetzen kann.
88
Wulf (2005), S. 25.
Morgenthaler (2002b), S. 49.
90
Thurn und Taxis (2009), Vorwort. Hervorhebung von mir, S. D.
91
Wulf (2005), S. 27. Hervorhebung von mir, S. D.
89
47
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Diese Sehnsucht nach Heiligem finden junge Menschen laut aktueller Jugendforschung92
mehr und mehr in der Sozial- und Erlebnisform des Events. Das Event erfüllt nämlich
eine ganze Reihe postmoderner Grundbedürfnisse, die im Folgenden dargestellt werden.
Unter Event versteht man nach Hobelsberger „Anlässe, Orte und Zeiträume
posttraditionaler Vergemeinschaftung“93. Das Event ist insbesondere für Individuen
attraktiv, die „vom unmittelbaren Einfluss ihrer Herkunftsbildungen frei sind“ und ihre
Zugehörigkeit „selbsttätig im Modus der Wahl“ herstellen können.94
Außerdem offerieren Großveranstaltungen den Jugendlichen die Chance, Zugehörigkeit und
Gemeinschaft in einer Kirche zu erleben, was sie in ihrem zeitökonomisch weitgehend
fremdbestimmten Alltag oft nicht mehr können.95 Beim Event müssen die Jugendlichen
nicht t a t s ä c h l i c h zu der Gemeinschaft gehören, sie müssen es aber so e m p f i n d e n .
So bezeichneten Jugendliche, die nach ihrer Motivation für ihre Reise zum Weltjugendtag
nach
Toronto
im
Jahr
2002
befragt
wurden,
„personale
Begegnungen
und
Zugehörigkeitsartikulationen“ als wichtigstes Motiv.96
Hobelsberger bezeichnet diese „Gemeinschaftssehnsucht“ des Individuums, das sich seine
Existenz aufbaut, als spezifisch: Es sucht „Gesinnungsfreunde“, die es aber nicht in
„schicksalhaft auferlegten Traditionsmilieus findet, sondern heutzutage in Gemeinschaften,
denen man völlig informell beitreten und auch wieder verlassen kann, und so eine Art
„Teilzeitorientierung“ bieten, die bis auf das Event selbst kein Verpflichtungspotenzial
tragen.97 Die Jugendlichen müssen keine dauerhaften Verpflichtungen oder Opfer bringen –
mag das Event selbst beziehungsweise der Weg dorthin oft mühevoll sein, so ist doch der
Alltag weitgehend von ihm unbelastet – auch das ist für Jugendliche häufig attraktiv. Event
ist somit ein wichtiges Merkmal individualisierter Religion, hält andererseits jedoch die
vereinzelten Gläubigen zusammen.98
92
Verwendet sei hier exemplarisch der Artikel von Hans Hobelsberger (2006).
Hobelsberger (2006), S. 53.
94
Ebd.
95
Vgl. Hobelsberger (2006), S. 54.
96
Scharnberg / Ziebertz (o. J), zitiert nach Hobelsberger (2006), S. 55.
97
Hobelsberger (2006), S. 53. Er zitiert hierbei auch Hitzler (1998), S. 226.
98
Vgl. Hobelsberger (2006), S. 55.
93
48
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Nicht zu unterschätzen ist der sogenannte Fun-Faktor bei der religiösen Suche. Leopold
Neuhold beschreibt, dass Religion mehr und mehr zu einem Angebot wird, das auf
Erfahrungen und Erlebnisse ausgerichtet ist: „Warum dieses oder jenes hilft, ist nicht so
wichtig. Nicht Denkmodelle sind gefragt, sondern Erlebnis und Event. So ist das wieder
erwachte Interesse an Wallfahrten ein Zeichen für eine solche Ausrichtung auf ganzheitliche
Erfahrung, die durch eine Theoretisierung des Glaubens verloren gegangen ist.“99
Außerdem steht die Verfolgung des Glücks im Hier und Jetzt im Vordergrund: the pursuit of
happiness.100 Nach Hobelsberger ist in den vergangenen Jahren mit der Eventkultur zudem
eine „Ästhetik des Außergewöhnlichen“ entstanden: „Was vormals die Funktion des
Alternativen war, nämlich für Aufmerksamkeit, Mobilisierung und Attraktivität zu sorgen,
erfüllt heute das Außergewöhnliche. So werden traditionelle Veranstaltungen mit einer
Attraktivitätsstruktur
‚aufgepeppt’,
die
auf
einem
multisensualen
Erleben
von
Außergewöhnlichem beruhen.“101 In der Veranstaltung kann das Individuum seine Nähe
oder Distanz zum Geschehen frei wählen; und nicht der Inhalt steht im Vordergrund,
sondern das Ergriffenwerden: „Religion wird zum Live-Erlebnis“, bei dem das Gefühl,
anders als früher, nicht Begleiterscheinung ist, sondern im Mittelpunkt steht. 102
Da sich die vorliegende Arbeit im Hauptteil von religiöser Parteinahme freihalten möchte,
soll auf die Darstellungen religionspädagogischer Chancen an dieser Stelle verzichtet
werden. Bemerkt sei lediglich, dass die zunehmende Teilnahme Jugendlicher an Events bei
gleichzeitigen Kirchenaustritten aus Sicht der Kirche dies keineswegs eine Glaubensabkehr,
sondern ein anderer Weg hin zum Glauben darstellen könnte.
2. 5
Die Vokabel „Glaube“ in ihrem Verhältnis zur Religiosität
„Viele Leute sagen: An etwas muss
man doch glauben. Die Frage ist nur,
an was.
Was bieten wir den Menschen jenseits
voller Schaufenster?“
Roman Herzog,
99
Neuhold (2005a), S. 20.
Neuhold (2005a), S. 20.
101
Hobelsberger (2006), S. 52.
102
Hobelsberger (2006), S. 54 f.
100
49
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Deutscher Bundespräsident a. D.103
Das deutsche Wort „glauben“ entspringt eigentlich der Sprachwurzel „liob“ und bedeutet
„für lieb halten, gut heißen, das Gute sehen“. In diesem Sinne bedeutet Glauben also einen
spezifischen Zugriff auf die Wirklichkeit: die bewusste Wahrnehmung des Guten in der
Welt. „An etwas glauben“ ist also immer etwas Positives, wenn auch nicht zwingend religiös
gemeint. Im Gegensatz hierzu sind das lateinische Wort „credere“ und das griechische Wort
„pisteuein“ mehr religiös konnotiert und verweisen auf die Gottesbeziehung („für wahr
halten und trauen, vertrauen“).104
Fragt man im Unterricht die Jugendlichen danach, ob sie „glauben“, kommt häufig auch die
prompte Antwort: „Klar – jeder glaubt doch an etwas!“ Religiosität jedoch weisen viele der
Jugendlichen expressiv und vehement von sich: Glauben: Ja, aber „gläubig sein – nein, das
doch nicht!!!“ Diese Haltung trägt sich weiter bis ins Erwachsensein, wie etwa Karlheinz
Deschners Sammlung von „Glaubensbekenntnissen“ von Wissenschaftlern, Theologen und
Künstlern verschiedener Disziplinen veranschaulicht:105 Alle Befragten glauben an etwas,
jedoch in den seltensten Fällen in Form eines religiösen Bekenntnisses, sondern im Sinne
der Sprachwurzel „liob“. Im Grunde kann sich niemand dessen entziehen, von etwas im
Tillichschen Sinne e r g r i f f e n sein zu wollen.106 So meint auch Ladislaus Boros, gibt es
kein echtes Menschsein ohne Glauben.107 Die Mehrheit der Leute bekennt sich zu einem
Glauben, den sie jedoch von Religion entkoppelt wissen möchte. In einer Befragung von
Jugendlichen wäre also terminologisch klar zu unterscheiden zwischen „gläubig
sein“ und „an etwas glauben“.
„An etwas glauben“ – das heißt selbst bei konfessionsgebundenen Jugendlichen noch längst
nicht, dass ein Gottesbild gemeint ist. Als Beispiel dienen Statements, die Kinder und
Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene auf Nachfrage der deutschen Zeitschrift
schüler108 machten, und die im Folgenden in Auszügen zitiert werden.
103
Zitiert nach Hahne (2005), S. 61.
Siehe die Erläuterungen bei Grün (2001), S. 289 f.
105
Deschner (1990).
106
Tillich definiert Glaube als „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“, zitiert nach
Grün (2001), S. 289.
107
Siehe hierzu etwa Boros Werk „Der nahe Gott“ (1971).
108
Baader u. a. (2005), S. 4-7.
104
50
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Ich glaube schon an so was wie einen Gott, jedoch habe ich kein Interesse an Kirche und gehe auch
nicht in Gottesdienste. Wichtig ist für mich, dass man Tiere vor dem Aussterben schützt und besonders
sollte man alles Mögliche versuchen, den Lebensraum von Tieren zu erhalten.
Christopher, 11 Jahre, konfessionslos
Ich glaube, dass ich nicht an Gott glaube. Wichtig ist für mich Gerechtigkeit, ich bin mir aber bewusst,
dass es die nicht gibt.
Arek, 22 Jahre, katholisch
Ich glaube schon an Gott, aber manche Geschichten in der Bibel sind nicht wahr. Ich würde um mein
Leben kämpfen, das ist ja das Wichtigste.
Daniel, 7 Jahre, evangelisch-lutherisch
Ich glaube nicht an Gott, Religion hat für mich keine Bedeutung. Mir ist wichtig, sich gegen
Ausländerhass und Rassismus einzusetzen. Ich kann nicht verstehen, dass Menschen aufgrund ihrer
Herkunft diskriminiert werden.
Anke 13 Jahre
Ich glaube nicht an Gott, habe auch keinen Bezug zur Institution Kirche. Dennoch denke ich, dass der
Glaube für viele Menschen eine große Bedeutung im Leben hat. Die Welt erkläre ich mir eher vor dem
Hintergrund der Naturwissenschaften. Meiner Ansicht nach sollte man alles Mögliche tun, um soziale
Ungerechtigkeiten zu beseitigen.
Nina, 21 Jahre, evangelisch-lutherisch
Ich glaube nicht an Gott, aber dafür an mich selbst. Wenn ich etwas unbedingt will oder etwas
Besonderes schaffen möchte, sage ich mir immer, dass ich nur an mich glauben muss, dann klappt es.
Ich bin der Meinung, dass man sich für die Flutopfer in Asien einsetzen sollte, damit sie wieder ein
Zuhause bekommen und genug Nahrung und Trinkwasser haben.
Christopher, 12 Jahre, evangelisch-lutherisch
An Gott glaube ich und an Jesus. Ja, und dass ich das schaffe, was ich mir vornehme. Ich finde es
wichtig, sich für Tiere einzusetzen, die vom Aussterben bedroht sind, und für Kinderheime spenden zu
geben, damit andere Kinder auch ein Zuhause haben.
Julia, 10 Jahre, römisch-katholisch
Ich glaube an die Liebe meiner Hunde. Sie geben mir Kraft und Zuversicht und sind immer für mich da.
Jessica, 24 Jahre, konfessionslos
Ich glaube auf jeden Fall an Gott. Beschreiben kann ich ihn aber nicht. Ich würde in Indien gern eine
Kirche bauen, um kranken Menschen zu helfen. Für Kinder würde ich mich besonders einsetzen.
51
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Manjet, 14 Jahre, Sikh
Die Beispiele veranschaulichen zum einen die Unabhängigkeit von Konfession und
Gottesbild beziehungsweise kirchliche Praxis. Umfragen, die allein die Gottesbilder
abhören, sagen noch längst nichts über die Werte der Jugendlichen aus.
Zum anderen
machen die Aussagen aber auch darauf aufmerksam, dass in einer
empirischen Befragung Jugendlicher mit der Vokabel „glauben“ und „werten“
beziehungsweise „wichtig sein“ sehr vorsichtig beziehungsweise bewusst umgegangen
werden muss. Wie bereits gezeigt, ist es menschlich, an etwas zu glauben, und das
konfessionsunabhängig. Der Fragende muss sich also genau überlegen, was er mit dem
Begriff erfassen will: Sollte „glauben“ im Zusammenhang mit Gott verstanden werden,
sollte dies auch möglichst so formuliert werden.
Die Beispiele demonstrieren außerdem, dass „Glaube“ und bestimmte Werte von den
Jugendlichen nicht zwingend miteinander verbunden sein müssen und die Kinder von sich
aus dazu, „was jemandem wichtig“ ist, kategoriell ganz unterschiedliche Dinge nennen,
obwohl nicht auszuschließen ist, dass sie auf eine gemeinsame Schnittmenge kämen. Das
heißt überspitzt gesagt, dass derjenige natürlich auch um sein Leben kämpfen und sich
gegen Rassismus einsetzen könnte, der ein großer Hundefreund ist!
Das ist, neben Chancen, eines der Risiken, die bestehen, wenn man in der Frage, woran
Jugendliche glauben und was ihnen wichtig ist, offen fragt.
Interessant ist ebenfalls die Feststellung, dass Glaubensüberzeugung nicht unbedingt etwas
mit der Konfessionsgemeinschaft zu tun haben muss. Zu diesem Ergebnis kommt die
Allensbach-Studie, die sich 1992 mit den Entscheidungsprofilen von Kirchenaustritten in
Deutschland beschäftigt hat, und von Udo Schmälzle weiter interpretiert worden ist.109 In
den Tiefeninterviews wird geäußert, dass Glaube und Kirche für die Befragten zwei
verschiedene Paar Schuhe sind. Es sei eher die Kritik an der Amtskirche, die zum Austritt
bewegt hat, und für so manchen sei es durchaus bedeutsam, die moralischen Grundsätze
der Zehn Gebote einzuhalten.110 Dies ist ein weiterer Beleg für die Notwendigkeit einer
inhaltlichen Differenzierung von Kirchlichkeit, Moralität, Glaube und Religiosität.
109
110
Schmälzle (1998).
Vgl. Schmälzle (1998), S. 172.
52
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Eine aus theologischer Sicht möglicherweise laienhafte Definition von Glauben gibt der
promovierte Philologe und Volkswirt Jens Bandemer. Sie erscheint mir gerade deswegen in
unserem Kontext beziehungsweise für unser Interesse als tragfähig, weil sie die
unvoreingenommene Sicht des Individuums auf die Vokabel wiedergibt, und sie
wahrscheinlich näher an den Jugendlichen ist als die so manches studierten Theologen.
Bandemer antwortet auf die Frage „Was ist Glaube und was heißt glauben“:
„Glaube ist für mich die persönliche, durch unsere Wünsche und Ängste, unsere
Charakteranlagen und Lebensumstände, aber auch unsere Denkgewohnheiten und
Vorstellungen ‚gefärbte’ Ahnung von Wahrheit.“111
Auch wenn sich Bandemer von einem religionstheoretisch verorteten Glauben distanziert
und sich im Glauben an die Realität verhaftet sieht, beinhaltet seine Definition doch
wesentliche Merkmale, die das Transzendente am Glauben erfassen: Die „Ahnung der
Wahrheit“ spürt der Wahrhaftigkeit nach, wie sie der religiöse Mensch nur im Glauben an
das Absolute bei Gott findet. Bandemer erklärt: „Nach meiner Erfahrung besteht ein enger
Zusammenhang zwischen dem, was wir im Leben wollen und unserem Glauben, wobei ich
hier auch nicht den ‚erlernten’ Glauben, sondern den er-lebten persönlichen Glauben meine.
Mein ‚Himmel’ ist kein inneres Refugium, in dem ich vor den Härten des irdischen Daseins
Zuflucht suche. Ich erfahre die Realität Gottes bei der Bewältigung des Alltags. (…) Ich
glaube, daß Gott als Lebenskraft, Energie und Weisheit in jedem von uns ist.“ 112
Gleichzeitig beinhaltet die Definition die menschlich-individuellen Prägungsfarben des
Glaubensbegriffs: Glaube, so kollektiv oder diktiert er auch sein kann, muss schlussendlich
immer wieder zurückgeführt werden auf den einzelnen Menschen – auch das muss jede
Empirie anerkennen, die sich mit der Suche nach Glauben und Religiosität befasst. In
diesem Tenor erhalten wir eben das (nicht zwingend religiöse) Statement „Jeder glaubt an
etwas“. Ihre unbedingte Forderung nach Autonomie und Akzeptanz ihrer Entwicklung und
Persönlichkeit lässt häufig keine weitere religiöse Konkretisierung zu außer der Vokabel
vom „Glauben“. In diesem Sinne beantwortet der Psychologe Erich Fromm für sich die
Glaubensfrage:
111
112
Bandemer (1990), S. 35.
Bandemer (1990), S. 35 bzw. 37.
53
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
„Kann der Mensch ohne Glaube leben? Muss der Säugling nicht an die Mutterbrust glauben?
Müssen wir nicht alle an unsere Mitmenschen glauben, an unsere Liebsten und an uns selbst?
Können wir ohne Glaube an die Gültigkeit von Normen für unser Leben existieren? Ohne
Glaube wird der Mensch in der Tat unfruchtbar, hoffnungslos und bis ins Innerste seines
Wesens verängstigt.“113
Jedoch zieht Fromm eine Schlussfolgerung, die beim glaubenskritischen Menschen wie auch
bei vielen Jugendlichen noch auf sich warten lässt; er meint:
„Es ist die Gewissheit einer Wahrheit, die nicht durch rational zwingende Evidenz bewiesen
werden kann, von der ich aber aufgrund der Evidenz meiner subjektiven Erfahrungen
überzeugt bin.“ 114
Dieses Verständnis von Glauben als Wirklichkeitserkenntnis korrespondiert mit den
Vorstellungen
des
Evangelisten
Johannes.
Anselm
Grün
beschreibt
dessen
Glaubensverständnis so: „Im Glauben … erkennen wir die Wahrheit, da geht uns auf, was
uns eigentlich trägt und woraus wir leben.“
Im Unterschied jedoch zum jugendlichen Begriffsverständnis der Vokabel, wenn sie etwa
sagen „Ich glaube an meinen Fußballverein“, besitzt Glaube, wie ihn Johannes und auch
Paulus im Sinn hatten, keinerlei Anspruchsdenken an das Diesseits. Anders formuliert:
Wenn ich mit Jesus Christus glaube, rechtfertigt dies alles, denn den Wert, den ich durch
Jesus Christus erfahre, muss ich nicht mehr durch meine eigene Kraft beweisen. Glaube
steht sozusagen im Gegensatz zur eigenen Leistung.115 In diesem Sinne müsste Glaube den
Menschen befreien – er wird freilich oft jedoch nicht so wahrgenommen.
Ein ähnliches Vokabular zur Beschreibung von Glauben benutzt auch der theologische Laie
Bandemer, wenn auch mit einem verschobenen Verständnis von Kraft durch den Glauben:
„Im Glauben bemühe ich mich um eine Antwort auf die Frage nach Gott und dem Sinn
unseres Daseins. Es geht mir nicht um Weltanschauung, um theologisches, philosophisches
oder esoterisches ‚Wissen’. Was mir nicht im Inneren Geborgenheit, Gelassenheit und Kraft
und im Äußeren Orientierung für mein Verhalten gibt, ist meinem Empfinden nach nicht
Glaube.“116
113
Fromm (1976), S. 50 f.
Ebd.
115
Siehe hierzu auch die Darstellung bei Grün (2001), S. 290.
116
Bandemer (1990), S. 35.
114
54
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Für Bandemer ist Glauben ebenfalls mit einem Geschenk an den Menschen verbunden:
Geborgenheit, Gelassenheit, Kraft. Im Unterschied zu Johannes, bei dem Glaube in dem
Sinne freimacht, weil er dem Menschen nicht streitig gemacht werden kann, verlangt ein
Glaube im Sinne Bandemers eine Zweifellosigkeit im gnostischen Sinne117: Ich muss den
Glauben sozusagen wissen.
Glaube jedoch ist immer mit Zweifel verbunden, Anselm Grün nennt ihn gar „immer nur
überwundener Zweifel“118, eben nicht Wissen. Mit dem letzten Satz drückt Bandemer eben
das aus, was Äußerungen Jugendlicher oft eigen ist: die Distanzierung von einem
Glauben, der Hürden überwunden hat, der nicht nur gerade Wege geht, der auch einmal
holprig oder auch unbequem sein kann, und von dem auch Ladislaus Boros sagt, dass es
ohne diese Überwindung des Zweifels auch kein echtes Menschsein geben kann. Mit den
diesbezüglichen Signaturen der heutigen Spaß- und Eventgesellschaft wird sich das vierte
Kapitel der vorliegenden Arbeit genauer befassen, wenn es um die Analyse der
Lebensumwelt Jugendlicher im Zusammenhang mit religiöser Wahrnehmung geht.
Im Zusammenhang mit jugendlichem Glauben scheint mir aber auch eine weitere, letzte
Dimension des Glaubens von entscheidender Bedeutung:
Glauben heißt Vertrauen.
Diese Theorie möchte ich folgendermaßen entwickeln:
Als eine Hinführung diene der Auszug aus „Hallo Mister Gott, hier spricht Anna“, einer
fiktiven Geschichte eines kleinen Mädchens, das mit seinem erwachsenen Freund Fynn
buchstäblich über Gott und die Welt philosophiert. Ich möchte ihn mit „Ein typischer (?)
Glaubensweg“ betiteln:
„Wenn du ein Kind bist, dann verstehst du alles. Mister Gott sitzt auf einem goldenen Thron; er hat
einen langen weißen Bart und einen Schnurrbart, und eine Krone hat er auf dem Kopf. Und alle um ihn
rum singen die ganze Zeit wie die Verrückten. Immerzu Hymnen und so Zeug. Kein Mensch kann das
aushalten.
117
Die Rede ist von Gnosis als breite Strömung des 1. Jahrhunderts, in der sich die Sehnsucht
nach Erleuchtung formulierte. Der Mensch wünschte sich, ähnlich unserer New-AgeBewegung, „der Schleier, der über allem liegt, möge endlich weggezogen werden, damit wir
durchblicken, damit wir das Eigentliche erkennen.“ Grün (2001), S. 290.
118
Grün (2001), S. 291.
55
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Und Mister Gott macht einfach alles, wenn man bloß nett genug darum bittet. Er kann Willy nebenan
eine Warze auf die Nase machen zur Strafe, weil er Millie verhaut, wenn sie nicht genug Geld abliefert.
All sowas macht er ganz fabelhaft, und darum ist er so wichtig, und man benützt ihn die ganze Zeit. Und
ein bißchen später, dann denkt man was ganz anderes, und Mister Gott ist immer schwieriger zu
verstehen. Aber es geht noch gerade. Dann kommt einem plötzlich vor, als ob er einen nicht mehr
verstehen will. Jetzt hört er einfach nicht mehr zu. Er sieht es plötzlich nicht ein, daß man unbedingt ein
neues Fahrrad braucht. Und dann kriegt man auch keins. Und dann versteht man ihn schon viel weniger.
Und wenn man noch älter wird (…), dann ist es schon wieder schwieriger. Und dabei wird er irgendwie
kleiner. Und man versteht ihn nur noch soviel wie viele andere Sachen, die auch schwierig sind. Die
ganze Zeit in deinem Leben bröckeln da Stücke von ihm ab. Und dann kommt der Punkt, da sagst du,
du verstehst ihn überhaupt nicht mehr. Siehst du, und dann ist er wieder ganz ganz groß. So groß wie er
in Wirklichkeit ist. Und wumm, da lacht er dich aus, weil du so blöd warst.“119
Diese Darstellung einer religiösen Biografie seitens der fiktiven sechsjährigen Romanfigur
Anna mag zum Lächeln anregen, aber sicher auch bei den meisten Menschen zu einem
zustimmenden Nicken, denn auch wenn Religiosität so viele Wege und Ausprägungen
haben mag wie es Menschen gibt, verläuft in unserer westeuropäischen Gesellschaft ein
Glaubensweg nicht selten so. Dies hängt nicht zuletzt natürlich auch mit der intellektuellen
wie emotionalen Entwicklung des Menschen zusammen: Naiver Glaube wird abgelöst von
Erkenntnisfrustration: Wie es dann aber weitergeht, hängt zu einem entscheidenden Punkt
von den Erfahrungen ab, mit denen Religion verknüpft wird, und hier setzt die
Verantwortung des Umfelds ein.
Anders als Freud uns glauben machen wollte, verläuft nach Erkenntnissen psychologischer
und soziologischer Theorien die kindliche Entwicklung nicht nur triebtheoretisch, sondern
als sozio-kultureller Lernprozess. Als Klassiker dieser Identitätstheorie gilt der
Tiefenpsychologe Erik H. Erikson, für den Urvertrauen geradezu der Eckstein der seelisch
gesunden Persönlichkeitsentwicklung ist. Unter diesem Urvertrauen versteht Erikson „eine
auf die Erfahrung des ersten Lebensjahres zurückgehende Einstellung zu sich selbst und zur
Welt“120. In Eriksons Überlegungen muss das Ich zwischen Es und Über-Ich vermitteln; die
Ich-Identität ist nicht triebgesteuert, sondern eine selbstreflexive Leistung menschlicher
Persönlichkeit. Ähnlich wie Piaget, Kohlberg und Oser und Gmünder entwickelt auch
Erikson ein Phasenmodell, das sich an der kognitiven und emotionalen Entwicklung
beziehungsweise bei ihm: Entwicklungskrisen, der Kinder orientiert.
119
120
Fynn (1974/2002), S. 111f.
Erikson (1966), S. 62.
56
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Erikson versteht Identität also nicht nur als etwas Determiniertes oder von außen
Vorgegebenes, sondern als vom Bewusstsein und Willen des Einzelnen steuerbare Leistung.
Wichtig in unserem Zusammenhang wäre eine Einschränkung des Erikson-Modells.
Erikson ist jedoch insofern zu kritisieren, als die Entwicklung der menschlichen
Persönlichkeit mit der Adoleszenz nicht abgeschlossen, sondern bis zum Lebensende ein
Prozess ist. Auch würden sich in weiteren Forschungsvorhaben religionspädagogische
Überlegungen nicht nur resümierender, sondern auch zukunftsperspektivischer Natur
lohnen.
Im Zusammenhang mit der Frage nach Religiosität versteht Erikson unter menschlichem
Urvertrauen das, „was man im Allgemeinen als ein Gefühl des Sich-verlassen-dürfens
kennt, und zwar in Bezug auf die Glaubwürdigkeit anderer wie die Zuverlässigkeit seiner
selbst“121. Zwar kann man das Urvertrauen nicht mit dem religiösen Glauben gleichsetzen,
doch ist ein emotionales Klima in der Familie, in der ein Kind Urvertrauen erfahren kann,
beim Erwerb einer religiösen Glaubenshaltung förderlich. Die Eltern bieten dem Kind in
gewisser Weise die erste „Gotteserfahrung“, indem sie ihm Vertrauen und Liebe schenken.
In dieser Erkenntnis wird deutlich, wie groß die Verantwortung der Eltern ist, wenn sie
ihrem Kind die menschlichen Bedingungen für ein positives Verhältnis zwischen Welt und
Gott bereitstellen wollen. In einem weiteren Sinne hat dann auch Glauben immer mit der
Vertrauensfähigkeit des Menschen zu tun.
Ein in diesem Kontext schönes Bild scheint mir das folgende Foto: 122
121
122
Erikson (1966), S. 62.
Foto: Rudolf Dietrich; aus Phil Bosmann: Blumen des Glücks mußt du selber pflanzen.
Freiburg i. Br. 1982. S. 72.
57
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Das Bild passt m. E. deshalb gut in den Zusammenhang, weil seine Sprache das
Getragenwerden durch Gott impliziert: Einerseits weist es die besondere Bedeutung des
Kindes für die Eltern aus, zweitens bildet es das bedingungslose Vertrauen des Kindes ab,
das durch das Gehaltenwerden und die Höhe sichtlich Freude empfindet. Um Glauben zu
können, muss man sich so fallen beziehungsweise tragen lassen, muss buchstäblich der
Tragfähigkeit der Sache, an die wir glauben, so bedingungslos trauen wie das kleine Kind
auf dem Bild mit Mutter und Vater. Das Bild erzählt vom Urvertrauen wie Erikson es
meint, und das der Mensch am besten in der Familie lernen kann. Glaube kann tragen, ist
aber auch stets mit einem Restrisiko verbunden. Der, der uns trägt, hält uns hoch, zeigt uns
als Menschen mit Stolz und ist dennoch der Starke in unserer Beziehung. Diese Stärke
schenkt er dem Menschen als Gewinn, nicht als Erniedrigung.
Nach diesem Glauben müssen wir bei Jugendlichen suchen, auch wenn ihr Glaube nicht
unmittelbar mit Gott verknüpft sein mag. Wir suchen nach einem Glauben an eine Sache,
der die Jugendlichen in ihrer ganzen Spiritualität trägt.
2. 6
Spiritualität in ihrem Verhältnis zur Religiosität
Ähnliche Verwirrung wie dem Begriff „Glaube“ widerfährt der Begrifflichkeit der
Spiritualität, die oft, aber nicht immer mit Religiosität verbunden wird.
Der Begriff „Spiritualität“ wird in verschiedenen Zusammenhängen als vager Ausdruck von
Religiösem bis Okkultem hin zu „Sinnerfahrung“ und ‚An-etwas-glauben’ gegen das
spirituelle Vakuum verwendet, und erlebte in den vergangenen Jahren eine regelrechte
Karriere, die er mit dem Luxemburger Jean Leyder gesprochen, „einer gesellschaftlichen
Situation der religiösen Unbestimmtheit und Offenheit“ verdankt: „An die Stelle kirchlichinstitutioneller Vorgaben, die Eindeutigkeit und Gewißheit beanspruchten, tritt das Fragen
und das Suchen.“123
„Spiritualität“ leitet sich von dem lateinischen Wort spiritus (Geist) beziehungsweise
spiritualis (geistlich) ab.
123
Leyder (2006), S. 39.
58
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Folglich meint Spiritualität im Prinzip nichts anderes als das, was Menschen mit Geist
erfüllt.
So gesehen muss jeder Mensch spirituell sein, denn jeder Mensch besitzt eine geistige
Dimension – wie geartet oder wie tief oder flach sie auch immer sein mag. Es geht bei
Spiritualität um eine Geisteshaltung, nicht um ein Gefühl.
Nun stellt der Spiritualitätsbegriff in den vergangenen Jahren mehr und mehr im
Zusammenhang mit Jugendlichen und Religion ein Schlagwort dar, das boomt. Auf
„spiritueller Suche sein“, überhaupt „spirituell“ zu sein scheint dem Menschen im
Allgemeinen leichter über die Lippen zu gehen, als sich als religiös oder gar gläubig (und
schon gar nicht mehr als fromm - „wie hausbacken altmodisch!“) zu bezeichnen. Ähnlich
beschreibt es auch Petra Burkert: „Allgemein wird mit Religiosität kirchliche Enge,
Erfahrungsarmut, Pflicht assoziiert, mit Spiritualität dagegen Selbstverwirklichung,
Selbstfindung und besseres Leben. Wer im Bereich der Esoterik-Szene oder des New Age
von Spiritualität spricht, möchte sich von Kirchlichkeit, christlicher Frömmigkeit, Religion
distanzieren.“124
Entsprechend liefert Elisabeth von Thurn und Taxis’ Plädoyer für eine engagierte und
gelebte Volksfrömmigkeit in ihrem Buch fromm! Eine Einladung, das Katholische wieder mit
allen Sinnen zu erleben eine Gegenbewegung zu der zuvor beschriebenen Entwicklung. 1982
geboren bemüht Thurn und Taxis sich darum, Praktiken wie das Rosenkranzgebet,
Frühbeichte oder Mundkommunion unter jungen Menschen zu rehabilitieren und benutzt
dazu ein ihrer Peer-Gruppe geläufiges Vokabular: So sei etwa die Beichte, gleich einem
Frühstücksei (sic!), ein "Genuss, den man ruhig öfters mal konsumieren"125 dürfe, und den
Rosenkranz bezeichnet sie als "Vitaminbombe für die Seele"126. Ob sich Thurn und Taxis’
Sicht der Dinge um eine Einzelstimme, eine kurzlebige Mode oder doch eine eingeläutete
Trendwende handeln, bleibt abzuwarten.
Petra Burkert hingegen befasst sich wissenschaftlich mit der genaueren Verquickung von
Religiosität und Spiritualität und gelangt zu dem Ergebnis, dass es bezüglich der Begriffe
eine Überlappung gibt, die nur schwer trennscharf zu fassen ist. Sie unterscheidet
Religiosität als „kollektive Formen mit quasi-religiösen Elementen aus dem Bereich „Kult /
124
125
Burkert (1993), S. 2.
Thurn und Taxis (2009), S. 16, Hervorhebung von mir, S. D.
59
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Ritus“, während Spiritualität „individuelle Formen der Sinnfindung“ sei. Bereits hier wird
der Konflikt deutlich mit der Erkenntnis, dass auch Religiosität individuell verfasst sein
kann. Burkerts Versuch einer Gesamtdarstellung macht die Verzweigtheit und Komplexität
der Thematik noch einmal deutlich und bedeutet im Bezug auf die vorliegende Arbeit die
Konsequenz einer Fokussierung auf den Religiositätsbegriff.
Vermutlich ist es so, dass Spiritualität weniger mit einer Nähe zu kirchlichen Institutionen
verbunden wird als der bei Jugendlichen nicht selten negativ konnotierte Religiositätsbegriff.
Paul Zulehner meint festzustellen, „dass die Spiritualität aus der Säkularität zu kommen
scheint und nicht aus den alten Kirchen, die hier eher nahezu gekränkt diese neuen
spirituellen Suchbewegungen als ungläubig, als ‚Religion ohne Gott’ verteufeln“127.
Dementsprechend wird Spiritualität zwar auch mit Religion in Verbindung gebracht,
aber eben auch mit vielfachen Formen des Aberglaubens oder gar auch
esoterischen Richtungen.
Der Religiositätsbegriff als „komplexes Konstruktsystem“ (vgl. Kapitel 2. 3) ist verquickt
mit den verschiedenen Dimensionen von Spiritualität:128
Dazu gehören
 die religiöse Praxis beziehungsweise religiöse Kultformen wie Kirchgang, die
Sakramente und Gebetspraxis,
 zweitens kommen okkulte Praktiken wie die Neigung zu Horoskopen, Satanismus,
Gläserrücken zum Tragen,
 drittens sind meditative Praktiken wie Yoga oder „sich zurückziehen“ als spirituell
zu nennen.
Diese drei Aspekte sind in einer empirischen Studie in einfachen Itemstrukturen abfragbar,
etwa bezüglich der okkulten Praktiken mit Fragen wie „Würdest du an einer spiritistischen
Sitzung mit Gläserrücken“ teilnehmen?“ und „Würdest du der Aussage eines spiritistischen
Orakels Glauben schenken?“ usw.
126
Thurn und Taxis (2009), S. 43.
Zulehner (2005a), S. 95.
128
Vgl. Burkert (2003), S. 7.
127
60
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Entsprechende Fragestrukturen finden sich in den Bögen von Stefan Huber zur Religiosität.
Das Ergebnis bei den Luxemburger Jugendlichen nach bisherigen Erfahrungswerten ist
vermutlich eine begrenzte Einordnung in Kult, eine breite latente okkulte Praxis sowie
Offenheit für meditative Praxis.
Bereits hier wird die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen den Begriffen deutlich: Wo
hört Religiosität auf, wo fängt Spiritualität an - oder umgekehrt…? Die Begriffe
überschneiden sich sehr. Spiritualität wird subsumiert unter Religiosität, Religiosität
wiederum
wird
festgemacht
an
religiösem
Verhalten,
an
Selbstdefinition
und
Mythisierungseffekten. Wer religiös ist, ist auch spirituell – nicht umgekehrt!
Simone Honecker versteht die Spiritualität so als den lebendigen Ausdruck einer inneren
Einstellung, die so betrachtet dann auch mit Frömmigkeit synonym verwendet werden
kann, wenn sie folgende Aspekte mitdenkt:
1.
eine Orientierung auf Gott hin,
2.
eine Fähigkeit zum Mitleiden, die an Jesus Christus erinnert,
3.
konsequent solidarisches Leben mit einer besonderen Option für die Notleidenden,
4.
Bereitschaft zur Versöhnung, die den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit
bedeutet.129
Interessant hierbei ist eine Anlehnung an die Elemente c h r i s t l i c h e r Spiritualität
bei Bonaventura. Diese sind:
1. die innere und ganzheitliche Hingabe an Gott
2. die Sinndeutung des Lebens im Mitleiden mit Jesus Christus
3. die stets gesuchte Solidarität mit dem Nächsten
4.
die Wiedergewinnung der ursprünglichen Umwelt durch ein versöhnendes Leben mit
Allem und Jedem130
Mit Bonaventura begegnen wir Gott im Nächsten und mit der vierten Dimension auch in
der Versöhnung mit der Schöpfung. Die angesprochene, notwendige Du-Begegnung, die im
Glauben stattfinden soll, wird real, weil Gott uns in der Gestalt Jesu Christi, der
menschliche Gestalt angenommen hat, geschenkt wird, aber auch mitten im weltlichen
Leben selbst: in der Begegnung mit dem Mitmenschen, in dem sich Jesus Christus verhüllt.
129
Honecker (2000), S. 14.
61
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Dies ist sicher von den wenigsten Jugendlichen wie Erwachsenen mitgedacht, wenn sie über
Spiritualität sprechen. Daher soll auf der Suche nach Religiosität die Spiritualität nur eine
implizite Rolle spielen.
2. 7
Die Verankerung von Moral, Ethik, Tugenden und Werten: Ein
Beziehungsgeflecht und sein Bezug zur Religiosität
2. 7. 1
Über die Bedeutung und Verbindlichkeit von Werten im Zusammenhang
mit Religiosität
„Liebe
und tu was du willst.“
Kirchenvater Augustinus zugeschrieben
Bezeichnet man einen Menschen als religiös, verbindet man mit ihm stets auch ein
bestimmtes moralisches Verhaltensspektrum. In ähnlicher Weise können Werte auch
verstanden werden als „Güter materieller, kultureller und ethischer Art, die dem einzelnen
oder einer menschlichen Gemeinschaft als Handlungsziele vorgegeben sind oder als solche
verstanden werden.“131 So hält etwa eine große Mehrheit der Jugendlichen „Demokratie“
für die am besten geeignete Staatsform.132
Diesen Gedanken hat auch Stefan Huber in sein Itemschema zur Erforschung von
Religiosität aufgenommen, und eben deshalb halte ich seinen Ansatz für einleuchtend und
sinnvoll. Der Anspruch gründet sich auf Werte, die man mit Religiosität assoziiert
und die sich übersetzen lassen in entsprechende Tugenden: Besitzt jemand den Wert
X, verhält er sich auch danach; und entsprechend wird das Agieren einer Person moralisch
130
131
Bonaventura (1961), S. 592, zitiert nach Schmälzle (1999/2000), S. 42.
Seeber (1986), S. 489, zitiert nach Schomaker (1997), S. 55.
62
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
eingestuft. Mit Moral (lat. moralis: sittlich) ist die Gesamtheit der Regeln gemeint, „die in
einer Gesellschaft akzeptiert sind und festlegen, was sittlich geboten ist, was als falsch und
richtig, gut und böse gilt“ (Hahne).133
Bezogen auf Religion wird beispielsweise gern geschimpft über kirchliche Würdenträger,
deren Verhalten beziehungsweise Lebenswandel im Gegensatz zu dem steht, was sie auf der
Kanzel predigen. Beispiele in jüngerer Zeit sind etwa der deutsche Bischof von Augsburg,
Walter Mixa, der als junger Pfarrer Schutzbefohlene schlug und die für ein Waisenheim
bestimmten Stiftungsgelder für sein Privatleben nutzte. Nach einigem Ringen und großem
Druck seitens der öffentlichen Meinung wird er im Mai 2010 von Papst Benedikt XVI. von
all seinen Kirchenämtern entlassen. Ähnlich empörten sich viele über die EKD134Ratsvorsitzende, Margot Käßmann, die von der Polizei ertappt wurde, wie sie alkoholisiert
eine rote Ampel überfuhr. „Sie predigen Wasser und trinken Wein!“, so textete die Presse
vorwurfsvoll,135 woraufhin Käßmann im März 2010 ihr Amt niederlegte. Solches Verhalten
gilt als unmoralisch.
Entsprechend hegen, wie Lehrer an katholischen Privatschulen häufig hören, jene Eltern,
die ihre Kinder dort anmelden, oft besondere Erwartungen an den Unterricht und
pädagogische Aktivitäten der schulischen Einrichtungen: Sie sollen über die reine
Wissensvermittlung hinaus ihren Kindern Respekt vor dem Nächsten vermitteln. Ähnlich
funktioniert dies auch bei politischen Parteien wie in Luxemburg der CSV136. Der religiöse
Name, bei Schule wie Partei, wird mit entsprechendem Verhalten der Mitarbeiter
beziehungsweise der Anhänger oder Mitglieder assoziiert.
Allen ist klar, dass sich während gesellschaftlicher Umstrukturierung auch Werte wandeln
und sich wandeln müssen, damit sich Individuum und Gemeinschaft neuen
Herausforderungen stellen können.
Moralische Prinzipien, die man mit Religiosität assoziiert, sind jedoch in der Realität nicht
identisch mit den Zehn Geboten des Christentums. Vielmehr beinhaltet Religiosität, wie sie
132
Vgl. Gille / Krüger (2000), S. 220.
Hahne (2005), S. 32.
134
Evangelische Kirche Deutschland
135
Vgl. etwa Focus Online im Februar 2010, weitere Magazine folgten.
136
Die Abkürzung steht für „Christlich Soziale Volkspartei“ und beruft sich in ihrem
Parteiprogramm auf traditionell religiöse Werte wie die Rechte des Einzelnen (der aktuelle
Parteislogan lautet „Jeder Einzelne zählt“). S. die Webseite der Partei.
133
63
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
in dieser Arbeit vorgestellt wird, ein Werteschema, das auch in anderen Konfessionen zu
finden ist. Werte unterliegen in jedem Fall dem Wandel und sind nach Oerter aufspaltbar in
sogenannte attitudes (Werthaltungen), zu denen auch die Religiosität zählt, und zwar in eine
kognitive, in eine affektive und in eine Handlungskomponente.137 In unserem Glauben
finden wir Elemente des Wissens, der Emotionalität und des Handelns.138 Im Folgenden soll
dargestellt werden, was mit Werten gemeint ist und wie man den Begriff in die Religiosität
und Christlichkeit einbinden kann.
In den Medien ist immer wieder von einem „Comeback der Werte“ zu lesen und zu hören;
man sucht, vermisst und beschwört die Werte, die der Gesellschaft nützen. In Zeiten der
globalen Finanzkrise, die die Politik und gesellschaftliche Stimmung zum Jahrzehntwechsel
bestimmt, fehlen den internationalen Märkten verbindliche soziale Werte. Sie bedeuten in
Zeiten
von
Globalisierung
und
Effizienzdenken
eine
nützliche
ethische
Grundorientierung, und in diesem Tenor etablieren sie sich andererseits in immer mehr
Wirtschaftsunternehmen sogenannten Corporate Identities. Diese sollen der Belegschaft ein
gemeinsames Interesse beziehungsweise einen Gemeinschaftsgeist beibringen. Diese
(wohlwollend gedacht: gut gemeinte, realistisch interpretiert: auf Profit abzielende) Strategie
ist jedoch schon dann zum Scheitern verurteilt, solange die Mitarbeiterslogans insbesondere
beim Sozialverhalten keine verbindlichen Werte enthalten.
Unser Zusammenleben mit anderen funktioniert nur auf einer ähnlichen
Wertegrundlage. Entsprechend seien hier Werte definiert als
Vorstellungen, die in einer Gesellschaft allgemein oder zumindest von vielen als
wünschenswert anerkannt sind.
Werte sollen und wollen Orientierung geben.139 Hierzu unterscheidet Hahne moralische
Werte wie Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Treue, religiöse Werte wie Nächstenliebe oder
Gottesfurcht, politische Werte wie Toleranz, Freiheit und Gleichheit und materielle Werte
wie Wohlstand.140 Ist diese Wertegrundlage nicht geklärt beziehungsweise sind die Werte
137
Siehe Oerter (1984), S. 289-297.
Siehe hierzu auch Rebell (1988), S. 59ff.
139
Vgl. Hahne (2005), S. 32.
140
Vgl. Hahne (2005), S. 33.
138
64
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
innerhalb einer Lebensgemeinschaft oder Gruppe nicht deckungsgleich, kommt es
unvermeidlich zum Konflikt.
Welche Konsequenzen es nach sich ziehen kann, wenn eine Gesellschaft sich werte-uneinig
ist, ist aktuell besonders drastisch sichtbar an dem kulturell wie wirtschaftlich und auch
religiös motivierten Krieg zwischen den USA und verbündeten Staaten in Europa mit der
Terrororganisation Al Quaida. Ein weiteres Beispiel liefern auch andere radikalmuslimische
oder politisch motivierte Terrororganisationen wie zum Beispiel die Hisbollah gegenüber
dem Westen, die sich gegenseitig den Werteanspruch aberkennen und auf die absolute
Realisation ihrer eigenen Werte pochen. Dabei berufen sich alle Seiten meist auf ihre
jeweilige Religion, Islam wie Christentum, die ihnen die Werte vorgebe.
Dies führt uns zu der Frage erstens nach der Trennbarkeit von Wertemustern nach religiös,
moralisch und/oder politisch und damit zweitens auch nach der Herkunft oder Quelle von
Werten. In Zeiten zunehmender Kirchenaustritte könnte man eine Entfremdung zwischen
Werten der Religion beziehungsweise auch der kirchlichen Institution und dem Bürger
vermuten – was aber eben nicht heißen muss, dass verminderte Kirchlichkeit
gleichbedeutend ist mit Werteverfall insgesamt: Vielleicht mögen die Werte Luxemburger
Jugendlicher jetzt andere sein als vor einigen Jahren. Inwiefern diese Werte mit Religion in
Verbindung gebracht werden, wäre in einer empirischen Studie mittels einer entsprechenden
Itemstruktur interessant zu veri- beziehungsweise falsifizieren.
2. 7. 2
Christlichkeit und Tugend – Eine kritische Hinterfragung der Begriffe
Wenn wir im Zusammenhang mit Westeuropa von Religiosität sprechen, verstehen wir
darunter implizit meist christliche Religiosität. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden diese
Begriffe sowieso synonym verwendet.141 Wenn wir heute von Säkularisierung reden, geht es
(meist immer noch) um die katholischen oder protestantischen Gotteshäuser, die leer stehen
oder christliche Kirchenaustritte und überhaupt das Fehlen konkret christlicher Signaturen
im Alltag. Auch wenn wir uns bis hierhin um die Objektivierung beziehungsweise um einen
möglichst konfessionsunabhängigen Religiositätsbegriff bemüht haben, ist Religiosität in
unserem Zusammenhang im zweiten Schritt als christlich gedacht.
141
Vgl. Schmälzle (1999/2000), S. 25.
65
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Mit Christlichkeit ist ein Verhaltenskodex auf Grundlage des Neuen Testaments gemeint.
Dieser christliche Religiositätsbegriff hat eine mystisch-spirituelle Dimension, bei der es um
die Gottesbeziehung geht. Sie macht sich fest im konkreten Handeln des Gläubigen, also
beispielsweise in der Gebetspraxis, aber auch im Miteinander mit dem Nächsten (siehe die
Darstellung zur spirituellen Du-Beziehung im vorangegangenen Teilkapitel). In dieser
Spiritualität sind also bestimmte Werte dominant.
Hierbei wird schnell klar, dass das Aufzählen von Werten wie etwa Peter Hahne es
vornimmt, durchaus nicht eindeutig zuzuordnen ist. Denn Werte des Evangeliums wie
Toleranz sind nicht allein klassisch religiös, sondern durchaus auch politisch zu verstehen.
Wenn Anselm Grün in seinen Schriften über verschiedene Engel schreibt, mit denen er
eigentlich unterschiedliche Tugenden wie etwa Demut oder Großzügigkeit meint,142 haben
diese Tugenden sicherlich eine christlich-religiöse Verhaftung, jedoch hat Religion den
Anspruch auf sie nicht allein.
Im Zusammenhang mit Tugenden und Werten zählen wir in unserer gegenwärtigen
Gesellschaft sowohl auf private wie auch öffentliche Tugenden. Ralf Dahrendorf definiert
die
sogenannten
„öffentlichen
Tugenden“,
wie
etwa
Kooperationsfähigkeit,
Aufmerksamkeit, Artikulationsfähigkeit. Solche Werte zielen „vor allem auf die reibungslose
Bewältigung der Beziehungen zwischen Menschen“ wie etwa das Verhalten am Eßtisch, in
der Schule, auf der Straße, bei der Arbeit, auf dem Sportplatz und in der politischen
Diskussion.143 Öffentliche Tugenden sind meist auch Regeln und Werte des Sports, das
kann Dahrendorf für die 1970er Jahre ebenso behaupten wie wir in der Aktualität. Nicht
umsonst proklamierten alle teilnehmenden Mannschaften der FIFA-Weltmeisterschaft 2006
in den Halbfinalspielen vor den Spielanpfiffen öffentlich die Wichtigkeit von Fair Play.
Dem entsprechen im privaten Sinne tugendhafte Formen des Verkehrs zwischen Menschen.
Sie sind unmittelbar, durch allgemeine Regeln nicht gezügelt, weniger auf Reibungslosigkeit
und Leichtigkeit als auf Ehrlichkeit und Tiefe bedacht.144 Beispiele hierfür wären etwa
Wahrhaftigkeit oder Treue.
142
Siehe hierzu Grün (2001).
Dahrendorf (1972), S. 74.
144
Vgl. Dahrendorf (1972), S. 76.
143
66
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Eine weitere, eigentlich wichtigere öffentliche Tugend ist das friedliche Miteinander mit
seiner Umgebung, das Miteinander-auskommen. Dies aber klappt nur, wenn man das
Verhältnis zu anderen nicht durch persönliche Untugenden wie Egoismus und
Geltungssucht stört. Dies mag auf einer oberflächlichen Ebene funktionieren, etwa bei
Menschen, die einem eigentlich unsympathisch sind, denen man aus öffentlichem Interesse
mit einem Lächeln („keep smiling“) begegnet. Wendet man diese Art der Freundlichkeit auf
privater Ebene an, gilt man schnell als unaufrichtig. Dabei ist Ehrlichkeit eine weithin
anerkannte Zentraltugend. In vielen Assessment Centern zur Rekrutierung neuer, meist
junger Angestellter suchen Personalleiter vielseitige (manchmal scheint’s: multiple…)
Persönlichkeiten: Jugendliche sollen selbstständig, ehrgeizig und durchsetzungsstark sein,
das heißt also: selbstorientiert, gleichzeitig aber formbar durch das neue Unternehmen
sowie teamfähig. Wie kann das funktionieren?!
Der Druck, dem sich Heranwachsende diesbezüglich ausgesetzt sehen, macht ihnen die
Entwicklung zu einer stringenten charakterfesten Persönlichkeit nicht eben leichter. Es
muss einerseits eine Trennung und anderseits ein Zusammenspiel der beiden Bereiche
stattfinden – was angesichts heutiger Anforderungen gerade an Jugendliche oft sehr schwer
zu bewerkstelligen ist.
Es
werden
also
zumindest
bezüglich
allgemein-gesellschaftlicher
Tugenden
Interessenkonflikte deutlich, die eine Entscheidung für einen eindeutigen Tugendkatalog
insbesondere für junge Menschen erschweren. Geht es allein um christliche Tugenden,
sollte die Orientierung schon leichter fallen, da sie sich gemeinhin am Wertekonsens der
festgeschriebenen Religion orientiert, mit Nächstenliebe, der caritas145, als dem Kern der
Evangeliumsbotschaft. Dass es sich jedoch lohnen würde, einen religionsunabhängigen
Wertekonsens zu schaffen, soll das folgende Teilkapitel hervorbringen.
2. 7. 3
Über den Nutzen eines religionsunabhängigen Wertekonsens
Die Identifizierung von Werten allein beinhaltet noch keinen Nutzen für eine empirische
Studie über Religiosität bei Jugendlichen. Es wurde bereits eine Reihe von Wertestudien in
Europa durchgeführt; was aber den eigentlichen Beitrag ausmacht, ist die Erkenntnis über
die Werte bezüglich ihres ideologischen Bezugsrahmens und auch ihrer Verortung innerhalb
eines weltweiten kulturellen Zusammenhangs. Nicht nur luxemburgische Jugendliche sehen
145
Vgl. hierzu die Enzyklika „Deus caritas est“ von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2006.
67
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
sich der pluralistischen Welt ausgesetzt, sondern in den Zeiten der Globalisierung betreffen
moralisch-ethische Entscheidungen der Industrienationen auch die Entwicklungsländer und
umgekehrt. Ökologische wie politische Fragen sind grenz-unabhängig gültig wie effektiv.
Insofern schafft eine Werteidentifizierung und -zuordnung auf religiöser Grundlage ein
gemeinsames gesellschaftliches Ethos, weil sie einen wenn nicht den humanen Faktor für
eine lebenswerte Gesellschaft darstellt. In Zeiten der Globalisierung muss es den Menschen
gelingen, sich religionsunabhängig auf eine Wertegrundlage zu einigen, so wie es
beispielsweise auch Hans Küng in seinem Ruf nach einem Weltethos tut.146 Küng beschreibt
die weltweite soziale Situation als vor einem Paradigmenwechsel stehend, der nicht
notwendigerweise einen Wertezerfall, „wohl aber einen Wertewandel“147 mit einschließt:

„von einer ethikfreien zu einer ethisch verantwortlichen Wissenschaft;

von einer den Menschen beherrschenden Technokratie zu einer der Menschlichkeit des
Menschen dienenden Technologie;

von einer Industrie, die die Umwelt zerstört, zu einer Industrie, die die wahren Interessen
und Bedürfnisse des Menschen im Einklang mit der Natur fördert;

von einer formalrechtlichen Demokratie zu einer gelebten Demokratie, in der Freiheit und
Gerechtigkeit versöhnt sind.“148
Hierbei geht es Küng nicht um die Schaffung einer „Gegenmoderne“ oder „Ultramoderne“,
sondern um die Aufhebung der Moderne mit einem „Grundkonsens von integrierenden
humanen Überzeugungen, auf den gerade die demokratische pluralistische Gesellschaft
unbedingt angewiesen ist, wenn sie überleben will.“149 Der Umgang der Menschen
miteinander soll geprägt sein von den Werten, die ein nachhaltiges soziales Zusammenleben
gewährleisten. Auf diese Maxime der Mitmenschlichkeit müssen bestehende Werte
überprüft werden.
Der öffentliche Ruf seitens der Gesellschaft nach Werten gerät nämlich beispielsweise in
einen
Widerspruch,
wenn
die
Gesellschaft
gleichzeitig
nicht
ablässt
von
Individualisierungsprozessen, die das Ego des Einzelnen allem anderen voranstellen:
Sozialdarwinismus, „Jeder ist sich selbst der Nächste“, „Geiz ist geil“-Mentalität,
überzogene Bonizahlungen an mehr oder auch weniger erfolgreiche Bankmanager… die
146
Siehe hierzu etwa sein Werk „Projekt Weltethos“ (1990).
Küng (1990), S. 41.
148
Küng (1990), S. 41.
147
68
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Moral wird sozusagen „privatisiert“150. Eine solche Subjektautonomie führt eine
gemeinsame Ethik, einen Wertekonsens zwangsläufig in eine Krise, denn ohne die
Akzeptanz einer Werte-Instanz oder eines Norm-Gebers kann keine Entwicklung
gemeinsamer Werte geschweige denn Tugenden gelingen.
Ähnliches beschreibt Pierre Schmidt, wenn er im Zusammenhang mit Jugendlichen von der
„religion à la carte“ und einem „bricolage religieux“ spricht,151 oder auch Paul Zulehner, der
zwischen privater und öffentlicher Religiosität unterscheidet und beklagt, dass die „moderne
Kultur der privaten Religiosität zugesetzt“ habe.152 Zu den Religionskomponisten zählt
Zulehner diejenigen, deren Religiosität weithin entkirchlicht und privatisiert ist, sie leben in
einer „Religion nach Wahl“ – und diese macht einen Wertekonsens nahezu unmöglich.
Sicherlich kommt eine individuelle Religion mit autonomem Werteschema nicht zuletzt
deswegen zustande, weil auch die Jugendlichen sich immer wieder entscheiden können und
müssen. In Luxemburg besteht mittlerweile ein alternatives Angebot zur früher
ausschließlichen kirchlichen Offerte für alle möglichen Lebensbereiche. Als Beispiel diene
etwa die Akzeptanz des Unterrichtsfaches „Moral“ als Ersatzfach zum klassischen RU an
staatlichen Schulen, die zunehmende Nichtwahrnehmung der Sakramentenspendungen wie
Taufe, Kommunion, Firmung, Ehe oder später auch die Toleranz und Emanzipation beim
Zusammenleben „ohne Trauschein“.
Unabhängig davon müssen wir uns fragen, ob solche Statistiken allein zur Beschreibung von
Vorhandensein beziehungsweise Verschwinden oder Fehlen von Religiosität reichen. Die
Suche junger Leute nach Gemeinschaft, nach Events, spiritueller Erfüllung, nach
Sinnstiftung für das eigene Leben scheint zeitlos gültig, unabhängig von Kirche. Besteht
vielleicht jedoch genau hier eine Verbindung beider Bereiche?
Fest steht, dass ein freiheitlich-demokratisch verfasster Staat wie Luxemburg in einem
Dilemma steckt, einerseits von seinem Selbstverständnis her weltanschaulich neutral zu
sein, wie es die meisten Demokratien sind, das heißt: verschiedene Religionen,
Konfessionen, Philosophien und Ideologien dulden zu müssen und seiner Verfassung
gemäß alle Freiheiten, die zu den modernen Menschenrechten gehören, schützen.
149
Küng (1990), S. 44.
Hahne (2005), S. 84.
151
Schmidt (2005), S. 9.
152
Zulehner (2005a), S. 93 sowie Zulehner (2005b), S. 100.
150
69
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Andererseits darf ein Staat, so formuliert es Küng, „gerade keinen Lebenssinn und
Lebensstil dekretieren, er darf keine oberen Werte und letzte Normen rechtlich
vorschreiben, wenn er seine weltanschauliche Neutralität nicht verletzen will“153.
Insofern ist diese zunächst einmal in jedem Fall wünschenswerte Suche nach Werten
kulturunspezifisch und deshalb auch universal gültig, da sie nicht der Religiosität des
Menschen, sondern dem Menschen für sich und in der Gemeinschaft zu einem – auch im
christlichen Sinne – lebenswertem Dasein verhilft. So bescheinigt auch Küng unserem
modernen Staatswesen: „Was es rechtlich nicht vorschreiben darf, darauf ist es zugleich
angewiesen.
Gerade die plurale Gesellschaft,
wenn in ihr die verschiedenen
Weltanschauungen zusammenleben wollen, braucht einen grundlegenden Konsens, zu dem
die verschiedenen Weltanschauungen beitragen, so daß sich zwar kein ‚strenger’ oder
‚totaler’, wohl aber ein ‚Overlapping Consensus’ (John Rawls) bilden kann.“154
Verbindend hierbei vermag die bereits in vorangegangenen Kapiteln dargestellte Sehnsucht
des Menschen nach Begegnung und Orientierung sein. Menschen verspüren normalerweise
ein unausrottbares Verlangen danach, sich auf etwas verlassen zu können, sich an etwas
festzuhalten. Sie suchen eine ethische Grundorientierung. Sollte diese Grundorientierung
auf einem Wertekanon fußen, ist dieser nicht notwendigerweise religiös gebunden, jedoch
sollte er eingedenk seiner „planetarischen Verantwortung“155 sein.
2. 7. 4
„Im Geist der Brüderlichkeit leben…“ – Über das Verhältnis von
Religiosität
und
Moralität,
ihre
sittliche
Autonomie
und
die
Notwendigkeit einer Verbindung auf der Grundlage des Ansatzes von
Hans Küng
„Es ist nicht zu bestreiten: Durch alle Jahrtausende
hindurch
waren
die
Religionen
jene
Orientierungssysteme, welche die Grundlage für eine
bestimmte Moral bildeten, sie legitimierten, motivierten
und oft auch mit Strafen sanktionierten. Aber – muß das
153
Küng (1990), S. 48 f.
Küng (1990), S. 49. Küng zitiert mit dem Begriff des „Overlapping Consensus“ John Rawls
Theorie der Gerechtigkeit, siehe hierzu Rawls (1971), S. 387 f.
155
Küng (1990), S. 51.
154
70
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
auch heute noch, in unserer weitgehend säkularisierten
Welt, so sein?“
Hans Küng156
Als Antwort muss man Küng sagen – und er gibt sie sich auch selbst: Religiosität ist nicht
mit Moralität gleichzusetzen. Um es einmal plakativ auszudrücken: Es kann jemand ein
Gauner sein und dennoch religiös, Maria Magdalena etwa.157 In umgekehrter Richtung ist
dann aber auch dem Pariser Soziologen Alfred Grosser beizupflichten, der für die
Anerkennung bestimmter ethischer Werte wie Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit für Politik
und Soziologie streitet, bei gleichzeitiger ausdrücklicher Ablehnung eines religiösen
Bekenntnisses.158
Küng nennt hierfür unbestreitbare Belege, wie etwa, dass es in der Geschichte nicht selten
religiös Nichtgläubige waren, die einen neuen Sinn für Menschenwürde vorgelebt und sich
für Menschenrechte eingesetzt haben oder auch, von philosophischem Standpunkt her, dass
dem Menschen „als Vernunftwesen eine wirkliche menschliche Autonomie zukommt, die
ihn auch ohne Gottesglauben ein Grundvertrauen in die Wirklichkeit realisieren und seine
Verantwortung in der Welt wahrnehmen läßt“159. Es wird von vielen säkularen Menschen
eine Moral vorgelebt, die sich an der Würde eines jeden Menschen und nach dem
kategorischen Imperativ im Sinne Kants ausrichtet, wie es sich die christliche Maxime der
Nächstenliebe wünscht, ohne sich ihrer bewusst zu sein. Eben dieses Verhalten, wie es auch
in Artikel 1 der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen steht: „Alle Menschen
werden frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und
Gewissen begabt und sollen sich zueinander im Geist der Brüderlichkeit verhalten“.160
Es ist genau dieser von den Vertretern der Vereinten Nationen gewünschte und geforderte
Geist
der Brüderlichkeit, der den moralischen vom unmoralischen Menschen
unterscheidet; und es ist ebenso dieser Geist der Brüderlichkeit, der den fanatischen
Gläubigen um Lichtjahre ferner ist als dem gütigen Atheisten. Hierbei kommen wir wieder
156
Küng (1990), S. 58.
So konstatiert Küng: „Ihre moralische Funktion haben die Religionen (…) recht und schlecht
wahrgenommen. (…) Positives und Negatives ließe sich freilich wie vom Christentum so auch
vom Judentum und vom Islam, vom Hinduismus und Buddhismus, vom chinesischen
Konfuzianismus und Taoismus berichten. In jeder großen Weltreligion findet sich neben einer
(den Anhängern meist besser bekannten) mehr oder weniger triumphalen Erfolgsgeschichte
auch eine (von ihnen verschwiegene) Chronique scandaleuse.“ Ders. (1990), S. 58.
158
Siehe hierzu Grosser (1969).
159
Küng (1990), S. 59.
160
S. Bibliographie.
157
71
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
auf den Kern der Werte, die wir auch im Evangelium wie im Kern bei der Suche nach der
Begegnung mit dem im Menschen immanenten Religiösen finden: dem Geist und der
Brüderlichkeit beziehungsweise Geschwisterlichkeit. Wir begegnen Gott im Du; wir
erfahren ihn in der Liebe des Mitmenschen, wir sind – um es als Schlagwort zu formulieren
– „Brüder im Geiste“, und dies religionsunabhängig. Dass wir aber diese Sehnsüchte des
Menschen nach Solidarität und Freiheit in der religiösen Heilsverkündung finden, ist eben
kein Zufall, sondern Wesen von Religion und Wesenhaftigkeit von Religiosität.
2. 7. 5
Die Abhängigkeit von Religiosität und tatsächlichem Verhalten auf der
Grundlage des Ansatzes von Kohlberg
Die beschriebene Emanzipation der Moral von Religiosität sei an einem weiteren Aspekt
untersucht. Tagtäglich begegnen wir Entscheidungssituationen, die unser Gewissen
betreffen. Die Alltäglichen unter ihnen sind meist einfach, zumindest bezüglich ihres
moralischen Handlungsspielraums: Bei einer Nachfrage bezüglich einer Verspätung etwa
w e i ß zumindest jeder, dass man eigentlich die Wahrheit sagen sollte – auch wenn der ein
oder andere vielleicht eine Ausrede erfinden mag. Ein anderes Beispiel wäre eine Einladung
zu einem Essen bei Bekannten, die kurze Zeit später „überboten“ wird von der Möglichkeit
einer besseren Unterhaltung am selben Abend, die eigentlich weniger bindend ist, außer
wenn man an sein eigenes Vergnügen denkt. Selbst wenn man sich entscheiden sollte, den
Bekannten abzusagen, wäre den meisten unter uns bewusst, sich moralisch nicht korrekt zu
verhalten.
Komplizierter werden solche Entscheidungen in sogenannten Dilemmasituationen, in denen
weder das Verhalten noch dessen Begründung eindeutig festzulegen sind.
Laurence Kohlberg ist der Überzeugung, dass die Werteentwicklung und die Werteinhalte
selbst universell sind, das heißt für alle Gesellschaften und Kulturen gleich.161 Kohlberg
161
Jede Kultur und Subkultur der Welt beruht auf denselben moralischen Grundwerten und der
gleichen schrittweisen Entwicklung moralischer Reife. Kohlberg / Turiel (1978), S. 37, zitiert
nach Schmälzle (1999/2000), S. 72.
72
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
konzipiert ein ontogenetisches Stufenmodell für die menschliche Entwicklung, das sechs
zwingend aufeinanderfolgenden Stufen enthält, bei denen kein Rückschritt möglich ist.162
Das Modell sei hier in Knappheit dargestellt:
Niveau A:
Präkonventionelle Ebene
Stufe 1
(heteronome Stufe)
Stufe 2
(Stufe des Individualismus, des
Zweck-Mittel-Denkens
und des Austauschs)
Moralische Entscheidungen werden mit
drohender Strafen, mächtigen Autoritäten
oder
eigenen Interessen begründet.
Handlungen sind an eigenen Bedürfnissen
orientiert. Ansätze von Gegenseitigkeit;
moralische Entscheidungen sind keine Frage
von Gerechtigkeit oder Dankbarkeit.
Niveau B:
konventionelle Ebene
Stufe 3 (Stufe gegenseitiger
interpersoneller Erwartungen,
Beziehungen
und
interpersoneller Konformität)
Richtig ist, was anderen gefällt oder hilft. Die
gute Absicht wird zum ersten Mal wichtig.
Stufe 4
(Stufe des sozialen Systems und
des verlorenen Gewissens)
Motiv ist nicht mehr nur der Erhalt der
sozialen Ordnung in der unmittelbar
umgebenden Gruppe, sondern auch
übergreifende Systeme.
Niveau C:
Postkonventionelle Ebene
Stufe 5
(Stufe des Sozialvertragens oder
des Nutzens für alle und der
Rechte des Individuums)
Das Verhältnis zur Gesellschaft wird als
Sozialvertrag
gesehen,
Relativität
persönlicher Meinungen und Wertungen
wird gesehen. Menschenrechte sind nicht
verhandelbar.
Stufe 6
(Stufe universaler ethischer
Prinzipien)
Recht wird definiert durch eine bewusste
Entscheidung in Übereinstimmung mit selbst
gewählten, logisch widerspruchsfreien und
umfassenden ethischen Prinzipien wie
Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Die Stufen stehen in einer direkten Beziehung zu Piagets Modell von der Entwicklung des
logischen Denkens: Hierzu stellt Schmälzle fest: „Moralische Entwicklung ist damit ein in
der Natur des Menschen angelegtes Potential, das in der individuellen Entwicklung
auszuschöpfen ist. Die Entwicklung des formallogischen Denkens, mit der sich Piaget
162
Als wichtige Quellen für die folgende Darstellung des Kohlberg-Modells dienen zum einen
Kohlberg (1974) sowie www.deutsch-geschichte-unterricht.de/didaktik/moralerziehung.html.
73
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
beschäftigt hat, korreliert mit der Entwicklung der moralischen Urteilsfähigkeit und nach
Oser und Gmünder auch mit der religiösen Entwicklung.“163
Die Theorien eröffnen somit eine Grundlage für den Erwartungshorizont bezüglich der
Antworten von Jugendlichen zur Religiosität. Nach den Erkenntnissen Piagets, Kohlbergs,
und Osers und Gmünders liegt es m. E. nahe, das Altersfenster der Jugendlichen relativ
hoch anzusetzen, das heißt bei zwischen 17 – 19 Jahren, da zu diesem Zeitpunkt die
verlässlichsten beziehungsweise aussagekräftigsten, da reiferen Aussagen bezüglich der
eigenen Religiosität erwartet werden können.
Kohlberg ermittelt die einzelnen Vorstellungen von Moral anhand von Konfliktgeschichten,
in denen etwa eine Springflut droht, und jemand einen Deich vor einem Krankenhaus
bewachen soll. Zwei Kilometer weiter befindet sich die eigene Frau mit zwei Kindern, wo
der Deich gleich brechen wird. Soll der Deichwächter bleiben oder weglaufen und seine
Familie retten?
Wichtig bei der Entscheidung ist weniger das tatsächliche Handeln (in diesem Falle „Gehen
oder Bleiben“), sondern das Argumentationsmuster, das das Handeln untermauert. Sowohl
für das Weiterbewachen als auch das Verlassen des Deiches zugunsten der Familie des
Deichwächters gibt es moralisch hoch- und niedrigstehende Beweggründe. So könnte der
Deichwächter sein Bleiben am Deich auf der moralisch niedrigsten Stufe 1 entschuldigen,
welche moralische Entscheidungen mit drohenden Strafen, mächtigen Autoritäten oder
eigenen Interessen begründet: ‚Ich bleibe, da ich sonst Ärger mit den Behörden bekomme!“
Die meisten Erwachsenen und viele ältere Jugendliche würden dies wohl verurteilen.
Anders sähe aber die Wertung des identischen Verhaltens aus, wenn der Deichwächter zur
Begründung erklären würde, dass er bleibt, da er nicht die Sicherheit weniger über die
Sicherheit vieler stellen möchte – dieses Argument bewegt sich auf Stufe 6, bei der das
Recht definiert wird durch eine bewusste Entscheidung in Übereinstimmung mit selbst
gewählten, logisch widerspruchsfreien und umfassenden ethischen Prinzipien wie
Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Noch komplizierter wird die Moral, weil sie genau das umgekehrte Verhalten, nämlich das
Gehen des Deichwärter ebenso „wertvoll“ oder auch wertlos, je nach Argumentationsstufe,
163
Schmälzle (1999/2000), S. 72.
74
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
einstufen kann, etwa wenn der Deichwächter anführt, er verlasse die Wache des
Krankenhauses, weil er die Menschenrechte des Individuums, in dem Fall seiner Frau und
Kinder, nicht brechen will und dies vor seinem Gewissen nicht verantworten kann (Stufe 5).
Auch
wenn
die
Dilemmasituationen
von
Kohlberg
konstruiert
sind,
veranschaulichen sie dennoch eindrücklich die Variabilität der Moral, von der wir
doch eigentlich überzeugt sind, sie beurteilen zu können – jeder hat seine eigene
Meinung, was als moralisch zu gelten hat oder nicht. Auf dieser Grundlage
funktionieren auch Gesetze und werden Menschen, nicht nur Richter, sondern auch Laien,
etwa im Schöffen- oder Geschworenengericht, zur Beurteilung von Recht oder Unrecht
herangezogen.
Kann daher Moral überhaupt im Sinne von Religiosität agieren? Die Antwort lautet klar:
Nein. Religiosität, wenn sie konfessionell vermittelt wird, gibt einen verbindlichen
Wertekodex vor (siehe die oben angegebenen Werte des Gebotes der Nächstenliebe).
Sobald wir jedoch den erweiterten Religiositätsbegriff ernst nehmen, können wir ihn immer
weniger binden an das eine wie andere moralische Muster, sondern müssen uns orientieren
an dem, was jedem Menschen mitgegeben ist: Vernunft plus die eigene Biografie aus
Erfahrung und Erziehung. Immerhin bewegen sich laut Statistik achtundzwanzig Prozent
der 16-jährigen bezüglich ihrer moralischen Urteilsfähigkeit auf Stufe fünf, ca. acht Prozent
auf Stufe sechs.164 Hinsichtlich eines schulischen RUs gilt es daher einmal mehr,
Moral weniger per se als Autorität seitens der Religion zu verstehen, sondern
immer mit dem Schüler zu verorten.
Die Tatsache, dass mit dem Ansatz von Kohlberg ein und dasselbe Verhalten lediglich
aufgrund seiner moralischen Begründung als verurteilenswert oder aber als beispielhaft
beurteilt werden kann, kann ein Gefühl von Unbehagen hervorrufen, scheint es doch Tür
und Tor zu öffnen für Entscheidungswillkür, die akzeptiert wird, solange die Rechtfertigung
stimmt. Zudem ist zu sagen, dass die Fähigkeit, auf einem hohen Niveau moralisch
argumentieren zu können, nicht automatisch bedeutet, dass auch so gehandelt wird! Reifes
moralisches Urteilen ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für reifes
moralisches Handeln.165
164
165
Quelle: www.deutsch-geschichte-unterricht.de/didaktik/moralerziehung.html.
Immerhin weist die Statistik nach, dass Urteilen und Handeln umso enger verknüpft sind, je
höher die Stufe des moralischen Urteilsvermögens ist. So zeigte ein moralpsychologischer
Test, in dem den Teilnehmern vermeintlich unbemerkt die Gelegenheit zum Betrug gegeben
75
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Zu problematisieren bei Kohlbergs Ansatz ist zudem die Theorie der Linearität des
Entwicklungsverlaufs. Studien von Nunner-Winkler haben Gegenteiliges bewiesen, nämlich,
dass sich Kinder auf einer ersten Stufe ein kognitives Wissen um die Regelgeltungen
aneignen und in einem zweiten Schritt erst eine moralische Motivation entfalten.166 Die
Regelkenntnis jedoch – so ist es festzustellen – zieht auch bei älteren Kindern nicht
unbedingt die Befolgung des Erkannten nach sich. Es ist also durchaus möglich, dass
Kinder auf eine frühere moralische Stufe zurückfallen!167
Ein weiteres ungelöstes Problem tritt bei Moralpädagogen wie Kohlberg oder auch
Dahrendorf, die religiöses Bewusstsein als „falsches Bewusstsein“ ablehnten,168 auf, nämlich
wie sich „in der Erziehung Werte wie Wahrhaftigkeit, Treue und Solidarität ohne ein
religiöses Fundament absichern lassen.“169
Deutlich wird mit diesem Modell immerhin die Unabhängigkeit zwischen (messbarer)
Religiosität und moralischem Verhalten. Diese Angaben variieren mit kulturellem
Hintergrund und auch dem Bereich, aus dem das Dilemma stammt. Interessant ist in
diesem Kontext auch, dass falls eine harte Bestrafung für moralisch reifes Handeln sehr
hoch
ist
(etwa
eine
Konkurrenzsituation
in
einer
Firma),
vorkonventionelle
Handlungsweisen eventuell erzwungen werden. Auch dies macht deutlich, dass gutes,
richtiges Handeln im christlichen Sinne nicht nur alters- sondern auch kontextund kulturabhängig ist. Mag für Christen also der Maßstab ihres Handlungsspielraums
das Evangelium sein, ist dies in einem konfessionsunabhängigen Religiositätsbegriff anders
zu sehen: Jugendliche, die sich nicht explizit als Christen bekennen, befinden sich,
abgesehen von der Zuordnung durch ihre Entwicklungsstufe, auf einer Gratwanderung
zwischen den moralischen Welten, in denen sie aufwachsen. Sie werden getragen von der
jeweiligen familiären und gesamtedukativen Situation sowie ihrem sozialkulturellen Kontext.
Als Konsequenz bezüglich einer empirischen Studie über Religiosität bleibt alsdann
festzuhalten, dass Fragen, die die moralische Beurteilung oder Einschätzung einer Situation
betreffen, als problematisch gelten müssen. Religiosität kann sich als völlig unabhängig von
wird, dass siebzig Prozent der präkonventionell eingestuften Teilnehmer, jedoch nur fünfzehn
Prozent der postkonventionellen betrogen.
166
Nunner-Winkler (1992).
167
Vgl. Nunner-Winkler (1992), S. 258 f.
168
Schmälzle (1995), S. 372.
169
Schmälzle (1995), S. 372.
76
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Einstellung zu religiösen Fragen darstellen, wenn man aber religiös am Nächsten handelt
(Diakonie). Es gibt schließlich doch eine religionslose Gläubigkeit, die nicht festzumachen
ist an bestimmten Gefühlen oder Praktiken oder Gotteserfahrungen, sondern die sich speist
am Dienst am Nächsten.
2. 8
Zusammenfassung
Wenn in der vorliegenden Arbeit von Religiosität die Rede ist, stellen wir erstens fest, dass
die Unübersichtlichkeit bezüglich der Definition von Religiosität öffentlich groß ist und im
Zusammenhang mit einer Bewertung religiöser Bedürfnisse von Jugendlichen, etwa durch
eine Studie, genau zu erklären ist. Zweitens stellt sich heraus, dass der Begriff sich von
seiner meist unterstellten Nähe oder gar Deckungsgleichheit zur Kirchlichkeit und
Christlichkeit in der Öffentlichkeit gelöst hat. Wir müssen heute ausgehen von einem
Religiositätsbegriff jenseits der klassischen Kategorien und Annahmen.
Wenn wir aber Religiosität als Bereicherung der Wahrnehmungskategorie der Welt in Bezug
zu Gott benennen wollen, müssen wir uns bezüglich einer Wahrnehmung jugendlicher
Religiosität über folgende Dinge klar werden:
1. Religiosität muss im Huberschen Sinne betrachtet werden als subjektiv.
2. Religiosität
mit
Huber
verstanden
muss
außerdem in ihrer Komplexität als
Konstruktsystem verstanden werden.
3. Religiosität wird dem Menschen allenfalls konfessionsungebunden unterstellt, dann jedoch
4. als anthropologische Konstante in dem Sinne, dass sie die Suche des Menschen nach dem
Absoluten befriedigt.
5. Religiosität kann neben ihrer sich im Menschen autonomen Entwicklung von außen explizit
gefördert sein (Elternhaus, Schule, Peer-Gruppe, Medien, kirchliche und pastorale
Angebote).
6. Religiosität ist unabhängig von moralischer Urteilsfähigkeit sowie moralischem Handeln.
Ausschlaggebend hierfür ist das individuelle Bekenntnis, das hinter jeder Religiosität steckt
(„Religiosität im Geiste der Geschwisterlichkeit“) mit dem Ziel eines werteidentischen
Ethos.
7. Beim Verständnis von Religiosität im christlichen Kontext wie etwa auch bei Huber fehlt
die Anerkennung einer Handlungsweise, die aus der religiösen Motivation kommt und sich
77
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
in der Diakonie festmachen lässt. Die klassischen Indikatoren wie Gebet und
Gottesdienstbesuch reichen hier also nicht.
Abgeschlossen sei die in diesem Kapitel versuchte Definition von Religiosität und
Spiritualität mit einem einschränkenden Gedanken von Ziebertz, Kalbheim und Riegel, dass
es sich bei Religiosität um einen Aspekt der sozialen Wirklichkeit handelt, deren Teil wir
doch selber sind. So relativieren sie: „Wir reflektieren etwas, was wir kontinuierlich selbst
hervorbringen.“ Falls man also eine Studie zur Religiosität durchzuführen plant, kann es zu
der „merkwürdigen Situation (kommen, dass) die Untersuchung selbst zur Klärung dessen
beiträgt,
was
unter
‚Religiosität’
verstanden
werden
kann.
Das
Diskursuniversum ist in Bewegung (…).“170 Dem sei nichts hinzuzufügen.
170
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 19.
78
betreffende
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
3 Religiosität und gesellschaftliche Wirklichkeit in Luxemburg –
Gegenüber oder Miteinander?
3. 1
Glaube, Religion, Gesellschaft
3. 1. 1 Die Rolle des katholischen Glaubens und der Religion in der Gesellschaft
„Die kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung.“
Johann Baptist Metz, Fundamentaltheologe
Trotz aller wissenschaftlicher Aufklärung ist uns die Religion dennoch geblieben. In
Luxemburg sind ihre christlichen Wurzeln immer noch im Alltag sichtbar: Es werden
Kinder getauft, zur Kommunion angemeldet und gefirmt, es wird kirchlich geheiratet –die
Sakramente werden in Anspruch genommen, auch wenn sicher nicht jeder hinter der
katholischen Kirche steht oder entsprechend das glaubt, was im Gottesdienst postuliert
wird. Auch wenn die 2006 von den deutschen Bischöfen in Auftrag gegebene Sinus-Studie
gezeigt hat, dass die katholische Kirche nur noch in drei von zehn Milieus fest verankert ist
– nämlich hauptsächlich bei der bürgerlichen Mitte (16%), bei den Traditionsverwurzelten
(14%) sowie den Konservativen (5%) - 171 und die Amtskirche dort wir hier an Mitgliedern
verliert, hat sie doch ihren angestammten Platz innerhalb der Gesellschaft nie wirklich
verlassen, allerdings doch deutlich verkleinert.
Die sogenannten Sinus-Milieus fassen Menschen mit einer ähnlichen Lebensweise und –
auffassung zusammen. Bezüglich der Jugendlichen sind dies, wie die „SinusMilieustudie U27“172 2008 zeigen konnte, neben dem Minderheitsmilieu der
Traditionsverwurzelten hauptsächlich „Bürgerliche“ und „Postmaterielle“.173 Die
„traditionellen Jugendlichen“ sind mit der Mehrheitsgesellschaft grundsätzlich einverstanden
und haben eine hohe beziehungsweise mittlere Bildung, die „bürgerlichen“ möchten
überwiegend einerseits an gesellschaftlichen Trends teilhaben und neue Freiheiten genießen,
andererseits aber ein „normales Leben“ führen, die Gruppe der „postmateriellen“ setzt der
171
172
Quelle: Weber (2006), S. 71.
Wippermann / Calmbach (2008).
79
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
realen Welt einen idealen Weltentwurf gegenüber, will vorgesetzte Positionen und Regeln
aufbrechen, aber auch sich selbst zu neuen Denkformen und Geisteshaltungen
aufmachen.174 Ein Vergleich dieser drei Milieus macht klar, dass sie völlig
unterschiedliche Vorstellungen von und Ansprüche an Kirche haben: „Während
traditionelle Jugendliche die Kirche als Hüterin religiöser und moralischer Wahrheit
begreifen
und
in
Jugendarbeit
und
Gottesdienst
ein
starkes
Gefühl
von
Zusammengehörigkeit suchen und finden, akzeptieren die ‚Postmateriellen’ die Kirche
höchstens als Bündnispartnerin für bestimmte Werte und Projekte, empfinden sie meist als
zu autoritär, konservativ und rückständig“.175
Nichtsdestoweniger
beansprucht
die
katholische
Kirche
in
Luxemburg
einen
fundamentalen Platz im religiösen Leben des Großherzogtums; die große Mehrheit
der Gläubigen (geschätzte 88 Prozent) gehört dem katholischen Glauben an. Geführt und
geleitet vom Erzbischof Fernand Franck teilt sich das Großherzogtum in fünf
Pastoralregionen, vierzehn Dekanate und 274 Pfarren.176 Die Angaben, wie viele Katholiken
tatsächlich im Großherzogtum leben, ist nicht ganz leicht zu beantworten. Die letzte
offizielle Statistik bezüglich der religiösen Zusammensetzung des Großherzogtums bezieht
sich auf eine Erhebung von 1970. Damals verteilten sich die zahlen wie folgt:177

Katholiken: 96,9%

Protestanten: 1,2%

Juden: 0,2%

Andere: 1,7%
Seitdem zählen per Datenschutzgesetz die Angaben über die religiösen oder
philosophischen Überzeugungen einer Person zu den sensiblen Datenarten, die
grundsätzlich nicht (mehr) erhoben werden dürfen, und infolgedessen liegen keinerlei
offiziell bestätigte Angaben über die Zahl der Anhänger der unterschiedlichen
Religionsgemeinschaften vor. Dennoch ist man sich einig, dass der Katholizismus der
173
Quelle: Neumann (2009), 127-128.
Neumann (2009), 127.
175
Neumann (2009), S. 128.
176
Referenz: Administration diocésaine b.p. 419, L-2014 Luxembourg
(www.luxembourg.public.lu) beziehungsweise das Annuaire des Erzbistums 2006.
174
80
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
entscheidende Faktor unter den Religionen im Großherzogtum ist. Eine stichprobenartige
Untersuchung des ILReS von 1996 ergab, 88% der Bevölkerung seien Katholiken, daneben
9% ohne Religion, 1% Protestanten, 1% andere und 1% ohne Angabe, 178 Laut Statistik des
Auswärtigen Amtes seien 98 % der Angehörigen einer Religionsgemeinschaft Katholiken,
daneben gibt es noch Protestanten, Juden (etwa 1000 Gemeindemitglieder) und Muslime,
wobei der Islam mit etwa 2% (laut eigenen Angaben) die zweitgrößte Religion
Luxemburgs darstellt.179 1988 wurde das Bistum Luxemburg von Papst Johannes Paul II.
zum Erzbistum erhoben.
Das Verhältnis der Gemeinschaften zum Staat ist durch sogenannte Konventionen,
konsensuale Vereinbarungen zwischen Religionsgemeinschaft und Staat, geregelt. 1982 hat
der Staat eine Konvention mit der Protestantisch-Reformierten Kirche geschlossen. 1997
folgten die Verträge mit dem Erzbistum, der Protestantischen Kirche von Luxemburg, der
griechisch-orthodoxen Kirche und der jüdischen Kultusgemeinde die Vereinbarung mit den
religiösen Bekenntnissen ist nach Veröffentlichung im Luxemburger Gesetzblatt (Memorial)
am 20. August 1998 in Kraft getreten. Die muslimische Seite bemüht sich bis heute, eine
solche Konvention zustande zu bekommen.
Die katholische Kirche ist im öffentlichen Leben Luxemburgs äußerst präsent: Die
Erzdiözese zählt eine Vielzahl an katholischen Vereinigungen und Verbände, das Angebot
religiöser Veranstaltungen ist groß. Außerdem unterhalten die großherzogliche Familie, die
Armee, die Polizei, der Zivilschutz und viele andere öffentliche Einrichtungen eine
Seelsorge (Aumônerie). Trotz des zitierten zuweilen kritischen Verhältnisses zwischen
Bürgern und Institution Kirche sahen und sehen sich Luxemburgs kirchliche
Organisationen immer noch in der Pflicht und formulieren ihre Aufgaben: „Wie die
Weltkirche, so unterhält auch Luxemburg eine besondere Sorge gegenüber der
heranwachsenden Generation. Seit langer Zeit war die Kirche nahezu die einzige Institution,
die sich breit gefächert den Heranwachsenden widmete.“180 Zu nennen sind hier neben dem
schulischen RU die Jugendarbeit der kirchlichen Verbände, der Dekanate, Regionen und
Gemeinden, die Katechese in den Pfarreien, die Ministrantenbegleitung oder auch die
177
Angaben siehe www.luxembourg.public.lu.
Siehe hierzu www.luxembourg.public.lu/fr/vivre/population/religion.
179
Angaben siehe www.islam.lu, Stand: August 2010.
180
Gindt (1991), S. 11f.
178
81
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Angebote von Klöstern. Mit einer genauen Aufschlüsselung des pastoralen Lebens in
Luxemburg beschäftigt sich der zweite Teil des vorliegenden Kapitels.
Spannend ist die Tatsache, dass in Luxemburg der Anteil der Ausländer mit 43,7% der
höchste innerhalb der EU ist,181 davon u. a. 80.000 Portugiesen, 28.500 Franzosen,
19.400 Italiener, 16.700 Belgier und 12.000 Deutsche.
Eine Reihe interessanter Daten liefert das Ergebnis der großen luxemburgischen
Wertestudie aus dem Jahr 2002, die sich die Aufgabe stellte, intensiv die Wertemuster der
Luxemburger Bevölkerung zu analysieren. Auch Religion stellte einen wichtigen Aspekt dar
und wurde u. a. in eine Wertehierarchie eingeordnet:182
Das Ranking zeigt, was für eine untergeordnete Rolle Religion im Vergleich zu anderen
Werten wie Familie, Gesundheit und Arbeit, aber auch Lebensqualität oder materieller
Sicherheit zu spielen scheint: Lediglich 2,4 Prozent der Befragten äußerten spontan Religion
als wichtigsten oder zweitwichtigsten Wert.183
181
Angaben siehe www.auswaertiges-amt.de, Stand: Oktober 2009.
Legrand (2002), S. 59.
183
Legrand (2002), S. 59.
182
82
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Bedeutet dieses Ergebnis eine Marginalisierung der Religion im Leben der Luxemburger
oder sind mit Religion eher die „religiösen Pflichten“ wie Kirchgang und Empfang der
Sakramente gemeint? Spannend ist die Tatsache, dass die Werte „Frieden“ und „Liebe“
deutlich häufiger als Religion genannt werden, jedoch eine nicht bestreitbare Affinität zur
Religiosität besitzen, wenn auch der Gottesglaube nicht impliziert ist.
Immerhin wurde Religion als Wert ausgewählt, um ihre Wichtigkeit gegenüber anderen
gesellschaftlichen Werten im Detail einordnen zu können, mit folgendem Ergebnis:184
Immerhin 29% halten Religion für „ziemlich wichtig“, aber ebenso viele denken dies auch
über Politik, wobei diese beiden Bereiche hinter Gesundheit, Familie und Arbeit weiterhin
abgeschlagen zurückliegen.
Im Vergleich mit Frankreich, Belgien und Deutschland nimmt das Großherzogtum bei der
Frage nach der Wichtigkeit von Religion immer noch den zweiten Platz hinter Belgien ein.185
Prozentual halten sogar doppelt so viele Luxemburger wie Deutsche Religion für „sehr
wichtig“.
Allerdings ist hier in unserem Zusammenhang die Feststellung bedeutsam, dass von denen,
die Religion für sehr wichtig halten, die geringste Ziffer auf die unter 25-Jährigen fällt,
nämlich 8% im Vergleich zu 27% bei den über 60-Jährigen.186 Das Interesse an Religion
scheint also mit dem Alter abzunehmen oder möglicherweise bei der jüngeren Generation
gar nicht erst herausgebildet zu sein.
Nicht erst zu Beginn des neuen Jahrtausends, sondern bereits Anfang der 1990er Jahre
wurde das Verhältnis Jugendlicher in Luxemburg gegenüber der Kirche als kritisch gesehen:
So konstatiert der Luxemburger Lehrer Jean-Louis Gindt „Christsein und Kirche sind auch
in Luxemburg nicht mehr die ausschlaggebenden Grundpfeiler unserer Gesellschaft, (…)
und das religiöse Bewußtsein hat sich losgelöst von der katholisch-christlichen
Interpretation der Religiosität und seiner typischen Gottesbeziehung“.187
184
Legrand (2002), S. 60. Die dazugehörige Tabelle findet sich im Anhang.
Legrand (2002), S. 61. Die dazugehörige Tabelle findet sich im Anhang.
186
Legrand (2002), S. 77.
185
83
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Das Selbstbild der Luxemburger in Bezug auf ihre Religiosität ist ebenfalls
aufschlussreich:188 58% der Bevölkerung beschreiben sich selbst als religiös, 27% als nichtreligiös (was bedeutet das eigentlich?) und 7% als überzeugte Atheisten - immerhin nur halb
so viele wie in Frankreich. Im Vergleich mit direkten Nachbarn liegt Luxemburg damit im
oberen Bereich des Religiositätsempfindens,189 gesamteuropäisch im Mittelfeld.190
Betrachtet man diesen Ausschnitt der Studie, stellt sich aber immer noch die Frage, welche
Basis Luxemburg zur Herausbildung von Religiosität bietet. Die Analyse liefert zwar ein
beachtenswertes Zahlenmaterial, wie hoch die Luxemburger den Wert Religion ansiedeln.
Dies gibt uns nicht wirklich eine Auskunft darüber, wie es um das religiöse Gesamtklima
in Luxemburg bestellt ist. Zudem ist mit Beachtung des hohen Anteils an Ausländern, die
in Luxemburg leben, klar geworden, dass es sich hier um einen Standort handelt, der in
Wertefragen komplexer ist als anderswo.
Um diese Frage soll es im vorliegenden vierten Kapitel gehen. Analysiert werden sollen die
Rahmenbedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche im Großherzogtum aufwachsen
und die Möglichkeit erhalten, sich religiös zu entwickeln beziehungsweise Religiosität
vorgelebt zu bekommen und auch selbst zu praktizieren.
Die Gegenstände, auf die hier der Fokus gerichtet ist, orientieren sich an den Leitsätzen, die
in den vorangegangenen Kapiteln aufgestellt wurden. Das bedeutet: Nicht nur das Angebot
von kirchlicher und institutioneller Seite in Luxemburg wird betrachtet, sondern auch das
sozialgesellschaftliche Klima zur Herausbildung bestimmter Werte insgesamt. Dazu
gehören
unter
anderem
der
augenfällige
Wohlstand
sowie
auch
Daten
Familienstrukturen und auch zum Umgang mit den Schwächeren in der Gesellschaft.
187
Gindt (1991), S. 11.
Legrand (2002), S. 551. Die dazugehörige Tabelle findet sich im Anhang.
189
Vgl. hierzu die Figur 9 in Legrand (2002), S. 552, bei der Luxemburgs Angaben, religiös zu
sein, mit 59% hinter Belgien (62%), jedoch vor Deutschland (58%) und Frankreich (44%)
liegt. Die dazugehörige Tabelle findet sich im Anhang.
188
84
zu
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
3. 1. 2
„Geld regiert die Welt“ – Materialismus als wertprägender Faktor
„Das Geld ist der Gott unserer Zeit.“
Heinrich Heine
Betrachtet man das ökonomische Umfeld Luxemburger Jugendlicher, kann auch in Zeiten
der internationalen Finanzkrise und den 2010 von der Luxemburger Regierung
beschlossenen Einsparungen im Sozialsystem beziehungsweise trotz der Steuererhöhungen
im Allgemeinen immer noch getrost von einer vergleichsweise rosigen Situation sprechen.
Die Jungen und Mädchen wachsen in einer Welt auf, in der sie sich zumindest aus
finanzieller Sicht keine existenziellen Sorgen machen müssen beziehungsweise dies
vonseiten ihrer Eltern nicht kennen. Die Kaufkraft ist eine der höchsten weltweit, auf der
Liste der Länder nach Bruttoinlandsprodukt pro Kopf stand Luxemburg 2009 auf Platz 1,
mit 104, 512 US-Dollar. Auch wenn dies innerhalb der Landeswährung ein Minus von
immerhin 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutete, weist eine kaufkraftbereinigte
Tabelle Luxemburg immer noch direkt hinter Katar aus.191
Im Jahr 2006 lag das Großherzogtum im internationalen Wohlstandsranking auf Platz eins.
Somit sind die Luxemburger die wohlhabendsten Verbraucher der Welt - 192 und dies prägt
ohne Zweifel die Gemeinschaft in all ihren Denkrichtungen, zumal die Kluft zwischen den
europäischen Staaten im geeinigten Europa größer statt kleiner wird: So verkündete der
Handelsverband bereits im April 2004, dass damals Bruttosozialprodukt und Kaufkraft in
den einzelnen Regionen der EU sehr weit auseinander lagen. Wie aus einer von Eurostat,
dem statistischen Amt der EU veröffentlichten Studie hervorgeht, erreicht das
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung in der reichsten Region Europas, Inner
London, mehr als 61.000 Euro, während es im Gebiet Ditiki Ellada (Westgriechenland) das
die Tabelle der Regionen mit dem niedrigsten BIP anführt, nur knapp über 12.000 Euro
beträgt. Auf die Kaufkraft bezogen bedeutet dies, dass Westgriechenland nur knapp mehr
die Hälfte des europäischen Durchschnitts erreicht, während der Kaufkraftstandard (KKS)
190
Polen hat hier mit 95% der Befragten, die angeben, religiös zu sein, die Nase vorn; zu den
Schlusslichtern gehören Schweden und Weißrussland. Legrand (2002), S. 553. Die
dazugehörige Tabelle findet sich im Anhang.
191
Vgl. die Angaben des IWF im April 2010 für das Jahr 2009.
85
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
der britischen Metropole den EU-Mittelwert um nicht weniger als 263 Prozent übertrifft.
Die nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht zur Orientierung über das regionale ProKopf-Einkommen in der Europäischen Union: 193
Regionales Pro-Kopf-BIP in der EU (EU15-Durchschnitt = 100 Prozent)
Die 10 Regionen mit dem höchsten BIP
Die 10 Regionen mit dem niedrigsten BIP
Inner London (UK)
263
Dytiki Ellada (EL)
53
Bruxelles-Capitale (BE)
217
Anatoliki Makedonia, Thraki
53
(EL)
Luxemburg
194
Extremadura (ES)
53
Hamburg (DE)
171
Ipeiros (EL)
54
Île de France (FR)
165
Açores (PT)
56
Wien (AT)
152
Norte (PT)
57
Berkshire,
149
Centro (PT)
58
Buckinghamshire,
Oxfordshire (UK)
Oberbayern (DE)
148 Cornwall & Isles of Scilly (UK)
60
Stockholm (SE)
145
Ionia Nisia (EL)
60
Provincia Autonoma
143
Dessau (DE)
60
Bolzano (IT)
Quelle: Eurostat
Das Ranking führt vor Augen, in welch privilegierter Position sich Luxemburg im Vergleich
zu vielen europäischen Nachbarregionen befindet.
Dass die Bankenkrise mit ihren Auswirkungen auf die Realwirtschaft inzwischen auch in
Luxemburg angekommen ist, ist keineswegs zu leugnen. Derzeit haben mehr als 100
Unternehmen Kurzarbeit angemeldet, soviel wie seit Jahrzehnten nicht. Nach 10 Jahren mit
einem durchschnittlichen jährlichen BIP-Wachstum von fünf Prozent gab es 2008 ein NullWachstum. Die Inflationsrate lag im Februar 2010 bei 1,5 Prozent. Die Arbeitslosenquote
betrug im selben Monat 6,5 Prozent. Luxemburg zählt jedoch weiterhin zu den Ländern mit
dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt- 2009 betrug das BIP pro Kopf ca. 75.000
Euro, und für die angrenzenden Regionen ist das Großherzogtum ein wichtiger
192
Dies geht aus einer am 30. 08. 2006 veröffentlichten Untersuchung des
Marktforschungsinstituts Michael Bauer Research, Nürnberg, hervor, zitiert nach
dpa/Luxemburger Wort vom 31. 08. 2006, S. 62.
193
Quelle: Eurostat (http://www.handelsverband.at/News%20Online/07_2004.htm).
86
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Arbeitgeber: Täglich strömen rund 150.000 Grenzgänger in das Land, mit immer noch
steigender Tendenz.194
Im Zusammenhang mit der Herausbildung von Religiosität jedoch trägt die ökonomische
Situation der Luxemburger Bevölkerung, so positiv sie in vielerlei Hinsicht auch sein mag,
so manches Hinterfragbares mit sich. Einerseits bekommt die Gesellschaft die Chance, sich
durch Geld zu emanzipieren und auch zu egalisieren. Standesgrenzen könnten
verschwinden. Entsprechend erklärt Hans Tietmeyer den Beitrag des Aufstiegs von Handel
und technisch-informationsverarbeitenden Tätigkeiten zur sozialen Mobilität.
Andererseits betont Tietmeyer den Verlust der sozialen Bindungen als Orientierungsrahmen
sowie auch die Gefahr für den Einzelnen, sich zu „übersteigern“.195 Wenn die finanzielle
Situation eines Menschen alleiniger Ausdruck gesellschaftlicher Anerkennung ist, besteht
leicht die Gefahr, Erwerbsarbeit gegenüber ehrenamtlicher oder familiärer Arbeit höher zu
bewerten; und häufig legt dies auch nahe, sogenannte „Nicht-Markt-Beziehungen“196 wie
zum Beispiel die Betreuung und Pflege kranker oder älterer Angehöriger durch
Marktleistungen von Heimen zu ersetzen. Dass hierbei die Mitmenschlichkeit auf der
Strecke bleibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Roman Herzogs, (deutscher
Bundespräsident a. D.) Anfrage „Was bieten wir den Menschen jenseits voller
Schaufenster?“ (vgl. Kapitel 2. 5) bringt eben jene Spiritualität zur Sprache, die zum
würdigen Leben in einer Gesellschaft unbedingt dazugehört.
Innerhalb des augenscheinlichen Reichtums deckt der Statec-Bericht „Arbeit und soziale
Kohäsion“197 ebenfalls auf, dass von zehn Luxemburgern ein bis zwei von Armut bedroht
sind. Betroffen sind vor allem Alleinerziehende mit einem oder mehreren Kindern sowie
kinderreiche Familien und alleinstehende Menschen, die älter als fünfundsechzig Jahre sind.
Darüber hinaus wäre ohne die Sozialtransfers das Armutsrisiko noch wesentlich höher.
Immerhin jedoch stellt ein Bericht der staatlichen Statec-Statistiker für das Jahr 2008 fest,
dass es der stets als gesellschaftliches Rückgrat beschworene Mittelschicht weiterhin gut
geht. Anhand ihres Sozialberichts wurde berechnet, dass rund 60 Prozent der Bevölkerung
der sogenannten Mittelschicht angehören. Über die Jahre hinweg betrachtet sei dieser
Prozentsatz in etwa gleich geblieben, in der jüngsten Zeit sogar noch etwas angestiegen.
194
Quellen: Statec, Auswärtiges Amt, vgl. die entsprechenden Hompages (Stand: Juli 2010).
Vgl. Tietmeyer (2006), S. 11.
196
Tietmeyer (2006), S. 11.
197
Schumacher (2006), S. 2.
195
87
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Statec-Direktor Serge Allegrezza betonte bei der Vorstellung der Sozialstudie, dass von
einem Schrumpfen der Mittelschicht, wie es zum Teil im Ausland gemessen werde,
hierzulande keine Rede sein könne.198 Statec geht von einem verfügbaren Einkommen aus,
das zwischen 1 800 und 3 900 Euro monatlich liegt. Zu einem überwiegenden Teil besitzen
die Menschen der Mittelschicht den luxemburgischen Pass, verfügen über einen relativ
hohen Bildungsstand und sind als Angestellte oder Beamte tätig. Den Statec-Angaben
zufolge hat sich der Lebensstandard der Mittelschicht in den vergangenen Jahren stetig
verbessert. Die gleiche Feststellung trifft allerdings auch auf die Unter- und die Oberschicht
zu. Von 2007 auf 2008 sei das verfügbare Einkommen im Durchschnitt um 4,5 Prozent
gestiegen, die Kaufkraft habe sich im gleichen Zeitraum um ein Prozent verbessert.199
Das ist zwar nicht gerade viel, aber besser als gar nichts. Die Krise macht sich im StatecBericht kaum bemerkbar. Weder ist das Armutsrisiko deutlich angestiegen (der Anteil der
von Armut bedrohten Menschen lag im vergangenen Jahr bei 13,4 Prozent gegenüber 13,5
Prozent im Jahr 2007), noch machen sich starke Ungleichgewichte in der Gesellschaft
bemerkbar -200 wenig Gefahr also für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
So erfreulich diese Zahlen dieses außerordentlichen Wohlstands in Luxemburg gegenüber
dem Ausland auf den ersten Blick sein mögen, lassen sie jedoch auch die Annahme
negativer Begleiterscheinung zu: Kapitalismus kann zum Götzendienst werden. Dieses
Phänomen hat bereits Walter Benjamin in seinem 1921 erschienenen Fragment
„Kapitalismus als Religion“201 beschrieben und wird u. a. von Thomas Ruster wieder
aufgegriffen. Ihre These besagt, dass außerhalb des Kapitalismus keine Erfahrung mehr
möglich sei und alles, was ist und sein kann, in einer ökonomischen Funktion stehe.202 Nach
Benjamin besteht der Kult des Kapitalismus im geldvermittelten Warentausch, vor allem
aber scheint der Kapitalismus auf die Grundfrage des Menschen nach Schuld eine Antwort
geben zu können. Ruster beschreibt es so:
„Religion umfasst die Totalität der Erfahrung, sie ist die Einheit der Erfahrung in ihrem
symbolischen oder kultischen Ausdruck und darum das Absolute des Daseins. Die jeweilige
Religion ist die Repräsentation der jeweils alles bestimmenden Wirklichkeit.“203
198
Vgl. den Bericht im Luxemburger Wort vom 16. 10. 2009.
Vgl. die entsprechende Statec-Studie, Bericht 2009.
200
Vgl. Statec
201
S. Bibliographie.
202
Vgl. Ruster (2000), S. 128.
203
Ruster (2000), S. 140.
199
88
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Durch die Kaufkraft und die ökonomische Situation der Luxemburger insgesamt
wird der Alltag in einem solchen Maß bestimmt, dass durchaus davon die Rede
sein kann, dass hierin die alles bestimmende Wirklichkeit liegt. Symptomatisch
hierfür ist vielleicht das Beispiel, dass sich bei festlichen Anlässen wie Geburtstagen, Taufen
oder Hochzeiten die Sitte eingebürgert hat, dem Materialismus mehr zu huldigen als dem
eigentlichen Sinn der jeweiligen Feier. So ist es mittlerweile zunehmend üblich geworden,
statt einer Geschenkliste nicht bloß nach Geld zu fragen, sondern die entsprechende
Bankverbindung direkt in die Einladung oder Zeitungsannonce abzudrucken. Hiermit wie
auch mit der aufkommenden Sitte, zur Geburt oder Kommunion Baugrundstücke zu
verschenken, wird so der Sinn des Schenkens, nämlich des Sich-Gedanken-Machens und
des Überraschens pervertiert.
Interessant ist auch, dass viele Gebäude des Bankensektors in Luxemburg mehr
repräsentieren als die bloße Beherbergung von Geldverwaltungsbüros: Sie gehören zu den
imposantesten Bauwerken Luxemburgs und werden von Touristen nicht selten für
Rathäuser oder gar Schlösser gehalten. In den Banken selbst finden zahlreiche kulturelle
Veranstaltungen wie etwa Vernissagen und Konzerte statt; nicht zuletzt gehören sie auch zu
den wichtigsten Sponsoren des Luxemburger Sport- und Kulturlebens; nehme man den
internationalen ING-Marathon als nur ein Beispiel von unzähligen. In dieser Couleur gäbe es
noch viele weitere Exempel, etwa die Tatsache, dass es einen eigenen arbeitsfreien Tag gibt,
um den Solden (Schlussverkäufen) im Sommer frönen zu können, die Gutscheinkultur, die
auch ruhetags geöffneten Geschäfte nicht nur an den vier Adventssonntagen, sondern zu
verschiedenen weiteren Anlässen im Jahr, oder dass man in der Hauptstadt Luxemburg
teilweise vier Jahre vor dem Kommunionstermin des Kindes bestimmte Restaurants
vormerken muss, um dort an dem Tag essen zu können oder einfach nur das
ungeschriebene Gesetz, bei feierlichen Anlässen Champagner zu trinken, niemals Sekt.
Welche Blüten der Wohlstand sonst noch treibt, soll an dieser Stelle nicht im Detail bemüht
werden, da solche Beobachtungen häufig subjektiver Natur sind. Festzuhalten bleibt: Die
genannten Exempel illustrieren alle die Wichtigkeit, ja Priorität, die dem
Materiellen innerhalb der luxemburgischen Gesellschaft wohnt; und in unserer
Moderne ist laut Ruster das Geld unverzichtbar für die soziale Integration.204 Auf
Geld und Konsum richten sich „Haltungen, die sonst nur Gott galten“205: Vertrauen,
204
205
Vgl. Ruster (2000), S. 143.
Ruster (2000), S. 142.
89
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Treue, Sicherheit, Liebe, unersättliches Begehren, und es gibt nichts, was von der Macht des
Geldes unabhängig wäre.
Selbstverständlich kann Geld nicht auf die gleiche Weise Gott sein, die „Welt regieren“, wie
es das Christentum religionsgeschichtlich von seinem Gott meint. Dies spricht auch Ruster
der Funktion des Geldes ab:
„Es ist nicht personal, man kann kein Gebet an es richten. Ihm wird auch keine ausdrückliche
kultische Verehrung zuteil, wie immer man auch die sakral anmutende Architektur der Bankund Versicherungsgebäude werten mag. Es ist nicht als solches eine Macht (…). Der
Kapitalismus ist womöglich eine Religion ohne Gott (…), in der gleichwohl das Geld an die
Stelle der alles bestimmenden Wirklichkeit besetzt.“206
Jedoch kann in Bezug auf die materialistische Wirklichkeit Luxemburgs festgestellt werden,
dass die Bedeutung Gottes angesichts des Jahrmarkts der Eitelkeiten auf eine ernste Probe
gestellt wird. Inwiefern Jugendliche dies wahrnehmen, soll das folgende Teilkapitel
weiterführen.
3. 1. 3
„Der Tanz um das goldene Kalb“ – Eine Schülerhausaufgabe als Quelle
für Einsichten über die jugendliche Wahrnehmung der spirituellen und
materiellen Situation in Luxemburg
Wenn ich mit Jugendlichen spreche, höre ich häufiger, dass sie sich in einem
gesellschaftlichen Umfeld sehen, das von hohem Materialismus geprägt ist. Angesichts der
Konsumerwartungen, die an sie gerichtet werden, erscheinen den Heranwachsenden
Glaubensfragen häufig trivial.
Um diesem allgemeinen Eindruck partiell näher auf den Grund zu gehen, stellte ich im Jahr
2006 Jungen und Mädchen einer IIIième (Alter: 17-19 Jahre) an einer katholischen
Privatschule innerhalb der Unterrichtsreihe „Geld regiert die Welt“ eine Hausaufgabe zum
206
Ruster (2000), S. 144.
90
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Exodus-Text 32, „Der Tanz um das goldene Kalb“. Im Folgenden möchte ich die
Ergebnisse vorstellen.207
Die Aufgabe lautete „Vergleiche die Exodus-Geschichte vom Tanz um das goldene Kalb
mit der heutigen spirituellen und materiellen Situation in Luxemburg.“
Der Bibeltext war zuvor in der Unterrichtsstunde gelesen, eingeordnet und sein Verständnis
geklärt worden. Es hatte sich eine Diskussion ergeben, inwiefern das Gelesene mit der
Lebenswirklichkeit der Schüler zu tun hat.
Die Ergebnisse sind, auch aufgrund der Schulform (katholisch, privat, d. h. die Eltern
zahlen Schulgeld), nicht als repräsentativ für alle Luxemburger Jugendlichen zu verstehen,
geben jedoch einen aufschlussreichen Einblick in das Empfinden der jungen
Schülergeneration bezüglich ihrer Einstellungen und auch Erfahrungen in Bezug auf Geld
und Glaube in ihrer Heimat.
Heute in Luxemburg geht es den meisten gut, wir leben fast alle im Wohlstand und somit braucht niemand einen Gott
und der Glaube verfällt langsam. Somit macht man sich auch keine Gedanken wie Gott aussehen würde, und falls doch,
wäre es egal, weil es eh keinen interessiert und man nicht dafür bestraft wird. Heute hat jeder etwas, woran er glaubt, wobei
es nicht immer Gott ist.
Antoine
Antoine formuliert eine Reihe interessanter Aussagen.
1.
Zum einen schätzt er die finanziell angenehme Position Luxemburgs keineswegs als
selbstverständlich ein.
2.
Er empfindet den Gottesglauben in der Gesellschaft als schwindend.
3.
Er sieht einen Kausalzusammenhang zwischen gesättigter ökonomischer Situation und
abnehmendem Gottesglauben.
4.
207
Er meint, dass jeder Mensch an etwas glaubt, wenn es auch nicht religiös sein muss.208
Die Auszüge der Hausaufgaben sind mit Genehmigung der Schüler abgedruckt, werden jedoch
aus Gründen des Datenschutzes unter geänderten Vornamen veröffentlicht. Eventuelle Fehler
in der Rechtschreibung sowie Ungenauigkeiten im Ausdruck wurden von mir in der
vorliegenden Arbeit korrigiert übernommen, ohne jedoch den Sinn der Aussage zu verändern.
Die hier zitierten Aufgaben sind vollständig im Anhang dieser Arbeit zu finden.
91
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Ähnliche Meinungen vertreten auch andere Schüler, sowohl zur materiellen Situation
als auch zum verlorenen Gottesglauben:
Doch die Religion ist heute nicht mehr so wichtig für die Menschen. Die Religion ist nur noch sehr wichtig für ärmere
Menschen. Die anderen bevorzugen ihren Beruf und ihre Familie. Sie glauben nur noch an die Religion und an Gott,
wenn es ihnen schlecht geht und wenn sie etwas glauben müssen, um weiterzukommen.
Lara
In der heutigen Zeit spielen materielle Dinge eine große Rolle. Man kann sich mit ihnen identifizieren. Man wird oft an
den Sachen, die man besitzt, beurteilt. Normalerweise spielt das Auftreten eine große Rolle. Man ist darum besorgt, einen
gewissen Stil zu haben und dass man sich auch mit tollen Sachen outen kann. So war es sicherlich schon immer.
Mike
Luxemburg ist, wie jedem bekannt, ein äußerst reiches Land mit hohem sozialem Niveau. Dementsprechend sind eben jene
sozialen Ansprüche auch höher und die materialistischen Anforderungen komplexer. (…) Das Auffallende ist hier
allerdings, dass die Mentalität eines doch so gebildeten Landes sich auf ein so oberflächliches Prinzip fokussiert. Hier kann
meiner Meinung nach eine große Verbindung zu dem Exodus-Text „Das goldene Kalb“ hergestellt werden. Wie wohl
jedem beim Lesen dieses Textes auffällt, basieren sich diese doch im Grunde so gläubigen Menschen bei der Herstellung des
Kalbes weniger auf den Ursprung oder spirituellen Wert, sondern vielmehr auf die oberflächliche Befriedigung des ‚Habens’.
(…)
Tom
Die nächste Aussage erklärt die Funktion des Gottesglaubens:
Die Menschen brauchen das Kalb zum Anbeten, weil sie eine Vorstellung haben wollen von Gott, den sie anbeten, wie
dieser aussieht. Hier in Luxemburg dreht sich alles ums Materielle, sei es Geld oder Grundstücke… Es geht den Leuten
heutzutage fast nur noch um Materielles. Der Glaube an Gott lässt nach und der Glauben an sich selbst, um etwas zu
erreichen, und der Glaube ans Geld wachsen.
Céline
208
Diese Meinung korrespondiert mit den in Kapitel 2. 5 getroffenen jugendlichen Aussagen im
Zusammenhang mit der Vokabel „Glaube“.
92
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Auch die folgende Hausaufgabe betont den „Nutzen“ des Kalbs in Bezug auf das
Gottesbild in Zeiten des Materialismus, aber auch (spiritueller wie echter) Armut:
Heutzutage basteln wir uns ständig immer wieder irgendwelche Glücksbringer, klammern uns an Objekte, die für uns
wichtig sind, und schreiben ihnen übernatürlich Kräfte zu. Genauso taten es auch die Leute in der Exodus-Geschichte. Sie
nahmen ihren Goldschmuck, also etwas Kostbares, gossen daraus ein Kalb und verehrten es als ihren Gott (…). Wir tun
dies im Grunde genommen jeden Tag, indem wir uns an für uns wichtige, unersetzbare Dinge klammern. Des Weiteren
glauben wir dann an jene Objekte und verlangen, bitten jene darum, etwas für uns in Ordnung zu bringen und uns zu
helfen. Dabei heißt es: „Du sollst keinen Gott neben mir haben.“ Dass wir an Götter, an übernatürliche Kräfte glauben,
zeugt nur davon, dass wir, der Mensch, etwas braucht, auf das er sich beziehen kann, wo er Halt in seinem Leben finden
und wo er sich kurz wieder besinnen kann. Wir brauchen etwas, worauf wir uns beziehen können, woran wir glauben
können, und das sind halt meistens und für die meisten Leute materielle Dinge wie z. B. ein goldenes Kalb, ein
Amulett… da es für die meisten Menschen schwer ist, an etwas zu glauben und sich auf etwas zu beziehen, das von
spiritueller Natur und nicht sichtbar ist. Wir Menschen brauchen etwas, woran wir uns festklammern und woran wir
glauben können, wenn es uns mal schlecht geht und genau deshalb hat auch jede Kultur und jeder Mensch seinen Gott oder
etwas, woran er glaubt.
Jérôme
Jérômes Aussage streicht eine Fülle einzelner Aspekte heraus, die in dieser Arbeit zur
Sprache kommen: die menschliche Sehnsucht nach Spiritualität, nach Selbstreferenz,
nach Halt, der Bestand haben soll. Sie zeigt Verständnis für die Situation der Menschen,
die sich um das goldene Kalb scharen, ohne sie jedoch zu entschuldigen.
Auch die folgenden Aussagen enthalten Parallelen zu der von Jérôme und untermauern das
Bedürfnis nach einem materiellen Gottesbild gegen das spirituelle Vakuum:
Die meisten Leute von heute sagen, sie wären in der christlichen Religion, aber sie sind nicht wirklich überzeugt. Als Kind
konnten sie ja nicht entscheiden, ob sie in der christlichen Religion sein wollten oder nicht. Die Eltern haben einfach
entschieden. Heute ist es das Gleiche wie früher. Es gab sehr wenige, die spirituell an Gott glaubten. Da gab es auch
Menschen, die es einfach so sagten, weil sie dabei sein wollten oder sie hatten Angst, dass wenn sie nicht Christen waren, sie
ausgeschlossen wurden.
Aber wenn man etwas sehen kann oder anfassen, dann gibt es viele Leute, die am Anfang nicht glauben, dann aber sich
Gedanken drüber machen, ob sie es glauben sollen oder nicht. Mit der Geschichte „Der Tanz um das goldene Kalb“ sieht
man, dass die Menschen an das goldene Kalb glauben, denn sie sehen es als Gott. (…)
Laeticia
93
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Der Mensch braucht nämlich etwas zum Sehen und Anfassen zum Glauben.
Jorge
Solange es den Leuten finanziell gut geht, gehen sie auch nicht in die Kirche und brauchen nicht zu beten, glauben sie
jedenfalls. So wie bei den Anhängern Moses. Ihnen ging es nicht gut, also wollten sie was erschaffen, was sie anbeten
konnten, weil Mose ja nicht mehr ‚verfügbar’ war.
Marc
Gleiches empfindet auch Georges, der eine mangelhafte moralische wie spirituelle
Situation beklagt:
Die heutige kulturelle und spirituelle Situation in Luxemburg ist gekennzeichnet durch einen allgemeinen Werteverlust
und durch einen immer größer werdenden Egoismus der Bewohner. Heute ist das goldene Kalb das Geld des Reichtums und
die Macht, an die die Leute nur noch glauben. Es gibt immer weniger Solidarität gegenüber Armen. Immer weniger Leute
wollen in Vereinen mitarbeiten. Somit verarmt auch spirituell das Vereinsleben. Auch gehen immer weniger Leute in die
Kirche. Schlimm sind ebenfalls immer häufiger auftretende rassistische Parolen.
Georges
Julien widerspricht dieser These nur vordergründig. Sie meint zwar, dass man sich heute
keinen künstlichen Gott mehr erschaffen müsste, spricht aber gleich anschließend von den
Leuten, die Konsum als Ersatzbefriedigung brauchen:
Wenn man die heutige und damalige Zeit der spirituellen und materiellen Situation vergleicht, findet man nicht so viele
Unterschiede. Damals wie heute kauft oder macht man sich materielle Sachen, wenn man es braucht. Doch heute, glaube
ich, würden die Menschen, die noch auf Gott warten und so fest an ihn glauben wie damals, sich keinen ‚eigenen’ Gott
kaufen oder basteln. Heute kaufen sich die Leute oft materielle Sachen, die sie zum Überleben nicht brauchen, jedoch
haben möchten.
94
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Julien
Einige Schüler erklären für die Menschen die Notwendigkeit ihres Handelns in Bezug auf
ein materialistisches Gottesbild:
Damals waren die Menschen abhängig von ihrem Gott, denn sie glaubten fest daran, dass sie durch ihn gerettet werden,
wenn es ihnen mal schlecht ergeht. Das Volk von Israel erschuf sich seinen eigenen Gott, da es glaubte, Mose hätte sie im
Stich gelassen oder er würde nicht wiederkommen können. Da sie aber in ihrer Verzweiflung etwas brauchten, woran sie
glauben könnten, gossen sie das goldene Kalb.
Thierry
Ähnlich folgende Äußerung:
So wie in der Geschichte die Menschen ihr Kalb zum Angöttern brauchten, brauchen wir unsere materiellen Bedürfnisse.
(…) Ich würde sogar sagen, dass wir viel materieller sind als in dieser Geschichte.
Michel
Gleichzeitig aber beurteilen Schüler das goldene Kalb als Mittel zur Selbstdarstellung und
parallelisieren es mit der Kirche und ihren Bauten, aber auch mit der Suche nach
Gemeinschaft:
Die Menschen damals, als sie dieses wertvolle goldene Kalb angebetet haben, wollten allen zeigen, was sie anbeten; damit
war dieses Kalb aus Gold für sie besser geeignet als ein Gott, der nur auf spiritueller Ebene existiert. Die Menschen wollen
damit protzen und die anderen verehrten Götter anderer Stämme in den Schatten stellen. Heutzutage gibt es wundervolle
Kirchen, Gemälde und andere religiöse Dinge, die auch zum Betrachten gedacht sind. (…) Die Menschen wollen zeigen,
dass sie an etwas Reiches und Mächtiges (Geld ist Macht) glauben. Der Mensch ist nicht mit wenig zufrieden, und das
wird sich auch sobald nicht ändern.
Mike
In der Exodus-Geschichte sammelt sich das Volk um ein goldenes Kalb. Bei uns sammeln wir uns in der Kirche.
Steve
In den Hausaufgaben treten also aus (subjektiver) Sicht der Schüler verschiedene
Funktionen des Kalbs zum Vorschein:
95
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Erstens ist die Situation, in der das goldene Kalb entsteht, für die Jugendlichen vergleichbar
mit ihrem Umfeld: Es fehlt finanziell / materiell an nichts. Es symbolisiert sozusagen die
Wertschätzung des Geldes seitens des Volkes. In diesem Sinne erfüllt das Kalb dann auch
die zweite Funktion, nämlich die der Selbstdarstellung, der spirituellen Oberflächlichkeit
und Sinnentleerung.
Drittens ermöglicht das Kalb eine Greifbarkeit des zunächst abstrakten Gottesbildes.
In jedem Fall unterstreichen die Darstellungen der Schüler die These des vorangegangenen
Teilkapitels vom Materialismus als werteprägender gesellschaftlicher Faktor, der gegenüber
der Herausbildung echter Religiosität kontraproduktiv ist.
3. 1. 4
Der Umgang mit sozialethischen Fragen: drei Beispiele
„Überflüssig zu werden droht, wer in einer Arbeitsgesellschaft
nicht arbeitet, in einer Konsumgesellschaft nicht kauft, in einer
Erlebnisgesellschaft nicht erlebt, in einer Wissensgesellschaft nicht
weiß bzw. das rasch verfallende (berufliche) Wissen nicht rasch
genug erneuert und wer in einer Biowissenschaftsgesellschaft nicht
die richtigen Gene hat.“
Paul Zulehner, Theologe,
über den Mehrwert von Religiosität in der Gesellschaft209
Wer gehört in eine Gesellschaft, wer nicht – welch anmaßende Frage! Aber in Zeiten von
Diskussionen um Embryonenschutzgesetze, aktive Sterbehilfe und die steigende Zahl von
Abtreibungen aufgrund eines Befundes bei der Schwangerschaftsfrühdiagnostik muss man
sich zunehmend die Frage nach der Würde und dem Werte eines menschlichen Lebens
stellen.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es aus zeit- und platzökonomischen Gründen
schwer, ein Gesamtbild zu zeichnen. Daher konzentriere ich mich auf drei Schlaglichter, die
meines Erachtens besondere Aussagekraft haben: erstens das Abtreibungsrecht, zweitens
das Luxemburger Jugendstrafrecht, drittens die Regelung der Sterbehilfe in Luxemburg.
209
Zulehner (2005a), S. 92.
96
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Im Vorfeld ist zunächst die Beobachtung innerhalb der luxemburgischen Wertestudie von
2002 interessant, dass obwohl Luxemburgs Bürger zu etwa 90% katholisch getauft sind, die
Zustimmung zu nicht-natürlicher Empfängnisverhütung bei fast 80% liegt.210 Das bedeutet,
dass die Luxemburger in Fragen der Verbundenheit gegenüber der Amtskirche und der
Familienplanung zu differenzieren bereit sind.
Bedeutend weiter aber geht die Feststellung, dass das Abtreibungsrecht Luxemburgs
abgesehen von Dänemark, Italien und Schweden, die nach dem außerstrafrechtlichen
Modell verfahren, eines der liberalsten in Europa ist:211 Es handelt sich um ein sogenanntes
„flankiertes“ Strafrechtsmodell, das im Gegensatz zum reinen Strafrechtsmodell auf
Beratung setzt beziehungsweise den Interessen der Schwangeren Vorrang einräumt.212 Eine
Abtreibung wird in Luxemburg nicht als Delikt verfolgt, wenn das ungeborene Kind
physisch oder psychisch (!) in Gefahr ist und der Abbruch in den ersten zwölf Wochen der
Schwangerschaft erfolgt.
Zudem darf im Fall, dass diese Frist verstrichen ist, eine Abtreibung dann durchgeführt
werden, wenn zwei Mediziner bescheinigen, dass die Gesundheit oder das Leben der
Schwangeren oder des ungeborenen Kindes in Gefahr ist. Falls das Leben der Schwangeren
in Gefahr ist, kann die Abtreibung praktisch bis zum Moment der Geburt durchgeführt
werden. Außerdem gestattet der luxemburgische Gesetzgeber die Abtreibung, wenn der
Fötus das Resultat einer Vergewaltigung oder eines Inzests ist.
Außerdem kann die Frau, wenn sie sich in einer (sozioökonomisch, familiär, moralisch etc.)
verzweifelten Lage sieht, ebenfalls eine Abtreibung in Betracht ziehen, ohne dass dies
strafrechtlich verfolgt würde. Die Frau allein bestimmt über diese Situation und der
luxemburgische Staat überlässt diese Entscheidung allein ihr. Diese Zulässigkeit des
Schwangerschaftsabbruchs aufgrund einer der Letztverantwortung der Schwangeren
unterliegenden Entscheidung nach Beratung ist ein „notlagenorientiertes Diskursmodell“213.
210
Quelle: Abbildung 21 im 4. Kapitel der luxemburgischen Wertestudie unter der Direktion von
Legrand (2002), S. 219.
211
Quelle: http://www.fse.ulaval.ca/dpt/morale/avort/droits/luxemb./html bzw. Gespräch mit
Dr. Gratia, Gynäkologe und Geburtshelfer.
212
Siehe hierzu auch Eser / Koch (1999), S. 5.
213
Eser / Koch (1999), S. 11.
97
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Es stellt sich die Frage, welcher Wert mit dieser Regelung dem mit der leisesten Stimme,
dem ungeborenen Kind, zukommt. Ist das Gesetz, das die Autonomie der Frauen stärken
will, nicht gleichzeitig eine Missachtung ethischer Grundparameter? Es ist der Gesellschaft,
nicht nur der kirchenverbundenen, anheimgestellt, jedem Individuum, auch dem, das die
nicht ins Schema passen (sollen) eine Lobby zuzuweisen: Das fängt beim ungeborenen
Leben an, geht weiter bei Behinderten, Älteren, Straffälligen, nicht-arbeitsfähigen Menschen,
Randgruppen, Todkranken... und so weiter. In diesem Fall überlassen Staat wie Kirche die
moralische Entscheidung über das ungeborene Leben allein der Frau und vielleicht noch
ihrer Bereitschaft, sich den Argumenten ihres Umfeldes zu stellen.
Jedoch bedeutet ein weitestgehender Freibrief in Sachen Abtreibung nicht auch eine
Prioritätensetzung zugunsten eines Sozialdarwinismus? Aus Sicht der Kirche steht das
konventionell außer Frage, denn für sie ist auch das ungeborene Leben. Je weiter jedoch
religiöse Themen aus dem offiziell-gesellschaftlichen Diskussionsraum einer Schule
gedrängt werden, desto stärker ist jeder einzelne Bürger mit seiner Meinungsbildung und
Gewissensbefragung auf sich gestellt. Denn die bildende Institution erklärt ihm etwa in
einem Fach „Ethik“ allenfalls, wie das Gewissen funktioniert, nicht jedoch, was außerhalb
rationaler Gründe dafür oder dagegen spricht, sich für Leben zu entscheiden, oder auch nur,
was menschliche Würde überhaupt bedeutet und warum sie zu achten ist. Hier stehen sich
also die liberale Abtreibungsregelung einerseits und die mit der möglichen Abschaffung des
Unterrichtsfachs Religion weniger werdende religiös-moralische Urteilsbildung gegenüber.
Ob dies ein Manko ist, sei an dieser Stelle beiseitegelassen.
Sozialethisch interessant ist ein zweiter Aspekt: Luxemburg ist das einzige Land Europas,
das kein Mindestalter für strafrechtliche Verfolgung vorschreibt.214 Das heißt: Schon ab
frühester Kindheit darf strafrechtlich gesehen Verfolgung stattfinden. Wie auch bei der
umstrittenen Abtreibungsregelung genießt Kindheit hier wenig beziehungsweise keinen
Schutzraum. Bei Regelverstößen sind schon die Jüngsten zur Verantwortung gerufen. Wenn
dies aber so ist, stellt sich alsdann die Frage, wer den Kindern und Jugendlichen beibringt,
was richtig und falsch ist. Selbstverständlich muss an erster Stelle das Elternhaus die
Herausbildung der moralischen Urteilsfähigkeit übernehmen. Als zweite Instanz steht die
Schule in der Verantwortung; sie muss mit ihrem Unterrichtsangebot diesen Bedarf
bedienen. Auch hier bleibt die Anfrage, wie der Fächerkanon einmal mit einem
214
Quelle: „Lage der Jugend in Europa“, s. Bibliographie.
98
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
konfessionellen RU oder mittels eines Einheitskurses dies zufriedenzustellen
vermag.
Als drittes und letztes Beispiel soll hier die Gesetzesänderung der Abtreibungsregelung in
Luxemburg betrachtet werden. Inzwischen verfügt nach den Niederlanden und Belgien und
der Schweiz, die Sterbehilfe im unterschiedlichen Ausmaß erlauben, als viertes Land
weltweit auch Luxemburg über eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe, die auch
die aktive direkte Sterbehilfe zulässt. Die aktive Sterbehilfe war 2001 bereits in den
Niederlanden und ein Jahr später in Belgien unter bestimmten Voraussetzungen für straffrei
erklärt worden. Bereits im Februar 2008 als Gesetz gebilligt, wurde der Gesetzesentwurf
nach Textänderungen, die der Staatsrat gefordert hatte, im Dezember 2008 erneut in erster
Lesung behandelt. Wiederum sprach sich eine Mehrheit des luxemburgischen Parlaments
dafür aus. Mit Aufhebung des Fraktionszwangs wurde den Abgeordneten bei der
Abstimmung überlassen, sich nach ihrem Gewissen zu richten. Eingebracht von den
Sozialisten und Grünen, siegte der Gesetzesentwurf am Ende knapp mit 31 Für-, 26
Gegenstimmen und drei Enthaltungen. Aus Jean-Claude Junckers Partei gab es einige
wenige
Abgeordnete,
die
mit
dem
sozialistischen
Koalitionspartner
und
Parlamentsmitgliedern anderer Fraktionen für die Mehrheit sorgten. Die Mehrheit (31 von
60 Abgeordneten votierten dafür) kam Medienberichten zufolge zustande, weil sich drei
Abgeordnete der christlich sozialen Regierungspartei CSV enthalten hatten. Laut Umfragen
folgten die Abgeordneten dem Bürgerwillen. Es hieß, zwei Drittel der Luxemburger seien
für das neue Gesetz, ein Bürgerbegehren, das das Inkrafttreten stoppen wollte, scheiterte
deutlich.
Künftig sind Ärzte laut Gesetz nicht länger verpflichtet, das Leben von Patienten um jeden
Preis zu verlängern. Dabei wird, geregelt durch ein neues Palliativgesetz, auch zugelassen,
schmerzstillende Präparate in Konzentrationen zu verabreichen, die eine Lebensverkürzung
mit sich bringen können. Ein Arzt soll einem unheilbar Kranken auf dessen ausdrücklichen
Wunsch hin bei der Lebensbeendigung unter bestimmten Voraussetzungen straffrei helfen
dürfen. So müssen etwa zwei Ärzte unabhängig voneinander feststellen, dass der Patient
unheilbar krank ist und dieser den Wunsch zu sterben zuvor ausdrücklich geäußert hat.
Möglich wäre sowohl eine Tötung auf Verlangen als auch Selbstmord mit ärztlicher Hilfe.
Auch 16- bis 18-jährige Patienten sollen um Sterbehilfe bitten können, wenn die Eltern oder
die gesetzlichen Vertreter ihre Zustimmung erteilen. Bei willensunfähigen Patienten soll eine
99
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Patientenverfügung ausreichend sein. Ärzte sind nach dem Gesetz verpflichtet, mehrere
ausführliche Gespräche mit ihren Patienten über ihre Entscheidung zu führen und einen
anderen Arzt zur Beratung hinzuzuziehen. Sämtliche Sterbehilfe-Fälle werden laut dem
Gesetz von einer Kontrollkommission überprüft. Sollte sie Gesetzesverstöße feststellen,
werden die Fälle dem Staatsanwalt übermittelt. Bereits zuvor hatten die luxemburgischen
Parlamentarier einstimmig einem weiteren von der Regierung eingebrachten Gesetz
zugestimmt, das den Ausbau der sterbebegleitenden Versorgung vorsieht. Die Kosten
sollen von den Krankenkassen übernommen werden.
Die Änderung dieses Gesetzes löste eine breite gesellschaftliche Diskussion aus, da
Großherzog Henri aus Gewissensgründen seine Zustimmung verweigerte, auf sein Recht
der Zustimmung zu Gesetzen verzichtete und so vorerst eine Entscheidung des Parlaments
blockierte – ein erst- und einmaliger Vorgang in Luxemburg. Dass er als repräsentativer
Würdenträger das Gesetz zur Legalisierung der Sterbehilfe nicht unterzeichnen wollte, weil
er auf sein Gewissen als Privatperson pochte, sorgte für große Unruhe: Regierungschef
Jean-Claude Juncker, der kein Hehl daraus, dass er gegen den Gesetzentwurf war, sprach in
der Presse von einer Verfassungskrise, der sozialdemokratische Fraktionschef Ben Fayot
von einem „völlig neuen institutionellen Moment“.215 Henris Rolle als Großherzog brachte
für viele die Erwartung mit sich, das Gesetz auch selbst auf den Weg zu schicken, und
nicht, eine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen. Dass er dies doch tat, wurde
zweigeteilt wahrgenommen, von manchen staatsbehindernd, von anderen als mutig und
integer.
In diesem Augenblick standen Gewissensprobleme des Großherzogs der Notwendigkeit,
ein Gesetz zu verabschieden gegenüber. Er ließ wissen, er wolle das Sterbehilfe-Gesetz
nicht "billigen und verkünden", wie es die Verfassung vorschreibt. Dass das Gesetz
tatsächlich im März 2009 endgültig durchgesetzt wurde, wurde nur - mit Henris
Zustimmung - durch die Verfassungsänderung möglich, nach der er Gesetze nur noch
unterzeichnen und verkünden, aber nicht mehr billigen muss. Im Schnellverfahren brachten
die Abgeordneten diese Verfassungsänderung auf den Weg, und Henri verkündete alsdann
das neue Gesetz – ohne seine persönliche Billigung. Sein Gewissen hatte sich, hatte er
durchgesetzt.
215
Vgl. entsprechende Äußerungen in der Presse im Dezember 2008.
100
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Die katholische Kirche des Großherzogtums, mit Papst Benedikt XVI. im Rücken, brachte
mehrfach ihre große Besorgnis über das Gesetz zum Ausdruck, die Ministerpräsident JeanClaude Juncker jedoch zurückwies: Er akzeptiere nicht, dass der Vatikan sich in die
Angelegenheiten Luxemburgs einmische.216 Die Deutsche Hospiz Stiftung hatte die
Entscheidung des luxemburgischen Parlaments für die aktive Sterbehilfe bereits zuvor
kritisierte und von einem „fatalen Signal“ gesprochen:217 Aktive Sterbehilfe und ärztlich
assistierter Suizid hätten nichts mit dem Recht auf palliative Versorgung zu tun. Die
Palliativmedizin solle offenbar als „Weichspüler“ für die Erlaubnis zum Töten herhalten.
Laut Umfragen befürworten allerdings rund zwei Drittel der Luxemburger die geplante
Neuregelung.
Betrachtungswürdig ist im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit nicht die Frage nach
Gesetzesdetails, sondern was die schulische Institution in Luxemburg dazu
beitragen kann, solche moralisch-ethischen Diskussionen in der Gesellschaft wie
auch für das eigene, ganz persönliche Umfeld zu führen. Ob die straflose aktive
Sterbehilfe beziehungsweise ärztliche Suizidhilfe die Entsolidarisierung mit schwerstkranken
und sterbenden Menschen bedeutet, wie Eugen Brysch, Geschäftsführer der Deutschen
Hospiz Stiftung, ihr vorwirft, ist anscheinend nicht allgemeingültig zu beantworten. In
dieser ethischen Frage wie in den anderen beiden Beispielen zuvor muss sich das
Individuum auf Werte berufen, die – hoffentlich – bei den Menschenrechten ansetzen und
die Unantastbarkeit der Würde voraussetzen. Dieses dritte Beispiel der Euthanasie
demonstriert neben dem Abtreibungsrecht und der Strafmündigkeit einmal mehr das
hiesige liberal-ethische Klima: Das Individuum entscheidet und steht bezüglich
seines eigenen Schicksals buchstäblich vom Lebensbeginn bis –ende in seiner
eigenen
Verantwortung
zukunftsweisend
und
interessant,
muss
etwas
hierfür
über
geradestehen.
religiös-konnotierte
Daher
Werte
wäre
bei
Luxemburger Bürgern zu wissen. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass insbesondere bei
der medialen Diskussion um das Gesetz zur Euthanasie das scheinbare Comeback
religiöser Gefühle bei der Bemühung ethischer Werte innerhalb der Diskussion
auffällig war.
216
217
Vgl. entsprechende Äußerungen im Luxemburger Wort, 17. 03. 2009.
Vgl. die entsprechende Pressemitteilung vom 20. 02. 2008.
101
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
3. 1. 5
Familienstrukturen
Im Folgenden soll ein Eindruck von der Situation der Familien im Großherzogtum
entstehen. Die luxemburgische Wertestudie 2002 beruft sich im Zusammenhang mit
Familienstrukturen auf Daten, die 1991 vom Institut Statec erhoben wurden.218 Mittlerweile
liegen jedoch aktuellere Daten vor.
Ökonomisch gesehen befinden sich Familien in Luxemburg verglichen mit den meisten
europäischen Nachbarn in einer deutlich bevorzugten Situation: Ungefähr 3,35 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts fließen in Sach- und Barleistungen für Familien (europäisches Mittel:
2, 08), davon 78 Prozent in bar (europäisches Mittel: 67 Prozent), und die Barleistung für
Familien in Luxemburg liegt prozentual an den Gesamtleistungen sogar mehr als doppelt so
hoch wie im EU-Durchschnitt (nämlich bei 17 Prozent gegenüber acht in der EU).219
Auffällig ist, dass der Prozentsatz derjenigen, die finanziell in Abhängigkeit von ihren Eltern
oder ihrer Familie in Luxemburg leben, im Jahr 1998 im europäischen Vergleich hinter
Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich auf einem gehobenen fünften Platz liegt.220
Außerdem war 1999 der Anteil der 15-29-Jährigen, die bei einem arbeitslosen Elternteil
(2%) beziehungsweise einem Elternteil mit sozialen Schwierigkeiten (7%) leben, der
niedrigste gemessene in Europa.221 Folglich scheint zumindest finanziell die Familie ein
„sicherer Hafen“ für Luxemburger Jugendliche zu sein. Aber wie sieht es mit der Stabilität
der familiären Verhältnisse insgesamt aus?
Im Jahr 2009 kamen im Großherzogtum 5638 Kinder zur Welt. Im Vergleich zu 2008, als
5596 Geburten registriert wurden, bedeutet dies einen Anstieg von 0.8 Prozent.222 Die
Geburtenrate Luxemburgs lag 2009 über dem EU-Durchschnitt, nämlich bei statistisch 1,61
lebend geborenen Kindern pro Frau bzw. 11,2 Lebensgeborenen auf 1000 Einwohner.223
218
Legrand (2002), S. 1989.
Eggen (2005), S. 8.
220
Quelle: „Lage der Jugend in Europa“, s. Bibliographie.
221
Quelle: „Lage der Jugend in Europa“, s. Bibliographie.
222
Quelle: Statec.
223
EU-Durchschnitt bei der Fruchtsbarkeitsrate: 1,57, Lebensgeburten pro 1000 Einwohner:
10,4; Quelle: www.wko.at.
219
102
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Kinder scheinen also grundsätzlich in der Gesellschaft gewünscht und willkommen.
Insgesamt ist die Einwohnerzahl Luxemburgs seit 1950 von damals 294 550 auf 457 250 im
Jahr 2005 kontinuierlich angestiegen,224 Luxemburg besitzt 2009 das mit 17,2 Prozent
höchste relative Bevölkerungswachstum insgesamt der EU,225 was allerdings nicht allein
etwas mit der Geburtenrate, sondern mit der Zuwanderung zu tun hat. Interessanterweise
ist die Anzahl der Eheschließungen im selben Zeitraum aber nicht proportional gestiegen,
sondern im Gegenteil geringer geworden (1950: 2.580 Eheschließungen; 2005: 2.032
Eheschließungen). Gleichzeitig aber ist die Anzahl der gescheiterten Ehen seit 1950
(damals: 161) stetig angestiegen und hat sich seit Mitte der 1990er Jahre auf einen Stand von
etwa 1.000 Scheidungen pro Jahr im Großherzogtum eingependelt. Das bedeutet im
Verhältnis zu den Hochzeiten ein Verhältnis von einer Scheidung auf zwei
Eheschließungen. Im Jahr 2009 lag laut Statec die Scheidungsrate bei 60 Prozent, eine der
höchsten weltweit. Das Eheversprechen wird nicht mehr als bindend empfunden, weder
gegenüber dem Staat und auch nicht moralisch oder religiös im Sinne des Sakraments, das
man sich gegenseitig gespendet hat.
Die Stabilität der Ehe als Grundlage der Familie ist in Luxemburg folglich sehr
fraglich geworden und keinesfalls mehr verlässlich. Das gilt insbesondere für die
Kinder und Jugendlichen, die in diesen Verhältnissen aufwachsen und von den
Veränderungen in ihrem nächsten Umfeld betroffen sind, denn in immerhin der Hälfte der
Haushalte, die sich trennen, werden Kinder versorgt.
Das klassische Familienmuster scheint insgesamt für immer mehr Menschen nicht mehr
tragfähig, da auch die Anzahl der unehelichen Kinder wie auch die der alleinerziehenden
Mütter wie Väter kontinuierlich zunimmt. Wurden 1950 in Luxemburg noch 149 Kinder
außerehelich geboren, waren es 2005 1.463 Kinder; das ist weit mehr als ein Drittel aller im
Großherzogtum zur Welt gekommen Kinder (nämlich 3908), deren Eltern nicht verheiratet
waren. Die Anzahl der Haushalte (Gesamtanzahl aller Haushalte: 171.953) mit einem
alleinerziehenden Elternteil mit einem oder mehreren Kindern betrug im Jahr 2005 2.382,
wobei der Anteil der alleinerziehenden Mütter um ein Zehnfaches höher ist als das der
Väter. Auf der anderen Seite sinkt die Anzahl derjenigen Haushalte, in denen mehrere
Generationen unter einem Dach zusammenleben.
224
225
Quelle dieser und der im Absatz folgenden Daten: Statec: www.statistiques.public.lu/stat.
Quelle: Statista.com.
103
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Auch wenn bereits in der im zweiten Kapitel vorgestellten luxemburgischen
Wertestudie aus dem Jahr 2002 davon die Rede war, wie hoch Familie im Kurs zu
stehen scheint, belegen die Zahlen doch die Brüchigkeit familiärer Strukturen in
Luxemburg. Insbesondere die Feststellung der Scheidungsrate deutet an, dass Familie als
Raum des Rückhalts und der Geborgenheit für viele nicht mehr funktioniert und gültig ist
und die betroffenen Kinder und Jugendlichen sich auf alternative Lebensumstände
einstellen müssen, mit allem was dazu gehören: Bezugspersonen, Absprachen, Wohnorte
und damit ein Zuhause, Rituale, Feste und vieles mehr werden beliebiger, zumindest jedoch
hinterfragt. Eingedenk der Erkenntnisse über die Erfahrung von Heiligkeit im
zweiten Kapitel dieser Arbeit stellen wir fest, dass sich die Jugendlichen Ersatz
schaffen müssen für das, was ihnen in der Familie versagt bleibt: die Erfahrung
von Gemeinschaft und entsprechenden Ritualen.
Viele Jugendliche sind zurückgeworfen auf sich selbst und müssen auf ihrem Weg zum
Erwachsenwerden „familientechnisch“ eine Menge Schlenker hinnehmen, die zweifelsohne
ihre Persönlichkeitsentwicklung prägen. Die Sicht auf die Dinge, das Herausbilden eines
Werterasters, die Erfahrung von unverrückbarem Urvertrauen und Zwischenmenschlichkeit
wird Zeuge von Einschnitten, werden sie von vielen Eltern noch so behutsam
vorgenommen und sicher in den wenigsten Fällen beabsichtigt oder gewünscht. Das
Verschwinden
des
Schutzgemeinschaft
Rückzugsraums
der
heilen
macht
und
Jugendliche
Kinder
Familie
als
fragiler
verlässliche
und
auch
eigenständiger. Welche Konsequenz dies im Bezug auf die Herausbildung von Religiosität
hat, soll im vierten Kapitel erarbeitet werden.
3. 1. 6
„Ein glückliches Umfeld?“
Wie bereits bei den familiären Strukturen festgestellt, bietet finanzielles Wohlergehen
vordergründig Sicherheit, garantiert jedoch kein Gelingen in sozialen Fragen des
Miteinanders. Geld ist keineswegs gleichbedeutend mit einer glücklichen Jugend, und die
vorfindbare
finanzielle
Spitzenposition
104
Luxemburgs
bringt
gesellschaftliche
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Begleiterscheinungen mit sich, die es einem Glück nicht nur erschweren, sondern in
mancher Hinsicht sogar das Gegenteil: Unglücklichsein auslösen.
Für seine Studie „Was Kinder glücklich macht“ befragte der Religionspädagoge Anton A.
Bucher über 1300 Kinder.226 Erfreulicherweise fühlen sich 93 Prozent aller Jungen und
Mädchen als „sehr glücklich“ oder „glücklich“. Interessant und aus Kirchensicht
enttäuschend stimmt sicher das Resultat, wann die Kinder am wenigsten glücklich sind,
nämlich an vierter Stelle, hinter dem berühmten Zahnarzt, der Schule und den
Hausaufgaben in der Kirche! Man muss aus institutioneller Sicht einräumen, dass kirchliche
Räume den Kindern nicht nur kein attraktives Angebot machen, sondern im Gegenteil
ihnen Unbehagen einräumen – von spiritueller Befriedigung also keine Spur. Dies sollte im
Allgemeinen den Kirchen Anlass geben, ihre Einladung an die Kinder zu überprüfen.
Immerhin liegt das Großherzogtum weltweit gesehen und altersunabhängig auf Platz zwölf
auf der „Weltkarte des Glücks“, die 178 Nationen befragte.227 Jedoch ist es mit der
mentalen Gesundheit der Kinder in Luxemburg laut ORK-Daten nicht zum Besten bestellt:
Das „Ombuds-Comité fir d’Rechter vum Kand“ (ORK) stellte in seinem Bericht aus dem
Jahr 2006 mit Besorgnis fest, dass sich unter der jungen Bevölkerung eine
„besorgniserregende Lebensüberdrüssigkeit“ breitmache.228 Die Zahlen, die das ORK
zusammenstellte, klingen alarmierend: So suchten allein im Jahr 2005 2.611 Kinder und
Jugendliche Hilfe in der pädopsychiatrischen Abteilung des „Centre Hospitalier“ in
Luxemburg, 467 junge Betroffene mussten in Luxemburg oder im Ausland wegen
psychischer Krankheiten behandelt werden. Gründe und Hintergründe hierbei sind laut
dem ORK vor allem
1.
gescheiterte Familienverhältnisse beziehungsweise Trennungen,
2.
Drogenmissbrauch,
3.
falsche Schönheitsideale und
4.
der falsche Umgang mit neuen Technologien und Medien.
226
Bucher (2001), zitiert nach Eltern (9/2006), S. 38.
Rovatti (2006), S. 24.
228
Quelle: Artikel im Luxemburger Wort, Hamus (2006), S. 19.
227
105
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Der letzte Punkt weist aus, dass sich Eltern und Mediziner mit dem Vormarsch neuer
Medien einem ganz neuen Phänomen gegenübersehen: Bei übertriebener Nutzung von
multimedialen Angeboten laufen Kinder und Jugendliche Gefahr, sich vollständig von der
Außenwelt abzukapseln und ihr Dasein nur noch in der virtuellen Welt zu fristen. In
Luxemburg sind zuletzt erste Fälle dieses Krankheitsbildes „Hikikomori“229 aufgetreten, bei
dem Menschen sich einschließen und den Kontakt zur Gesellschaft freiwillig auf ein
Minimum reduzieren.
Diese Statistik bestätigt die Gedanken aus dem Teilkapitel 3. 1. 2, in dem die Gefahr der
Übersteigerung angemahnt wurde. In einer Gesellschaft, in der die durchschnittliche Familie
sich nicht sonderlich um Existenzielles sorgen muss, treten Randerscheinungen, ich nenne
sie „Nebenschauplätze“, in den Vordergrund.
Überdrüssig mögen sich auch jene vorkommen, die am aktiven Arbeitsprozess nicht
teilnehmen können. So lag die Arbeitslosenrate in Luxemburg im Oktober 2006 bei 4,5
Prozent. Dies bedeutet eine leichte Senkung im Vergleich zum Vorjahr, von 10.354 auf nun
9.835 Erwerbslose,230 und mag im internationalen Vergleich in Zeiten wirtschaftlicher Krise
nicht dramatisch erscheinen. Jedoch haben diese Zahlen innerhalb eines Landes mit
entsprechender Kaufkraft pro Bürger wie in Luxemburg eine spezielle Aussagekraft.
Diejenigen, die nicht mehr kaufen können, fühlen sich leichter ins Abseits gedrängt, Kinder
aus solchen Familien können mit dem Markendruck ihrer Schulkameraden oder Freunde
nicht mehr mithalten und geraten ins Außenseitertum.
Mit diesen Beispielen kann man sich vorstellen, dass die innere Struktur einer nach außen
hin sozial intakten Gesellschaft marode sein kann, und es ist anzunehmen, dass dies
durchaus Auswirkungen auf die religiöse Identität eines jungen Menschen hat.
229
230
Der Name stammt aus Japan.
Vgl. Luxemburger Wort vom 23. 11. 2006, S. 1 bzw. 2.
106
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
3. 2
„Religion im Angebot“ – Ein Überblick
3. 2. 1
Religionsunterricht an den Schulen
Der heutige RU an den öffentlichen Schulen versteht sich als der Beitrag der katholischen
Kirche im Rahmen einer ganzheitlichen Erziehung im 'Lebensraum Schule'. Mit dem
Eintritt in den Cycle 2 (früher 1. Primärschuljahr) des staatlichen Schulsystems erhalten die
Eltern die Wahl, ihr Kind entweder für den Religions- oder den Moralunterricht231
anzumelden; letzterer wurde 1998 eingeführt.
Es soll an dieser Stelle weniger um einen geschichtlichen Überblick des Luxemburger RUs
gehen, sondern um die Wegweisung zur heutigen Situation. Durch die Reform des
Sekundarunterrichts gemäß dem Gesetz vom 10. Mai 1968 wurde das ehemalige Statut von
Religion und RU in den öffentlichen Schulen wesentlich abgeändert und trug so einer
pluralistischen Gesellschaft Rechnung.232 Zum einen wurde die verpflichtende Teilnahme
am
religiösen
Schulleben,
so
etwa
an
gemeinsamen
Messen,
Prozessionen,
Kommuniontagen und Beichtgelegenheiten aufgehoben beziehungsweise als religiöse
Manifestation stark reduziert. Zum Zweiten wurde die obligatorische Teilnahme am RU,
von der sich seit dem Schulgesetz von 1912 lediglich Angehörige anderer Religionen
dispensieren lassen konnten und die in allen Lehrplänen bis zum Studienabschluss immer an
erster Stelle stand, abgeschafft. Zum Dritten zählte dieses Fach nicht mehr zur Versetzung
in die nächste Klasse und war ebenfalls kein Examensfach (auf Quarta und Prima) mehr.
Schließlich wurde der Posten des offiziell anerkannten Schulaumôniers ebenfalls gestrichen.
Stattdessen wurde das Fach „morale laïque“ neu eingeführt (im Primärunterricht geschah
dies 1998)233, das fortan neben dem RU den Schülern zur Auswahl stand. Außerdem wurde
die bestehende Möglichkeit eines Dispenses losgelöst von der Zugehörigkeit einer
nichtkatholischen Religionsgemeinschaft und in dem Sinne verallgemeinert, dass man sich
von den beiden Alternativfächern Laienmoral und Religion „sur déclaration écrite“
dispensieren
lassen
konnte.
Der
Wertunterricht
231
war
außerdem
nicht
mehr
Vgl. hierzu auch Jean-Louis Zeien (2010).
Gindt (2002), S. 1-2. Die Darstellung dieses inhaltlichen Abschnitts ist ebd. Quelle entnommen.
233
Hier sowie weitere Inhalte dieses Abschnitts: Conférence des professeurs (…) (2008), S. 36.
232
107
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
versetzungsrelevant. Dieses Gesetz wurde jedoch nachgebessert, da nach kurzer Zeit etwa
dreißig Prozent der Schülerinnen und Schüler von dem Dispens Gebrauch machten und so
zwei Unterrichtsstunden weniger pro Woche hatten als ihre Mitschüler im Religionsbeziehungsweise Moralunterricht.
Das Gesetz vom 16. November 1988 regelte alsdann den Wertunterricht so, dass er aus
zwei Alternativfächern, der „Instruction religieuse et morale“ und der „Formation morale et
sociale“ (statt „Morale laïque“) besteht, die den Schülern zur Wahl stehen. Seitdem können
nur jene Schüler vom Wertunterricht befreit werden, „qui se réclament d’une croyance
religieuse dont les adhérants n’assurent pas de cours d’instruction religieuse et morale dans
le cadre des horaires scolaires“. Mit dem Gesetz vom 12.
Juli 2002 wurde diese
Dispensmöglichkeit ganz abgeschafft. Seitdem besitz der Wertunterricht innerhalb des
Fächerkanons nun den Promotionsfaktor 1, das heißt, er ist zwar nicht direkt
versetzungsrelevant, kann jedoch mit einer schwachen oder ungenügenden Punktzahl zu
einer Durchschnittspunktzahl auf dem Jahreszeugnis beitragen, die nicht zu einer
Versetzung gereicht. Um im Sekundarunterricht die „Formation morale et sociale“ zu
unterrichten braucht der Lehrer keine fachspezifische Ausbildung.234 Bei Mangel an Lehrern
und bei Bedarf wird das Fach auch von Lehrkräften anderer Fachdisziplinen erteilt. Seit
einiger Zeit werden fachspezifische Weiterbildungsmaßnahmen angeboten sowie eine
fachliche Qualifikation innerhalb des „Stage pédagogique“ der Philosophielehrer. Seit 2007
besteht die Möglichkeit eines eigenen „Stage pédagogique“ an der Universität Luxemburg
mit anschließender Nomination.235
Neben der katholischen Kirche als Mit-Träger des RUs an der Seite des Luxemburger
Staates können prinzipiell alle vom Staat anerkannten Religionen Religionsunterricht
anbieten; sie machten bisher von ihrem Recht keinen Gebrauch.236
234
Ebd.
Ebd.
236
Conférence des professeurs (…) (2008), S. 36.
235
108
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Im Laufe der Zeit hat sich im RU ein Paradigmenwechsel vollzogen, der bereits in der
Grundschule einsetzt, wie Jean-Louis Zeien, verantwortlich für die Organisation des RUs
an Luxemburger Primärschulen, beschreibt:
„weg von einem rein katechetisch ausgerichteten Religionsunterricht hin zu einem Fach, das
sich als Hilfe zu einer Lebensorientierung aus christlicher Verantwortung heraus versteht. Im
Dienst steht der Religionsunterricht aus dieser Sichtweise heraus dann, wenn es ihm selbstlos
darum geht, jungen Menschen aufzuzeigen, dass der christliche Glaube ihnen helfen kann,
Orientierung und Perspektiven für ihr Leben zu finden. Dabei soll sowohl Konzeption als auch
Methodik im Religionsunterricht die befreiende Botschaft Jesu Christi widerspiegeln.
Religionsunterricht ist somit ein dialogisches Geschehen, das existenzielle Fragen aufgreift und
dem Schüler zugleich hilft auch, die spirituelle Dimension des Lebens zu entdecken. Die
Verlautbarungen der Diözesanversammlung 'Kirche 2005' zum Religionsunterricht spiegeln
diesen Standortwechsel wider.“237
Die Programmkommission für den RU im Sekundarbereich beschreibt den Anspruch an ihr
Fach folgendermaßen:
„Angesichts der Komplexität des Lebens, der Gesellschaft und der Geschichte muss die Schule
den Jugendlichen und jungen Erwachsenen helfen, eine eigenständige Identität und einen
Sinn für Selbst- und Mitverantwortung zu entwickeln. Dazu reicht reine Wissensvermittlung
nicht aus. Es bedarf, worauf die OECD-Bildungsexperten letztlich auch mit ihrer PISAStudie hinweisen, der Förderung von Kompetenzen. Von daher möchte das Fach
„Instruction religieuse et morale“ Schülerinnen und Schüler unterstützen, sowohl kognitive
als auch emotionale Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, damit sie ihr
persönliches Lebensprojekt entdecken, entfalten und verwirklichen können. Dabei
geht es dem Fach entsprechend vor allem darum, soziale, ethische und spirituelle
Kompetenzen so zu entwickeln, dass die Jugendlichen und späteren Erwachsenen
in den alltäglichen Lebenssituationen wissen, welche Fähigkeiten sie mobilisieren
können, um Lebensfragen, ethische Probleme und Sinnfragen konstruktiv
anzugehen. Ziel ist es, die Jugendlichen in ihrem Selbstfindungsprozess dahin
gehend zu unterstützen, dass sie ihr jetziges und zukünftiges Leben als sinnvoll
erfahren und gestalten.238 (...)
Zu den fächerübergreifenden Kompetenzen zählen u.a.: Analysieren, Synthetisieren,
Integrieren, Argumentieren, Kommunizieren, Beurteilen, Zuhören, Kooperieren....Die zu
fördernden fachspezifischen Kompetenzen lassen sich in folgende Bereiche aufteilen:







237
238
Subjektwerdung (...)
Selber Denken (...)
Soziales Leben (...)
Ethik (...)
Spiritualität (...)
Kultur und Geschichte (...)
Das Phänomen des Religiösen (...)
Zeien (2003).
Hervorhebung von mir, S. D.
109
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
 Das christliche Erbe (...)“239
Der heutige RU versteht sich also im Dialog mit den Anforderungen der modernen
Gesellschaft. Er möchte das Kind beziehungsweise den Jugendlichen in seiner emotionalen
sowie Bildungsentwicklung ernst nehmen und fördern. Dass die Gegner des traditionellen
RUs ihm diese Kompetenz absprechen, soll an späterer Stelle dargestellt werden.
Die Wahrnehmung des RUs ist zwischen den Schulträgern etwas unterschiedlich, was die
nachfolgende Statistik zeigt. Sie stellt die Teilnahme der Schüler am Wertunterricht dar,
getrennt nach enseignement secondaire classique, enseignement secondaire technique und enseignement
secondaire technique préparatoire (s. folgende Seite).
239
Siehe www.men.lu, programmes 2010/2011.
110
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
111
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Die Zahlen belegen für das Schuljahr 2009/2010 zunächst einmal, dass sich immer noch die
Mehrheit der Schülerinnen und Schüler in Luxemburg für den schulischen RU (MORCH)
entscheiden,240 wenn auch der Anteil am Moralunterricht (FOMOS) weiter gestiegen ist. Im
klassischen und technischen Sekundarunterricht unterscheiden sich die Statistiken nicht
besonders; beide weisen eine Teilnahme am RU von etwa 64-65 Prozent nach, die
Teilnahme am Moralunterricht liegt bei 34 bis 36 Prozent. Im Vergleich zu
vorangegangenen Jahren ist der Anteil der Schüler, die am konfessionellen RU teilnehmen
wollen, stetig gestiegen: am Enseignement secondaire technique von 60, 54% im Schuljahr
2006/2007 auf 65, 87% im Schuljahr 2009/2010; am Enseignement secondaire classique
von 63,98% im Schuljahr 2006/2007 auf 64, 06% im Schuljahr 2009/2010.
Anders sieht das Verhältnis freilich bei den (konfessionellen) Privatschulen aus, bei denen
nahezu alle Schüler am RU teilnehmen. Das Besondere dort ist, dass das Fach Religion zum
Fächerkanon obligatorisch auf allen Klassen dazugehört und nicht durch den
Moralunterricht ersetzt werden kann. Zudem bieten diese Schulen ein besonderes pastorales
Angebot innerhalb einer Aumônerie an. Zwar haben aus personellen Gründen nicht mehr
alle Schulen einen Pfarrer als Schulaumônier, jedoch bemühen sie sich, die seelsorgerischen
Aufgaben durch die Religionslehrer aufzufangen. 241 2007 betrug der Anteil der Schüler, die
in Luxemburg eine katholische Privatschule besuchen etwa elf Prozent.242 Die katholischen
Privatschulen versuchen in besonderem Maße, die religiöse Dimension bei der Erziehung
junger
Menschen
zu
berücksichtigen
und
im
Sinne
eines
christlich-ethischen
Menschenbildes zu verwirklichen. Die Legitimation hierfür finden sie zum einen in den
Glaubensvorbildern oder auch Gründern ihrer Schule, wie etwa Pierre Fourier und Alix le
Clerc bei der Ecole Privée Notre-Dame (Sainte-Sophie), zum anderen auch durch die
Definition seitens der IV. Luxemburger Diözesansynode von 1984. Diese stellt fest: „Die
Eigenart der katholischen Schule ergibt sich aus ihren besonderen Zielen: Sie soll den
jungen Menschen befähigen, aus der Kraft des Glaubens und in der Bildung an die Kirche
als Gemeinschaft der Gläubigen sich voll zu entfalten, persönlich-individuell und im
Einsatz für andere“.243 Dabei muss jedoch angemerkt werden, dass es sich bei Ste. Anne,
Marie Consolatrice und Ecole Privée Fieldgen um reine Mädchenschulen handelt, bei dem
240
Quelle: www.religionslehrer.lu.
Bei den öffentlichen Schulen setzte die Schulreform von 1968 dem bis dahin gesetzlich
vorgesehenen Schulaumônier ein Ende. Gindt erklärt hierzu: „Wenn also weiter von einem
Aumônier oder einer Aumônerie gesprochen wurde, geschah dies ohne gesetzliche
Grundlage.“ Gindt (1991), S. 122.
242
Siehe die entsprechende Tabelle im Anhang dieser Arbeit.
241
112
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Internat Pensionat in Echternach um eine Einrichtung für Jungen. Die meisten anderen –
nichtkonfessionellen - Schulen Luxemburgs bieten eine Schulpastoral an, die vom
Engagement und den Möglichkeiten der dort wirkenden Religionslehrer sowie der
regionalen Verwurzelung der einzelnen Schule (etwa in Echternach oder der Hauptstadt)
abhängt. Sie orientiert sich meist an den traditionellen luxemburgischen Festen wie etwa der
Pélé des Jeunes innerhalb der Frühlings-Oktav, die Oktav selbst, die Springprozession zu
Pfingsten in Echternach oder die Hl.-Willibrord-Oktav im November.
Als Alternative steht, wie zuvor bereits erwähnt, den Schülern, Vertreten durch ihre Eltern,
das Fach Formation morale et sociale, kurz FOMOS, zur Wahl. Dieses orientiert sich inhaltlich
an den Leitlinien für die Praktische Philosophie: 244
„Der Unterricht im Fach Praktische Philosophie hat (...) die Aufgabe, den Schülerinnen und
Schülern wichtige weltanschauliche und religiöse Entwicklungen sowie
ideengeschichtliche Zusammenhänge nahe zu bringen. Dabei haben die Schülerinnen und
Schüler die Möglichkeit, die religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen, die unsere eigene
und fremde Kulturen geprägt haben, aus ihren Ursprüngen und Traditionen heraus zu
verstehen. Sie sollen sich mit den darin erkennbaren Wertvorstellungen im Sinne interkultureller
Toleranz auseinandersetzen und dazu Stellung nehmen. (…)
Ziel des Unterrichts im Fach Praktische Philosophie ist es, den Schülerinnen und Schülern die
Möglichkeit zu erschließen, die Wirklichkeit in ihren vielfältigen Dimensionen effizienter
wahrzunehmen und zu beurteilen sowie Empathiefähigkeit, Wert- und Selbstbewusstsein zu
entwickeln. Dies soll ihnen eine sinnvolle Lebensführung und verantwortliches Handeln in
einer demokratisch verfassten Gesellschaft ermöglichen. (…)
Die Inhalte des Unterrichts werden unter drei Aspekten behandelt (der personalen, der
gesellschaftlichen und der ideengeschichtlichen Perspektive) und zu Fragenkreisen gebündelt:
Die Frage nach dem Selbst, die Frage nach dem Anderen, die Frage nach dem guten
Handeln, die Frage nach Recht, Staat und Wirtschaft, die Frage nach Natur und
Technik, die Frage nach Wahrheit, Wirklichkeit und Medien, die Frage nach Ursprung,
Zukunft und Sinn.
Unterrichtsmethodische Prinzipien sind Ganzheitlichkeit, individuelle Lernwege, Reflexion statt
Kanon, Sachwissen, methodische Kompetenz und dialogische Verständigung.
Arbeitsformen: Das philosophische Gespräch, der philosophierende Umgang mit Texten, die
Produktion
eigener
Texte,
Dilemmageschichten,
Simulation
und
Rollenspiel,
Konfliktschlichtung, Kreatives Gestalten, Umgang mit audiovisuellen Medien, Projektlernen,
Realbegegnungen.“
243
IV. Luxemburger Diözesansynode (1984), Leitsatz 1, Nr. 178.
113
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Ob RU in Luxemburg aus kirchlicher Sicht ein Erfolg ist, lässt sich anhand verschiedener
Kriterien beurteilen. Nimmt man dazu die Kirchenbesucherzahlen, ist man schnell mit
einem Negativurteil bei der Hand, so wie es Jupp Wagner bereits 1990 war, als er die
Ergebnisse der „Rappsonndeg“245-Umfragen auswertete und kommentierte: Angesichts
abnehmender
Zahlen
sprach
er
von
einer
„Erfolglosigkeit
des
schulischen
Religionsunterrichts“246.
Dem
sind
jedoch
zwei
entscheidende
Argumente
entgegenzuhalten,
die
die
vorangegangenen Kapitel hergeleitet haben:
1. Religiosität ist mehr als der äußere Ausdruck in Form einer Kirchganggeste.
2. Religiosität, auch Kirchgang, ist nicht primär motivierbar durch den RU, sondern
durch religiöse Prägung, die zu großen Teilen im Elternhaus stattfindet.
Religionslehrer müssen sich also heute bewusst sein, dass ihr Unterricht häufig die
letzte kontinuierliche Beziehung zu einer institutionalisierten Religiosität darstellt.
Unabhängig aber von Kirchenbesuchszahlen wird die Berechtigung des Unterrichtsfaches
Religion in jüngerer Vergangenheit laut hinterfragt, was das folgende Teilkapitel näher
beleuchten soll.
3. 2. 2
Der Streit um den Werteunterricht in Luxemburg
Darüber, ob der RU in seiner bisherigen Form als Wahlfach neben dem Moralunterricht
bestehen bleiben soll, wird auf allen medialen Ebenen gestritten: in der Presse, im Radio, in
244
Quelle und vollständiger Lehrplan unter www.learn-line.nrw.de/angebote/praktphilo, Hervorhebung
von mir, S. D.
245
Der Ausdruck „Rappsonndegen“ stammt von dem Luxemburger Radiomoderator Nic Weber,
der seinerseits die Umfragen kommentierte, und gründet auf dem luxemburgischen Verb
„rappen“ = reißen, weil die Zählkarten an den entsprechenden Stellen eingerissen werden
musste. Vgl. Gindt (1991), S. 65. Im Gegensatz zu der ILReS-Studie sollten bei der
Synodenumfrage alle Bewohner Luxemburgs ab 16 Jahren die Möglichkeit bekommen, sich zu
äußern. Insgesamt wurden 225521 Fragebogen verteilt, 91510 wurden zurückgeschickt, 79799
konnten ausgewertet werden. Vgl. Heiderscheidt (1971), S. 3.
246
Wagner (1990), S. 6.
114
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Fernsehdiskussionsrunden. Es soll im Rahmen dieser Arbeit nicht darum gehen, hierüber
einen umfassenden Überblick zu geben, sondern die Positionen in g r o b e n Zügen zu
erklären.
Im Gegensatz zum laïzistischen Frankreich, wo Kirche und Staat im Unterrichtswesen
getrennt sind, hat die katholische Kirche Luxemburgs immer noch einen Bildungsanspruch
innerhalb der öffentlichen Schule. Dieser wird jedoch in aktueller Zeit zunehmend
umstritten. Es bildete sich ein „Bündnis fir d’Trennung vu Kirch a Stat“247 (Bündnis tvkas).
Dieses tritt für eine rigorose Trennung von Kirche und Staat in jedwedem Bereich ein und
kritisiert die aus ihrer Sicht überdominante weltanschauliche Vormachtstellung und
Privilegien der Kirche innerhalb der Gesellschaft. Im „Interesse einer aufgeklärten
Gesellschaft“ verbitte man sich jegliche religiöse Einmischung. Das Bündnis tvks meint,
dass „vom Privileg abgesehen, dass die katholische Kirche praktisch als einzige
Glaubensgemeinschaft über das Recht verfügt, in öffentlichen Schulen ihren Glauben zu
verbreiten, (der) RU insgesamt in einer öffentlichen Schule, die Wissen und Werte
vermitteln soll, nichts verloren“ habe. Zudem stelle die aktuelle Regelung eine Art
Zweiklassen-Werteunterricht dar: der katholische RU und das „morale laïqueSammelbecken“ für die Nicht-Gläubigen und Anhänger anderer Glaubensrichtungen.248
Angeprangert wird auch, dass der Luxemburger Steuerzahler die Kirchen, Gehälter
kirchlicher Angestellter oder auch kirchliche Privatschulen finanziell unterhalte,
„unabhängig davon, ob er gläubig ist, Mitglied dieser Kirche ist, und/oder die Werte dieser
Religion teilt oder nicht“. Vertreter der „Liberté de conscience“ monieren, der RU dürfe die
Infrastruktur der Schule benutzen, um den Schülern ihre Weltanschauung nahe zu bringen,
womit andere Gruppen diskriminiert würden. Betreffend des Schulunterrichts hält das
Bündnis tvkas das Nebeneinander von katholischem RU und Morale laïque als
„Sammelbecken für die Nicht-Gläubigen und Anhänger anderer Glaubensrichtungen“ für
einen „Zwei-Klassen-Werteunterricht“, den es aus ihrer Sicht schleunigst abzuschaffen und
durch eine aus Bündnis-Sicht „zeitgemäßere Lösung“ zu ersetzen gilt.
Den Religionslehrern auf der anderen Seite geht es möglichst um eine Erhaltung ihres
Faches.
Ihre
Kernargumentation:249
Schule
sei
seit
jeher
auch
schon
eine
„Erziehungsanstalt“ gewesen. Gerade in unserer heutigen Zeit beklagten sich die Lehrer
247
Vgl. die zugehörige Homepage www.trennung.lu, der nachfolgende Inhalte zu entnehmen sind
(Stand: Juni 2010).
248
Ebd.
249
Entnommen Siebenaller (2009).
115
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
darüber, dass ihr Beruf zusehends vom Wissensvermittler zum Erzieherberuf mutieren
würde, da die Anzahl der Schüler mit (...) Verhaltensstörungen von Jahr zu Jahr steigen
würde. In der Schule würden ganze Menschen herangebildet und in ihrem
Entwicklungsprozess des Erwachsenwerdens intensiv begleitet. Dieser ganze Mensch
bestehe nicht nur aus einem Kopf mit einem Gehirn drin, das mit bloßem „Wissen“
vollgestopft werden möchte, sondern auch aus einem Körper, dessen Muskulatur durch
Bewegung und Sport starkgemacht und gesund gehalten werden wolle, und eben nicht
zuletzt auch aus einer Seele (oder auch „Geist“ oder „Psyche“ für die NichtGläubigen), die durch die konkreten zwischenmenschlichen Begegnungen und
Erfahrungen geformt wird.250 Nach Meinung der Religionslehrer sollten junge Menschen,
die auf der Suche nach Antworten auf religiöse Fragen sind, sollten daher gerade in der
Schule die Möglichkeit bekommen, die notwendigen Kompetenzen zu erlangen, um
zwischen den ursprünglich guten Ideen der Religionsgründer – die Lebensorientierung
bieten können – und den sich später zugetragenen Fehlentwicklungen unterscheiden zu
können. Insofern halten die Befürworter das Argument ihrer Gegner, beim RU handle es
sich vornehmlich um „Glaubensgeschichten“, in der Schule gehe es aber ausschließlich um
Wissen und Wissensvermittlung, für widerlegt.
Zweitens argumentieren die Befürworter, dass Religion definitiv keine reine Privatsache
sei. Religionen hätten mitunter auch heute noch großen Einfluss auf die Weltpolitik. Es
werde möglicherweise keinen dauerhaften Weltfrieden geben ohne einen authentischen
Frieden unter den Weltreligionen. Religiös gebildete Menschen, die ein fundiertes Wissen
über die eigene Religion so wie über die ihrer Mitmenschen haben, könnten einen
konstruktiven Beitrag zum interreligiösen Dialog leisten, sowie die Menschen, die gelernt
haben, sich kritisch mit den eigenen kulturellen und religiösen Wurzeln auseinanderzusetzen
und in einer Grundhaltung des Respekts anderen Weltanschauungen und Religionen zu
begegnen, Fundamentalisten – ganz gleich aus welchem „Lager“ sie stammen – nicht so
schnell „auf den Leim gehen“ würden.
Unterstützt werde sie vom Bistum und Vertretern der Nachbarkirchen. So meint
beispielsweise Gabriele Krohmer, bis 2009 Pfarrerin in der evangelischen Gemeinde
deutscher Sprache in Luxemburg im Luxemburger Wort251 unter der Teilüberschrift „Lieber
250
251
Siebenaller (2009), Hervorhebungen von mir, S. D.
Siehe die Ausgabe des Luxemburger Worts vom 10. 11. 2007.
116
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Kommerz als Kirche“, es mache sich auch in den Schulen eine „antikirchliche Stimmung
breit“: „Es dürfen Werbeplakate und Einladungszettel für sportliche, musikalische, selbst
halbkommerzielle Veranstaltungen aufgehängt werden. Nur bei religiösen oder kirchlichen
Veranstaltungen kommen plötzlich Bedenken. Religion wird zur Privatsache erklärt.“
Gabriele Krohmer wünscht sich eine „ganzheitliche Pädagogik“:
„Es stellt sich die Frage, wie Staat oder Schule den Erziehungsauftrag verstehen. Geht es nur
darum, Wissen zu vermitteln oder auch darum, daß ein Kind sich entfaltet, Kompetenzen
erwirbt, sein Leben meistern kann. Wenn Sport zur Privatsache deklariert würde, wäre
sofort klar, daß noch mehr Kinder in Bewegungsarmut versinken mit den
entsprechenden gesundheitlichen, wohl auch volkswirtschaftlichen Folgen. Musik und
Kunst tun gut, sind Ausgleich und werden gerade in Lebenskrisen als Kraftquelle wieder
entdeckt. Zu diesem Fächerkanon zähle ich auch Religionsunterricht. Eine religiöse Bildung
liefert wichtige Ressourcen zur Bewältigung des Lebens. Diese zur Privatsache zu erklären
würde bedeuten, daß man vielen Kindern diese „Ressource“ entzieht.“252
In puncto Bildung im Zusammenhang mit verschiedenen Fächeroptionen gilt
sicher das Prinzip von Angebot und Nachfrage, so auch im RU. Hier spricht das
Votum der Eltern (noch) eine eindeutige Sprache: Mehr als 80% der Eltern eines
Grundschulkindes sowie 65% der Eltern eines Jugendlichen am Sekundärschulbereich
melden ihr Kind für den RU an. Diese Tatsache wird vonseiten der Religionslehrer auch als
ein Argument angeführt, ihr Fach beizubehalten: Erstens besteht eine demokratische
Wahlmöglichkeit und zweitens entscheidet sich dann eine deutliche Mehrheit für diesen
Unterricht.253
Dennoch wurden in jüngster Vergangenheit die Stimmen lauter, die eine Abschaffung des
RUs nicht nur andenken, sondern – je nach Blickwinkel – progressiv oder aggressiv fordern.
Die Selbstverständlichkeit des RUs als Teil des luxemburgischen Fächerkanons hat sich mit
der Eröffnung des „Néien Lycée“, der 2005 eröffneten pädagogischen Projektschule,
aufgelöst. Begrüßt wurden die steigenden Zahlen der Schüler, die sich vom RU zum Fach
Morallehre ummelden. So kommentierte etwa der Journalist Romain Durlet in Luxemburgs
Tageblatt254, die neuen Schülerzahlen im Religions- beziehungsweise Moralunterricht als
252
Ebd., Hervorhebung von mir, S. D.
Vgl. die Stellungnahme des Vorstands der Religionslehrer im postprimären Unterricht, s.
www.religionslehrer.lu
254
Luxemburger Tageszeitung, die sich dem sozialistischen Lager zuordnet.
253
117
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
„vollen Erfolg“ zugunsten der Morallehre.255 Zudem würden, laut Durlet, die Schüler am
„Neien Lycée“ vom Moralunterricht „nicht mit dogmatischen Ideen belästigt“.256 Dass hier
kein RU mehr erteilt wird, zeugt von eben jenen angeklungenen antireligiösen
Strömungen bei (auch schul-) politischen Entscheidungsträgern.
Im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung und Beurteilung fällt außerdem auf,
dass auch das Erzbistum selbst kein einheitliches Bild bezüglich der bedingungslosen
Unterstützung des RUs an den Schulen abgibt.
So verschickte das Erzbistum im Spätsommer 2006 an viele Haushalte das Heft „Einladung
zu einem Sozialwort der katholischen Kirche Luxemburg“. In diesem Heft wird im Kapitel
„Erziehung und Bildung“ der Frage nach religiösen Werten innerhalb der Schulbildung
nachgegangen. Dort heißt es:
„Was hast du gelernt? Auch diese Frage trifft etwas Bedeutsames, das Menschen bestimmt und
ausmacht. Formelle und informelle Bildung prägen den Menschen und verschafft ihm über
seine ursprünglichen Fähigkeiten und Begabungen hinaus Handlungs-, Denk- und
Reaktionsmuster, die ihn von anderen unterscheiden, aber auch mit anderen verbinden.
Erziehung und Bildung als Investition in die Zukunft verstehen und fördern, gehört zu den
vordringlichen Aufgaben von heute und morgen.“257
Soweit so gut: Schule wird also als wichtige Prägungsstätte des Jugendlichen anerkannt und
geschätzt. Jedoch heißt es dann weiter: „Die Schule von heute hat als Institution große
Mühe, sich auf die neuen Bedingungen der Ausbildung von Kindern, Jugendlichen und
Erwachsenen umzustellen“. Am Ende der anschließenden Auflistung kritischer Bereiche
wie etwa die „Auflösung und Infragestellung eines einheitlichen Fächerkanons“ oder der
„neuen Aufgaben einer ganzheitlichen Betreuung der Kinder und Jugendlichen durch die
255
„Der Versuch (gemeint ist die Einführung des Faches Moral in der Primärschule, Anm. der
V.) sollte sich lohnen. Heute besuchen im Durchschnitt 30% der Primärschüler der Hauptstadt
besagten Unterricht. Während der ersten drei Jahre ist die Zahl allerdings gering, weil viele
Eltern das Familienfest der Erstkommunion abwarten und erst nachher ihre Kinder nicht mehr
in den Religionsunterricht schicken.“ Durlet (2006), S. 24.
256
Durlet (2006), S. 24.
257
Erzdiözese Luxemburg (2006), S. 11.
118
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Schule“ moniert der (anonyme) Autor: „Ein expliziter Werteunterricht muss die
zufälligen Wertepräferenzen einzelner Lehrer ausgleichen und ergänzen.“258
Was ist damit gemeint?
Handelt es sich hierbei um eine unglückliche Umformulierung des klassischen RUs als
„Expliziter Werteunterricht“ oder wird etwa der RU dem Fach „Morallehre“ gleichgestellt?
Letzteres würde heißen, dass selbst die Vertreter der katholischen Kirche Luxemburg die
Legitimation
eines
konfessionellen
Unterrichtsfachs
nicht
mehr
bedingungslos
unterschreiben.
Dabei werden einige Absätze weiter wichtige Gründe für eine klare Fachdefinition
beziehungsweise ein Festhalten am Fach „Instruction Religieuse“ aus Sicht der Kirche
genannt:
„Mit Sorge verfolgt die Katholische Kirche in Luxemburg die Entwicklung im Bereich Schulund Bildungspolitik. Angesichts vielfach wechselnder Lehrpläne und der Einführung neuer
Schulmodelle stellt sich die Frage, ob das Schulsystem als Ganzes nicht aus dem Lot geraten ist.
Werden hier nicht Kinder und Lehrer immer wieder neuen Experimenten ausgesetzt, ohne dass
die Lehren aus den vorherigen Ansätzen bereits genügend gezogen worden wären?“259
Eben dies würde ja bedeuten, das Fach Religionslehre stärken und neben kein anderes
Konkurrenzfach wie Morallehre stellen zu wollen. Stattdessen stellt der Autor aber folgende
überraschende Überlegung an:
„Religionsunterricht ebenso wie Morallehre allein können die Gewähr für eine gesunde
Wertevermittlung nicht bieten. Alle Fächer und alle Lehrer setzen die Schüler und Studenten
unweigerlich bestimmten Wertpräferenzen und –entscheidungen aus. Es fehlt ein
systematischer Wertunterricht, der dazu beitragen könnte, verschiedene Wertsysteme
kennenzulernen und in ihren Konsequenzen zu verstehen. Gerade in einer
pluralistischen Zeit sind junge Menschen darauf angewiesen, selber Werte zu erkennen,
sie experimentell auszuprobieren und ihre Konsequenzen zu bedenken. Ein solches
übergreifendes Fach wäre so auszulegen, dass es Inhalte aus allen anderen Fächern
aufgreifen und interdisziplinär die vermittelten Werte transparent machen würde.“260
258
Erzdiözese Luxemburg (2006), S. 11. Hervorhebungen von mir, S. D.
Erzdiözese Luxemburg (2006), S. 11.
260
Erzdiözese Luxemburg (2006), S. 11. Hervorhebungen von mir, S. D.
259
119
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Die vom „Sozialwort“ geforderte Gleichsetzung verschiedener Wertsysteme dient nicht
dem Pluralismus, sondern ist aus Sicht der Religionslehrer ein vollkommen unverständlich,
kontraproduktiv und der Sache nicht würdiges Zugeständnis an die zuvor kritisierten
Verhältnisse von „vielfach wechselnden Lehrplänen“ und „fehlender Systematik“. Es ist
weder aus kirchen- noch bildungspolitischer Attitüde etwas dagegen einzuwenden, die
christliche Wertevermittlung stärker an die Umwelt Jugendlicher anzupassen. Das könnte
leicht durch Korrekturen im Programm der einzelnen Klassen seitens der nationalen
Programmkommission geschehen. Der Vorschlag des Autors öffnete jedoch allen Gegnern
des RUs Tür und Tor, indem er selbst von seinem Absolutheitsanspruch bezüglich seiner
Inhalte abrückt und seine eigene Qualität als mangelhaft hinstellt. Es ist verwunderlich, dass
zu jenem Zeitpunkt seitens der Katholischen Kirche Luxemburgs selbst der Ruf nach einer
Alternative zum Fach Religion in der Schule laut wurde.
Die „Einladung zu einem Sozialwort“ sagte es doch selbst:
„Jede Erziehung vermittelt Werte. Dort, wo diese Vermittlung untergeordnet und willkürlich
entsprechend der Wertvorstellung einzelner Lehrer geschieht, werden Kinder und junge
Menschen in ihrem Urteilsvermögen überfordert. War auch eine Periode
weltanschauungsneutralen Unterrichtens nach einer Zeitspanne autoritärer Wertevermittlung,
auch unter der Vorherrschaft der Kirche, von Nöten, so ist es nun an der Zeit, sich den
Wertfragen zwischen Glauben und Vernunft zu stellen.“261
Der RU in seiner bisherigen Konzeption ist per se Wertunterricht in reiner Form. Er
beinhaltet nicht nur die Vermittlung eindeutiger, christlicher Werte, sondern respektiert und
realisiert auch die Wahrnehmung alternativer Wertsysteme, etwa durch die durchgängig auf
den Lehrplänen verpflichtenden Themen aller großen Weltreligionen, Sekten sowie der
Philosophie und der Religionskritik. Das Erziehungsministerium mit seinem Gremium der
Programmkommission für das Fach „Instruction religieuse et morale“ setzt sich
ausdrücklich für zeitgemäße und dennoch christlich geprägte Werte innerhalb der
geforderten Inhalte und Kompetenzen ein. So heißt es aus dem aktuellen Programm:
„Die Konzeption des Religionsunterrichts hat sich im Verlauf der letzten Jahre gründlich
verändert, sodass man von einem Paradigmenwechsel sprechen kann. Impulse hierfür aus
den Bereichen der Theologie und der Religionspädagogik, der Humanwissenschaften, der
261
Erzdiözese Luxemburg (2006), S. 11.
120
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Akzentsetzung auf Kompetenzförderung innerhalb der reformierten Lehrerausbildung am
Cunlux wie auch der Reform des ‚cycle supérieur’ durch das MENFP. Dementsprechend
versteht sich heutiger Religions- und Moralunterricht vorwiegend als Ort, an dem Schüler sich
Lebenskompetenzen erwerben können, insbesondere Wissen und Kompetenzen im Umgang
mit spirituellen und ethischen Fragen. Dabei wird besonderer Wert auf die Fähigkeit zur
Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft gelegt. (…) Ein zeitgenössischer und
umfassender Bildungsbegriff beschränkt sich nicht nur auf solides Faktenwissen und
wissenschaftliche Kompetenzen. Er setzt sich selbst mit den Fragen des ethischen Umgangs mit
Wissen und Wissenschaft auseinander. Bildung muss darüber hinaus das Individuum in Zeiten
der ‚reflexiven Moderne’ und der ‚Risikogesellschaft’ zur schwierigen Aufgabe der Gestaltung
seiner selbst und zur eigenen Lebensgestaltung befähigen. (…).“262
Dass die Wertevermittlung nicht nur aus rein katholisch-christlicher Sicht geschieht, dazu
tragen Fächer wie die Fremdsprachen, Geschichte und Philosophie bei, die die Welt in ihrer
Vielschichtigkeit und Komplexität von verschiedenen Sichtweisen, Fragestellungen und
durchaus
zuweilen
nicht
deckungsgleichen
Antworten
präsentieren.
Das
Erziehungsministerium Luxemburgs, das sich ja schließlich allen bildungsbeteiligten
Denkrichtungen verpflichtet sehen muss, versteht sich insgesamt auf jeden Fall immer noch
in der christlich-abendländischen Wertetradition:
„Wesentlich für das europäische Denken ist neben anderen Wurzeln auch das Christentum in
seiner ihm eigenen Differenzierung. Die geistigen Strömungen, die unser Denken und unsere
Lebensweise bis in die Gegenwart maßgeblich bestimmen, sollten nicht unbewusst bleiben. Zur
Subjektwerdung eines Menschen ist es deshalb notwendig, sich auch mit kollektiven Wurzeln
auseinanderzusetzen. Für Gesellschaft und Staat ist es nicht irrelevant, dass das religiöskulturelle Gedächtnis erhalten bleibt und die verschiedenen geistigen Strömungen zur
Diskussion um die gesellschaftlichen Grundwerte beitragen. Schule sollte sicherstellen, dass die
spirituellen Wurzeln und der ethische Pluralismus als Reichtum unserer Gesellschaft bewahrt
bleiben und nicht ein nivellierendes Einheitsdenken gefördert wird.“263
Mit ihrem Sozialwort sorgte die Katholische Kirche Luxemburgs selbst für Irritation, als sie
die Programme, die sie selbst für den RU erarbeitet und jahrelang proklamiert und
durchgeführt hatte, so missverständlich infrage stellte. Mittlerweile ist buchstäblich etwas
Gras über dieses Papier gewachsen, und Vertreter der Religionslehrer und der Kirche
nahmen jede Gelegenheit wahr, ihren Pro-RU-Standpunkt deutlich zu machen.
262
Siehe hierzu das fachspezifische Programm für den RUs auf der Internetseite des
luxemburgischen Erziehungsministeriums, www.men.lu Stand Oktober 2006.
263
Entnommen dem fachspezifischen Programm für den RU auf der Internetseite des
luxemburgischen Erziehungsministeriums, www.men.lu Stand Oktober 2006.
121
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Die Gegenüberstellung der Standpunkte zwischen Kirche und Erziehungsministerium
veranschaulicht, dass schulische Bildung tatsächlich das leisten möchte, was das kirchliche
Sozialwort einfordert.
Dass der Religionsunterricht sich gegenüber den Zeiten von Glaubensunterweisung
gewandelt hat, ist unter anderem an den Worten der Präsidentin der Religionslehrerinnen
und Religionslehrer Luxemburgs, Danielle Schmidt, während eines Unterrichtsbesuchs von
dem Fernsehsendung RTL am Lycée Michel-Rodange Luxembourg abzulesen (nachfolgend
Auszüge aus ihren Aussagen):
„Der Religionsunterricht ist kein exklusiver Kirchenunterricht.. (...) Wenn natürlich aber in der
Gesellschaft ein Thema zur Debatte steht, ist das ein Weltthema und dann nehmen wir uns ihm
an. (...) Wenn in der Kirche Sachen geschehen, die man nicht mehr nachvollziehen kann, wird
das thematisiert. Aber (...) Religion ist eher etwas Offenes als eine Reihe von
Fehlentscheidungen, die in einer Institution geschehen. (…) Wir sind heute in einer Situation,
wo Religion (...) nichts Unilaterales ist; sie ist kein fester (...) monolithischer Block; sie ist auch
kein Amboss, der auf die Leute herabgefallen kommt „Das habt Ihr zu glauben und so ist es
und nicht mehr anders“ – die Zeiten sind tot. Wenn ich natürlich davon ausgehe, dass das noch
immer ein festes Konstrukt ist, an das ich mich halten muss, weil ich sonst komplett
„danebenliege“, dann leide ich. Und dann kann ich verstehen, dass verschiedene Leute sagen
„Tschüs – das wollen wir nicht mehr.“ 264
3. 2. 3
Religiöse Events
Nicht erst zu Beginn des neuen Jahrtausends, sondern bereits Anfang der 1990er Jahre
wurde das Verhältnis Jugendlicher in Luxemburg gegenüber der Kirche als kritisch gesehen.
Bereits damals schrieb Jean-Louis Gindt: „Christsein und Kirche sind auch in Luxemburg
nicht mehr die ausschlaggebenden Grundpfeiler unserer Gesellschaft, (…) und das religiöse
Bewußtsein hat sich losgelöst von der katholisch-christlichen Interpretation der Religiosität
und seiner typischen Gottesbeziehung.“265 In diesem Kapitel soll das religiöse Angebot, das
Kirche und Staat den Jugendlichen machen, genauer untersucht werden.
264
Das vollständige Video mit dem Interview ist zu verfolgen unter
http://tele.rtl.lu /magazin/kloertext/l1_6301.html.
265
Gindt (1991), S. 11.
122
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich oder Deutschland ist im flächenmäßig
betrachtet kleinen Land Luxemburg die öffentliche wie institutionelle Wahrnehmung
religiöser Feiertage überdurchschnittlich hoch. So darf jeder Arbeitnehmer wie auch die
Schüler neun religiöse Feiertage neben drei weiteren arbeitsfreien Tagen pro Jahr nutzen.
Für die Arbeitnehmer ist es zudem so, dass sie pro Feiertag, der auf ein Wochenende fällt,
einen Werktag als arbeitsfrei angerechnet bekommen. Das bedeutet, dass die christlichreligiöse Kultur zumindest formell den Alltag jedes Bürgers betrifft, denn Büros, Schulen,
Industrie und die meisten Geschäfte bekommen eine Auszeit.
Ob er sie im Sinne des jeweiligen katholischen Festes nutzt, ist eine andere Sache, jedoch
wird doch zumindest der Alltag für diesen Tag angehalten, und die Routine geht einen
anderen Gang. Auch Jugendliche nehmen dies wahr, auch wenn die Kirchen beispielsweise
am Himmelfahrtstag nicht mehr Jugendliche als sonst anzuziehen scheinen.
Eine nationale Besonderheit Luxemburgs sind die Feiertage, die sich um den
Nationalheiligen Sankt Willibrord und um die Muttergottes drehen: der Pélé des Jeunes
anlässlich der Marienoktav, die Willibrord-Oktav sowie die Springprozession zu Pfingsten
in Echternach. Alle drei Feste genießen eine relativ hohe öffentliche Aufmerksamkeit im
Großherzogtum, da Geschäftsöffnungszeiten, Straßenverkehrsregelungen und in manchen
Fällen auch Schulveranstaltungen, insbesondere bei den katholischen Privatschulen - (wie
etwa bei der Marienoktav) darauf abgestimmt werden.
Bei dem alljährlichen „Pélé des Jeunes“ handelt es sich um eine Jugendbegegnung, die seit
1974 besteht, als die Notwendigkeit gesehen wurde, den Jugendlichen ab fünfzehn Jahren
eine größere Bedeutung während der Muttergottes-Oktave einzuräumen. Das Konzept gilt
bis heute, dass am ersten Sonntagmorgen der Oktave die Kathedrale kurz nach sieben Uhr
den Jugendlichen des ganzen Landes offen steht, und die Jugendlichen, teils organisiert in
Pfarrgruppen, Schülergruppen oder anderen Verbänden oder auch nicht organisiert, sich
abends zuvor zusammenfinden, um die Nacht hindurch in die hauptstädtische Kathedrale
zu pilgern. Der Gottesdienst beginnt bereits um sechs Uhr fünfundvierzig mit der Einübung
der Lieder – für Jugendliche normalerweise eine nachtschlafende Zeit. Die Messe ist als
Jugendgottesdienst thematisch wie gestalterisch auf den Geschmack Jugendlicher
123
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
ausgerichtet.266 Anschließend stehen traditionell ein gemeinsames Frühstück sowie der
Besuch des „Märktchens“ einer Kirmes am Rathausplatz in der Nähe der Kathedrale auf
dem Programm. Innerhalb Luxemburgs genießt der „Pélé des Jeunes“ großen Respekt und
wird jedes Jahr rege wahrgenommen, seine Besucherzahl liegt bei ungefähr 1500
Teilnehmern.
Gründe für den erstaunlichen Zulauf in unserer säkularisierten Zeit lassen sich bisher nur
vermuten, so etwa, dass Jugendliche neben der immer noch landesspezifischen starken
Traditionsbindung etwa an die Oktav das Event an sich schätzen: Gemeinschaft erleben,
sich zu Fuß aufmachen, nachts unterwegs sein.267 Dieser Eventcharakter bedingt sich zum
einen durch den Marsch, zum zweiten durch die Tatsache, dass sich in der Kathedrale –
anders als im Sonntagsgottesdienst - fast ausschließlich Jugendliche aufhalten, von denen
sich viele (wieder-) erkennen und ein umso stärkeres Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Die
Jugendlichen dürfen sich in der Kirche auch anders benehmen als gewöhnlich: auf dem
Boden sitzen, liegen, stehen … und doch anders als zuhause, denn es gilt immer noch der
„Kirchen-Code“: Man spricht anders, singt andere Lieder – kurz: Es findet Begegnung
statt, die für die Jugendlichen etwas ganz Besonderes ist. Es wird etwas gemeinsam gefeiert,
mit entsprechendem Verhaltenscode, der auf Jugendliche eingestellt ist, mit musikalischer
Umrahmung, gemeinsamem (Abend-) Mahl und einer (Predigt-) Botschaft, die Mut machen
möchte und sich direkt an sie richtet. Ähnlich wie bei einem Fußballspiel oder einem
Rockkonzert fühlen Jugendliche sich hier gut aufgehoben, auch wenn sie im Alltag mit
Kirche nicht viel zu tun haben mögen. Religiosität beziehungsweise religiöse Erfahrung
müssen eben nicht direkt etwas mit klassischer Kirchlichkeit zu tun haben.
Der Nationalheilige Willibrord spielt beim religiösen Brauchtum der Jungen und Mädchen
ebenfalls eine besondere Rolle. So wie sich etwa in vielen Teilen Deutschlands Geschichten
und Traditionen um den Sankt Martin ranken, beschäftigen sich die luxemburgischen
266
Siehe hierzu die Messhefte der vergangenen Jahre zum Pélé des Jeunes, die mir
freundlicherweise vom Jugendpfarrer Luxemburgs, Herr Edmond Ries, zur Verfügung gestellt
wurden.
267
Ähnlich beurteilt dieses Phänomen auch Jean-Louis Gindt: Neben der „Verwurzelung der
Marienverehrung im Herzen vieler Luxemburger“ sieht auch er den „Außergewöhnlichen
Charakter“ der Veranstaltung, bei der „alles ganz anders als sonst“ ist. „Für viele ist dies der
längste Fußmarsch des Jahres. Sie spüren die körperliche Leistungsfähigkeit und stoßen an die
Grenzen ihrer physischen Kraft. In dieser physischen Grenzerfahrung öffnet sich der
metaphysische Horizont: die Urerfahrung des menschlichen Pilgerns, des Bußetuns und des
sich Kasteiens für das sakrale Erwachen bewußt oder unbewußt. … Der Jugendliche kann
seine Leistungsfähigkeit dem Sakralen opfern.“ Gindt (1991), S. 161 f.
124
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Kinder gern mit dem heiligen Willibrord, der in der Nacht zum 7. November 739 in der
Abteistadt Echternach starb und dessen besonders neben der Springprozession268 zu
Pfingsten auch in der ersten Novemberwoche eines jeden Jahres gedacht wird. Für viele
Kinder steht Willibrords Vita als Beispiel und Vorbild. So gestalteten etwa beim nationalen
Messdiener-Tag 2006 die Jungen und Mädchen ein Bild über das Leben des Heiligen, buken
Brot und schrieben Gebete an den Schutzpatron. Dechant Théophile Walin wies die
Heranwachsenden darauf hin, so zu handeln wie der Heilige Willibrord, denn er habe, genau
wie die Jungen und Mädchen, bereits sehr früh Gott gedient und dies anschließend über
sein ganzes Leben fortgesetzt.269 Die Willibrordus-Oktav war zunächst allerdings, wie die
Muttergottes-Oktav auch, kein ausschließliches Jugendfest, auch wenn sich viele Jungen
und Mädchen daran beteiligen; sie ist für alle Generationen gedacht, und daher in unserem
Zusammenhang eher unter dem Gesichtspunkt ihrer Präsens im Alltag Jugendlicher von
Interesse. Damit aber auch Jugendliche zur Willibrordus-Oktav einen Bezug haben oder
aufbauen können, etablierte das Pastoralteam für Jugendliche in Luxemburg seit dem Jahr
1999 eine eigene Veranstaltung für Kinder und Jugendliche. Das Angebot der Aktivitäten
wie etwa „Freestyle-Dance“, Fußball, Gesang oder „New Games Kreativ“, Spontantheater
oder Gesprächsrunden wie „’Ech gleewen dee Quatsch net’ – kritesch Ufroen un d’Kierch“
orientiert sich am Geschmack der Jugendlichen. Die Anmeldung kann per SMS oder Email
stattfinden, also kommunikativ so, wie Jugendliche es mögen. Die Bemühungen seitens des
Pastoralteams um die Jugendlichen sind also groß.
Um ein Feedback zu erhalten, gab man beim Pélé des Jeunes 2006 den jungen Teilnehmer
die
Gelegenheit
(ähnlich
wie
bei
den
„Rappsonndegen“),
einen
Zettel
mit
Verbesserungsvorschlägen zu „rappen“ (einzureißen).270 Auch bemüht sich die Sprache um
Nähe, wie die Präsentation des Echternacher Jugendtages über den Heiligen Willibrord
2006 zeigt.271 Sie berücksichtigt das Medieninteresse der Jugendlichen, und entsprechend
lautet 2006 das Tagesmotto www.WorldWideWilli. Der Nationalheilige wird mit diesem
Spitznamen zum Kumpel oder Freund, nicht zuletzt auch dann, wenn im Programmheft
268
Bei der Springprozession handelt es sich wie die Marienoktav nicht um eine spezielle
Jugendveranstaltung, sie wird aber von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. So zählte
man im Jahr 2001 ca. elftausend Prozessionsteilnehmer neben mehreren zehntausend
Zuschauern. Vgl. Seiler (o. J.).
269
Als Quelle dient der Zeitungsartikel im Luxemburger Wort von Schartz (2006a), S. 28.
270
Das Papier findet sich im Anhang dieser Arbeit.
271
Das Werbeblatt der Jugendpastoral hierzu findet sich im Anhang dieser Arbeit.
125
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
über die Visite des Heiligengrabes steht: „Besuch beim Willi“.272 Der Jugendtag wurde von
den Jugendlichen selbst vorbereitet mit der Intention, den Heiligen in seinem Wirken in der
damaligen Welt sowie seine Bedeutung für uns heute als eine wichtige heimatliche Tradition
in Luxemburg wieder zu entdecken und mit ihrem Leben in Zusammenhang zu bringen. Im
Jahr 2006 nahmen etwa vierzig Jugendliche an der Veranstaltung teil, was die
Pastoralleitung als vollen Erfolg wertete.273 Wenn man diese Zahl jedoch absolut setzt zur
Anzahl der Jugendlichen, die im Einzugsgebiet dieser Aktivitäten wohnen, muss man dies
relativieren: Diese Art Aktivitäten erreicht nur einen kleinen Bruchteil Luxemburger
Jugendlicher.
Der Weltjugendtag in Köln 2005 war eine Veranstaltung, die auch in Luxemburg großes
Interesse genoss. Offiziell nahmen dreihundertdreiundfünfzig Jugendliche aus Luxemburg
teil. Weitere dreihundertfünfzig ehrenamtliche Helfer waren während der Tage der
Begegnung in Luxemburg im Einsatz, sechshundert Betten stellten luxemburgische
Gastfamilien für Besucher zur Verfügung, siebenhundertfünfundachtzig ausländische
Jugendliche beteiligten sich während der Tage der Begegnung am Programm „Magis“ der
ignatianischen Familie, an den Aktivitäten des „Centre pastoral des jeunes“ und am
Scoutscamp der „Lëtzebuerger Guiden an Scouten“ in Weicherdingen. Die verschiedenen
Ateliers, bei denen nach eigenen Angaben Spiritualität, Kultur, Kunst und soziale
Aktivitäten im Mittelpunkt standen, fanden regen Zulauf. So trafen beispielsweise in der
Kölner Diskothek E-Werk aus der Euregio zweitausend Jugendliche zu Gottesdienst und
Katechese zusammen.274 Drei Jahre später, im Juli 2008, begeisterten sich immerhin 50
Jugendliche, den weiten Weg nach Sydney, Australien, anzutreten, um am dort
stattfindenden Weltjugendtag teilzunehmen.275
Die Zahlen belegen, dass für die Jugendlichen religiöse Begegnungen in einem Rahmen,
der ihnen zusagt, durchaus eine Rolle spielen – viel mehr als der Kirchgang. Dafür nehmen
sie sogar Anstrengungen, Kosten und weite Wege auf sich. Es stellt sich allerdings die
272
Entsprechend betitelte auch die Berichterstattung des Luxemburger Worts den Jugendtag in
Echternach: „’Willi’ im Kreis der Jugendlichen“. Schartz (2006b), S. 17. Die
Pastoralassistentin Daniela Steil, die zum Organisationsteam des Echternacher Jugendtages
gehört, erklärt zu dieser Namenswahl, sie sei in der Öffentlichkeit teilweise kritisch
aufgenommen worden, bringe die Figur jedoch näher an die Jugendlichen heran. Ebd.
273
Vgl. Schartz (2006b), S. 17.
274
Saint-Paul Luxemburg (2005), S. 9 bzw. S. 16 bzw. S. 36.
275
Vgl. die Angaben bei www.cathol.lu.
126
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Frage, inwiefern solche Großkundgebungen Auskunft geben über das religiöse Interesse der
Jugendlichen. In diesem Gestus fragt auch Pierre Kauthen als Vertreter des WillibrordusBauvereins:
„der Weltjugendtag in Köln oder der Katholikentag in Saarbrücken sowie die mediale Resonanz
des Ablebens Johannes Pauls II. und die anschließende Papstwahl könnten vermuten lassen,
dass der Katholizismus wieder an Stellenwert gewonnen hat, besonders auch bei der
Jugend. Es ist aber nicht so sicher, dass der Glaube und die Kirche in ihrer ureigenen
Wesensfunktion dabei gewonnen haben. Man kommt nicht umhin, sich Fragen zu stellen:
Wie steht es um den Glauben des einzelnen Christen und seine Verbundenheit mit Gott?
Gehen die geplanten Impulse bei den Großveranstaltungen in die gewünschte Tiefe? (…) Man
muss sich (…) fragen, inwiefern (sie) sich von der Eventkultur unterscheiden, die in profanen
Bereichen die Massen anzieht.“276
Kauthens Zweifel an der religiösen Tiefe sind nicht unberechtigt, denn in der Tat muss
man sich fragen, ob die Freude der zu Hunderttausenden zusammengekommen
Jugendlichen an „einer gewissen Inszenierung, an Fahnen, Transparenten, T-Shirts,
Benedetto-Rufen usw.“277 tatsächlich das Wesentliche der Veranstaltungsintention erfasst:
die Wahrnehmung Gottes und seiner Botschaft. Solche Veranstaltungen sind Events mit
einem moralischen Element und ein probates Mittel, um eine „Message“ hinauszutragen.
Diese Message kann im dogmatischen Sinne bei den Jugendlichen zumindest teilweise sogar
unpopulär sein - die Tatsache allein, dass in Zeiten von Materialismus und
Konsumverhalten, Säkularisierung und wachsenden gesellschaftlichen KostenNutzen-Rechnungen sich so viele junge Menschen zum Christentum bekennen, ist
zwar bemerkenswert, aber nicht wirklich verbindlich, weder konfessionell noch in
sonst einer Weise. Der Weltjugendtag zieht die Leute in seiner Eventkultur an, die mit
Glaubensfragen verknüpft ist, wobei die religiös Motivierten in der Minderheit sind.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch der Soziologe Waldemar Vogelgesang, der im
Rahmen eines Forschungsverbundes verschiedener deutscher Universitäten den XX.
Katholischen Weltjugendtag in Köln mit dem Ziel untersuchte, ihn „als religiöses Event (u.
a. ...) im konkreten Erleben der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu erfassen“.278 Dabei
ging es ihm und seinen Forschungskollegen insbesondere um die Frage, „wie sich Religion
unter Individualisierungs- und Globalisierungsbedingungen gewandelt hat (und) was
276
Als Beispiel nennt Kauthen die Love Parade in Berlin, deren Botschaft er anzweifelt. Kauthen
(2006), S. 1. Hervorhebung vom mir, S. D.
277
Kauthen (2006), S. 1.
278
Vogelgesang (2006), S. 28.
127
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Religiös-Sein und religiöse Gemeinschaften heute bedeuten“279 – das, was auch die
vorliegende Arbeit beschäftigt. Vogelgesang stellte bei den Befragungen der Teilnehmer des
Kölner Weltjugendtags fest, dass Papst Benedikt nicht wirklich „als religiöser Superstar
angesehen, aber von ihnen als ein solcher g e f e i e r t “ worden sei:
„In kaum einer Begegnung mit dem Papst – weder am Tage seiner Ankunft bei der Fahrt mit
dem Schiff, der zentralen Begrüßungsveranstaltung auf dem Domplatz und der anschließenden
Fahrt mit dem Papamobil durch die Kölner Innenstadt, noch auf der Vigilfeier und dem
Abschlussgottesdienst auf dem Marienfeld – waren jene Verhaltensformen zu entdecken, ,,mit
der katholische Laien über Jahrhunderte ihren ‚Hirten’ Verehrung und Gehorsam bezeugten.
Kein Kniefall, kein Kopfsenken, keine Gebetsgeste waren außerhalb der Gottesdienste zu sehen
und wenn, dann waren es ausschließlich ältere ‚Zaungäste’, die dies taten. Nicht Demut und
Devotion waren angesagt, sondern Begeisterung und Ekstase.(...) Allein deshalb
unterscheiden sich viele Szenen bei den Auftritten des Papstes kaum von den Auftritten
eines Robbie Williams.“280
Vogelgesang identifiziert den publikumswirksamen Slogan einer großen deutschen
Boulevardzeitung
„Wir sind Papst“ für Kölner Weltjugendtag als „punktgenaue Diagnose gegenwärtiger
Jugendreligiosität: Autonomie und Selbstbestimmung sind angesagt – auch in
Glaubensfragen. (...) Religion ist zu etwas geworden, was man sich aussuchen kann. (...) Die
Pluralisierung der gesamtgesellschaftlichen Lebensverhältnisse findet sich spiegelbildlich auch
in der religiösen Sphäre wieder und zwar als Vielfalt und Konkurrenz von unterschiedlichen
sakralen Formen, Weltanschauungen und Glaubenssystemen. Auf diese Herausforderung
reagiert die katholische Kirche mit spezifischen, zunehmend mediatisierten
Veranstaltungen, die zum Ziel haben, die ‚Einheit der Kirche’ im öffentlichen Bewusstsein wie
im subjektiven Erleben der Teilnehmer zu verankern. “281
Laut Vogelgesang nimmt so nicht nur die Zahl kirchenreligiöser Events282 ständig zu,
sondern auch die Zahl jugendlicher Teilnehmer – nach Köln kamen immerhin eine Million
(mehr oder weniger) junger Teilnehmer. Diese populären Ereignisse, zu denen Jugendliche
sich auf den Weg machen, lassen also doch auch den Eindruck gewinnen, dass es neue
Pilgerbewegungen gibt, und dass sich Menschen buchstäblich doch religiös bewegen
lassen. Sie zeigen so, dass sie (immer noch!) auf der Suche nach spiritueller Erfahrung sind,
279
Ebd.
Vogelgesang (2006), S. 30.
281
Ebd. Hervorhebung von mir, S. D.
282
Vogelgesang nennt sie auch „religiöse Hybridevents“, zu denen er u. a. Feuergottesdienste und
Rafting-Wallfahrten aufzählt. Jugendliche würden von ihnen geradezu „magnetisch
angezogen.“ Ebd.
280
128
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Wege zu nicht alltäglichen Erlebnissen wählen und nach Sinn fragen, und dies – anders als
sonst – nicht medial per Fernsehen, Computerwelt, sondern hautnah.
Auch scheinen Jugendliche an ihre Grenzen gelangen und testen zu wollen, wie weit sie mit
sich selbst gehen können; und schließlich bedeutet Pilgern auch immer Aufbruch, sich
selbst eine Richtung geben, weg aus einer Fremdbestimmung, hin zu einem anvisierbaren
Ziel – eine Erfahrung, die gerade Jugendliche in ihrem Alltag oft vermissen.283 Natürlich
sind es auch die direkten, und nicht medial „vermittelten“ Erfahrungen, die reizen, und
selbstverständlich auch die Abenteuerlust, unterwegs Menschen (auch vom anderen
Geschlecht) zu begegnen, die ich zuhause nicht treffen würde.284 Schließlich aber mag es m.
E. auch bei so manchem jugendlichen Pilger eine Rolle spielen, das Religiöse habe einen
coolen Anstrich. In die Kirche gehen? Zu konventionell. Aber zum alten Papst reisen, sich
Jesus-Sticker ankleben, „Benedetto“ johlen – das ist für viele Jugendliche so abwegig,
dass es auf den zweiten Blick gleich „abgefahren-attraktiv“ erscheint!
In diesem Sinne bedienen der Pélé des Jeunes und die anderen religiösen Veranstaltungen
wie der Weltjugendtag, die Sankt-Willibrord-Oktav oder die Echternacher Springprozession
jene Eventkultur, von der in dieser Arbeit die Rede ist: die Suche nach der
außergewöhnlichen Begegnung, dem „Heiligen“, mit dem Gefühl als Mittelpunkt und nicht
nur als Begleiterscheinung. Die Jugendlichen schließen sich einer Tradition an, die
sie als Ritual begreifen und so emotional positiv verorten können, die gleichzeitig
aber auch „aufgepeppt“ ist mit Dingen, an denen Jugendliche im allgemeinen
Spaß haben (nachts unterwegs sein, Leute treffen, Musik, „Märktchen“). Sie
werden zu nichts verpflichtet und wahren ihre Individualität. Doch sie werden
kurzfristig durch eine Gruppe zusammengehalten, die sich einig fühlt und in
keiner Konkurrenz steht.
Dieses Erleben von Gemeinschaft erkannte auch Vogelgesang bezüglich des
Weltjugendtags als zentrale Erfahrung der Teilnehmer: „miteinander sein, Gemeinschaft
erleben, Teil einer Menge sein“ seien die „echten Highlights“ der Veranstaltung für die
283
Ähnliches beschreibt Helga Kohler-Spiegel: „Er-fahren“ erinnert uns daran, dass wir
erwandern, was uns prägen, was uns als Person ausmachen soll. Wandern, Wallfahren eröffnet
ein solches auf-dem-Weg-Sein. In den verschiedenen Religionen auf der Welt sind diese
großen und kleinen Wege wichtig.“ Kohler-Spiegel (2005), S. 83.
284
Vgl. Kohler-Spiegel (2005), S. 83.
129
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Jugendlichen gewesen, vor allem, weil die Jugendlichen als Gläubige im Alltag
„massiven
Marginalisierungs-
und
Diskriminierungserfahrungen
ausgesetzt
sind“285.
Vor diesem Hintergrund wird die in der Einleitung gestellte Frage nach dem Warum der
regen Teilnahme etwa an der Beerdigung Papst Johannes Pauls II. oder bei den
Weltjugendtagen in Köln und Sydney 2005 bzw. 2008 plötzlich verständlicher. Die
Jugendlichen suchen hier das, was sie anderswo, zuhause, vermissen. Der
„‚Wanderer’ mit seiner Leitidee, ‚der Weg sei das Ziel’ könnte, um es mit Waldemar
Vogelgesang zu formulieren, der „Prototyp spätmoderner Religiosität“ sein.286
3. 2. 4
„Pimp my church“
Die Phrase bezeichnet keineswegs eine Fortsetzung oder Weiterführung der ähnlich
lautenden Serie des Musiksenders MTV („Pimp my bike“), sondern ein pastorales Angebot
der Jugendseelsorge in Esch / Alzette, das auf die Erfolgssendung bei MTV anspielt.287
Was im Zusammenhang mit motorisierten Fahrzeugen als „tunen“ bezeichnet wird, meint
hier „Motz meine Kirche auf“, in dem Sinne von „Mach meine Kirche interessant“. Es
handelt sich hierbei um ein Jugendkirche-Projekt, das während der Fastenzeit 2006 in der
St. Joseph-Kirche in Esch begonnen und im Herbst 2006 mit einem Ergänzungsprogramm
zur Allerheiligenwoche sowie in der Vorweihnachtszeit als „Pimp my church reloaded“
fortgeführt wurde. Veranstaltet wird ein Programm, das Jugendlichen ermöglicht, der
Kirche zumindest räumlich näher zu kommen. Unkonventionelle, kirchenuntypische
Unternehmungen wie Kino und Mahlzeiten in der Kirche, aber auch in der Jugendarbeit
länger etablierte Module wie Frühschichten, Mittagsgebete („Pimp my Mëttesstonn“)
Gebets- und Filmabende, Taizégebete („Have a break, have a prayer“, angelehnt an eine
285
Vogelgesang (2006), S. 30.
Vogelgesang (2006), S. 31.
287
Mittlerweile fügt sich dieser Anglizismus mehr und mehr auch in die deutsche Sprache ein,
wenn auch eher im umgangssprachlichen oder gar vulgärsprachlichen Jargon. So berichtete
etwa die deutsche Bild-Zeitung am 07. 12. 2006, dass ein Schönheitschirurg vorschlug,
Britney Spears zu „pimpen“, was bedeutete, dass er ihr Aussehen zu verbessern wolle. Das
englische Pseudowörterbuch erklärt das Verb „to pimp“ übersetzt mit „abspielen“ oder
„aufmotzen“, siehe www.pseudodictionary.com.
286
130
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
bekannte Schokoladenriegelwerbung der Marke Kitkat) und spezielle Jugendgottesdienste
werden angeboten.288
Idee und Ziel des Projektes ist es, Kirche einladender zu gestalten und Jugendlichen die
Möglichkeit zu geben, in einem religiösen Raum zu – um es ebenfalls in Jugendsprache
auszudrücken - „chillen“ (= sich zu entspannen). Das Pastoralteam aus Esch-Alzette, dem
der Gedanke kam, möchte damit verstärkt Jugendliche ansprechen, denen bisher religiöse
Räume oder überhaupt kirchlicher Kontakt fremd waren und vielleicht auch Vorurteile
gegenüber kirchlicher Jugendarbeit hatten. Solche Projekte gibt es neuerdings allerorts auch
in Deutschland. So dürfen in der ehrwürdigen St. Jacobi-Kirche in Hamburg Jugendliche
unter dem Kreuz Christi rappen. Christian Weber schreibt hierzu: „Mit solchen Events
versuchen die Amtskirchen, ihre Gotteshäuser wieder zu füllen – mit begrenztem Erfolg:
Die Zahl der Gottesdienstbesucher sinkt.“289
Vor dem Hintergrund einer Feststellung Anton A. Buchers über das Unbehagen von
Kindern in der Kirche haben Projekte wie „Pimp my church“ in Esch durchaus eine
Daseinsberechtigung als Versuch, dieses kirchliche Image zu durchbrechen. Nicht allein
wegen des doch recht populistisch anmutenden Titels, sondern vor allem wegen
der teils zweckentfremdeten Nutzung sakraler Räume muss jedoch auch die Frage
gefallen lassen, ob sie sich nicht damit auf eine Art prostituiert. Mit „Pimp my
church“ lässt man die Konsumation in die Kirche und bedient so gesellschaftliche
Strömungen, von denen man sich doch eigentlich distanzieren möchte. Es wird geschaut,
wie ich Kirche platzieren muss, um sie auf dem „Markt der Möglichkeiten“ für Jugendliche
attraktiv zu machen und zu etablieren. Für das Milieu der Jugendlichen wird eigens ein
Angebot entwickelt, damit das Wort Gottes überhaupt gehört wird.
Andererseits ist die wohlwollende Intention seitens des Jugendpastoralteams
anzuerkennen und abzuwägen, ob manchmal nicht doch der Zweck die Mittel
heiligen darf. Auf die Idee seitens der institutionell Verantwortlichen, sich vom „hohen
kirchlichen Ross“ zu schwingen und auf die Jugendlichen zuzugehen, haben sicherlich viele
innerhalb und erst recht außerhalb der Kirchengemeinden gewartet und würden dies gern
ausgeweitet sehen. In der gegenwärtigen Form ist die „Pimpmychurch“-Bewegung, die sich
288
Vgl. den Überblick auf der Homepage www.pimpmychurch.lu.
131
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
hauptsächlich im Umkreis der St. Joseph-Kirche in Esch/Alzette und teilweise in der
Christ-Roi-Kirche der Jesuiten in Luxemburg-Belair (noch) eine Insel innerhalb des
konventionellen liturgischen und katechetischen „Mainstreams“, der – hauptsächlich an
Wochenenden – Luxemburger Jugendlichen geboten wird. Festzuhalten ist in jedem Fall,
dass sich die Jugendpastoral nicht erst seit Einführung des Spitznamens „Willi“ für Ihren
Nationalheiligen Willibrord so stark wie nie für jugendliche Meinungen zu öffnen versucht.
3. 2. 5
Die Arbeit sozialer und religiöser Verbände
Luxemburger Jugendliche sind im europäischen Vergleich außergewöhnlich oft in Vereinen
organisiert: Mit 78% der 15-24-Jährigen in beliebigen Vereinen hält das Großherzogtum den
Spitzenplatz. Hierbei gehen 47% an Sportvereine, 26,4% an Jugendvereine, 10,6% an
politische Parteien, jedoch lediglich 5,3% an religiöse Vereinigungen oder Pfarren, was im
europäischen Vergleich wiederum im unteren Bereich liegt.290 Außerschulische und
außerfamiliäre Bildungsangebote, insbesondere Sportvereine, tragen also in Luxemburg eine
große Verantwortung bezüglich der Entwicklung von Jugendlichen, und die Kirchen haben
hierbei den geringsten Anteil.
Ein in Luxemburg sehr etabliertes religiöses Angebot ist die Verbandsarbeit der
„Lëtzebuerger Guiden“ (LG) und „Lëtzebuerger Scouten“ (LS).291 Während die
„Lëtzebuerger Scouten“ (LS), zunächst ausschließlich für Jungen, 1916 als erste BoyscoutSektion der katholischen Jugendvereine im Jahr 1916 durch F. Faber gegründet wurde,292
fanden sich 1938 die „Lëtzebuerger Scouten“ für Mädchen unter Mgr. Pierre Posing
zusammen.293 Mittlerweile können bei den Scouten auch Mädchen teilnehmen. Mitglied
können Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis dreiundzwanzig Jahren werden,
ungeachtet ihrer Nationalität, Rasse, Sprache und Religion und auch ihrer körperlichen wie
289
Weber (2006), S. 70.
Quelle: „Lage der Jugend in Europa“ s. Bibliographie.
291
Als Verband: Lëtzebuerger Guiden a Scouten (LGS), Centre Convict (Bâtiment B), 5, avenue
Marie-Thérèse, B. P. 313, L-2013 Luxembourg.
292
Lëtzebuerger Scouten (1969) o. S.
290
132
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
geistigen Konstitution: Auch körperlich oder geistig Behinderte finden hier ihren Platz. So
nehmen sich etwa die „Foulards blancs“, eine Gruppe vorwiegend älterer Jugendlicher ab
siebzehn Jahren der Begleitung von Kranken und Behinderten beispielsweise auf
Pilgerreisen nach Lourdes an.
Neben diesen beiden größten Verbänden gibt es in Luxemburg folgende konfessionelle
Jugendverbände bzw. –organisationen / -bewegungen:

die Lëtzebuerger Massendénger294

die Action Catholique de l’Enfance Luxembourgeoise / Lëtzebuerger Kanneraktioun
L. K. A.)295

die Jeunesse Etudiante Catholique (J. E. C.)296 und die

die „Jeunesse Rurale Catholique“ (J. R. C.)297
Außerdem gibt es das Centre de pastoral des jeunes, dessen Veranstaltungen bereits im
Zusammenhang mit dem Pélé des Jeunes, der Willibrord-Oktav und dem Weltjugendtag
erwähnt wurden, sowie das Centre de pastorale familiale (Familjen-Center CPF).298
Die Luxemburger Messdiener bemühen sich stetig um eine attraktive Präsentation ihres
Verbandes.299 Seit 1994 findet alljährlich ein nationaler Messdienertag statt, an dem sich alle
Luxemburger Ministranten treffen können. Dabei sind die Schulungen unterteilt für die
Jungen und Mädchen vom vierten bis sechsten Schuljahr, in die „Mafrema“ (Mat Freed
Massendénger) und für die Jugendlichen ab zwölf Jahren, der Coma-Time (Cool
Massendénger). Auch hier fällt bei der Namensgebung das Bemühen auf, von einem
hausbackenen Image, das Messdienern eventuell anhaften könnte, wegzukommen.
Veranstaltet werden u. a. Wallfahrten, etwa 2010 nach Rom, Gruppentreffen u. ä.300
293
Lëtzeburger Guiden (1989), S. 158.
Lëtzebuerger Massendénger, Centre Convict, 5, avenue Marie-Thérèse, L-2132 Luxembourg.
295
L. K. A., Centre Convict, 5, avenue Marie-Thérèse, B. P. 313, L-2013 Luxembourg.
296
J. E. C., 23, avenue Gaston Diderich, L-1420 Luxembourg.
297
J. R. C., Centre Convict, 5, avenue Marie-Thérèse, L-2132 Luxembourg.
298
CPF, 20, rue des Contern, L-5955 Itzig.
299
Auf Mitgliederzahlen bei den Messdienern zu Zeiten der 1990er Jahre kann auf die Studien
von Gindt zurückgegriffen werden. So betrug die Zahl der Messdiener 1991 ungefähr 3000.
Mädchen stellen rund die Hälfte der Messdiener und sind in Luxemburg zum
Ministrantendienst seit Beginn der sechziger Jahre zugelassen. Gindt (1991), S. 72. Aktuelle
Zahlen fehlen, wie festgestellt.
300
Vgl. hierzu das Angebot unter www.massenger.cathol.lu.
294
133
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Obwohl die religiösen Verbände in ihren spezifischen Ausrichtungen unterschiedlich
sind, sind sie jedoch geeint unter dem gemeinsamen Interesse, den Jugendlichen
eine Freizeitgestaltung jenseits narzisstischen Konsums zu bieten.301 Inwiefern sie
die Jugendlichen in ihrer Religiosität tatsächlich beeinflussen, bleibt umstritten. So urteilt
Gindt,
es fehle „den christlichen Jugendvereinen, mit Ausnahme der beiden Pfadfinderverbände der
LG und LS, an klaren Konzepten ihrer pastoralen Dimension. Sie haben echte Schwierigkeiten,
in der aktuellen Lage der Kirchlichkeit der Jugendlichen, ihre Ansatzpunkte zu finden. Lediglich
unterstreichen sie ihr religiöses und christliches Fundament, auf dem die Vereinsaktivitäten
aufbauen sollen. Hauptsächlich wird in der Praxis jedoch die pastorale Dimension von der
Anwesenheit eines geistlichen Betreuers, eines Verbandsaumôniers, garantiert. Mit der Person
des Vereinsgeistlichen steht und fällt aber auch das vereinsinterne Pastoralkonzept.“302
Wird der Jugendliche nicht im Elternhaus, der Kirchengemeinde oder einer kirchlichen
Organisation explizit-religiös geprägt, begegnen Kinder und Jugendliche in ihrer Biografie
allein in der Schule, sozusagen verbindlich verordnet, einem Glaubensvertreter. Zudem ist
bezüglich der kirchlichen Verbände einzuräumen, dass die dort potenziell stattfindende
religiöse Prägung auch deshalb mit Vorbehalt zu sehen ist, da die pastoralen
Gründungsideen, mit denen viele Vereine damals antraten, „größtenteils theologisch und
soziologisch längst überholt“303 sind. Die katholischen Verbände haben insbesondere nach
dem 2. Vatikanischen Konzil mit dem veränderten ekklesiologischen Selbstverständnis
einen Veränderungsprozess bezeugt, über dessen Erfolg sich streiten lässt und gestritten
wird. In unserem Zusammenhang wäre jedenfalls die Frage zu stellen, ob und wie
Luxemburger Jugendliche, die Teil einer solchen Organisation sind, sich als religiös sehen.
Bezüglich einer empirischen Untersuchung wäre es weiterhin interessant, die Wahrnehmung
der Jugendlichen bezüglich dieser Verbände zu erfahren. Da Jean-Louis Gindt eine
301
Vgl. hierzu auch Gindt (1991), S. 143 f.
Gindt (1991), S. 146.
303
Gindt (1991), S. 146. Gindt beschreibt für Luxemburg, wie es im beginnenden 20.
Jahrhundert darum ging, innerhalb ihrer Lebensmilieus Kinder und Jugendliche „für die
katholische Sondergesellschaft’ zu rekrutieren“, um die heranwachsende Generation von klein
auf in der Kirche als der vollkommenen und unabhängigen Gesellschaft aufwachsen zu lassen.
In den katholischen Jugendgruppen fand „das alltägliche Leben statt, und zwar weitgehend
abgeschottet gegenüber anderen Milieus.“ Vgl. Aeberli (1989), S. 752, bzw. Ziebertz (1990),
S. 593, zitiert nach Gindt (1991), S. 146.
302
134
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Beschreibung der Entwicklung der Mitgliederzahlen vorgelegt hat,304 könnte hieran
angeknüpft werden.
3. 2. 6
Das mediale religiöse Angebot
„If kids can’t learn the way we teach
we must teach the way they learn.“
Seymour Papert
Luxemburg verfügt über verschiedene Angebote, sich religiös fortzubilden. Für jeden
zugänglich ist das Centre Chrétien d’Éducation des Adultes (ErwuesseBildung, ehemals „InfoVideo-Center“), ein Medienzentrum für Erwachsene mit vielfältigem nicht nur religiösem
Weiterbildungsangebot. Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit ist die
Initiative spikids, gemeinsam mit dem Familiencenter (CPF). spikids will Eltern „bei der
spirituellen Erziehung ihrer Kinder begleiten und ihnen dabei praktische Hilfen an die Hand
geben“305. Die Verantwortlichen, zwölf überwiegend ehrenamtliche Mitarbeiter, erklären
ihre Motivation hierfür folgendermaßen:
„Trotz der naturwissenschaftlichen Erklärungen für unsere Welt sind viele Menschen in der
heutigen Zeit (wieder) auf einer spirituellen Suche. Was versprechen sich diese Menschen dabei
für ihr Leben? Was erhoffen sich dabei gerade Eltern für ihre Kinder?
Offenkundig spüren viele Zeitgenossen, dass nicht alles im Leben verrechnet werden
kann, dass es durchaus Situationen gibt, in denen Halt und Orientierung wichtig sind.
Leben braucht Tiefe. Eltern spüren diesen Wunsch in besonderer Weise für ihre
Kinder. Diese Grundsorge teilen viele, die im Erziehungsbereich tätig sind.
Auf dieses Bedürfnis möchte spikids mit Angeboten antworten, die die Suche im spirituellen
Bereich anregen und unterstützen.“306
Unterschieden werden drei Schwerpunkte:
1.
Alltags-Spiritualität
2.
Spiritualität im religiösen und christlichen Lebensvollzug
3.
Gottesvorstellungen der Erwachsenen und der Kinder
304
Siehe hierzu Gindt (1991), S. 126-153.
Vgl. die Erläuterungen der Internetseite von www.erwuessebildung.lu
306
Ebd. Hervorhebung von mir, S. D.
305
135
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Erklärt wird dies folgendermaßen:
„Es geht (...) zum einen um allgemeine Spiritualität etwa durch Achtsamkeit oder Stille, zum
zweiten um eine Auseinandersetzung mit religiösen, auch außerchristlichen
Spiritualitätsangeboten und schließlich um die eigene, spezifisch christliche Tradition von
spiritueller Lebensgestaltung.“307
spikids macht Veranstaltungsangebote, liefert auf ihrer Homepage Medienrezensionen und
gibt Tipps zur spirituellen Erziehung von Kindern.
Neben dem Angebot an Weiterbildungen wie Vorträgen und Kursen zu religiösen oder
auch gesellschaftspolitischen Themen bietet die ErwuesseBildung religiöse und nicht-religiöse
TV- und Printmedien mit Bildungsanspruch zum Verkauf und Verleih an. Sie ist mit einem
speziellen Service den Schulen angeschlossen, bei dem Lehrkräfte per Post versandte Filme
für den Unterricht ausleihen können. Für die Lehrer sind die Möglichkeiten der Nutzung
angenehm. Da die ErwuesseBildung jedoch nur einen einzigen Standort, in der Hauptstadt,
hat, sind die Zugangsmöglichkeiten für junge wie ältere Leute außerhalb der Stadt
Luxemburg sehr begrenzt.
Leichter zugänglich für Jugendliche, zumindest für die, die über einen Internetanschluss
verfügen, ist das virtuelle Angebot religiösen Lernens. Bezüglich der medialen Ausstattung
mit vernetzten Computern an den Schulen muss sich Luxemburg im europäischen
Vergleich nicht verstecken. Sowohl Lehrer als auch Schüler an allen Schulen haben
theoretisch Zugang zu einem Computer und somit zu einem Unterrichtsmedium, das auch
das religiöse Lernen auf attraktive Weise ergänzen kann. Bei den Lernplattformen gibt es in
den verschiedenen Sprachen unterschiedliche Anbieter. Speziell für den Luxemburger Raum
gibt es beispielsweise myschool, die nicht nur, aber auch religiöse Lernthemen schülergerecht
aufbereitet.308 Neben den Angeboten aus Frankreich werden auch originär deutsche Seiten
benutzt, so etwa am hauptstädtischen Athénée. Der dort tätige Religionslehrer Jean-Luis
307
308
Ebd.
Siehe www.myschool.lu.
136
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Gindt engagiert sich für die religionspädagogische Lernplattform rpi-virtuell309 und bietet für
seine Luxemburger Fachkollegen immer wieder entsprechende Fortbildungen über
Einsatzmöglichkeiten an. Vorteil der Nutzung von Lernplattformen ist erstens die simple,
zeit- und ortsunabhängige Zugänglichkeit sowie außerdem die lernpsychologisch nicht zu
unterschätzende altersspezifische Attraktivität des Mediums Internet für Jugendliche. Der
Nutzer kann autonom sowie kreativ arbeiten und in Eigenregie Themen behandeln, die ihn
interessieren.
Der Markt der virtuellen Möglichkeiten ist groß, und es sollen an dieser Stelle nur einige
wenige Beispiele genannt werden. So können Kinder und Jugendliche mittels Google
Earth310 religiöse Stätten jedweder Herkunft virtuell besuchen, über rpi-virtuell Wege wie
etwa Kreuzzüge realistisch nachempfinden und sich in jeder Hinsicht landeskundlichgeographisch fortbilden. Es besteht bei rpi-virtuell weiterhin die Möglichkeit des
Nachbauens sakraler Bauten als virtuelle Räume, etwa als für die Jugendlichen sehr
persönliche Aufgabe mit dem Arbeitsauftrag „Baut einen Raum, den ihr selbst als religiös
bezeichnen würdet“. Das Beispiel der Raumkonstruktion ist laut Dr. Michael Waltemathe
von der Ruhr-Universität Bochum deshalb für das religiöse Lernen so geeignet, weil es sich
hier um einen religiösen Gründungsakt handele: „gestaltete Welt ist religiöse Welt, weil sie
Bedürfnisse und Werte wiedergibt und auch befriedigt.“311 Sind wir selbst womöglich in
einer Generation aufgewachsen, die so eine Aufgabe anhand eines Schuhkartonmodells
ausgeführt hätte, muss man heutigen Jugendlichen zugestehen, sich ihr eigenes Medium
suchen zu dürfen beziehungsweise mit diesem vertrauter zu sein als wir mit besagtem
Schuhkarton, und daher auch motivierter – auch wenn bestimmte affektive Aspekte des
Schuhkarton-Gestaltens dabei außenvor bleiben.
Ein von der Intention ähnliches Projekt stellt Basis B dar, die erste Bibelübersetzung, die
speziell für die Nutzung in den neuen Medien entwickelt wurde und deren Werbekampagne
sich
konkret
an
junge
Nutzer
richtet.
Es
handelt
sich
hierbei
um
ein
Kommunikationskonzept, das Jugendlichen zwischen sechzehn und fünfundzwanzig Jahren
309
Siehe www.rpi-virtuell.net. Rpi-virtuell ist ein Angebot der Evangelischen Kirche in
Deutschland und gehört zum Comenius-Institut. Die Nutzung für Schulen und Gemeinden
ErwuesseBildung ist kostenlos.
310
Hierbei handelt es sich um ein im Internet kostenlos herunter zu ladendes Programm, das
mittels aktueller Satellitenbilder die ganze Welt sichtbar und durch eine dreidimensionale
Ansicht buchstäblich zugänglich macht.
311
Waltemathe (2006).
137
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
neue Zugänge zur Bibel öffnen will und als Zusammenspiel von drei Medien funktioniert:
der Multimedia-CD-ROM, ein Taschenbuch sowie einem Online-Portal. Basis B ist nach
eigenen Angaben „wortgetreu übersetzt, für alle verständlich und interaktiv erlebbar““.
Darüber hinaus verspricht es allen Usern die Chance „zur virtuellen Gemeinschaft“ sowie
„Infos zur Bibel, Chats / Foren zu Lebensfragen, FAQs zu den Themen ‚Glaube’ und
‚Bibel’ und eine Werkstatt für Jugendgruppenarbeit“.
312
Neben der Aufmachung der
Werbebroschüre, die wie das Cover eines Rap-Band-Albums erscheint, sind die einerseits
die Anspielungen auf Gemeinschaft innerhalb des neuen medialen Umfelds sowie auch die
Nutzung der Jugendsprache (FAQs) interessant. Einerseits möchte man um die Bedürfnisse
der jungen Leute – Gemeinschaft eben – wissen, und sie Ernst nehmen,313 andererseits
deren Kommunikationsformen anerkennen und bedienen, und zwar in einer intendiert
„coolen“ Form, so wie wir dies bereits bei anderen Beispielen in dieser Arbeit wie
Pimpmychurch oder Mafrema vorgefunden haben.
Das Material ist also vorhanden. Allerdings fehlen bisher genauere Informationen darüber,
wie, das heißt, ob, wie häufig, wie intensiv und auf welche Art, die Nutzung seitens der
Schüler wie auch Lehrer stattfindet.
Eine empirische Untersuchung der Religiosität hat ein Interesse daran, dieser Frage
bezüglich des religiösen Angebots und seiner Nutzung auf den Grund zu gehen und so
Bildungsmöglichkeiten für die Zukunft zu erkennen und auszubauen.
3. 2. 7
Die Ausstellung „Glaubenssache“
Als kulturelle Aufnahme des gesellschaftspolitisch hochaktuellen Themas „Religiosität“
beziehungsweise „Glaube“ diente die Ausstellung „Glaubenssache“, die von November
2008 bis zum Juni 2009 im Musée d’Histoire der Stadt Luxemburg gastierte. Die
ursprüngliche Ausstellung des Stapferhauses Lenzburg entstand vor dem Hintergrund der
312
Basis B Werbebroschüre 2006, siehe Anhang. Hervorhebung von mir, S. D.
138
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Religionsvielfalt in der Schweiz. Nach ihrem Schweizer Debut wurde sie für Luxemburg
adaptiert, mit folgender Ankündigung beziehungsweise Beschreibung:
„Luxemburg ist ein katholisches Land, sagt die Statistik. 81 Prozent der Bevölkerung sind
katholisch. Aber 34 Prozent geben an, „nicht religiös“ zu sein. Ein Widerspruch? Welchen
Glauben teilen katholische Luxemburgerinnen und Luxemburger tatsächlich? Welche
Glaubensvielfalt versteckt sich hinter der größten Glaubensgemeinschaft des Landes? Wie
multireligiös ist Luxemburg bereits heute? Die Ausstellung „Glaubenssache“ lädt zur
Entdeckungsreise durch die aktuelle Glaubenslandschaft Luxemburgs. Die Ausstellung zeigt,
wie und warum wir glauben und weshalb wir über unseren Glauben streiten. Und sie stellt die
Gretchenfrage: Wie halten Sie es mit dem Glauben?“314
Die Luxemburger Variante suchte nach eigenen Angaben nach „Spuren der hiesigen
unterschiedlichen Überzeugungen beziehungsweise der Entstehung neuer Glaubensformen
in einer Welt, in der die etablierten Religionen immer weniger Anhänger zu finden
scheinen.“315 Der Besucher sah sich in der Ausstellung einer Wand aus hundert
persönlichen "Glaubens"-Objekten gegenüber, die dem Museum von Einwohnern
Luxemburgs zur Verfügung gestellt wurden. Die Schau stellte zudem Vergleiche zwischen
den Kulturen an und integrierte - anders als in der Lenzburger Ausstellung luxemburgspezifisch einen ganzen Teil über Muttergotteskult. „Glaubenssache“ will dem
einzelnen Besucher zu entscheiden überlassen, wie er Glauben oder Unglauben definiert.
Am Eingang gibt es zwei Türen, durch die man die Ausstellung betreten soll: die für
Gläubige und die für Ungläubige, auf eine dritte Tür à la „Ich weiß nicht“ hat man laut
Marie-Paule Jungblut, Kuratorin am Geschichtsmuseum in Luxemburg, bewusst
verzichtet.316 Die Besucher erhalten als Ticket einen USB-Datenstick, mit dem sie sich
während des Rundgangs mehrmals an Computerstationen einloggen und Fragen zu ihrem
Gottesbild, ihrer Glaubenspraxis oder auch ihrer Wahrnehmung einer zunehmend säkularen
und interreligiösen Glaubenslandschaft Luxemburg beantworten sollen. Beat Hächler,
Ausstellungsmacher und Co-Leiter des Stapferhauses Lenzburg, in dem die Ausstellung
startete, erklärt: „Der Datenstick ist zugleich sichtbares Glaubenszeichen. Er wird wie ein
Amulett um den Hals getragen und macht die Besucherinnen und Besucher für alle als
‚Gläubige’ oder ‚Ungläubige’ erkennbar. Die Privatsache Glauben wird so zur öffentlichen
313
In diesem Sinne ist auch der Untertitel von Basis B zu verstehen: „Grund genug, um zu
leben“. Die Sinnstiftung einer Sache bei Jugendlichen spielt hier anerkanntermaßen eine
entscheidende Rolle. Vgl. auch eine Kopie im Anhang dieser Arbeit.
314
http://www.stapferhaus.ch/ausstellungen/glaubenssache-luxemburg.html.
315
http://www.musee-hist.lu/Glaubenssache.html.
316
Ebd.
139
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Glaubenssache. Das Museum wird zum Ort der Selbstwahrnehmung und – hoffentlich –
zur Plattform für private Gespräche und öffentliche Diskussionen.“317
Erklärtes Ziel der Ausstellung war es, das Publikum „mit den diversen religiösen Kulturen
und Weltanschauungen vertraut zu machen, ohne einer bestimmten Glaubensrichtung den
Vorzug zu geben“.318 Gleichzeitig wurden die Besucher der Ausstellung nicht nur mit
Glaubensbekenntnissen konfrontiert, sondern auch selbst nach ihrem persönlichen
Verhältnis zur Religion und zu Sinnfragen, die sich dahinter verbergen, gefragt. Denn auch
wenn die Mitgliederzahlen der einzelnen in Luxemburg ansässigen Religionsgemeinschaften
trotz Datenschutzes mehr oder weniger bekannt sind, gehe aus ihnen nicht hervor, welche
Glaubensprofile sich hinter ihnen verbergen. Dabei gehe es, so Hächler, nicht um
Religionen, sondern um „Glaubenspositionen im Alltag“319. Den Schluss, den man nach der
Lenzburger Ausstellung habe ziehen können, sei „banal wie einfach“ gewesen: Es gebe
ebenso wenig ‚die Christen’ wie es ‚die Juden’ oder ‚die Muslime’ gebe; ein gläubiger
praktizierender Christ habe mit einem gläubigen praktizierenden Muslim mehr gemeinsam
als mit einem ungläubigen Christen.320
Dass die Ausstellung insbesondere im Kontext der vorliegenden Arbeit interessant
ist, liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich an dem Modell des bereits in Kapitel 2. 3
erwähnten amerikanischen Soziologen Charles Glock orientiert – das Modell, das
sich auch Stefan Huber zur Messung von Religiosität vornahm: Religion wird hier als
Bezug zu einer transzendenten, einer jenseitigen Wirklichkeit definiert, die in bestimmten
Erlebens- und Verhaltensweisen zum Ausdruck kommt und in der es sechs
"Kerndimensionen" von Religiosität auszuloten gilt:
„Intellekt äußert sich in der Auseinandersetzung mit religiösen Inhalten und religiöses
Wissen: "Wie oft denken Sie über religiöse Fragen nach?"
Ideologie wird daran gemessen, wie stark die Zustimmung oder die Gewissheit gegenüber
bestimmten Glaubensinhalten ist: "Wie wahrscheinlich ist ein Leben nach dem Tod?"
317
Hächler (2008), S. 32.
http://www.musee-hist.lu/Glaubenssache.html.
319
Hächler (2008), S. 32.
320
Ebd.
318
140
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Erfahrung wird als Wahrnehmung von Kontakten mit der Transzendenz verstanden: "Wie
oft erlebe ich, dass Gott konkret in mein Leben eingreift?"
Private Praxis meint das Ausführen von Ritualen: "Wie oft bete ich?"
Öffentliche Praxis zielt auf die Zuwendung zu einer religiösen Gemeinschaft ab: "Wie oft
nehme ich an Gottesdiensten teil?"
Konsequenzen im Alltag fragen nach der Berücksichtigung bei der Lebensführung: "Wie stark
lasse ich mich – in Partnerschaft, Familie, Beruf und Politik – von religiösen Vorstellungen
leiten?"“ 321
Hubers Modell der Erfassung zur Messung von Religiosität bei monotheistischen
Religionen wurde für die Ausstellung auf pantheistische Konzepte (Buddhismus und
Hinduismus) erweitert und die Glaubenstypologie auf fünf Profile reduziert. Die Befragten
werden in fünf "Religionstypen" einteilt:322
 areligiös
 traditionsreligiös
 kulturreligiös
 alternativreligiös
 patchworkreligiös
Laut Marie-Paule Jungblut fragt die Ausstellung weniger nach Religiosität, sondern nach
verschiedenen Formen von Glauben:
323
Wo stehe ich? Stehe ich noch im institutionalisierten
kirchlichen Kontext? Die Testumfrage unter den Ausstellungsbesuchern habe ergeben, dass
„enorm viele Leute kulturreligiös“ seien und nur noch wenige institutionalisiert
religiös. Hinter dem Block von 80% Katholiken, von dem man bei der Vorbereitung der
321
Siehe die Ausführungen bei http://www.lernprojekt-religion.ch/Aktuell/glaubenssache.htm.
Die genaue Beschreibung der jeweiligen Typen findet sich im Anhang dieser Arbeit.
323
Dies sagte sie in der Radiosendung: "Background am Gespréich" auf RTL Radio Lëtzbuerg vom
10. 01. 2009, nachzuhören auf http://www.museeist.lu/Glaubenssache_+
Eine+Ausstellung+für+Gläubige+und+ Ungläubige +.html.
322
141
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Expo ausgegangen sei, verberge sich eine große Vielfalt.324 Diese Multiperspektivität
verbunden mit der Idee der Toleranz, dass man miteinander lebt, auch wenn man ganz
unterschiedlich glaubt, sei der Ausstellung besonders wichtig.
Insgesamt besuchten rund 20.000 Besucher die Luxemburger Ausstellung.325 Ihre Rezeption
fiel in der Öffentlichkeit, unter Vertretern der Kirche wie Kirchenkritikern unterschiedlich
aus: Umstritten war u. a. die Kategorisierung der möglicherweise sehr vereinfacht
konzipierten unterschiedlichen Religionstypen, die komplexe Beziehungen zu Religion
übergehe.
Auch
bastele
sich
nicht
jeder,
der
Rituale
und
Feiern
anderer
Religionsgemeinschaften besucht, eine eigene Religion, und nicht jeder "Kulturreligiöse" sei
aus der Kirche ausgetreten. Positiv hervorgehoben wurde jedoch auch, etwa von Théo
Péporté, Leiter des "Service Communication et Presse", verantwortlich also für die Medienund Öffentlichkeitsarbeit der katholischen Kirche in Luxemburg,326 „Glaubenssache“
funktioniere mit Zeitzeugen, mit authentischen Leuten.
Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist es zu bedauern, dass die Datenerhebung der fünf
Religionstypen der Luxemburger Öffentlichkeit nicht transparent gemacht worden
ist.327 Die Resultate der Typologie-Zuordnung wurden nach Abschluss der Ausstellung
nicht weiter veröffentlicht.328 Für Luxemburg fehlt bisher ein entsprechendes, normalen
Recherchemethoden zugängliches Datenarchiv in Form einer Schlussdokumentation, das
nachhaltig darüber Auskunft gibt, wie sich die Besucher auf die Typologie aufteilen. Dies
war bei der Lenzburger Erhebung anders. Wenn das dortige Resultat auch kritisch rezipiert
wurde, ist die Feststellung, dass sich die religiöse Landschaft verändert habe,
324
Ebd.
Angabe s. Jahresbericht 2009 des Stapferhauses unter http://www.stapferhaus.ch/uploads/ media/
Jahres-bericht_2009.pdf.
326
Vgl. Péportés Aussagen in der Radiosendung: "Background am Gespréich" auf RTL Radio Lëtzbuerg
vom 10. 01. 2009, nachzuhören auf http://www.museehist.lu/Glaubenssache_+Eine+Ausstellung+für+ Gläubige+und+ Ungläubige +.html.
327
Die Schweizer Schlussdokumentation ist unter http://www.stapferhaus.ch/uploads/media/Schluss
dokumentation_kurz_02.pdf zu finden.
328
Auf Nachfrage am 18. 08. 2010 verwies Marie-Paule Jungblut darauf, dass die Publikation nicht
Aufgabe eines Museum sei. Möglich sei höchstens eine interne Anfrage nach einzelnen „Doneen“
wie Besucherzahlen.
325
142
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
unübersichtlich wie noch nie sei und sich weiter verändern werde329 immerhin ein
belegter Anfang eines pragmatischen Umgangs mit tatsächlich gelebter gesellschaftlicher
Religiosität.
Ein Aspekt der Ausstellung – so spannend ihr Frageansatz hinsichtlich Religiosität auch
sein mag – muss bei einer Übertragung des Resultats auf eine empirische Umfrage bei
Jugendlichen mit Vorsicht umgegangen werden: Es handelt sich hier um eine Befragung, die
buchstäblich unter dem Dach eines Museums stattgefunden hat, das heißt, bei der
Zielgruppe handelt es sich um ein bestimmtes Publikum sowohl hinsichtlich des
Alters, der Bildung und des thematischen Interesses. Diese Tatsache führt dazu, dass
ein Resultat weder aus Lenzburg noch aus Luxemburg - keineswegs auf die
Verhältnisse der Gesamtbevölkerung geschweige denn Jugendlicher übertragen
werden kann. Auch wenn das Instrumentarium als Basis funktionieren mag, kann das
E r g e b n i s des Geschichtsmuseums allenfalls als vage Orientierung dienen – wenn
überhaupt das...
3. 3
Erkenntniszusammenschau
„Religion ist Privatsache“ – wie häufig fällt dieser Satz innerhalb der kirchenkritischen
Diskussion nicht nur in Luxemburg und alsdann auch als Zitat mehrfach im Kontext der
vorliegenden Arbeit. Man muss sich nach der Verhältnismäßigkeit und auch Priorität dessen
fragen, was heute in Luxemburg als privat und auch datentechnisch schützenswert gehalten
wird und was nicht: Einerseits dürfen im Namen des Datenschutzes Informationen etwa
über die religiöse Zugehörigkeit nur auf Umwegen gesammelt werden, andererseits ist es
329
Vgl. etwa die Bewertung von Peter Schmid. Er schreibt: „Was Religiositätstests wie der in Lenzburg
eingesetzte mit ihrer Typisierung hergeben, darüber kann man streiten. (...) Beim Gottesbild findet
die Vorstellung von einer Energie, die alles durchströmt, bereits mehr Zuspruch als das traditionelle
Bild einer Person, zu der man sprechen kann. Der mit Hubers Kriterien erstellte Glaubenstypen-Test
nivelliert die (letzthin wieder stärker wahrgenommenen) Unterschiede zwischen den Religionen,
indem er durchwegs von „Glauben“ spricht und individuelle, praktizierte Religiosität vergleicht.
Eine Patchwork-Gläubige, eine Muslima und eine aktive Christin meinen nicht dasselbe, wenn sie
von ‚Gebet‘ reden. Eines wird deutlich: Die meisten Besucher sind nicht mehr gläubig in dem Sinn,
dass sie Christus nachfolgen und ihre Mitgliedschaft in der Kirche mit einem biblisch verankerten,
herzhaften, tätigen Glauben verbinden. Wenn man der Ausstellung glauben will, ist das Gegenteil
der Fall: dass Millionen von Schweizern, das Segment der Kulturreligiösen, „weitgehend
glaubensabstinent“ leben (so die zugespitzte Formulierung auf dem abgegebenen Blatt). Schmid
(2007).
143
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
scheinbar legal, beispielsweise die Resultate der Schulabschlüsse mit Namen der
Absolventen im Luxemburger Wort abzudrucken. Es maßt schon bizarr an, dass die
hundert repräsentativ ausgewählten Luxemburger, die der Ausstellung „Glaubenssache“ ein
persönliches Glaubensobjekt zur Verfügung stellten, anonym bleiben mussten. So
kommentiert auch der Schweizer Ausstellungsmacher Hächler: „Es scheint fast, dass die
Glaubenssache in Luxemburg nicht nur Privatsache, sondern Intimsache
geworden ist und besser gehütet wird als das Bankgeheimnis in der Schweiz.“330
Ob man Hächler nun zustimmt oder nicht - eine Tatsache kann nicht verleugnet werden,
nämlich die, dass man sich mit seiner (privaten) Glaubensmeinung in der Gesellschaft
positioniert - vielleicht auch gerade dort, wo ich (nicht) will.331 Um es mit Théo Peporté zu
formulieren: Mein Glaube gehört mir, aber er verändert mein Handeln und meine
Einstellung zur Welt. Es gebe ein Comeback von Fragen nach Religiosität und Glauben –
das sei religionsunabhängig. Man müsse jedoch unterscheiden zwischen persönlichem und
institutionalisiertem Glauben; und selbst innerhalb von der Kirche werde auch nicht mehr
stur an fixen Glaubenssachen festgehalten. Es handle sich Religion à la carte, PatchworkReligion.332
Die gesellschaftliche Wirklichkeit Luxemburgs gegenüber Religiosität ist in der Tat nicht
kohärent. Die nominale Präsenz des katholischen Glaubens ist wie gezeigt nach wie vor
vorhanden. Die Ergebnisse der luxemburgischen Wertestudie oder auch Grundaussagen
der Ausstellung „Glaubenssache“ von 2009 sind jedoch widersprüchlich: Die Studie wies
das Interesse an Religion als Wert gesellschaftlich eher untergeordnet bis gering aus, die
Ausstellung sowie die mediale Wahrnehmung des Themas Religion / Religiosität / Glauben
/ Rolle der Kirche in der Öffentlichkeit hat in jüngster Vergangenheit eine ganz andere, sehr
lebendige Sprache gesprochen. Uns liegt bis heute keine verbindliche Auskunft
darüber, wie es in Luxemburg wahrhaftig um die gelebte Religiosität bestellt ist
und welche moralischen Werte mit dieser Aussage verknüpft sind, vor. Genau hier
330
Hächler (2008), S. 33.
Vgl. hierzu auch die Meinung von Laurent Moyse ebd.
332
Vgl. seine Aussage in der Radiosendung: "Background am Gespréich" auf RTL Radio Lëtzbuerg vom
10. 01. 2009, nachzuhören auf http://www.musee-hist.lu/Glaubenssache_+Eine+Ausstellung+für+
Gläubige+und+ Ungläubige +.html.
331
144
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
müssten weitergehende Studien insbesondere für die heranwachsende Generation
ansetzen.
Zweitens kann man festhalten, dass die ökonomisch außergewöhnlich positive Situation
Luxemburgs zwar äußerlich den sozialen Frieden sichern mag, deswegen jedoch noch längst
kein Garant für Zufriedenheit und Glück ist und in diesem Sinne auch spirituelle
Befriedigung garantiert. Das Risiko der Übersteigerung, der Sinnentleerung, des
Überdrusses durch Konsum ist hoch, diese Erkenntnis wird von der steigenden Anzahl
psychischer
Erkrankungen
und
Lebensmüdigkeit
mit
Hintergründen
wie
Drogenmissbrauch, einer gestörten Wahrnehmung des eigenen Körpers oder auch
Medienmissbrauch ebenso gestützt wie durch die Schüleräußerungen aus der Hausaufgabe
zum Exodus-Text „Der Tanz um das goldene Kalb“. In Letzterer bestätigten die
Jugendlichen diesen Eindruck, dass Geld und Konsum als eine Ersatzbefriedigung
fungieren oder auch als spirituell leere Götzendienste angesehen werden können, weil die
Fähigkeit der Erkenntnis eines biblisch-religiösen Gottesbildes fehlt.
Ein entsprechendes Bild zeichnen auch die Zahlen über Familienstrukturen in Luxemburg,
die sich in den vergangenen Jahrzehnten von dem klassischen Muster der Eltern, die
gemeinsam die Kinder betreuen hin zu zahlreichen Alternativmodellen bewegt haben. Was
hier verlorengegangen ist, ist die Übersichtlichkeit und Sicherheit, die einst die
Institution Familie den Jugendlichen bot. Die Heranwachsenden leben in zunehmend
pluralen Kindschaftsverhältnissen, die das Vertrauen auf ein einheitliches Konzept von
Familie erschweren. Familie als Kommunikations- und Interaktionsraum ist flexibel und
damit aber auch nicht mehr ein verlässlicher Partner religiöser Bildung. Wenn glauben
„vertrauen“ bedeutet (siehe Kapitel 2. 5), sind die Räume, in denen sich dieses Vertrauen
entwickeln kann, wesentlich unberechenbarer geworden. Die Scheidungsrate von etwa
fünfzig Prozent der geschlossenen Ehen hat für die religiöse Prägung wahrscheinlich tief
greifendere Konsequenzen, als auf den ersten Blick angenommen. Kinder erleben das
Zerbrechen eines Schutzraumes. Angesichts der Variabilität in der kindlichen Biografie
sei in einer Welt, in der Erwachsene „aus der Erziehung aussteigen“333, der „pädagogische
Ernstfall“334 eingetreten. Autonomie und Mündigkeit würden für Kinder und Jugendliche zu
333
334
Schmälzle (1995), S. 373.
Ebd.
145
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
existenziellen
Kompetenzen.335
Schmälzle
befürchtet,
dass
damit
bereits
im
Kindergartenalter „der Nährboden für unsere ausufernde Kultur der Gewinner
gelegt“ werde, da die einzige Alternative zur Autonomie für das Kind Lebensuntüchtigkeit
oder Unterwerfung bedeutete.336 Die Heranwachsenden „stricken“ sich ihre eigenen
Werteraster und suchen sich Ersatzrituale in ihrer Umgebung. Da religiöse Schulen im
Vorschulalter fehlen, mangelt es auch hier an einer ausgleichenden christlichen
Werteinstanz.
Hinzu kommt, dass der Einfluss der Kirche die Moral der Rechtsprechung ebenso wenig
beeinflussen kann wie Entscheidungen im Bildungssystem: Das tatsächlich verabschiedete
Euthanasie-Gesetz, die Einführung eines „religiös neutralen“ Wertunterrichts mit
Modellcharakter unter dem Titel „Education aux valeurs“, die am „Neie Lycée“
seit 2005 jeder Lehrer ohne fachspezifische Ausbildung unterrichten darf 337 und
nicht zuletzt der Streit um den Wertunterricht und den Einfluss der Kirche im Staat sind
den Interessen der religiösen Vertreter ein scharfer Gegenwind.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Fehlen jeglichen religiösen Angebots für Kleinund Vorschulkinder. Eine Reihe Kirchengemeinden wie etwa Luxembourg-Belair haben
die
Nachfrage
erkannt
und
bieten
sogenannte
„Butzegottesdengschter“
/
„Krabbelgottesdienste“ an. Diese erreichen jedoch die Familien nur punktuell, und
wahrscheinlich auch nur diejenigen, bei denen sowieso schon eine positive Grundhaltung
gegenüber Glaubensfragen vorhanden ist. Der öffentliche Bildungssektor hat sich aus
dieser Verantwortung komplett ausgeklinkt.
Auf der anderen Seite schafft die Kirche Luxemburgs den älteren Kindern und Jugendlichen
ein Angebot, das sich darum bemüht, die Jungen und Mädchen ins Boot zu holen.
Insgesamt kann die pastorale Palette als traditionell bis modern, auf jeden Fall aber als den
Bedürfnissen der Jugendlichen nachspürend beschrieben werden. Aktionen wie „Pimp
my church“ oder auch der Aufbau des Messdienerverbandes suchen die Nähe der jungen
Generation auf zunehmend unkonventionellen Wegen. Dennoch liegt der Anteil der
335
Ebd.
Schmälzle (1995), S. 372.
337
Vgl. Conférence des professeurs (...) (2008), S. 36.
336
146
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Jugendlichen, die sich für eine religiöse Freizeitgestaltung entscheiden, bei niedrigen fünf
Prozent (s. o.).
Anders sieht es bei der Reaktion der Jugendlichen auf zeitbegrenzte Angebote wie der
Willibrordus-Oktav, dem Pélé des Jeunes oder dem Weltjugendtag aus, die kurzfristig
immer wieder guten Zulauf verzeichnen. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Jugendliche
bei der Nutzung religiöser Angebote eher auf die Erlebnis- und Eventgestaltung ansprechen
als auf dauerhafte Verpflichtungen. Insgesamt kann man sagen, dass die Jugendlichen
buchstäblich auf einer Art „Kurztrip“ zu ihrem Glauben unterwegs sind. Die
Teilnahme an Prozessionen und religiösen Events zeigen dies ebenfalls. Es wäre positiv,
würde man dies als neue Äußerung von Religiosität anerkennen und entsprechend bei einer
empirischen Studie als eine Ausdrucksform von Religiosität ernst nehmen.
Die
Möglichkeit
des
modernen
Medienzugriffs
insbesondere
durch
die
Lernplattform myschool auf religiöse Themen ist bisher noch nicht auf sein religiöses
Bildungspotenzial tiefer gehend untersucht worden. Auch hierin läge ein empirisches
Arbeitsfeld als Chance.
Entsprechend dieser Erkenntniszusammenschau lautet die Antwort also: Religiosität und
gesellschaftliche Wirklichkeit schließen sich in Luxemburg nicht aus, bilden aber auch kein
harmonisches Miteinander. Vielmehr bewegt sich Religiosität in einer eigenen
Parallelwelt, und zwar dort, wo sie den Alltag verlässt: nicht in der Familie oder Schule,
selten im Verein, sondern hauptsächlich im Event und im Fest.
147
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
148
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
4
Forschungsgrundlage zur Erkundung jugendlicher Religiosität
in postmodernen Kontexten
Frage an die Schülerin: „Bist du religiös?“
Antwort: „Nö, ich bin eigentlich ganz normal.“
Anekdote nach Stefan Orth (2009)
4. 1
Wie frage ich Egotaktiker nach Religiosität?“ – Überlegungen zu dem
Beziehungskonstrukt „jugendlicher Mensch - Religiosität“ und zu der
Eruierung möglicher Problemfelder
Wenn die vorliegende Arbeit von Jugendlichen spricht und sie als Zielgruppe empirischer
Fragestellungen nimmt, empfiehlt es sich, den Personenkreis analytisch darzustellen. In
diesem Teilkapitel geht es um spezifische entwicklungspsychologische Aspekte, die mit der
Herausbildung von religiösen Mustern zu tun haben (können).
Der Grundlagenforschung von Religiosität bei Jugendlichen sei eine Prämisse vorangestellt:
Die Antworten nach Religiosität können und müssen bei den Jugendlichen selbst liegen und
dort auch gesucht werden, also nicht zuerst bei Befragungen von Lehrern, Eltern,
Geistlichen usw. Die Jugendlichen kennen ihre Einstellungen, Meinungen und Motivationen
am besten, mögen andere sie auch noch so gut und gern beschreiben, interpretieren oder
begründen, und selbst dann, wenn manch ein Erwachsener ihnen die Tragweite ihrer
Urteilsfähigkeit als eingeschränkt bescheinigen möchte - dies sieht die vorliegende Arbeit
anders. Sie erkennt die alleinige Tragfähigkeit und Autonomie jugendlicher
Aussagen bezüglich ihrer Spiritualität und Religiosität an.
Wenn wir von Jugendlichen sprechen, sind Heranwachsende zwischen vierzehn und
achtzehn Jahren gemeint (spätes Jugendalter beziehungsweise die Phase der Adoleszenz).338
Jugendliche befinden sich in einer Phase des Umbruchs; abgesehen vom ersten Lebensjahr
eines Kindes vollziehen sich in keiner Lebensphase sonst so viele innere und äußere
Veränderungen wie zu dem Zeitpunkt des Jugendalters. Die Jugend im heutigen
338
Vgl. Höring (2000), S. 26.
149
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Westeuropa zieht sich zunehmend in die Länge und der Eintritt ins Erwachsenenalter
erfolgt zu einem immer späteren Zeitpunk. Im Bezug auf Luxemburg passt zur
Beschreibung sicher das skandinavische Modell339 am besten, das auch in Frankreich
vorherrscht: eine relativ frühe Lösung vom Elternhaus durch das Angebot an
Kinderbetreuung, gleichzeitig aber eine relativ späte Eheschließung und Zeugung von
Nachkommen,
nicht
zuletzt
auch
während
der
relativ
langen
schulischen
Ausbildungsdauer.340
Die Begegnung mit Menschen in dieser Lebensphase ist so eigen wie zu jedem anderen
biografischen Zeitpunkt und hat seine speziellen Herausforderungen und sicher auch Reize:
Der Gegenüber wird – bei allem Respekt gegenüber der kindlichen Persönlichkeit! – für den
Erwachsenen zumindest aus intellektueller Hinsichten zu einem ernst zu nehmenden
Gesprächspartner. Andererseits werden Jugendliche nicht selten als affektiv labil
beschrieben und ihre Unsicherheit im Umgang mit ihren Gefühlen wird als Eigensinn und
Trotz gedeutet. Wir sprechen von Jugendlichen am Ende der Pubertät, deren Ende in
unserem Kulturkreis traditionell mit der Übernahme der wichtigsten Aufgaben von
„Erwachsenen“, Arbeitsleben und Ehe gekennzeichnet wird.341 Dieser Übergang ist jedoch
fließend, zumal speziell im Kontext mit luxemburgischen Jugendlichen die persönliche
Unabhängigkeit im Konsumbereich342 sowie innerhalb der bereits beschriebenen
Familienstrukturen dafür sorgen, dass eben nicht der Eintritt ins Berufsleben und Ehe als
Grenzmarke für das Erwachsensein gelten kann, weil bereits vorher wie in Kapitel 3
analysiert ein hohes Maß an Autonomie und Unabhängigkeit vorhanden ist.
Die Jugendphase ist eine Zeit des Fragens, vielleicht macht sie gerade dies so empfänglich
wie auch kritisch gegenüber Religiosität. Die Wahrnehmung des äußeren und inneren
Lebens verändert sich und es stellen sich immer neue Fragen, etwa wonach das eigene
Leben ziele (Partnerschaft, Ehe, Familie…) oder welcher Beruf gewählt werden soll.
Jugendliche suchen nach einem Platz in der Gesellschaft und müssen sich vermehrt ihrer
eigenen Verantwortung bewusst werden und mit der zunehmenden Loslösung von den
Erziehungspersonen für ihr eigenes Handeln einstehen. Zwangläufig einher geht die
339
Dies ist beschrieben von Pollo (1998), S. 46.
Siehe hierzu u. a. die Statistiken im Anhang dieser Arbeit.
341
Vgl. Hurrelmann u. a. (2002), S. 32.
342
Die Jugendlichen verfügen im europäischen Vergleich über überdurchschnittlich viel Geld,
siehe Kapitel 3. 1. 2.
340
150
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Herausbildung eines eigenen Wertsystems. Maßgeblich beteiligt an diesem ist der
Einfluss der Familie, wobei auch andere Gruppen wie Verwandte, Freunde oder auch
Institutionen wie Schule, Vereine oder auch Kirche als bestätigende oder auch alternative
Wertpräger fungieren können: „Das persönliche Wertsystem ist entwicklungsfähig. Gerade
in der Kinder- und Jugendzeit gibt es eine erhöhte Sensibilität für Wertfragen. (…) Den
Entwicklungsaufgaben liegt (…) eine gemeinsame Thematik zugrunde. In allen Aufgaben
geht es um die Herausbildung des Ich, des Selbst, der Identität.“ (Hurrelmann).343 Erlebt der
Jugendliche in dieser Phase sein Umfeld nicht als eindeutiges System (Stichwort:
Familienkonstellation, Haltung der Gesellschaft zu moralischen Fragen), muss er einen
eigenen Weg finden, um sein moralisches Raster aufzubauen und entsprechend seiner
Umgebung zu adjustieren. Umgekehrt ist es nach der Theorie des „Lernens am Modells“
nicht unwahrscheinlich, dass der Jugendliche bereits etablierte Wertvorstellungen einfach
übernehmen kann, und es obliegt allein dem Grad des kritischen Umgangs mit seiner
Umwelt während der Pubertät, ob der Jugendliche es schafft, beispielsweise materielles
Denken abzulegen oder fortzuführen.
Insofern ist der Lebensabschnitt Jugendlicher relativ offen, was wiederum nach sich
zieht, dass das Spannungsverhältnis zwischen Selbst- und Fremdbestimmung auf dem Weg
zum Subjekt wächst. Der Jugendliche sieht sich mit widersprüchlichen Anforderungen
konfrontiert. Eine - wenn nicht die - entscheidende Lebensfrage des Jugendalters kreist nach
tiefenpsychologischem Verständnis um die Suche nach Ich-Identität.344 In dieser
Lebensphase geht es darum, zum unverwechselbaren Ich zu werden, eine eigene
Persönlichkeit zu bilden. Dies bedeutet natürlich auch zu einem Teil das Aufgeben der
Kindheit und das Antreten neuer Verantwortungen. Die sich entwickelnden intellektuellen
wie emotionalen Kompetenzen verhelfen dem Heranwachsenden zu einer erhöhten
Selbsterkenntnis auf dem Weg zu einer sozialen und emotionalen Heimat. Es ist sicherlich
eine komplizierte Phase: Während wir uns während unserer Kindheit überwiegend von den
Eltern leiten lassen, gewinnt während des Jugendalters die eigene Reflexion an Bedeutung.
Höring fasst dies so zusammen:
„Der junge Mensch begreift sich als endlich, er wird zunehmend bewusster mit Phänomenen
wie Tod und Leid konfrontiert. In zentralen Lebensthemen wie Zukunft, Frieden,
Gerechtigkeit, Partnerschaft etc. tritt implizit immer wieder die Sinn-, Transzendenz- und
Gottesfrage auf und verlangt nach einer (eigenständigen und selbstreferentiellen) Antwort.
343
344
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 23.
Vgl. Erikson (1988), S. 326.
151
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Gleichzeitig äußert der Jugendliche Kritik und Ablehnung gegenüber den (vormals vielleicht
selbstverständlichen) religiösen Formen der Eltern und Erwachsenen.“345
Die Jugendlichen sind auf der Suche nach rituellen Grenzgängen. Ein Beispiel ist das
Pilgern, das bereits in Kapitel 3. 2. 3 als religiöse Ausdrucksform verstanden wurde, ein
anderes der „Rausch als Ritual“, wie er von Stephan Sting beschrieben wird.346 Sting erklärt,
wie der Rausch als Extremerfahrung den Menschen an die Grenzen des Bewusstseins führt
und gerade Jugendliche diese Erfahrung häufig in der Gemeinschaft suchen, weil sie
dadurch einerseits begrenzende Gruppenidentität und andererseits ekstatisches Bei-sichSein erleben können, etwa in der Techno-Disco.347 Die Verbindung von Religion und
Popularmusik scheint keine Erfindung der Neuzeit zu sein. So beschreibt Andreas Büsch,
wie seit Jahrhunderten in unterschiedlichen musikalischen Formen und auf verschiedene
Weisen eine gegenseitige Beeinflussung von populärer Musik und Religion stattgefunden
hat.348 Im religiösen Leben Luxemburgs findet sich dies in abgemilderter Form wieder in der
Gestaltung der religiösen Events (siehe Kapitel 2. 4. 4 bzw. 3. 2. 3).
In vorgelegten Jugendstudien, allen voran Shell, ist immer wieder von einem hohen Grad an
Selbstzentriertheit bei den Jugendlichen die Rede, daher auch die Bezeichnung
„Egotaktiker“ im Titel dieses Teilkapitel. So bezeichnet Hurrelmann, einer der maßgeblich
an der Durchführung Shell-Studie Verantwortlichen, den “Sozialcharakter der Mehrheit der
Jugendlichen heute als ‚Egotaktiker’“. Hurrelmann untermauert dies mit der „starken
Konzentration auf die Gestaltung der eigenen Persönlichkeit und die intensive Suche nach
der personalen und sozialen Identität“ und dem „hohen Grad von Selbstzentriertheit (…),
der bis zu einem Egoismus in der Durchsetzung eigener Interessen im sozialen Umfeld
gesteigert werden kann“ 349.
Die beschriebene Ich-Zentriertheit, über die Eltern wie Lehrer immer wieder klagen, ist
keineswegs aber nur aus der Entwicklungspsychologie erklärbar, sondern, so beschreibt es
Rainer Winkel, Professor für Erziehungswissenschaften in Berlin und seit 1998 Direktor
345
Höring (2000), S. 34.
Sting (2005)S. 85-87.
347
Ein weiteres Beispiel für die jugendliche Sehnsucht nach Rausch ist das Testen von Drogen
oder auch sogenannte Kampftrinken, die bei manchen Jugendparties veranstaltet werden.
348
Siehe hierzu Büsch (2000), S. 51-55 sowie ebenso Treml (1997). Bei beiden wird die Rolle
von Musik als Mittel der Identifikation, der formalen wie inhaltlichen Abgrenzung sowie die
Sinnstiftung als Ersatzreligion mit liturgischer Qualität ausführlich beschrieben.
346
152
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
einer evangelischen Gesamtschule in Gelsenkirchen, auch sozialhistorisch bedingt ein
Ergebnis der veränderten Erziehung, die in vielen Elternhäusern angelegt wird. So beklagt
Winkel den „erzieherischen Nihilismus“, den heutzutage viele Eltern an den Tag legten:
„Jetzt sind die Enkel der sogenannten Achtundsechziger in die Schule gekommen und
präsentieren sich gleichsam jenseits von Erziehung, sodass viele unserer heutigen Kinder und
Schüler zum Beispiel überhaupt kein Unrechtsbewußtsein mitbringen. Nur wenn ihnen selbst
Unrecht geschieht, schreien sie auf und schlagen sie zu. Daß sie anderen oft Unrecht zufügen,
entzieht sich ihrer narzißtischen Empfindung.“350
Dass eine solche erzieherische Grundlage wenig zur Herausbildung sozialer Werte beiträgt,
ist selbstredend. Fehlt es der pädagogischen Zeitgeistideologie der Elternhäuser an
entsprechenden Inhalten, ist es für die Bildungsinstitutionen umso schwerer, dies
aufzufangen und auszugleichen, auch wenn ihnen meist diese Aufgabe angetragen wird. So
kann Schule lediglich versuchen, das „Weltliche“ an der religiösen Bildung zu
leisten. Im Gegensatz zu Erfahrungen, die der junge Mensch in der Familie oder der
Gemeinde macht, bietet Schule „das unterrichtliche, das didaktisch-methodische
Bemühen“351, sich mit Gott auseinanderzusetzen, ersetzt jedoch nur wenig die Erfahrung
der Zwischenmenschlichkeit, die in der außerschulischen Lebenswelt, jenseits von
Leistungsdruck, viel schneller und leichter erfahrbar wird.
Von Interesse in unserem Zusammenhang ist die Verhältnismäßigkeit zwischen diesem
angenommenen Egoismus und der Bereitschaft zur beziehungsweise Eigenschaft
der Religiosität. Die Wertestrukturen dieser egotaktischen Lebensphase bewegen sich klar
auf einer antichristlichen Werteschiene: Hurrelmann schreibt der egotaktischen
Grundeinstellung der Jugendlichen folgende Charakteristika zu:
1. Opportunismus
2. Bequemlichkeit
3. eine abwartende und sondierende Haltung
4. die Fähigkeit, im richtigen Moment bei einer sich bietenden Chance zuzugreifen352
349
Hurrelmann u. a. (2002), S. 33.
Winkel (2001), S. 200.
351
Ebd.
352
Hurrelmann u. a. (2002), S. 33.
350
153
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Keine dieser Charaktereigenschaften, seien sie denn so, wäre kohärent mit den im
zweiten Kapitel hervorgebrachten religiösen Werten. Wie also können Jugendliche
überhaupt mit Begrifflichkeiten wie dem „Nächsten“ umgehen? Dies muss in
einer Befragung berücksichtigt sein.
Zu bedenken ist die Tatsache, dass es sich bei Hurrelmanns Aufzählung um eine doch recht
stereotype Darstellung jugendlicher Charaktereigenschaften handelt, die im Einzelfall mehr
oder minder ausgeprägt zum Vorschein kommen – es gibt zu viele charakterlich wie von
ihrer Mentalität unterschiedliche Menschen! Zu einem großen Teil kreisen Jugendliche
sicherlich um sich selbst. Auf der anderen Seite suchen Jugendliche immer auch nach ihrem
Platz innerhalb eines großen Gefüges, in der Gemeinschaft, in einer gesellschaftlichen
Strömung, sei es in Modefragen, Musikrichtungen, politischen Ansichten und spirituellen
Fragen. Die Herausbildung eines Ichs ist also dialektisch auf das Ich und das Wir
ausgerichtet. Der Jugendliche erwirbt ein Werteschema nicht für sich allein, sondern
bewegt sich damit innerhalb bestimmter pluralistischer Gruppierungen, zu denen er sich
zählt. Gleichzeitig hat sich die Komplexität der Gesellschaft ausgewirkt auf die religiöse
Erfahrung: Religiosität ist in jedem Fall privater und subjektiver.353 Hier verbindet sich
alsdann diese These mit der in Teilkapitel 3. 3: dass man sich mit seiner
individuellen Glaubensmeinung in der Gesellschaft positionieren kann, wobei die
Zahl der Patchwork-Glaubensbiografien nichtsdestoweniger aber steigt.
In diesem Sinne erscheint mir Zulehners Einteilung verschiedener „Weltanschauungstypen“
unter den Jugendlichen etwas eng kategorisierend. Zulehner charakterisiert sie
folgendermaßen:354 Es gebe
1.
die („Intensiv-) Christen“
2.
die Religionskomponisten, die sich ihre eigene spirituelle Musik komponieren und dabei auf unter
schiedliche spirituelle Stile zurückgreifen,
3.
die naturalistischen Humanisten, die von der Konzentration auf den Menschen und die Natur
geprägt sind
4.
353
354
und die Atheisten, welche ihr Leben ohne Religion bestreiten wollen
Vgl. Pollo (1998), S. 54.
Zulehner (2005a), S. 95.
154
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Zum einen engt diese Rastereinordnung die vielfältigen Möglichkeiten, in denen sich ein
Mensch spirituell entwickeln kann, ein – auch wenn es sicherlich diese einzelnen Typen
nach Zulehner geben mag. Außerdem stellt sich die Frage, inwiefern es sich hier um eine
bewusste Entscheidung seitens des einen oder anderen Jugendlichen zugunsten eines
bestimmten Typus handelt.
Ferner könnte ein genaueres Augenmerk auf die Geschlechterunterschiede von
Interesse sein. Sie ist insofern relevant, als bisherige Jugendstudien einen Unterschied bei
den Zugängen zur Sozialpolitik bei Jungen und Mädchen belegt haben: Mädchen und junge
Frauen wollen in einem „sozial sicheren und harmonischen Gemeinschaftsgefüge leben“
und beteiligen sich überdurchschnittlich an Bürgerinitiativen und neuen sozialen
Bewegungen, stimmen jedoch bei spontanen Initiativen weitaus weniger illegalen
Beteiligungsformen wie Hausbesetzungen oder wilden Streiks zu als ihre männlichen
Altersgenossen.355 Dieses Ergebnis würde gemäß den aufgestellten Parametern von
Religiosität (Wahrnehmung christlicher Werte) nahe legen, dass Mädchen religiöser sind.
Daher müsste eine empirische Analyse zwischen den Geschlechtern unterscheiden, um dies
zu verifizieren.
Ein Grund, warum die Kirchlichkeit allein nur in eingeschränktem Maße Auskunft über die
Religiosität Jugendlicher gibt, ist die Tatsache, dass Jugendliche sich in ihrem Alter beinahe
ausschließlich mit Themen auseinandersetzen, die ihr Leben betreffen: Freundschaft, Liebe,
Sexualität, ihr eigener Körper etc. Dies ist meist gepaart mit der Ablehnung der
Jugendlichen, in ihr Innerstes, ihre Gefühlswelt, blicken zu lassen; oder, wie Lothar Kuld es
ausdrückt: „Die Jugendlichen sind schon irgendwie für Religion, aber nicht für die
Kirche.“356 Die Frage nach dem Gottesdienstbesuch ist zwar relevant, weil er nicht nur ein
institutionalisiertes religiös-kirchliches Verhaltensmuster ist, das sich von religiös-spiritueller
Intention lösen und zur bloßen Routine abgleiten kann.357 Es kann sich dieses
Verhaltensmuster mit religiöser Erfahrung sehr wohl insofern verbinden, als in ihr eine
religiöse Grundhaltung deutlich wird, weil sie das Vorhandensein religiöser Gefühle
voraussetzt.358 Nichtsdestotrotz ist die Gleichsetzung von Religiosität und Kirchlichkeit
infrage zu stellen und umzudrehen, indem wir erforschen, inwiefern Religiosität jenseits von
Kirchlichkeit stattfinden kann – wie es das ja in der Praxis bereits tut.
355
Hurrelmann u. a. (2002), S. 42 f.
Kuld (2001), S. 112, Hervorhebung von mir, S. D.
357
Vgl. Preul (1973) S. 186.
356
155
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
4. 2
Allgemeine Grundlagen der Lebenswirklichkeit heutiger Jugendlicher im
Zusammenhang mit Religiosität
„Die vorherrschende Kultur
versteht sich selbst
unabhängig von Transzendenz.“
Heinz Stratmann359
Das folgende Kapitel befasst sich eingehender mit der Frage, wie eigentlich Jugendliche zu
ihren religiösen Konstruktsystemen kommen. Begonnen wird mit einer Betrachtung der
Einflüsse durch die Umwelt, in der sich Religiosität herausbilden kann, wobei
Überschneidung mit der im Anschluss behandelten Frage nach Aspekten der
Entwicklungspsychologie und inneren Haltungen Jugendlicher auftreten können.
Bezüglich der Einstellung Jugendlicher zur Religion und Spiritualität ist die
kognitive,
affektive
entscheidend.360
Diese
und
psychosoziale
Ganzheitlichkeit
Handlungskompetenz
bezüglich
der
Religiosität
besonders
in
der
Entwicklungsphase Jugendlicher ist von entscheidender Wichtigkeit für die Erstellung einer
Befragung und auch beim Nachdenken über etwaige Konsequenzen aus den Ergebnissen.
Wenn der Glaube oder (Nicht-Glaube) ganzheitlich erfahren wird, muss man ihn auch
ganzheitlich fördern. Höring beschreibt die Entwicklung des religiösen Urteils Jugendlicher
auf Grundlage der Forschung als „Wandel von einem mehr fremdbestimmten zu einem
selbstbestimmten Glauben“361. Dabei ist diese Entwicklungsphase nicht als Krise zu
verstehen, weil die Jugendlichen die sich ihnen stellenden Aufgaben einerseits strategisch
angehen und zum zweiten von Interaktionspartnern wie etwa den Eltern, Schule oder eben
kirchlichen Einrichtungen Unterstützung erfahren können.362
358
Vgl. Schmälzle (1979), S. 45 f.
Stratmann (2001), S. 11.
360
Vgl. Oerter (1984), S. 293-297.
361
Höring (2000), S. 35.
362
Vgl. Höring (2000), S. 36 f.
359
156
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Dabei wird die Identität der Jugendlichen „in einer dialektischen Interaktion gewonnen, in
der persönliche und soziale Identität in größtmöglichen Einklang gebracht werden“.
Endogene Veränderungen der Jugendlichen treten in Konflikt mit ihrer Umwelt, und man
muss als Konsequenz stets die aktuellen sozialen Gegebenheiten berücksichtigen, mit
beziehungsweise in denen Jugendliche leben.363
Außerdem erweist sich laut Höring „Religion als Gabe und Aufgabe zugleich. Einerseits
bietet die Religion im Prozeß der Identitätsbildung Orientierung und Sinnstiftung an,
andererseits muß auch in religiöser Hinsicht eine eigene Identität ausgebildet werden. So
wirkt die Auseinandersetzung mit religiösen Fragen auf den Prozeß der Identitätsbildung
ein wie umgekehrt, wobei sich diese Wechselwirkung als hilfreich wie auch als störend
erweisen kann.“364
Nennen wir diese Ergebnisse nun mit Franz-Xaver Kaufmann einen „Cocktailglauben“, in
dem „aus verschiedenen kollektiven Sinnstrukturen Elemente für das eigene Leben
herausgefischt werden, um sich den eigenen ‚Lebenssinn’ zurechtzuschustern“365?
Jugendliche müssen einen Weg finden, um der extremen Komplexität, die sich
ihnen im Alltag stellt, zu begegnen und Fragen beantwortet zu bekommen. Sie
werden konfrontiert mit ihrer eigenen gewachsenen Verständigkeit, neuen privaten
Erfahrungen, die sie der naiven Kindheit entrücken, sowie neuem (schulischem) Wissen,
etwa auf naturwissenschaftlichen oder politischen Gebieten. Ihr Interessenspektrum
verschiebt sich und sie wollen ihre Autonomie, auch oder gerade gegenüber ihren
Erziehern, vergrößern; und schließlich stürmt die sich immer rasanter verändernde soziale
Wirklichkeit mit ihren Ansprüchen an Mobilität, Leistungsbereitschaft, kultureller Toleranz
und Medienkompetenz auf sie ein. Jugendliche besitzen mehr Wahlmöglichkeiten,
aber auch weniger Übersichtlichkeit in ihrem Leben. Höring formuliert es so, dass es
letztlich die gesellschaftliche Entwicklung der Modernität sei, die Jugendliche dazu bringe,
einen „religiösen Fleckerl-Teppich anzulegen“366. Die Begriffe erinnern freilich an dem
Begriff des „Patchwork-Gläubigen“ (s. Kapitel 3).
Jugendliche sehen sich außerdem zunehmend konfrontiert mit Vorurteilen über ihre
Generation. Bereits die Shell-Studie nennt gängige Klischees gegenüber deutschen
363
Höring (2000), S. 37.
Höring (2000), S. 36.
365
Kaufmann (1988), S. 75-90 bzw. S. 77 f.
366
Höring (2000), S, 57.
364
157
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Jugendlichen: Sie seien angeblich unmotiviert, egoistisch und unpolitisch; man nenne sie
„Null-Bock-Kids“ oder „Spaßgeneration“367. Patrik Höring hat mit einer Berufung auf die
Shell-Studie von 1997 allerdings wahrscheinlich Recht, wenn er die Zielgruppe
„Jugendliche“ als pluralistisch beschreibt.368
Ob dies für Jugendliche Orientierungslosigkeit bedeutet, wird unterschiedlich beurteilt.
Selbstverständlich sieht die katholische Kirche, allen voran Papst Benedikt XVI., in den sich
immer mehr pluralisierenden Denkströmungen eine Gefahr für die Orientierung im
Glauben. Als Kardinal sprach er in seiner Rede zur Eröffnung des Konklaves im Petersdom
im April 2005 von den „Winden der Meinungen“ und „Denkmoden“, die „das kleine Boot
des Denkens vieler Christen“ durchschüttelten: „vom Marxismus in den Liberalismus, bis
zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum radikalen Individualismus; vom Atheismus zu
einem vagen religiösen Mystizismus; vom Agnostizismus zum Synkretismus und so weiter.
Jeden Tag erscheinen neue Sekten“369. Gefährlich hierbei ist aus Ratzingers Sicht die
„Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letzten Maßstab nur
das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt.“ Weiterhin sieht die katholische Kirche,
in Person Papst Benedikt XVI., eine Gefahr für den Glauben durch den
Pluralismus, der auf heutige Menschen einwirkt. So predigte Papst Benedikt im
September 2005: „Es gibt eine Schwerhörigkeit gegenüber Gott, an der wir gerade in dieser
Zeit leiden. Wir können ihn nicht mehr hören, zu viele andere Frequenzen haben wir im
Ohr. Was über Gott gesagt wird, scheint nicht mehr in unserer Zeit passend.370“
Zu einer etwas anderen Sicht der Dinge kommt die gegenwärtige Jugendforschung, wenn sie
sich mit dem viel zitierten Pluralismus der Jugend befasst. Glaubt man ihr, sollte man
vorsichtig sein mit der Annahme, Jugendliche fänden sich innerhalb dieses Pluralismus nicht
zurecht. So befinden etwa Ziebertz, Kalbheim und Riegel:
„Es scheint, dass diese Sorge (dass Jugendliche orientierungslos im Strom der Pluralität
herumirren) durch die Realität nicht gedeckt wird. (…) Auf der einen Seite treffen wir auf eine
Vielfalt jugendlicher Einstellungen, Moden, Musikvorlieben und Verhaltensweisen, auf der
anderen Seite sind diese Stile durch ein nicht geringes Maß an Konformität und
Standardisierung geprägt. (…) Wir haben es mit Pluralität zu tun, und es ist eine Frage der
367
Jugend 2002 / 14. Shell-Jugendstudie (2002), S. 11.
Vgl. Höring (2000), S. 25. Siehe hierzu auch Münchmeier (1997), S. 379-389 (Shell-Studie).
369
Ratzinger (2005), S. 122.
370
Quelle: Predigt Papst Benedikts XVI. im Gottesdienst in München / Deutschland, am 10. 09.
2005, TV-Übertragung ARD.
368
158
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Sichtweise, ob man Pluralität bereits an sich als Indiz für einen ‚Verfallsprozess’ verstehen will.
Pluralität ermöglicht Unterscheidung. Gerade Unterscheidung ist eine zentrale Aktivität der
Jugendphase. Jugendliche setzen sich vor allem ab (…), um sich als ein ‚individuelles Selbst’ zu
erleben. Individualität wird gerade dann erfahren, wenn man sich unterscheidet. Aber es gibt
auch die andere Seite. Durch die Unterscheidung entstehen neue Zugehörigkeiten, etwa
mit denen, die sich ähnlich unterscheiden wollen. So ist erklärbar, dass wir es nicht mit
einer völlig heterogenen Jugendkultur zu tun haben, sondern auf Trends treffen, die
zeigen, wie Jugendliche ihre Individualität in der Pluralität entwickeln, und zwar in
nicht unerheblichem Maße in Referenz zu gesellschaftlichen Institutionen und
Traditionen – und nicht etwa nur gegen sie.“371
Vor diesem Hintergrund sei also nicht mit einer alleinigen Ablehnung Jugendlicher
gegenüber bestimmten institutionellen – und dann auch religiösen - Angeboten – zu
rechnen. Ist die klerikale Sorge also unbegründet? Die Frage, ob man nun dem Papst oder
Jugendforschern glauben möge oder nicht, stellt sich im Kontext dieser Arbeit nur in der
Auswertung konkreter Anhaltspunkte, also der tatsächlich stattfindenden oder abwesenden
i n d i v i d u e l l e n religiösen Bildung, messbar in empirischen Aussagen innerhalb einer
Studie. Im Vorfeld jedoch kann bereits geklärt werden, ob Religion oder auch religiöse
Bildung überhaupt in der Öffentlichkeit stattfindet, was im Folgenden geschieht.
Jugendliche begegnen heute Religiosität in einem widersprüchlichen Kontext, und
zwar in folgendem Sinne: Einerseits ist das Gespräch über Religion enttabuisiert; kaum
jemand hat zumindest in Luxemburg mit Repressalien zu rechnen, wenn er sich im
Unterricht
vom
Fach
Religion
abmeldet
oder
über
seine
Konfession
oder
Konfessionslosigkeit spricht. Andererseits scheint es manchen Jugendlichen zuweilen
beinahe peinlich zu sein, sich zu ihrer Religiosität zu bekennen, etwa, bei den Ministranten
dabei zu sein. Anders als noch vor vierzig Jahren genieren sich Jugendliche heute eher
bezüglich ihrer praktizierten, konfessionalisierten Religiosität als umgekehrt wegen eines
etwaigen Agnostizismus oder Atheismus. Religiosität steht in der öffentlichen Meinung, also
auch in vielen sogenannten Peer-Gruppen der Jugendlichen, im Abseits – muss man sich
also schämen, religiös zu sein? Zu dieser Frage meinen Ziebertz, Kalbheim und Riegel:
„Auch in Fragen der Religion haben wir es mit der Ambivalenz zu tun, dass sie einerseits ein
öffentliches Thema ist, und dass andererseits in religiösen Fragen bedeutsame Gefühle und
Überzeugungen eingelagert sind, die das Innere des Menschen betreffen, und mit dem man sich
nicht ohne Weiteres auf dem Marktplatz des öffentlichen Geschwätzes begibt.“372
371
372
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 24, Hervorhebung von mir, S. D.
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 17.
159
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Die Religionspädagogen sehen hierin durchaus eine Gemeinsamkeit zwischen Religion und
Sexualität, denn beide Themen markierten Bereiche, „in denen Menschen besonders
verletzlich sind, in denen sie ‚bloßgestellt’
werden könnten: körperlich und geistig
beziehungsweise geistlich“373. Entsprechend lässt sich manch barsche Zurückweisung im
RU auf die Frage „Woran glaubst du?“ leichter verstehen und akzeptieren, ja, die Lehrkraft
muss sich überlegen, ob und in welchem Rahmen sich die Frage innerhalb des Unterrichts
überhaupt stellen lässt.
Die Herausbildung einer öffentlichen oder auch sozial beziehungsweise gemeinschaftlich
angebundenen religiösen Identität wird erschwert oder gar ausgeschlossen durch das
Merkmal der Privatheit heutiger Religiosität. Dies stellt neben Flaspöhler, Pfarrer in
einer Großstadtgemeinde in Frankfurt am Main, der von einem „stark individualisierten,
privatisierten Religionsverständnis“ spricht,374 auch Meike Sophia Baader, Professorin für
Allgemeine Pädagogik an der Universität Hildesheim fest: „Was man glaubt, fragt man
heute nicht mehr. Die Frage gilt als peinliches Eindringen in die Intimsphäre und
damit als tabu. Das liegt auch an der Vielfalt der Überzeugungen und an ihrer
Einordnung als private Angelegenheit.“375 Baader zeigt, mit Bezug auf den Soziologen
Luckmann, auf, wie in den westlichen Gesellschaften Religion keineswegs bedeutungslos
geworden sein, jedoch ihre Formen gewandelt habe: Sie sei im Gegensatz zu der Zeit vor
dem 20. Jahrhundert mit einem relativ geschlossenen Glaubenssystem individuell,
privatisiert, synkretistisch und konsumorientiert geworden, sodass man sich „diejenigen
Ideen aus dem ‚Warenlager der letzten Bedeutungen’ sucht, die einen ansprechen. Sie sind
nicht mehr an die Institution gebunden.“376 Diese Tatsache, so Baader, erschwere es auch,
eine allgemeine Sprache über Glauben zu finden.
Relevant in diesem Zusammenhang mag auch die Suche danach sein, wo und in welchem
Kontext Religion in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit stattfindet. Jugendliche nehmen
Religiöses so an, wie es ihnen dargeboten wird, und zwar zunächst wertfrei, denn ihnen
373
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003) S. 17.
Elschenbroich (2001), S. 137.
375
Baader (2005), S. 12.
376
Baader (2005), S. 13.
374
160
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
fehlt ein Referenzsystem, das ihnen sagen würde, dass anders als heute377 noch etwa vor
dreißig Jahren der sonntägliche Kirchgang selbstverständlich war. Außerdem bewegen sich
religiöse Themen beispielsweise in der Medienwelt in einer bestimmten Nische. In den
gängigen Jugendzeitschriften wie Bravo fällt ein solches Ressort unter die Abteilung
„Horoskope“ oder ab und zu Berichten über Jugendsekten oder spirituellen Praktiken wie
Gläserrücken oder Pendeln. Es scheint, als ob explizit mit Gott verbundene Religiosität
oder überhaupt die Frage nach den letzten Dingen nicht thematisierbar ist, auch wenn sie
die Jugendlichen interessieren mag. Hingegen haben im Fernsehen sogenannte MysterySerien aus dem amerikanischen Raum Hochkonjunktur: Faktor X oder Charmed sind nur
einige Beispiele der in Luxemburg zu empfangenen französischen oder deutschen
Sendungen. In den Serien dreht es sich immer wieder um die parapsychologische
Phänomene, die nach ihrem potenziellen Wahrheitsgehalt hinterfragt werden, oder auch um
den „verhexten“ Alltag. In diesem Kontext erscheint das Übernatürliche als
„gesellschaftsfähig“, in Jugendsprache: „cool“, anders als die Frage nach Gott jedenfalls
nicht peinlich. Auf dieses Phänomen soll in Kapitel fünf noch einmal näher eingegangen
werden.
Auch wenn die Kirchlichkeit Jugendlicher insgesamt rückläufig zu sein scheint, sind
religiöse Themen gesellschaftlich nicht völlig ausgeblendet, im Gegenteil. Auf dem
Medienmarkt finden Bücher wie Filme mit religiösen Themen zum Teil reißenden Absatz –
solange sie kritisch genug sind. So erzielten pseudo-historische Romane wie Ein Mensch
namens Jesus oder Die Päpstin oder auch Dan Browns Thriller Sakrileg (Originaltitel: The Da
Vinci Code) und Illuminati (Originaltitel: Angels and Demons) Höchstauflagen und standen
wochenlang auf Bestsellerlisten der Verlage. Ebenso erwiesen sich die folgenden KinoVerfilmungen von The Da Vinci Code im Jahr 2006 sowie Illuminati 2009 als wahre
Publikumsmagnete, was sicher nicht zuletzt an seiner Starbesetzung mit HollywoodSchauspieler Tom Hanks und an der Tatsache lag, dass es sich um spannende
Kriminalgeschichten handelte. Der Erfolg dieser Romane und Filme beruht vermutlich aber
auch darauf, dass sie einen Anlass lieferten, über Kirche, Vatikan und Bibelauslegung
kontrovers zu diskutieren und sie (teilweise heftig) zu kritisieren. Die meist oberflächliche
öffentliche Meinung, insbesondere bei Schülern, kam rasch zu dem Schluss: „Das haben wir
uns ja schon immer gedacht – alles (!) gelogen / Betrug am Werk“. Das Problem liegt darin,
377
So beschreiben Ziebertz, Kalbheim und Riegel: „Sie wachsen unter Bedingungen auf, in denen
es eher selbstverständlich ist, dass die Nachbarn am Sonntagmorgen zwar auch ihr Auto an
der Kirche parken, dann aber auf die Joggingstrecke gehen.“ Dies. (2003), S. 28.
161
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
dass weder in der (kritischen) Presse noch bei der öffentlichen Meinung insgesamt nach der
tieferen religiösen Dimension gesucht wird, die ja durchaus etwa bei The Da Vinci Code
vorhanden ist. So geht es dem Schriftsteller Dan Brown in erster Linie nicht darum, Kirche
und Glauben zu verunglimpfen. Vielmehr hat er einen Flickenteppich aus teils fiktiven und
teils historisch umstrittenen Wahrheiten zu einem Kriminalroman zusammengewebt, dessen
Wahrheitsgehalt bedauerlicherweise im Dunkeln bleibt.
Immerhin liefert Dan Browns The Da Vinci Code auch Anstöße für eine positive
Glaubensauslegung, etwa bezüglich der Menschlichkeit in der Botschaft von Jesus Christus,
so zum Beispiel in der Argumentation der Hauptfigur Richard Langdon, wenn er sagt:
„I’m a historian and I’m opposed to the destruction of documents. And I would love to see
religious scholars have more information to ponder the exceptional life of Jesus Christ. (…)
The Bible represents a fundamental guidepost for millions of people on the planet, in
much the same way the Koran, Torah and Pali Canon offer guidance to people of other
religions. If you and I could dig up documentation that contradicted the holy stories of Islamic
belief, Judaic belief, Buddhist belief, pagan belief, should we do that? Should we wave a flag
and tell the Buddhists that we have proof the Buddha did not come from a lotus blossom? Or
that Jesus was not born of a literal virgin birth? Those who truly understand their faiths
understand the stories are metaphorical.“378
Auch wenn katholische Exegeten einer Ausschließlichkeit metaphorischer Bibelauslegung
heftig widersprechen würden, muss man Dan Brown jedoch zugestehen, dass die
Romanfigur Richard Langdon als Meinungsbilder durchaus nicht religionskritisch im harten
Sinne funktioniert. Sie schließt sich lediglich der Ansicht an, die partiell sogar von einigen
Theologen wie beispielsweise Eugen Drewermann vertreten wird. Eigentliches Ziel des
Romans – wie auch bei Illuminati - ist die Schilderung einer kriminellen Struktur im Setting
der katholischen Kirche, was ebenso viel oder auch wenig mit der Realität in Verbindung
gebracht werden kann wie das Drehbuch jedes Tatort-Krimis, das sich im Bereich von
Schule, Behörden oder Ähnlichem abspielt. Aber auf dies ist bisher wenig bis gar nicht
hingewiesen worden, was m. E. damit zu tun hat, dass sich einerseits Vertreter der Kirche
zu sehr in der Glaubenswahrheit verletzt fühlten und andererseits die kirchenkritische
öffentliche Meinung sich nicht objektiv genug mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Als
Konsequenz
steht
daher
die
Forderung nach
einer
angemessenen
Wahrnehmung und Behandlung solcher medialer religiöser Angebote als
378
Dan Brown: The Da Vinci Code. London 2003, S. 451f. Hervorhebungen von mir, S. D.
162
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Bildungsgerechtigkeit. Bemüht sich die Jugendpastoral Luxemburgs um ein an den
Jugendlichen orientiertes religiöses Programm und überarbeiten der Vorstand der
Religionslehrer und die Programmkommission ständig die Richtlinien und Inhalte des RUs
mit der Zielsetzung einer umfassenden und tiefgründigen religiösen Bildung, stehen die
Jugendlichen doch immer noch insgesamt in einer Welt, in der es an religiöser Bildung
im kulturellen Sinne fehlt. Ähnlich äußerte sich bereits 2006 auch der Journalist Léon
Zeches in Luxemburgs größter deutschsprachiger Tageszeitung, dem Wort:
„Bildung allgemein, besonders aber religiöse Bildung tut not. Der Kulturbeauftragte des
Vatikans, Kardinal Paul Poupard, hat in Bezug auf den Da Vinci-Rummel den ‚analphabétisme
religieux’ bedauert und die Katholiken dazu aufgefordert, gegen die religiöse Intoleranz
anzukämpfen. (…) Die universal sich ausbreitende Desinformation in den Medien besonders in
religiösen und kirchlichen Fragen geht zu einem großen Teil auf den religiösen und
geschichtlichen Bildungsnotstand zurück. Wenn dieser von der gesamten Gesellschaft ernst zu
nehmenden Karenz nach und nach mit Hilfe auch der Kultur und Schulpolitik gegengesteuert
wird – denn Religion geht uns alle an, wie aktuelle Auswüchse und Fanatismus zeigen -, dann
schwinden nicht nur Vorurteile und Hass, sondern auch bewusste Desorientierung durch
Machwerke wie der ‚Da Vinci Code’ (…).“379
Jugendliche müssten demnach an das Bildungsangebot bewusster herangeführt werden.
Bisher noch aber konsumieren Jugendliche religiöse Facetten innerhalb ihrer medialen
Alltagswelt relativ unkritisch, wenn auch durchaus interessiert.
Bezüglich unserer westlichen Forschungswelt sei nochmals auf das Wertsystem
aufmerksam gemacht, in dem Jugendliche aufwachsen und das direkt oder auch indirekt im
Zusammenhang mit der Herausbildung eines religiösen Konstruktsystems steht, in das
religiöse Werte (im Sinne des Huberschen Ansatzes von Religiosität) verankert werden. Das
Wertsystem, von dem hier die Rede ist, ist nicht nur abhängig von der finanziellen
Ausstattung der Gesellschaft, sondern auch von ihrem Tempo und ihrer Laufrichtung.
Neben Konsumismus erscheint eine gesellschaftliche Analyse Zulehners als für unsere
Zwecke nützlich:
„Verunsichert durch die Beliebigkeit und Vielfalt moderner Kulturen suchen nicht wenige
für ihr Leben Strenge und Struktur; und das in Gruppen als auch bei begabten spirituellen
Meistern; bedrängt durch die zunehmend ‚Kultur der Hinrichtung’, die angesichts der
Verknappung viele Lebensbereiche erfasst hat, suchen manche Gemeinschaften eine Ethik
der Liebe; aus dem Verdacht, dass die alte Welt, ihre Art zu wirtschaften und zu leben, nicht
von Dauer sein kann, wünschen nicht wenige eine neue Welt herbei und fühlen sich selbst, als
Einzelne oder in ihrem Gemeinschaften, als eine Avantgarde einer solchen heraufkommenden
379
Zeches (2006a), S. 3.
163
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Welt; diese wird die alte untergehende Welt ersetzen oder in einem tief greifenden
Umwandlungsprozess aus dieser hervorgehen.“380
In der Tradition der antiautoritären Erziehung herrscht in Elternhäusern und Schulen in
den seltensten Fällen noch ein Regime von absoluter Autorität und Zwang; „Zucht und
Ordnung“ sind vielfach eher verpönte denn erwünschte Tugenden. Gefördert werden
beispielsweise eher Teamfähigkeit und eigenständiges, kritisch-reflektiertes Denken. Dies
hat aber nicht nur Vorteile. So schränken Ziebertz, Kalbheim und Riegel ein: „Die
Kehrseite ist, dass Jugendliche nicht ohne weiteres auf eine feste Tradition zurückgreifen
können, von der sie annehmen dürfen, dass diese mittelfristig tragfähig und allgemein gültig
ist.“381 Es scheint also einiges dafür zu sprechen, dass die derzeitigen Lebensumstände eine
spirituelle Suche nicht unbedingt erschweren, sondern sogar eher zu ihr e r m u t i g e n , weil
sich nirgends sonst ein menschliches Refugium anbietet.
Ein Schlagwort, dem sich Heranwachsende heute gegenübersehen, und das in den Kapiteln
3. 1. 1, 3. 1. 2 und 3. 1. 3 anklang, ist der Sozialdarwinismus: Nur der Stärkste kommt
durch.
Bedeutet
diese
gesellschaftliche
Herausforderung
jedoch
bezüglich
des
Wertekonstrukts der Jugendlichen ein Hervorbringen von Egoismus? Neuste Ergebnisse
der Shell-Jugendstudien von 2000 und 2002 belegen, dass Loyalität und Verlässlichkeit statt
Ellenbogenmentalität hoch im Kurs stehen. Auch wenn Werte wie „Individuelle
Selbstständigkeit“ und „sich durchsetzen können“ scheinbar eine hohe gesellschaftliche
Wertschätzung erfahren, zeigt sich im Blick auf Jugendliche aber, dass sie in menschlichen
Tugenden wie Vertrauenswürdigkeit, Authentizität, Solidarität und Glaubwürdigkeit
wichtige menschliche Tugenden sehen.382
Last, but not least muss bezüglich der Kirchenferne gesagt werden, dass der Alltag der
Kinder sie zu wenig auf das vorbereitet, was im Gottesdienst geschieht. So zumindest
beschreibt es auch Reinhold Flaspöhler.383 Da ist zum einen die Schwierigkeit, religiöses
Brauchtum am Leben zu erhalten. In Luxemburg werden religiöse Feste mit besonderen
Sitten wie etwa das Dreikönig-Singen oder auch das Maria-Lichtmess-Fest am ersten
Februar mit selbst gebastelten Laternen und die mit Gesang begleiteten Umzüge der
Kindergruppen von Haus zu Haus zumindest von den Grundschulkatechetinnen noch
380
Zulehner (2005) (2), S. 101.
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 23 f.
382
Vgl. Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 24.
383
Elschenbroich (2001), S. 136 f.
381
164
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
unterstützt. Solches Bemühen befürwortet auch Flaspöhler, beschwört er doch den Erhalt
seit langer Zeit kulturell verankerter religiöser Festrituale. Diese gehen zumindest
innerhalb eines städtischen Umfelds leicht verloren, was bedauerlich ist, da sie Kindern über
die affektive Schiene, die bei jeglichem Lernen wichtig ist, einen religiösen Zugang
verschaffen: „Kinder haben aber den Wunsch nach Brauchtum, nach Wiederkehrendem, sie
sind oft die größten Traditionalisten. (…) Wiederkehrende gemeinsame Gewohnheiten
aufzubauen, das ist natürlich in einer Großstadt sehr schwer.“384
Flaspöhler nennt als ein weiteres Beispiel den „Wochenendtourismus“, der auch in
Luxemburgs Hauptstadt sehr verbreitet ist. Es ist für nicht wenige Kinder schwer oder gar
unmöglich, am Wochenende die Kirche zu besuchen, wenn die Eltern mit ihnen in ein
Häuschen fahren oder die Kinder geschiedener Eltern zu den Vätern oder Müttern gehen.
So gelingt es kaum, in einen sonntäglichen Rhythmus hineinzukommen, zu dem ein
Gottesdienst gehört. Außerdem ist es nicht leicht, sich vom Zuhause loszureißen, wenn
bedingt durch die heutigen beruflichen wie auch ökonomischen Anforderungen beide
Lebenspartner arbeiten, und sie dann die wenige Zeit des Wochenendes, etwa das
gemütliche lange Frühstück am Sonntagmorgen oder selbst den samstäglichen
Einkaufsbummel am Nachmittag zugunsten des Gottesdienstes verkürzen sollen. Dies sind
Umstände, die sicherlich zumindest auf bestimmte Regionen wie die Hauptstadt
Luxemburgs zutreffen und klaren Einfluss auf Religiosität haben. Dieses Beispiel des
sonntäglichen Kirchgangs, der durch Freizeitverhalten konterkariert wird, zeigt, dass
kirchliche Praxis Jugendlicher vielfach nicht mehr durch Außenfaktoren gestützt
wird. Diese Feststellungen begründen für einen empirischen Fragebogen unbedingt die
Differenzierung zwischen Religiosität städtischer Kinder und denen aus ländlichen
Gebieten.
Entsprechend muss die Empirie mit der Beurteilung von Religiosität seitens der
Jugendlichen vorsichtig sein. Werden Heranwachsende nach Religiosität befragt, schalten
sich sogleich alle möglichen hier beispielhaft beschriebenen Kontexte und Konnotationen in
die Antworten.
Im Zusammenhang mit einer empirischen Untersuchung von
Jugendreligiosität sind solche Gedanken nicht unerheblich, denn sobald man in seiner
Befragung jenseits der Oberfläche kratzen und verstehen möchte, was Religiosität genau
auszeichnet, kann man dieses Tabu nicht mehr umgehen. Jedes tiefgehendere Interesse an
der Frage ist in jedem Fall abhängig von der Einwilligung der Befragten selbst. Die Chancen
384
Elschenbroich (2001), S. 136.
165
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
einer authentischen Aussage stehen bei einer anonymen Befragung sicher höher als bei
einem persönlichen Interview. Jedoch kann man bei Letzterem sicherlich mehr in die Tiefe
gehen.385
4. 3
Die Rolle der Familie bezüglich religiöser Subjektwerdung
„Wir erzeugen die Welt, in der wir leben, indem wir sie leben.“
Umberto R. Maturana
4. 3. 1
Die Definition von Familie – Eine Neuorientierung
Zunächst soll erläutert werden, was die vorliegende Arbeit unter „Familie“ versteht.
Angesichts der steigenden Anzahl von „Patchwork-Familien“ kann der Begriff keineswegs
allein aus der Ehe abgeleitet werden, wozu die Theologen gerne neigen.386 Es muss ein
offener Familienbegriff verwandt werden, wie ihn die Sozialwissenschaft kennt. Hier gibt es
zahlreiche, sehr unterschiedliche Begriffsbestimmungen von Familie, und deshalb empfiehlt
es sich, die Definition „an dem Anliegen des jeweiligen Untersuchungsauftrags zu
orientieren“387. In diesem Sinne passen Definitionen wie etwa die von Höffner nicht, wenn
er definiert
„Die Familie ist die aus der Ehe, über die Gott seinen Fruchtbarkeitssegen ausgegossen hat,
sich entfaltende natürliche Lebensgemeinschaft der Eltern mit ihren Kindern und zugleich die
Zelle der menschlichen Gemeinschaft.“388
Diese Definition geht konform mit dem Synodenbeschluss zu Ehe und Familie389, ignoriert
jedoch die Tatsache, dass eine zunehmende Anzahl von Paaren sich nicht mehr unbedingt
für ein oder mehrere Kinder entscheidet, sich aber nicht der Bezeichnung von „familiärer
Lebensgemeinschaft“ entziehen wolle. Auch enthält sie nicht diejenigen, die in einer
alternativen familienähnlichen Situation leben, wie etwa Familien mit nur einem Elternteil,
gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften etc. Man benötigt einen sehr reduzierten
385
So meinen Ziebertz, Kalbheim und Riegel, Religiosität lasse sich nicht „in einem
Telefoninterview durchführen, so wie man Konsuminteressen erfragt. Religiosität ist ein
besonderes Thema.“ Dies. (2003), S. 18.
386
Vgl. diese Feststellung bei Schmälzle (1979), S. 72.
387
Bundesministerium für Familie und Senioren (1994), S. 23.
388
Höffner (1977), S. 102.
389
„Christliche Ehe drängt auf Ausweitung in der Familie“, Synodenbeschluß „Ehe und Familie“
(1991), 2.1.1.
166
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Begriff von Familie mit möglichst wenigen Anforderungen an die „Teilnehmer“. Diese
Definition ist den heutigen Lebensverhältnissen also nicht (mehr) angepasst.
Geeigneter scheint die Grunddefinition von Udo Schmälzle. Er definiert Familie im
Anschluss an R. König als
„Gemeinschaft von Eltern und Kindern, deren Zusammenleben und Beziehung durch
Intimität, Kooperation und gegenseitige Hilfe gekennzeichnet ist.“390
Auch Martin Schomaker hat setzt ähnliche Grundvoraussetzungen an den Familienbegriff,
jedoch mit einer anderen Akzentuierung:
„Unter Familie wird verstanden: eine Lebensgemeinschaft, die aus Erwachsenen und
Heranwachsenden besteht und dadurch geprägt ist, dass die oder der Erwachsene(n) für
den oder die Heranwachsende(n) aufgrund von Abstammung oder aufgrund rechtlicher
Regelung Ersterziehungsverantwortung übernimmt bzw. übernehmen.“391
Die Definitionen lassen beide zu, dass Eltern sich nicht mehr immer für die Ehe als
Grundlage ihres Zusammenlebens entscheiden, also eine Heirat ablehnen oder auch sich
trennen beziehungsweise scheiden lassen. Sie leben nicht immer in räumlicher
Gemeinschaft miteinander, kümmern sich aber doch um ihre Kinder. Auch
gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind eingeschlossen.
Der Unterschied zu Schmälzles Definition besteht darin, dass bei Schomaker die emotionale
Fürsorge der Eltern für ihre Kinder zunächst ausgeklammert oder zumindest nicht
ausdrücklich erforderlich ist. Sind diese Qualitäten innerhalb einer Familie in jedem Fall
wünschenswert, kann unter den gesellschaftlichen Gegebenheiten jedoch leider nicht immer
davon ausgegangen werden, dass sich diese Prinzipien in den Lebensgemeinschaften
wiederfinden. Traurigerweise muss von einer sich in den letzten Jahren verdichtenden
Realität der sozialen Vernachlässigung von Kindern seitens mancher Eltern ausgegangen
werden, die schwer in blanken Zahlen belegbar ist. Bei Schomaker sind die Komponenten
„Lebensgemeinschaft zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden“ (Schomaker) sehr
offen gehalten erstens in ihrer rechtlichen Beziehung (biologisch usw.) und zweitens in ihrer
390
391
Schmälzle (1979), S. 72.
Schomaker (2002), S. 25.
167
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
konkreten
lebenswirklichen
Gestaltung.
Schomaker
entwickelt
bewusst
einen
Familienbegriff, der erlaubt, „die Pluralität der Primärbeziehungen, in denen Kinder und
Jugendliche leben, umfassend zu beschreiben“ statt einen „von der Ehe her“ konzipierten
Familienbegriff“392 zu entwerfen. In unserem Kontext und vor allem angesichts der
dargestellten Statistiken zu aktuellen Familienkonstellationen in Luxemburg ist bezüglich
der Familien wahrscheinlich mal die eine, mal die andere Definition gültig.
4. 3. 2
Familienreligiosität als zentrale Prägungsstätte für religiöse Sozialisierung
Katechetische Blätter 5 (2006), S. 336.
Wird das heranwachsende Kind noch stark von der Einstellung und dem Verhalten der
Eltern geprägt, geschieht im Jugendalter in unserem Kulturbereich eine starke Ablösung
von der ursprünglichen Familie beziehungsweise den Autoritätspersonen. Was jedoch
bleibt, sind die entscheidenden frühkindlichen Prägungen, mit denen die Welt
wahrgenommen wurde. Genauer gesagt: Ob und wie Religiosität erlernt oder angenommen
wurde, hängt von der vorangegangenen frühkindlichen Lebensphase ab. Wovon und wie
das Kind bezüglich einer Religiositätsherausbildung insgesamt motiviert wird, ist nicht ganz
geklärt. Der Schweizer Entwicklungspsychologe Fritz Oser, der den Vorstellungen
392
Schomaker (2002), S. 25.
168
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
nachspürt, wie in Kindern religiöse Bilder entstehen, ist der Überzeugung - und macht dies
an einigen Beispielen anschaulich -, dass sich das Kind seine Welt und eben auch die
Religion auf seiner jeweiligen Stufe konstruiert.393
Jedoch bleibt so immer noch offen, was über das autonome Konstruieren seitens des
Kindes weiterer Nährboden für die Religiosität des Kindes ist. Die Bildung religiöser
Einstellungen, Normen und Werte kann beeinflusst werden durch Vorbilder, bestätigt
werden durch die Peer-Gruppe, zumindest aber noch in der ersten Zeit in und nach der
Pubertät auch durch Einflüsse von Elternhaus und Schule. Weiterer Einfluss kann Medien
wie dem Fernsehen zugesprochen werden. Welche Bedeutung hat also die Familie in
religiösen Lernprozessen? Was leistet die religiöse Lebenswelt der Familie gegenüber
anderen Lebenswelten?
Bezüglich der Rolle der Eltern in Bezug auf Religiosität hat sich noch keine
Forschungsmeinung wirklich durchgesetzt. Die religionssoziologische Forschung einigt sich
jedoch vermehrt darauf, dass die e n t s c h e i d e n d e Rolle hierbei weniger der Schule,
sondern
der
Familie
zukommt.
So
beschrieb
Vascovics
neben
weiteren
Sozialwissenschaftlern bereits 1974, dass es die Familie sei, die den Zugang der Kinder zur
Kirche ermögliche beziehungsweise bestimme.394 Auch die Vermittlung des religiöskirchlichen Wertsystems sei eine Leistung der Eltern.395 Wenn diese jedoch kein Mitglied
(weder passiv noch aktiv) der Kirche sind, ist nicht verwunderlich, wenn den Kindern ein
Zugang zur Kirche verwehrt bleibt. Die Familie nimmt eine zentrale Stellung bei der
Entwicklung
einer
grundlegenden
Wertorientierung
und
katechetischen
Lernprozessen ein. Folglich kann die Schule nur einen Teil der Erziehung zur Religiosität
leisten – eine wichtige Verantwortung liegt beim Elternhaus selbst.
In ähnliche Richtung forschen unter anderem auch Martin Schomaker, der die Bedeutung
von Familie in katechetischen Lernprozessen beschrieben hat, sowie Christoph
Morgenthaler, der sich mit der transgenerationalen Entwicklung von Gotteskonstrukten in
Abhängigkeit von Familienkonstellationen befasst.396 Letzterer erklärt den Trend der sich
auflösenden Familienstrukturen unter anderem mit dem Plausibilitätsverlust kirchlicher
Leitvorstellungen wie etwa der „Heiligen Familie“. Das hier implizierte Bild von Ehe wird
393
Siehe hierzu die Darstellung von Osers Ausführungen bei Elschenbroich (2001), S. 131-33.
Vascovics: „Die Kirchenzugehörigkeit der Eltern bestimmt weitgehend die
Kirchenzugehörigkeit ihrer Kinder.“ Ders. (1974) S. 75.
395
Vgl. Vascovics (1974) S. 77.
394
169
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
von vielen Menschen nur noch als eine Option unter anderen gesehen.397 Dennoch besteht
auch Morgenthaler darauf: „Familie ist jener Bereich der Öffentlichkeit, in den religiöse
Normen und Religiosität überhaupt eindringen können (im Gegensatz zu Wissenschaft und
Wirtschaft), zwar punktuell und situativ, aber doch nicht unwesentlich.“398
Die Tatsache der sinkenden Anzahl der Mehrgenerationen-Haushalte in
Luxemburg begründet die Annahme, dass religiöse Lernprozesse innerhalb der
Familien in Luxemburg weiter abnehmen. Die Funktion, die die gläubigen Großeltern
mit ihrer spezifischen Art der Kommunikation, mit Erzählungen von früheren Zeiten, mit
dem Aufrechterhalten von Ritualen und Sitten innerhalb der häuslichen Strukturen
bezüglich religiöser Frühbildung erfüllten, kann keine Nanny der Welt ersetzen. Außerdem
muss man sich bei der Vielzahl der Möglichkeiten, eine familiäre Gemeinschaft zu bilden
beziehungsweise als solche zu gelten, doch fragen: Welche Erziehungsziele können diese
pluralen Konstellationen in allgemeiner wie religiöser Hinsicht überhaupt noch verfolgen?
Schmälzle beschreibt, dass die Familie trotz aller „Pluralität von Lebensweisen und
Handlungsformen, von Denkkonzepten und Orientierungssystemen“399 als Konzept noch
nicht untergegangen sei. Die Familie stifte „als Primärgruppe den Kommunikationsraum
(…), in dem sich das Kind seiner Gefühle bewusst wird und die von anderen respektieren
lernt, Vertrauen in das Leben gewinnt, Begriffe bildet, in dem sich also die elementare
Konstruktion von Wirklichkeit abspielt.“400 Schmälzle argumentiert mit Karsten und Otto,
dass in Zeiten immer beliebiger werdender Wert- und Erziehungskonzepte die
Familie der „zentrale gesellschaftliche Bereich“401 werde und – auch in religiöser
Hinsicht - wichtigste Sozialisationsagentur402 gegenüber Schule und Kirchengemeinde sei,
weil sich hier entscheide, ob sich die „Entwicklungslinie der Moderne“ mit ihren Ideen von
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durchsetzen könne. Von der Werbung seien
familiäre Leitbilder mit ihrem „erkenntnis- und handlungsleitendem Potential“, so
beschreibt es Schmälzle, längst erkannt worden.403
396
Siehe Morgenthaler (2002a) und (2002b).
Vgl. Morgenthaler (20002b), S. 48.
398
Morgenthaler (2002b), S. 49.
399
Welsch (1987), S. 5, zitiert nach Schmälzle (1995), S. 370 f.
400
Schmälzle (1995), S. 371.
401
Karsten / Otto (1990), S. 166, zitiert nach Schmälzle (1995), S. 371.
402
Vgl. Schmälzle (1995), S. 371.
403
Vgl. Schmälzle (1995), S. 371.
397
170
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Kinder und Jugendliche entdecken religiösen Sinn nicht in sonntäglichen Lernstunden,
sondern im gelebten Alltag innerhalb ihrer Familie. Die scheinbar banalsten, alltäglichsten
Dinge können mit entsprechendem Umgang durch Mutter oder Vater einen tieferen Sinn
geben. Der familiäre Alltag ist voller religiöser Anlässe: trösten, sich umeinander sorgen,
sich ernähren und kleiden, wärmen – sprich: die Grundbedürfnisse stillen, sich vertrauen,
sich fallen lassen, auch im Kummer, etwas teilen, sich übereinander freuen, sich versöhnen,
sich vermissen… die vielfältigsten Formen des Mit-Menschseins finden, zumindest bei
Kindern, in der Familie statt. 404 Im ähnlichen Sinne beschreibt es auch Lothar Kuld: „Der
Rahmen, in dem ein Kleinkind Religion erlebt, ist die Familie, eine physisch erfahrbare
Gemeinschaft, die einen verlässlichen Rahmen bildet, in dem das Kind alles findet, was es
zum Leben braucht.“405 Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Erkenntnisse
von Eckart Liebau beziehungsweise Anja Tervooren,406 die herausgestellt haben, wie wichtig
im religiösen Bereich das Erlernen körperlicher Praktiken wie das sich Bekreuzigen,
Niederknien oder Händefalten ist, denn der Körper zeigt, woran man glaubt. Viele
Fertigkeiten und Umgangsformen werden Kindern sehr früh beigebracht. Die Handlungen,
die das Kind von seiner Umwelt übernimmt, schreiben sich mit nachhaltiger Wirkung in
seinen Körper ein. Anja Tervooren hat am Beispiel der Konfirmation gezeigt, wie zentral
die Bedeutung der körperlich-leiblichen Praktiken ist.407 Erleben Kinder dies nicht
modellhaft in der Familie, wird eine Annäherung an äußerliche wie innerliche religiöse
Haltungen im buchstäblichen Sinne deutlich schwerer. In diesem Sinne sind familiäre
Ausdrucksformen etwas tief Heiliges.
Die Erfahrung des Heiligen tröstet Menschen über ihre Vereinzelung hinweg. Der
Jugendliche fühlt sich geborgen und empfindet sich und sein Leben eingebettet in der
Gemeinschaft, und diese Erfahrung ist „umso nachhaltiger, als über den geschichtlichen
Charakter der Rituale eine Verbindung zur Transzendenz hergestellt wird und der
Einzelne sein Leben in einer von Gott geordneten Generationsfolge erfährt.“408 Wenn
Familienfeste wie etwa Weihnachten nicht mehr gemeinsam gefeiert werden, kann sich diese
Erfahrung von Heiligkeit auch nicht auf das Familiäre übertragen. So beschreibt Wulf,
404
Ein Kind lernt in und mit der Familie auch emotionale Tiefgründigkeiten des Alltags, etwa
wenn man gemeinsam mit dem Kind morgens die Kissen ausschüttelt und dem Kind erklärt,
wie dankbar wir für guten Schlaf sein können oder beim Schälen eines Apfels, wenn man die
besondere Beschaffenheit des Apfels beschreibt und das Kind lehrt, die Frucht zu genießen.
Siehe hierzu auch Merz (2004).
405
Kuld (2001), S. 100.
406
Liebau (2005), S. 38.
407
Tervooren (2004), S. 173-210.
408
Wulf (2005), S. 27.
171
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
dass während solcher Feste das Heilige nicht auf die Liturgie beschränkt ist, sondern auch
auf das Geschehen in den Familien übertragen wird: „Mithilfe bestimmter Zeichen zieht das
Heilige in die Familie ein. Zu diesen gehören z. B. der geschmückte Weihnachtsbaum und
die
unter
ihm
liegenden
Geschenke.
(…).
Das
gemeinsame
Essen,
die
Weihnachtslieder, der Geschenkeaustausch fördern die Entstehung der sakralen
Atmosphäre des Festes, das als ein Höhepunkt familiären Lebens erfahren wird.
Nach dem Modell der „heiligen Familie“ ist die Familie an diesem Tag vereint und erfährt
sich als zentralen Ort in der Moderne“409. Sind die familiären Verhältnisse brüchig, und
können solche Rituale nicht mehr klassisch stattfinden, kann der materielle
Wohlstand
Luxemburgs
diese
Leere
allenfalls
übertünchen,
nicht
aber
kompensieren. Das heißt, wenn also Jugendliche sich insbesondere angesichts sich
auflösender Familienstrukturen zunehmend von ihrem Elternhaus entfernen, werden sie
empfänglich für Eventkultur, wie sie im Teilkapitel 2. 4. 3 beschrieben worden ist.
Tugenden sollten in der Familie gebildet werden, religiöse Sozialisation in den Familien
stattfinden, aber tun sie das auch? Das können nur Forschungen beantworten, die Familie
als Ort religiöser Bildung begreifen. In einer solchen Umfrage müssten auch die
Eltern mit einbezogen und nach ihrer religiösen Erziehungspraxis befragt werden.
So könnte sekundär eine Relation zu Jugendlichen Aussagen beziehungsweise
Deutungsmustern über und von Religiosität hergestellt werden. Gerade in der (früh-)
kindlichen und damit auch frühreligiösen Entwicklung ist die Rolle der Eltern besonders
wichtig: So zeigt Bertram mittels verschiedener Untersuchungen auf, dass Prognosen zur
Veränderung des sozialen Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen deshalb wenig
erfolgreich seien, weil die „Komplexität des sozialen Sozialisationsgeschehens“ dies nicht
zuließe.410 Schomaker fasst Bertrams Erkenntnis zusammen, dass es nicht ausreiche, den
Eltern Wissen zu vermitteln, „vielmehr ist bei dem Verhalten der Eltern selbst anzusetzen,
auch wenn die elterlichen Verhaltensdispositionen Ausdruck einer Sozialisationsgeschichte
sind.“411 Außerdem könnte man die Jugendlichen über ihre Zufriedenheit mit der Erziehung
seitens der Eltern und Schule befragen, um herauszufinden, ob beispielsweise bestimmte
Einstellung als Antihaltung gegenüber den erzieherischen Institutionen zu werten sind.412
409
Wulf (2005), S. 27.
Vgl. Bertram (1978), S. 145.
411
Schomaker (2002), S. 69.
412
Siehe hier etwa die Feststellung der Shell-Jugendstudie bezüglich der Bewertung von
Demokratie: „Je größer die Distanz zum eigenen Elternhaus, gemessen an einer ablehnenden
Haltung gegenüber dem elterlichen Erziehungsstil, desto wahrscheinlicher ist es, zu
410
172
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Man müsste außerdem im Zusammenhang mit nachhaltiger Wertebildung in den
Familien unbedingt die Elternbildung stärker in den Vordergrund holen. Diesen
Ansatz vertritt auch Schmälzle, der bei der Elternarbeit auf Familienseminare gesetzt hat,
was sich positiv auf das Verhalten der Teilnehmer auswirkte.413 Moderne TV-Formate wie
„Die Super-Nanny“ – ob nun die deutsche Sendung mit Katharina Saalfrank oder die
französische Variante mit Cathy Sarrai - mit ihrem Ansatz des Familiencoachings gehen im
Grunde in die gleiche Richtung. Das mediale „Begleitpaket“ indes ist durchaus fragwürdig,
da es die Wahrung der Würde bei den einzelnen Teilnehmern nicht mehr sicherstellt und die
höchstwahrscheinlich gut gemeinte Arbeit der Sozialarbeiter und Diplompädagogen
fragwürdig erscheinen lässt.
In unserem landesspezifischen Kontext bleibt schließlich die Tatsache des großen Anteils
derjenigen Familien zu beachten, die nicht luxemburgischer Herkunft sind.
Insbesondere die portugiesischen und italienischen Gemeinschaften, die die größten
ausländischen Fraktionen in Luxemburg stellen, haben im Allgemeinen ein anderes
Verhältnis zum Familienbegriff sowie auch zur religiösen Brauchtumspflege. Dies
wird deutlich an den sichtlichen Unterschieden der Gestaltung bei Festen wie der Ersten
Heiligen Kommunion, Hochzeiten oder auch der Teilnahme an Pilgerfahrten. Es ist m. E.
lohnenswert, innerhalb einer empirischen Studie hierauf ein Augenmerk zu richten und die
Nationalität so wie das Brauchtum religiöser Anlässe in jedem Fall zu erfassen.
Abschließend ist ein Resultat der Lenzburger Schlussauswertung der bereits zitierten
Ausstellung „Glaubenssache“ besonders interessant, weil es die Thesen dieses
Teilkapitels
bestätigt
hat:
„Den
AusstellungsbesucherInnen
scheint
die
Glaubensvermittlung der Eltern an die Kinder wichtig zu sein. So erachten es 81,9% als
mittel- bis sehr wichtig, dass die Eltern ihren Kindern Glauben vermitteln“414.
denjenigen Jugendlichen zu gehören, die auch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht
zufrieden sind. Die kritische Beurteilung der Demokratie in Deutschland entpuppt sich
demnach als Kritik an den Lebensverhältnissen bzw. als Reaktion auf fehlende persönliche
Chancen in Beruf und Gesellschaft.“ Schneekloth (2002), S. 101.
413
Vgl. Schmälzle (1985), S. 147.
414
Siehe hierzu http://www.stapferhaus.ch/uploads/media/Schlussdokumentation_kurz_02.pdf.
173
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
4. 4
„Gott ist rund, ein Ufo oder Fastfood“ – Alternative Ausdrucksorte und –
formen jugendlicher Religiosität
„Das absurde Verbrechen ist wie Religion.
Unglaublich, aber faszinierend!“
Alfred Hitchcock415
Dieses Teilkapitel soll ungewöhnliche Ausprägungen der Religiosität Jugendlicher
beleuchten, wobei die Beispiele als Ausschnitt und nicht als vollständige Beschreibung aller
alternativen Ausdrucksorte von Religiosität zu verstehen sind. Außerdem ist die Zielgruppe
Jugend hier nicht als ausschließlich gemeint, jedoch besonders empfänglich für die
beschriebenen Phänomene.
„Gott ist rund“ war nicht nur zur Zeit der FIFA-Weltmeisterschaft im Jahr 2010 ein
geflügelter Begriff, sondern bezeichnet schon länger die Tatsache, dass in bestimmten
Vereinskultur-Kreisen - insbesondere beim Sport - Zeichen, Symbole und Rituale
ihren Platz gefunden haben, die früher nur im Zusammenhang mit Religion
denkbar gewesen wären. Das beginnt bei Vereinsmagazinen wie „Schalke unser“ in
Anspielung auf das christliche Gebet, und liest sich in einem kompletten Credo etwa in dem
Beitrag von Heinrich Peuckmann „Borusse sein ist eine Religion“,416 in dem er das
Fußballspiel als Liturgie beschreibt, das Stadion als Kathedrale, die Fans als Gemeinde und
den Fußballgott eben auch als jenen, von den Gesängen und Chorälen ganz zu schweigen,
mit dem Schlusssatz: „Oft sind wir geläutert, wenn wir die Kathedrale verlassen. Dann hat
das Gute gesiegt.“417
Ähnlich sieht es auch der Journalist Christian Weber: Die Menschen könnten „heute
religiöse Bedürfnisse ungestört auch außerhalb der Kirchen befriedigen: im Buddhismus, in
neuheidnischen Kulten, Esoterik, selbstgestrickten Patchwork-Religionen und vielleicht
sogar im WM-Stadion“. Er zitiert den Theologen Constantin Klein, der von einer neuen
religiösen Bewegung in Südkorea berichtet, zu deren Liturgie mehrstündige Fußballspiele
gehörten und der Messias der Gemeinschaft über den zugespielten Ball neue Kraft
415
Zitiert nach www.kirche-luxemburg.net.
Siehe in der Bibliographie Peuckmann (2005).
417
Peuckmann (2005), S. 58.
416
174
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
übertrage.418 Klein meint hierzu: „Ein Fußballspiel mit seinen Ritualen, Fangesängen,
Maskottchen, verehrten Stars kann viele Funktionen von Religion übernehmen.“419 Im
Fußball-Kult finden sich verschiedenste Formen, die auch in religiöser Praxis eine Rolle
spielen, und bei denen man sich fragen muss, ob ihnen nicht eine Ersatzfunktion
bezüglich kultischer Handlungen im religiösen Sinne zukommt. Die Fans „pilgern“ an
einem Spieltag in die Stadien wie in eine Kirche; und nicht nur hier ist der Rasen „heilig“,
eine abgewandelte Form des Vaterunsers ist auf der Schalke-Fanseite „Königsblau 2002“ zu
lesen (Schalke unser im Himmel, die du bist die himmlische Mannschaft, verteidigt werde
dein Name…“)420; es fallen „erlösende Tore“ und ein besonders begabter Schütze wird in
den Medien zum „Fußballgott“. Auch ist vom „Wunder von Bern“421 oder von der „Hand
Gottes“422 die Rede, und enttäuschte Fans bezeichnen einen Spieler, der ihren Verein wegen
eines höher dotierten Vertrags bei einem Konkurrenten verlässt, als Judas.423
Was im Besonderen für den Fußballkult gilt, lässt sich für Fankult insgesamt darstellen:
Egal ob bei Sport oder Musik - bei den Ritualen gibt es zahlreiche Analogien zu religiösen
Mustern, so etwa auch zu der Reliquienverehrung: Fanartikel jedweder Art – und sei es ein
von der Bühne gespucktes gekautes Kaugummi eines Popsängers - werden bei
Internetauktionshäusern zu Höchstpreisen gehandelt. Sind Fußball oder ein anderer Sport,
das Traumauto oder Musik aber deswegen Religion, weil es das ist, was von Paul Tillich her
als Religion definiert ist: „das, was mich unbedingt angeht“424?
Sicher erzeugt Religion starke Emotionen. Krohmer äußert jedoch, und ich möchte ihm
zustimmen, dass dies lediglich „b e d i n g t e “ Gefühle sind, und nicht das, was Tillich
meint. Faszination ist eben noch nicht gleichbedeutend mit der Begegnung des
418
Weber (2006), S. 69
Ebd.
420
Krohmer (2006), S. 3. Krohmer nennt weitere Arbeiten zu dem Thema, etwa die Diplomarbeit
des Seligenstädter Pfarrers Thorsten Leißner mit dem Titel „Heiligenverehrung im Fußball“
oder auch die Untersuchung des Würzburger Kirchenmusikers Bernhard Leube, die Fußball
und religiöse Rituale vergleicht und viele Zusammenhänge aufdeckt. Zudem zeigte das
Frankfurter Ikonenmuseum im Sommer 2006 140 Exponate unter dem Titel „Helden-HeiligeHimmelsstürmer“.
421
Gemeint ist der völlig unerwartete Sieg Deutschlands bei der Fußballweltmeisterschaft 1954
gegen die hochfavorisierte ungarische Nationalmanschaft.
422
Unter anderem sprach Diego Maradona davon, als ihm bei der Fußballweltmeisterschaft 1986 im
Viertelfinale gegen England ein irreguläres Tor durch ein nicht-geahndetes Handspiel gelang.
423
Vgl. Krohmer (2006), S. 3.
424
Zitiert nach Krohmer (2006), S. 3.
419
175
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Allmächtigen und Unendlichen – auch wenn es die Beteiligten subjektiv so empfinden
mögen.
Als zweites alternatives Glaubensphänomen sei die sogenannte Ufo-Religion zitiert. Der
Begriff stammt von Christiane Bundschuh-Schramm, die sich um eine „moderne
Buchstabierung“ von Religion bemüht.425 Demnach sinkt bei Jugendlichen der Glaube an
ein Jenseitiges und wächst der Glaube an ein diesseitiges Jenseits. Beobachtbar ist dies
am medialen wie allgemeinöffentlichen Interesse an parapsychologischen Phänomenen,
Filmen über das All, Aliens und Ufos. Diese neue Bewegung vermittelt den Eindruck, dass
die Welt „größer, geheimnisvoller und interessanter ist als sie scheint“, und der
Fernsehsender „greift die Funktion der Ersatzreligion werbewirksam auf, wenn er die neue
Akte-X-Staffel mit dem Satz ‚Das Leben macht wieder Sinn’ ankündigt“.426
Bundschuh-Schramm beschreibt, wie die Geschichten und Bilder solcher Serien als
Fortführung zur „herkömmlichen“ Religiosität vermitteln, dass selbst wenn die Aliens sich
als Feinde erweise, der Mensch sie besiegen könne, so wie David Goliath oder Jesus den
Tod.427 In ähnlichem Tenor meint Charles Martig auch, Science-Fiction sei die „populäre
Kinoform der Eschatologie“428, und Mario Pollo von der päpstlichen Universität Salesiana
in Rom sieht im Erfolg der Fernsehserie „Akte-X“ ein Zeichen dafür, wie weit diese Art des
Sakralen verbreitet sei: „Es handelt sich (…) um die Wahrnehmung des menschlichen
Raums als geheimnisvollen Raum, wo es neben einer äußeren Alltagswirklichkeit eine
verborgene Wirklichkeit gibt, die unter bestimmten Bedingungen bestimmten Personen
zugänglich ist.“429 Für Jugendliche ist dieser Zugang zum Mysteriösen nicht nur im
abenteuerlichen Sinne reizvoll, sondern auch in ihrem Bedürfnis nach einer vielleicht
gefährlichen, aber am Ende immer wieder doch heilen Welt mit glücklichem Ende.
Ein drittes interessantes Phänomen ist der Wunsch beziehungsweise die Notwendigkeit der
Religion, die „Herausforderung der leichten Handhabbarkeit (…) anzunehmen. Religion
425
Bundschuh-Schramm (2000), S. 71 f.
Bundschuh-Schramm (2000), S. 71.
427
Bundschuh-Schramm (2000), S. 72.
428
Zitiert nach Bundschuh-Schramm (2000), S. 72.
429
Pollo (1998), S. 62.
426
176
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
muss im Alltag dazwischen passen“430, schnell, übersichtlich und handlich wie ein
Hamburger. In der heutigen Zeit der Multioptionalität, des Multitaskings ist oft zu wenig
Zeit für eine ausführlichere Beschäftigung mit dem, was dem Mensch für sich selbst tut –
das gilt ja nicht nur für Religion, sondern auch für den Sport und die Musik. Nicht umsonst
boomen in Groß- wie auch so manchen kleineren Städten Freizeitangebote für die
Mittagspause wie Lunch-Time-Konzerte in der Londoner City, bei der viel beschäftigte
Angestellte sich einen Imbiss essend in die Kirche setzen dürfen, um klassischer Musik,
gespielt von jungen aufstrebenden Künstlern zu lauschen. Das ist „gleich drei in einem“:
Kirche, Mahlzeit und Musik (!). Ähnlich funktionieren Fitness-Angebote im
Abonnement an der Coque in Luxemburgs Banker-Viertel Kirchberg, die nur in der
Mittagszeit nutzbar sind - für die Bank- und EU-Angestellten, die die Mittagszeit optimal
ausfüllen möchten. Entsprechend ist eine Fast Food Religion praktisch und leichter
annehmbar. Religion sollte bequem als Häppchen serviert werden. Ein Beispiel hierfür
sind auch die sogenannten benno-cards aus der Buchhandlung: „Augenblick mal. Eine Minute
Besinnung für dich! Spruchweisheiten und Segenswünsche im Scheckkartenformat für die
Brieftasche.“431 Gewünscht ist ein anderes Format, nicht unbedingt ein neuer Inhalt.
Vor diesem Hintergrund ist das im dritten Kapitel dieser Arbeit bereits mehrfach zitierte
Problem der jugendlichen Vermeidung einer dauerhaften Verpflichtung mit dem Weg hin
zur Eventkultur ein weiteres Mal bestätigt und gleichzeitig wenn man so will lösbar. Es geht
hier nicht darum, die Berechtigung von Fan-Kult, Mystery-Fieber und „Instant-Religion“ zu
hinterfragen. Lediglich soll ihre Nachfrage im modernen Arbeits- und Gesellschaftsleben,
das mit ähnlichen oder gleichen Mechanismen funktioniert, festgestellt und ansatzweise
erklärt werden.
430
431
Bundschuh-Schramm (2000), S. 32.
Zitiert nach Bundschuh-Schramm (2000), S. 32.
177
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
4.5
Zusammenfassung: Verortung von Religion im Leben Jugendlicher und
religiöse Sozialisierung auf Grundlage der Frage nach der „Erlernbarkeit
des Glaubens“
Wenn man die Erkenntnisse dieses Kapitels zusammenfassen will, heißt die zentrale
charakterisierende Vokabel „Pluralität“: Sie bestimmt die Situation von Gesellschaft, von
Einzelbiografien, Familienverhältnissen, ethischen Werten, Wahlmöglichkeiten – auch im
religiösen Bereich. Um es mit einem Schlagwort zu besetzen: „Alles bleibt anders“. So
wenig wie sich Arbeitsverhältnisse, Ehen oder Wohnorte heutzutage als konstant einrichten
lassen (wollen oder lassen...), so viel offener ist heute im Vergleich zu früher die
Zugehörigkeit zu einer Religion. Wie angesprochen gibt es den klassischen religiös
geprägten Lebensweg „Von der Wiege bis zur Bahre“ so nicht mehr oder extrem selten. Die
Toleranzbereitschaft der Gesellschaft scheint sich geradezu auf den Kopf zu stellen: Musste
man sich vor einigen Jahrzehnten schämen, wenn man sich nicht in der Kirche blicken ließ,
das Tischgebet vergaß, nicht kirchlich heiratete, nicht am Religionsunterricht teilnahm, gar
aus der Kirche austrat, scheint es heute zuweilen genau umgekehrt, es sei denn, man nutzt
den antiklerikalen Trend für sich zur „coolen Selbstabgrenzung“. Die in der Pubertät
häufig aufkeimende Rebellion gegen herkömmliche Erziehungs und Wertemuster
bzw. –vorgaben wie in Teilkapitel 4.1 analysiert, findet hier in dieser Pluralität
möglicherweise einen kleinen Komplizen.
Zweitens bringt uns die Feststellung über die zunehmende Privatisierung des Glaubens
(siehe Teilkapitel 4. 2) wieder zu der Diskussion, ob innerhalb eines gesellschaftlichen
Kontextes Religion Privatsache ist oder nicht. So wie das Interesse oder Engagement für
Sport, Musik, Kultur überhaupt sicherlich auch als privat anzusehen ist, bekleiden sie
dennoch eine wichtige Rolle innerhalb des staatlichen schulischen Bildungsauftrags.
Dennoch sind sie inhaltlich-thematisch weniger emotional aufgeladen, als es die
Religion ist. Man beachte hier auch die Feststellung (siehe 4. 2), dass sich das Thema
insbesondere bei (den meisten) Jugendlichen in einer bestimmten Nische bewegt. Das
Fehlen einer gemeinsamen Glaubenssprache macht das Finden eines Konsens’ in
dieser Frage nicht eben einfacher: Die teilnehmenden Seiten bewegen sich – das fällt beim
Streit um den Werteunterricht in Luxemburg beziehungsweise über Rolle und Einfluss der
Kirche immer wieder auf - nicht selten auf unterschiedlichen kommunikativen Ebenen.
Man denke etwa an beleidigende Ausdrücke für Kirchenämter („Paafen“). Gesucht
178
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
werden müsste nach einem gemeinsamen, möglichst sachlichen Register, das es
ermöglicht, Entscheidungen über diese Fragen auf der Inhalts- und nicht auf der
emotionalen Ebene zu klären.
Jugendliche Religiosität birgt so viele Facetten jenseits klassischer Muster, dass der Umfang
der vorliegenden Arbeit diese nur streifen kann. Daher gilt es, Orientierungspunkte zu
finden, die bei der Beschreibung helfen können. Einig werden können wir uns über
Selbstzentriertheit und Autonomie der Zielgruppe. Diese Eigenschaften bestimmen ebenso
wesentlich den Zugang zum Gegenstand Religiosität und einer Herausbildung eines
Wertsystems wie die Feststellung, dass Jugendliche sich heute auf einer wenig
vereinheitlichten, nicht planbaren Wegstrecke innerhalb einer pluralistischen Welt befinden.
Die Darstellung zeigte, dass der religiöse Alltag die Jugendlichen nicht selbstredend auf eine
religiöse Spur führt. Diese Aspekte müssen uns dazu veranlassen, Individualität, Diversität
wie Privatheit von Religiosität als gegeben hinzunehmen und nicht mehr von einem
Kollektivbegriff ausgehen zu können.
Was wir mit größerer Sicherheit beschreiben können, sind die Orte, an denen Religiosität
entstehen kann. Diese Arbeit beantwortet die Frage eindeutig mit „in der Familie, mit
weiteren Nebenschauplätzen wie Schule, Vereinen und Peer-Gruppe“, denn Kinder und
Jugendliche finden hier die unmittelbarsten Begegnungen mit Ausdrucksformen von
Heiligkeit und Transzendenz. Man sollte Familie als Ort der Prägung in Bezug auf
Religiosität als Chance und Risiko zugleich begreifen, je nach tatsächlich gelebter
Konstellation und auch Auffassung religiöser Erziehung seitens der Eltern.
Eine Vielfalt religiöser Ausdrucksformen zeugt heute davon, dass Religiosität kein „EinMann-Weg“ im Sinne des im Vorwort dieser Arbeit zitierten Dichters Günther Kunert ist.
Wir sollten versuchen, sie zu erkennen, zu verstehen und zu deuten - und nicht zu
verurteilen.
179
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
180
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
5 Erschließung von Religiosität bei Jugendlichen in empirischen
Arbeiten: Möglichkeiten und Grenzen
5. 1
„Das Unsagbare suchen“ – Über die Messbarkeit von Religiosität
5. 1. 1
Glaube und Subjektivität
„Messung ist Grundlage einer jeden Wissenschaft –
wie aber schaffen wir im Bezug zu Religiosität
die Zuordnung von
empirischer und abstrakter Relation?“
Tobias Kläden, Theologe
Wie schön ist dieses Kleid? Wie sehr schmerzt der Zahn? Wie fest glaube ich? Auf einer
Skala von Eins bis Zehn wären diese Fragen natürlich platzierbar. Aber was sagen diese
Zahlen dann tatsächlich aus? Im Prinzip verraten sie uns lediglich einen einzigen Wert,
nämlich den des befragten Individuums. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht wirklich
vergleichbar mit dem Ergebnis eines zweiten Befragten. Bei den Antworten auf die Frage
nach Religiosität ist die Wahrheitsfrage daher zunächst einmal wenig sinnvoll, denn es geht
hierbei um die subjektive Seite von Religion; und so betrachtet hat jede Religiosität, wie
sie sich im Individuum ausprägt, auf jeden Fall auch eine Dignität.432
Das muss jedoch keinesfalls ein empirisches Aus für die Erforschung von Religiosität an
sich bedeuten. Es legt lediglich nahe, das Messinstrumentarium deutlich zu überprüfen –
was ein Anliegen dieser Arbeit ist. Zeitgenössische empirische Forschung, konkret hier die
Religionssoziologie,
die
Religiosität
messen
will,
muss
sich
stets
über
ihren
konstruktivistischen Charakter im Klaren sein. Die Bedeutung der Ergebnisse ergibt sich
nicht aus dem Material selbst, sondern durch das zugrunde liegende Bezugssystem, das
während der Beobachtung und dann später bei der Interpretation der Ergebnisse relevant
ist. So ist immer auch eine Art Selbstreferenz im Spiel, von der sich die Auswertung der
432
Mit dieser Frage befasst sich in einem aktuellen, noch nicht veröffentlichten
Forschungsvorhaben auch Dr. Tobias Kläden an der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster / Deutschland. Seine in einem Kolloquium im Juni 2006 geäußerten Gedanken
fließen in dieses Kapitel mit ein.
181
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Aussagen nie ganz lösen lässt.433 Wenn Daten also im ersten Schritt subjektiv erhoben
werden, bedeutet dies noch längst keinen objektiven Aussagegehalt („Der Choleriker findet
sich selbst vielleicht ruhig…“). Dem Materialobjekt Religiosität beziehungsweise
Glaube kann ich mich formalmethodisch nähern, und es gibt empirische
Dimensionen, die ich erfassen kann - aber eben nicht alle. Hier liegt die Grenze jeder
Methode.
Das bedeutet nicht, dass man sich von dem Vorhaben einer aussagekräftigen Studie zur
Religiosität verabschieden muss, jedoch sollte man die Ergebnisse immer vor dem
Hintergrund ihrer jeweiligen Denkrichtung aus annehmen und gegebenenfalls auch
revidieren können. Dementsprechend müssen aber die Aussagen der Ergebnisse
insbesondere bei einem Gebiet wieder Religiosität, das jeden Menschen im Einzelnen direkt
oder auch indirekt betrifft, relativiert beziehungsweise im Vorfeld sowie wie möglich von
Subjektivität entlastet werden, und zwar bereits durch die Fragetechnik.
5. 1. 2
Orientierungshilfen auf dem Weg zur Messbarkeit von Religiosität
Katechetische Blätter 5 (2006), S. 331.
433
Siehe zu dem Problem der Empirie als Konstruktion auch Ziebertz, Kalbheim und Riegel. Sie
konstatieren: „Der beobachtete Gegenstand kann niemals in seinem Wesen objektiv ergründet
182
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Auf den ersten Blick scheint Religiosität nicht mit physischen Gradmessern erforschbar;
Religiosität, das ist doch etwas „Spürbares“, in der menschlichen Seele Verankertes. Folglich
tut sich auch die Religionssoziologie schwer damit, Religiosität als messbare Größe
auszudrücken: Wie kann es gelingen, vom Verhalten auf kognitive Prozesse Rückschlüsse
zu ziehen und Religiosität als empirische Größe messbar darzustellen?
Bezüglich der Messbarkeit ist das eigentliche und sicherlich augenscheinlichste Problem das
der fehlenden beziehungsweise vielmehr objektiv nicht messbaren Sinneswahrnehmung
Gottes. Lothar Kuld schreibt über die kindliche Sinneswahrnehmung Gottes Folgendes:
„Religion hat mit dem Unsichtbaren zu tun. Der Kern der Religion ist unsichtbar. Davon
spricht Religion. Ihre Symbole vergegenwärtigen und verbergen zugleich, worauf sie verweisen:
das Unsichtbare. Von der Religion und diesem ihrem Geheimnis weiß jedes Kind. Wenn es
älter wird, wird es lernen, das Unsichtbare zu benennen. Das Kind wird versuchen, das
Unsichtbare zu beeinflussen und in seine Macht zu bekommen. Es wird lernen, dass das nicht
geht. Allmählich wird es das Manipulieren oder das Unsichtbare aufgeben.“434
Bei einer empirischen Erfassung muss also darauf geachtet werden, die in den
verschiedenen
Abstraktionsgrade
Entwicklungsphasen
im
Denk-
und
des
auch
Menschen
unterschiedlichen
Formulierungsvermögen
(!)
zu
berücksichtigen.
Außerdem muss die Form der Befragung sehr sorgfältig gewählt werden: Nähere ich mich
dem Thema durch die Eigenbeobachtung des Jugendlichen? Wie introspektionsfähig
sind junge Menschen, ist der Mensch überhaupt in puncto Religion? Verlasse ich
mich auf die Aussagen Anderer, etwa des sozialen Umfelds? Führe ich Interviews und
riskiere, dass der Befragte mit seinem Antwortverhalten kalkuliert umgeht; oder entwickele
ich einen anonymen Fragebogen?
Letztere Möglichkeit erfordert sicherlich eine Itemstruktur, die um die verschiedenen
Facetten von Religiosität einerseits und soziologische wie psychologische Faktoren
andererseits bemüht ist, und: Die Jugendlichen müssen verstehen, um was es geht. Wenn
wir jedoch von unsichtbarer Religion ausgehen (können), müsste man dann nicht nach
Religion fragen, ohne explizit zu sein? Dies alles sind Diskussionsansätze innerhalb der
empirischen Theologie.
434
werden.“ Dies. (2003), S. 51 f. bzw. S. 52.
Kuld (2001), S. 7.
183
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Auch dürfen die Interpretationsspielräume keinesfalls vage, sondern müssen so
eindeutig wie möglich sein. Für die empirische Erfassung religiöser Grundhaltungen ist es
zudem unerlässlich, sich bei der Erstellung eines Fragebogens an der Vorstellungswelt der
Jugendlichen zu orientieren. Dabei ist es von Bedeutung, sich klar zu machen, dass
Kinder sich vor allem mit der Unsichtbarkeit Gottes beschäftigen: Zunächst ist das „im
Himmel“, jedenfalls weit weg von der Erde, später als Gestalt, als „Geist“ im und am Ende
der Kindheit dann „im Herzen“ oder der „Seele“. Bei Paul Tillich heißt der Unsichtbare der
auf der Grenze, bei Rahner ist es das „Geheimnis“.435 Solche Gedanken um die
Unsichtbarkeit Gottes beschäftigen den Menschen in jeder Phase, auch wenn sie sich
inhaltlich verändern. Kuld beschreibt es so, dass die „von außen (‚Himmel’) nach innen
(‚Gefühl’) wandern“436. Ähnlich dieser Entwicklung lässt sich nach Kuld dann auch die
Sichtbarkeit der Religion beschreiben, wenn Kinder heranreifen. Nicht nur Kinder, die nicht
religiös erzogen wurden, sondern auch die meisten Kinder, die sich selbst als religiös
bezeichnen würden, verabschieden sich von ihrem (Kinder-) Glauben und die
Erwachsenenwelt beobachtet dies als Glaubensverlust: Das Greifbare am Glauben
verflüchtigt sich auch aus Sicht der Messbarkeit.
Da sich Religiosität, wie im zweiten Kapitel dargestellt, in verschiedenen Dimensionen
vollzieht, nämlich kognitiv, emotional und handelnd, muss hier eine genaue
Unterscheidung stattfinden. Wir wissen um einen bestimmten Teil unserer Religion, wir
empfinden Religion, und wir haben eine theoretische religiöse Haltung, die sich aber von
unserem tatsächlichen Handeln durchaus unterscheiden kann. Entsprechende Fragen an
Jugendliche wären
a)
„Wie wichtig findest du Begriffe wie religiöse Toleranz?“
b)
„Wie fändest du es, wenn in deiner Stadt ein Glaubenshaus wie etwa eine Moschee
gebaut würde?“
Religiöses Verhalten soll identifizierbar gemacht werden, also gilt es, Indikatoren
aufzustellen: Sicherlich ist das, was ich messen kann, das konkrete Verhalten.
Entsprechend zählten in frühen Studien zu den wichtigsten Indikatoren die nach der
Kirchenpraxis (Häufigkeit des Gebetes, des Kirchgangs, der Mitgliedschaft in kirchlichen
435
Zitiert nach Kuld (2001), S. 9.
184
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Gemeinschaften wie den Messdienern, Teilnahme an religiösen Festen usw.). Jedoch spielt
diese bezüglich der Beurteilung von Religiosität lediglich eine untergeordnete Rolle, da die
Marginalisierung dieser Kirchenpraxis im Leben der Jugendlichen augenscheinlich
und belegt ist. So wurde bereits in den Grundthesen dieser Arbeit geäußert, dass die
Kirchlichkeit praktisch „weggebrochen“ ist, es aber an Erkenntnissen bezüglich weiterer
Religiositätsfaktoren fehlt. Auf Grundlage der in dieser Arbeit in den vorangegangenen
Kapiteln beschriebenen Wesensart jugendlicher Religiosität kann entsprechend eine
Erfassung der Einstellung beziehungsweise Meinung zu moralischen Fragen
bedeutungsvoll sein.437 Hierbei sollte Religiosität mit dem klassisch-christlichen
Grundwert der Liebes- und Empathiefähigkeit als Dreh- und Angelpunkt der
Evangeliumsbotschaft verknüpft sein. Diese Liebes- und Empathiefähigkeit als zentrale
Größe ist am besten abfragbar in Fragestrukturen, deren Inhalt sich orientiert an
1.
sozialem Denken (etwa die Bereitschaft zu persönlichem sozialen Engagement
und der Beurteilung sozialer Fragen, auch im Verhältnis zu Materialismus)
2.
entsprechenden Wertemustern (vgl. Werte der Shell-Studie: wie etwa
Leistungsgedanke, Macht usw. gegenüber Opferbereitschaft, Hilfsbereitschaft… )
3.
der Idee von Selbstverwirklichung im Verhältnis zur sozialen Gemeinschaft
(Stichwort „soziale Verantwortung“, „Umweltbewusstsein“)
4.
dem spirituellem Selbstverständnis (wie sehe ich mich innerhalb der
transzendenten Frage, welche Bedürfnisse und Fragen habe ich?) sowie
5.
der Beurteilung transzendenter Fragen (etwa über die Vorstellungen von Tod,
Erlösung und Auferstehung).
Der Begriff „Soziales Denken“ beinhaltet mehrere Ideen. Er meint Rücksichtnahme
gegenüber der sozialen Gemeinschaft, in der wir uns bewegen: Mein Leben darf sich nicht
auf Kosten eines Anderen abspielen; mein Handeln berücksichtigt die Interessen meiner
Umwelt, meines „Nächsten“ im neutestamentarischen Sinne.
Religiöse Werte wie oben festgelegt müssen nun übersetzt werden in zentrale Begriffe, die
diese Gedanken beinhalten und dann bei Jugendlichen abgefragt werden. Solche zentralen
436
437
Kuld (2001), S. 9.
Die deutsche Shell-Studie etwa untersucht die gesamtgesellschaftliche Einstellung der
Jugendlichen mit Schwerpunkt auf ihre politische Haltung. So beobachtet und klassifiziert sie
185
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Begriffe wären etwa Gleichberechtigung, Demokratie oder auch Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit. Dabei geht es nicht um Interesse an zum Beispiel Demokratie, also Abfrage
von politischem Engagement, sondern um das Denken darüber. Ein sinnvolles Fragemuster,
um die Haltung zur Gleichberechtigung oder auch Zivilcourage abzufragen wäre etwa aus
dem Bereich, in der große Jugendstudien die Politikeinstellung bei Jugendlichen allgemein /
insgesamt untersucht haben.438

„Jeder sollte das Recht haben, für seine Meinung einzutreten, auch wenn die Mehrheit
anderer Meinung ist“ oder

„In jeder Gesellschaft gibt es Konflikte, die nur mit Gewalt ausgetragen werden
können.“ (stimmt gar nicht … voll und ganz, sechs Skalenstufen)
Anschließend müsste man die theoretische Haltung der Jugendlichen zu bestimmten
Werten vergleichen mit ihrer tatsächlichen Bereitschaft, sich in bestimmten Situationen
entsprechend zu verhalten. Gibt es Diskrepanzen?
5. 2
Zur bisherigen wissenschaftlichen Wahrnehmung des Gegenstands
„Religiosität“ in Luxemburg
5. 2. 1
Jean-Louis Gindts Untersuchungen zum Verhältnis Jugend und Kirche in
Luxemburg
Die Suche nach Religiosität innerhalb der Jugendempirie steht mittlerweile keineswegs mehr
im Abseits – ganz im Gegenteil. Mit dem gesellschaftlichen Ruf nach Werten befasst sich
auch die Meinungsforschung in jüngster Zeit mit religiösen Inhalten. Waren Religion und
Glauben lange Zeit „kein ernst zu nehmendes Thema in der Jugendforschung“439, hat sich
dies mittlerweile erheblich geändert, denn „inzwischen gibt es kaum empirische
Jugendstudien, die diesen Bereich vernachlässigen.“440
Werte wie Leistungswille, Wunsch nach Sicherheit und Macht, Bereitschaft zu sozialer
Aktivität oder umweltbewusstes Denken. Vgl. Deutsche Shell (2002), S. 18 f.
438
Die Fragestruktur bzw. Typologie ist der Shell-Jugendstudie 2002 entnommen; vgl. die
Erläuterung bei Schneekloth (2002), S. 109.
439
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 13.
440
Ebd.
186
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
In der Vergangenheit sind Fragen zur Religiosität Jugendlicher in Luxemburg zwar
wahrgenommen worden, jedoch selten systematisch und umfassend. Zwar gibt es eine
Reihe punktueller Analysen wie etwa die 1961 von Francis Paul verfasste pädagogische
Dissertation über die moralischen und religiösen Interessen der (männlichen) Studenten und
die 1963 veröffentlichte Umfrage der Action Catholique de la Jeunesse Luxembourgeoise
über die religiöse Lage der männlichen Jugend.441 Aber erst in den 1990er Jahren wurde
mit der Arbeit über Jugend und Kirche von Jean-Louis Gindt das Thema in
Luxemburg wieder tiefgehender erkundet und seitdem erneut ruhen gelassen.
Gindt lieferte seinerzeit wichtige Grundlagen für weitere Analysen nach den 1990er Jahren.
An seine Zusammenschau der damaligen pastoralen Situation im Großherzogtum lässt sich
von aus heutiger Sicht anknüpfen, um einen weiteren Vorstoß in der Empirie wagen zu
können.442 Jedoch besteht der entscheidende Unterschied der Ansätze darin, dass Gindt
sich bezüglich jugendlicher Religiosität hauptsächlich auf Kirchlichkeit bezieht.
Bei den Untersuchungen Gindts zur Religiosität zitiert Gindt das geltende Kirchenrecht,
nach dem „die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier wegen des verpflichtenden
Charakters das wesentlichste äußere Merkmal des katholischen Christen“443 sei. Dabei wehrt
er sich ausdrücklich dagegen, „Schlußfolgerungen über die Glaubenssituation“ ziehen zu
wollen: „Christliches Handeln erschöpft sich noch längst nicht in einer regelmäßigen
kirchlichen Praxis und ist auch nicht unbedingt davon abhängig. Ein Werturteil ist in jedem
Fall zu verwerfen“.444
Im letzten Teil seiner Arbeit widmet sich Gindt dann der Frage nach der Glaubenssituation
der Jugendlichen in Luxemburg, und kommt seinerzeit zu dem Problem, den diese Arbeit in
ihrem Hauptteil aufgreift: zu den Möglichkeiten der Messbarkeit von Religiosität. Gindt
konstatiert 1991, dass „jede empirische Analyse des Glaubens sehr schnell an die Grenzen
der Empirie stößt, da Glauben, als persönliche und individuelle Gottesbeziehung,
sich den Begriffen der Empirie entzieht.“445 Gindt sieht also ebenso die Schwierigkeit
441
Siehe Bibliographie.
Vgl. Gindt (1991).
443
Gindt (1991), S. 62.
444
Gindt (1991), S. 64.
445
Gindt (1991), S. 180. Hervorhebung von mir, S. D. Gindt fragt sich weiterhin: „Was will man
messen, wenn man Glauben erfassen will? Welche Maßeinheit kann die Glaubenssituation
darstellen und einteilen? Gibt es ein Höchstmaß an Glauben, oder muß die Skala nach oben
offen bleiben? Wenn die individuelle Gottesbeziehung also an sich nicht Gegenstand
442
187
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
der Messbarkeit, wie sie in dieser Arbeit angesprochen wird, behandelt jedoch dieses
Problem nicht weiter. Genau hier setzt die vorliegende Arbeit an und denkt
beziehungsweise schreibt sie weiter.
Gindt selber sieht bereits
den weiteren
Forschungsbedarf, wenn er sagt:
„Die religiöse Praxis wird allgemein als eine wesentliche Äußerung des Glaubens
verstanden. So wird die Hypothese eines symmetrischen Verhältnisses zwischen Glauben und
religiöser Praxis axiomisch angenommen. Nimmt die religiöse Praxis ab, so wird ein
Glaubensschwund vorausgesetzt und als Ursache bestimmt. Ob dies aber so ist? Des
Weiteren wird Glaube in unserem europäischen Denken meistens mit dem christlichen,
apostolischen Glaubensbekenntnis identifiziert; als Unglaube gilt demnach jede Abweichung
vom institutionalisierten Credo. (…) “446
Gindt problematisiert weiterhin das Verständnis von Glauben: Es werde meistens als ein
„für-wahr-Halten“ definiert und entsprechend in empirischen Forschungen als Ja oder Nein
aufgestellt, um zu sehen, wie viel Prozent der Bevölkerung sich hinter eine Glaubensaussage
stellen oder nicht, jedoch bekräftigt Gindt, dass sich so keinesfalls das für-wahr-Halten des
individuellen Lebens messen ließe.447 Gindt unterscheidet hier die Terminologie „Glauben,
daß“ im Gegensatz zum (aus seiner Sicht wahrhafteren) „Glauben aus“, welche er mit der
folgenden Meditation zu charakterisieren versucht:
Glauben, daß
oder
„Versteht man Glauben
als für-wahr-Halten,
als Meinen, ohne zu wissen,
als Annehmen,
ohne beweisen zu können,
daß es
einen Gott – Vater, Sohn und
Hl. Geist gibt,
einen Himmel und eine Hölle
gibt,
ein Leben nach dem Tode gibt,
dann heißt Christentum,
daß man
in die Kirche gehen muß,
aus Glauben
Wächst mein Glauben
aus meiner Erfahrung,
aus meinem Vertrauen und Hoffen,
aus meiner persönlichen
Beziehung
mit
meinem Gott, der mich leben läßt,
meinem Gott, der Liebe schenkt,
meinem Gott, der mir als Du
und im Du begegnet,
dann heißt Christsein,
daß ich
In der Gemeinschaft von Christen
Mitgläubigen begegne,
in (den) Zeichen (der Sakramente)
Gott erlebe,
in den Weisungen Hilfen und
Modelle für mein Leben
aus dem Glauben finde
und mich als den Nächsten dessen
die Sakramente empfangen muß,
die Gebote achten muß
und den Nächsten lieben muß.
quantitativer Erhebung sein kann, was wird dann in religionssoziologischen Studien
gemessen?“ Ebd.
446
Gindt (1991), S. 180. Hervorhebung von mir, S. D.
447
Gindt (1991), S. 181.
188
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Erweise, der mich braucht.
So verstanden ist Religion
die Deutung meines Lebens,
aus der ich meinen Alltag
zu leben und erleben
versuche.“448
So verstanden ist Religion
eine schwere Last,
die sehr wenig
mit meinem alltäglichen Leben
zu tun hat.
Für Gindt ist bezüglich der Herausbildung des Glaubens die Erfahrung am, bei und mit
dem Menschen das Zentrale - und nicht etwa das Entscheiden für oder wider etwas. Damit
setzt er Transzendenzwahrnehmung des Subjekts als Priorität, und nicht etwa das
Kognitive. Dies entspricht vielen Gedankenansätzen, die die vorliegende Arbeit teilt.
Gindt zieht seinerzeit jedoch den Schluss, dass man angesichts „dieser Überlegungen (…)
auf eine allgemeine empirische Beschreibung der Glaubenssituation, die sowohl über die
kirchliche Praxis als auch über die Identifikation mit den theologischen Aussagen des
Credos hinausgehen will, verzichtet werden“ muss.449 Genau an diesem Punkt setzt die
vorliegende Arbeit an und will weiter gehen: Wenn wir an einem Wissen um spirituelle
und religiöse Grundhaltungen Luxemburger Jugendlicher interessiert sind und insbesondere
jetzt, wo es um die Fragen geht, welchen Stellenwert die Religion in der Schule als Fach
sowie in der Gesellschaft bei ethischen Wertediskussionen innehaben soll, ist es hoch an der
Zeit,
die
Suche
nach
einem
entsprechenden
Instrumentarium
wieder
aufzunehmen.
5. 2. 2
Weitere Studien zur „Glaubenssituation Jugendlicher“
Entsprechend haben sich bis zum Ende des letzten Jahrhunderts weitere Untersuchungen
auf die Gindt seine Analysen bezieht, im Zusammenhang mit Jugend und Religion fast
ausschließlich mit Kirchlichkeitsfaktoren beschäftigt. Zu nennen sind hier als Beispiele
 die Synodenumfrage von 1971, die an alle Einwohner Luxemburgs ab 16 Jahre die Frage
richtete: „Nehmen sie an der Sonntagsmesse teil?“450
 die repräsentative Stichprobe der ILReS von 1986, bei der 2.013 in Luxemburg lebende
Personen
im
Alter
von
15-74
ausgewählt
und
nach
der
Gottesdienstteilnahme befragt wurden451
 die „Enquête vum Tageblatt iwwer d’Lëtzebuerger Jonk“ von 1988452
448
Gindt (1989), S. 9.
Gindt (1991), S. 182.
450
Institut für Demoskopie Allensbach (1971), Tabelle siehe Anhang.
451
Fehlen / Margue (1989), Tabelle siehe Anhang.
449
189
Frequenz
ihrer
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
 der „Rappsonndeg“, bei denen 1977 und 1987 die Kirchenbesucherzahlen gezählt und nach
Alter erfasst wurden453
Gindt führt als Basis für seine eigene Untersuchung der Beichtpraxis weitere Statistiken auf,
die sich allesamt jedoch mit klassischen Kirchlichkeitsindikatoren wie die Häufigkeit des
Gottesdienstbesuchs beziehungsweise der Wahrnehmung des Tauf-, Buß-, Firm- und
Ehesakraments beziehen.454 Erfasst wird außerdem die Anzahl der Messdiener.455
In unserem Zusammenhang können diese Daten in aktualisierter Form d. h. ermittelt durch
erneute Umfragen, allenfalls einen T e i l zur Beschreibung von k i r c h l i c h v e r o r t e t e r
Religiosität liefern.
Interessant und als Methode verwertbar sind Gindts Analysen zu seinem Zahlenmaterial,
wenn er die Anzahl der sonntäglichen Gottesdienstteilnehmer mit der Anzahl derjenigen,
die am Bußsakrament teilnehmen vergleicht. Im konkreten Fall 1991 lag letztere Zahl
nämlich höher als die der Messbesucher.456
Innerhalb neuerer Studien, durchgeführt beispielsweise vom Meinungsforschungsinstitut
ILReS widmeten sich Einzelfragen auch der Religion, so etwa bei einer Umfrage im April
1999, bei der Eltern nach den Gründen befragt wurden, warum sie ihre Kinder in
den RU schickten.457 Diese Umfrage gibt aufschlussreiche Informationen darüber,
inwiefern die Familienreligiosität, konkret die Haltung des Elternhauses zur religiösen
Förderung und Bildung der Kinder steht. Die Umfrage weist nach, dass 64% der Befragten
der Überzeugung sind, dass der RU ein wichtiger Bestandteil einer guten Erziehung ist.
Dieser Prozentsatz entspricht der durchschnittlichen Teilnahme am RU in den
Sekundarschulen. 78% entscheiden sich für den RU „aus Tradition“. Jean-Louis Gindt
kommentiert dies so „Zu jedem Volk, jedem Stamm, jeder Kultur gehört auch das
Religiöse. Der Mensch ist fundamental ein „homo religiosus“.458
452
ILReS / Tageblatt (1988) Tabelle siehe Anhang.
Wagner (1990), Tabelle siehe Anhang.
454
Vgl. hierzu Gindt (1991), S. 65 f.
455
Gindt (1991), S. 72.
456
Gindt (1991), S. 119.
457
Nachweis siehe Anhang (www.religionslehrer.lu).
458
Gindt (1999a), S. 1.
453
190
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Was die Umfrage nicht verrät, ist der Anteil, den die Kinder und Jugendlichen an der
Entscheidungsfindung der Eltern hatten und wie sehr sie die Einstellung ihrer Eltern
tatsächlich teilen. So ist hypothetisch zu vermuten, dass eine Aussage wie etwa die, dass der
RU aus Tradition besucht werden sollte, deutlich mehr im Interesse der Eltern als der
Kinder liegt, welche sich weniger Traditionen verhaftet sehen als die ältere Generation. Es
wäre interessant zu erfahren, ob die Stimme der Kinder, welchen Unterricht sie selbst
besuchen sollen, eine (entscheidende) Rolle spielt.
Immerhin 46% der Befragten äußerten sich, sie entschieden sich für den RU unter anderem
aus Angst, „datt hier Kanner ausgeschloss an isoléiert gin“. Diese Aussage ist
aufschlussreich bezüglich des religiösen Bildes beziehungsweise des Images, das bei den
Erziehenden bezüglich Religion und institutionellen Vertretern in den Köpfen steckt.
Religion scheint also aller Vorurteile zum Trotz – immerhin bei der Elterngeneration gesellschaftlich noch von Bedeutung zu sein, wenn man „dazugehören“ will. Ist das aber bei
den Jugendlichen genauso und würden sie sich, wenn sie frei entscheiden könnten und es ab
einem gewissen Alter auch können, sich ebenso entscheiden?
Es geben 62% der Eltern an, sich nicht bewusst mit der Frage des RUs zu beschäftigen.
Jean-Louis Gindt fragt sich, ob ihre intuitive Entscheidung in ihrem Grundbedürfnis nach
Religion wurzelt. Dies lässt sich nur herausfinden, wenn in einer weiteren Umfrage geklärt
wird, welche Wichtigkeit die Befragten dem RU beimessen und was sie inhaltlich mit ihm
verbinden.
Dies sollte aber in einem komplexer konzipierten Gesamtkontext geschehen als es
mehrere Luxemburger Zeitschriften-Redaktionen 2007 beziehungsweise 2008 handhabten.
Zum einen befragte Le Quotidien zwei Monate lang seine Leser per Online-Umfrage
zwischen November 2007 und Januar 2008 auf seiner Web-Startseite zur Abschaffung des
Religionsunterrichts aus der Schule. Immerhin 80 Prozent der 2200 Teilnehmer der
Abstimmung waren davon überzeugt, dass es Unsinn sei, den RU abzuschaffen, 10 Prozent
bestanden auf seiner Abschaffung.
191
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
192
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
„Der Poll des lequotidien.lu zur Abschaffung des Religionsunterrichts aus der Schule“
13. 11. 07 - 08:56
3 . 12. 07 - 08:19
31. 12. 07 - 10:18
13. 1. 08 - 22:55
Quelle: http://www.religionslehrer.lu/basics/Religionslehrer_Lu.htm, Link „newsarchiv“
Immerhin jedoch gewinnt man, insbesondere bei der Deutlichkeit des Ergebnisses, ein
partielles Meinungsbild einer bestimmten Zielgruppe, in dem Fall die Leserschaft der
betreffenden Zeitschrift. Dies trifft auch für die Umfrage der revue zu, die im Oktober 2007
an ihre Klientel richtete, und deren Ergebnis bezüglich der Abschaffung ein umgekehrtes
Bild gegenüber dem Quotidien ergab.
„Revue.lu veröffentlichte in der 2. Oktoberwoche einen Poll zum Religionsunterricht.
Hier drei Screenshots aus drei Tagen.“
12. 10. 2007 - 08:28
14. 10. 2007 - 22:44
15. 10. 2007 - 08:31 (letzter Tag)
Quelle: http://www.religionslehrer.lu/basics/Religionslehrer_Lu.htm
193
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Bei einer weiteren Frage der ILReS-Studie von 1999 nach der Art des RUs, den Erwachsene
sich für die junge Generation Luxemburgs wünschen,459 lehnen 21% der Befragten den RU
ab; für sie böte sich die Alternative des Faches Moral. Für die große Mehrheit steht eine
Legitimation des RUs an sich außer Frage. Jedoch differieren die Ansprüche an seine
Inhalte. Lediglich repräsentative 14% der Katholiken in Luxemburg wünschen einen
ausschließlich katholischen RU; dem gegenüber sprechen sich 27% für einen Unterricht aus,
der die vier staatlich anerkannten Konfessionen berücksichtigt. Immerhin 35% fordern
einen RU aller Konfessionen und Religionen - was zeigt, dass sich die Gesellschaft
trotz einer äußerlich gesehen relativ einheitlichen Konfessionssituation in ihrem
Inneren den (nicht nur religiösen) Pluralismus wahrnimmt und gelebt sehen
möchte. Dies spiegelt in der Tat den Pluralismus wider, von dem in der vorangegangenen
Kapiteln mehrfach die Rede war. Von einer religiösen Indifferenz scheint also auf den
ersten Blick nicht die Rede sein zu können, denn nur 3% sind in der Frage unentschieden.
Ein Einzelfall, der in dieser Problematik teilweise eine Abweichung darstellt, ist die ILReS /
Tageblatt-Umfrage von 1988, die in vier Fragen den Bereich Religion umfassen sollte:
1.
mit einer Frage nach der kirchlichen Praxis (Wie häufig nehmen Sie am Gottesdienst teil?
mit der Antwortmöglichkeit regelmäßig, selten, nie, keine Auskunft)
2.
mit einer Frage nach der Verbundenheit zur Kirchengemeinschaft (Fühlen Sie sich mit
einer Kirchengemeinschaft verbunden? mit der Antwortmöglichkeit stark, verbunden, nicht)
3.
mit der Frage Denken sie über den Sinn des Lebens nach? (Antwortmuster oft, manchmal,
selten, nie)
4.
mit der Frage An was glauben Sie? mit der Antwortmöglichkeiten der folgenden
Auflistung, anzukreuzen mit weiß nicht, nein, ja:
1.
Jedes Wesen hat Geist und Willen
2.
Gott
3.
Eine Kraft, die das Leben steuert
4.
Ein Leben nach dem Tode
5.
Sünde
6.
Wunder
7.
Die Wirklichkeit hat weder Anfang noch Ende
459
Meinungsumfrage ILReS Liberté de Conscience – relation état-église, Grafik 15: Wéiee
Reliounsunterëcht an den öffentleche Schoulen? April 1999.
194
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
8.
Die Natur strebt eine endgültige Harmonie an
9.
Astrologie
10. Himmel
11. Wiedergeburt
12. Hellseherei
13. Pendeln
14. Teufel
15. Hölle
Die Ausschließlichkeit der Fragestruktur sowie Art und Umfang des Fragenkatalogs
verdeutlichen jedoch sehr schnell die Begrenztheit der Auswertungsmöglichkeiten
dieser empirischen Erfassung bezüglich der Erkenntnisse zur Religiosität:
1. Religiosität wird gleichgesetzt mit Gottesdienstgewohnheiten. Eine Gottesdienstpraxis à
la „gelegentlich“ wird den Befragten n i c h t zugestanden.
2. Bei der Frage nach der Verbundenheit zur Kirchengemeinschaft bleiben die (Hinter-)
Gründe komplett im Dunkeln, sodass vieles bei einer Interpretation vermischt werden
könnte: Liegt ein Gefühl der Verbundenheit mit Glaubensinhalten, an religiösen
Erfahrungen oder auch anderen positiven wie negativen Situationen in der zugehörigen
Gemeinde vor?
3. Immerhin weist die Frage, ob die Jugendlichen über den Sinn des Lebens nachdenken
ein Interesse seitens der Jugendlichen nach, denn nur 8% der Jugendlichen tun dies nach
eigenen Angaben nie. Es stellt sich alsdann aber die Frage, inwiefern die Fragesteller – und
dann auch die Befragten - einen Zusammenhang erkennen zwischen einer Bejahung und
Religiosität! Sicherlich ist das Nachdenken über den Lebenssinn eine Voraussetzung für die
Entwicklung beziehungsweise das Vorhandensein religiöser Haltungen, jedoch sagt die hier
angegebene Frequenz leider nichts aus über Intensität, Inhalt und Schlussfolgerung am
Ende des Nachdenkens. Umgekehrt darf man nicht annehmen, dass diejenigen, die selten
oder gar nie darüber nachdenken, ein glaubensloses Leben führten. Letztere machen sich
bestimmte Sinngrundlagen für einen eventuell vorhandenen Glauben vielleicht weniger
bewusst?
4. Bei den Antwortmöglichkeiten der vierten Frage ist keine klare Linie auszumachen, in
welche Richtung die Ergebnisse zu interpretieren sind. Die Studie erklärt nicht die
Auswahlkriterien und macht die Interpretation der Ergebnisse fragwürdig oder als Willkür
angreifbar.
Als
Antwortmöglichkeiten
werden
seinsphilosophische
Ideen
(Antwortmöglichkeiten 1 und 7), Gottesbilder (Antwortmöglichkeit 3) ebenso angeboten
wie (klassisch-) christliche Glaubensinhalte (Antwortmöglichkeiten 5, 6, 10, 14, 15) Fragen
195
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
nach Transzendenz, heidnischer Naturglaube (Antwortmöglichkeit 8), Wiedergeburt und
das Leben nach dem Tod bis hin zu Okkultismus: Pendeln und Hellseherei bedienen hier
undifferenziert die Vorstellung von „an etwas glauben“ im Sinne einer spirituellen
Sinnerfahrung, bei der aber unklar bleibt, ob sie religiös interpretierbar ist (genau hier zeigt
sich das in Kapitel zwei dieser Arbeit beschriebene Problem, siehe Kapitel 2. 6). Ähnlich
problematisch verhält es sich bei der Vorgabe „Gott“, da hier das Verhältnis des Begriffs zu
seiner inhaltlichen Füllung, möglicherweise durch Antwortmöglichkeit 3, „eine Kraft, die
das Leben steuert“, nicht geklärt ist. Zudem wird deutlich, dass die Glaubensmöglichkeiten
allenfalls einen Ausschnitt menschlichen Glaubens darstellen können und zudem
wesentliche Inhalte des christlichen Glaubensbekenntnisses wie etwa den Glauben an Jesus
Christus nicht berücksichtigen.460 Auch ist die Verwendung von Begriffen wie „Sünde“
insofern problematisch, als sie kein einheitliches inhaltliches Referenzsystem besitzen: Was
bedeutet Sünde; und beinhaltet der Begriff etwa ein Glauben an Versöhnung, und was ist
mit „Wesen“ (Antwort 1) gemeint? Sind Pflanzen und Tiere eingeschlossen? Falls es nur der
Mensch ist, wäre die Frage redundant!
5. Als Konsequenz müssten solche Fragestellungen zukünftig präzisiert, ergänzt
oder ganz vermieden werden, und insofern soll an dieser Stelle auch auf eine intensive
Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Studie verzichtet werden, weil Aussagekraft
und Sinnhaftigkeit zweifelhaft sind.
Bei der Betrachtung der Itemstrukturen vorliegender Studien tritt m. E. ein Hauptproblem
zutage, und zwar die Vermischung von Kirchlichkeit und Religiosität. Dass und
inwiefern diese Begriffe jedoch zu trennen sind, wurde bereits im zweiten Kapitel dieser
Arbeit ausführlich behandelt.
So erforschen beispielsweise Ziebertz u. a.461 jugendliche Aussagen zum Verhältnis von
Religion und Moderne, indem sie als Konzept erfragen, ob Kirche beziehungsweise Religion
negativ oder positiv gesehen werden. In den entsprechenden Itemstrukturen werden Glaube
und Religion konsequent mit Kirche verknüpft und tragen so selbst zu der Feststellung der
Studie, dass Jugendliche die Bedeutungsdifferenz von Kirche und Religion nicht in ihren
Sprachschatz mit aufnehmen, bei.
460
461
Siehe hierzu auch Gindt (1991), S. 185.
Siehe Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 71.
196
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Zwar mögen Ziebertz u. a. mittels dieser Befragung eben gerade bestätigt finden, dass im
alltäglichen Sprachgebrauch Kirche und Religion bei Jugendlichen miteinander verknüpft
sind, jedoch bezeichnen sie ein entscheidendes Kriterium, nach der die untersuchten
Jugendlichen ihre Antwortstrategie ausrichten, ob „Religion / Kirche und Moderne
zusammenpassen oder nicht“462 – Religion wird als Automatismus mit Religion seitens der
Fragesteller verknüpft, nicht nur seitens der Zielgruppe! Insofern ist die Feststellung von
Ziebertz u. a., dass Kirche und Religion im Bewusstsein der Jugendlichen miteinander
identifiziert würden, nicht glaubhaft.
Auch ist speziell bei dieser Studie zu hinterfragen, inwiefern bei Jugendlichen der
Religionsbegriff überhaupt geklärt ist. Wenn Heranwachsende also nach ihrer Zustimmung
oder Ablehnung der Aussage „Wer modern denkt, für den sind religiöse Bezüge aller Art
überholt“ gefragt werden, muss man doch überdenken, ob Jugendliche nicht genau so an
ein Stereotyp Religion herangeführt werden und ob sie sich dessen bewusst sind, was sie da
beantworten.
Aufschlussreicher sind innerhalb ihres kirchlichen Horizonts die Ergebnisse einer
anderen Jugendstudie, in der sich der Stuttgarter Pfarrer Tilman Gerstner mit der
Religiosität
deutscher
Konfirmanden
beschäftigt.463
Gerstner
befragte
neunhundertachtundfünfzig Konfirmanden nach ihrem Gottesglauben. Seine Ergebnisse
weisen unter anderem nach, dass fünfzig Prozent der Jugendlichen, die sich (noch) für
diesen religiösen Schritt in ihrer Biografie entscheiden, an Gott „oder etwas Ähnliches“
glauben. Dabei haben viele von ihnen einen freundlichen Helfer und Beschützer im Sinn.
Aufschlussreich ist dies durchaus bezüglich des Gottesbildes und dessen Aussage, was
Jugendliche von ihm erwarten: In dieser Funktion ist Gott durchaus p o s i t i v gesehen,
nicht etwa als abstrakt erhöht, sondern durchaus in stützender Verbindung mit dem eigenen
Leben. Inwiefern dies mit konfessionsbedingten Gottesbildern, konkret: dem spezifisch
protestantischen Glauben zu tun hat, bleibt bisher offen und hinterfragbar. Was man
allerdings von dem Gottesbild der anderen fünfzig Prozent der Konfirmanden, die nicht an
Gott oder etwas Ähnliches glauben, denken soll, ist in diesem Rahmen nicht zu diskutieren.
Die Studie verrät auch, was bei Konfirmanden gut ankommt: Bibelsprüche auswendig
lernen ist out, gefragt sind konkrete christliche Vorbilder, Emotionen und Erlebnisse. Dies
462
463
Ziebertz / Kalbheim / Riegel (2003), S. 72.
Siehe Gerstner (2006).
197
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
bestätigt die analysierte These der vorliegenden Arbeit, dass Eventisierung des Glaubens
eine deutliche Spur zur Religiosität Jugendlicher sein kann.
Auch Gerstners Ergebnisse entsprechen der Theorie, dass Kirchlichkeit in immer stärker
abnehmendem Maße eine Aussagekraft bezüglich jugendlicher Religiosität besitzt: Er fand
heraus, dass die Jungen und Mädchen zwar Gebete sprechen im Gottesdienst „doof“
finden, aber etwa in der Not beten und so durchaus eine spirituelle Ausdrucksform
verwenden.
Gerstners Befunde liefern also eventuell Vergleichsparameter zukünftigen Studien in
Luxemburg, wenn man die Konfessionalität und die Tatsache der bewussten Entscheidung
zu einem Sakrament wie der Firmung (im Vergleich zur Entscheidung für die
Konfirmation) berücksichtigen will. Für eine größer angelegte empirische Befragung ist sie
jedoch leider weniger geeignet aufgrund ihrer von vorneherein zu einem Mindestmaß
kirchlich sozialisierten Zielgruppe. Davon ist für die Zwecke der vorliegenden Arbeit, die
nach spirituellen und religiösen Grundlagen einer Gesamtgeneration sucht, nicht
auszugehen.
5. 2. 3
„Religiosität aus Briefen er-lesen“ – Zum kommunikativen Austausch
zwischen Mgr. Jean Hengen (†) und Luxemburger Jugendlichen
„Ich habe mich wirklich darüber gefreut, Ihren Brief zusammen
mit meiner Klasse durchzudiskutieren. (…) Ich fand es sehr nett,
daß Sie die Jugend nicht vergessen haben, was meiner Meinung
nach auch sehr wichtig ist“
Danielle, Schülerin, 15 Jahre, in ihrem Brief an Erzbischof Jean Hengen (†)464
Ein m. E. ausgesprochen positives Beispiel bezüglich der Auseinandersetzung mit
jugendlicher Religiosität, seitens der katholische Kirche selbst ist, die Idee des
Erzbischofs Jean Hengen († 2005), der 1988 einen Hirtenbrief verfasste, welcher sich eigens
an die Jugend richtete, und zwar mit dem (provokativen) Titel „Wollt auch ihr weggehen?“
464
Zitiert nach Gindt (1991), S. 189.
198
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Das Zitat ist angelehnt an Johannes 6, 67 und thematisiert die Glaubenskrise der
Jugendlichen, die ihn selbst beunruhige.465
Die Jugendlichen quittierten dieses Signal des Erzbischofs mit regem Interesse und
Dankbarkeit, aber auch kritischen Diskussionen, woraufhin Erzbischof Hengen die
Jugendlichen Luxemburgs aufforderte, ihm ihre Vorstellungen von Religiosität in Briefen
mitzuteilen. Zweihundertsechs Briefe gingen damals ein.
Das Gelungene an der Aktion ist erstens, dass die Jugendlichen in ihren Äußerungen
keinerlei Vorgaben bekommen, sondern aus ihrer ureigenen Sicht Glaubensthemen
angehen. Sie dürfen das beschreiben, was sie bezüglich, Glaube Kirche aber vor allem in
Bezug auf sie selbst bewegt.
Selbstverständlich muss das Lob mit der Einschränkung leben, dass dies eine freiwillige
Sache seitens der Jugendlichen war, und wahrscheinlich überdurchschnittlich viele
Jugendliche geantwortet haben, die sich von Kirche in irgendeiner Form sowieso
angesprochen fühlen, während die Desinteressierten schweigen. Doch ist es ebenso
möglich, dass durch die Tatsache, dass der Erzbischof persönliches Interesse an der
Meinung Jugendlicher bekundet und sich selbst kümmert, sicher auf so manchen eine
Motivation ausgeübt, aus dem eigenen Schneckenhaus herauszukommen und sich zu
äußern. Da sich in Glaubensaussagen die Individualität des Einzelnen ausdrückt, ist das
Medium Brief sicherlich eine geeignete Form, etwas über Jugendreligiosität in Erfahrung zu
bringen. Jedoch ist einzuräumen, dass die Auswertung mühsam ist und entsprechend nur
mit einer übersichtlichen Zahl an Befragten gearbeitet werden kann. Dies macht das
Zeichnen einer religiösen Gesamtsituation auf Grundlage des Mediums Brief schwieriger.
Entscheidend ist die G e s t e , mit der den Jugendlichen begegnet wird: Was sie sagen, ist
relevant und wird ernst genommen, und zwar kirchenpolitisch an oberster Stelle, und es
veranlasste immerhin über zweihundert Schüler sich Zeit zu nehmen, um sich intensiv mit
Glauben auseinanderzusetzen. Die eingegangenen Briefe wurden im Arbeitskreis des
465
Hengen schreibt den Jugendlichen, sie täten sich sicher schwer mit den Formen und Normen
der Kirche und hätten oft das Gefühl, „daß niemand ihnen richtig zuhört, daß sie Antwort auf
Fragen bekommen, die sie nicht gestellt haben, und daß ihre Fragen und Ängste nicht ernst
genommen werden“. Hengen (1988), S. 1-4. Der Bischof lässt so die Verantwortung für die
Krise nicht bei den Jugendlichen allein, sondern nimmt sich und die kirchlichen Vertreter
selbst mit in die Pflicht. Er bezeichnet es „als gemeinsame Aufgabe aller, in der Kirche zu
einem neuen Dialog zu kommen.“ Ebd.
199
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Zweiten Pastoralrates der Erzdiözese Luxemburg ausgiebig rezipiert und ausgewertet. Viele
Briefe äußerten eine Distanzierung zur Kirche, doch bot und bietet eine solche Art der
Befragung die Chance, die Beweggründe genau zu analysieren und weitere Impulse für die
kirchliche Jugendarbeit zu gewinnen.466 Die Qualität der Aussagen spricht dafür, eine
Wiederholung dieser Aktion in Erwägung zu ziehen.
5. 2. 4
„Les valeurs au Luxembourg“ – Aussagen einer Wertestudie bezüglich
Religiosität
Die luxemburgische Wertestudie, die 2002 unter der Leitung von Michel Legrand im
Rahmen der europäischen Wertestudie durchgeführt und bereits im dritten Kapitel dieser
Arbeit in Ausschnitten analysiert wurde, widmet einen beachtlichen Teil, nämlich mehr als
ein Fünftel der knapp tausendseitigen Studie der Religiosität, und zwar unter dem Titel
„Une religion »à la carte«?“467
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit können anhand dieses Umfangs nur wesentliche Züge
der Daten sekundär ausgewertet und dargestellt werden. Eine der wichtigsten Aussagen
hierbei sind Erkenntnisse über die Itemstruktur der Befragung. So wurden 23 Items
ausgewählt, die als religiöse Indikatoren benannt und den Befragten zur persönlichen
Zustimmung oder Ablehnung vorgelegt wurden.468
Auf den ersten Blick gibt die Tabelle einen aufschlussreichen Überblick auf die Prioritäten
der Luxemburger bezüglich ihres Gottesglaubens: Vertrauen in die Kirche und die
„Homogamie religieuse“ ist den Befragten wenig wichtig; die allgemeine Teilnahme
an einer Religion und der Gottesglaube waren die wichtigsten Indikatoren.
Jedoch muss sich die Tabelle fragen lassen, wie aussagekräftig diese Items sind. Was
bedeutet die „Teilnahme“ - eine Gebets- oder Gottesdienstpraxis, ein bestimmtes Interesse
466
Der vorliegenden Arbeit zugänglich waren Zitate, die Jean-Louis Gindt, der die Briefe
seinerzeit noch einmal persönlich durcharbeitete, zusammengestellt hat. Ein Auszug aus dem
Protokoll der 13. Sitzung des Arbeitskreises „Jugend“ wurde veröffentlicht als Die Stimme der
Jugend in d’Wissbei 6 (1989), s. Bibliographie. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung
aussagekräftiger Zitate zu den Problembereichen und Beweggründe für die Distanzierung zur
Kirche. Gindts Analyse weist wichtige Ergebnisse dieser Brief-Aktion nach.
467
Vgl. das 7. Kapitel in Legrand (2002), S. 535-754.
468
Legrand (2002), S. 540 f. Die Tabelle findet sich im Anhang dieser Arbeit.
200
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
an religiösen Fragen oder lediglich das getauft Sein? Was ist mit dem Glauben an Gott
gemeint, wo hier außerdem noch unterschieden wird mit einer zweiten Antwortmöglichkeit
mit dem Glauben an einen personalen Gott?
Auffallend sind auch Widersprüchlichkeiten im Antwortverhalten, wie etwa die
wichtige Rolle des Glaubens an Gott neben der Tatsache, dass nur 19% Gott sehr wichtig
finden! Wie ist das zu erklären?
Wie auch die zuvor besprochenen Studien erfasst die luxemburgische Wertestudie die
Gottesdienstfrequenz der Befragten.469 Wenn man sich daran erinnere, dass der
Gottesdienstbesuch als Pflicht gilt, bleibt festzustellen, dass nur einer von fünf Einwohnern
Luxemburgs einmal pro Woche den Gottesdienst besucht.
Weiterhin liefert die Studie eine Fülle von Daten zur Kirchenbesuchspraxis, gestaffelt nach
Alter, politischer Gesinnung, Familienstand, Nationalität, Bildungsstand, internationale
Vergleichsdaten und vieles mehr. Aber auch hier taucht zum wiederholten Male die Frage
auf: Welche Erkenntnis ziehe ich daraus außer, dass die Kirche leerer oder voller ist, wie alt
die Kirchenbesucher sind oder gebildet usw. Aus religionswissenschaftlicher Sicht zunächst
keine! Ähnlich wenig aussagekräftig ist die Studie bezüglich der Gebetspraxis, die
ausführlich untersucht wird.
Dort, wo sich die Studie mit religiösen Inhalten befasst, etwa ob die Befragten ans Paradies,
an die Sünde oder ein Leben nach dem Tod glauben470 oder nach welchen Werten der
Religion sie sich richten (etwa Moral, Wahrheit der Dogmen, Werte der Bibel, des Korans
usw.),471 werden immerhin weiter verwertbare Grundlagen für eine Aufbauarbeit geschaffen.
Diese könnte weiterhin fragen, welche konkreten Konsequenzen diese Aussagen bezüglich
des konkreten Verhaltens der Befragten oder auch der Einstellung zu verschiedenen
Religionen und der Amtskirche haben.
Ist also der Titel des Kapitels der Wertestudie über Religion berechtigt? Leben die
Luxemburger eine „religion à la carte“? Die Wertestudie selbst kann darauf
bedauerlicherweise nur ansatzweise eine Antwort geben. Denn es entsteht ein
Zusammenschnitt verschiedener Aspekte von Religiosität, dem jedoch der
Anspruch eines Gesamtbildes versagt bleibt, weil ein Entscheidendes fehlt: die
469
Quelle: Legrand (2002), S. 573. Die Tabelle findet sich im Anhang dieser Arbeit.
Siehe etwa Legrand (2002), S. 634. Die Tabelle findet sich im Anhang dieser Arbeit.
471
Legrand (2002), S. 638.
470
201
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Grundlegung und Definition, was mit Religiosität gemeint ist. Entsprechend endet
das Kapitel über den Wert „Religion“ der Studie mit der Schlussfolgerung, dass Religion
und Institution an Wichtigkeit verloren hätten472 - man beachte die Gleichsetzung! Dass
diese Parallelisierung so nicht berechtigt ist, ist in unseren Kontext ausführlich dargelegt
worden: Selbstverständlich ist Religion nicht gleich Institution; und: ja: Nach den bisherigen
Analysen der vorliegenden Arbeit (siehe Teilkapitel 3. 2. 7!) könnten wir heute die Frage
der Studie zumindest mit einem „Ja, sehr wahrscheinlich“ beantworten. Wahrscheinlich
gibt es eine Vielzahl Luxemburger, die, würden sie befragt, unter die Kategorie der
sogenannten „Kulturreligiösen“ oder auch „Patchwork-Religiösen“ fallen würden.
Die Diskussionen in den Medien über Religiosität, Rolle der Kirche in Öffentlichkeit und
schulischem Raum, die Ansätze der Ausstellung „Glaubenssache“ mit den verschiedenen
Glaubenstypologien, bei denen immer wieder von der Pluralität, dem Patchworkmustern
heutiger Biografien und Charaktere hingewiesen wurde, gleichzeitig das Ringen um Ethik
und Werte im Staat, bei Gesetzesfindung und der öffentlichen Meinung – das alles spricht
ganz und ganz nicht für eine Müdigkeit bezüglich des Themas – ganz im Gegenteil.
5. 2. 5
Die Deutsche Shell-Jugendstudie
Es liegt im europäischen Raum bereits eine Reihe von Jugendstudien vor, die sich mit
Religiosität bei Jugendlichen auseinandersetzen. Bei manchen (Ziebertz, Kalbheim und
Riegel) steht die Religiosität im Vordergrund der Befragung, bei anderen (Europäische
Wertestudie, Shell) ist sie Teil innerhalb eines allgemeinen Themenkomplexes. Beispielhaft
aus dem außerluxemburgischen Kontext sei in diesem Rahmen die Shell-Studie 2000
beziehungsweise 2002 vorgestellt.473
In der Studie der deutschen Shell-AG „Jugend 2000“ wurden Daten zur Religiosität
Jugendlicher in Westdeutschland ermittelt, indem sie Jugendliche befragte, ob sie an ein
Weiterleben nach dem Tod glauben, nach ihrer Gebets- und Gottesdienstpraxis. Im
Vergleich zu der ILReS-Umfrage von 1988 haben sich die Fragestrukturen nicht wesentlich
verändert. Die Schlüsse, die die Shell-Studie daraus zieht, sind dementsprechend
472
Vgl. „la religion et les institutions qui y sont liées ont perdu de leur importance“, Legrand
(2002), S. 734.
473
Deutsche Shell (2000), S. 162, S. 540 (Graphik siehe Anhang).
202
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
problematisch hinsichtlich ihrer Aussagekraft über Religiosität. Dort heißt es, es gebe
„einen Rückgang von Glaubensvorstellungen ebenso wie eine abnehmende religiöse oder
kirchliche Praxis“474. Die 13. Shell-Jugendstudie 2000 stellt fest, dass „83% der befragten
Jugendlichen nicht mehr zum Gottesdienst gegangen“ waren,475 jedoch immerhin nur etwa
die Hälfte aller Jugendlichen der These „Ich bin nicht religiös“ zustimmten.476 Dies
immerhin bringt uns auf die Spur der Unabhängigkeit der beiden Faktoren in Bezug auf
die tatsächliche Religiosität Jugendlicher.
Kulds Aussage, Religion werde im Jugendalter „unsichtbar“477, ist von jeder Seite
zuzustimmen, von kirchlicher Seite uneingeschränkt, vonseiten dieses Ergebnisses bei
Shell nur mit einem Zusatz – für die „konventionelle Weise“ unsichtbar. Die Existenz
kirchlich-christlich geprägter jugendlicher Religion sowie die inhaltliche Zustimmung
dogmatischer Aussagen der Amtskirche verschwinden zweifellos. Dass und warum dies
nicht als alleiniges Kriterium für Religiosität gelten kann, ist an verschiedenen Stellen dieser
Arbeit bereits dargelegt worden. Wenn Jugendliche nicht sensibilisiert worden sind, religiöse
Wirklichkeit wahrzunehmen, wenn sie religiöse Kommunikationsfähigkeit nicht erwerben
konnten, weil schulische wie familiäre Bildungsorte dies nicht zuließen, und wenn
Religiosität nicht als vom Subjekt ausgehend multiperspektivisch definiert wird, werden
quantitative empirische Studien entsprechend ausfallen.
Ein weiteres Problem, das die Shell-Jugendstudien bezüglich der Auskunft über Religiosität
in jedem Fall darstellen, ist ihre Fragetechnik. So rangiert bei der Shell-Studie aus dem
Jahre 2002 bei der Frage nach wichtigen Werten für die eigene Lebensgestaltung bei
Jugendlichen im Alter von 12-25 Jahren „Gottesglaube“ auf einer Skala von 1-7 etwa im
mittleren Bereich.478 Hierbei kann man jedoch nicht davon ausgehen, dass ein christlicher
Gott gemeint ist. Stellt man die Frage nämlich anders – so geschehen in anderen
Jugendstudien, ergibt sich sogleich ein verändertes Bild. Wenige Jahre zuvor nämlich
stimmten 46% aller westdeutschen Jugendlichen dem Bild von Gott als Weltschöpfer, aber
auch
43%
einem
pantheistischen
Gottesbild
zu.479
Hier
vermischen
sich
unterschiedlichste Gottesbilder und lösen sich von den Lehren der Kirche. Diese
Vieldeutigkeit der Begriffe erschwert der Forschung einen Zugriff.
474
Deutsche Shell (2000), S. 162.
Ebd.
476
Deutsche Shell (2000), S. 173.
477
Kuld (2001), S. 111.
478
Vgl. Deutsche Shell (2002), S. 148 f.
479
Helsper (2000), S. 292.
475
203
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Die methodologische Erfassung jugendlicher Religiosität mithilfe von multiple-choice
Antworten auf vorgegebenen Fragen ist streitbar, denn es bleibt ungeklärt, ob Frager
und Befragte dasselbe meinen und verstehen. In freien Antworten wie Interviews und eben
auch Briefen haben die Jugendlichen eher die Möglichkeit, ihr Konstrukt von Religiosität zu
entwickeln und zu einem komplexeren Religiositätsverständnis seitens der Frage
beizutragen. Insofern ist die Ergänzung einer quantitativen Studie durch eine
qualitative in Fragen der Religiosität auf jeden Fall sinnvoll und wünschenswert. Wie sonst
könnte man etwa das Gottesbild eines Jugendlichen in seinem Ursprung, seiner
Ausgestaltung
und
seiner
Facetten
bezüglich
ethischer
beziehungsweise
lebensgestalterischer Fragen tatsächlich erfassen?
Kuld bilanziert anhand der Shell-Ergebnisse, dass der „Abwärtstrend nun auch die religiöse
Praxis erreicht“ habe und die „euphorischen Interpretationen von einer Religion jenseits
von Kirchen (…) fraglich sein“ dürften.480 Ich pflichte Lothar Kuld in dem Punkt bei, dass
eine Gottesdienst- und Gebetspraxis den Jugendlichen in der Entwicklung allgemeiner
religiöser Haltungen unterstützt und dies einfacher ist innerhalb eines intakten
Gemeindelebens beziehungsweise einer familiären Kirchenpraxis. Allerdings sei zu
Bedenken gegeben, dass wir noch zu wenig wissen über alternative Orte und Praktiken, die
eine ä h n l i c h e
Funktion
wie Gebet und Gottesdienstbesuch erfüllen. Die
Erkenntnisse über die Eventisierung von Religiosität im Teilkapitel 3. 2 sowie die
Darstellung alternativer Ausdrucksorte im Teilkapitel 4. 4 dieser Arbeit möchten einen
Denkansatz hierzu liefern.
5. 2. 6
Im
Die TNS-ILReS-Studie 2008
Jahr
2008
beauftrage
der
Erzbischof
Luxemburgs
das
SESOPI-Centre
Intercommunautaire mit dem Meinungsforschungsinstitut ILReS, unter der Luxemburger
Bevölkerung beziehungsweise bei Eltern und schulpflichtigen Kindern eine Umfrage
bezüglich des Religionsunterrichts durchzuführen. Die Motivation für dieses Vorhaben lag
darin begründet, dass seitens des nationalen Erziehungsministeriums zwar Zahlen bezüglich
der Einschreibung für das Fach „Instruction Religieuse et Morale“ und „Formation Morale
480
Kuld (2001), S. 11.
204
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
et
Sociale“
vorlagen,
diese
jedoch
wenig
über
die
Zufriedenheit
der
Wahlmöglichkeiten seitens der Kinder und Eltern aussagten.481 ILReS führte die
Erhebung per Internet-Fragebogen und über persönliche Telefonbefragung durch.
Das vorliegende Teilkapitel möchte einige zentrale Ergebnisse darstellen:
1. 68% der Gesamtbevölkerung bzw. 73% der Eltern halten die Vermittlung von
Werten an die Jugend für wichtig bis sehr wichtig.482
2. 93% der Gesamtbevölkerung bzw. 92% der Eltern halten es für wichtig, sehr
wichtig oder gar fundamental, dass in der Schule ein Ort existiert, an dem
moralische, religiöse und philosophische Fragen behandelt werden.483
3. 87% der Gesamtbevölkerung bzw. 85% der Eltern begrüßen eine auch
zukünftig bestehen bleibende Wahlfreiheit zwischen den beiden bereits
existierenden Fächern MORCH und FOMOS. Lediglich 5% wünschen stattdessen
einen Werteunterricht.484
4. Die Gesamtbevölkerung bzw. die Eltern vermuten, dass folgende Prozentsätze der
Eltern ihre Kinder aus voranstehenden Gründen für den RU anmelden:485
 aus Tradition: 85% / 86%
 aus Gewohnheit: 75% / 76%
 weil die Religion Teil einer guten Ausbildung ist: 50% / 47%

weil ein gutes Verständnis von Religion in einer globalisierten Welt
wichtig ist: 46% / 45%

weil sie nicht von der Qualität des FOMOS-Unterrichts überzeugt sind:
44% / 34%
481
Vgl. Besch / Estgen / Legrand (2008), S. 3 f.
Besch / Estgen / Legrand (2008), S. 12.
483
Besch / Estgen / Legrand (2008), S. 13.
484
Besch / Estgen / Legrand (2008), S. 14 f.
485
Besch / Estgen / Legrand (2008), S. 20.
482
205
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
5. Die Gesamtbevölkerung bzw. Eltern halten die Behandlung nachstehender
aufgeführter Themen für einen zukünftigen RU für wichtig, sehr wichtig oder
fundamental: 486

die Persönlichkeitsentwicklung der Jugend: 78% / 69%

Kenntnisse über unsere Kultur und Zivilisation: 85% / 87%

Wie man in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft
zusammenleben kann: 86% / 88%

Förderung von Ökologie, Umwelt und internationaler Solidarität: 77% / 76%

vertraut werden mit Glaubensvermittlung und –leben: 68% 64%
Die Befragung erlaubt interessante Einblicke, was eine laut ILReS repräsentative Mehrheit
unter der Bevölkerung beziehungsweise der Eltern über den Religionsunterricht und seine
Alternativen denken. Sie ist m. E. innerhalb der Diskussion über die Einführung
eines Einheitskurses als hochwertig einzuordnen, weil sie Meinungen in
tatsächliche Zahlen übersetzt, statt sich lediglich auf subjektive Eindrücke,
populistische
Stimmungen
und
via
Medien
laut
herausgerufene
Minderheitsansichten zurückzuziehen.
Die vorliegende Arbeit möchte es bei dieser Nutzung belassen, da die ILReS-Studie von
2008 sich abgesehen von der Einheitskursdiskussion, auf die im folgenden, 6. Kapitel der
vorliegenden Arbeit noch präziser eingegangen werden wird, nicht weiter auf das
kontextuale Forschungsinteresse anwenden lässt.
486
Besch / Estgen / Legrand (2008), S. 21.
206
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
5. 3 Zusammenfassung: Gelingen und Ertrag bisheriger Studien mit dem Thema
„Religiosität“ in Luxemburg und weiterer Forschungsbedarf
Die analytische Zusammenschau bisheriger Studien hat nachgewiesen, dass man sich dem
Thema jugendlicher Religiosität immer wieder genähert hat und es bis heute tut.
Gleichzeitig ist klar geworden, dass es an der Vergleichbarkeit mangelt: Bisher ist der
Begriff der Religiosität ist nur vereinzelt im Vorfeld reflektiert und entsprechend auf die
Itemstrukturen der Fragebögen angewandt worden. Auch wurden die Begrifflichkeiten von
Religiosität und Kirchlichkeit nicht überall sauber getrennt, und es tauchen die üblichen
Stereotypen gegenüber Religion auf. Man hat sich vielfach zu wenige Gedanken gemacht,
welche Voraussetzungen die heutige Jugendgeneration mitbringt, um nach Religiosität
befragt zu werden; und schließlich ist bei bestimmten Befragungen das Resultat – wenn es
denn veröffentlicht wurde - nicht repräsentativ, weil es sich um eine bestimmte Klientel
handelte, die keinen repräsentativen Überblick einer Gesamtbevölkerung bieten kann. Die
vorliegende Arbeit hat diese Aspekte zu problematisieren, aufzuarbeiten und
Grundlagen für eine zukünftige Empirie zu schaffen versucht.
Wenn wir mit Jugendlichen über Religiosität reden wollen, müssen wir uns sehr genau
überlegen, wie wir die Befragten ansprechen und wie wir formulieren.487 Das
Messinstrumentarium vieler Studien ist problematisch in der Hinsicht, dass bei keinem der
Beispiele Religiosität definiert wird, und so durchaus interessante Teilergebnisse nicht zu
einem Gesamtbild vernetzt werden. Die in dieser Arbeit versuchte Darstellung des
Religiositätsbegriffs in seiner Vielschichtigkeit möchte hierzu einen Neuansatz liefern.
Außerdem ist zu problematisieren, dass abgefragte Begrifflichkeiten wie Gottesbilder usw.
nicht grundlegend definiert wurden. Hier müsste eine erneute Umfrage wesentlich konkreter
arbeiten. Zudem müssten die Auswahlkriterien für vorgeschlagene Glaubensinhalte vorher
durchdacht und transparent sein: Wie frage ich Jugendliche, ob sie an die Erbsünde glauben,
wenn ich möglicherweise gar nicht davon ausgehen kann, dass die Jugendlichen diesen
Begriff verstehen? Gute Chancen auf aufschlussreiche Ergebnisse hätte eine empirische
Annäherung an die Jugendlichen in Form von oder zumindest in Kombination mit
Tiefeninterviews. Dies könnte die Möglichkeiten verbessern, insbesondere etwas über die
subjektive Seite jugendlicher Religiosität zu erfahren.
487
Siehe hierzu auch Baader (2005): „Die Antwort auf die Frage, wie wichtig Religion heute für
Jugendliche ist, ist in hohem Maße abhängig davon, wie sie gestellt wird.“ S. 14.
207
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Ein weiteres Defizit bisheriger Studien liegt in den Möglichkeiten, die Stärke von Religiosität
zu veranschaulichen. Vielfach wird immer noch auf Kirchgang und Gebetspraxis allein
verwiesen. Mit dem Huberschen Ansatz der Zentralitätsskala liegt hingegen ein Schema vor,
das die klassischen Faktoren mit weiteren Aspekten zu einem Gesamtkonzept verbindet,
das insbesondere jugendlicher Religiosität eher gerecht wird. Mit ihm können bestimmte
religiöse Typen in einem Wertekreis verortet werden; die Zentralitätsskala ermöglicht es,
Religiosität zu messen. Mit der Ausstellung „Glaubenssache“ wurde immerhin an einem
Punkt der Mut gefunden, sich der religiösen Gretchenfrage erneut, und zwar auf
aparte Art zu stellen. Wie bereits in Teilkapitel 3. 2. 7 dargestellt, werden hier neue
Maßstäbe
zur
Beurteilung
von
Religiosität
angesetzt.
Ihre
Konzeption,
die
bedauerlicherweise erstens ihre Auswertung nicht konsequent und durchdringlich in der
Öffentlichkeit seinerzeit zu Gehör brachte und zweitens sich auf die Erwachsenenwelt
konzentrierte, böte dennoch immerhin eine innovative Ideengrundlage. Wie in dieser Arbeit
dargestellt, besitzen die Ideen Hubers zur Messung von Religiosität nützliches Potenzial für
eine Befragung spiritueller und religiöser Grundhaltungen Luxemburger Jugendlicher. Der
im 4. Kapitel dieser Arbeit errichtete Wertekatalog könnte die Konzeption des
Huberschen Katalogs ergänzen.
Es fehlen in Luxemburg umfassende sozialwissenschaftliche Untersuchungen, die
das Phänomen der schwindenden Religion als Ganzes, auch etwa unter
Berücksichtigung der familiären Verhältnisse, unter die Lupe nehmen. So
beschreibt etwa die Gindt-Untersuchung die Ausbildung der Jugendlichen als überwiegend
außerfamiliär stattfindend, womit er hinsichtlich der Berufsausbildung sicherlich Recht
hat488. Jedoch berücksichtigt die Analyse nicht die bezüglich der religiösen Biografie
entscheidende Rolle des Elternhauses. Familienreligiosität muss in zukünftigen Studien
eine stärkere Bedeutung erhalten, als sie es bisher hatte.
Mit Sicherheit ist die konkrete Durchführung einer solchen Studie mit einem hohen
Aufwand verbunden. Auch wenn uns mit dem Huberschen Konzept eine gute Grundlage
für die Messung zur Religiosität vorliegt, muss diese auf jeden Fall landesspezifisch
488
Gindt (1991), S. 23 f.: „Das Erlernen von Fähigkeiten für spätere Anforderungen geschieht
zum größten Teil außerhalb der Familien.“ Gemeint ist damit die Arbeitswelt, jedoch muss
man hier einschränken, dass auch diese profitiert von der bewussten Ausprägung bestimmter
Werte, die der Gesellschaft als Ganzes zugute kommen und die eben anderen Theorien zufolge
sehr wohl in großer Verantwortung bei den Eltern liegen.
208
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
modifiziert werden. Worauf dabei im Besonderen zu achten ist, das haben die beiden
vorangegangenen Kapitel dieser Arbeit mit der Analyse relevanter gesellschaftlicher
Merkmale
in
Luxemburg
darzulegen
versucht.
Warum
die
Ernstnahme einer
Kulturtheologie so wichtig ist, damit möchte sich das folgende Kapitel noch eingehender
befassen.
209
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
6 Resümee: Die Lebenswirklichkeit Jugendlicher in Luxemburg als
Basis für christlich-religiöse Wertebildung und Konsequenzen für
die Zukunft des Unterrichtsfachs MORCH
6. 1
Über die Notwendigkeit einer Kulturtheologie
„So glaube ich nicht, daß wir als Europäer Begriffe wie Moralität und
Sittlichkeit, Person und Individualität, Freiheit und Emanzipation …
ernstlich
verstehen
heilsgeschichtlichen
können,
Denkens
ohne
uns
die
Substanz
jüdisch-christlicher
des
Herkunft
anzueignen.“
Jürgen Habermas, Philosoph489
Der Begriff der religiösen Inkulturation ist von verschiedenen Seiten aufgegriffen worden,
so etwa von der Befreiungstheologie, beispielsweise um Leonardo Boff, die das Wort des
Evangeliums in die heutige Zeit, konkret in die vielerorts sozial ungerechte Wirklichkeit
Lateinamerikas holt und eine politische Umsetzung des Wortes Christi fordert, die sich in
unterschiedlichen soziokulturellen Kontexten thematisieren lassen muss. Auch europäische
Theologen wie etwa Luckmann oder Kaufmann bestimmen Religion als „eingebettet in den
jeweiligen historischen Kontext der Gegenwart“ 490. Judith Könemann vergleicht Thomas
Luckmanns Theorie mit der Franz-Xaver Kaufmanns, der zwar die These der Verlagerung
der Religion in den Privatbereich unterstützt, jedoch betont wissen möchte, dass der
Mensch zur Religion nur durch kulturelle und soziale Vermittlung gelangen kann.491
Heiligkeit hängt grundsätzlich von jeder Gesellschaft ab. In einer Industriegesellschaft sind
andere Dinge heilig als bei Naturvölkern. Dass theologisches Denken schwer von konkreten
historischen wie sozialen gesellschaftlichen Gegebenheiten vorstellbar ist, sieht auch der
Theologe Albrecht Grözinger, der analysiert, was sich angesichts leerer Gotteshäuser und
sterbender Gemeinden geändert hat. Er stellt fest, dass die Veränderungen der Gesellschaft
489
Habermas (1988), S. 23.
Das Zitat ist bezogen auf die Theorie Luckmanns von 1996. Die Ansätze Luckmanns und
Kaufmanns stellt Judith Könemann dar. Dies. (2002), S. 33-35.
491
Könemann (2002), S. 35.
490
210
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
nicht allein Bedrohung seien, sondern Chance. Grözinger betont das besondere Profil der
Kirche gerade in dieser Zeit und bekennt freimütig: „Gewiß wird es ‚Theologie’ nur geben,
wenn sie auf ‚Kultur’ bezogen und so immer auch in Kultur verwoben ist.“492 Er zitiert
dabei unter anderem Henning Luthers Mahnrede,493 die die Wandlung der traditionellen
Ansprache und Predigt angesichts postmoderner Bedingungen fordert. Bibel müsse sich im
entsprechenden Gewand präsentieren.
Mit Sicherheit sprechen einige Gründe für die kulturtheologische Idee. Sie ist ja eine der
Grundlagen der vorliegenden Arbeit insofern, als Religiosität nicht nur in einem
landespezifischen, sondern auch jugendsoziologischen Kontext beleuchtet worden ist
und weiterer Forschungsbedarf in dieser Richtung als notwendig ausgewiesen wurde. Die
Sinus-Milieustudie U27 (siehe Teilkapitel 3. 1. 6) hat hierzu in Sachen
Datenerhebung interessante Ansätze geliefert, weil sie die Jugendlichen
buchstäblich da abholt, wo sie stehen.
Jedoch kommt man nicht umhin, auch Grenzen der Kulturtheologie aufzuzeigen, nämlich
genau dann, wenn der Gegenstand selbst, die Religion, Opfer kultureller Willkür wird. Ein
Querschnitt durch die moderne Bibelliteratur für Kinder lässt teilweise schon erschauern,
denn der Markt bietet Altes und Neues Testament nicht selten so an, als handele es sich um
eine in Wort und Schrift beliebig präsentierbare Geschichte. So werden biblische Figuren in
dem Sinn „inkulturiert“ indem man, um nur ein Beispiel zu nennen, die Arche Noah mit
einer Wäscheleine zeichnet, an der Unterwäschestücke hängen, die erst im 20. Jahrhundert
auf den Modemarkt kamen.494 Auch die Sprache wird häufig heutigen Umgangsformen
angepasst. Auch wenn es uneingeschränkt begrüßenswert ist, die Bibel Kindern
verständlich zu übersetzen, sollte man doch nicht dem Reiz der Anbiederung
durch Jugendjargon erliegen. Denn man sollte nicht vergessen, dass es sich hier doch
um eine h e i l i g e Schrift handelt, die sich nicht mit anderen Gattungen ohne Weiteres
vergleichen lässt und entsprechend besondere Umgangsformen erfordert. Bei aller
Befürwortung, dass Kirche und Religion mit der Zeit und den Menschen gehen sollten,
müssen bestimmte Fixpunkte ihre Gültigkeit behalten, um nicht den Ursprung und
wahrhaften Charakter des Glaubens einzubüßen. Vor diesem Hintergrund müssen sich
492
Grözinger (1998), S. 58.
Siehe hierzu Luther (1991).
494
Coplestone (2004) o. S.
493
211
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
dann auch Jugendbibel-Projekte wie etwa das der protestantischen Kirchen, Basis B,495 das
sich in „cooler“ Aufmachung präsentiert, daraufhin prüfen lassen, ob sie der Maxime
wahrhaftiger Wiedergabe der Schrift gerecht werden.
Dass die Beurteilungsmarken nicht leicht zu stecken und Übergänge und Grenzen fließend
sind, zeigt das folgende Beispiel von Hermann Timms, das Grözinger als gelungen beurteilt:
„Denkbar wäre Folgendes: Von einer funktionslos gewordenen Altstadtkirche werden die
Türen entfernt, damit sie Tag und Nacht öffentlich begehbar ist. Man räumt Sitzgelegenheiten
aus, die an einen Hörsaal denken lassen, beseitigt die Orgel, die zum Musentempel prädestiniert,
und kommt überein, in ihr keine Predigt und keinen Gottesdienst mehr zu halten. Nur
historische Sakralarchitektur mit dem Kruzifix als Blickfang in der Apsis, über einer
geschlossenen Bibel thronend, den ungelesenen Memoiren des Hausherrn von einst. Im übrigen
Stille, Totenstille. Ruhe. Grabesruhe, wie auf dem Friedhof, dem Gottesacker. Menschenleere,
Gottes-Leere. Metropolis, Nekropolis, wie ein protestantisches Mausoleum, von öffentlicher
Hand und kirchlicher Lehre gemeinsam in dieser Bedeutung eingesetzt, um den vergessenen,
verleugneten, verdrängten Kulturort der Urbanität zu erinnern – schweigend. (…)“496
Ich persönlich stelle mir mit diesem künstlerisch arrangierten Zugeständnis an
Säkularisierung die Frage, ob man damit Kirche nicht früher für tot erklärt und damit ad
acta legt als sie es tatsächlich ist beziehungsweise verdient. Religiöse Inkulturation
bedeutet
durchaus
die
Anerkennung
realer
Verhältnisse
in
Bezug auf
transzendente Inhalte, nicht jedoch das Überlassen sakraler Orte denen, die vergessen
haben – falls sie es überhaupt haben! Dies geht drei Schritte weiter als das immerhin schon
auch umstrittene luxemburgische Projekt „Pimp my church“. Dann nämlich muss man
Grözingers Frage seines Buchtitels, ob Kirche „noch zu retten“ sei, sicher mit Nein
beantworten.
Wie in Teilkapitel 3. 2. 5 aufgezeigt, gibt es in Luxemburg keine einheitliche Konzeption zur
Förderung spiritueller Nachfrage. Angebotsversuche gibt es viele, sei es durch pimpmychurch,
die Messdiener oder Pfadfinderverbände, jedoch bleibt dies Stückwerk. Schule als Ort
der Bildung des ganzen Menschen muss ohnehin einen anderen Ansatz verfolgen
als die Freizeitangebote: Hier geht es nicht um die inhaltlichen Interessen von
Privatpersonen, die sich bei Vereinen oder auch der Kirche an- und wieder abmelden
können. Schule darf selbstverständlich nicht der lange Arm der Kirche oder jener
495
496
Eine Kopie der Werbebroschüre findet sich im Anhang dieser Arbeit.
Timm (1990), S. 132.
212
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Vereine sein. Dennoch muss hinsichtlich der Erfassung, wie Jugendliche spirituell und
religiös erstens zu verstehen und zweitens öffentlich-schulisch zu fördern sind, Schluss sein
mit der Stigmatisierung der unterschiedlichen Meinungsgruppen. Die Diskussion, ob das
Land Luxemburg einen Einheitskurs statt des bisherigen zweigliedrigen Systems braucht,
kann nur fair geführt werden, wenn man sich argumentativ von den Geistern der
Vergangenheit – sei es aus der Kirche wie aus der praktischen Philosophie - trennt und den
Diskurs auf der modernen Sachebene führt, die sich an den tatsächlichen heutigen
Bedürfnissen der Jungen und Mädchen, die unsere Schulen besuchen, orientiert.
6. 2
Luxemburg als Ort für Religiosität
Die Untersuchungen dieser Arbeit haben gezeigt, dass trotz einer relativ homogenen
katholischen Religionslandschaft sich kein eindeutiges Bild bezüglich der Religiosität
Luxemburger Jugendlicher ergibt. Bisherige Studien vermochten es nicht, überzeugende und
gesamtgültige Beschreibungen zu liefern. Dass wir Jugendlichen die Frage nach
Religiosität durchdachter antragen müssen, ist eines der wichtigsten Ergebnisse
der vorliegenden Arbeit.
Im luxemburgischen Alltagsleben finden wir eine Menge Spuren gelebter Religiosität bei
Jugendlichen, die sich nicht etwa allein in der Teilnahme an religiösem Brauchtum äußert,
sondern der wir uns mit der Neudefinition von Religiosität und Spiritualität sowie dem
Aufspüren der Eventkultur angenähert haben. Insofern hat Religiosität für Jugendliche
in Luxemburg innerhalb einer weitgehend säkularisierten Alltagswelt eine
lebensweltliche Bedeutung. Doch ist ebenfalls klar geworden, dass es eine Menge
Anzeichen für eine Schwächung der Religion im gesamtsozialen luxemburgischen Konzept
gibt, was sich unter anderem in der öffentlichen Haltung zum RU äußert.
Es ist zudem auch klar geworden, dass jenseits von Brauchtum und Kirchlichkeit eine
Religiosität herrscht, die nach bisherigen gängigen Mustern nicht erfasst worden
ist. Dem Engagement der Jugendpastoral in Luxemburg ist es zuzuschreiben, dass der
schrittweisen Marginalisierung der Religion in den Schulen seitens der Kirche
entgegengesteuert wird. Ob dies angesichts sich auflösender familiärer Strukturen langfristig
213
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
erfolgreich sein kann bleibt abzuwarten. Weiterhin müssen wir die Prägungsorte
jugendlicher Religiosität, und hier insbesondere die Familie, stärker miteinbeziehen.
Bevor eine empirische Studie angelegt ist empfehlen die bisherigen Erkenntnisse ein
Überdenken der religionspädagogischen Konzeptentwicklung für Luxemburgische
Jugendliche. Bereits im Vorfeld lässt sich vermuten, dass die „Ich-Einsamkeit der Neuzeit“
(Buber) es den Jugendlichen schwer macht, Religiosität in einem Du zu finden. Dieses Du
jedoch ist Ausgangspunkt für die religiöse Identitätsfindung. So konstatiert auch Schmälzle:
„Bildung der Persönlichkeit ist kein machbarer Prozeß. Er beinhaltet Erleben und Erfahren,
Brücke und Trennungen. Identitätsfindung und Selbsterfahrung setzen existenzielle
Begegnungen und Konfrontationen voraus.“497
Wenn wir Religiosität in Luxemburg erwarten oder vermissen, müssen wir weiterhin nach
dem Umfeld fragen, in dem sich Religiosität entwickeln kann. Udo Schmälzle stellt vier
Prinzipien auf, nach denen eine interpersonale Du-Begegnung bei der Entwicklung von
religiöser Identität stattfindet:
1. Die Identitätsfindung des Menschen lebt von personaler Begegnung von Mensch zu Mensch.
Diese Begegnungen bilden den Wurzelgrund (positiv wie negativ) für den Beziehungsaufbau
zwischen Mensch und Gott.
2. Menschliche Grunderfahrungen wie „lieben“, „glauben“ und „hoffen“ sind Du-vermittelt.
3. Begegnungsgeschehen ist nur begrenzt begrifflich zu fassen und zu objektivieren. Die betrifft
den Geheimnischarakter von Ich- und Du-Erfahrungen.
4. Begegnung ist nicht machbar. Dieses Prinzip berührt den Freiheitscharakter
zwischenmenschlicher Beziehung und der Begegnung zwischen Mensch und Gott.498
Wenn diese Thesen auf den ersten Blick auch plausibel erscheinen mögen, sprechen doch
gewichtige Argumente dagegen, sie inhaltlich im schulischen Rahmen auf die heutige junge
Generation Eins-zu-Eins anzuwenden: Der Schüler müsste, bevor er in einen Dialog mit
anderen Glaubensweisen und Weltanschauungen eintreten könne, zunächst selber religiös
beheimatet und sich seiner konfessionellen Identität sicher sein. Dem ist jedoch
entgegenzuhalten, dass das Christentum selbst in vielen Familien zur „Fremdreligion“
geworden ist. Wir können heute kaum noch von einer religiösen Beheimatung der Schüler
497
498
Schmälzle (1999/2000), S. 38.
Ebd.
214
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
sprechen, die im Unterricht gestärkt und gefestigt werden könnte. Zweitens widerlegt die
Praxis die These, dass der RU zur konfessionellen Identitätsbildung beiträgt und
dadurch Voraussetzung für interreligiöse Dialogfähigkeit schafft. Auch wenn dies
aus
Sicht
des
Religionslehrers
und
der
Kirche
sicher
ein
anzuerkennendes
Herzensanliegen sein mag und es auch sein soll (!), ist dies in der Praxis weder
umsetzbar noch gewünscht, da es mit zunehmend mit dem Anspruch, der RU solle nicht
(mehr) missionarisch tätig sein, zusammenprallt. Aus meiner Erfahrung sehen sich die
allerwenigsten Fachkollegen der „Instruction Religieuse et Morale“ in dieser veralteten
Rolle, freilich sehr wohl aber als jemand, der als selbst Glaubender dem Schüler eine
Begegnung mit dem Glauben ermöglicht. Insofern wäre die erste These zumindest
potenziell im Unterricht erfahrbar, wenn es einen RU gäbe, nicht jedoch bei einem
Einheitskurs, der von einem Nicht-Theologen gehalten würde.
Als inhaltlich sehr aufschlussreich erweisen sich die Daten, die die Konferenz der
Religionslehrer Luxemburgs als Überblick über den Religionsunterricht in Europa
sammelte. Sie stellte mittels einer genauen Betrachtung der thematischen Materie für jedes
einzelne EU-Land fest, dass von siebenundzwanzig EU-Ländern lediglich vier keinen
RU anbieten.499 Es wurde erhoben, dass dreiundzwanzig EU-Mitgliedsstaaten die „Idee
einer sogenannten ‚wertneutralen’ und konfessionsunabhängigen Religionskunde als beste
Lösung für eine demokratische, interkulturelle Erziehung“ nicht teilen und der Meinung
sind, dass die „gesellschaftstragende Werte wie Toleranz und Respekt in einem frei
wählbaren Modell des Wertunterrichts verwirklicht werden“ könnten.500 Die Konferenz der
Religionslehrer argumentiert daher, dass die „demokratische Entscheidung zwischen RU
und alternativem Werteunterricht (...) somit eine erprobte und bewährte Praxis (sei), die
auch von den in der EU direkt verantworteten Europaschulen angeboten“ werde.501 Aus
ihrer Sicht sollte dies zum Überdenken einiger „festgefahrener ideologischer
Positionen“ auffordern.502
Um einen weiteren inhaltlichen Diskussionsbeitrag jenseits beider vorgetragenen
Argumente für oder gegen einen schulischen Einheitskurs zu leisten, wäre ein
499
Conférence des professeurs (...) (2008), S. 61. Hierzu wird weiter erklärt : „Dazu gehören mit Ungarn und
Slowenien 2 ehemalige ‚Ostblock-Staaten’, in denen während über 50 Jahren kommunistischen Regimes
jegliche Ausdrucksform von Religion verboten war.“ Frankreich hat keinen eigenen Wertunterricht, und
Schweden hat das nicht-konfessionell konzipierte Pflichtfach „Religionskunde“. Ebd.
500
Ebd.
501
Ebd.
502
Ebd.
215
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
aktives Nachfragen mittels einer neu angelegten empirischen Studie besser als Warten. Es
gibt zu wenig Forschung in diesem Bereich. Das Zusammenbringen von Jugend und
Religiosität wird in der Öffentlichkeit immer wieder als schwierig und erfolglos, gar als nicht
notwendig beklagt, gleichzeitig gibt es angesichts der wachsenden menschlichen Aufgaben
in Europa und auf der gesamten Welt sowie in der aktuellen luxemburgischen
Bildungsdebatte durchaus Stimmen, die die Wertediskussion jenseits abgedroschener
Floskeln ergebnisorientierter führen wollen. Auf diesen Aspekt möchte ich im
nachfolgenden Teilkapitel 6. 3 noch einmal zurückkommen.
6. 3
Brauchen Luxemburgs Kinder und Jugendliche einen Einheitskurs?
Eine resümierende Bewertung.
Die Beantwortung dieser Frage am Ende dieser Arbeit hat keinen Absolutheitsanspruch.
Vielmehr fasst sie die Resultate der Teilkapitel aus ihrer jeweiligen, unterschiedlichen
Perspektive zusammen. Es ist klar geworden, dass Jugendliche in Luxemburg sich einer
ganz spezifischen Realität zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit gegenübersehen. Zweitens
habe ich neben der Feststellung eines weiteren Forschungsbedarfs mittels wissenschaftlicher
Studien eine Definition von Religiosität erarbeitet, die sich von den gängigen Mustern
unterscheidet. Ein Kernpunkt hierbei war der Aspekt menschlicher Spiritualität.
Wenn schulische Bildung dieses Bedürfnis bei Schülern bedienen will, muss es
entsprechende
Programme
beziehungsweise
Lehrpläne
gestalten.
Die
Programmkommission des Fachs „Instruction Religieuse et Morale“ stellt sich dem
folgendermaßen:
„Spiritualität:
 Die Bedeutung und die Herausforderung von Spiritualität als bewussten, ganzheitlichen Bezug zu Gott, zum
Ganz Anderen“ und zum Sein für sich entdecken und sie gegebenenfalls im Alltag nachvollziehen lernen
 Die eigenen Bedürfnisse und Widerstände gegenüber Spiritualität wahrnehmen und verstehen
 Eine persönliche Spiritualität weiterentwickeln
 Sich spirituellen Ansätzen und Überzeugungen anderer Menschen und Kulturen öffnen, sich
216
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
kritisch damit befassen und sie respektieren lernen.“503
Das Programm des Fachs FOMOS – unter dem Titel „Kerncurriculum der ‚Praktische
Philosophie’“ - ist bereits in Teilkapitel 3. 2. 1 betrachtet worden. Insgesamt ist
festzustellen, dass es sich nicht zur Spiritualität äußert. Bei der theoretischen Konzeption
eines Einheitskurses müsste darauf verwiesen werden, dass bisher allein das Fach
„Instruction religieuse et Morale“ diesen besonderen, partikulären Bildungsinhalt Ernst
nimmt und explizit in sein Curriculum integriert.
Zudem muss man sich zweitens fragen, wer diesen s p i r i t u e l l e n Bildungsinhalt am
besten zu vermitteln vermag. Wenn Schüler etwas über religiösen Glauben lernen sollen,
gelingt dies am authentischsten mit Lehrkräften, die selber einen Glauben haben.
Dabei geht es explizit nicht (mehr) darum, den Schülern diesen Glauben auch
b e i z u b r i n g e n – wie eben der Mathematiklehrer das Rechnen oder der Sportlehrer das
Turnen am Reck usw. -, sondern um die Erfahrung für die Schüler, jemandem zu
begegnen, der eine „Innensicht“ auf eine Religion hat. Dies ist dem Vorwurf der Jonk
Greng entgegenzusetzen, wenn sie behaupten, die katholische Kirche nutze ihre
Vormachtstellung geschickt aus, um auch in der Schule ihre Weltanschauung
durchzusetzen,
und
einen
„einheitlichen
weltanschaulich-neutralen
Ethik-
und
Sozialkundeunterricht“ anstelle des religiösen Werteunterrichtes fordert. Auf dem Lehrplan
steht selbstverständlich nicht nur das Christentum, sondern alle großen Weltreligionen
sowie Sekten und vieles Weitere. Jedoch stellen sich bei allen Religionen allen immer wieder
dieselben grundsätzlichen Fragen, etwa nach dem Wie und Warum des Glaubens, nach
Zugehörigkeitsgefühl, nach Ängsten und vielem mehr, und diese Antworten können nur
beantwortet werden, wenn die betreffende Person entsprechende Erfahrungen in einem
Glauben (gemacht) hat.
Darüber hinaus vermittelt der RU inhaltlich ein in Nuancen entscheidend anderes
Menschenbild als seine Mitstreiter FOMOS und der theoretisch angedachte
„Einheitskurs“, wie der Religionslehrer André Siebenaller m. E. pointiert beschreibt:
„Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Alternativfächer (konfessionsgebundener RU und
konfessionsunabhängiger Ethikunterricht) nur wenig. Oft wird das Gleiche behandelt.
Zumindest zwischen Ethik im RU und philosophischem Ethikunterricht gibt es thematisch und
inhaltlich kaum Unterschiede. Es geht um Liebe und Freundschaft, um Freiheit und
Verantwortung, um Glück und Leid, um Solidarität und Gerechtigkeit, um die Grenzen des
Lebens, um das Woher und Wozu, und um die eigene Identität. Die Fragen Was kann ich
503
Quelle:
http://www.religionslehrer.lu/dokumente/erklaerungen_RL/Objectifs%20generaux_CN2002.pdf.
217
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
wissen?, Was soll ich tun?, Was darf ich hoffen? bestimmen beide Fächer. Der Unterschied besteht
lediglich darin, dass für den Religionsunterricht ein Zusammenhang hergestellt wird zwischen
moralischem Verhalten und tradiertem christlichen Glauben, während für den Ethikunterricht
versucht wird, allein aufgrund der Vernunft einen ethischen Minimalkonsens für alle
Menschen, gleich welcher Weltanschauung, zu formulieren.504
Auch Rita Jeanty, Sekundarschullehrerin für Philosophie und „Formation morale et sociale“
sowie Vertreterin der Menschenrechtskommission in Luxemburg, äußerte sich gegenüber
dem Radiosender 100,7 während eines Interviews505 zum Thema „Werteunterricht
überzeugt, der Mensch sei ein metaphysisches Wesen, und Kinder stellten dem
Lehrpersonal Fragen, auf die es vorbereitet sein müsse, um diesen Fragen nicht aus
dem Weg zu gehen. (An diesem Punkt ergibt sich m. E. erneut die Anfrage an die
Ausbildung des Lehrpersonals!)
Weiterhin, so Jeanty, wünsche sie sich bei einem Einheitskurs keinen reinen Wertekatalog,
sondern die Förderung insbesondere der folgenden drei Kompetenzen: 1. Sozialkompetenz,
2. interkulturelle Dialogfähigkeit und 3. ethische Urteilsfähigkeit. In solch einem Unterricht
solle es um die Vermittlung „universeller Werte für die persönliche Lebensorientierung
sowie um fundamentale Verfassungswerte“506 gehen.
In beiden bereits bestehenden Fächern, RU wie FOMOS, geht es um Wertevermittlung
allgemein anerkannter Werte. Der fundamentale Unterschied ist jedoch der, dass der
RU diese Werte auf einer religiösen Grundlage, also auf Transzendenz und
Gottesglauben begründet sieht, während der Werteunterricht sie auf einer nichtreligiösen Grundlage aufbaut.507 So erläutert Religionslehrer André Siebenaller: „Es ist
also in ihren je eigenen Ansätzen, in denen sich RU und Werteunterricht grundsätzlich
voneinander unterscheiden: einerseits ein Weltbild und eine Weltanschauung mit Bezug auf
Transzendenz und Gottesglauben und andererseits ein Weltbild und eine Weltanschauung
ohne diesen Bezug. Jedoch ist der Lehrer-Ansatz hier ( = im WU) (...) derjenige des
„aufgeklärten“ Religionssoziologen, der aus der Perspektive des nicht-gläubigen
Wissenschaftlers das „Phänomen Religion“ zu erklären versucht.“508 Die Frage stellt sich
erneut, welche Fachausbildung die Lehrperson mitbringen muss, um dies zu leisten, und ob
504
Siebenaller (2007), S. 18, Hervorhebung von mir, S. D.
Das komplette Interview ist zu hören auf http://1007.valain.com/files/oldmp3/63398_150_invitevirum-Dag.mp3.
506
Unter dem Begriff „Wert“ versteht Rita Jeanty „alles, was schützenswert ist“. Ebd.
507
Vgl.Siebenaller (2007), S. 18.
505
218
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
es bei einem lediglich nicht gläubigen, religionssoziologischen Hintergrund nicht beim
Erklärungsv e r s u c h bleibt.
Im Unterschied zu Kollegen anderer Disziplinen sind Religionslehrer nicht
„willkürlich“ gegenüber Wertvorstellungen und sind daher in jeder Hinsicht befugt und
berechtigt, die Wertevermittlung innerhalb der Ausbildung Jugendlicher zu verantworten.
Im Allgemeinen kann der RU in Luxemburg auf fundiert ausgebildete Religionslehrerinnen
und -lehrer zurückgreifen: Im Primärunterricht benötigen die Lehrkräfte ein „Diplôme de
fin d’études secondaires classiques/techniques“ und eine dreijährige Ausbildung am
„Institut cathéchétique“; im Sekundarbereich braucht der Religionslehrer ein „Diplôme de
fin d’études secondaires classiques/techniques“ und mindestens ein vierjähriges Studium
der Religionswissenschaften und/oder Theologie an einer staatlich anerkannten Universität.
Wie bei Lehrern anderer Fachdisziplinen auch müssen die Religionslehrer ihren „Stage
pédagogique“ an der Universität Luxemburg absolvieren.509 Bereits im Oktober 1985
verabschiedeten die Religionslehrer ihre „Principes de Base“ und 1986 zwei Resolutionen
zum schulischen Wertunterricht, unterstützt und weitergeführt durch die allgemeine
Einführung nationaler Lehrplankommissionen für alle Fächer (règlement grand-ducal vom
8. August 1985).510 Außerdem sind nach der Reform des Sekundarunterrichts durch das
Gesetz vom 22. Juni 1989 die Religionslehrer mit allen anderen Lehrern gleichgestellt, da an
sie die gleichen Anforderungen bezüglich Ausbildung und Einstellung gestellt werden.
Außerdem garantiert der „conseil national de formation morale et sociale“ die Förderung
philosophischer wie ideologischer Objektivität sowie Weiterbildungsmöglichkeiten.511 An
den öffentlichen wie privaten Schulen Luxemburgs sind es gerade und a l l e i n die
Religionslehrer, die sich per Definition ihrer Fachdisziplin für die Seelsorge der
Jugendlichen einsetzen und so mithelfen, den Jugendlichen ein Aufwachsen mit
christlich-sozialen Werten zu ermöglichen, die sie heutzutage nicht mehr beliebig
und überall finden.
Neben
dem
Anspruch
eines
affektiven,
ganzheitlichen Bildungsanspruchs
(vgl.
Erkenntnisse aus dem 4. Kapitel) an das Luxemburger Schulsystem ist als Nächstes auch
der kulturelle Bildungs(mehr?)wert eines Einheitskurses zu hinterfragen. Dass es
508
Ebd.
Vgl. Conférence des professeurs (...) (2008), S. 36.
510
Vgl. Gindt (2002), S. 3.
511
Ebd.
509
219
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
jenseits über Debatten über Religiosität eine Notwendigkeit zu religiöser Bildung auf der
reinen Sachebene gibt, ist unbestritten und bereits in Teilkapitel 4. 2 angeklungen (Stichwort
„religiöser Bildungsnotstand“). Dies wird auch von Gegnern des klassischen RUs wie Rita
Jeanty gewünscht. Auch sie ist der Meinung, Religion gehöre in die Schule und zur Bildung
gehöre unbedingt Wissen über Religionen. Die Schüler müssten auch die GenesisTheorie kennen und auch ins Museum gehen und einen Altar identifizieren
können.512 Sie vertritt jedoch die Ansicht, dies könne rein religionswissenschaftlich
vermittelt
werden.
Die
Erkenntnis
der
Notwendigkeit
religionskundlicher
Wissensvermittlung teilt auch der Theologe Stefan Orth, der sich mit der Einführung des
Ethikkurses als Ersatz für den RU in Berlin und Brandenburg befasst hat: Auch er hält es
für wichtig, dass „alle Schüler ein Minimum an religionskundlichem Wissen besitzen, um die
Welt, angefangen von ihrem unmittelbarem Umfeld bis hin zum kulturellen Leben und zur
großen Politik, besser zu verstehen. Dass selbst in Frankreich, dem Paradebeispiel des
Laizismus, heute allgemein anerkannt wird, dem ‚fait religieux’ auch an den staatlichen
Schulen mehr Beachtung zu schenken, bestätigt diesen Trend eindrucksvoll.“513
Wahrscheinlich finden wir bei dieser Einzelfrage innerhalb der Einheitskurs-Debatte eine
Übereinstimmung
der
Positionen:
Beide
Seiten
wünschen
inhaltliche
religiöse
Kulturbildung, und diese kann theoretisch auch von Nicht-Theologen vermittelt
werden. Ein Mindestmaß ist jedoch immerhin ein religionswissenschaftliches
Studium; ein rein philosophischer Hintergrund reicht hier m. E. nicht aus, denn fachlich
inkompetente
Glaubenstypen
Bildung
vergrößert
(Nicht-Gläubige
die
mit
Gräben
zwischen
eingeschlossen).
Man
den
unterschiedlichen
könnte
in
diesem
Zusammenhang möglicherweise allerdings die absolute Notwendigkeit einer Mission
canonica hinterfragen – ein Vorschlag, der der Amtskirche vielleicht missfallen mag, aus
pragmatischen Gründen als Zugeständnis gegenüber den erklärten Gegnern des bisherigen
RUs gesehen werden könnte. Diese zwei Kompromisse machen jedoch keinesfalls die
zuvor angeführten Argumente für die Berechtigung des Faches „Instruction
Religieuse et Morale“ zunichte.
So kann man dem Religionspädagogen Gerd Laudert-Ruhm, der 2009 mit seinem Buch
„Religion gemeinsam lernen“ einen Beitrag zur Diskussion über den RU leisten wollte, in
512
Siehe ihre Aussagen im o. g. Interview: http://1007.valain.com/files/oldmp3/63398_150_invitevirum Dag.mp3.
220
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
einigen Fragen, zustimmen, etwa wenn er meint, Ziel eines schulischen Unterrichts in
Religion seien religiöse Bildung, religiöse Orientierung, religiöse Urteilsfähigkeit, religiöse
Mündigkeit, kurz die Vermittlung religiöser Kompetenz, während Glaubens-Unterweisung
Sache der Religionsgemeinschaften ist und nicht in der öffentlichen Schule durchgeführt
werden solle.514 Liest man das Programm des Fachs „Instruction Religieuse et Morale“ am
Luxemburger Sekundarbereich, kommt man zu dem Ergebnis, das Laudert-Ruhms
Vorstellungen hier umgesetzt werden.
Auf die Frage, wieso überhaupt Religion in der Schule (bzw. im gemeinsamen Ethik- und
RU) unterrichtet werden soll, antwortet Gerd Laudert-Ruhm, dass religiöse Bildung in
der öffentlichen Schule unabdingbar ist – aus folgenden Gründen:515
1.
Der Mensch ist offensichtlich ein metaphysisches Wesen. Auch diejenigen Schüler,
die keine religiöse Erziehung erfahren haben, stellen religiöse Fragen.
2.
Religiöse Bildung ermutigt die Schüler zu einer kritischen Selbstaufklärung in Bezug
auf ihre eigene und andere Religionen und kann insofern ein wirksamer Schutz
gegenüber den Gefahren des religiösen Fundamentalismus bieten.
3.
Religiöse Bildung trägt zur interkulturellen und interreligiösen Verständigung bei.
4.
Die Schüler des 21. Jahrhunderts sollen die Möglichkeit erhalten, sich selber mit
religiösen Fragen aus-einander zu setzen, sodass ihnen als religiöse Identität nicht
einfach die Religion der Eltern zugeschrieben wird.
5.
Religiöse Bildung ist auch für konfessionslose Schüler wichtig, damit ihnen nicht
weite Bereiche unserer kulturellen Tradition gänzlich verschlossen bleiben.
Auch diese vier Aspekte sind aus meiner Sicht vollständig zu unterschreiben. Jedoch
kommt Laudert-Ruhm für Deutschland zu einem anderen Ergebnis, nämlich dass der
konfessions-gebunde RU an den (Grund-)Schulen keine Zukunft habe. Laudert-Ruhm
fordert
ein
Fach,
das
„integrativ
und
interreligiös
ausgerichtet
sein,
keine
Glaubensvermittlung intendieren, sondern eine grundlegende religiös-ethische Bildung aller
Schüler im Sinne des Erwerbs einer religiösen Kompetenz (neben anderen) vermitteln“ 516
soll. Dem ist zu entgegnen, dass dies der RU in Luxemburg – zumindest am
Sekundärbildungsbereich wie gezeigt
-inhaltlich wie organisatorisch voll erfüllt. Die
513
Orth (2009), S. 57 f.
Vgl. Laudert-Ruhm (2009), zitiert nach der Rezension von Origer http://www.thierryoriger.lu/ReligionGemeinsamLernen.pdf.
515
Ebd.
516
Vgl. ebd.
514
221
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Diskussion über den Religionsunterricht an Luxemburger Grundschule soll an dieser Stelle
nicht eröffnet werden.
Das Votum der Luxemburger Bevölkerung sowie auch der Eltern schulpflichtiger Kinder
ist mit der ILReS-Studie 2008 in Kapitel 5. 2. 6 behandelt, zum Religionsunterricht noch
einmal deutlich geworden: Sie wünschen sich ausdrücklich die Wahlfreiheit zwischen den
beiden bestehenden Fächern MORCH und FOMOS. Als Gründe hierfür werden prioritär
gleichwohl nicht die religiöse oder spirituelle Bildung per se genannt – die platziert sich auf
den dritten beziehungsweise vierten Rang mit der Zustimmung von rund 50% der
Befragten, die meinten, Religion sei Teil einer guten Ausbildung, so wie 46% denken, ein
gutes Verständnis von Religion sei in einer globalisierten Welt wichtig. In diesem
Zusammenhang sei auch Stefan Orths These über den Beibehalt eines RUs in Deutschland
herangezogen: Selbst wenn der RU sich nicht auf die ethische Reflexion beschränkt, so
spielt sie hier doch eine wichtige Rolle und „selbstkritisch müssen sich die Verfechter (eines
Ethikkurses im Sinner eines Einheitskurses) vielmehr auch fragen, ob nicht viele Eltern,
die persönlich nur wenig Glaubenseifer zeigen, für ihre Kinder aber das Fach
Religionslehre wünschen, vor allem an einer Werteerziehung interessiert sind, mit
der sie sich selbst schwer tun“517.
Bleibt der Vorwurf, der (christlich-katholische) RU diskriminiere Gruppen anderer
Glaubensrichtungen, weil er die Infrastruktur der Schule benutzen dürfe, um den Schülern
seine Weltanschauung nahe zu bringen (siehe Teilkapitel 3. 2. 2)? Dann muss sich ein
potenziell anstehender Einheitskurs die Anfrage gefallen lassen, ob er wirklich
weltanschaulich so neutral ist, wie er vorgibt, oder ob er, mit Wolfgang Thierses (deutscher
Bundestagspräsident a. D.) Worten nicht eine „absichtsvolle Relativierung von religiösen
Überzeugungen“ betreiben würde.518 Dass der Staat einen Einheitskurs organisiert, der
betont
religionsskeptisch
ausfällt, wäre eben auch k e i n e s f a l l s
h i n n e h m b a r !519 In einer pluralistischen Gesellschaft, die ihre Religionsfreiheit Ernst
nimmt, dürften alsdann weder der RU noch ein Einheitskurs die alleinige Werteerziehung
für alle Schüler beanspruchen.
517
Orth (2009), S. 56, Hervorhebung von mir, S. D.
Zitat und Überlegung vgl. auch bei Orth (2009), S. 56.
519
Vgl. hierzu auch Orths Haltung gegenüber einem Ethikkurs in Berlin / Brandenburg. Ebd.
518
222
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Ob es den Gegnern des RUs gefällt oder nicht; ob es zukünftig auch auf Drängen der
Luxemburger Politik einen Einheitskurs geben wird oder nicht: Religion ist Teil unserer
Gesellschaft. Unser Bildungssystem muss darauf professionell eingehen, und zwar mit
Lehrkräften, die fundiert ausgebildet, wenn freilich auch von frömmelnden Lehrplänen
distanziert sind. Es ist ein Irrglaube zu meinen, dass eine weltanschauliche und religiöse
Neutralität die Schüler orientieren würde. Wertvorstellungen sind immer auch in der
Lehrerpersönlichkeit mit ihrer Biografie, ihren Erfahrungen und Überzeugungen
verankert.
Die im zweiten Kapitel dieser Arbeit vorgenommene Neudefinition des Religiositätsbegriffs
legt Zugeständnisse an die Inkulturation der Religiosität nahe. Jedoch hat sie nie den
Horizont für beliebig aufsuchbare religiöse Bildungsorte eröffnet und will schon gar
nicht das Abtreten ureigener Inhalte fordern. Jede Disziplin hat ihre spezifische
Zugangsweise, und die Rose bleibt eine Rose, wenn auch von jedem Fach anders
betrachtet: literarisch als Symbol der (zuweilen gefährlichen, hochmütigen) Schönheit,
biologisch als „Strauchgewächs mit unpaarig gefiederten Blättern“ aus der Gattung der
Rosengewächse, historisch als Zeichen für ein Herrscherhaus Englands, chemisch zerlegbar
in Teilchen, religiös als Bild für Maria und so weiter. Die Religionslehrer sollten nicht
der Idee verfallen, sich ihren Anteil an der Rose sozusagen „fachentfremden“ zu
lassen.
223
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
7 Ausblick: Über den Beitrag religiöser Subjektwerdung –
Ein Plädoyer
Brauchen Kinder Religion? Zunächst wehre ich mich gegen diese Frage.
Es gibt Dinge, die sich nicht durch ihre Zwecke rechtfertigen
lassen: die Lieder, die Gedichte, die Küsse, die Muße, das Gebet. Wer
diese Dinge von ihren Zwecken her beschreibt, verdirbt sie. Ich kann
niemanden mit Zweckabsichten küssen; ich kann nicht Gedichte lesen
und Lieder singen mit anderen Absichten, als sie zu lesen und zu
singen. Die köstlichsten Dinge sind nicht von ihren Zwecken her zu
beschreiben.“
Fulbert Steffensky, Religionspädagoge520
Wurde im vorletzten Kapitel dieser Arbeit die Berechtigung des Faches „Instruction
Religieuse et Morale“ diskutiert und schließlich argumentativ begründet, beschäftigt sich
diese Arbeit abschließend mit der Frage, welchen Wert Religiosität in unserer heutigen
Gesellschaft hat. Zum einen ist mir dies nach einer möglichst sachlichen analytischen
Bearbeitung des Themas dieser Arbeit ein persönliches Anliegen. Zum zweiten wird die
katechetische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen innerhalb der Pfarrgemeinden und auch
in den Schulen mit großem finanziellen und personellen Engagement betrieben. Schule,
Staat und Kirche lassen sich den RU eine Menge Geld kosten. Aber brauchen
Jugendliche Religiosität jenseits ihres oben erörterten Bildungsmehrwerts? Diese
Frage scheint auf den ersten Blick gleichbedeutend zu sein mit „Brauchen Jugendliche
Religion?“ oder „Brauchen Jugendliche Religionsunterricht?“. Wenn Schüler sich von
religiösen Familienritualen verabschieden, vom RU abmelden oder sich überhaupt nicht mit
dem Thema auseinandersetzen wollen mit dem Satz „Ich bin nicht religiös“, scheinen wir
dies hinnehmen zu müssen – oder nicht? Der Journalist Christian Weber stellt fest: „Der
kirchliche Gott (...) mag kränkeln, die Religion lebt auch hier. Vor allem aber ist die
Gretchenfrage intellektuell wieder salonfähig geworden. (...) Das macht vor allem
Wissenschaftler nachdenklich, die meinen, dass man heute auf die Hypothese Gott nicht
mehr angewiesen sei. Sie fragen: Mal abgesehen von der Wahrheitsfrage, macht der Glaube
glücklicher und gesünder? Dienst er der Gesellschaft? Oder gibt es noch andere gute
520
Steffensky (2006), S. 11.
224
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Gründe, wieso Menschen zu Beginn des dritten Jahrtausends Religion noch brauchen
könnten? Was also nützt Religion?“521
Religionssoziologen wie Harvey Cox hatten in den 1970er Jahren uneingeschränkt
vorhergesagt, dass moderne Gesellschaften auch säkulare Gesellschaften sein würden: Die
Stadt ohne Gott (Cox) galt als das Modell der Moderne. Je moderner, desto säkularer
würden die Strukturen des Bewusstseins sein. Diese Auffassung hat sich – glücklicherweise
– bisher nicht bestätigt, und es gibt eine Reihe Gründe, warum sie es auch nicht sollte. Dem
Religionspädagogen Stefan Meyer-Ahlen, dessen Forschungen sich mit ethischem Lernen
beschäftigen, betont die Bedeutung der Religion in den »Dimensionen« Verantwortlichkeit,
Relation, Freiheit, Akzeptanz, Versöhnung und Orientierung. Aus deren Bedeutung
erwächst für Staat und Gesellschaft die Verpflichtung, eine freiheitliche
Wertentwicklung und Werterziehung in der Schule zu ermöglichen.522
Ein Werteunterricht erzieht, nimmt man religionspädagogische und –soziologische
Erkenntnisse Ernst, nicht durch bloße Information. Religiöse Bildung leistet einen
gesellschaftlich wichtigen Beitrag, denn sie besitzt einen Mehrwert, den ich anhand
folgender Thesen herleiten möchte.
1. Religiosität fordert nicht nur moralisches Handeln, sondern begründet es auch.
Griffig formuliert es Hans Küng „Auch der Mensch ohne Religion kann ein echt
menschliches, also humanes und in diesem Sinn moralisches Leben führen; eben dies ist der
Ausdruck der innerweltlichen Autonomie des Menschen. Doch eines kann der Mensch
ohne Religion nicht, selbst wenn er faktisch für sich unbedingte Normen annehmen sollte:
die Unbedingtheit und Universalität ethischer Verpflichtung begründen.“523
Ich möchte Küng in vollem Maße zustimmen, denn es gibt keine wirkliche Dringlichkeit
oder Notwendigkeit, die den Menschen zu veranlassen könnte, ethisch am Nächsten zu
handeln, außer einer für alle gültigen „transzendenten Autorität“, die ein unbedingtes
Absolut darstellt. Diese Gedanken Küngs seien im Zusammenhang mit jugendlicher
Religiosität lediglich in folgendem Sinne relativiert: Jugendliche sind in dieser pluralistischen
Welt des Wohlstands und Multioptionalität in einer unerbittlichen Art von Zwängen
521
Weber (2006), S. 70 f.
Vgl. Meyer-Ahlens Ausführungen in seinem Aufsatz im Werk von Hans Joas “Braucht
Werteerziehung Religion?“, nachgewiesen als Meyer-Ahlen (2007).
523
Küng (1990), S. 75. Hervorhebung von mir, s. o.
522
225
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
umgeben, die eine Hinterfragung, wie Küng sie erwartet, nicht immer zulässt. Echte
Religion, die sich auf das Absolute bezieht, hat dann eine Chance, wenn sie ganz bewusst
gewollt und gefördert wird. Dies bedeutet ein Um- beziehungsweise Weiterdenken und
auch Weiterführen bereits angetretener Wege des Aufbruchs: Die Religiosität Jugendlicher
kann nur gelingen durch eine Kooperation der Bildungs- und Erziehungswelten
Schule und Familie.
Letztere erscheint mir auch deswegen entscheidend, weil durch die Entkopplung von
Religiosität und kirchlicher Konfessionalität institutionelle Bemühungen – mögen sie noch
so professionell und gut gemeint sein - nur eine untergeordnete Rolle spielen. Sie betreffen
meist nur die Jugendlichen, die in irgendeiner Form noch einen Kontakt zu kirchlichen
Einrichtungen pflegen oder ihn gar nur tolerieren. Es ist aber zu vermuten, dass dies nur bei
den wenigsten Kindern und Jugendlichen der Fall sein wird. So obliegt es der Politik, dafür
zu sorgen, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen Kindern den Weg zur Religiosität
erleichtern, dies etwa durch weitere Unterstützung der Familien, einer Partnerschaft von
Kirche und Staat sowie eine Unterstützung des konfessionellen RUs. Aber dies lohnt, denn
– wie es Hans Küng ausdrückt - „nur Unbedingtes kann unbedingt verpflichten“524.
2. Religiosität befreit.
Diese These möchte ich mit dem Ansatz Henning Luthers begründen. Luther geht es um
die Darstellung der Fragilität menschlichen Daseins. Diese erlebt die Dinge, mit denen sie
das Leben konfrontiert, durch Religiosität neu. Ein Beispiel hierfür ist die Begegnung mit
dem Tod, der seine Endgültigkeit verliert und über den sich dann auch Leben und
Lebensweise neu definieren: Leben im Diesseits mit all seinen Problemen und Reizen ist
dann eben nicht mehr das Maß aller Dinge und der Weisheit letzter Schluss. Einen
Lebensstil, der alle Energie auf die „vermeintlich allein verfügbaren neunzig Lebensjahre“525
konzentriert und in dem die Frage nach Religion eher lästig erscheint, nennt die Soziologin
und Pädagogin Marianne Gronemeier „Leben als letzte Gelegenheit“526. Ein solcher
Lebensstil trägt Merkmale wie Lebenshast, Überforderung und Angst, zu kurz zu kommen,
und steuert zur Entsolidarisierung der Gesellschaft bei. Christliche Identität kommt erst mit
dem Tod zur Vollendung und trägt im Leben stets den Wert des Nicht-ganz-Seins, des
524
Küng (1990), S. 70.
Zulehner (2005a), S. 94.
526
Gronemeier (1993), S. 56.
525
226
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Unvollständig-Bleibens, des abgebrochenen Seins… - des Fragments.527 Dieser Mehrwert
der Religiosität lässt den Menschen entgrenzen, weil der Tod nicht mehr das Letzte
aller Dinge ist, sondern lediglich Tor zum Weitergehen. Dies ist komplett gegenläufig zum
gegenwärtigen Trend des „alles noch einmal Mitnehmens“ im „Diesseits“. Gott bedeutet
laut Küng für den Menschen keineswegs eine Fremdbestimmung, sondern macht ihn in
Wirklichkeit frei und bringt ihn zur Autonomie, die allein in der Ethik ihre Grenzen findet.
Diese „Bindung an ein Unendliches schenkt Freiheit gegenüber allem Endlichen“.
3. Religiosität bildet den ganzen Menschen.
Es braucht nicht Theologen, um die religiöse Bildung in und vor der Gesellschaft zu
verteidigen.
Die
Journalistin
Donata
Elschenbroich
befragte
einhundertfünfzig
Gesprächspartner aus unterschiedlichsten Berufssparten zu Fähigkeiten, die ein Kind im
Alter von sieben Jahren erworben haben sollte. Elschenbroich stellte diese in einem Katalog
zusammen, zu dem auch Kenntnisse der Religion gehören, die über „WissensAnforderungen“ wie ein Gebet zu kennen und schon einmal in einer Kirche und auf einem
Friedhof gewesen zu sein, lautet: „Jedes Kind sollte ein Konzept von innerer Stimme,
von Geheimnis haben.“528 Genau dieses Konzept aber bedeutet Begegnung mit
dem Du – etwas Tiefreligiösem. Die „Ich-Einsamkeit der Neuzeit“ (Buber) macht es
Kindern und Jugendlichen schwer, Religiosität in einem Du zu finden. Dieses Du jedoch ist
nach Udo Schmälzle Ausgangspunkt für die religiöse Identitätsfindung. So konstatiert er:
„Bildung der Persönlichkeit ist kein machbarer Prozeß. Er beinhaltet Erleben und Erfahren,
Brücke und Trennungen. Identitätsfindung und Selbsterfahrung setzen existentielle
Begegnungen und Konfrontationen voraus.“529 Religiosität nimmt den Menschen in seiner
Ganzheit wahr, mit seinen Fähigkeiten und Defiziten und mit all seinen Bedürfnissen.
Genau das sollte religiöse Bildung bedeuten.
4. Religiosität fördert ein einiges Europa
In diesem Kontext sei eine aktuell in Luxemburg kontrovers geführte Debatte über die
Rechtmäßigkeit der Benennung der europäischen Wurzeln als jüdisch-christlich
aufgegriffen. In der Einleitung wurde bereits von Luxemburg als Teil eines geeinten
Europas gesprochen, das sich auf seine Zukunftsaufgaben vorbereiten muss. Jetzt mehr
527
Vgl. Luther (1985), S. 322.
Elschenbroich (2001), S. 129. Interessanterweise widersprach niemand der hundertfünfzig
Gesprächspartner dem Vorschlag.
529
Schmälzle (1999/2000), S. 38.
528
227
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
noch: Luxemburg tritt als starker Kämpfer für ein Vorankommen der Europäischen
Gemeinschaft auf, und Premierminister Jean-Claude Juncker hat immer für die
Ratifizierung einer gemeinsamen EU-Verfassung gestritten. Dennoch wurde die Äußerung
der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Christentum als europäische
Identität verteidigt und die Meinung vertritt, dass ein Bezug auf Gott und auf das
Christentum als Teil der europäischen Identität in einen Verfassungsvertrag gehört, vom
Luxemburger Tageblatt heftig kritisiert: Es gelte die Freiheit, auch die Religionsfreiheit, und
ein Gottesbezug in einer europäischen Verfassung sei „fehl am Platz“.530 Es liegt im
Interesse eines jeden Europäers, vorn voran der Luxemburger, sich der Inhalte einer
solchen Verfassung bewusst zu sein und hinter ihnen zu stehen.
Wenn Jugendliche ihre religiösen Wurzeln nicht kennen, man sie nicht nach ihnen fragt und
sie nicht entsprechend durch Elternhaus, Schulen und Gemeinden erzieht und bildet, ist es
um Luxemburg, nicht nur aus nationaler, sondern auch aus europäischer Sicht schlecht
bestellt. Denn, um mit Léon Zeches zu sprechen: „Freiheit ist ein großes Gut in Europa,
aber leider nur eine Errungenschaft der Neuzeit. Zur Identität, die nicht von heute ist,
sondern während zwei Jahrtausenden in Europa heranwuchs, gehört nicht der weltweit
auswechselbare Begriff der Freiheit, sondern Religion, geistiges Denken, das in der
europäischen Geschichte in der Regel auf Gott fokussiert war.“531 Wenn junge
Luxemburger in einem freien Europa leben wollen, müssen wir sie fragen, müssen
sie sich fragen (lassen), wie es um ihre Religiosität bestellt ist.
Bestätigend sind auch Erkenntnisse des Staatsrechtlers Wolfgang Böckenförde, der
nachweist, welche Funktion Religion und Religiosität für den funktionierenden Staat besitzt:
Der Staat sei auf Ressourcen angewiesen, die er bei anderen gesellschaftlichen Kräften
aufsuchen müsse, und bei denen Kirche eine zentrale Rolle spiele, weil auch der
säkularisierte weltliche Staat letztlich aus jenen inneren Antrieben und Bindungen leben
müsse, die der religiöse Glaube seiner Bürger vermittle.532
Aktuelle gesellschaftliche Probleme, nicht nur die ungelösten Friedensfragen, sondern auch
Debatten um Lebensschutz und Bioethik, Abtreibung, Todesstrafe, Euthanasie und
Genforschung werden nur dann lösbar, wenn sich die Menschen auf eine gemeinsame Ethik
530
Tageblatt vom 09. 09. 2006, zitiert nach Zeches (2006b), S. 3.
Zeches (2006b), S. 3.
532
Böckenförde, zitiert nach Wenzel (2006) S. 25.
531
228
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
auf Grundlage einer bestimmten Wertegrundlage einigen. Dieses u. a. von Hans Küng
beschworene Weltethos wird immer drängender, je länger Kriege dauern, je weiter die
Erderwärmung fortschreitet, je mehr Menschen an Aids sterben. Insofern ist die religiöse
Frage keineswegs individuell. Wie bereits in der Eingangsthese erklärt, stellt sie sich
jedem Bürger, der ein individuelles Gewissen und (hoffentlich) eine demokratische Stimme
besitzt.
Schließen möchte ich mit einem Wort aus der Predigt in der Eröffnungsfeier der
Echternacher Springprozession am 5. Juni 2006 von Bischof Dr. Josef Homeyer:533 „Wir
haben
in
Europa
derzeit
kein
Werteproblem,
wir
haben
vor
allem
ein
Verbindlichkeitsproblem! Alle halten ja Werte wie Wahrhaftigkeit, Treue, Mitmenschlichkeit
usw. für gut. Wer ist eigentlich dagegen? Aber sehr viele hinterziehen Steuern, viele
schachern um persönliche und nationale Vorteile usw. Wir brauchen also im
Verbindlichkeitsverfall Menschen, die ihre Wertorientierung, ihre Maßstäblichkeit vorleben,
die den ethischen Anspruch moralisch beglaubigen. Dies hält die Gesellschaft zusammen,
nicht das eher abstrakte Bekenntnis zu Werten. Und dieses gelebte Bekenntnis zu Werten
kann nicht nur privat geschehen, sondern es muss öffentlich Gestalt gewinnen: in der
Solidarität mit dem Fremden, in der öffentlichen und verfassungsmäßigen Anerkennung des
kulturell Anderen, in dem politischen Ringen um gerechte Verteilung der Güter und
gerechtere Chancen der Teilhabe am Wohlstand, im politischen Einspruch gegen die
Herrschaft des Unrechts. Und insofern glaube ich: Politik und Religion sind untrennbar: Die
Bergpredigt hält Europa zusammen.“
533
Veröffentlicht in Die Warte. Kulturelle Wochenbeilage des Luxemburger Worts vom 15. Juni 2006,
S. 1-2.
229
Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
8
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(2001), S. 200-201.
WIPPERMANN, Carsten / CALMBACH, Marc: Sinus-Milieustudie U27 – "Wie ticken
Jugendliche?". Bund Der Deutschen Katholischen Jugend & Misereor (Hg.). Köln 2008.
WÖSSNER, Jakobus: Systemanalyse und religiöse Bedürfnisse, in: Internationales Jahrbuch für
Religionssoziologie 8. Köln 1973, S. 133-143.
WULF, Christoph: Verzauberung in der entzauberten Welt: Von Heiligem und Ritualen, in: schüler.
Wissen für Lehrer. Heft 2005: Auf der Suche nach Sinn. Woran Kinder und
Jugendliche heute glauben. Seelze 2005, S. 24-27.
ZECHES, Léon: Religiöser Bildungsnotstand, in: Luxemburger Wort vom 20. 05. 2006.
Luxemburg 2006a, S. 3.
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ZECHES, Léon: Fehldeutungen, in: Luxemburger Wort vom 04. 11. 2006. Luxemburg 2006b, S.
3.
ZEIEN, Jean-Louis: Religionsunterricht im Wandel der Zeit, in www.religionslehere.lu
(2005).
ZIEBERTZ, Hans-Georg: Kirche und Moderne. Ursachen für Konflikte um die kirchliche
Jugendarbeit, in: Katechetische Blätter 9 (1990), S. 592-605.
ZIEBERTZ, Hans-Georg / KALBHEIM, Boris / RIEGEL, Ulrich, unter Mitarbeit von
Andreas Prokopf: Religiöse Signaturen heute. Ein religionspädagogischer Beitrag zur
empirischen Jugendforschung. Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft (RPG) Band
3, hg. von Hans-Georg Ziebertz, Friedrich Schweitzer, Rudolf Englert und Ulrich
Schwab. Gütersloh und Freiburg i. Br. 2003.
ZINNECKER, J. und FISCHER, A.: Die wichtigsten Ergebnisse, in: Jugend 92 (Shell-Studie Bd.
1), S. 213-306.
ZULEHNER, Paul M. / POLAK, Regina / HAGER, Isa: Kehrt die Religion wieder? Religion im
Leben der Menschen 1970-2000. Ostfildern 2002.
ZULEHNER, Paul M.: Werte in Europa – Anknüpfungspunkte für die Pastoral, in: Krieger,
Walter / Sieberer, Balthasar (Hg.): Was ist christlich an Europa. Kevelaer 2005a, S. 8597.
ZULEHNER, Paul M.: Vorüberlegungen zu einer europäischen Pastoral, in: Krieger,
Walter /
Sieberer, Balthasar (Hg.): Was ist christlich an Europa. Kevelaer 2005b, S. 98-110.
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Analytische Grundlagen einer empirischen Erfassung
spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
8. 2
Weitere Quellen
Primärlektüre
BOSMANN, Phil: Blumen des Glücks mußt du selber pflanzen. Freiburg i. Br. 1982.
BROWN, Dan: The Da Vinci Code. London 2003.
COPLESTONE, Lis und Jim: Gute Nacht, Noah. London 2004.
FYNN: „Hallo, Mister Gott, hier spricht Anna“. Frankfurt a. M. 2002. Aus dem Englischen
übersetzt von Helga Helle-Neumann (Originalausgabe: „Mister Gott, this is Anna“,
Bern, München, Wien 1974).
KERKELING, Hans-Peter: Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jacobsweg. München
2006.
Gesprächspartner
Edmond Ries, Diözesanjugendseelsorger in Luxembourg (Kontakt: www.cathol.lu)
Dr. Med. Paul Gratia, 45-47 rue des Aubépines, L-1145 Luxembourg.
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
Internetseiten
Die folgende Liste versteht sich als Nachweis von konkreten Zitaten, inhaltlichen
Aussagen bzw. Angaben im Text. Während der Erarbeitungsphase wurden viele weitere
Seiten genutzt, die aus Platzgründen nicht alle aufgeführt werden können.
6. www.auswaertiges-amt.de
7. www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Luxeburg.html
8. www.cathol.lu
9. www.csv.lu
10. www.deutsch-geschichte-unterricht.de/didaktik/moralerziehung.html
11. www.ec.europa.eu/youth/da/studies/iard/indicators_de.pdf. (Lage der Jugend
in Europa)
12. www.erwuessebildung.lu
13. www.gouvernement.lu/tout_savoir/population_langues/populati.html (Statec
2004: „Le Luxembourg en chiffres“)
14. www.jdl.lu (Jeunesse Démocrate et Libérale du Luxemburg)
15. www.jsl.lu (Jeunesses Socialistes Luxemburgeoises)
16. www.jonkgreng.lu (Déi jonk Gréng)
17. www.learn-line.nrw.de/angebote/praktphilo (Lehrplan für das Unterrichtsfach
FOMOS)
18. www.lenk.lu (Déi Lenk)
19. www.lernprojekt-religion.ch
20. www.libco.lu (Liberté de Conscience a.s.b.l.)
21. www.luxembourg.public.lu
22. www.men.lu
23. www.massendenger.cathol.lu
24. www.musee-hist.lu
25. www.myschool.lu
26. www.pimpmychurch.lu
27. www.religionslehrer.lu
28. www.rpi-virtuell.net
29. www.socrates.lu (Internetportal für kritische ZeitgenossInnen)
30. www.stapferhaus.ch
31. www.statista.com
32. www.statistiques.public.lu/stat
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
33. www.tagesspiegel.de
34. www.trennung.lu bzw. http://tvkas.wollt.net
35. www.unel.lu (Union nationale des étudiant(e)s du Luxembourg)
36. http://www.unhchr.ch/udhr/lang/ger/htm (Vereinte Nationen:
Menschenrechtserklärung Präambel)
37. www.zeit.de
Fernsehsendung:
Predigt Papst Benedikts XVI. im Gottesdienst in München / Deutschland, am 10.
09. 2005, TV-Übertragung ARD
Radiosendungen
38. Rita Jeanty im Sender 100,7 zum Thema , nachzuhören auf
http://1007.valain.com/files/oldmp3/63398_150_invite-virum-Dag.mp3
39. Radiosendung: "Background am Gespréich" auf RTL Radio Lëtzbuerg vom 10. 01.
2009, nachzuhören auf
http://www.museehist.lu/Glaubenssache_+Eine+Ausstellung+für+Gläubige+und+
Ungläubige +.html.
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spiritueller und religiöser Grundhaltungen bei Jugendlichen
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