Die nachträgliche Leistungserschwerung

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Die nachträgliche Leistungserschwerung
Die nachträgliche Leistungserschwerung
DISSERTATION
der Universität St. Gallen,
Hochschule für Wirtschafts-,
Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)
zur Erlangung der Würde
eines Doktors der Rechtswissenschaft
vorgelegt von
Corrado Rampini
von Cauco (Graubünden)
Genehmigt auf Antrag der Herren
Prof. Dr. Alfred Koller
und
Prof. Dr. Ivo Schwander
Dissertation Nr. 2596
digiprint, Eschen FL 2002
Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne
damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.
St. Gallen, den 11. Dezember 2001
Der Rektor:
Prof. Dr. Peter Gomez
II
Meinen Eltern
So steht zum Schluss am rechten Platz
der unumstösslich wahre Satz:
Die Schwierigkeit ist immer klein,
man muss nur nicht verhindert sein.
Wilhelm Busch
III
Dank schulde ich allen, die mich bei der Ausarbeitung dieser Arbeit unterstützt und zu
deren Gelingen beigetragen haben, namentlich Herrn Prof. Dr. Alfred Koller.
IV
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
XI
XXII
Einleitung
1
Teil 1: Grundlagen
5
§ 1 Die Leistungserschwerung
5
I.
Begriff der Leistungserschwerung
1. Allgemeines
2. Eigentliche Leistungserschwerung
3. Atypische Fälle der Leistungserschwerung
A. Wertsteigerung der Leistung und verwandte Fälle
B. Nicht materielle Nachteile
4. Abgrenzungen
A. Verwendungserschwerung (oder Verwendungsunmöglichkeit)
B. Entwertung der Leistung und Inflation
II. Intensität und Dauer der Leistungserschwerung
1. Intensität der Leistungserschwerung
2. Dauer der Leistungserschwerung
III. Gegenstand der Arbeit: Die Leistungserschwerung im Gegensatz zur Verwendungserschwerung bzw. das „Erfüllungsproblem“ im Gegensatz zum
„Äquivalenzproblem“
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§ 2 Lösungsansätze der Lehre und Rechtsprechung
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I. Grundsatz: Pacta sunt servanda
II. Nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung
1. Übersicht
A. Begriff der Unmöglichkeit
B. Rechtslage bei Unmöglichkeit
2. Intensität der Unmöglichkeit im Besonderen
A. Übersicht
B. Unzumutbarkeitstheorie
C. Clausula-Theorie
3. Dauer der Unmöglichkeit im Besonderen
A. Übersicht
B. Abgrenzung der endgültigen von der vorübergehenden Unmöglichkeit
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V
C. Aufschub des Realerfüllungsanspruchs bei vorübergehender Unmöglichkeit?
D. Definitive Befreiung bei vorübergehender Unmöglichkeit?
4. Die so genannte subjektive Unmöglichkeit
A. Übersicht
B. Begriffe der objektiven und der subjektiven Unmöglichkeit nach
der Verzugstheorie
C. Dogmatischer Grundgedanke der Verzugstheorie
D. Rechtslage bei subjektiver Unmöglichkeit nach der Verzugstheorie
E. Exkurs: Einzelfragen zum Begriff der subjektiven Unmöglichkeit
F. Bedeutung der Verzugstheorie für die Leistungserschwerung
III. Clausula rebus sic stantibus
1. Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus
2. Rechtsfolgen der clausula rebus sic stantibus
IV. Art. 373 Abs. 2 OR
V. Ausserordentliche Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund
1. Vorkommen
2. Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Allgemeinen
3. Leistungserschwerung als wichtiger Grund?
VI. Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte
VII. Zusammenfassung
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§ 3 Kritik
55
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
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Allgemeines
Clausula-Theorie
Unzumutbarkeitstheorie
Verzugstheorie
Ausserordentliche Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund
Schlussfolgerung
§ 4 Abgrenzung des Themas und Ausblick
60
I. Abgrenzung des Themas
II. Ausblick (und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse)
60
60
Teil 2: Der Realerfüllungsanspruch und die übermässige Leistungserschwerung als seine Grenze
63
§ 5 Der Realerfüllungsanspruch im Allgemeinen
63
I.
63
63
VI
Bedeutung des Realerfüllungsanspruchs
1. Aus theoretischer Sicht
2. Aus praktischer Sicht
3. Bedeutung des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung
II. Bestand und Wegfall des Realerfüllungsanspruchs
1. Im Allgemeinen
2. Einschränkungen der zwangsweisen Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs bei gewissen Dienstleistungspflichten im Besonderen
III. Exkurs: Der Realerfüllungsanspruch im amerikanischen Recht
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§ 6 Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung
73
I.
Realerfüllungsanspruch bleibt erfüllbar
1. Grundsatz
2. Ausnahme: Übergeordnete Interessen des Gläubigers oder Dritter
II. Zulässigkeit des Verzichts auf Realerfüllung gemäss Art. 107 Abs. 2 OR
III. Dogmatische Folgerungen
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§ 7 Die übermässige Leistungserschwerung als Grenze der Erzwingbarkeit des
Realerfüllungsanspruchs
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I.
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Allgemeines
1. Keine absolute Geltung von pacta sunt servanda
2. Keine Befreiung von der Realerfüllung nach Belieben des Schuldners
II. Übermässige Leistungserschwerung: Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse
1. Grundlagen
2. Herleitung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse
A. Beschränkung des Nachbesserungsrechts im Werkvertrag nach
Art. 368 Abs. 2 OR
B. Herabsetzung übermässiger Konventionalstrafen nach Art. 163
Abs. 3 OR
C. Typische Interessenlage der Parteien
D. Richterliche Vertragsanpassung bei ausserordentlichen Umständen im Werkvertragsrecht nach Art. 373 Abs. 2 OR
3. Der Einfluss anderer Faktoren auf die übermässige Leistungserschwerung
A. Äquivalenzstörung
a. Keine Berücksichtigung bei Entscheid über die Verweigerung
der Realerfüllung
b. Erhöhung der Gegenleistung bei Äquivalenzstörung?
B. Verantwortung des Schuldners
a. Allgemeines
b. Eigener Ansatz
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VII
C. Verantwortung und Sphäre des Gläubigers
a. Allgemeines
b. Erleichterte Anforderungen bei Verantwortung des Gläubigers?
D. Voraussehbarkeit
a. Lehre und Rechtsprechung
b. Kritik
c. Eigener Ansatz: Keine selbständige Bedeutung
E. Exkurs: Erleichterte Anforderungen bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften?
F. Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs
III. Die Dauer der Leistungserschwerung im Besonderen
1. Allgemeines
2. (Vorläufiges) Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners
A. Interessenlage
B. Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts: Übermässige
Leistungserschwerung
3. Endgültige Vertragsanpassung oder -auflösung durch den Richter
A. Interessenlage
B. Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung oder -auflösung
C. Exkurs: Analyse der Realoption im Besonderen
IV. Konkretisierung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse anhand klassischer Beispiele
1. Speziessache mit unbekanntem Aufenthaltsort
A. Im Allgemeinen
B. Das Problem des ungewissen Erfüllungsaufwands
C. Das Problem der unbestimmten Restdauer der Leistungserschwerung
2. Speziessache in fremdem Eigentum
A. Im Allgemeinen
B. Das Problem des ungewissen Realerfüllungsinteresses
3. Fehlende Gattungsware
A. Gattungsschulden im Allgemeinen
B. Grundsatz: Genus perire non potest
C. Ausnahmen
a. Beschränkte Gattungsschuld
b. Vertragliche Einschränkung der Beschaffungspflicht
D. Das Problem stillschweigender vertraglicher Vereinbarungen und
der Vertragsergänzung im Besonderen
4. Dienstleistungspflichten
A. Begriffe der persönlichen und unpersönlichen Leistungspflicht
B. Leistungshindernisse in der Person des Schuldners
C. Andere Leistungshindernisse
VIII
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Teil 3: Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung
147
§ 8 Übersicht
147
I. Nicht übermässige Leistungserschwerung
II. Übermässige Leistungserschwerung
1. Allgemeines
2. Leistungsverweigerungsrecht
3. Vertragsanpassung bzw. -auflösung
III. Exkurs: Endgültige, absolute Unmöglichkeit
IV. Ausblick
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150
§ 9 Leistungsverweigerungsrecht
151
I. Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts (Zusammenfassung)
II. Rechtsnatur des Leistungsverweigerungsrechts
III. Rechtslage bei Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts
1. Allgemeines
2. Realerfüllungsanspruch ist nicht klageweise durchsetzbar
A. Grundsatz
B. Teilerschwerung
3. Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers
4. Andere Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis
IV. Weitere Rechtsfolgen gemäss Verzugsrecht (Art. 102 - 109 OR)
1. Vorbemerkung: Leistungserschwerung schliesst Schuldnerverzug
nicht aus
2. Haftung für Verspätungsschaden und Haftung für Zufall
3. Verzicht auf nachträgliche Erfüllung
A. Im Allgemeinen
B. Wahlrechte gemäss Art. 107 - 109 OR
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§ 10 Richterliche Vertragsanpassung
163
I. Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung (Zusammenfassung)
II. Rechtsgrundlage und Rechtsnatur
III. Arten der Vertragsanpassung
1. Übersicht
2. Vollständige Vertragsauflösung
3. Teilweise Vertragsauflösung
A. Im Allgemeinen
B. Vorzeitige Vertragsauflösung bei Dauerverträgen
4. Vertragsanpassung im engeren Sinn: Abänderung der Leistung
(Ersatzleistung)
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IX
5. Keine mögliche Art der Vertragsanpassung: Erhöhung der Gegenleistung
IV. Übrige Anpassungsfolgen
1. Bei Verantwortung des Schuldners
2. Bei Verantwortung des Gläubigers
3. Mangels Verantwortung des Schuldners oder des Gläubigers
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Teil 4: Einzelfragen
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§ 11 Der Anspruch auf eine Ersatzleistung
177
I. Vorbemerkung
II. Als Naturalersatz bei Verantwortung des Schuldners
III. Mangels Verantwortung des Schuldners
1. Anspruch auf ein stellvertretendes Commodum
2. Im Allgemeinen: Kein Anspruch auf eine Ersatzleistung
IV. Ersatzvornahme nach Art. 98 Abs. 1 OR
1. Allgemeines
2. Vollstreckungstheorie und Erfüllungstheorie
3. Surrogatstheorie
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§ 12 Voraussetzungen der Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR
bei Leistungserschwerung
186
I. Allgemeines
II. Bei ausdrücklicher Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht
1. Nachfristansetzung
2. Mahnung
3. Fälligkeit
III. Mangels ausdrücklicher Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht
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§ 13 Vom Verschulden des Schuldners bei Leistungserschwerung
191
I.
II.
III.
IV.
V.
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192
192
195
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Allgemeines
Aktives Herbeiführen eines Leistungshindernisses
Verletzung der Pflicht zur Verhinderung von Leistungshindernissen
Nichtüberwindung eines überwindbaren Leistungshindernisses
Verletzung einer Aufklärungspflicht
Zusammenfassung (Verweis)
X
170
199
Literaturverzeichnis
Weitere Literaturangaben finden sich in den Anmerkungen.
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XXI
Abkürzungsverzeichnis
a. A.
am Anfang oder anderer Ansicht
ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich vom 1. Juni
1811
Abs.
Absatz/Absätze
Abschn.
Abschnitt(e)
Abt.
Abteilung
AcP
Archiv für die civilistische Praxis (Tübingen)
a. E.
am Ende
AG
Aktiengesellschaft
AGVE
Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide
AJP
Aktuelle Juristische Praxis
allg.
allgemein(e)
Anm.
Anmerkung(en), Fussnote(n)
aOR
alt OR: BG über das Obligationenrecht vom 14. Juni 1881
AppGer
Appellationsgericht
AppH
Appellationshof
Art.
Artikel
AT
Allgemeiner Teil
Aufl.
Auflage
BasK
Basler Kommentar
BB
Der Betriebsberater (Heidelberg)
BBl
Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft
Bd./Bde.
Band/Bände
BerK
Berner Kommentar
betr.
betreffend
BezGer
Bezirksgericht
BG
Bundesgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch für das deutsche Reich vom 18. August
1896
XXII
BGB a. F.
Bürgerliches Gesetzbuch für das deutsche Reich vom 18. August
1896 (alte Fassung), Stand vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (Bundesgesetzblatt 2001 I 3138)
BGB n. F.
Bürgerliches Gesetzbuch für das deutsche Reich vom 18. August
1896 (neue Fassung), Stand nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (Bundesgesetzblatt 2001 I 3138)
BGE
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichtes
BGer
Bundesgericht
BGH
(Deutscher) Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des (deutschen) Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
(Köln)
BJM
Basler Juristische Mitteilungen
Botsch.
Botschaft
BR
Baurecht
bspw.
beispielsweise
BT
Besonderer Teil
bzw.
beziehungsweise
ders.
derselbe (Autor)
d. h.
das heisst
Diss.
Dissertation
Einl.
Einleitung
Ergbd.
Ergänzungsband
Erw.
Erwägung(en)
etc.
et cetera
f.
folgende (Seite, Note, usw.)
ff.
folgende (Seiten, Noten, usw.)
FS
Festschrift
gl. A.
gleicher Ansicht
GVP
St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis
HandK
Handkommentar
HGB
Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897
HGer
Handelsgericht
XXIII
Hrsg.
Herausgeber
hrsg.
herausgegeben
Hw.
Hinweis(e)
i. c.
in casu
i. d. R.
in der Regel
i. gl. S.
in gleichem Sinne
insb.
insbesondere
i. S.
im Sinne oder in Sachen
i. S. v.
im Sinne von
i. V. m.
in Verbindung mit
i. Zh. m.
im Zusammenhang mit
JdT
Journal des Tribunaux
JZ
(deutsche) Juristen Zeitung (Tübingen)
KassGer
Kassationsgericht
KGer
Kantonsgericht
LGVE
Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide
lit.
litera, Buchstabe
LPG
BG vom 4. Oktober 1985 über die landwirtschaftliche Pacht, SR 221.
213.2
Max
Maximen, Grundsätzliche Entscheidungen des luzernischen Obergerichts und seiner Abteilungen
m. E.
meines Erachtens
m. Hw.
mit Hinweisen
m. Nw.
mit Nachweisen
mp
Mietrechtspraxis, Zeitschrift für schweizerisches Mietrecht
m. w. Hw.
mit weiteren Hinweisen
N
Note(n)
NJW
Neue Juristische Wochenschrift (München/Frankfurt a. M.)
Nr.
Nummer(n)
Nw.
Nachweis(e)
OGer
Obergericht
OLG
Oberlandesgericht
XXIV
OR
BG vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des
Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Fünfter Teil: Obligationenrecht,
SR 220
Pra
Die Praxis des Bundesgerichts
recht
recht, Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis
RGZ
Entscheidungen des Deutschen Reichsgerichts in Zivilsachen (Leipzig)
S.
Seite(n)
s.
siehe
Semjud
La Semaine Judiciaire
SJK
Schweizerische Juristische Kartothek
SJZ
Schweizerische Juristen-Zeitung
sog.
sogenannt
SPR
Schweizerisches Privatrecht
SR
Systematische Sammlung des Bundesrechts
StenBull NR
Amtliches stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat
StGB
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, SR 311.0
u. a.
unter anderem
UCC
Uniform Commercial Code (der National Conference of Commissioners on Uniform State Laws und des American Law Institute der
Vereinigten Staaten von Amerika)
usw.
und so weiter
vgl.
vergleiche
Vorbem.
Vorbemerkungen
VVG
BG vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag, SR 221.229.1
z. B.
zum Beispiel
ZBJV
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210
Ziff.
Ziffer
zit.
zitiert
ZPO
Zivilprozessordnung
ZR
Blätter für Zürcherische Rechtsprechung
ZSR
Zeitschrift für Schweizerisches Recht
ZürK
Zürcher Kommentar
XXV
XXVI
Einleitung
1
Durch den Abschluss eines synallagmatischen Schuldvertrages verpflichten sich die
Parteien gegenseitig zur Erbringung einer Leistung: Jede Partei verpflichtet sich als
Schuldner gegenüber der anderen Partei als Gläubiger, eine bestimmte Leistung zu erbringen. Beim Vertragsschluss hat in der Regel jede Partei gewisse Vorstellungen, wie
sie die von ihr geschuldete Leistung erbringen wird und welcher Aufwand, welche
Erfüllungsanstrengungen dazu nötig sind. Diese Vorstellungen der Parteien können
sich aus verschiedenen Gründen als nicht richtig erweisen. Oft hat sich der Schuldner
zu wenig Gedanken oder falsche Vorstellungen über die nötigen Erfüllungsanstrengungen gemacht oder sich bei deren Bestimmung verrechnet oder verschätzt. Zuweilen
waren dem Schuldner gewisse bereits bei Vertragsschluss vorliegende Umstände nicht
bekannt. Und manchmal kommt es vor, dass nach dem Vertragsschluss Ereignisse
oder Umstände eintreten, welche den Erfüllungsaufwand erhöhen und damit die
Erbringung der Leistung erschweren. Dieser letzte Fall, die nach Vertragsschluss eintretende, „nachträgliche“ Leistungserschwerung, bildet den Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
2
Der Schuldner bleibt bei nachträglicher Leistungserschwerung grundsätzlich zur Leistung verpflichtet. Er hat die auftretenden Schwierigkeiten zu überwinden, auch wenn
dazu grössere Erfüllungsanstrengungen nötig sind, als er bei Vertragsschluss gedacht
hat. Pacta sunt servanda. Ist der für die Erfüllung nötige Aufwand aber sehr viel grösser als vorausgesehen, kann die Bindung des Schuldners an den Vertrag als hart und
unbillig empfunden werden. Das Schweizer Recht kennt denn auch verschiedene
Regeln, wonach sich der Schuldner bei nachträglichen Verhältnisänderungen unter bestimmten Voraussetzungen von seiner Leistungspflicht befreien kann. Bei Unmöglichkeit der Leistung entfällt die Leistungspflicht von Gesetzes wegen (Art. 97 und 119
OR). Im Werkvertragsrecht kann der Unternehmer bei nicht voraussehbaren, ausserordentlichen Umständen, welche die Werkherstellung übermässig erschweren, die Anpassung des Vertrages (Erhöhung des Werkpreises) oder dessen Auflösung verlangen
(Art. 373 Abs. 2 OR). Dasselbe Recht steht dem Schuldner gemäss dem allgemeinen
Grundsatz der clausula rebus sic stantibus bei allen Verträgen zu, wenn eine unvorhersehbare nachträgliche Verhältnisänderung ein übermässiges Missverhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung (eine sog. „gravierende Äquivalenzstörung“)
bewirkt. Bei Dauerverträgen besteht zudem die Möglichkeit der Kündigung aus wich-
1
tigem Grund. Es ist damit anerkannt, dass Pacta sunt servanda kein unbeschränkt
gültiges Prinzip ist.
3
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es aufzuzeigen, unter welchen Voraussetzungen die
nachträgliche Leistungserschwerung den Schuldner von der Pflicht zur Erbringung der
Leistung befreit und welche Rechtsfolgen die Leistungserschwerung in diesem Falle
ausserdem nach sich zieht. Dabei wird wie folgt vorgegangen:
4
Im ersten Teil spreche ich zuerst von der Leistungserschwerung im Allgemeinen (§ 1).
Sodann werden die Lösungsansätze der Lehre und Rechtsprechung dargestellt (§ 2).
Da keine der von der Lehre und Rechtsprechung herangezogenen Gesetzesbestimmungen und Rechtsgrundsätze die Leistungserschwerung überzeugend zu regeln vermag
(vgl. die Kritik in § 3), wird eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Grenzen
der Leistungspflicht des Schuldners notwendig.
5
Im zweiten Teil (§§ 5 - 7) stehen solche grundsätzlichen Überlegungen zum Realerfüllungsanspruch und seinen Grenzen im Vordergrund. Diese führen zum Resultat, dass
die Erzwingung der Realerfüllung nicht (mehr) gerechtfertigt ist, wenn die Leistung so
erschwert ist, dass ein Missverhältnis zwischen dem Erfüllungsaufwand und dem
Realerfüllungsinteresse des Gläubigers besteht (sog. übermässige Leistungserschwerung, vgl. Nr. 220 ff. und insb. Nr. 230 ff.). Dieses Kriterium des Missverhältnisses
zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse des Gläubigers kann durch
Gesamtanalogie aus Art. 368 Abs. 2 OR, Art. 163 Abs. 3 OR und Art. 373 Abs. 2 OR
abgeleitet werden. Ob der Schuldner die Leistungserschwerung zu verantworten hat,
die Leistungserschwerung voraussehbar war oder die Leistungserschwerung zu einer
Äquivalenzstörung führt, ist gemäss diesem Kriterium für die Erzwingbarkeit des
Realerfüllungsanspruchs nicht entscheidend.
6
Im dritten Teil (§§ 8 - 10) wird sodann die Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung dargestellt. Der Schuldner hat ein Leistungsverweigerungsrecht, welches
ihn berechtigt, die Erbringung der Leistung während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung zu verweigern. Verweigert der Schuldner die Leistung, ist der Gläubiger seinerseits zur Zurückhaltung seiner Leistung berechtigt (vgl. Art. 82 OR). Es
steht dem Gläubiger ferner frei, die Behebung der übermässigen Leistungserschwerung abzuwarten und danach Realerfüllung zu fordern oder jederzeit gemäss den Verzugsregeln (insb. Art. 107 Abs. 2 OR) auf nachträgliche Erfüllung zu verzichten und
damit den Vertrag zu liquidieren. Der Entscheid über den Weiterbestand des Vertrages
liegt deshalb grundsätzlich in den Händen des Gläubigers. Nur wenn diese Rechtslage
den Schuldner ungebührlich benachteiligt oder wenn die übermässige Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist, ist der Schuldner ausnahmsweise berechtigt,
vom Richter die (endgültige) Vertragsanpassung bzw. Vertragsauflösung zu verlangen.
2
7
Im vierten Teil (§§ 11 - 13) werden schliesslich verschiedene Einzelfragen behandelt,
namentlich der Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung, die Voraussetzungen
der Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR bei Leistungserschwerung und das
Verschulden des Schuldners bei Leistungserschwerung.
3
4
Teil 1: Grundlagen
§ 1 Die Leistungserschwerung
I.
Begriff der Leistungserschwerung
1. Allgemeines
8
Der Begriff der Leistungserschwerung ist kein gesetzlicher oder von Lehre und Rechtsprechung einheitlich verwendeter Begriff.1 In dieser Arbeit wird jede Situation als
Leistungserschwerung bezeichnet, bei welcher sich der für die Erfüllung nötige Aufwand (Erfüllungsaufwand) infolge von nach Vertragsschluss eintretenden Ereignissen oder Umständen erhöht. Die Erbringung der geschuldeten Leistung durch den
Schuldner (kurz: die Leistung) erfordert infolge dieser Ereignisse oder Umstände grösseren Erfüllungsaufwand, als nötig wäre, wenn die Ereignisse oder Umstände ausgeblieben wären.2 Genaueres zur Erhöhung des Erfüllungsaufwands hinten Nr. 13 ff.
9
Eine Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne beruht nach dem soeben
Gesagten auf einem Ereignis oder Umstand, welcher den Erfüllungsaufwand erhöht.
Die Lehre bezeichnet solche Ereignisse und Umstände als Leistungshindernisse.3
Obwohl Leistungshindernisse grundsätzlich bei allen Arten von Obligationen auftreten
können, beschränken wir uns hier auf die Leistungserschwerung bei vertraglichen
Obligationen, genauer auf die Erschwerung einer Hauptleistung bei synallagmatischen
Schuldverträgen.
10
Leistungshindernisse können bereits beim Vertragsschluss bestehen (ursprüngliche
oder anfängliche Leistungserschwerung) oder erst nach dem Vertragsschluss eintreten
(nachträgliche Leistungserschwerung). Beide Fälle stehen sich nahe, wie das folgende
Beispiel zeigt:
1
2
3
Im Gesetz ist nur vereinzelt von „Erschwerung“ die Rede, beispielsweise in Art. 373 Abs. 2 OR
oder in Art. 527 Abs. 1 OR.
Vgl. aus der deutschen Literatur Ingo KOLLER, S. 4: Erhöhung des materiellen oder ideellen Aufwands bei der Leistungserbringung.
Durch den Eintritt eines Leistungshindernisses unterscheidet sich die Leistungserschwerung im
hier verstandenen Sinne vom einleitend erwähnten Fall, bei welchem sich der Schuldner schlicht
zu wenig Gedanken oder falsche Vorstellungen über den Erfüllungsaufwand macht oder er sich
bei dessen Bestimmung verrechnet oder verschätzt (Nr. 1).
5
11
Beispiel: „Steinbruch-Sarnen-Fall“:4 Die Gemeinde Rapperswil kaufte von Josef
Spiller ca. 120 Wagenladungen Kleinpflastersteine im Masse von 8/10 aus dem Steinbruch des Spiller in Sarnen, welche sie für den Bau einer Strasse benötigte. Es stellte sich
jedoch heraus, dass die Formation des guten Gesteins, welcher die Steine entnommen
werden sollten, stark „bergeinfallend“ war, was die Produktion der Steine erheblich verteuerte. Dieser Umstand lag unstreitbar schon bei Vertragsschluss vor, er war den
Parteien aber nicht bekannt. Unterstellen wir, dass statt dessen ein nach Vertragsschluss
eingetretener Felssturz die Produktion der Steine verteuert hat. Im Ergebnis ist die Wirkung beider Ereignisse dieselbe: Der Schuldner kann die Steine nur mit erheblich höheren Kosten produzieren – in dieser Hinsicht besteht kein Unterschied. Ein Unterschied
besteht aber insofern, als der Schuldner im ersten Falle die ungünstige Schichtenlage
allenfalls durch Probebohrungen oder andere Massnahmen hätte erkennen können, während er im zweiten Falle den Felssturz als zukünftiges Ereignis naturgemäss nicht hat
kennen können. Wohl hätte er aber allenfalls die Gefahr eines Felssturzes voraussehen
können. Beide Tatbestände, die ursprüngliche und die nachträgliche Leistungserschwerung, stehen sich damit sehr nahe.
12
Im Rahmen dieser Arbeit beschränken wir uns auf den zweiten Fall, die nachträgliche
Leistungserschwerung. Im Folgenden wird unter einer Leistungserschwerung deshalb
immer eine nachträgliche Leistungserschwerung verstanden. Da bei dieser – wie gesagt – nach Vertragsschluss ein Leistungshindernis eintritt, handelt es sich um einen
Fall der nachträglichen Veränderung der Verhältnisse und Umstände. Als solche
ist die Leistungserschwerung von anderen Fällen nachträglicher Verhältnisänderungen
abzugrenzen (Nr. 27 ff.).
2. Eigentliche Leistungserschwerung
13
Beim klassischen Fall der Leistungserschwerung erfordert die Erbringung der Leistung
zusätzliche, d. h. mehr oder grössere Erfüllungsanstrengungen. Beispielsweise benötigt der Unternehmer für die Herstellung des Werkes mehr Material, mehr Personal
oder längerdauernde eigene Tätigkeit. Dem gleichzusetzen ist der Fall, dass die Erbringung der Leistung zwar nicht zusätzliche Erfüllungsanstrengungen erfordert, jedoch
andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen, welche den Schuldner stärker
belasten. Beispielsweise benötigt der Unternehmer statt des geplanten Krans einen
grösseren (und damit teureren) Kran. Leistungserschwerungen können bei Sachleistungen wie auch bei Dienstleistungen vorkommen. Bei Sachleistungen (Pflicht zur Verschaffung einer Sache) besteht die Leistungserschwerung oft in erhöhten Beschaffungskosten der geschuldeten Sache.
4
6
BGE 57 II 508 ff. Vgl. zu diesem BGE hinten Nr. 393 ff.
14
Beispiel: „Kuriwata-Seiden-Fall“:5 Kopf-Schnewlin (Verkäufer) verkaufte im Juni
1899 1500 Kilogramm Kuriwata-Seide für 7 Franken pro Kilogramm an Bavier & Cie.
(Käufer). Gemäss den Behauptungen des Verkäufers zerstörten ein Taifun und damit
verbundene Überschwemmungen die Kuriwata-Ernte von 1899/1900 in den japanischen Produktionsgebieten nahezu gänzlich, so dass die Beschaffung der Seide im
Herbst 1899 nicht bzw. nur zu erheblich erhöhten Preisen möglich war.6
15
Nicht von einer Leistungserschwerung sprechen wir, wenn die Erfüllung ausschliesslich mehr Zeit erfordert, ohne dass gleichzeitig zusätzliche oder andere, weitergehende
Erfüllungsanstrengungen, beispielsweise eine längerdauernde Tätigkeit des Schuldners
nötig wird. In diesem Falle ist die Erfüllung nicht erschwert, sondern lediglich verzögert. Häufig werden freilich eine Leistungserschwerung und Verzögerungen zusammenfallen.7
3. Atypische Fälle der Leistungserschwerung
16
Sodann gibt es atypische Fälle der Leistungserschwerung, bei welchen die Leistung
weder zusätzliche noch andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen erfordert, die
(unveränderten) Erfüllungsanstrengungen den Schuldner aber sonst stärker belasten oder
die Erfüllung ihm andere, nicht materielle Nachteile bereitet.
A. Wertsteigerung der Leistung und verwandte Fälle
17
Zu diesen atypischen Leistungserschwerungen gehört die Wertsteigerung der Leistung.
Ein solcher Fall liegt vor, wenn die geschuldete Leistung nach Vertragsschluss an
Wert gewinnt. Ist der Schuldner bereits im Besitze der Leistung, erfordert die
Leistungserbringung zwar weder zusätzliche, noch andere Erfüllungsanstrengungen.
Doch belastet die Erfüllung den Schuldner insofern stärker, als er die Leistung nun
einem Dritten zu vorteilhafteren Konditionen erbringen könnte. Die Erschwerung
besteht – ökonomisch gesprochen – in den erhöhten Opportunitätskosten8 der Leistungserbringung.
5
6
7
8
BGE 27 II 211 ff. Vgl. zu diesem BGE hinten Nr. 387.
Vgl. auch den ähnlich gelagerten Entscheid des OGer LU, ZBJV 55 (1919) Nr. 7, S. 488, betr.
Steinholzbirnen.
Vgl. ERDIN, Nr. 55 und Nr. 63 ff., betr. Art. 373 Abs. 2 OR.
Unter Opportunitätskosten versteht man in der Ökonomie die Kosten der Verwendung eines Guts,
die im entgangenen Nutzen (Ertrag) bestehen, der durch eine andere Verwendung des Guts hätte
erzielt werden können. Vgl. Peter METZGER, Schweizerisches juristisches Wörterbuch, Bern/
Stuttgart/Wien 1996, S. 416. Beispiel (zu Nr. 18): Wenn der Verkäufer die Seide dem Käufer vertragsgemäss liefert, entgeht ihm der (höhere) Kaufpreis, welchen er durch Weiterverkauf der
Seide an einen Dritten hätte erzielen können. Die Opportunitätskosten der Lieferung an den
7
18
Beispiel: Variante zum „Kuriwata-Seiden-Fall“ (Nr. 14): Unterstellen wir, dass der
Verkäufer sich bereits mit Kuriwata-Seide eingedeckt hatte, als der Taifun in Japan
wütete. In diesem Falle entstehen ihm zwar keine erhöhten Beschaffungskosten, doch
könnte er die Seide nun vermutlich zu einem erheblich höheren Preis als dem vertraglich vereinbarten an einen Dritten verkaufen.
19
Ob eine eigentliche Leistungserschwerung oder eine blosse Wertsteigerung der Leistung vorliegt, hängt – wie die Beispiele in Nr. 14 und 18 zeigen – oft nur davon ab, ob
der Schuldner im Zeitpunkt des Eintritts des Leistungshindernisses bereits im Besitze
der Leistung ist, oder ob er sich diese erst noch beschaffen muss.9
20
Zwei Sonderfälle verdienen, besonders erwähnt zu werden:
21
–
22
23
Dringender Eigenbedarf: Ein Sonderfall der Wertsteigerung der Leistung liegt
vor, wenn der Schuldner der Leistung selbst dringend bedarf. Die Wertsteigerung
besteht in diesem Falle gerade darin, dass der Schuldner die Sache nun für sich
selbst besser verwenden könnte. Die Opportunitätskosten der Leistungserbringung
bestehen in der (bei Leistungserbringung nicht möglichen) Eigennutzung.
Beispiel: Art. 309 Abs. 2 OR: Der Verleiher kann die ausgeliehene Sache vorzeitig
zurückfordern, wenn er selbst wegen eines unvorhergesehenen Falles der Sache
dringend bedarf.
–
24
Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners: Schliesslich
kann die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners zu Veränderungen seiner Präferenzen führen: Angesichts der veränderten Vermögensverhältnisse würde der Schuldner nun in andere Weise als der vertraglich vereinbarten
über die Leistung verfügen.
Beispiel: Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR: Der Schenker kann das Schenkungsversprechen
widerrufen, wenn sich seine Vermögensverhältnisse seit dem Versprechen so geändert
haben, dass die Schenkung ihn ausserordentlich schwer belasten würde.
B. Nicht materielle Nachteile
25
Gelegentlich bereitet die Vertragserfüllung dem Schuldner nicht materielle Nachteile.
So verhält es sich oft bei Dienstleistungen, wenn der Schuldner die Leistung aus persönlichen Gründen, z. B. wegen Krankheit, Unfall, Alter, körperlicher Behinderung
oder wegen ungenügendem Fachwissen oder Know-how nur mit besonderen Mühen
erbringen kann.
9
8
Käufer entsprechen dem entgangenen (höheren) Kaufpreis, den der Dritte zu bezahlen bereit
wäre.
Im ersten Falle ist der Schuldner gegen den Preisanstieg abgesichert (oder – wiederum ökonomisch gesprochen – „hedged“), im zweiten Falle nicht.
26
Bei Verträgen, welche ein Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien voraussetzen,
namentlich also bei Dauerverträgen wie beispielsweise bei Arbeitsverträgen, der Verpfründung und in abgeschwächtem Masse auch bei Miete, kann sich das persönliche
(zwischenmenschliche) Verhältnis der Parteien so verschlechtern (z. B. wegen Unredlichkeiten, Zänkereien, Streitigkeiten, Verleumdungen, Uneinigkeit, etc. oder wiederholten kleineren Vertragsverletzungen), dass der Schuldner die Vertragserfüllung als
Belastung empfindet. Auch in diesem Falle sind weder zusätzliche noch andere,
weitergehende Erfüllungsanstrengungen für die Vertragserfüllung erforderlich, doch
belastet die Vertragserfüllung den Schuldner in nicht materieller (ideeller) Hinsicht
stärker.
4. Abgrenzungen
27
Die Leistungserschwerung ist von jenen Verhältnisänderungen abzugrenzen, bei
welchen die veränderten Verhältnisse und Umstände nicht die Erbringung der
Leistung durch den Schuldner beeinflussen, sondern die Verwendung der Leistung
durch den Gläubiger.
A. Verwendungserschwerung (oder Verwendungsunmöglichkeit)
28
Bei der sog. Verwendungsunmöglichkeit10,11 oder Verwendungserschwerung kann der
Gläubiger die Leistung infolge veränderter Verhältnisse oder Umstände überhaupt
nicht mehr oder nicht mehr gleich gut gebrauchen. Sein Interesse an der Leistung ist
10 Vgl. dazu AEPLI, ZürK, N 31 zu Art. 119 OR; ferner BARTH, S. 20; BECKER, BerK, N 16 zu Art.
97 OR; BESSON, S. 34 f.; BUCHER, OR AT, S. 248; GAUCH, Dauervertrag, S. 124; GAUCH/
SCHLUEP/REY, Nr. 3157; GIGER, S. 24 Anm. 2; BISCHOFF, S. 133 f.; Ingo KOLLER, S. 8; ferner
JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 654 ff. zu Art. 18 OR; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 415a f.; sowie
die in Anm. 11 und 235 zit. Entscheide.
11 Beispiele: (1) Der Mieter kann das Mietlokal nicht mehr verwenden, (a) weil er den im Lokal
betriebenen Spielsalon infolge polizeilicher Auflagen aufgegeben hat (BGE 116 II 514), (b) weil
dem Mieter der Betrieb von Verkaufsläden verboten wird (BGE 62 II 44), (c) weil die Aufenthaltsbewilligung des Mieters nicht verlängert wird (OGer ZH, ZR 62 (1963) Nr. 79, S. 218 ff.),
(d) infolge Kriegsmobilmachung (ZBJV 50 (1914) Nr. 2, S. 537). (2) Der Strombezüger kann den
gelieferten Strom nicht verwenden, weil seine Fabrik abgebrannt ist (BGE 48 II 371 f.). (3)
Infolge Fabrikbrandes kann der Besteller das bestellte Verpackungsmaterial nicht verwenden
(HGer ZH, ZR 34 (1935) Nr. 43, S. 97). (4) Der Käufer kann die Kaufsache nicht verwenden,
weil er sie infolge eines Exportverbotes nicht ins Bestimmungsland bringen kann (BezGer ZH,
ZR 17 (1918) Nr. 99, S. 185; vgl. auch BGE 44 II 409 f. betr. Einfuhrverbot). (5) Der Arbeitgeber
kann den Arbeitnehmer nicht beschäftigen, (a) wegen schlechten Wetters (vgl. BGE 114 V
336 ff.), (b) wegen kriegsbedingten Auftragmangels (AppGer BS, SJZ 12 (1915) Nr. 35, S.
135 f.; HGer AG, SJZ 12 (1916) Nr. 75, S. 297), (c) wegen schlechten Geschäftsgangs (BGE 44
II 414). (6) Der Kursbesucher kann die Englischkurse wegen Veränderung seiner Arbeitszeit
nicht besuchen (OGer LU, Max 7 Nr. 188, S. 37 ff.). Vgl. ferner BGE 46 II 171 f.; BGE 26 II
9
infolge der Verhältnisänderung reduziert oder entfällt sogar vollständig. Dies kann auf
allgemeine, objektive Gründe zurückzuführen sein (z. B. Kriegsausbruch) oder auf
persönliche Gründe (z. B. Stellenversetzung, Hospitalisierung etc.). Oft führt die Verwendungserschwerung zu einer Störung der Leistungsäquivalenz, im Sinne dass der
Gläubiger die von ihm geschuldete Gegenleistung wegen der veränderten Verhältnisse
oder Umstände im Vergleich zur Leistung des Schuldners als übermässig empfindet.
29
Beispiel: „Börsengebäude-Zürich-Fall“:12 Im Mai 1929 mietete Rogenmoser von der
Tiefengrund AG Räumlichkeiten des sich damals noch im Bau befindenden „neuen“
Börsengebäudes Zürich für einen Mietzins von mehr als CHF 150'000.– pro Jahr.
Infolge der sich akut verschlechternden Entwicklung der Wirtschaftslage erwirtschaftete Rogenmoser in der Folge mit dem in diesen Räumlichkeiten geführten Gastwirtschaftsbetrieb nicht den erwarteten Umsatz und Ertrag, weshalb er die Herabsetzung
des Mietzinses oder die Auflösung des Vertrages verlangte.
30
Bei der Verwendungserschwerung bleiben die Erfüllungsanstrengungen des Schuldners (i. c. Vermieters) unverändert, und auch die Erfüllungsanstrengungen des Gläubigers (i. c. Mieters) für die Erbringung der Gegenleistung verändern sich nicht (der
Mietzins bleibt unverändert). Beeinträchtigt ist einzig die Verwendung der Leistung
durch den Gläubiger (i. c. erzielt der Mieter in den Räumlichkeiten nicht den erhofften
Umsatz und Ertrag): Unter den gegebenen Umständen ist die Leistung des Schuldners
für den Gläubiger weniger wert oder gar ganz wertlos. Aus diesem Grunde empfindet
der Gläubiger die von ihm geschuldete Gegenleistung im Vergleich zur Leistung des
Schuldners als übermässig.
B. Entwertung der Leistung und Inflation
31
Ein häufiger und typischer Fall der Verwendungserschwerung ist die (allgemeine) Entwertung der Leistung, beispielsweise einer Geldleistung (Inflation). Die Entwertung
oder Inflation beeinflusst die Erbringung der entwerteten Leistung durch den Schuldner in keiner Weise, doch will der Gläubiger den Vertrag oft nicht mehr halten, weil er
für seine Gegenleistung nun keine angemessene Leistung mehr erhält.
549; BGE 69 II 145; Semjud 87 (1965), S. 472.
12 BGE 59 II 372 ff. = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 463 ff.; BGE 60 II 205 ff.; BGE 61 II 259 ff.
10
II. Intensität und Dauer der Leistungserschwerung
1. Intensität der Leistungserschwerung
32
Gemäss der bisher präsentierten Begriffsumschreibung (Nr. 8 ff.) setzt die Leistungserschwerung einzig voraus, dass die Leistung infolge eines nach Vertragsschluss eintretenden Leistungshindernisses erhöhten Erfüllungsaufwand erfordert, d. h. zusätzliche oder andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen (Nr. 13 ff.). Über das Ausmass der Aufwanderhöhung, d. h. die Intensität, mit welcher der Schuldner an der
Erfüllung gehindert wird, wird damit nichts gesagt. Im Rahmen dieser Arbeit soll die
Leistungserschwerung gegen „unten“ und gegen „oben“ wie folgt abgegrenzt werden:
33
–
Keine Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne liegt einerseits vor, wenn
die Erfüllung unveränderte Erfüllungsanstrengungen erfordert: Die Erfüllung
ist ohne zusätzliche oder andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen möglich,
belastet den Schuldner auch nicht stärker und bereitet ihm keine immateriellen
Nachteile. Kurz: Die Leistungspflicht des Schuldners ist unverändert und nicht
erschwert.
34
–
Andererseits kann nicht von einer Leistungserschwerung gesprochen werden,
wenn die Erfüllung überhaupt nicht, d. h. mit beliebigen Erfüllungsanstrengungen nicht bewirkt werden kann. In diesem Falle ist die Erfüllung nicht nur
erschwert, sondern gänzlich ausgeschlossen. Zu denken ist insbesondere an den
Fall, dass die geschuldete Leistung einem Naturgesetz, den Regeln der Technik
oder der Logik widerspricht, oder dass sie die menschliche Leistungsfähigkeit
massiv überschreitet. Klassisches Beispiel ist die – nicht reparierbar – zerstörte
Speziessache. Aber auch wenn ein Schuldner, der sich zu einer persönlichen Dienstleistung verpflichtet hat, infolge Krankheit, Unfall, Alter, körperlicher Behinderung
oder wegen ungenügendem Fachwissen oder Know-how (vgl. Nr. 25) so stark an
der Erfüllung gehindert wird, dass er die Dienstleistung mit beliebigen Erfüllungsanstrengungen, also überhaupt nicht (mehr) erbringen kann, liegt keine Leistungserschwerung vor.
35
Bei allen dazwischen liegenden Tatbeständen handelt es sich um Leistungserschwerungstatbestände im hier verstandenen Sinne. Diese offene, weite Begriffsumschreibung wird hier ganz bewusst verwendet: Ein und dasselbe Leistungshindernis
kann nämlich ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des
Schuldners haben. Zudem kommt es bei Leistungserschwerungen relativ häufig vor,
dass die Verhältnisse Veränderungen unterworfen sind, die Auswirkungen eines
11
Leistungshindernisses auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners somit nicht endgültig
feststehen.
36
Beispiel: Im Kuriwata-Seiden-Fall (Nr. 14) kann der Taifun nur wenig Schaden
angerichtet haben, so dass lediglich der Preis der Kuriwata-Seide geringfügig steigt.
Allenfalls ist Kuriwata-Seide nur noch bei Produzenten ausserhalb des üblichen Beschaffungsgebiets des Verkäufers erhältlich. Wenn die Lieferung einer ganz seltenen
Seidensorte vereinbart wurde, welche nur in einer geographisch eng begrenzten Region
gedeiht,13 ist es im Extremfall sogar denkbar, dass solche Seide bis im kommenden
Jahr fast gar nicht mehr erhältlich ist. Dabei entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Marktverhältnisse selten stabil sind – in allen drei Fällen kann nicht
ausgeschlossen werden, dass sich die angespannten Marktverhältnisse beispielsweise
wegen neu auf den Markt gebrachter Vorräte oder wegen Konkurrenzprodukten wieder
entspannen.
2. Dauer der Leistungserschwerung
37
Auch an die Dauer der Leistungserschwerung werden im Rahmen dieser Arbeit keine
besonderen Anforderungen gestellt. Als Leistungserschwerung im hier verstandenen
Sinne gilt deshalb auch eine Leistungserschwerung, die von vornherein von beschränkter Dauer oder von nicht absehbarer Dauer ist. Damit wird ebenfalls der soeben
erwähnten Erfahrungstatsache Rechnung getragen, dass die Verhältnisse bei
Leistungserschwerungen oft Veränderungen unterworfen sind, die Auswirkungen
eines Leistungshindernisses auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners somit oft nicht
endgültig feststehen.
Beispiel: „Colliers-Fall“:14 Ein Juwelier verkauft Colliers an einen Kunden. Die
verkauften Colliers werden dem Juwelier in Italien aus dem Wagen gestohlen, so dass
der Juwelier die Colliers dem Kunden nicht übergeben kann. Die gestohlenen Colliers
können nach kurzer Zeit wieder auftauchen. Dies kann aber auch Jahre dauern.
Schliesslich ist es denkbar, dass die Colliers gar nicht mehr zum Vorschein kommen,
beispielsweise weil sie zerstört oder umgearbeitet wurden. Im Zeitpunkt des Diebstahls
lässt sich über die Dauer des Verschwunden-Seins in der Regel keine Prognose
machen.
38
13 So offenbar im erwähnten Entscheid, BGE 27 II 216.
14 Ein ähnlicher Sachverhalt liegt OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 205 ff., zugrunde. Vgl. auch
BGE 113 II 421 ff. betr. der Haftung des Garagisten bei Diebstahl eines Fahrzeugs, das ihm ein
Kunde zur Reparatur anvertraut hat; BGE 126 III 192 ff. betr. Haftung des Aufbewahrers bei
Diebstahl der hinterlegten Sache (i. c. Schmuckstücke).
12
III. Gegenstand der Arbeit: Die Leistungserschwerung im Gegensatz zur Verwendungserschwerung bzw. das „Erfüllungsproblem“ im Gegensatz zum
„Äquivalenzproblem“
39
Gegenstand dieser Arbeit bildet die eigentliche Leistungserschwerung (Nr. 13 f.).
Daneben wird vereinzelt auch auf atypische Fälle der Leistungserschwerung (Nr.
16 ff.) eingegangen. Hingegen werden die Verwendungserschwerung (Nr. 28 ff.) und
die Entwertung der Leistung (Nr. 31) im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt. Der
Grund für diese Einschränkungen liegt darin, dass bei der Leistungserschwerung einerseits und bei der Verwendungserschwerung sowie der Entwertung der Leistung andererseits unterschiedliche Fragestellungen im Vordergrund stehen:
40
Bei der Verwendungserschwerung und bei der Entwertung der Leistung steht die
Frage der Leistungsäquivalenz (das „Äquivalenzproblem“) im Vordergrund.
Typischerweise stehen sich hier bei Vertragsschluss (mehr oder weniger) gleichwertige
Leistungspflichten gegenüber, doch gerät die Leistungsäquivalenz nach Vertragsschluss
aus dem Gleichgewicht, weil der Gläubiger die Leistung des Schuldners nicht mehr verwenden kann bzw. weil die Leistung des Schuldners an Wert verliert. Dieses Problem
der nachträglichen Störung der Leistungsäquivalenz ist eine schwierige Frage der materiellen Vertragsgerechtigkeit. Eine allgemeine, griffige Regel zur Beurteilung von Äquivalenzstörungen besteht nicht. Einzelheiten dazu hinten in Nr. 264 ff. und Nr. 402 ff.
41
Bei der Leistungserschwerung steht eine andere Frage im Vordergrund: Es fragt sich,
welche Erfüllungsanstrengungen der Schuldner – unabhängig von der Höhe der Gegenleistung – auf sich nehmen muss, um eine bestimmte Leistung in natura zu erbringen.
Es geht um die Grenzen des Realerfüllungsanspruchs. Im Gegensatz zum Äquivalenzproblem besteht zur Lösung dieses „Erfüllungsproblems“ nach hier vertretener Auffassung sehr wohl eine objektive, praktikable Regel. Diese Regel soll in dieser Arbeit erarbeitet und dargestellt werden.
42
Dabei muss eingeräumt werden, dass sich Leistungserschwerungen nicht vollständig auf
das Erfüllungsproblem reduzieren lassen. Wenn sich bei einer Leistungserschwerung
der Erfüllungsaufwand stark erhöht, so gerät dadurch oftmals auch die Leistungsäquivalenz in Schieflage, weil der Schuldner – bei unveränderter Gegenleistung – viel höheren Erfüllungsaufwand auf sich nehmen muss. Es lässt sich deshalb nicht vermeiden,
dass im Rahmen dieser Arbeit an verschiedener Stelle auch zum Äquivalenzproblem
Stellung genommen wird (insb. Nr. 264 ff. und Nr. 402 ff.). Dennoch kann das
Erfüllungsproblem (die Frage der Grenzen des Realerfüllungsanspruchs) nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich unabhängig vom Äquivalenzproblem beurteilt werden, da eine allfällig durch Leistungserschwerung bewirkte Äquivalenzstörung im Falle
des Fortbestandes des Realerfüllungsanspruchs durch Erhöhung der Gegenleistung (vgl.
13
Art. 373 Abs. 2 OR) bzw. im Falle des Wegfalls des Realerfüllungsanspruchs durch
einen Schadenersatz- oder Ausgleichsanspruch behoben werden kann. Der Entscheid
über den Bestand und den Wegfall des Realerfüllungsanspruchs präjudiziert den Entscheid über die Anpassung der Leistungsäquivalenz deshalb nicht.
14
§ 2 Lösungsansätze der Lehre und Rechtsprechung
I.
Grundsatz: Pacta sunt servanda
43
Gemäss dem Grundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) sind Verträge zu halten
und die Leistungen so wie versprochen zu erbringen.15 Pacta sunt servanda gilt auch bei
Leistungserschwerung (zu Ausnahmen Nr. 44): Der Schuldner hat die Leistung auch
dann wie versprochen zu erbringen, wenn der Erfüllungsaufwand grösser ist als vorgesehen.16 Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung, beispielsweise steigende Preise oder
Löhne,17 Arbeitseinstellung im Betrieb des Schuldners18 usw., haben grundsätzlich keinen Einfluss auf den Bestand des Vertrages und die Leistungspflicht19,20 und sind vom
Schuldner zu überwinden. Der Schuldner muss die Leistung trotz der auftretenden
Schwierigkeiten erbringen und der Gläubiger kann die Leistung in natura verlangen,
einklagen und zwangsweise durchsetzen.21 Ist der Schuldner mit der Erfüllung der
fälligen Leistung in Verzug, so regelt sich die Rechtslage nach den Verzugsregeln,
Art. 102 - 109 OR.
44
Pacta sunt servanda gilt jedoch nicht uneingeschränkt: Das Schweizer Recht kennt zahlreiche Bestimmungen und Rechtsgrundsätze, gemäss welchen nachträgliche Verhältnisänderungen Auswirkungen auf das Vertragverhältnis und die Leistungspflicht des
Schuldners haben.22 Eine solche Bestimmung, welche ausdrücklich auch auf Leistungserschwerungen Anwendung findet, ist Art. 373 Abs. 2 OR. Gemäss dieser Bestimmung
des Werkvertragsrechts kann der Unternehmer bei nicht voraussehbaren, ausserordentlichen Umständen, welche die Werkherstellung übermässig erschweren, die Anpassung des Vertrages (Erhöhung des Werkpreises) oder dessen Auflösung verlangen.
15 Vgl. z. B. KOLLER, OR AT I, Nr. 613; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 561; DESCHENAUX, SPR II, S.
196; WIEGAND, BasK, N 97 zu Art. 18 OR.
16 KOLLER, OR AT I, Nr. 613; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; ferner JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 633
zu Art. 18 OR; vgl. auch Art. 373 Abs. 1 OR.
17 ZR 21 (1922) Nr. 37, S. 84; BGE 48 II 247 f. = Pra 11 (1922) Nr. 133, S. 336 f.; BGE 48 II 124;
BGE 45 II 320; BECKER, BerK, N 19 zu Art. 97 OR; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 14;
WEBER, BerK, N 120 zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR. Auch BGE 68 II
169 ff., 172, ist m. E. in diesem Sinne zu verstehen. Vgl. zu diesem Entscheid Anm. 63. Abweichend BGE 46 II 433 ff.
18 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 14; WEBER, BerK, N 120 zu Art. 97 OR; WIEGAND,
BasK, N 14 zu Art. 97 OR.
19 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; BECKER, BerK, N 16 zu Art. 97 OR; KELLER/SCHÖBI, I,
S. 246 und 248; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 7 zu Art. 97 OR; WEBER, BerK, N 120 zu Art.
97 OR; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR.
20 Einzig wenn Schuldner und Gläubiger die Leistungspflicht des Schuldners für bestimmte Schwierigkeiten vertraglich ausgeschlossen haben, sind diese Schwierigkeiten ausnahmsweise zu berücksichtigen; vgl. VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 15, mit Beispielen.
21 Einschränkungen hinten Nr. 194 ff.
15
Daneben bestehen andere Bestimmungen und Rechtsgrundsätze, die nicht spezifisch auf
Leistungserschwerungen zugeschnitten sind, aber teilweise dennoch zur Befreiung des
Schuldners bei Leistungserschwerung herangezogen werden: die Unmöglichkeitsregeln,
die clausula rebus sic stantibus oder bei Dauerverträgen die Vertragsbeendigung aus
wichtigem Grund. Ja selbst auf Grundlagenirrtum (Irrtum über zukünftige Sachverhalte)
kann sich der Schuldner bei Leistungserschwerungen allenfalls berufen.
45
Im Folgenden wird untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen sich der
Schuldner bei Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne gemäss der Lehre
und Rechtsprechung gestützt auf die oben genannten Bestimmungen von seiner Leistungspflicht oder vom Vertrag befreien kann. Im Vordergrund stehen dabei die
Unmöglichkeitsbestimmungen, Art. 97 und 119 OR (Nr. 46 ff.). Diese bedürfen eingehenderer Behandlung, da deren Anwendung auf unzumutbare Leistungen, die so genannte subjektive Unmöglichkeit und die vorübergehende Unmöglichkeit umstritten ist.
Es handelt sich dabei um Tatbestände, welche als Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne aufgefasst werden können oder dieser zumindest nahe stehen. Anschliessend wird – erheblich kürzer – auf die clausula rebus sic stantibus (Nr. 115 ff.),
Art. 373 Abs. 2 OR (Nr. 123 ff.), die Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund bei
Dauerschuldverhältnissen (Nr. 126 ff.) und auf den (Grundlagen-)Irrtum über zukünftige Sachverhalte (Nr. 143 ff.) eingegangen.
II. Nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung
1. Übersicht
A. Begriff der Unmöglichkeit
46
Die nachträgliche Unmöglichkeit wird im Obligationenrecht an verschiedenen Stellen
geregelt,23 im allgemeinen Teil in Art. 97 und 119 OR.24 Eine Definition des Begriffs
der nachträglichen Unmöglichkeit enthält das Gesetz nicht.25 Immerhin umschreibt
Art. 97 Abs. 1 OR die nachträgliche Unmöglichkeit, und zwar mit den Worten:26 „Kann
22 WEBER, BerK, N 78 der Vorbem. zu Art. 97 - 109 OR.
23 Im besonderen Teil finden sich die folgenden Bestimmungen betr. die nachträgliche Unmöglichkeit: Art. 324, 324a und 324b OR (Unmöglichkeit der Arbeitsleistung), Art. 378 und 379 OR
(Unmöglichkeit der Werkerstellung im Werkvertrag), Art. 545 Abs. 1 Ziff. 1 OR (Unmöglichkeit
des Erreichens des Zwecks der einfachen Gesellschaft).
24 Im allgemeinen Teil regelt ferner Art. 163 Abs. 2 OR die Wirkungen der vom Schuldner nicht zu
vertretenden nachträglichen Unmöglichkeit auf die Konventionalstrafe.
25 Vgl. BARTH, S. 21 ff.; AEPLI, ZürK, N 40 zu Art. 119 OR. Art. 119 Abs. 1 OR spricht vom „Unmöglichwerden einer Leistung“ (vgl. die Marginalie), ohne den Begriff zu definieren oder zu umschreiben.
26 Vgl. AEPLI, ZürK, N 17 zu Art. 119 OR; WIEGAND, Leistungsstörungen, recht 1983, S. 2; ferner
16
die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht ... bewirkt werden...“ Unmöglichkeit
bedeutet damit Nichtbewirkbarkeit der Erfüllung der Verbindlichkeit, oder anders
gesagt Nichterbringbarkeit der Leistung.
47
Nach der gängigen Begriffsumschreibung von Lehre und Rechtsprechung hat der
Begriff der nachträglichen Unmöglichkeit drei Begriffselemente oder Voraussetzungen: (1.) Nachträgliche Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR setzt den
Bestand einer (rechtsgültigen) Obligation zwischen Schuldner und Gläubiger voraus.27 (2.) Die Erfüllung der Obligation ist unmöglich. (3.) Die Unmöglichkeit der
Erfüllung tritt nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Obligation (beispielsweise
durch Vertragsschluss) ein.28,29 Durch die dritte Voraussetzung (Nachträglichkeit des
Unmöglichkeitseintritts) wird die nachträgliche Unmöglichkeit von der anfänglichen
Unmöglichkeit abgegrenzt.30
48
Im Rahmen dieser Arbeit interessiert vor allem die zweite Voraussetzung. Namentlich
fragt sich, welche Anforderungen an die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des
Schuldners gestellt werden, damit die Leistung für ihn nicht erbringbar und damit un-
BUCHER, OR AT, S. 334 f.
27 Vgl. AEPLI, ZürK, N 22 zu Art. 119 OR; SCHENKER, Nr. 726 a. E.; ferner WIEGAND, BasK, N 8 zu
Art. 97 OR. Dies ist eine logische Selbstverständlichkeit (BARTH, S. 79; AEPLI, ZürK, N 22 zu Art.
119 OR): Die Erfüllung der Leistungspflicht des Schuldners kann nur unmöglich werden, wenn der
Schuldner zur Erbringung einer Leistung verpflichtet ist. Vorausgesetzt ist somit beispielsweise,
dass ein Vertrag gültig abgeschlossen wurde (Konsens; Art. 1 OR) (RINGIER, S. 33), nicht erloschen
ist (durch Erfüllung, Neuerung, Eintritt einer auflösenden Bedingung usw.), nicht wegen eines
Formmangels nichtig ist, bzw. nicht durch Berufung auf Übervorteilung (Art. 21 OR) oder Willensmangels (Art. 23 ff. OR) aufgehoben wurde und einen zulässigen Vertragsinhalt aufweist (Art. 19
und 20 OR). Namentlich darf der Vertrag nicht wegen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit (bzw.
nach der neueren Auffassung von ZIEGLER, S. 20 ff., absoluter Unmöglichkeit; ähnlich KOLLER,
OR AT I, Nr. 867 ff.) nichtig sein (AEPLI, ZürK, N 22 zu Art. 119 OR; BARTH, S. 79; RINGIER, S.
33).
28 Vgl. z. B. WIEGAND, BasK, N 8 zu Art. 97 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3126; KELLER/
SCHÖBI, I, S. 245.
29 Nachträgliche Unmöglichkeit setzt somit voraus, dass Vertragsschluss und Erfüllung zeitlich
nicht zusammenfallen. Beim Handgeschäft (vgl. statt vieler SCHÖNENBERGER/JÄGGI, ZürK, N
110 zu Art. 1 OR und N 106 und 121 vor Art. 1 OR; GIGER, BerK, N 184 zu Art. 184 OR;
GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 267 ff.) ist folglich nachträgliche Unmöglichkeit nicht denkbar,
anfängliche hingegen schon. Vgl. betr. der anfänglichen Unmöglichkeit KRAMER, BerK, N 246
zu Art. 19 - 20 OR, m. w. Hw.
30 Anfängliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Erbringung der Leistung bereits zum Zeitpunkt
der Entstehung der Obligation unmöglich ist (KRAMER, BerK, N 246 zu Art. 19 - 20 OR; BGE 95
II 554; BGE 96 II 21). Präzisierend ist anzufügen, dass eigentlich nicht auf den Eintritt des Leistungshindernisses abzustellen ist, sondern darauf, wann der Eintritt des Leistungshindernisses
(bzw. der Eintritt der Unmöglichkeit) objektiv feststand; vgl. AEPLI, ZürK, N 53 zu Art. 119 OR
sowie für die anfängliche Unmöglichkeit BARTH, S. 32, m. w. Hw.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID,
Nr. 633, m. w. Hw.; HÜRLIMANN, Nr. 93 und 95; KRAMER, BerK, N 248 zu Art. 19 - 20 OR;
OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 zu Art. 20 OR; VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263 f.; WEBER,
BerK, N 107 und 134 zu Art. 97 OR; BGE 36 II 199; BGE 96 II 21; KGer SG, GVP 1988 Nr. 42,
S. 89 Erw. 4 = SJZ 85 (1989) Nr. 67, S. 420 Erw. 4.
17
möglich ist. Lehre und Rechtsprechung machen Einschränkungen in zweierlei Hinsicht:
49
–
Intensität der Unmöglichkeit: Die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des
Schuldners muss eine bestimmte Intensität erreichen.31 Die Hindernisse, die sich
der Erfüllung entgegenstellen,32 müssen so stark (intensiv) sein, dass der Schuldner sie nicht überwinden kann.33 Wann dies der Fall ist, ist in der Lehre umstritten:
Nach der Unzumutbarkeitstheorie liegt Unmöglichkeit vor, wenn der Schuldner
die Leistung mit nach Treu und Glauben zumutbaren Erfüllungsanstrengungen
nicht erbringen kann.34 Gemäss der Clausula-Theorie setzt Unmöglichkeit jedoch
voraus, dass die Erfüllung gänzlich ausgeschlossen ist.35 Auf die erforderliche
Intensität der Unmöglichkeit wird hinten in Nr. 56 ff. gesondert eingegangen.
50
–
Dauer der Unmöglichkeit: Die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des
Schuldners muss sodann endgültig sein. Nur die dauernde oder endgültige
Unmöglichkeit ist Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR,36 nicht die
vorübergehende Unmöglichkeit.37 Ist die Unmöglichkeit von nicht absehbarer,
unüberblickbarer Dauer, so ist nach vorherrschender Auffassung in der Regel von
endgültiger Unmöglichkeit auszugehen.38 Auf die Dauer der Unmöglichkeit wird
hinten in Nr. 68 ff. ausführlich eingegangen.
31 Wird diese Intensität nicht erreicht, liegt keine Unmöglichkeit i. S. v. Art. 97 und 119 OR, sondern vom Schuldner zu überwindende Schwierigkeit (Nr. 43) vor.
32 Vgl. die zahlreichen Beispiele bei AEPLI, ZürK, N 45 f. zu Art. 119 OR.
33 Vgl. BECKER, BerK, N 11 zu Art. 97 OR; ferner AEPLI, ZürK, N 42 zu Art. 119 OR.
34 BGE 57 II 508; BGE 47 II 399 f.; OGer LU, ZBJV 55 (1919) Nr. 7, S. 488 = Max 6 Nr. 705, S.
70 = Max 9 Nr. 495, S. 446 ff.; BECKER, BerK, N 17 zu Art. 97 OR; DECURTINS, S. 16; HEDEMANN, S. 307, ohne Stellung zu nehmen; LÖRTSCHER, S. 18; MÜLLER-CHEN, S. 239 f. und S.
242 ff.; OFTINGER, Bundesgerichtspraxis, S. 136; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 7 zu Art. 97
OR und N 4 ff. zu Art. 119 OR (unklar); SCHWENZER, Nr. 63.06; SIEGWART, S. 130 f.; VON
TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94 f.; WEBER, S. 66 f., ohne ausdrücklich Stellung zu nehmen;
WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR; WIELAND, S. 458 ff. Weitere Nw. hinten bei Nr. 57 ff.
35 Vgl. die Nw. in Anm. 68 sowie BISCHOFF, S. 126 ff.; VON BÜREN, OR AT, S. 390; DESCHENAUX, SPR II, S. 197; DESCHENAUX, révision, S. 536a ff.; GAUCH, Dauervertrag, S. 119;
GLÄTTLI, S. 46; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 600 zu Art. 18 OR; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36
(1939/40), S. 245; PICHONNAZ, Nr. 726 ff.; SCHMITZ, S. 13 ff.; SCHÖNLE, faits futurs, S. 419 f.
und 439; TERCIER, clausula, JdT 127 (1979), S. 200 f.; WEBER, BerK, N 134 zu Art. 97 OR;
KRAMER, BerK, N 312 zu Art. 18 OR; ferner BESSON, S. 51 und 63 f., der aber die Unmöglichkeit trotzdem relativ versteht, vgl. S. 31 f. und 104.
36 „Die Leistung ist unmöglich geworden ... und bleibt es“, AEPLI, ZürK, N 44 zu Art. 119 OR. Vgl.
OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206; GAUCH, Dauervertrag, S. 120; GAUCH/SCHLUEP/REY,
Nr. 3152 und 3274; WIEGAND, BasK, N 16 zu Art. 97 OR; BARTH, S. 40; BECKER, BerK, N 21
zu Art. 97 OR; WEBER, BerK, N 139 zu Art. 97 OR.
37 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152 und 3305; BARTH, S. 41 f.; BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR;
BUCHER, OR AT, S. 420 f.; GUHL/KOLLER, § 31 N 8; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96 f.;
WEBER, BerK, N 131 und 139 zu Art. 97 OR; BGE 44 II 526; ferner AppGer BS, SJZ 16 (1919/
1920) Nr. 44, S. 197 f.
38 OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206; AEPLI, ZürK, N 44 zu Art. 119 OR; BARTH, S. 40;
18
B. Rechtslage bei Unmöglichkeit
51
Bei gegebenen Voraussetzungen der Unmöglichkeit (namentlich bezüglich Intensität
und Dauer) sind drei Fälle zu unterscheiden:
52
–
53
Der Schuldner haftet dem Gläubiger für den aus der Unmöglichkeit entstandenen
Schaden, wenn er den Eintritt der Unmöglichkeit zu vertreten hat (Art. 97 Abs. 1
OR): Die unmöglich gewordene Leistungspflicht des Schuldners wandelt sich in
eine Schadenersatzpflicht um. Der Realerfüllungsanspruch entfällt mit der Umwandlung: Der Schuldner darf die Leistung nicht mehr in natura erbringen, und
der Gläubiger kann die Leistung nicht mehr einfordern und einklagen.
Eine Haftung des Schuldners besteht (1.) bei Verschulden des Schuldners am
Eintritt der Unmöglichkeit nach Art. 97 Abs. 1 OR; (2.) wenn der Eintritt der Unmöglichkeit auf einen Erfüllungs- oder Ausübungsgehilfen zurückzuführen ist, für
den der Schuldner nach Art. 101 OR einzustehen hat, nach dieser Bestimmung; (3.)
wenn die Unmöglichkeit eintritt, während der Schuldner sich mit der Erbringung
der Leistung aus Verschulden in Verzug befindet, nach Art. 103 OR;39 (4.) ferner
bei vertraglicher Vereinbarung.
54
–
Die Leistungspflicht des Schuldners erlischt (Art. 119 Abs. 1 OR), wenn der
Schuldner den Eintritt der Unmöglichkeit nicht aus einem der genannten Gründe
zu verantworten hat. Der Anspruch auf Realerfüllung entfällt. Bei synallagmatischen Verträgen wird der Gläubiger gleichfalls von seiner Schuldpflicht befreit
(Art. 119 Abs. 2 OR), es sei denn, die Gefahr des Unmöglichwerdens der schuldnerischen Leistung sei vor dem Eintritt der Unmöglichkeit auf den Gläubiger übergegangen (Art. 119 Abs. 3 OR). An die Stelle der untergegangenen Obligation tritt
allenfalls die Pflicht zur Leistung eines stellvertretenden Commodums.
55
–
Im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist der Fall, dass der Gläubiger den Eintritt
der Unmöglichkeit zu vertreten hat, sei es aus Verschulden am Eintritt der Unmöglichkeit oder aus anderem Grunde. Gemäss der herrschenden Lehre erlischt bei solcher vom Gläubiger zu vertretender Unmöglichkeit die Leistungspflicht des
Schuldners (Art. 119 Abs. 1 OR, der allenfalls bloss analog zur Anwendung
GAUCH, Dauervertrag, S. 120 Anm. 3; KELLER/SCHÖBI, I, S. 245; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S.
96 f.; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152; WEBER, BerK, N 139 zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N
16 zu Art. 97 OR. Differenzierend BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR; BARTH, S. 40 und 42.
BUCHER, OR AT, S. 420, setzt „berechtigte Hoffnung, ... [die Leistung] könne wieder erbracht
werden“, voraus.
39 Andere Beispiele einer solchen Haftung für Zufall sind die Haftung des Entlehners für Zufall bei
vertragswidrigem Gebrauch (Art. 306 Abs. 3 OR) und die Haftung des Aufbewahrers für Zufall
bei Gebrauch der hinterlegten Sache (Art. 474 Abs. 2 OR). Für weitere Beispiele vgl. GAUCH/
SCHLUEP/REY, Nr. 2782 f.
19
kommt), doch bleibt der Gläubiger zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet.40
Immerhin muss sich der Schuldner anrechnen lassen, was er durch das Unterbleiben
seiner eigenen Leistung erspart hat.41 Dies wird von der Lehre teilweise durch Verweis auf Art. 378 OR oder § 324 BGB a. F. begründet.42,43
2. Intensität der Unmöglichkeit im Besonderen
A. Übersicht
56
In der Lehre ist – wie gesagt – umstritten, mit welcher Intensität der Schuldner an der
Erfüllung seiner Leistungspflicht gehindert sein muss, damit die Leistung als unmöglich im Sinne von Art. 97 und 119 OR gilt. Die zahlreichen Ansichten lassen sich –
freilich etwas vereinfachend – in zwei Theorien einteilen,44 deren wichtigster Streitpunkt
der Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen auf unzumutbare Leistungen bildet. Gemäss der einen Auffassung (im Folgenden Unzumutbarkeitstheorie genannt) fallen auch unzumutbare Leistungen unter Art. 97 und 119 OR. Gemäss der
anderen Auffassung ist dies nicht der Fall: Die Unmöglichkeitsbestimmungen finden
nur Anwendung, wenn die Erfüllung gänzlich ausgeschlossen ist. Erfordert die Leistung
unzumutbare Erfüllungsanstrengungen, ist die Befreiung des Schuldners deshalb nur
über die clausula rebus sic stantibus möglich. Die zweite Auffassung wird deshalb im
Rahmen dieser Arbeit Clausula-Theorie genannt.
40 AEPLI, ZürK, N 150 zu Art. 119 OR; BECKER, BerK, N 8 zu Art. 119 OR; GAUCH/SCHLUEP/
REY, Nr. 3320 f.; KELLER/SCHÖBI, I, S. 253 f.; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 24 zu Art. 119
OR; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 119 OR; BGE 114 II 277. A. A. GIGER, S. 110 ff.: Auch die
Gegenleistungspflicht erlischt (Art. 119 Abs. 2 OR), doch steht dem Schuldner ein Schadenersatzanspruch zu.
41 AEPLI, ZürK, N 151 zu Art. 119 OR; BECKER, BerK, N 8 zu Art. 119 OR; WIEGAND, BasK, N 14
zu Art. 119 OR.
42 Vgl. die Nw. in Anm. 40 f.
43 Zur beidseits verschuldeten Unmöglichkeit vgl. BGE 114 II 274 und statt vieler Alfred KOLLER,
Beidseits verschuldete Leistungsunmöglichkeit des Arbeitnehmers, in Jürgen BECKER/Reto M.
HILTY/Jean-Fritz STÖCKLI/Thomas WÜRTENBERGER (Hrsg.), Recht im Wandel seines sozialen
und technologischen Umfeldes, FS für Manfred REHBINDER, München/Bern 2002, S. 51 ff.
44 Ähnlich PICHONNAZ, Nr. 294 ff. Daneben gibt es verschiedene andere Ansichten. Bemerkenswert
ist beispielsweise der Lösungsvorschlag von BUCHER, OR AT, S. 418, der das Augenmerk in
erster Linie auf das Verschulden des Schuldners und die damit verbundene Haftpflicht richtet,
ohne die Rechtsgrundlage im Einzelnen zu bestimmen. Zu Recht weisen GAUCH/SCHLUEP/REY,
Nr. 3303, darauf hin, dass ein solches Vorgehen nur zulässig ist, wenn die Rechtsfolgen unabhängig von der Rechtsgrundlage dieselben sind.
20
B. Unzumutbarkeitstheorie
57
Die Unzumutbarkeitstheorie legt den Begriff der Unmöglichkeit weit aus. Gemäss dieser Lehrmeinung liegt Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR nicht nur vor,
wenn der Erfüllung Hindernisse entgegenstehen, deren Überwindung vollständig und
gänzlich ausgeschlossen ist. Unter die Unmöglichkeit fällt auch die so genannte Unzumutbarkeit der Leistung (auch „relative Unmöglichkeit“45 genannt), bei welcher der
Schuldner die Leistung zwar erbringen kann, aber nur mit Erfüllungsanstrengungen,
welche ihm nach Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) nicht zugemutet werden können (Nr.
58).46 Unmöglichkeit ist nach dieser Lehrmeinung somit ein vom konkreten Vertragsverhältnis abhängiger, normativer Begriff.47
58
Entscheidend für die Abgrenzung der Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR
ist damit, ob die für die Erfüllung nötigen Erfüllungsanstrengungen dem Schuldner nach
Treu und Glauben unzumutbar sind. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die zur Erfüllung erforderlichen Mühen und Aufwendungen in keinem vernünftigen Verhältnis zur
Leistung oder zu deren Wert stehen.48 Ebenso ist die Erfüllung dem Schuldner unzumutbar, wenn zwar der Erfüllungsaufwand zumutbar ist, aber die Erfüllung dem Schuldner
andere nach Treu und Glauben nicht zumutbare Nachteile bringt (vgl. Nr. 60). Beispiele:
59
–
Die Beschaffung einer Speziessache ist unzumutbar, wenn sie mit unverhältnismässigen technischen oder organisatorischen (und damit auch finanziellen) Aufwendungen verbunden ist.49 Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn der verkaufte
Ring ins Meer fällt und die Bergung unverhältnismässigen Aufwand erfordert.50
45 Unzumutbarkeit und Unerschwinglichkeit (vgl. Nr. 61) werden von der älteren Lehre (vgl. statt
vieler BECKER, BerK, N 17 zu Art. 97 OR) und Rechtsprechung (z. B. BGE 57 II 534) als relative
Unmöglichkeit bezeichnet. Dieser Begriff ist m. E. verwirrend. Folgt man der Clausula-Theorie (Nr.
65 ff.), so liegt bei Unzumutbarkeit kein Fall von Unmöglichkeit i. S. v. Art. 97 und 119 OR vor
und der Begriff der relativen Unmöglichkeit ist deshalb unpassend. Folgt man hingegen der Unzumutbarkeitstheorie, so erübrigt sich eine Unterscheidung zwischen „absoluter“ und „relativer“ Unmöglichkeit, denn beide fallen unter die Unmöglichkeit i. S. v. Art. 97 und 119 OR. Statt von relativer Unmöglichkeit wird vereinzelt auch von juristischer Unmöglichkeit gesprochen; vgl. z. B.
BECKER, BerK, N 20 zu Art. 97 OR.
46 Vgl. z. B. AEPLI, ZürK, N 43 zu Art. 119 OR; BECKER, BerK, N 17 zu Art. 97 OR; BGE 57 II 534;
BGE 82 II 338; ferner die Nw. in Anm. 34 sowie in Anm. 49 - 58. Betr. die anfängliche Unmöglichkeit vertreten die folgenden Autoren die Unzumutbarkeitstheorie: SCHUBIGER, S. 19; VON
TUHR/PETER, § 31 VI, S. 262 f.; in gewissem Masse auch KOLLER, OR AT I, Nr. 871. A. A.
ZIEGLER, S. 99 ff.
47 WIEGAND, BasK, N 17 zu Art. 97 OR.
48 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 415a; WIEGAND, BasK, N
14 zu Art. 97 OR.
49 Vgl. BGE 51 II 175: Wurde die verkaufte Liegenschaft teilweise durch Brand zerstört, so liegt
Teilunmöglichkeit vor, wenn der Wiederaufbau der Gebäude unzumutbar ist. Das BGer ging in
diesem Fall zu Unrecht davon aus, dass die Frage, ob Unzumutbarkeit vorliege, eine Tatfrage ist,
21
60
–
Bei persönlichen Leistungspflichten kann namentlich der Gesundheitszustand
oder das Alter des Schuldners zur Unzumutbarkeit führen.51 Aber auch moralische,
ethische oder psychische Unzumutbarkeit sind zu beachten.52 Insbesondere liegt
Unzumutbarkeit vor, wenn die Erbringung der Leistung übergeordnete Rechtsgüter des Schuldners gefährdet (z. B. Leib und Leben53,54 oder den geschäftlichen
Ruf des Schuldners55)56 oder wenn ein Gebot der Menschlichkeit verletzt wird.57,58
61
Ergibt sich die Unzumutbarkeit der Leistung daraus, dass die Leistung nur mit unverhältnismässigem, nach Treu und Glauben nicht zumutbarem Aufwand an finanziellen
Mitteln erbracht werden kann,59 spricht man von Unerschwinglichkeit60 oder wirtschaftlicher Unmöglichkeit61. Eine eindeutige Abgrenzung von Unzumutbarkeit und
Unerschwinglichkeit lässt sich in den meisten Fällen nicht vornehmen.
die das Bundesgericht binde.
50 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2153; betr. die anfängliche Unmöglichkeit KRAMER, BerK, N 255 zu
Art. 19 - 20 OR; HÜRLIMANN, Nr. 98; KOLLER, OR AT I, Nr. 871.
51 Beispiele: (1) BGE 57 II 534: Die Mieterin hatte ein Heimwesen gemietet unter der (notwendigen) Voraussetzung, dass sie die vom Vermieter geführte Zahnarztpraxis weiterbetreiben könne.
Nachdem 1928 nur noch Personen mit eidgenössischem Zahnarztdiplom zur Ausübung des Zahnarztberufs zugelassen waren, wurde der Mieterin die Vertragserfüllung unzumutbar, da ihr die
Ablegung der erforderlichen Prüfungen wegen ihres Alters und Gesundheitszustands unzumutbar
war. (2) In BGE 116 II 514 hat das BGer wieder auf BGE 57 II 534 verwiesen, Unzumutbarkeit
i. c. aber abgelehnt. Vgl. auch OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 7 zu Art. 97 OR.
52 Vgl. BGE 82 II 338: Nach der Scheidung ist es dem Schuldner unzumutbar, den ehemaligen
Schwiegereltern weiterhin ein Wohnrecht zu gewähren. SCHWENZER, Nr. 63.06, mit dem Beispiel
einer Opernsängerin, deren Kind kurz vor ihrem Auftritt tödlich verunglückt. Vgl. auch
OFTINGER, Bundesgerichtspraxis, S. 136 ff. Nr. 53.
53 Sofern die Gefährdung „...über das durch seine Stellung oder seinen Beruf gerechtfertigte Mass
hinausgeht“, VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; zustimmend BISCHOFF, S. 125; GAUCH/SCHLUEP/
REY, Nr. 3154; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR; DERS., Leistungsstörungen, recht 1983, S.
8; BECKER, BerK, N 20 zu Art. 97 OR; WEBER, BerK, N 133 zu Art. 97 OR; OSER/
SCHÖNENBERGER, ZürK, N 7 zu Art. 97 OR; KELLER/SCHÖBI, I, S. 248: „So gilt z. B. ein Rettungsflug als unmöglich, wenn er wegen der ungünstigen Witterungsverhältnisse zu einer ausserordentlichen Gefährdung der Beteiligten führt...“
54 BGE 126 III 75 = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 710: Die Opernsängerin, welche sich zum Spielen
einer mit Gewaltszenen verbundenen Rolle verpflichtet hat, ist zur Zeit der Proben und Aufführungen im 6. bis 8. Monat schwanger. Vgl. ferner BGE 40 II 242.
55 BECKER, BerK, N 20 zu Art. 97 OR. Vgl. dazu BGE 44 II 525: Der Verkäufer hatte gegenüber
der englischen Regierung eine Erklärung unterschreiben müssen, in der er sich verpflichtet hat,
keine Ware an Personen, die von der britischen Regierung als Feind betrachtet werden, zu liefern.
Eine Lieferung unter Verletzung dieser Verpflichtung war dem Verkäufer nicht zuzumuten, da
seine geschäftlichen Verbindungen mit England dadurch gefährdet würden.
56 Ob Gewissenskonflikte des Schuldners zur Unzumutbarkeit der Leistung führen, kann wohl nur
im Einzelfall festgestellt werden. A. A. BARTH, S. 29 f. Vgl. dazu auch MÜLLER-CHEN, S. 279 ff.
57 Wenn die Würde als Mensch beeinträchtigt wird, Art. 15 VVG und Art. 32 Ziff. 3 VVG.
58 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; BISCHOFF, S. 125; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3154; WEBER,
BerK, N 132 zu Art. 97 OR; a. A. BARTH, S. 29.
59 Vgl. BECKER, BerK, N 19 zu Art. 97 OR.
60 Vgl. z. B. BGE 45 II 320 f.; DESCHENAUX, SPR II, S. 197; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95.
61 Z. B. AGVE 1987 Nr. 9, S. 33 = SJZ 85 (1989) Nr. 30, S. 177.
22
62
Exkurs: Verschiedene Vertreter der Unzumutbarkeitstheorie lehnen die Anwendung von Art. 97
und 119 OR auf die Verwendungserschwerung und Verwendungsunmöglichkeit (Nr. 28 ff.) oder
die Entwertung der Leistung (Nr. 31) ab, auch wenn die Erbringung der Leistung dadurch nach Treu
und Glauben unzumutbar wird.62 Andere Vertreter der Unzumutbarkeitstheorie sehen jedoch diese
Einschränkung nicht vor und wenden Art. 97 und 119 OR auch auf diese Tatbestände an.
63
Das Bundesgericht pflegte – mit einer einzigen, nicht eindeutigen Ausnahme63 – stets
einen wertenden Umgang mit der Unmöglichkeit.64 Namentlich in Kriegszeiten hat es
den Schuldner gestützt auf Unmöglichkeit befreit, wenn im logischen Sinne keine Unmöglichkeit vorlag. Das Bundesgericht ist damit mehrheitlich der Unzumutbarkeitstheorie gefolgt.65
64
Zusammenfassend fällt eine Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne damit
nach der Unzumutbarkeitstheorie unter Art. 97 und 119 OR, wenn die Leistung Erfüllungsanstrengungen erfordert, welche dem Schuldner nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden können.
C. Clausula-Theorie
65
Die Clausula-Theorie lehnt eine weite Auslegung des Begriffs der Unmöglichkeit ab.
Der in Art. 97 und 119 OR verwendete Begriff deckt sich gemäss dieser Lehrmeinung
mit dem logischen Begriff der Unmöglichkeit.66 Unmöglichkeit liegt nur vor, wenn die
62 Vgl. SIEGWART, S. 131; BARTH, S. 23; BISCHOFF, S. 128; implizit auch VON TUHR/ESCHER, § 68
I, S. 96 Anm. 19.
63 BGE 68 II 169 ff. wird teilweise als Nachweis für die Clausula-Theorie angeführt (vgl. z. B.
KRAMER, BerK, N 312 zu Art. 18 OR; SCHÖNLE, faits futurs, S. 419; BARTH, S. 23 Anm. 28;
gegenteilig WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR; LÖRTSCHER, S. 19 Anm. 8). In diesem Entscheid heisst es in den Regesten: „Keine Unmöglichkeit bei blosser Erschwerung der Leistung
infolge kriegswirtschaftlicher Massnahmen...“ und im Text: „Jene Massnahmen mögen die Erfüllung erschwert haben, haben sie aber keineswegs geradezu verunmöglicht“ (S. 172). Daraus zu
schliessen, das BGer habe mit diesen wenigen Worten seine langjährige Praxis zur Frage der
Unzumutbarkeit ändern wollen, scheint nicht plausibel. Das BGer ist vielmehr davon ausgegangen, dass im konkreten Fall blosse Schwierigkeiten vorgelegen haben, deren Überwindung dem
Schuldner weder unmöglich noch unzumutbar war. Für diese Interpretation spricht namentlich
der im Entscheid wiedergegebene Sachverhalt.
64 Vgl. BGE 51 II 175, Erw. 2 a. E.; BGE 45 II 42; BGE 57 II 508 ff.; BGE 57 II 534 und neuestens
den Verweis auf diesen Entscheid in BGE 116 II 514; ferner BGE 40 II 242. Ausdrücklich zur
subjektiven Unzumutbarkeit BGE 82 II 338. Offengelassen in BGE 48 II 247 f. = Pra 11 (1922)
Nr. 133, S. 336 f., da i. c. blosse Schwierigkeiten vorlagen. Offengelassen ebenfalls in BGE 45 II
398. In BGE 43 II 177 f. hat das BGer zwar den Schuldner für die Nichterfüllung einer Gattungsschuld haften lassen, den Schadenersatz aber nach Art. 99 Abs. 2 OR i. V. m. Art. 43 Abs. 1 OR
wegen „ausserordentlichen Schwierigkeiten..., die nur durch Aufwendung besonderer Bemühungen und Kosten überwunden werden konnten“ um die Hälfte herabgesetzt. Ähnlich BGE
47 II 401 f.; BGE 44 II 518.
65 Ausführlich dazu PICHONNAZ, Nr. 302 und 307 ff.
66 GAUCH, Dauervertrag, S. 119; VON BÜREN, OR AT, S. 390: „Es gibt eine einzige Unmöglichkeit,
und das ist die objektive, naturgesetzliche.“
23
Erfüllung gänzlich ausgeschlossen ist, d. h. die Leistung vom Schuldner mit beliebigen
Erfüllungsanstrengungen nicht bewirkt werden kann.
66
Die Unzumutbarkeit fällt demnach gemäss der Clausula-Theorie nicht unter die Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR67 und hat grundsätzlich keinen Einfluss auf
den Bestand der Obligation. Einzig wenn die Voraussetzungen der clausula rebus sic
stantibus erfüllt sind, kann der Richter den Vertrag an die geänderten Verhältnisse anpassen.68 Für die richterliche Vertragsanpassung ist namentlich vorausgesetzt, dass
infolge einer nachträglichen Veränderung der Verhältnisse und Umstände eine gravierende Äquivalenzstörung, d. h. ein grobes, offenbares, übermässiges Missverhältnis
zwischen Leistung und Gegenleistung besteht (Nr. 116 ff.).
67
Zusammenfassend führt gemäss der Clausula-Theorie die Leistungserschwerung im hier
verstandenen Sinne nie zur Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR. Einzig
über die clausula rebus sic stantibus kann die Leistungserschwerung allenfalls berücksichtigt werden (Näheres dazu hinten Nr. 115 ff.).
3. Dauer der Unmöglichkeit im Besonderen
A. Übersicht
68
Unmöglichkeit der Leistung im Sinne von Art. 97 und 119 OR liegt sodann – wie gesagt
– gemäss Lehre und Rechtsprechung nur vor, wenn der Erfüllung ein dauerndes Leistungshindernis entgegensteht, die Unmöglichkeit somit endgültig (oder definitiv69)70
ist.71 Dagegen liegt bei einem vorübergehenden Leistungshindernis keine Unmöglich-
67 Vgl. die Nw. in Anm. 35, 68 und 194 - 201. Betr. die anfängliche Unmöglichkeit KRAMER, BerK,
N 255 zu Art. 19 - 20 OR, mit Ausnahme der „wirtschaftlich oder wegen übergeordneter Interessen des Schuldners objektiv absolut («exorbitant») unsinnig[en] oder unverantwortbar[en]“ Leistungen, und differenzierend HÜRLIMANN, Nr. 98.
68 AEPLI, ZürK, N 43 zu Art. 119 OR; BARTH, S. 24, S. 26 f.; COMETTA, HandK, N 2 zu Art. 119
OR; ERDIN, Nr. 46; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3299 ff. und 3153; GUGGENHEIM, II, S. 178;
KELLER/SCHÖBI, I, S. 247 f., 258; KELLER/SIEHR, S. 28 f.; TERCIER, AT, Nr. 1148a; WEBER,
BerK, N 134 zu Art. 97 OR; ZR 21 (1922) Nr. 48, S. 117, 120. Vgl. zu BGE 68 II 169, 172 Anm.
63. Auch die herrschende Lehre zum deutschen Recht – vor Inkraftreten der Schuldrechtsreform
– fasst die Unzumutbarkeit nicht als Unmöglichkeit auf, vgl. statt vieler EMMERICH, S. 28 f. und
335 ff., m. Hw., der selbst anderer Auffassung ist. Seit der Schuldrechtsreform gilt § 275 Abs. 2
BGB n. F. Gemäss GUHL/KOLLER, § 38 N 41, steht dem Schuldner zusätzlich „... allenfalls ein
Leistungsverweigerungsrecht zu Gebote, dessen Ausübung dann den Schuldner – bei fehlendem
Verschulden – befreit...“
69 GUHL/KOLLER, § 31 N 8; KELLER/SCHÖBI, I, S. 245.
70 Anstatt von endgültiger (oder definitiver) Unmöglichkeit sprechen gewisse Autoren von dauernder Unmöglichkeit (z. B. AEPLI, ZürK, N 44 zu Art. 119 OR). Dieser Begriff bringt nicht klar
zum Ausdruck, dass eine Unmöglichkeit gemeint ist, die für immer besteht, also endgültig ist.
71 Vgl. die Nw. in Anm. 36.
24
keit im Sinne von Art. 97 und 119 OR vor.72 Die vorübergehende Unmöglichkeit wird
wie eine normale mögliche Leistung behandelt. Der Abgrenzung zwischen endgültiger
und vorübergehender Unmöglichkeit kommt deshalb entscheidende Bedeutung zu. Für
die Leistungserschwerung ist die Abgrenzung relevant, weil die Verhältnisse bei Leistungserschwerung oft Veränderungen unterworfen sind (Nr. 37 f.), die Leistungserschwerung damit häufig nicht endgültig ist.
B. Abgrenzung der endgültigen von der vorübergehenden Unmöglichkeit
69
1. Endgültige Unmöglichkeit liegt vor, wenn feststeht, dass das der Erfüllung entgegenstehende Leistungshindernis in Zukunft nicht wegfällt oder behoben werden kann
(z. B. beim Untergang einer Speziessache). Sodann ist die Leistung endgültig unmöglich, wenn die Behebung bzw. der Wegfall des Leistungshindernisses in Zukunft als
ausgeschlossen erscheint.73 So verhält es sich beispielsweise, wenn die Leistung beim
heutigen Stand der Technik nicht erbringbar ist und auch in Zukunft nicht möglich
erscheint. Gegebenenfalls geht die Leistungspflicht des Schuldners nach Art. 119 Abs.
1 OR ipso iure unter, bzw. sie wandelt sich nach Art. 97 Abs. 1 OR – und anderen einschlägigen Haftungsnormen wie Art. 101 OR usw. – in eine Schadenersatzpflicht um.
70
Exkurs: Rechtslage bei Behebung der vermeintlich endgültigen Unmöglichkeit: Der Untergang des Realerfüllungsanspruchs bzw. dessen Umwandlung in einen Schadenersatzanspruch ist
gemäss der vorherrschenden Lehre und Rechtsprechung endgültig und irreversibel, und zwar auch
dann, wenn die vermeintlich endgültige Unmöglichkeit im Nachhinein behoben wird.74 Der
Untergang ist insbesondere definitiv, wenn über die Frage der Unmöglichkeit in einem rechtskräftigen Urteil entschieden wurde und eine Revision des Urteils ausgeschlossen ist,75 ebenso – vorbehältlich einer Anfechtung wegen Grundlagenirrtums – wenn sich die Parteien über die Rechtsfolgen ausdrücklich oder stillschweigend (vergleichsweise) geeinigt haben.76 Ein Realerfüllungsanspruch besteht damit nicht, selbst wenn sich die Erfüllung im Nachhinein als möglich erweist.
71
2. Die Leistung ist bloss vorübergehend unmöglich, wenn feststeht, dass das Leistungshindernis in Zukunft wegfällt oder behoben werden kann, somit von beschränkter
Dauer ist.77 Die Dauer des Leistungshindernisses kann (mehr oder weniger genau) be72 Vgl. die Nw. in Anm. 37.
73 OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206; BARTH, S. 40; AppGer BS, SJZ 16 (1919/1920) Nr. 44,
S. 198.
74 KELLER/SCHÖBI, I, S. 249; BARTH, S. 42 f.; WIEGAND, BasK, N 16 zu Art. 97 OR; VON TUHR/
ESCHER, § 68 I, S. 97, m. Hw. auf die deutsche Rechtsprechung. Anders freilich, wenn die vorübergehende Unmöglichkeit als solche erkannt und nach den Verzugsregeln behandelt wurde.
75 AEPLI, ZürK, N 61 zu Art. 119 OR.
76 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 97 Anm. 28, mit der Ausnahme von Rückgabeverträgen; BECKER,
BerK, N 21 zu Art. 97 OR; BARTH, S. 43.
77 Ein Sonderfall der vorübergehenden Unmöglichkeit liegt vor, wenn ein Leistungshindernis besteht, von dem aber feststeht, dass es behoben sein wird, bevor der Schuldner die Leistung erbrin-
25
kannt sein (dies certus quando) oder unbekannt, jedoch mit Sicherheit begrenzt (dies
incertus quando).78 Andere Autoren stellen weniger strenge Anforderungen an die
vorübergehende Unmöglichkeit und lassen es genügen, wenn der Wegfall des Leistungshindernisses absehbar ist,79 oder wenn die Behebung des Leistungshindernisses „in
der Zukunft als möglich erscheint“.80 Die vorübergehende Unmöglichkeit führt bei gegebenen Voraussetzungen zum Schuldnerverzug (Nr. 77 ff.).
72
3. Unmöglichkeit, bei der nicht absehbar ist, ob sie endgültig oder vorübergehend
ist. Bei gewissen Leistungshindernissen ist nicht von vornherein klar, ob sie überwunden werden können bzw. wegfallen oder ob sie endgültig sind (dies incertus an). In
diesen Fällen kann nicht gesagt werden, ob die Erfüllung in Zukunft möglich sein wird.
Beispielsweise ist bei einer gestohlenen Speziessache nicht klar, ob sie der Eigentümer
je zurückerhalten wird;81 dies ist insbesondere dann nicht möglich, wenn die Sache in
der Zwischenzeit zerstört wurde. Nach vorherrschender Auffassung ist bei solchen Leistungshindernissen von nicht absehbarer, unüberblickbarer Dauer in der Regel von endgültiger Unmöglichkeit auszugehen, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart
haben.82 Damit entfällt der Realerfüllungsanspruch endgültig (Nr. 69 f.).
73
Die Schweizer Lehre begründet kaum, weshalb die Unmöglichkeit von nicht überblickbarer Auffassung als endgültige Unmöglichkeit zu behandeln sei. Es lohnt sich deshalb ein Blick auf das
deutsche Recht, dem der Gedanke zu entstammen scheint. Gemäss § 285 BGB a. F. bzw. § 286
Abs. 4 BGB n. F. kommt der Schuldner „...nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines
Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat“. Der Gläubiger konnte deshalb – vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform – bei nicht zu vertretender vorübergehender Unmöglichkeit mangels Schuldnerverzug nicht vom Vertrag zurücktreten.83 Die Parteien blieben, wenn sie sich nicht
auf eine Auflösung des Vertrages einigen konnten, an den Vertrag gebunden. Die deutsche Lehre
hat deshalb dazu tendiert, dieses Resultat durch eine extensive Interpretation des Unmöglich-
78
79
80
81
82
83
26
gen muss, also vor Eintritt der Fälligkeit der Leistung oder sogar vor Eintritt der Erfüllbarkeit der
Leistung. Ein solches Leistungshindernis berührt die Leistungsfähigkeit des Schuldners nicht. Es
liegt keine Unmöglichkeit vor. Vgl. AppGer BS, SJZ 16 (1919/1920) Nr. 44, S. 197 f. sowie dazu
und zu weiteren Sonderfällen im Zusammenhang mit der anfänglichen Unmöglichkeit GIGER, S.
32, m. Hw.; KRAMER, BerK, N 247 zu Art. 19 - 20 OR; VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 264;
BUCHER, OR AT, S. 248 und 421; BUCHER, OR BT, S. 62 f.
Vgl. GUHL/KOLLER, § 39 N 8.
KELLER/SCHÖBI, I, S. 245.
VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96 und WIEGAND, BasK, N 16 zu Art. 97 OR; ferner KREN
KOSTKIEWICZ, HandK, N 8 zu Art. 97 OR.
KOZIOL/WELSER, S. 233.
Vgl. die Nw. in Anm. 38.
Vgl. RGRK/ALFF, N 20 zu § 275 BGB. Diese Rechtslage wurde als unbefriedigend erachtet und
auf Vorschlag der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts durch Einführung eines allgemeinen, verschuldensunabhängigen Rücktrittsrechts (§ 323 BGB n. F.) in der Schuldrechtsreform
behoben; vgl. Abschlussbericht, S. 31 und 162 ff. Dementsprechend wird nun auch in der
deutschen Lehre bereits vorgeschlagen, auf die Gleichstellung der Unmöglichkeit von nicht
absehbarer Dauer mit der endgültigen Unmöglichkeit zu verzichten, s. ARNOLD, JZ 2002, S.
870 f.
keitsbegriffs zu verhindern.84 Nicht nur die Unmöglichkeit von nicht überblickbarer Dauer wurde
als endgültige behandelt.85 Allgemein wurde ein vorübergehendes Hindernis wie ein dauerndes
behandelt, „wenn die Erreichung des Vertragszwecks durch die vorübergehende Unmöglichkeit in
Frage gestellt wird und deshalb dem Vertragsgegner nach dem Grundsatz von Treu und Glauben
unter billiger Abwägung der Belange beider Vertragsteile die Einhaltung des Vertrags nicht zugemutet werden kann“86 (vgl. Nr. 76). Im Schweizer Recht besteht nicht derselbe Bedarf für eine
extensive Auslegung des Unmöglichkeitsbegriffs, weil Schuldnerverzug im Schweizer Recht kein
Verschulden voraussetzt, so dass der Gläubiger im synallagmatischen Vertrag auch bei nicht zu
vertretender vorübergehender Unmöglichkeit auf nachträgliche Erfüllung verzichten kann.87 Wer
analoge Grundsätze für das Schweizer Recht dennoch befürwortet, kann deren Begründung zwar
auf das Interesse des Schuldners an der Befreiung vom Vertrag stützen, nicht aber auf das Befreiungsinteresse des Gläubigers,88 da dieses durch die Möglichkeit, auf nachträgliche Erfüllung zu
verzichten, bereits hinreichend geschützt ist.
74
75
4. Ausnahmsweise kann ein vorübergehendes Leistungshindernis endgültige Unmöglichkeit bewirken. (1) Beim absoluten Fixgeschäft kann die Leistung, wenn der vereinbarte Erfüllungstermin verpasst ist, nicht mehr nachgeholt werden. Das Verstreichen des
Erfüllungstermins bewirkt die Unmöglichkeit der Leistung.89,90 Steht der Leistung ein
Hindernis entgegen, das erst nach dem Erfüllungstermin behoben werden kann, so ist
die Erfüllung der Leistung gleichwohl endgültig unmöglich. (2) Kann bei einem Dauervertrag die vorübergehende Unmöglichkeit erst behoben werden, wenn die Restdauer
des Vertrages bereits abgelaufen ist, so ist die Unmöglichkeit eine endgültige.91
Beispiele: (1) Wenn ein Photograph, der von einer bestimmten Sonnenfinsternis Photos
machen sollte, drei Tage vor dem Ereignis erkrankt und für eine Woche das Bett hüten
muss, so kann die Leistung bei Genesung nicht nachgeholt werden. Die Leistung ist
endgültig unmöglich. (2) Die betagte Nachbarin, die der Verreisten während der Abwesenheit den Garten giessen soll, bricht sich zwei Wochen vor deren Rückkehr bei
84 Ausdrücklich SOERGEL/WIEDEMANN, N 44 zu § 275 BGB; WÜRDINGER/RÖHRICHT, N 470 vor §
373 BGB; Münchener Kommentar/EMMERICH, N 39 f. zu § 275 BGB.
85 Vgl. SOERGEL/WIEDEMANN, N 42 und 44 zu § 275 BGB; STAUDINGER/LÖWISCH, N 35 zu § 275
BGB, m. Hw. auf die Rechtsprechung.
86 BGHZ 83, 200; STAUDINGER/LÖWISCH, N 34 f. zu § 275 BGB; JAUERNIG/VOLLKOMMER, N 6 zu
§ 275 BGB. Vgl. ferner z. B. RGRK/ALFF, N 21 zu § 275 BGB; SOERGEL/WIEDEMANN, N 42 ff.
zu § 275 BGB; ERMAN/BATTES, N 11 zu § 275 BGB.
87 Nur bei nicht synallagmatischen Verträgen kann der Gläubiger nicht zurücktreten, so dass sich
analoge Probleme wie im deutschen Recht stellen; vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3305.
88 A. A. BARTH, S. 42, und offenbar auch WEBER, BerK, N 139 zu Art. 97 OR. Wie hier neuestens
zum deutschen Recht ARNOLD, JZ 2002, S. 870 f.
89 GUHL/KOLLER, § 31 N 8; SCHENKER, Nr. 528; WIEGAND, BasK, N 6 zu Art. 108 und N 18 zu
Art. 97 OR; DERS., Leistungsstörungen, recht 1983, S. 8; ferner BARTH, S. 41.
90 Beim relativen Fixgeschäft hat das Verstreichen des Fälligkeitstermins nur zur Folge, dass der
Gläubiger sein Wahlrecht nach Art. 107 Abs. 2 OR ohne Nachfristansetzung ausüben kann (Art.
108 Ziff. 3 OR).
91 „...weil die Pflicht zur Dauerleistung mit Ablauf der Vertragsdauer ohnehin erlischt, ob erfüllt
oder nicht“, GAUCH, Dauervertrag, S. 120. Vgl. auch GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3306; AEPLI,
ZürK, N 123 zu Art. 119 OR; ferner BGE 126 III 78 = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 713.
27
einem Sturz das Bein und ist für drei Monate bettlägerig. Die Erfüllung des Auftrags ist
ihr endgültig unmöglich.
76
Ob aus diesen Ausnahmen ein allgemeiner Grundsatz abgeleitet werden kann, ist umstritten. Wird
dies bejaht,92 so liegt endgültige Unmöglichkeit immer vor, wenn die vorübergehende Unmöglichkeit erst in einem Zeitpunkt behoben werden kann, der mit der für den Vertrag massgebenden Erfüllungszeit unvereinbar ist.93 Ob solche Unvereinbarkeit vorliegt, ist durch Auslegung des Vertrages
zu bestimmen.94 Unvereinbarkeit ist zu bejahen, wenn ein dem Vertrage zugrunde liegender Zweck
anerkanntermassen bei Behebung der Unmöglichkeit nicht mehr gegeben sein wird. Abzustellen ist
sowohl auf die Interessen des Gläubigers an der Erfüllung, wie auch darauf, ob dem Schuldner die
Erfüllung nach Beseitigung des Hindernisses zugemutet werden kann.95
C. Aufschub des Realerfüllungsanspruchs bei vorübergehender Unmöglichkeit?
77
Die vorübergehende Unmöglichkeit fällt – wie gesagt – nicht unter die Unmöglichkeitsregeln. Wenn der Schuldner die Leistung wegen eines vorübergehenden Leistungshindernisses nicht erbringt, gerät er – bei gegebenen Voraussetzungen – in Verzug.96 Der Realerfüllungsanspruch bleibt grundsätzlich bestehen, bis der Gläubiger
gemäss Art. 107 Abs. 2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichtet.97
78
Dennoch scheint ein Teil der Lehre davon auszugehen, dass die vorübergehende
Unmöglichkeit während ihrer Dauer gewisse Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis hat. Nicht zuletzt aus praktischen Gründen wird der Realerfüllungsanspruch während der Dauer der vorübergehenden Unmöglichkeit in einer nicht vollständig geklärten Weise aufgeschoben: DECURTINS vertritt die Auffassung, dass während der Dauer
der Unmöglichkeit die Fälligkeit der Leistung aufgeschoben wird, die Leistungspflicht
suspendiert ist.98 Ohne der vorübergehenden Unmöglichkeit eine fälligkeitsaufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gehen andere Autoren – ohne Nennung von speziellen Gründen – davon aus, dass die Realerfüllung verzögert wird,99 der Gläubiger das Ende der
92 So die deutsche Lehre und Rechtsprechung; vgl. Nr. 73.
93 Ähnlich BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR; BARTH, S. 42; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96;
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152; SCHWENZER, Nr. 63.10; MÜLLER-CHEN, S. 123 und S. 136;
kritisch SCHENKER, Nr. 24 f.; BGE 45 II 199 ff. Vgl. zum deutschen Recht statt vieler STAUDINGER/LÖWISCH, N 34 f. zu § 275 BGB, m. Nw.
94 In HGer ZH, ZR 18 (1919) Nr. 138, S. 264, wurde die Klausel „Eingang der Garne vorbehalten“
so interpretiert, dass der Verkäufer frei wird, wenn die Ware ohne sein Verschulden verspätet eingeht. Ähnlich HGer ZH, ZR 19 (1920) Nr. 139, S. 271 ff. In HGer ZH, ZR 21 (1922) Nr. 37, S.
82 f., wurde die Sistierung einer Lieferung bis nach Kriegsende als blosser Aufschub der Fälligkeit verstanden.
95 BGHZ 83, 200.
96 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152 und 3305; BARTH, S. 41 f.; BUCHER, OR AT, S. 420 f.; GUHL/
KOLLER, § 31 N 8; MÜLLER-CHEN, S. 119. Vgl. BGE 44 II 526.
97 BUCHER, OR AT, S. 420; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3305.
98 DECURTINS, S. 22, m. Hw. auf die deutsche Lehre; a. A. ZIEGLER, S. 49.
99 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96; KELLER/SCHÖBI, I, S. 245; SCHOBERT, S. 37. Noch weniger
28
Verhinderung abzuwarten hat.100 Der Vertrag ist in einem Schwebezustand.101 Der
Schuldner ist für die Dauer der Unmöglichkeit nicht zur Leistung verpflichtet.102
Schliesslich hat gemäss der Lehrmeinung von EMMERICH zum deutschen Recht der
Schuldner während der Dauer der vorübergehenden Unmöglichkeit ein (vorübergehendes) Leistungsverweigerungsrecht, auf das er sich berufen muss, ansonsten er uneingeschränkt zur Leistung verurteilt wird.103 Gemeinsam ist diesen Auffassungen wohl,
dass während der Dauer der Unmöglichkeit ein Anspruch auf ein unbedingtes Realerfüllungsurteil nicht besteht und ein Leistungsurteil nur unter dem Vorbehalt des Möglichwerdens der Leistung erfolgen kann.104
D. Definitive Befreiung bei vorübergehender Unmöglichkeit?
79
Durch den Aufschub des Realerfüllungsanspruchs bei vorübergehender Unmöglichkeit
wird die Vertragserfüllung – unter Umständen um Jahre – verzögert, was für den
Schuldner nachteilig sein kann (Nr. 315 ff.). Wie gesagt kann der Gläubiger auf Realerfüllung verzichten (Nr. 77). Es fragt sich deshalb, ob auch dem Schuldner bei lange
dauernder, vorübergehender Unmöglichkeit ein spezielles „Vertragsauflösungsrecht“ zusteht. In der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung wird ein spezielles
Vertragsauflösungsrecht des Schuldners jedoch soweit ersichtlich nirgends erwähnt.
Einzig BARTH105 verweist auf die Lehrmeinung von ENNECCERUS/LEHMANN zum
deutschen Recht, welche den Parteien, also anscheinend auch dem Schuldner, aus
Billigkeitsgründen ein Rücktrittsrecht gewähren.106
80
Die überwiegende Mehrheit scheint deshalb eine Lösung des Schuldners vom Vertrage
nur nach den allgemeinen Regeln zuzulassen. Die Lehre, namentlich in Deutschland
(vgl. Nr. 73), behilft sich mit einer grosszügigen Annahme von endgültiger
100
101
102
103
104
105
106
weitgehend BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR, gemäss welchem die vorübergehende Unmöglichkeit „bloss aufschiebende Bedeutung, gemäss den Bestimmungen über den Verzug“ hat. Vgl.
ferner WEBER, BerK, N 139 zu Art. 97 OR: „...diesfalls [bei vorübergehender Unmöglichkeit]
besteht Verzug, der unter Umständen bei Nichtvertretenmüssen durch den Schuldner wegen
höherer Gewalt ... mit der Folge der Vertragssuspendierung gemildert wird...; entscheidend ist,
bis wann bei Suspension der Leistungserbringung dem Gläubiger die Entgegennahme der Leistung zugemutet werden darf (Interessenverlust).“
BARTH, S. 42; GUHL/KOLLER, § 31 N 8; BGE 44 II 526 Erw. 3.
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3305.
Zum deutschen Recht: ENNECCERUS/LEHMANN, § 46 IV, S. 206; STAUDINGER/LÖWISCH, N 33
zu § 275 BGB; SOERGEL/WIEDEMANN, N 42 zu § 275 BGB. Nach Behebung der Unmöglichkeit
lebt die Leistungspflicht wieder auf, vgl. RGZ 117, 127.
Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB.
Vgl. BGE 44 II 526 Erw. 3. Gemäss Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB,
ergeht das Urteil auf zukünftige Leistung oder wird zur Zeit abgewiesen.
BARTH, S. 43.
ENNECCERUS/LEHMANN, § 46 IV, S. 206.
29
Unmöglichkeit, beispielsweise wenn das Leistungshindernis von nicht überblickbarer
Dauer ist (Nr. 72). Die dem Schuldner durch ein Zuwarten entstehenden Nachteile
können auch dazu führen, dass die Erfüllung bei Behebung des Leistungshindernisses
als mit der für den Vertrag massgebenden Erfüllungszeit unvereinbar erachtet wird
(Nr. 74 ff.). Schliesslich wird der Schuldner gemäss der Unzumutbarkeitstheorie nach
Art. 97 und 119 OR von seiner Leistungspflicht befreit, wenn die Erfüllung bei
Behebung der vorübergehenden Unmöglichkeit nach Treu und Glauben unzumutbare
Erfüllungsanstrengungen erfordert.107 Gemäss der Clausula-Theorie ist jedoch auch in
diesem Fall höchstens eine Anpassung des Vertrages nach der clausula rebus sic
stantibus möglich (Nr. 65 ff.).
4. Die so genannte subjektive Unmöglichkeit
A. Übersicht
81
Ein Teil der neueren Lehre (im Folgenden Verzugstheorie genannt) hat zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs von Art. 97 und 119 OR die Unterscheidung zwischen
der nachträglichen subjektiven Unmöglichkeit und der nachträglichen objektiven Unmöglichkeit eingeführt. Objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Unmöglichkeit
für jedermann besteht. Besteht die Unmöglichkeit für den Schuldner, nicht aber für
jedermann, spricht man von subjektiver Unmöglichkeit (Genaueres hinten Nr. 83 ff. und
99 ff.). Während die objektive Unmöglichkeit echte Unmöglichkeit ist, welche unter
Art. 97 und 119 OR fällt, wird eine subjektiv unmögliche Leistung (subjektive Unmöglichkeit) wie eine mögliche Leistung behandelt:108 Art. 97 und 119 OR finden
107 Vgl. BGE 44 II 527: „Endlich fordern die Grundsätze von Treu und Glauben, dass die Beklagte
zur Erfüllung ... nicht angehalten werden kann, wenn die Verhältnisse sich inzwischen derart verändert haben sollten, dass die Lieferung nur zu ganz wesentlich erschwerten Bedingungen, insbesondere zu bedeutend höheren Preisen als denjenigen zur Zeit des Vertragsabschlusses, erfolgen könnte. Denn alsdann wäre die Leistung, trotz Gleichheit des Inhaltes, eine viel schwerere
geworden, als wie es die Parteien vernünftigerweise gewollt haben, was nicht angeht.“
108 Die Verzugstheorie wurde soweit ersichtlich von VON BÜREN begründet (vgl. VON BÜREN, OR
AT, S. 390 und 122) und wird namentlich durch GAUCH und SCHLUEP vertreten (GAUCH/
SCHLUEP/REY, Nr. 3140 ff.; vgl. auch GAUCH, Werkvertrag, Nr. 719 und 755). In der Folge
haben sich zahlreiche Autoren dieser Lehrmeinung angeschlossen, z. B. AEPLI, ZürK, N 49 zu
Art. 119 OR; EHRAT, Nr. 232 ff.; GEHRER, Mélanges Assista, S. 183; GIGER, S. 12 ff.; GLÄTTLI,
S. 48; HIGI, ZürK, N 19 zu Art. 258 OR; HÖCHLI, S. 50 f.; SCHENKER, Nr. 17 ff.; SCHÖNLE,
ZürK, N 125 zu Art. 185 OR; SCHÖNLE, faits futurs, S. 421; SCHÖNLE, responsabilité, Semjud 99
(1977), S. 469 f.; TERCIER, clausula, JdT 127 (1979) I, S. 201; TERCIER, AT, Nr. 1147 f.;
ZIEGLER, S. 66. Ferner SVIT-Kommentar Mietrecht, N 18 Vorbem. zu Art. 258 - 259i OR.
Zudem werden bestimmte, allerdings nicht eindeutige und m. E. nicht einschlägige Aussagen
verschiedener älterer Autoren als Bestätigung der neueren Lehre verstanden, z. B. WELTI, S. 21,
und HENGGELER, S. 258a. Ferner finden sich Anzeichen für eine Bestätigung dieser Lehre in
einigen Gerichtsentscheiden, die aber bei genauerer Betrachtung selten wirklich Fälle subjektiver
Unmöglichkeit im eigentlichen Sinne betreffen. Vgl. z. B. den in Anm. 522 zit. BGE 59 II 378 =
30
keine Anwendung, und der Schuldner kommt bei gegebenen Voraussetzungen in Verzug, wenn er die fällige Leistung nicht erbringt. Das entscheidende Abgrenzungskriterium für die Anwendbarkeit der Unmöglichkeitsregeln ist damit nach dieser Verzugstheorie das Begriffspaar der subjektiven und der objektiven Unmöglichkeit.
82
Die traditionelle Lehre und Rechtsprechung lehnt die Unterscheidung zwischen
nachträglicher objektiver und nachträglicher subjektiver Unmöglichkeit ab.109 Gemäss
dieser Unmöglichkeitstheorie ist einzig der Begriff der Unmöglichkeit (Nr. 46 ff.)
massgebend für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Unmöglichkeitsregeln.
Entscheidend ist also nicht, ob die Unmöglichkeit für jedermann besteht oder ob Dritte
oder zumindest ein Dritter die Leistung erbringen können. Es kommt einzig darauf an,
ob die Leistung für den Schuldner erbringbar ist:110 Vorausgesetzt wird, dass einerseits
der Schuldner selbst die Leistung nicht erbringen kann und andererseits der Schuldner
keinen Dritten zur Erbringung der Leistung an seiner Stelle bewegen kann.111
B. Begriffe der objektiven und der subjektiven Unmöglichkeit nach der Verzugstheorie
83
Unter subjektiver Unmöglichkeit versteht die Lehre – wie gesagt – eine Unmöglichkeit, die für den Schuldner, nicht aber für jedermann besteht: „Der Schuldner ist
nicht imstande, eine Leistung vorzunehmen, die von anderen Personen erbracht werden
könnte...“112 „Die Leistung ist nicht schlechthin unmöglich, sondern nur dem bestimmPra 22 (1933) Nr. 176, S. 468 f.
109 BARTH, S. 37 ff.; BECKER, BerK, N 11 ff. zu Art. 97 OR; BÉGUELIN, SJK Nr. 534, S. 1; BESSON, S.
31; BUCHER, OR AT, S. 418 (dazu AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR); COMETTA, HandK, N 4 zu
Art. 119 OR; ENGEL, AT, Nr. 209 S. 706; FUNK, N 2 zu Art. 97 OR; GIOVANOLI, S. 122 f.; GUHL/
KOLLER, § 31 N 4 f.; KELLER/SCHÖBI, I, S. 246; LEMP, S. 6; LÖRTSCHER, S. 19; MARTIN, l’inexecution, ZSR 33 (1914), S. 88 f.; MARTIN, code, S. 177; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 414a f.;
SCHMITZ, S. 13; SCHUBIGER, S. 19; SCHWENZER, Nr. 64.09; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94;
WEBER, BerK, N 124 zu Art. 97 OR; WIEGAND, Leistungsstörungen, recht 1984, S. 22; WIEGAND,
BasK, N 12 f. zu Art. 97 OR; WIELAND, S. 458. Auch die bundesgerichtliche und kantonale Rechtsprechung muss mehrheitlich als Bestätigung der Unmöglichkeitstheorie aufgefasst werden, was jedoch – insbesondere für einzelne Entscheide – umstritten ist. Vgl. BGE 43 II 80; BGE 43 II 177;
vgl. auch BGE 82 II 338 betr. (subjektive) Unzumutbarkeit; ferner BGE 117 II 72; BGE 112 II 237;
BGE 109 II 474 ff.; BGE 48 II 218 ff.; BGE 47 II 201; OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206.
110 Der deutsche Wortlaut von Art. 97 OR („Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht
... bewirkt werden...“) gibt für eine solche Interpretation zwar kaum Anlass. Der französische und
der italienische Wortlaut sind bedeutend offener und scheinen diese Interpretation der Unmöglichkeit eher zuzulassen: „Lorsque le créancier ne peut obtenir l’exécution de l’obligation...“ bzw.
„Il debitore che non adempie l’obbligazione…”. Der Wortlaut von Art. 119 OR ist weniger aufschlussreich, weil die Unmöglichkeit nicht umschrieben wird.
111 MOMMSEN, S. 28, in Bezug auf Speziesschulden; MÜLLER-CHEN, S. 244.
112 VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263 (betr. Art. 20 OR); AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR;
DESCHENAUX, révision, S. 537a Anm. 76; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3135; WEBER, BerK, N
119 zu Art. 97 OR. Zur anfänglichen Unmöglichkeit vgl. GUGGENHEIM, I, S. 54; KELLER/
31
ten Schuldner“.113 Ein Dritter ist zur Erfüllung imstande. Zu denken ist insbesondere
an folgende Fallgruppen:
84
–
Fallgruppe 1: Speziessache mit unbekanntem Aufenthaltsort: Zur ersten Fallgruppe gehören jene Fälle, bei welchen die geschuldete Speziessache (also eine
individuell bestimmte Sache, Nr. 352) nach Vertragsschluss abhanden kommt,114
beispielsweise weil sie gestohlen wird115 oder verloren geht.116 Der Schuldner kann
nicht mehr erfüllen, weil ihm die tatsächliche Verfügungsmacht über die Sache fehlt
und er sie sich – mangels Kenntnis des Aufenthaltsorts der Sache – nicht wieder
verschaffen kann. Hingegen wäre der Dritte (der Dieb, Finder, Hehler etc.), bei
welchem sich die Speziessache befindet (so sie noch existiert!), theoretisch zur Erfüllung imstande. Ein typisches Beispiel ist der „Colliers-Fall“ (Nr. 38).
85
–
Fallgruppe 2: Speziessache in fremdem Eigentum und ähnliche Tatbestände
(Fehlende rechtliche Verfügungsmacht über eine Speziessache): Die zweite Fallgruppe umfasst alle Situationen, bei welchen ein Dritter nach Vertragsschluss
Eigentum oder ein anderes Recht an der geschuldeten Speziessache erwirbt, welches
dem obligatorischen Anspruch des Gläubigers vorgeht. Weil der Schuldner nicht
mehr die volle rechtliche Verfügungsmacht über die geschuldete Speziessache hat,
kann er nicht mehr ohne Mitwirkung des Berechtigten erfüllen.117 Die Beispiele für
solche Fälle sind recht zahlreich (vgl. Nr. 367 ff.). Dazu gehört namentlich der Doppelverkauf einer Speziessache:118
86
Beispiel: „Ferrari-F40-Fall“: Ein Ferrari-Händler verkauft einem Kunden (dem Erstkäufer) einen Ferrari F40. Bevor der Ferrari F40 dem Erstkäufer übergeben wird, ver-
SCHÖBI, I, S. 145; SCHUBIGER, S. 19; ZIEGLER, S. 55.
113 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3135 und 3159; KELLER/SCHÖBI, I, S. 246; KELLER/SCHÖBI, IV, S.
187; SCHWENZER, Nr. 63.08; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94; ENGEL, AT, Nr. 209 S. 706. In
Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit HÜRLIMANN, Nr. 97; KOLLER, OR AT I, Nr. 854;
KRAMER, BerK, N 250 zu Art. 19 - 20 OR; ZIEGLER, S. 55.
114 BECKER, BerK, N 18 zu Art. 97 OR.
115 Für subjektive Unmöglichkeit BISCHOFF, S. 125 Anm. 43; VON BÜREN, OR AT, S. 122 und 390;
CAYTAS, S. 75; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3151; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 414a f.;
SCHWENZER, Nr. 63.08; i. gl. S. wohl auch RINGIER, S. 6. A. A. BARTH, S. 37; BUCHER, OR AT,
S. 248; WIEGAND, BasK, N 13 zu Art. 97 OR; DERS., Leistungsstörungen, recht 1983, S. 7. Die
deutsche Lehre nimmt bei Diebstahl der verkauften Speziessache teilweise auch subjektive Unmöglichkeit an, vgl. BGHZ 8, 231; LARENZ, Schuldrecht AT, S. 102; a. A. ENNECCERUS/
LEHMANN, S. 131; STAUDINGER/LÖWISCH, N 33 zu § 306 BGB. Bei anfänglicher Unmöglichkeit
für subjektive Unmöglichkeit KOLLER, OR AT I, Nr. 865; ZIEGLER, S. 63.
116 Für objektive Unmöglichkeit ENNECCERUS/LEHMANN, S. 131; STAUDINGER/LÖWISCH, N 33 zu §
306 BGB, m. Hw.
117 VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263, insb. Anm. 72; BGE 82 IV 182 ff., 185, m. Nw.; KRAMER,
BerK, N 256 zu Art. 19 - 20 OR.
118 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3162; CORTESI, S. 42 Anm. 173 und S. 91 f.; betr. anfängliche
Unmöglichkeit KOLLER, OR AT I, Nr. 840.
32
kauft und überträgt der Händler denselben Wagen dem Zweitkäufer. Der Erstkäufer klagt
auf Schadenersatz.119
87
–
Fallgruppe 3: Fehlende Gattungsware: Fallgruppe 3 betrifft Gattungs- oder Genusschulden, Sachschulden also, bei welchen nach Art und Menge, das heisst der Gattung nach bestimmte Sachen (Gattungsware) geschuldet ist (Nr. 382 ff.). Ist der
Schuldner von Gattungsware nicht im Besitze von Gattungsware, über die er frei
verfügen kann, und kann er auch keine Gattungsware beschaffen, so behauptet er
oft, die Erfüllung sei unmöglich. Meist existieren freilich noch Exemplare der Gattung, die sich im Besitze eines Dritten befinden bzw. von einem Dritten beschafft
werden könnten. Weshalb der Gattungsschuldner selbst keine verfügbare Ware hat,
kann verschiedene Gründe haben: Der Schuldner hatte schon bei Vertragsschluss
keine Gattungsware und seine Beschaffungsquelle fällt aus. Oder der Schuldner
hatte bei Vertragsschluss verfügbare Ware, verliert seine Vorräte aber durch Zerstörung, Verkauf oder aus anderen Gründen. Ein typisches Beispiel ist der „KuriwataSeiden-Fall“ (Nr. 14).
88
–
Fallgruppe 4: Verhinderung des Schuldners bei Dienstleistungspflichten: Der
Schuldner einer Dienstleistung, also einer anderen Leistung als einer Sachleistung,
kann aus persönlichen Gründen an der Erfüllung gehindert sein. Zu denken ist an
Leistungshindernisse, die ihre Ursache in der Person des Schuldners selbst haben,
einerseits an fehlende körperliche (physische) Leistungsfähigkeit, beispielsweise
infolge Krankheit, Alter, körperlicher Behinderung, Unfall usw., andererseits an
geistige oder psychische Unfähigkeit zur Erbringung der Leistung, z. B. infolge
mangelnder Ausbildung, mangelnden Wissens usw. Sodann können dem Schuldner die für die Erfüllung nötigen Werkzeuge und Betriebsmittel fehlen. Meist ist
die geschuldete Dienstleistung nicht einzigartig, so dass sie von einem Dritten, der
die für die Erfüllung nötigen Fähigkeiten und Mittel hat, erbracht werden könnte.
89
90
Beispiel: „Flachmaler-Beispiel“: Ein Flachmaler bricht sich beim Skilaufen beide
Arme und kann deshalb die vereinbarten Malerarbeiten nicht vornehmen.
Die objektive Unmöglichkeit ist das begriffliche Gegenstück zur subjektiven Unmöglichkeit. Unter objektiver Unmöglichkeit versteht die Lehre die Unmöglichkeit, die
nicht nur für den Schuldner, sondern für jedermann besteht:120 Überhaupt niemand kann die geschuldete Leistung erbringen.121 Die Leistung kann „...von einem
119 Dieser Sachverhalt liegt BGE 120 II 296 ff. zugrunde.
120 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3159; KELLER/SCHÖBI, I, S. 145; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 187; VON
TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94; in Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit HÜRLIMANN, Nr. 97;
KOLLER, OR AT I, Nr. 854; ZIEGLER, S. 55.
121 BUCHER, OR AT, S. 418; SCHWENZER, Nr. 63.08; WIEGAND, BasK, N 10 zu Art. 97 OR, vgl. auch
N 5 zu Art. 119 OR: „... die Erfüllung [kann] überhaupt nicht mehr erfolgen“.
33
beliebigen Schuldner nicht erbracht werden...“,122 weder vom Schuldner, noch von
einem Dritten.123 Objektive Unmöglichkeit liegt beispielsweise vor, wenn die geschuldete Leistung einem Naturgesetz, den Regeln der Technik oder der Logik widerspricht,
oder wenn sie die menschliche Leistungsfähigkeit massiv überschreitet.124 Ebenso liegt
objektive Unmöglichkeit vor, wenn jemand eine Sache schuldet, die gar nicht mehr existiert, beispielsweise weil sie zerstört wurde.125
91
Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen der objektiven Unmöglichkeit, welche
unter Art. 97 und 119 OR fällt, und der subjektiven Unmöglichkeit ist damit, ob die Unmöglichkeit für jedermann besteht (objektive Unmöglichkeit) oder für den Schuldner,
nicht aber für jedermann (subjektive Unmöglichkeit). Dieses Abgrenzungskriterium
wird im Folgenden das „Abgrenzungskriterium des erfüllungsfähigen Dritten“
genannt.
92
Die Verzugstheorie setzt auch bei objektiver Unmöglichkeit voraus, dass die Unmöglichkeit für
jedermann endgültig (Nr. 50 und 68 ff.) und unüberwindbar (Nr. 49 und 56 ff.) ist. Anders bei der
subjektiven Unmöglichkeit: Wenn irgend ein Dritter die Leistung erbringen kann, so liegt nach der
Verzugstheorie keine (objektive) Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR vor. In diesem
Falle kann offen bleiben, ob der Schuldner selbst die Leistung erbringen kann (so dass die Leistung möglich ist) oder ob der Schuldner die Leistung nicht erbringen kann (so dass eigentliche
subjektive Unmöglichkeit vorliegt), weil die Rechtsfolgen in beiden Fällen identisch sind (Nr.
96). Die Vertreter der Verzugstheorie unterscheiden deshalb oft nicht klar zwischen der eigentlichen subjektiven Unmöglichkeit, bei der der Schuldner dauernd und unüberwindbar an der Erfüllung gehindert wird, Dritte aber zur Erfüllung imstande sind, und der möglichen Leistung. Viele
der in Nr. 84 - 89 genannten Beispiele der Verzugstheorie für „subjektive Unmöglichkeit“ können
deshalb auch als normale mögliche Leistungen – oder eben als Leistungserschwerungen im hier
verstandenen Sinne – aufgefasst werden.
122 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3128; WEBER, BerK, N 114 zu Art. 97 OR; in Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit BUCHER, OR AT, S. 248; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 634; GUHL/
KOLLER, § 7 N 18; KRAMER, BerK, N 250 zu Art. 19 - 20 OR; etwas abweichend BECKER, BerK,
N 2 zu Art. 20 OR: „...nicht nur dem Schuldner persönlich, sondern auch einem Dritten unmöglich...“ „Diese formelhafte Umschreibung der objektiven Leistungsunmöglichkeit gehört zum festen
Bestand der herrschenden Lehre...“, GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3130.
123 AEPLI, ZürK, N 47 zu Art. 119 OR; DESCHENAUX, révision, S. 537a Anm. 76; GUGGENHEIM, II, S.
174; in Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit GUGGENHEIM, I, S. 54; HÜRLIMANN, Nr. 97;
KOLLER, OR AT I, Nr. 854; ZIEGLER, S. 55; ferner BUCHER, OR AT, S. 248.
124 KRAMER, BerK, N 250 zu Art. 19 - 20 OR; LARENZ, Schuldrecht AT, S. 98.
125 OGer ZH, ZR 54 (1955) Nr. 183, S. 371: Mit der Vernichtung der einem Arzt übergebenen Akten
wird die Erfüllung der vertraglichen Rückgabepflicht unmöglich. Vgl. statt vieler WEBER, BerK, N
115 zu Art. 97 OR.
34
C. Dogmatischer Grundgedanke der Verzugstheorie
93
VON BÜREN begründete die Verzugstheorie damit, dass die so genannten subjektiven
Unmöglichkeiten blosse Pseudounmöglichkeiten seien,126 weil die Verhinderung auf
Seiten des Schuldners nur eine momentane sei,127 und nennt als Beispiele den Diebstahl
einer Speziessache oder ein Einfuhrverbot.128 „Es brauchen sich nur die Verhältnisse
etwas zu ändern (beispielsweise der Dieb gefasst zu werden), und schon entpuppt sich
die sog. Unmöglichkeit als ganz ordentliche Möglichkeit“.129 Im Grunde genommen
betrachtet VON BÜREN damit die subjektive Unmöglichkeit als vorübergehende Unmöglichkeit bzw. als Unmöglichkeit von nicht absehbarer Dauer und behandelt sie aus
diesem Grunde nach den Verzugsregeln.130 Der subjektiven Unmöglichkeit fehlt die
erforderliche Dauer der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners. Das
Argument VON BÜRENs hat freilich einiges für sich: Da bei der subjektiven Unmöglichkeit (definitionsgemäss) ein Dritter zur Erfüllung imstande ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Dritte sich in Zukunft zur Mitwirkung bei der Erfüllung bereit
erklärt, so dass die Erfüllung wieder möglich würde. Insofern ist die subjektive Unmöglichkeit stets bloss vorübergehend oder von nicht absehbarer Dauer.
94
Die subjektive Unmöglichkeit kann auch als mögliche Leistung aufgefasst werden,
welcher die erforderliche Intensität der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des
Schuldners fehlt. Die Begründung dafür gleicht der obigen Argumentation: Da bei der
subjektiven Unmöglichkeit (definitionsgemäss) ein Dritter zur Erfüllung imstande ist,
kann der Schuldner theoretisch immer erfüllen, nämlich indem er den Dritten zur Erfüllung beizieht. Der Beizug des Dritten mag praktische Schwierigkeiten bereiten, im
logischen Sinne ausgeschlossen ist er jedoch nie.131
95
Zum Vergleich: Der traditionellen Lehre und Rechtsprechung (Unmöglichkeitstheorie) liegt
demgegenüber der Gedanke zugrunde, dass die ipso iure eintretenden Rechtsfolgen der Unmöglichkeitsregeln, insbesondere der Untergang bzw. die Umwandlung des Realerfüllungsanspruchs,
einzig bei endgültigen und unüberwindbaren Leistungshindernissen gerechtfertigt sind. Die subjektive Unmöglichkeit soll dabei nicht a priori vom Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsregeln
ausgeschlossen werden. Sofern die Voraussetzungen der Unmöglichkeit insbesondere bezüglich
Dauer (Nr. 50 und 68 ff.) und Intensität (Nr. 49 und 56 ff.) im konkreten Fall erfüllt sind, finden die
Unmöglichkeitsbestimmungen ohne weiteres auch auf die subjektive Unmöglichkeit Anwendung.
126
127
128
129
130
VON BÜREN, OR AT, S. 390.
VON BÜREN, OR AT, S. 122.
VON BÜREN, OR AT, S. 390 und 122.
VON BÜREN, OR AT, S. 122.
Vgl. auch GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3145; AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR; ZIEGLER, S.
66 f.; SCHÖNLE, responsabilité, Semjud 99 (1977), S. 469.
131 Vgl. MÜLLER-CHEN, S. 242.
35
D. Rechtslage bei subjektiver Unmöglichkeit nach der Verzugstheorie
96
Die subjektiv unmögliche Leistung (subjektive Unmöglichkeit) wird gemäss der Verzugstheorie wie eine normale mögliche Leistung behandelt. Art. 97 und 119 OR finden keine Anwendung. Der Realerfüllungsanspruch bleibt bestehen. Der Gläubiger
kann die Leistung bei Fälligkeit in natura einklagen und mit Zwangsmassnahmen vollstrecken lassen.132 Erbringt der Schuldner die fällige Leistung nicht, kommt er bei
gegebenen Voraussetzungen in Verzug.
97
Die Vertreter der Verzugstheorie erwähnen (mit einer selbstverständlichen Ausnahme133) keine Besonderheiten bei den Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs.134 In der Regel beschränken sie sich auf die Aussagen, dass die subjektive
Unmöglichkeit ein Verzugsfall oder Verzugstatbestand sei135 und verzugsrechtlich zu
behandeln sei,136 oder dass die Vorschriften über den Schuldnerverzug Anwendung
finden.137 Auch äussern sich die Vertreter der Verzugstheorie nicht zur Frage, ob der
Schuldner bei subjektiver Unmöglichkeit tatsächlich in Verzug gerät und die Verzugsregeln direkte Anwendung finden oder ob die subjektive Unmöglichkeit kein eigentlicher Verzugsfall ist, die Verzugsfolgen, namentlich das Wahlrecht von Art. 107 und
109 OR, bloss analog angewendet werden können. Aus ihrem Stillschweigen zu dieser
Frage muss wohl geschlossen werden, dass die Vertreter der Verzugstheorie eine direkte
Anwendung der Verzugsregeln befürworten. Die Verzugstheorie geht offenbar davon
aus, dass ein ganz normaler Verzugsfall vorliegt.
98
Die Behandlung einer subjektiv unmöglichen Leistung wie eine normale mögliche Leistung hat
erhebliche Vorteile. Würden bei der subjektiven Unmöglichkeit Besonderheiten gelten, müsste die
132 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3141a und auch Nr. 3151; auch HÖCHLI, S. 51.
133 Schuldnerverzug setzt voraus, dass der Schuldner seine bestehende (vgl. EHRAT, Nr. 217;
SCHENKER, Nr. 5 ff.; WEBER, BerK, N 50 zu Art. 102 OR) Leistungspflicht nicht erfüllt. Ist die
Leistungspflicht des Schuldners aus irgendeinem Grund erloschen, ist Schuldnerverzug ausgeschlossen (als einzige Ausnahme hebt freilich der Verzicht auf nachträgliche Erfüllung gemäss
Art. 107 Abs. 2 OR den zugrunde liegenden Schuldnerverzug nicht auf). Der praktisch bedeutsamste Fall ist die Unmöglichkeit gemäss Art. 97 und 119 OR. In der Lehre wird deshalb oftmals
– pars pro toto – gesagt, Verzug setze Nichterfüllung der Verbindlichkeit trotz Leistungsmöglichkeit voraus (vgl. statt vieler VON TUHR/ESCHER, § 72, S. 135; SCHWENZER, Nr. 65.02; KOLLER,
BerK, N 175 zu Art. 366 OR, oder WEBER, BerK, N 33 zu Art. 102 OR). Nach der Verzugstheorie muss diese Voraussetzung freilich modifiziert werden: Weil nur die objektive Unmöglichkeit unter Art. 97 und 119 OR fällt, setzt Schuldnerverzug Nichterfüllung trotz objektiver Leistungsmöglichkeit voraus (GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2929; SCHENKER, Nr. 22; VON BÜREN, OR
AT, S. 365).
134 Einzig KOLLER, OR AT I, Nr. 1025 Anm. 478, erwähnt – soweit ersichtlich – Besonderheiten in
Bezug auf die Verzichtserklärung nach Art. 107 Abs. 2 OR und die Nachfristansetzung, lehnt
aber die Verzugstheorie ab.
135 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3298; EHRAT, Nr. 236.
136 VON BÜREN, OR AT, S. 390; ZIEGLER, S. 66.
137 AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3140; GAUCH, Werkvertrag, Nr.
719; GEHRER, Mélanges Assista, S. 183; SCHENKER, Nr. 17 ff.; SCHÖNLE, faits futurs, S. 421.
36
subjektiv unmögliche Leistung von der möglichen Leistung abgegrenzt werden (Nr. 92). Damit
würde die Verzugstheorie eines ihrer Hauptvorteile beraubt.
E. Exkurs: Einzelfragen zum Begriff der subjektiven Unmöglichkeit
99
Die Begriffe der nachträglichen objektiven und subjektiven Unmöglichkeit sind keine
gesetzlichen Begriffe. Sie kommen im Obligationenrecht nicht vor,138,139 sondern sind
von der Lehre und Rechtsprechung140 in Zusammenhang mit der anfänglichen Unmöglichkeit141 entwickelt worden.142 Ihre formelhafte Umschreibung gehört zum festen
138 Das Gesetz enthält jedoch einzelne Bestimmungen, die Tatbestände betreffen, die unter die Definition der subjektiven Unmöglichkeit fallen, beispielsweise – bezüglich der anfänglichen subjektiven Unmöglichkeit – Art. 192 ff. (Rechtsgewährleistung beim Fahrniskauf) (VON TUHR/
PETER, § 31 VI, S. 263 Anm. 72): Kann der Verkäufer dem Käufer (unbeschwertes) Eigentum
nicht verschaffen, liegt subjektive Unmöglichkeit vor: Der Berechtigte könnte erfüllen. Der Vertrag ist gültig und es finden Art. 192 ff. Anwendung; vgl. KRAMER, BerK, N 256 zu Art. 19 - 20
OR, m. Hw.
139 Im österreichischen Recht ist die Rechtslage vergleichbar. Dessen ABGB differenziert ebenfalls
nicht ausdrücklich zwischen subjektiver und objektiver Unmöglichkeit; vgl. § 878 und 1447
ABGB und dazu statt vieler KOZIOL/WELSER, S. 140 und 233. Bis zur Schuldrechtsreform hat
das deutsche BGB den Begriff des nachträglichen Unvermögens gekannt: § 275 Abs. 2 BGB a. F.
hat „...das nachträglich eintretende Unvermögen des Schuldners zur Leistung“ der „nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Unmöglichkeit“ ausdrücklich gleichgestellt. Die
Bedeutung dieser Bestimmung, insb. ihre historische Bedeutung, ist umstritten; vgl. MÜLLERCHEN, S. 240 f., m. Hw.
140 Vgl. BGE 82 II 332 ff., 338 Erw. 5; BGE 43 II 784 ff., 793; AppGer BE, SJZ 7 (1910) Nr. 51, S.
161, betr. das aOR; vgl. ferner BGE 59 II 378 = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 468 f., wo mit „Unvermögen“ Geldmangel gemeint ist.
141 Gemäss neuerer Lehrmeinung ist diese Unterscheidung nicht massgebend für die Abgrenzung des
Anwendungsbereichs von Art. 20 OR; vgl. ZIEGLER, S. 20 ff.; KOLLER, OR AT I, Nr. 867 ff.
142 Die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Unmöglichkeit hat im Pandektenrecht
Eingang in die deutsche Lehre gefunden, vgl. MOMMSEN, S. 5 f. sowie 12 f. und 27 f.; VON
SAVIGNY, S. 384; insb. WINDSCHEID, § 264 S. 55, (1875): „Bei der ursprünglichen Unmöglichkeit ist ferner zu unterscheiden zwischen objektiver Unmöglichkeit, d. h. Unmöglichkeit an sich,
und subjektiver Unmöglichkeit, d. h. Unmöglichkeit bloss für den Schuldner.“ Und S. 56: „Bei
der nachfolgenden Unmöglichkeit kommt es nicht darauf an, ob sie eine objektive oder eine subjektive ist...“ Diese Lehre wurde ins BGB von 1896 übernommen (vgl. Anm. 139). Ob sie die
Verfasser des aOR nachvollzogen haben, geht aus den Materialien zum aOR von 1881 nicht hervor. Bei der Revision des OR wurde Art. 110 aOR (der heutige Art. 97 OR) unverändert und Art.
145 aOR (der heutige Art. 119 OR) redaktionell nur leicht geändert übernommen (StenBull NR
1909, S. 543), so dass diese Bestimmungen weder in den Expertenkommissionen von 1908 und
1909 noch im Stände- und Nationalrat zu Diskussionen Anlass gaben (vgl. die Erläuterungen von
HUBER im Nationalrat, StenBull NR 1909, S. 533 f.). Den Materialien zum OR von 1911 lassen
sich deshalb ebenfalls keine Hinweise entnehmen. Die vor oder kurz nach dem Inkrafttreten des
OR erschienene Literatur deutet ansatzweise auf eine Übernahme der pandektistischen Lehre hin.
Vgl. z. B. SCHNEIDER/FICK, N 2 zu Art. 17 aOR: „Möglich, nämlich objektiv möglich“; FUNK, N
2 zu Art. 97 OR (1928); eindeutig MARTIN, l’inexecution, ZSR 33 (1914), S. 88 f. und MARTIN,
code, S. 177. Die historische Entwicklung der Unmöglichkeitslehre vom römischen Recht bis zu
den modernen Kodifikationen ist von WOLLSCHLÄGER ausführlich dargestellt sowie neuestens
von PICHONNAZ, Nr. 83 ff., zusammengefasst worden. Auf eine erneute Wiedergabe wird hier
deshalb verzichtet.
37
Bestand der schweizerischen Lehre.143 Die Begriffsdefinition der Verzugstheorie folgt
ganz der älteren Lehre zur anfänglichen Unmöglichkeit.144,145 Dennoch bleiben verschiedene Fragen in Zusammenhang mit dem Abgrenzungskriterium des erfüllungsfähigen
Dritten und der Einordnung bestimmter Fälle ungeklärt.
100 Offen sind namentlich gewisse theoretische Fragen: Setzt subjektive Unmöglichkeit voraus, dass ein
Dritter eine gleiche Leistung oder etwa nur eine ähnliche Leistung erbringen kann, wie der
Schuldner sie schuldet?146 Oder muss ein Dritter die Obligation des Schuldners erfüllen können,
so dass die Obligation des Schuldners infolge ihrer Erfüllung untergehen (vgl. Art. 114)147 und der
Schuldner von seiner Schuldpflicht befreit würde? Und muss der Dritte die gesamte Schuldpflicht
des Schuldners allein erfüllen können, damit subjektive Unmöglichkeit vorliegt, oder genügt es,
wenn der Dritte jenen Teil der Leistung erbringen kann, an der die Erfüllung durch den Schuldner
scheitert?148 Die Lehre beantwortet solche Fragen nicht.
101 Im Rahmen dieser Arbeit kann darauf verzichtet werden, eine Theorie zur Abgrenzung
von objektiver und subjektiver Unmöglichkeit zu entwickeln, weil die Abgrenzung nach
hier vertretener Auffassung keine Bedeutung für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Unmöglichkeitsbestimmungen hat (Nr. 218 f. und 444 f.). Einzelne Punkte
verdienen dennoch besondere Erwähnung.
102 1. Die Lehre stellt keine strengen Anforderungen an die Voraussetzung des erfüllungsfähigen Dritten. Es genügt, wenn es eine einzige Person gibt, die erfüllen kann.149 Bei
allen Tatbeständen, bei welchen dem Schuldner die rechtliche oder tatsächliche Verfügungsmacht über eine Speziessache fehlt (z. B. infolge Diebstahl, Doppelverkauf usw.),
143 So GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3130, in Bezug auf die objektive Unmöglichkeit.
144 Vgl. die zu Nr. 83 und 90 zit. Literatur.
145 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3128: „In allen Fällen ist der Begriff der objektiven Leistungsunmöglichkeit der gleiche“. Diese „Parallelinterpretation“ der anfänglichen und nachträglichen subjektiven Unmöglichkeit ist neuerdings auf Kritik gestossen. Vgl. ZIEGLER, S. 6 ff.
146 BARTH, S. 37, nimmt generell objektive Unmöglichkeit an, wenn ein Dritter nicht am richtigen
Ort oder nicht zur richtigen Zeit erfüllen kann. Vgl. auch PICHONNAZ, Nr. 327.
147 Ein Dritter kann bei unpersönlichen Obligationen mit befreiender Wirkung gegenüber dem Gläubiger erfüllen, und zwar auch dann, wenn der Schuldner die Erfüllung durch den Dritten ablehnt.
Vgl. BGE 83 III 102 und aus der Lehre statt vieler GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2046; VON TUHR/
ESCHER, § 59 II, S. 26.
148 Wird beispielsweise die zu reparierende Uhr beim Uhrenmacher gestohlen, so kann der Dieb erfüllen, indem er die gestohlene Uhr dem Uhrenmacher herausgibt, auf dass dieser die geschuldete
Reparatur (allenfalls eine persönliche Leistungspflicht) vornehmen und die reparierte Uhr dem
Auftraggeber zurückgeben kann. Zur eigentlichen Reparatur wird der Dieb jedoch i. d. R. nicht
fähig sein. Vom eben genannten Beispiel sind die Fälle abzugrenzen, bei denen der Schuldner zur
Erbringung der Leistung unfähig ist, ein Dritter ihn aber wieder erfüllungsfähig machen kann,
indem er etwas tut, das mit der geschuldeten Leistung überhaupt nicht zusammenhängt. Ein
solcher Fall liegt z. B. vor, wenn ein Chirurg dem erblindeten Portraitmaler mittels einer
Hornhauttransplantation das Augenlicht zurückgibt. Als Dritter kommt der Chirurg selbstverständlich nicht in Frage.
149 So die Formulierung der Definition der subjektiven Unmöglichkeit bei AEPLI, ZürK, N 49 zu Art.
119 OR, und ZIEGLER, S. 55.
38
ist dies regelmässig der Fall.150 Auch ein unbekannter Dritter kommt nach der Auffassung der Lehre als Vergleichsperson in Frage.151 So nimmt die Lehre beim Diebstahl
einer Speziessache mehrheitlich subjektive Unmöglichkeit an, obwohl die Person des
Diebes nicht bekannt ist.152 Damit wird in Kauf genommen, dass auch Dritte, deren
Existenz gar nicht nachgewiesen ist, als Vergleichspersonen herangezogen werden.
Zum Beispiel kann bei der gestohlenen Speziessache nicht beurteilt werden, ob die
Speziessache überhaupt noch existiert oder aber zerstört wurde. Dasselbe gilt im Falle
einer verlorengegangenen Speziessache. Die Lehre lässt es damit in gewissen Fällen
genügen, dass abstrakt eine Person denkbar ist, die erfüllen kann (z. B. der allfällige
Finder).
103 2. Subjektive Unmöglichkeit ist nach nahezu einhelliger Auffassung bei persönlichen Leistungen ausgeschlossen.153 Bei einer persönlichen Leistungspflicht
i. S. v. Art. 68 OR darf der Schuldner die Erfüllung nicht einem Dritten übertragen. Die
Leistung eines Dritten ist keine vertragsgemässe Erfüllung, und der Gläubiger muss die
Leistung eines Dritten grundsätzlich nicht annehmen.154 Wenn der Schuldner nicht
selbst – persönlich – erfüllen kann (z. B. ist der Arbeitnehmer krank), braucht sich der
Schuldner nicht um Erfüllung durch einen Dritten zu bemühen.155 Zwar ist durchaus
denkbar, dass ein Dritter eine ähnliche Leistung erbringen kann (z. B. die Arbeit des
Schuldners erledigen). Die Leistung des Dritten wäre aber keine vertragsgemässe Erfüllung der Obligation des Schuldners. Weil damit kein Dritter die Leistung des Schuldners
erbringen kann, ist die Unmöglichkeit bei persönlicher Leistungspflicht immer eine
objektive.156,157
150 Vgl. die Nw. zu Nr. 38, 84 - 86, und 368 - 370.
151 A. A. BARTH, S. 37; ENNECCERUS/LEHMANN, S. 131; STAUDINGER/LÖWISCH, N 33 zu § 306
BGB.
152 Nw. in Anm. 115.
153 Vgl. dazu BARTH, S. 36; AEPLI, ZürK, N 48 zu Art. 119 OR.
154 Differenzierend KOLLER, BerK, N 70 ff. zu Art. 364 OR.
155 Vgl. BGE 103 II 56 f.
156 BECKER, BerK, N 3 zu Art. 20 OR; DASSER, HandK, N 4 zu Art. 20 OR; ERDIN, Nr. 39; GAUCH/
SCHLUEP/REY, Nr. 3149 f. und auch Nr. 3164; GUGGENHEIM, I, S. 54 f., DERS., II, S. 175 f.;
KOLLER, OR AT I, Nr. 856; KRAMER, BerK, N 254 zu Art. 19 - 20 OR; HUGUENIN, BasK, N 46
zu Art. 20 OR; HÜRLIMANN, Nr. 101; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 8 zu Art. 20 OR;
RINGIER, S. 27 f.; ZIEGLER, S. 57 ff. und 62; ferner SCHWENZER, Nr. 63.08; abweichend BARTH,
S. 36 f.; ZIEGLER, S. 59; zum deutschen Recht: ENNECCERUS-LEHMANN, § 29 I 3; ERMAN/
BATTES, N 30 vor § 275 BGB; Münchener Kommentar/THODE, N 9 zu § 306 BGB; SOERGEL/
WOLF, N 6 zu § 306 BGB; ferner MOMMSEN, S. 65; a. A. STAUDINGER/LÖWISCH, N 21 zu § 306
BGB; LARENZ, Schuldrecht AT, S. 103; PALANDT-HEINRICHS, N 4 zu § 306; differenzierend
NEUMANN-DUESBERG, BB 1970, S. 1462.
157 Beispiele: (1) Der Portraitmaler erblindet; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3149; KRAMER, BerK, N
254 zu Art. 19 - 20 OR; GUGGENHEIM, II, S. 176. (2) Ein Künstler verpflichtet sich zur Erstellung
einer Plastik, erkrankt aber an Gicht; HÜRLIMANN, Nr. 101. (3) Ein Fussballspieler erhält keine
Spielberechtigung; KGer SG, GVP 1988, Nr. 42, S. 87 ff. = SJZ 85 (1989) Nr. 67, S. 418 ff. (4)
Der Architekt erkrankt unheilbar; SOERGEL/WOLF, N 6 zu § 306 BGB. (5) Die Erstellung und
39
104 3. BARTH, BESSON, PICHONNAZ und WEBER sowie VON TUHR/PETER und KELLER/
SCHÖBI berücksichtigen bei der Abgrenzung von subjektiver und objektiver Unmöglichkeit – in unterschiedlichem Masse –, ob es sich beim der Unmöglichkeit zugrunde liegenden Leistungshindernis um ein persönliches Hindernis handelt (subjektive Unmöglichkeit)158 oder um ein ausserhalb der Person des Schuldners liegendes allgemeines
Hindernis (objektive Unmöglichkeit). Im Gegensatz zum Abgrenzungskriterium des
erfüllungsfähigen Dritten stellt das Kriterium des persönlichen Hindernisses auf die Art
des Leistungshindernisses, nicht auf seine Wirkung ab.
105 Persönliche Hindernisse sind beispielsweise fehlende physische Leistungsfähigkeit
(z. B. infolge Krankheit, Alter, körperlicher Behinderung, Unfall), allgemein jede Beeinträchtigung der körperlichen (physischen) Leistungsfähigkeit, fehlende psychische
Leistungsfähigkeit des Schuldners (z. B. Ausbildung, Wissen usw.), fehlende wirtschaftliche Möglichkeiten (z. B. Vermögen, Kredit usw.), fehlende rechtliche oder tatsächliche Verfügungsmacht, fehlende technische Hilfsmittel oder Betriebsmittel.159 Allgemeine, ausserhalb der Person des Schuldners begründete Hindernisse liegen hingegen
vor, wenn die Leistung gegen ein Naturgesetz oder die Logik verstösst, ihrer Zeit in
technologischer Hinsicht massiv voraus ist, gegen ein allgemeingültiges Gesetz verstösst
usw. Ebenfalls liegt ein solches allgemeines Hindernis vor, wenn eine Speziessache zerstört wird.
106 Stellt man bei der Abgrenzung von subjektiver und objektiver Unmöglichkeit einzig auf
den persönlichen oder allgemeinen Charakter des der Unmöglichkeit zugrunde liegenden Leistungshindernisses ab, so führt das dazu, dass auch bei persönlichen Leistungspflichten subjektive Unmöglichkeit gegeben sein kann (Nr. 103 ff.).160 Diese Auffassung wird namentlich von einem Teil der deutschen Lehre vertreten und manchmal
„Sphärentheorie“161 genannt, weil darauf abgestellt wird, ob das Leistungshindernis
158
159
160
161
40
Lieferung einer Verdampfungs- und Kondensierungsanlage wird dem Schuldner wegen eines
behördlichen Ausfuhrverbots unmöglich; vgl. BGE 111 II 352 = BR 1986/3 Nr. 91, S. 66, mit
Anm. von Peter GAUCH. (6) Der Betrieb einer Zahnarztpraxis ist der „Pächterin“ unmöglich, weil
sie das nach dem neu erlassenen Gesetz erforderliche eidgenössische Diplom nicht hat und auch
nicht erwerben kann. Die Leistung ist unmöglich, weil es der Pächterin unzumutbar ist, das
Diplom zu erwerben; BGE 57 II 532 ff.
BARTH, S. 36 f.; BESSON, S. 11; PICHONNAZ, Nr. 328; WEBER, BerK, N 119 zu Art. 97 OR; und
in Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263; KELLER/SCHÖBI,
I, S. 145. Abweichende Definition auch bei OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 8 zu Art. 20 OR.
Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3135; VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263.
Vgl. STAUDINGER/LÖWISCH, N 21 zu § 306 BGB; ferner WÜRDINGER/RÖHRICHT, N 469 vor §
373 HGB.
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3150. Die Sphärentheorie wird in der deutschen Lehre zur
Abgrenzung von Annahmeverzug und Unmöglichkeit vornehmlich bei Arbeits- und Werkverträgen verwendet (vgl. EMMERICH, S. 16, m. Hw.) und auch im Schweizer Recht in diesem Zusammenhang diskutiert (vgl. z. B. STREIFF/VON KAENEL, N 6 zu Art. 324 OR, oder ZINDEL/PULVER,
BasK, N 20 zu Art. 376 OR, m. Hw.; ausführlich SCHNÜRIGER, S. 98 ff.).
ausserhalb der Person des Schuldners (ausserhalb seiner Sphäre) oder allein (genetisch)
in seiner Person begründet ist.162
107 Schwachpunkt der Lehre vom persönlichen Leistungshindernis ist die Abgrenzung der
persönlichen von den allgemeinen (unpersönlichen) Leistungshindernissen. Sie kann
selbstverständlich von Fall zu Fall durch Wertung geschehen. Will man aber auf ein allgemeines Kriterium abstellen, so ist auch hier danach zu unterscheiden, welche Wirkungen ein Leistungshindernis hat, ob das Leistungshindernis nur den Schuldner betrifft,
nicht aber jedermann (persönliches Hindernis, Hindernis aus den persönlichen Verhältnissen des Schuldners), oder aber alle potentiellen Schuldner, ja alle Menschen überhaupt (unpersönliches Hindernis). Es stellt sich damit wiederum die Frage, ob es Dritte
gibt, die vom Leistungshindernis nicht betroffen werden.163 Abgesehen vom abweichenden Ergebnis bei persönlichen Leistungspflichten deckt sich die Lehre vom persönlichen
Hindernis damit weitgehend mit dem Abgrenzungskriterium des erfüllungsfähigen
Dritten.
108 4. Schliesslich werden andere Abgrenzungskriterien vertreten:
109 –
Nach der Lehrmeinung von BARTH zur anfänglichen Unmöglichkeit liegt subjektive Unmöglichkeit nicht nur vor, wenn ein Dritter zur Erfüllung der Schuldpflicht imstande ist, sondern
auch, wenn niemand die Schuldpflicht des Schuldners erfüllen kann, allerdings aus anderem
Grunde als der Schuldner.164 Objektive Unmöglichkeit liegt nur dann vor, wenn – aus dem
gleichen Grunde wie der Schuldner – niemand die Leistung erbringen kann.
110 –
Teilweise werden subjektive und objektive Unmöglichkeit von den Rechtsfolgen her abgegrenzt. Subjektive Unmöglichkeit ist danach die Unmöglichkeit, die sich nach den Verzugsregeln regelt, während objektive Unmöglichkeit die nach Art. 97 und 119 OR zu behandelnde
Unmöglichkeit ist.165 Mit einer solchen Definition wird weder das Kriterium des Dritten noch
das eines persönlichen Hindernisses aufrechterhalten. Die Abgrenzung kann im Einzelfall
durch Wertung erfolgen.
111 –
Teilweise wird bei der Abgrenzung von subjektiver und objektiver Unmöglichkeit auf das Kriterium der Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs abgestellt.166 Dieses Kriterium ist
162 SOERGEL/WIEDEMANN, N 49 zu § 275 BGB.
163 Nicht sinnvoll ist es jedoch vorauszusetzen, dass auch bei Vorliegen eines persönlichen Hindernisses jeder Schuldner in der betreffenden Situation am Erbringen der Leistung gehindert wäre.
Das scheint aber DESCHENAUX, révision, S. 537a Anm. 76, in seiner Definition der subjektiven
Unmöglichkeit vorauszusetzen: „Il n'y a impossibilité subjective que si une autre personne que
moi, placée dans la même situation, pourrait effectuer la prestation...“ Vgl. auch PICHONNAZ, Nr.
327 f. Dies würde bedeuten, die subjektive Unmöglichkeit überhaupt abzuschaffen, denn subjektive Unmöglichkeit wäre hiermit logisch ausgeschlossen. So auch CAYTAS, S. 24.
164 BARTH, S. 37, m. Hw. auf Lehrmeinungen zum deutschen Recht. BARTH, S. 36 f., leitet seine
Definition aber ausdrücklich aus der Ratio der Sonderbehandlung der ursprünglichen subjektiven
Unmöglichkeit ab und bezieht sie auch nur auf diese. Für die nachträgliche Unmöglichkeit lehnt
BARTH den Begriff der subjektiven Unmöglichkeit ab (S. 38 f.).
165 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3159.
166 GAUCH/SCHLUEP, 3. Aufl., Nr. 1869 ff.; in der aktuellen Ausgabe, GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr.
41
insofern verständlich, als der Fortbestand des Realerfüllungsanspruchs nach den Verzugsregeln
kaum sinnvoll ist, wenn der Realerfüllungsanspruch nicht durchgesetzt werden kann. Vgl. aber
Nr. 300 f.
112 –
Schliesslich kann die subjektive Unmöglichkeit negativ definiert werden: Jede Unmöglichkeit
ist eine subjektive, die keine objektive ist.167 Eine solche negative Definition der subjektiven
Unmöglichkeit trägt freilich nichts zur Klärung des Begriffs bei, weil sie eine Leerformel ist.
F. Bedeutung der Verzugstheorie für die Leistungserschwerung
113 Ein Blick auf die vorne aufgezählten Fallgruppen und Beispiele der subjektiven Unmöglichkeit (Nr. 84 ff.) zeigt, dass es sich bei diesen fast ausschliesslich oder gar ausschliesslich um Leistungserschwerungstatbestände im hier verstandenen Sinne handelt.
Zweifelsohne ist in den genannten Situationen der Erfüllungsaufwand erhöht. Weil
jedoch definitionsgemäss ein Dritter zur Erfüllung imstande sein muss, damit subjektive
Unmöglichkeit vorliegt, kann in der Regel nicht gesagt werden, die Leistung sei mit
beliebigen Erfüllungsanstrengungen nicht bewirkbar (vgl. Nr. 93 f.).
114 Die Verzugstheorie führt damit dazu, dass diese „subjektiven Leistungserschwerungstatbestände“ dem Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen entzogen werden. Der Schuldner kann sich höchstens über die clausula rebus sic stantibus (dazu
sogleich, Nr. 115 ff.) oder allenfalls durch andere Rechtsbehelfe von der Leistungspflicht befreien. Im Ergebnis führt damit die Verzugstheorie zu einem ähnlichen Resultat wie die Clausula-Theorie.
III. Clausula rebus sic stantibus
1. Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus
115 Die clausula rebus sic stantibus ist ein von der Lehre und Rechtsprechung entwickelter,
im Gesetz nicht ausdrücklich geregelter allgemeiner Rechtsbehelf zur Anpassung von
Verträgen an veränderte Verhältnisse und Umstände.168 Bei gegebenen Voraussetzungen
findet die clausula rebus sic stantibus grundsätzlich auf verschiedene Arten veränderter
3161, noch in Bezug auf unpersönliche Arbeits- und Dienstleistungspflichten; vgl. ferner OGer
LU, LGVE 1980 I Nr. 554, S. 617 f. = SJZ 79 (1983) Nr. 26, S. 161, wo das Kriterium der Vollstreckbarkeit jedoch für den Bestand des Realerfüllungsanspruchs an sich vorausgesetzt wurde;
zum deutschen Recht vgl. PLANCK/SIEBER, N III 2 vor §§ 275 - 292 BGB.
167 Vgl. z. B. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3134.
168 Vgl. zum Ganzen BAUMANN, ZürK, N 443 ff. zu Art. 2 ZGB; DESCHENAUX, SPR II, S. 199 ff.;
GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 1297 ff.; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 620 ff. zu Art. 18 OR; KELLER/
SCHÖBI, I, S. 254 ff.; KRAMER, BerK, N 272 ff. zu Art. 18 OR; MERZ, BerK, N 184 ff. zu Art. 2
42
Verhältnisse Anwendung, auch auf Leistungserschwerungstatbestände (vgl. Nr. 117).
Ihre Rechtsgrundlage hat die clausula rebus sic stantibus in den Regeln über die Vertragsergänzung und Vertragsanpassung,169 nach anderer Auffassung im Verbot des
Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB).170 Gemäss der Lehre und Rechtsprechung hat
die clausula rebus sic stantibus die folgenden Voraussetzungen:
116 1. Eine Vertragsanpassung kommt nur bei einer nachträglichen Veränderung der
Verhältnisse und Umstände in Frage.171,172 Die veränderten Verhältnisse und Umstände müssen sich mit einer bestimmten Intensität (kausal) auf das Vertragsverhältnis auswirken: Gefordert wird, dass infolge der veränderten Verhältnisse eine „gravierende
Äquivalenzstörung“173 eingetreten ist, d. h. ein „grobes“, „offenbares“, „übermässiges“
Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bzw. deren Wert.174,175 Was dies
konkret bedeutet, beantwortet das Bundesgericht auch in seiner jüngsten Rechtsprechung noch sehr unterschiedlich: Gemäss BGE 127 III 306 genügt es, „dass das
Gleichgewicht der auszutauschenden Leistungen ... erheblich beeinträchtigt wurde“.176
In BGE 122 III 98 wird hingegen verlangt, dass „das Verhältnis von Leistung und
Gegenleistung ... so gestört ist, dass das Beharren des Gläubigers auf seinem Vertragsanspruch geradezu eine wucherische Ausbeutung des Missverhältnisses und damit einen
offenbaren Rechtsmissbrauch darstellt“.177,178
ZGB; WIEGAND, BasK, N 95 ff. zu Art. 18 OR.
169 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 1293 ff., m. Nw.; MERZ, BerK, N 218 zu Art. 2 ZGB; JÄGGI/
GAUCH, ZürK, N 639 ff. zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 325 ff. zu Art. 18 OR.
170 DESCHENAUX, SPR II, S. 200, m. Nw.; KELLER/SCHÖBI, I, S. 255; WIEGAND, BasK, N 96 zu
Art. 18 OR.
171 BGE 97 II 398 f.; vgl. statt aller WIEGAND, BasK, N 99 zu Art. 18 OR.
172 BGE 100 II 349, BGE 122 III 98, OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 234 ff. und
KELLER/SCHÖBI, I, S. 257, fordern zusätzlich eine ausserordentliche Veränderung der Verhältnisse. Damit ist wohl entweder die Nichtvoraussehbarkeit der Veränderung (Nr. 119) oder das Ausmass der Äquivalenzstörung (Nr. 116) oder aber der überindividuelle Charakter der Ereignisse
(Nr.118) gemeint. Vgl. dazu KRAMER, BerK, N 352 zu Art. 18 OR; WIEGAND, BasK, N 106 zu
Art. 18 OR.
173 BGE 127 III 305; KRAMER, BerK, N 346 zu Art. 18 OR; WIEGAND, BasK, N 104 zu Art. 18 OR.
174 Vgl. z. B. BGE 59 II 378 = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 469; BGE 107 II 348; DESCHENAUX, SPR
II, S. 202; KRAMER, BerK, N 346 ff. zu Art. 18 OR, mit Präzisierungen; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N
680 zu Art. 18 OR; WIEGAND, BasK, N 104 zu Art. 18 OR; illustrativ BezGer Arlesheim, BJM
1995, S. 25 ff.
175 Aber auch in anderen Fällen kommt die Anwendung der clausula rebus sic stantibus in Betracht,
z. B. bei Erschütterung oder Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, WIEGAND, BasK, N 95 zu
Art. 18 OR.
176 BGE 127 III 306.
177 BGE 122 III 98; ähnlich BGE 107 II 348.
178 Vgl. ferner BGE 100 II 349: „wenn die Verhältnisse von Leistung und Gegenleistung ... so
gestört sind, dass die sich aus dem Vertrag ergebende Risikoverteilung für eine Partei nicht mehr
tragbar und das Festhalten der Gegenpartei an ihrem Anspruch nach den gesamten Umständen
missbräuchlich ist“; BGE 101 II 19 und BGE 97 II 398: „wenn ... ein derart offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eingetreten ist, dass das Beharren einer Partei auf
43
117 Ob die gravierende Äquivalenzstörung durch eine Erhöhung des Erfüllungsaufwands
oder eine Entwertung der Leistung herbeigeführt wird, ist nicht ausschlaggebend. Bei
gegebenen Voraussetzungen findet die clausula rebus sic stantibus grundsätzlich auf
alle Arten veränderter Verhältnisse Anwendung, beispielsweise auch auf Fälle der Verwendungsunmöglichkeit und Verwendungserschwerung,179 ausnahmsweise sogar bei
Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners.180 Auch eine Anwendung
auf die Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne ist ohne weiteres denkbar. In
der Rechtsprechung finden sich jedoch kaum solche Fälle. Dies kann damit erklärt werden, dass das Bundesgericht – wie gesagt – von einem weiten Begriff der Unmöglichkeit ausgeht (Unzumutbarkeitstheorie) und den Schuldner gestützt auf die Unmöglichkeitsregeln befreit hat, wenn im logischen Sinne keine Unmöglichkeit vorlag.181
118 2. Teilweise wird zusätzlich gefordert, dass die veränderten Verhältnisse in einem
Ereignis mit überindividuellem Charakter182 bestehen, ja sogar in einer „Sozialkatastrophe“ wie Kriege, Wirtschaftskrisen, Geldentwertung, Änderungen der Gesetzgebung oder Rechtsprechung und Naturkatastrophen.183 Mit KRAMER ist aber nicht einzusehen, warum eine Anpassung nicht auch in Fällen möglich sein soll, die nur die
Vertragsparteien betreffen und in normalen Zeiten vorkommen.184 In Frage kommen
damit auch Ereignisse mit persönlichem Charakter wie örtliche Unglücksfälle (z. B. ein
Fabrikbrand)185 oder sogar Änderungen der Familienverhältnisse (z. B. Scheidung) bei
Verträgen mit persönlichen Elementen.186
119 3. Eine Vertragsanpassung kommt nach der Lehre und Rechtsprechung jedoch nicht in
Frage, wenn den Schuldner an den veränderten Verhältnissen ein Verschulden oder
eine anderweitige Verantwortung (z. B. nach Art. 101, 103 OR) trifft187 sowie bei
ihrem Anspruch als missbräuchlich erscheint“.
179 Z. B. BGE 127 III 300. Betr. Geldentwertung (alle Entscheide – mit Ausnahme des letztgenannten – ohne ausdrückliche Abstützung auf die clausula rebus sic stantibus): BGE 57 II 596; BGE
57 II 368; BGE 54 II 314 (Anpassung i. c. abgelehnt); BGE 51 II 303 und BGE 48 II 242 (Anpassung i. c. abgelehnt); dazu WIEGAND/BERGER, S. 83 ff. Ferner KELLER/SCHÖBI, I, S. 259; VON
TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 f. Anm. 19; BGE 48 II 372 f.
180 BGE 122 III 97 betr. Scheidungskonvention (Anpassung i. c. abgelehnt); vgl. die (überzeugende)
Begründung für den Ausnahmecharakter dieses Entscheides bei Thomas GEISER, AJP 1996, S.
1159 f.
181 Vgl. die Nw. zu Nr. 63.
182 DESCHENAUX, SPR II, S. 202, der aber diese Voraussetzung in Anm. 105 durch Beispiele aus der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung stark abschwächt.
183 BISCHOFF, S. 181 und 184 ff.
184 KRAMER, BerK, N 350 zu Art. 18 OR, m. Hw. auf die deutsche Lehre; ebenso TERCIER, clausula,
JdT 127 (1979) I, S. 208; WIEGAND, BasK, N 106 zu Art. 18 OR; i. gl. S. wohl auch JÄGGI/
GAUCH, ZürK, N 629 zu Art. 18 OR.
185 BGE 48 II 366.
186 BGE 82 II 338.
187 Nw. hinten in Anm. 386.
44
Voraussehbarkeit der veränderten Verhältnisse.188 Auf diese Voraussetzungen wird
hinten ausführlich eingegangen (Nr. 269 ff. bzw. Nr. 282 ff.).
120 4. Spezielle vertragliche und gesetzliche Anpassungsregeln gehen der clausula
rebus sic stantibus naturgemäss vor, sowohl wenn sie positiv die Berücksichtigung bestimmter Veränderungen anordnen, als auch wenn sie negativ deren Nichtberücksichtigung vorsehen.189 Vertragliche Anpassungsregeln können insbesondere auch implizit im
Vertrag enthalten sein. Beispielsweise kommt bei Verträgen mit spekulativem Charakter
eine Anpassung kaum in Frage.190
121 5. Schliesslich muss es sich beim anzupassenden Vertrag um einen auf gewisse Zeit
angelegten Vertrag handeln, damit sich die Verhältnisse nach Vertragsschluss überhaupt ändern können.191 Darüber hinaus spricht die lange Dauer eines Vertrages aber
weder speziell für eine Anpassung (weil nicht alle Veränderungen vorausgesehen werden können) noch speziell dagegen (weil man bei langen Verträgen mit Veränderungen
rechnen muss192). Die Anwendung der clausula rebus sic stantibus kommt in der Regel
nur in Frage, wenn der Vertrag nicht vorbehaltlos vollständig erfüllt wurde.193
2. Rechtsfolgen der clausula rebus sic stantibus
122 Sind die Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus erfüllt, ist der Vertrag umzugestalten, dass er den veränderten Verhältnissen entspricht.194 In erster Linie ist dabei
auf vertragliche Anpassungsregeln abzustellen, in zweiter Linie auf dispositives Gesetzesrecht (vgl. Nr. 120) und in dritter Linie auf den hypothetischen Parteiwillen:195 Zu
ermitteln ist, was die Parteien nach Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den
eingetretenen Verlauf der Dinge in Betracht gezogen hätten.196 Dem Richter steht bei
der Bestimmung der angemessenen Anpassungsfolge ein gewisser Ermessensspielraum
zu.197 Bei Leistungserschwerung kann der Richter den Vertrag auflösen198 oder die
188 Nw. hinten in Anm. 400.
189 Vgl. statt aller BISCHOFF, S. 229; WIEGAND, BasK, N 108 ff. zu Art. 18 OR; ausführlich
KRAMER, BerK, N 276 ff. zu Art. 18 OR.
190 BAUMANN, ZürK, N 455 zu Art. 2 ZGB; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 588 zu Art. 18 OR; KRAMER,
BerK, N 293 und 339 zu Art. 18 OR; WIEGAND, BasK, N 103 a. E. zu Art. 18 OR, der spekulative Verträge wegen der Voraussehbarkeit der Änderungen von der Vertragsanpassung ausschliesst; ebenso MERZ, BerK, N 226 zu Art. 2 ZGB; kritisch BÜHLER, clausula, S. 39.
191 MERZ, BerK, N 224 zu Art. 2 ZGB; WIEGAND, BasK, N 100 zu Art. 18 OR.
192 BGE 127 III 305 f.; BGE 100 II 348 f.
193 BGE 127 III 304 f.; BAUMANN, ZürK, N 455 zu Art. 2 ZGB; BISCHOFF, S. 219 f.; DESCHENAUX,
SPR II, S. 202, m. Hw. auf die Rechtsprechung; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 675 zu Art. 18 OR;
KRAMER, BerK, N 345 zu Art. 18 OR; MERZ, BerK, N 225 zu Art. 2 ZGB.
194 WIEGAND, BasK, N 98 zu Art. 18 OR.
195 BGE 127 III 307; WIEGAND, BasK, N 118 zu Art. 18 OR.
196 BGE 127 III 307; BÜHLER, clausula, S. 52.
197 BGE 127 III 307.
45
vertraglichen Leistungspflichten modifizieren, beispielsweise den Anspruch auf Realerfüllung ermässigen199 oder auf Schadenersatz, allenfalls reduziert nach Art. 99 Abs. 3
i. V. m. Art. 43 OR,200 erkennen, eventuell in Ergänzung zum ermässigten Realerfüllungsanspruch, ohne an die Voraussetzung des Verschuldens gebunden zu sein.201 Weil
der Richter den Vertrag nach seinem Ermessen anpasst und weil Gerichtsentscheide
hierzu weitgehend fehlen, kann nichts Genaueres darüber gesagt werden, wie der
Vertrag bei Leistungserschwerung angepasst würde.
IV. Art. 373 Abs. 2 OR
123 Eine Bestimmung, welche ausdrücklich auf die Leistungserschwerung Anwendung
findet, ist Art. 373 Abs. 2 OR. Diese Bestimmung betrifft den Fall, dass die Parteien
eines Werkvertrages eine „zum voraus genau bestimmte“ Vergütung für die Werkerstellung, d. h. einen Festpreis vereinbart haben.202 Gemäss Art. 373 Abs. 2 OR kann
der Richter nach seinem Ermessen den Werkpreis erhöhen oder den Werkvertrag auflösen, wenn ausserordentliche Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten
oder die nach den von beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen waren, die Fertigstellung des Werkes hindern oder übermässig erschweren.
Es handelt sich bei dieser Bestimmung auch um einen Anwendungsfall der clausula
rebus sic stantibus,203 aber nicht nur, weil Art. 373 Abs. 2 OR auch auf Umstände Anwendung findet, die bereits bei Vertragsschluss bestanden haben, für den Unternehmer
aber erst nach Abschluss des Vertrages zutage treten.204
124 Art. 373 Abs. 2 OR setzt voraus, dass der Mehraufwand (infolge ausserordentlicher
Umstände) zu einem krassen Missverhältnis zwischen der Leistung des Unternehmers
und der Vergütung des Bestellers,205 d. h. zu einer gravierenden Äquivalenzstörung
(Nr. 116) führt, so dass dem Unternehmer die Werkausführung zu den offerierten
Preisen unzumutbar ist.206 Sodann müssen die eingetretenen Umstände gemäss dem
198
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46
BGE 127 III 307; WIEGAND, BasK, N 98 und 118 zu Art. 18 OR.
MERZ, BerK, N 253 zu Art. 2 ZGB.
Nw. hinten in Anm. 660 f.
Nw. hinten in Anm. 675.
Vgl. zum Anwendungsbereich und möglichen Analogien statt vieler GAUCH, Werkvertrag, Nr.
1044 ff. und 1142 ff.
BGE 104 II 315; WIEGAND/BERGER, S. 83; BÜHLER, ZürK, N 20 zu Art. 373 OR; ENGEL, BT,
Nr. 90 S. 458.
GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1071; ERDIN, Nr. 90 f.; vgl. z. B. BGE 109 II 335; BGE 58 II 421;
BGE 52 II 437.
BGE 104 II 317; BGer, Semjud 115 (1993), S. 656; a. A. ERDIN, Nr. 237 ff.: entscheidend sei das
Verhältnis zwischen den infolge der ausserordentlichen Ereignisse entstandenen Kosten und den
bei Vertragsschluss kalkulierten Kosten.
BGE 113 II 516 = Pra 78 (1989) Nr. 17, S. 82. Vgl. auch BGE 58 II 423: „nur ganz besonders
schwerwiegende Ausnahmeverhältnisse”.
Gesetzeswortlaut nicht voraussehbar (ausführlich dazu Nr. 282 ff.) oder nach den von
beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen207 gewesen sein.
Schliesslich darf der Schuldner die eingetretenen Umstände nicht verschuldet oder
sonst zu vertreten haben (Nr. 269 ff.).208 Ausdrückliche abweichende vertragliche Vereinbarungen gehen Art. 373 Abs. 2 OR – unter Vorbehalt von Art. 27 ZGB – vor.209
125 Sind die Voraussetzungen von Art. 373 Abs. 2 OR erfüllt, kann der Richter nach seinem Ermessen die Gegenleistung erhöhen oder den Vertrag auflösen. Genaueres dazu
hinten Nr. 254 ff. Die Rechtsnatur von Art. 373 Abs. 2 OR ist umstritten. Nach dem
Wortlaut bedarf die Preiserhöhung bzw. die Vertragsauflösung der Bewilligung des
Richters. In BGE 48 II 125 vertrat das Bundesgericht jedoch die Auffassung, der
Unternehmer könne den Vertrag durch aussergerichtliche Erklärung auflösen.210 Die
Lehre ist dem Bundesgericht gefolgt,211 doch scheint sich neuerdings die andere am
Wortlaut orientierte Lehrmeinung durchzusetzen, welche Art. 373 Abs. 2 OR als
Gestaltungsklagerecht auffasst.212
V. Ausserordentliche Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund
1. Vorkommen
126 Das Gesetz gibt den Parteien eines Dauerschuldvertrages an verschiedener Stelle das
Recht, den Vertrag aus wichtigen Gründen vorzeitig aufzulösen. Die Voraussetzungen
dieser ausserordentlichen Vertragsbeendigungsrechte werden im Gesetz teilweise allgemein umschrieben: So besteht ein ausserordentliches Beendigungsrecht im Arbeitsvertrag, Agenturvertrag und bei der einfachen Gesellschaft „[a]us wichtigen Gründen“
(Art. 337 Abs. 1 OR, Art. 418r Abs. 1 OR, Art. 545 Abs. 2 OR), bei Miete und Pacht
„[a]us wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung ... unzumutbar machen“ (Art.
266g Abs. 1 OR, Art. 297 Abs. 1 OR), und schliesslich bei der Verpfründung, wenn
„...wichtige Gründe ... [die] Fortsetzung [des Pfrundverhältnisses] übermässig erschweren oder unmöglich machen“ (Art. 527 Abs. 1 OR).
207 Vgl. BGE 58 II 422 f.
208 Nw. in Anm. 389.
209 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1128 ff.; HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 6 zu Art. 373 OR;
ZINDEL/PULVER, BasK, N 34 ff. zu Art. 373 OR; ERDIN, Nr. 455 ff.
210 BGE 48 II 125 = Pra 11 (1922) Nr. 67, S. 174 f.
211 GAUTSCHI, BerK, N 13b zu Art. 373 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 16 zu Art. 373 OR;
BECKER, BerK, N 10 zu Art. 373 OR; ENGEL, BT, Nr. 90 S. 459; TERCIER, BT, Nr. 3698.
212 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1122 ff.; ERDIN, Nr. 377 ff., m. w. Hw.; ZINDEL/PULVER, BasK, N 32
zu Art. 373 OR; GEHRER, Melanges Assista, S. 179; BÜHLER, ZürK, N 39 zu Art. 373 OR; vgl.
auch BGE 104 II 315.
47
127 Daneben gibt es zahlreiche Bestimmungen, welche die ausserordentliche Vertragsbeendigung in besonders umschriebenen Fällen zulassen:
128 Zu denken ist beispielsweise an das Rücktrittsrecht bei Zahlungsunfähigkeit der Gegenpartei nach
Art. 83 OR, das Rücktrittsrecht des Darleihers bei Zahlungsunfähigkeit des Darlehensnehmers
(Art. 316 OR), das fristlose Kündigungsrecht des Arbeitnehmers bei Zahlungsunfähigkeit des
Arbeitgebers (Art. 337a OR) oder das Rücktrittsrecht des Bürgen bei wesentlich verschlechterten
Vermögensverhältnissen des Hauptschuldners (Art. 510 OR), ferner an das vorzeitige Rückgaberecht des Aufbewahrers bei unvorhergesehenen Umständen (Art. 476 Abs. 1 OR) und das vorzeitige Rückforderungsrecht des Verleihers bei dringendem Eigenbedarf (Art. 309 Abs. 2 OR). Bei
der Verpfründung können beide Parteien vom Vertrage zurücktreten, wenn zwischen den Leistungen der Parteien ein erhebliches Missverhältnis entstanden ist (Art. 526 OR). Der Schenker kann
schliesslich das Schenkungsversprechen und sogar die vollzogene Schenkung aus verschiedenen
Gründen wiederrufen (Art. 249 und 250 OR). Daneben bestehen zahlreiche andere Bestimmungen, welche besondere Kündigungsrechte vorsehen, z. B. im Mietrecht (Art. 266h, 257d, 257f und
259b lit. a OR).213 Auf manche der genannten Bestimmungen wird zurückzukommen sein.
129 Die Lehre und Rechtsprechung leitet aus diesen Bestimmungen den allgemeinen
Grundsatz ab, dass alle Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund ausserordentlich beendet werden können (sofern dies vom Gesetz nicht ausdrücklich oder stillschweigend ausgeschlossen wird).214 Eine ausserordentliche Beendigung aus wichtigem Grund ist in der Regel zulässig, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses
bis zum nächsten ordentlichen Beendigungstermin der einen Partei nach Treu und
Glauben nicht mehr zumutbar ist.215
130 Dogmatisch handelt es sich bei diesen ausserordentlichen Beendigungsrechten um ausserordentliche Kündigungsrechte216 bzw. – im Falle von Art. 316 OR und Art. 527 OR
– um ausserordentliche Rücktrittsrechte.217 Bei Art. 545 Abs. 2 OR liegt ein Gestaltungsklagerecht vor.218 In der Lehre werden die ausserordentlichen Beendigungsrechte
zuweilen als Anwendungsfälle der clausula rebus sic stantibus bezeichnet.219
213 Diese gehen als leges speciales Art. 266g OR vor, vgl. HIGI, ZürK, N 13 zu Art. 266g OR;
PERMANN/SCHANER, N 2 zu Art. 266g OR; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 4 zu Art. 266g OR,
m. Hw. auf abweichende Auffassungen.
214 GAUCH, Dauervertrag, S. 194 f.; WIEGAND/BERGER, S. 92; KRAMER, BerK, N 163 f. der Allgemeinen Einl. in das schweizerische OR; BGE 122 III 265; unveröffentlichter BGE vom 4. Juli
1995 (4C.412/1994), zit. in Peter MÜNCH, Auflösung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund,
ZBJV 131 (1995), S. 601.
215 Vgl. z. B. REHBINDER, BasK, N 1 zu Art. 337 OR; WETTENSCHWILER, BasK, N 4 zu Art. 418r
OR; BAUER, BasK, N 1 zu Art. 527 OR.
216 VON TUHR/ESCHER, § 74 IV 4, S. 167 f.; WETTENSCHWILER, BasK, N 1 zu Art. 418r OR.
217 GAUCH, Dauervertrag, S. 100; SCHÄRER, BasK, N 7 zu Art. 316 OR; BAUER, BasK, N 1 zu Art.
527 OR; BREITSCHMID, HandK, N 1 zu Art. 527 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 1 zu Art.
527 OR; SCHAETZLE, BerK, N 1 zu Art. 527 OR.
218 Kritisch GAUCH, Dauervertrag, S. 191 ff.
219 HIGI, ZürK, N 6 zu Art. 266g OR; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 1 zu Art. 266g OR; WIEGAND,
BasK, N 97 zu Art. 18 OR; WIEGAND/BERGER, S. 92; i. gl. S. auch Pra 84 (1995) Nr. 142, S.
48
2. Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Allgemeinen
131 Die ausserordentlichen Beendigungsrechte setzen regelmässig einen wichtigen Grund
voraus, der – wie gesagt – im Gesetz allgemein oder speziell umschrieben sein
kann.220 Entsprechend unterschiedlich sind die Voraussetzungen an diesen Beendigungsgrund. Daneben bestehen weitere Unterschiede bei den Voraussetzungen:
132 –
Teilweise wird vorausgesetzt, dass der wichtige Grund auf einem unvorhergesehenen Ereignis beruht. Dies gilt nach dem Gesetzeswortlaut für Art. 476 Abs. 2 OR
und Art. 309 Abs. 2 OR sowie gemäss der Lehre und Rechtsprechung bei Art.
266g OR.221
133 –
Sodann setzt die Lehre und Rechtsprechung bei Art. 266g OR voraus, dass den
Kündigenden kein Selbstverschulden trifft, er die Umstände, welche zur Unzumutbarkeit des Vertrags geführt haben, weder vorsätzlich noch fahrlässig verschuldet
hat.222
134 Die Rechtsfolgen richten sich ebenfalls nach der jeweilig anwendbaren Bestimmung.
Der Vertrag kann durch einseitige, empfangsbedürftige (Gestaltungs-)Erklärung gekündigt bzw. durch Rücktritt aufgelöst werden. Die vermögensrechtlichen Folgen
bestimmt der Richter gemäss Art. 266g Abs. 2 OR und Art. 337b Abs. 2 OR unter
Würdigung aller Umstände. Als solche kommen insbesondere ein Verschulden oder
eine andere Verantwortung (Art. 101 und 103 OR) einer Vertragspartei in Frage.
Gegebenenfalls schuldet die verantwortliche Partei grundsätzlich „vollen Schadenersatz“ (Art. 337b Abs. 1 OR);223 ausnahmsweise mag anderes gelten. Unter „vollem
Schadenersatz“ ist das positive Vertragsinteresse im Sinne von Art. 97 ff. OR zu verstehen, welches nach den Bestimmungen von Art. 99 OR in Verbindung mit Art. 43
und 44 OR zu bemessen ist.224 Insbesondere bei Verwendungserschwerung oder
-unmöglichkeit (Nr. 28 ff.) kommt deshalb eine Herabsetzung des Schadenersatzes in
Frage.225
461; a. A. wohl PERMANN/SCHANER, N 3 zu Art. 266g OR.
220 Auch wenn das Gesetz zuweilen von „wichtigen Gründen“ (im Plural) spricht, so genügt doch regelmässig das Vorliegen eines wichtigen Grundes, vgl. HIGI, ZürK, N 29 zu Art. 266g OR.
221 Nw. hinten in Anm. 401.
222 Nw. hinten in Anm. 390.
223 Vgl. WETTENSCHWILER, BasK, N 7 zu Art. 418r OR.
224 BGE 61 II 261 ff.; BGE 46 II 173; Botsch. zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März
1985, BBl 1985 I , S. 1451.
225 Vgl. die in Anm. 224 zit. BGE.
49
3. Leistungserschwerung als wichtiger Grund?
135 Im Folgenden interessiert vor allem die Frage, ob die Leistungserschwerung den
Schuldner zur Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund berechtigt.
136 –
Ausdrücklich ist einzig in Art. 527 Abs. 1 OR von „übermässiger Erschwerung“
die Rede und zwar von der übermässigen Erschwerung der Fortsetzung des
Pfrundverhältnisses. In der Praxis stehen aber nicht eigentliche Leistungserschwerungstatbestände im Vordergrund, sondern einerseits Vertragsverletzungen der
Gegenpartei (z. B. ungenügende Verpflegung,226 Bedrohung oder Misshandlung227) und andererseits persönliche Umstände wie die völlige Unverträglichkeit
der Charaktere des Pfründers und eines Hausgenossen,228 also Leistungserschwerungen durch nicht materielle Nachteile (Nr. 25 f.).229
137 –
Im Hinterlegungsvertrag kann der Aufbewahrer die Sache vorzeitig zurückgeben,
„wenn unvorhergesehene Umstände ihn ausserstand setzen, die Sache länger mit
Sicherheit oder ohne eigenen Nachteil aufzubewahren“ (Art. 476 Abs. 1 OR). Darunter fallen auch eigentliche Leistungserschwerungstatbestände, zum Beispiel
wenn von der hinterlegten Sache eine besondere Gefahr ausgeht oder bei Kündigung oder Beschädigung der Räumlichkeiten, in welchen die Sache aufbewahrt
wird.230 Die Lehre mahnt aber bei der entgeltlichen Hinterlegung zu Recht zur
Zurückhaltung bei der Anwendung von Art. 476 Abs. 1 OR.231
138 –
Art. 309 Abs. 2 OR und Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR regeln schliesslich spezielle
Fälle der unechten Leistungserschwerung, genauer der Steigerung des Werts der
Leistung (Nr. 17 ff.). Der Verleiher kann die Sache vorzeitig zurückfordern, wenn
er selbst wegen eines unvorhergesehenen Falles der Sache dringend bedarf (Nr.
21 f.). Der Schenker kann das Schenkungsversprechen widerrufen, wenn sich
seine Vermögensverhältnisse seit dem Versprechen so geändert haben, dass die
Schenkung ihn ausserordentlich schwer belasten würde (Nr. 23 f.).
226
227
228
229
BGE 79 II 170.
BGE 54 II 384 f.; BAUER, BasK, N 1 zu Art. 527 OR; SCHAETZLE, BerK, N 2 zu Art. 527 OR.
OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 zu Art. 527 OR; SCHAETZLE, BerK, N 2 zu Art. 527 OR.
Art. 526 OR bezieht sich hingegen gemäss der herrschenden Lehre nur auf die anfängliche Leistungsinäquivalenz (vgl. SCHAETZLE, BerK, N 7 zu Art. 526 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK,
N 5 zu Art. 526 OR; GAUCH, Dauervertrag, S. 198 Anm. 3; wohl auch BREITSCHMID, HandK, N
1 zu Art. 526 OR), so dass sich der Schuldner nicht auf Art. 526 Abs. 1 OR berufen kann, wenn
eine nachträgliche Leistungserschwerung zu einem erheblichen Missverhältnis zwischen den
Leistungen führt.
230 Thomas KOLLER, BasK, N 6 f. zu Art. 476 OR.
231 Vgl. Thomas KOLLER, BasK, N 6 zu Art. 476 OR; VON BALLMOOS, HandK, N 2 zu Art. 476 OR;
OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 1 zu Art. 476 OR.
50
139 Neben diesen gesetzlich speziell geregelten Fällen können allgemein umschriebene
ausserordentliche Beendigungsrechte (z. B. Art. 266g OR und Art. 337 OR) bei
Leistungserschwerung Anwendung finden. Im Vordergrund stehen aber auch bei
diesen gemäss der Lehre und Rechtsprechung andere Sachverhalte als Leistungserschwerungstatbestände, namentlich Vertragsverletzungen der Gegenpartei232 und
andere Unregelmässigkeiten der Gegenpartei bei der Vertragserfüllung. Da Dauerverträge oftmals ein persönliches Zusammenwirken und gegenseitiges Vertrauen der Parteien voraussetzen, kommen als wichtige Gründe insbesondere auch Veränderungen
der persönlichen Beziehung der Vertragspartner in Frage,233 beispielsweise infolge
Feindschaft, wiederholten Reibereien oder Provokationen234 (Leistungserschwerung
durch nicht materielle Nachteile, Nr. 25 f.). Häufige Anwendung finden sie auch auf
die Verwendungserschwerung (Nr. 28 ff.). Typisches Beispiel ist, dass der Mieter die
Mietsache nicht mehr wie ursprünglich geplant gebrauchen kann.235
140 Hingegen finden sich in der Rechtsprechung und Literatur nur vereinzelte Fälle, bei
welchen Art. 266g und 337 OR oder andere allgemein umschriebene ausserordentliche
Beendigungsrechte auf eigentliche Leistungserschwerungen im hier verstandenen Sinne (Nr. 13 f.) angewendet wurden.236 Dies lässt sich zum Teil damit erklären, dass der
Schuldner bei eigentlichen Leistungserschwerungen oftmals aufgrund anderer Gesetzesbestimmungen oder Rechtsgrundsätze befreit wird, so dass er sich nicht auf ein ausserordentliches Beendigungsrecht zu berufen braucht.237
232 SVIT-Kommentar Mietrecht, N 16 zu Art. 266g OR; PERMANN, HandK, N 6 zu Art. 266g OR;
PERMANN/SCHANER, N 8 zu Art. 266g OR; REHBINDER, BasK, N 1 zu Art. 337 OR; WETTENSCHWILER, BasK, N 4 f. zu Art. 418r OR; BAUER, BasK, N 1 zu Art. 527 OR; illustrativ BezGer
Pfäffikon, SJZ 62 (1966) Nr. 8, S. 14: Eigenmächtiges Installieren einer Waschmaschine durch
den Mieter berechtigt nicht zur Vertragsauflösung.
233 PERMANN, HandK, N 3 zu Art. 266g OR; PERMANN/SCHANER, N 5 zu Art. 266g OR; WIDMER,
S. 55 f.; WIEGAND/BERGER, S. 92.
234 Vgl. SVIT-Kommentar Mietrecht, N 13 und 15 zu Art. 266g OR; BGE 113 II 37.
235 BGE 60 II 205 und BGE 61 II 259: Umsatzeinbussen des Mieters infolge Wirtschaftskrise; BGE
46 II 168: Geschäftsaufgabe infolge Ausbruchs des Krieges; BGE 15, 291 f.: Tod eines Mitmieters; Pra 84 (1995) Nr. 142, S. 460 und BGE 63 II 79: Wechsel des Arbeitsorts (in beiden Entscheiden jedoch abgelehnt, da i. c. voraussehbar); ferner z. B. wegen Krankheit, Unfall, etc.; vgl.
PERMANN/SCHANER, N 7 zu Art. 266g OR.
236 Vgl. z. B. den BGE 122 III 262 zugrunde liegenden Sachverhalt: Unverschuldeter Geldmangel infolge Nichtzahlung der Unterhaltsrente durch den geschiedenen Mann.
237 Ein weiteres Beispiel aus dem Mietrecht: Die Pflicht des Vermieters, die Mietsache in gebrauchstauglichem Zustand zu erhalten (Art. 256 Abs. 1 OR) kann erschwert werden, wenn die Mietsache nachträglich Schaden nimmt. Der Vermieter muss die Mietsache in diesem Falle reparieren.
Die Lehre geht jedoch davon aus, dass der Vermieter nur soweit zur Reparatur verpflichtet ist, als
ihm dies zumutbar ist. Vgl. SVIT-Kommentar Mietrecht, N 9 zu Art. 259b OR; HIGI, ZürK, N 11
zu Art. 259b OR; Martin ZÜST, Die Mängelrechte des Mieters von Wohn- und Geschäftsräumen,
Diss. St. Gallen 1992, Nr. 251. Soweit die Reparatur nicht zumutbar ist, entfällt die Pflicht des
Vermieters zum Erhalt der Mietsache in gebrauchstauglichem Zustand. Der Vermieter muss sich
deshalb nicht auf Art. 266g OR berufen.
51
141 Das gilt zum Beispiel im Arbeitsrecht: Der Arbeitnehmer ist bei „Verhinderung an der Arbeitsleistung“ ohnehin – vorübergehend – von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit;
dies geht implizit aus Art. 324a OR hervor. Der Arbeitnehmer braucht sich demnach nicht auf Art.
337 Abs. 1 OR zu berufen.238
142 Zusammenfassend kann eine Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne zwar
theoretisch einen wichtigen Grund darstellen, welcher den Schuldner zur ausserordentlichen Vertragsbeendigung berechtigt. In der Rechtsprechung bilden jedoch solche
Fälle seltene Ausnahmen.
VI. Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte
143 Schliesslich fragt sich, ob sich der Schuldner bei nachträglicher Leistungserschwerung
allenfalls auf Grundlagenirrtum (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR) berufen kann, d. h. ob der
Schuldner geltend machen kann, er sei bei Vertragsschluss davon ausgegangen, dass das
eingetretene Leistungshindernis nicht eintrete, und er habe sich damit über einen – im
Zeitpunkt des Vertragsschlusses betrachtet – zukünftigen Sachverhalt geirrt.
144 Inwiefern sich die Vertragsparteien auf Irrtum über Sachverhalte berufen können,
welche erst nach dem Vertragsschluss eintreten (sog. Irrtum über zukünftige Sachverhalte), ist in der Lehre umstritten. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist nicht einheitlich: Obwohl das Bundesgericht die Berufung auf Grundlagenirrtum über zukünftige
Sachverhalte vereinzelt abgelehnt hat,239 liess es diese in anderen Entscheiden zu, wenn
sich der Irrtum auf einen bestimmten, voraussehbaren Sachverhalt bezieht.240 Gemäss
der neueren Rechtsprechung ist ein Irrtum zu beachten, wenn er sich auf Tatsachen
bezieht, deren Verwirklichung beide Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrages als
sicher angesehen haben.241 „Blosse Hoffnungen, übertriebene Erwartungen oder gar
Spekulationen ... reichen dafür von vorneherein nicht aus“.242 Genauer genügt es, „wenn
zwar nur die sich auf den Irrtum berufende Partei fälschlicherweise annahm, ein
zukünftiges Ereignis sei sicher, aber auch die Gegenpartei nach Treu und Glauben im
Geschäftsverkehr hätte erkennen müssen, dass die Sicherheit für die andere Partei
Vertragsvoraussetzung war“.243 Die Lehre ist geteilt.244 Die ablehnende Haltung245 wird
238 Im Gegenteil: Die Kündigung aus wichtigem Grund durch den Arbeitgeber wird in Art. 337 Abs.
3 OR für den Fall der unverschuldete Verhinderung des Arbeitnehmers sogar explizit ausgeschlossen. Vgl. BGE 126 III 80 = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 715.
239 BGE 107 II 150 a. E.; BGE 66 I 312 f.; BGE 47 II 315 f.; BGE 45 II 322; Pra 22 (1933) Nr. 174,
S. 465 Erw. 1 (in BGE 59 II 372 ff. nicht abgedruckt); vgl. ferner das dictum in BGE 91 II 280.
240 BGE 48 II 238 ff.; BGE 49 II 493 ff., i. c. verneint; BGE 55 II 188 f.; BGE 95 II 409, i. c. verneint; offengelassen in BGE 98 II 18 f.; vgl. ferner BGE 79 II 275.
241 BGE 109 II 110; BGE 95 II 409; ähnlich BGE 48 II 239 f.; differenzierend BGE 117 II 224; BGE
118 II 300.
242 BGE 109 II 111; BGE 107 II 347.
243 BGE 118 II 300.
52
nicht zuletzt damit begründet, dass die Anfechtbarkeit als Rechtsfolge des Grundlagenirrtums (der Vertrag fällt ex tunc dahin) bei zukünftigen Sachverhalten nicht passt.246,247
145 Die vom Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt des Grundlagenirrtums über zukünftige Sachverhalte geprüften Fälle betrafen – mit zwei Ausnahmen – freilich keine eigentlichen Leistungserschwerungstatbestände. Häufig sind Fälle, bei welchen sich ein
Grundstückkäufer über die Erteilung einer Baubewilligung,248 einer Subvention,249 des
Wirtschaftspatents,250 oder über ein Bauverbot251 irrte, wodurch die Verwendung des
gekauften Grundstückes eingeschränkt und damit der Wert des Grundstücks beeinträchtigt wurde.252 Diese Fälle müssen demnach als Verwendungserschwerungstatbestände
aufgefasst werden.
146 Die erwähnten Ausnahmen betrafen folgende Entscheide: In BGE 45 II 317 - 322 (Nr.
48) aus dem Jahre 1919 machte der Schuldner – soweit aus dem Entscheid ersichtlich –
geltend, er habe angenommen, dass er die versprochene Ware (15 Fass Montagner) trotz
des Krieges in der vorgesehenen Zeit beschaffen könne, was aber nur zu erhöhten
Preisen möglich war. Im Ergebnis beruft sich der Schuldner auf den Irrtum über die
Beschaffungsmöglichkeit und damit über die für die Erfüllung nötigen Erfüllungsan244 Zustimmend ADAMS, recht 1986, S. 14 ff. (mit informationsökonomischer Begründung);
BUCHER, OR AT, S. 204 ff.; BÜHLER, clausula, S. 46; ENGEL, AT, Nr. 69 S. 328; GUHL/KOLLER,
§ 16 N 16 f.; KELLER/SCHÖBI, I, S. 169 f.; Ulrich KNOEPFEL-KUNZ, Willensbildung, Beeinflussung und Vertragsschluss, Diss. Zürich, Bern/Stuttgart 1989, S. 268 ff.; KLAUSBERGER, Die
Willensmängel im schweizerischen Vertragsrecht, Diss. Zürich 1989, S. 59 ff.; KRAMER, BerK,
N 302 ff. zu Art. 18 OR; SCHWENZER, BasK, N 19 zu Art. 24 OR; SCHMIDLIN, BerK, N 192 ff.
zu Art. 23/24 OR; Bruno SCHMIDLIN, Der Irrtum über zukünftige Sachverhalte nach Art. 24 Abs.
1 Ziff. 4 OR: Fehldiagnose und Fehlprognose, AJP 1992, S. 1386 ff.; Bruno SCHMIDLIN/Rudolf
MEYER-PRITZL, Interessenabwägung bei der Irrtumsanfechtung und Irrtum über zukünftige
Sachverhalte, recht 1997, S. 259 f.; SCHWENZER, Nr. 37.33; VON TUHR/ESCHER, § 84 I, S. 256;
VON TUHR/PETER, § 37 V 2, S. 313 Anm. 44; WIEGAND/BERGER, S. 80.
245 KOLLER, OR AT I, Nr. 1113 ff.; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 421a; JÄGGI/GAUCH, ZürK,
N 610 ff. zu Art. 18 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 801; SCHÖNLE, faits futures, S. 329;
MERZ, BerK, N 194 zu Art. 2 ZGB; REHBINDER, BerK, N 33 zu Art. 320 OR; TERCIER, clausula,
JdT 127 (1979) I, S. 199 f.; BISCHOFF, S. 144; KOLLY, Nr. 314 ff. und 444.
246 JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 610 zu Art. 18 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 801; KOLLER, OR
AT I, Nr. 1114.
247 Nicht zu überzeugen vermag das begriffliche Argument, dass es einen Irrtum über die naturgemäss unsichere Zukunft nicht geben kann. Vgl. Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 465 Erw. 1 (in BGE 59
II 372 ff. nicht abgedruckt); JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 610 zu Art. 18 OR.
248 BGE 95 II 407, i. c. Grundlagenirrtum verneint; vgl. auch BGE 107 II 347; OGer BL, BJM 2000,
S. 193 = BR 2001 Nr. 256, S. 77.
249 BGE 48 II 241.
250 BGE 55 II 184.
251 BGE 98 II 15. Das BGer nahm hier an, der Käufer habe sich über die Lawinengefahr geirrt, die
schon bei Vertragsschluss bestand, also über einen gegenwärtigen Sachverhalt.
252 Vgl. ferner BGE vom 22. November 1979, publiziert in BUNDESAMT FÜR PRIVATVERSICHERUNGSWESEN (Hrsg.), Entscheidungen schweizerischer Gerichte in privaten Versicherungsstreitigkeiten, Vierzehnte Sammlung (1974-1981), Bern 1984, Nr. 101, S. 482 ff., betr. Irrtum
über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Darlehenszinsen.
53
strengungen. Das Bundesgericht hat diesen Irrtum kurzerhand als unwesentlich bezeichnet.253 In BGE 47 II 314 - 319 (Nr. 54) aus dem Jahre 1921 schliesslich berief sich der
Vermieter der Parterre- und Souterrainräumlichkeiten im sog. Kaspar-Escher-Haus in
Zürich wegen in nicht voraussehbarer Weise gestiegenen Heizungskosten (unter anderem) auf Grundlagenirrtum. Das Bundesgericht lehnte die Berufung auf Irrtum ebenfalls
ab.254
VII. Zusammenfassung
147 Stark zusammengefasst kann damit Folgendes festgehalten werden: Gemäss der Unzumutbarkeitstheorie, der auch das Bundesgericht zu folgen scheint, fällt die eigentliche
Leistungserschwerung unter die Unmöglichkeitsregeln (Art. 97 und 119 OR), sofern die
Erbringung der Leistung Erfüllungsanstrengungen erfordert, welche dem Schuldner
unzumutbar sind (Nr. 49 und 58 ff.). Gemäss der Clausula-Theorie ist dies nicht der
Fall. Der Schuldner kann sich gemäss dieser Lehrmeinung deshalb grundsätzlich nur
über die clausula rebus sic stantibus befreien, wenn die Leistungserschwerung zu einer
gravierenden Äquivalenzstörung führt (Nr. 65 ff. und 116 f.). Zu einem ähnlichen Resultat führt die (neuere) Verzugstheorie (Nr. 81 ff.): Diese schliesst die so genannte subjektive Unmöglichkeit (und damit viele Fälle der Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne) vom Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen aus.
148 Daneben finden Leistungserschwerungstatbestände punktuelle Berücksichtigung, allem
voran im grundlegenden Art. 373 Abs. 2 OR, ferner beispielsweise in Art. 527 Abs. 1
OR und Art. 476 Abs. 1 OR. Hingegen fehlen Urteile nahezu vollständig, gemäss welchen sich der Schuldner bei Leistungserschwerung erfolgreich auf ein Recht zur ausserordentlichen Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund oder auf Grundlagenirrtum über
zukünftige Sachverhalte berufen hat.
149 Schliesslich finden sich im Gesetz zwei Bestimmungen betreffend atypische Leistungserschwerungen, einerseits bei der Leihe Art. 309 Abs. 2 OR (dringender Eigenbedarf)
und andererseits bei der Schenkung Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR (Verschlechterung der
Vermögenslage).
253 BGE 45 II 322.
254 BGE 47 II 315 f.
54
§ 3 Kritik
I.
Allgemeines
150 Die Analyse der Lösungsansätze der Lehre und Rechtsprechung (vgl. § 2) ergibt kein
einheitliches Bild: Es werden verschiedene Bestimmungen und Rechtsgrundsätze auf
die Leistungserschwerung angewendet, welche sich sowohl in den Voraussetzungen
wie auch in den Rechtsfolgen massgeblich unterscheiden. In diesem Kapitel soll auf
gewisse Vorzüge und Nachteile der verschiedenen Lösungsansätze hingewiesen werden. Erwähnung finden dabei nur die wichtigsten Vor- und Nachteile, welche die Eignung der herangezogenen Bestimmungen und Rechtsgrundsätze zur Regelung der
Leistungserschwerung betreffen.
151 Weitere Kritikpunkte finden sich an verschiedenen Stellen im Text. Namentlich werden die
Voraussetzungen der fehlenden Verantwortung und der fehlenden Voraussehbarkeit, welche bei
der clausula rebus sic stantibus, gewissen ausserordentlichen Beendigungsrechten und Art. 373
Abs. 2 OR gelten, in Nr. 269 ff. bzw. Nr. 282 ff. eingehender kritisiert. Zu Art. 373 Abs. 2 OR
vgl. ferner Nr. 254 ff. Betreffend die Theorie vom Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte wird auf die in Nr. 144 a. E. erwähnte Kritik und die dazu zitierte Literatur verwiesen. Bereits
einleitend wurde gesagt, dass sich die klassische Zweiteilung der Leistungshindernisse in anfängliche und nachträgliche Leistungshindernisse wertungsmässig nur ungenügend rechtfertigen lässt
(Nr. 10 f.).255 Auch darauf wird im Folgenden nicht mehr eingegangen.
II. Clausula-Theorie
152 Gemäss der Clausula-Theorie fallen Leistungserschwerungen nicht in den Anwendungsbereich von Art. 97 und 119 OR, doch können sie – bei gegebenen Voraussetzungen – zur Anpassung des Vertrages nach der clausula rebus sic stantibus führen.
Eine Vertragsanpassung setzt unter anderem das Vorliegen einer gravierenden Äquivalenzstörung voraus, d. h. dass infolge der Leistungserschwerung ein grosses, offenbares, übermässiges Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung eingetreten ist (Nr. 116 f.). Entscheidend für die Vertragsanpassung ist gemäss der Clausula-Theorie damit die Höhe der Erfüllungsanstrengungen im Verhältnis zum
Wert der Gegenleistung. Beurteilungsmassstab bildet der hypothetische Parteiwillen
und Treu und Glauben.
153 Dieses Kriterium der Leistungsäquivalenz (Verhältnis der Erfüllungsanstrengungen
zum Wert der Gegenleistung) ist offensichtlich auf die Beurteilung von Äquivalenzstö255 Art. 373 Abs. 2 OR fasst denn auch sowohl nachträgliche wie auch anfängliche Leistungserschwerungen in einer Bestimmung zusammen. Vgl. Nr. 123 a. E.
55
rungen zugeschnitten. Es passt bei Verwendungserschwerung oder bei Entwertung der
Leistung (vgl. Nr. 40). Bei Leistungserschwerungen steht jedoch – wie gesagt – das
Erfüllungsproblem im Vordergrund: Es fragt sich, welchen Erfüllungsaufwand der
Schuldner – unabhängig von der Höhe der Gegenleistung – auf sich nehmen muss, um
die Leistung in natura zu erbringen.
154 Für die Beurteilung der Leistungserschwerung passt das Kriterium der Leistungsäquivalenz (Verhältnis der Erfüllungsanstrengungen zum Wert der Gegenleistung) meines
Erachtens nicht.256 Seine Anwendung würde bedeuten, dass beispielsweise der Gläubiger, der durch viel Verhandlungsgeschick einen günstigen Preis für die Leistung ausgehandelt hat, früher der Vorteile des Vertrages beraubt würde als der Gläubiger, der
unbedacht einen hohen Preis zu zahlen vereinbart hat – dies obwohl ersterer die Leistung vielleicht viel dringender braucht als letzterer. Vor allem aber kann eine infolge
Leistungserschwerung eingetretene Äquivalenzstörung auch durch Erhöhung der Gegenleistung behoben werden, ohne dass der Gläubiger der Vorteile der Realerfüllung
beraubt wird. Für die Befreiung des Schuldners von der Pflicht zur Realerfüllung muss
demnach ein anderes Kriterium als die Leistungsäquivalenz massgebend sein. Vgl. dazu ausführlich hinten in Nr. 220 ff. und insb. Nr. 254 ff. und 259 ff.
155 Die Rechtsfolgen der Anwendung der clausula rebus sic stantibus sind weitgehend
ins Ermessen des Richters gestellt. Bei gegebenen Voraussetzungen passt der Richter den Vertrag an die veränderten Verhältnisse an oder er löst ihn auf. Er hat dabei –
wie gesagt – einen weiten Spielraum bei der Bestimmung der Art der Anpassung und
der Festlegung der Anpassungsfolgen (Nr. 122). Damit besteht die Möglichkeit, im
Einzelfall eine sachgerechte Regelung zu treffen, welche auch den Besonderheiten der
Leistungserschwerung Rechnung trägt. Diese Flexibilität bei der Bestimmung der
Rechtsfolgen ist zwar wünschenswert, doch geht sie zu Lasten der Rechtssicherheit.
III. Unzumutbarkeitstheorie
156 Gemäss der Unzumutbarkeitstheorie wird der Schuldner nach Art. 97 und 119 OR von
der Leistungspflicht befreit, wenn die Erbringung der Leistung Erfüllungsanstrengungen erfordert, die ihm nach Treu und Glauben nicht zumutbar sind. Dies ist
beispielsweise der Fall, wenn der Erfüllungsaufwand in keinem vernünftigen Verhältnis zum Wert der Leistung steht (Nr. 57 f.). Ausschlaggebend für die Befreiung des
Schuldners ist somit gemäss der Unzumutbarkeitstheorie die generelle Zumutbarkeit
der Erfüllung bzw. die Höhe der Erfüllungsanstrengungen im Verhältnis zum
Wert der Leistung. Beurteilungsmassstab bildet Treu und Glauben.
256 I. gl. S. in Bezug auf die Unmöglichkeit PICHONNAZ, Nr. 407 ff.; in Bezug auf Art. 373 Abs. 2
56
157 Während die generelle Zumutbarkeit der Erfüllungsanstrengungen ein gar unbestimmtes Kriterium für die Beurteilung von Leistungserschwerungen und den Entscheid über
den Fortbestand des Realerfüllungsanspruchs ist, scheint das Verhältnis der Erfüllungsanstrengungen zum Wert der Leistung grundsätzlich ein passender Ansatz zu
sein. Mit letzterem Kriterium wird den Interessen des Schuldners (Höhe der Erfüllungsanstrengungen) und den Interessen des Gläubigers (Wert der Leistung) gleichermassen Rechnung getragen. Vgl. zur Begründung ausführlich hinten Nr. 220 ff. Allerdings werden die Konturen des Kriteriums durch die Bezugnahme auf Treu und Glauben und die Zumutbarkeit erheblich verwischt, was zwar Spielraum für Einzelfallgerechtigkeit schafft, doch zu Lasten der Rechtssicherheit geht.
158 Umgekehrt passt nach dem oben Gesagten das Kriterium des Verhältnisses zwischen der Höhe
der Erfüllungsanstrengungen und dem Wert der Leistung nicht für die Beurteilung von Äquivalenzstörungen, die beispielsweise bei Verwendungserschwerung oder Entwertung der Leistung im
Vordergrund stehen.257
159 Die Rechtsfolgen der Unmöglichkeitsbestimmungen sind auf den klassischen Fall der
Unmöglichkeit zugeschnitten, bei dem feststeht, dass die Unmöglichkeit endgültig und
unüberwindbar ist: In diesem Fall scheint der ipso iure eintretende Untergang des Realerfüllungsanspruchs (Art. 119 Abs. 1 OR) bzw. dessen ipso iure eintretende Umwandlung in einen Schadenersatzanspruch (Art. 97 Abs. 1 OR) angemessen, ja geboten zu
sein. Auf die hier in Frage stehenden Leistungserschwerungstatbestände passen diese
Rechtsfolgen jedoch nicht. Bei Leistungserschwerung sind die Verhältnisse oft einer
Entwicklung unterworfen und stehen nicht ein für allemal fest. Endgültigkeit und Unüberwindbarkeit des der Leistungserschwerung zugrunde liegenden Leistungshindernisses sind oft fraglich. Diese für Leistungserschwerungen nicht untypische Ungewissheit
verlangt nach einer flexiblen Regelung der Rechtslage, welche die Unmöglichkeitsbestimmungen mit ihren ipso iure eintretenden Rechtsfolgen, die gemäss der herrschenden
Lehre zudem definitiv sind (Nr. 70), nicht bieten.
IV. Verzugstheorie
160 Um solche Probleme der Anwendung der Unmöglichkeitsbestimmungen auf Leistungshindernisse von fraglicher Endgültigkeit oder Unüberwindbarkeit zu vermeiden,
schlagen die Vertreter der Verzugstheorie vor, den Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen anhand der Begriffe der objektiven und subjektiven Unmöglichkeit258 abzugrenzen. Entscheidend soll sein, ob die Leistung für jedermann unOR ERDIN, Nr. 237 ff.; zum deutschen Recht LORENZ/RIEHM, Nr. 306.
257 Vgl. die Nw. in Anm. 62.
258 Auch der von der Verzugstheorie verwendete Terminus „nachträgliche subjektive Unmöglich-
57
möglich ist oder nur für den Schuldner, nicht aber einem Dritten. Dieses formale Abgrenzungskriterium vermag jedoch nicht zu überzeugen:
161 –
Das Abgrenzungskriterium basiert – wie dargelegt – auf einem logischen Argument:
Solange ein Dritter zur Erfüllung imstande ist, ist die Erfüllung nicht unüberwindbar
und für alle Zeit ausgeschlossen, weil der Dritte sich jederzeit zur Mitwirkung bei
der Erfüllung bereit erklären kann (Nr. 93 f.). Dieses logische Argument ist zwar an
sich richtig. Es muss ihm aber entgegengehalten werden, dass es sich im Einzelfall
auch anders verhalten kann (und der Dritte seine Mitwirkung auch in Zukunft verweigert). Das Kriterium des Dritten ist insofern blosses Indiz für eine mögliche
Leistung, nicht aber eine Garantie dafür. Es geht deshalb nicht an, alle subjektiv unmöglichen Leistungen schlicht wie mögliche Leistungen zu behandeln (vgl. unten
Nr. 164).
162 –
Sodann besteht nach wie vor grosse Unklarheit darüber, wie das Abgrenzungskriterium des Dritten zu verstehen ist. Die Einordnung verschiedener Fälle ist umstritten.259 Das formale Abgrenzungskriterium täuscht damit eine Präzision vor, die es in
der Anwendung nicht zu vermitteln vermag.
163 –
Schliesslich führt das Abgrenzungskriterium dazu, dass unter dem Begriff der subjektiven Unmöglichkeit Tatbestände zusammengefasst werden, die wertungsmässig
sehr unterschiedlich sind:260 Namentlich die Fälle gestohlener oder verlorener
Speziessachen liegen wertungsmässig nahe bei der objektiven Unmöglichkeit.
164 Im Ergebnis führt die Verzugstheorie dazu, dass Leistungserschwerungstatbestände im
hier verstandenen Sinne weitgehend oder gar vollständig vom Anwendungsbereich
von Art. 97 und 119 OR ausgeschlossen werden. Die Rechtslage richtet sich in diesem
Falle nach den Verzugsregeln. Besonderheiten bei der Anwendung der Verzugsregeln
auf die subjektive Unmöglichkeit erwähnen die Vertreter der Verzugstheorie – soweit
ersichtlich – keine (Nr. 97). Der Gläubiger kann deshalb insbesondere auch auf Erfüllung beharren und die Leistung mittels Erfüllungsklage erzwingen. Diese Rechtslage
scheint jedoch namentlich bei „starken“ Leistungserschwerungen nicht sinnvoll zu
sein (beispielsweise bei gestohlenen oder verlorenen Speziessachen oder im Falle
eines Doppelverkaufs), da die Erfüllung in diesen Fällen oft aus faktischen Gründen
nicht in natura erzwingbar sein dürfte.
keit“ überzeugt nicht, ist doch die subjektive Unmöglichkeit nach der Verzugstheorie ein Verzugsfall und kein Fall der Unmöglichkeit i. S. v. Art. 97 und 119 OR. Die Verzugstheorie braucht
deshalb eigentlich zwischen subjektiver Unmöglichkeit und möglicher Leistung gar nicht zu
unterscheiden (Nr. 92). Vgl. z. B. ZIEGLER, S. 56, betr. anfängliche Unmöglichkeit. GIGER, S. 18,
spricht deshalb – mit ähnlicher Begründung – von „Unvermögen“; vgl. § 279 BGB a. F. (durch
die Schuldrechtsreform aufgehoben).
259 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3298.
260 So sinngemäss auch GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3159.
58
165 Soweit gemäss der Verzugstheorie bei subjektiver Unmöglichkeit ausnahmsweise eine Befreiung
des Schuldners über die clausula rebus sic stantibus zulässig ist, kann auf das vorne zur ClausulaTheorie Gesagte verwiesen werden (Nr. 152 ff.).
V. Ausserordentliche Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund
166 Bei der ausserordentlichen Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund
steht schliesslich in noch stärkerem Masse die Einzelfallgerechtigkeit im Vordergrund.
Einerseits wird bei den Voraussetzungen der ausserordentlichen Vertragsbeendigung
auf die Zumutbarkeit der Vertragserfüllung abgestellt: Die ausserordentliche Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund ist in der Regel zulässig, wenn einer Partei die Vertragserfüllung bis zum Vertragsende oder zum nächsten ordentlichen Vertragsbeendigungstermin nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist (Nr. 129). Andererseits hat der
Richter weitgehendes Ermessen bei der Bestimmung der vermögensrechtlichen und
anderen Rechtsfolgen der Vertragsauflösung (Nr. 134). Diese Unbestimmtheit der ausserordentlichen Vertragsbeendigungsrechte rührt daher, dass diese auf eine Vielzahl
ganz unterschiedlicher Tatbestände zugeschnitten sein müssen (vgl. Nr. 139). Eine
spezielle, auf Leistungserschwerungen zugeschnittene Regel lässt sich deshalb aus den
ausserordentlichen Vertragsbeendigungsrechten aus wichtigem Grund nicht ableiten.
VI. Schlussfolgerung
167 Zusammenfassend fehlt ein vollständig überzeugender Ansatz zur Regelung der Leistungserschwerung:
168 –
Einerseits fehlt eine klare Regel, ab welchem Grad der Erschwerung der Leistung
eine Leistungserschwerung rechtlich von Bedeutung ist. Die klassischen Lösungsansätze stellen letzten Endes alle – in unterschiedlichem Masse – auf Treu und
Glauben bzw. die Zumutbarkeit der Vertragserfüllung ab und bleiben damit zwangsläufig relativ unbestimmt. Die Rechtsprechung erweckt den Eindruck, dass bei Leistungserschwerungen die Einzelfallgerechtigkeit im Vordergrund steht.
169 –
Andererseits bietet keiner der klassischen Lösungsansätze eine Regelung der
Rechtslage, welche den Besonderheiten der Leistungserschwerungstatbestände,
insbesondere der oft damit verbundenen Ungewissheit gerecht wird, ohne dass die
Rechtsfolgen weitgehend ins Ermessen des Richters gestellt werden.
170 Im Folgenden soll versucht werden, losgelöst von den klassischen dogmatischen Lösungsansätzen sachgerechte Regeln zur Beurteilung der Leistungserschwerung zu erarbeiten.
59
§ 4 Abgrenzung des Themas und Ausblick
I.
Abgrenzung des Themas
171 Die vorliegende Arbeit handelt – wie gesagt – von der nachträglichen Leistungserschwerung, genauer von der nachträglichen Erschwerung einer Hauptleistungspflicht
eines synallagmatischen Schuldvertrages (Nr. 9 und Nr. 12). Nicht eingegangen wird
damit auf die anfängliche Leistungserschwerung.
172 Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf der eigentlichen Leistungserschwerung (Nr.
13 ff.). Auf atypische Fälle der Leistungserschwerung wie die Wertsteigerung der
Leistung (Nr. 17 ff.) und die Leistungserschwerung durch nicht materielle Nachteile
(Nr. 25 f.) wird nur vereinzelt eingegangen.
173 Keine Berücksichtigung findet – wie gesagt – die Verwendungserschwerung und
-unmöglichkeit (Nr. 28 ff.) sowie die Entwertung der Leistung (Nr. 31). Dasselbe gilt
für andere Hindernisse auf Seiten des Gläubigers, beispielsweise wenn der Gläubiger
die Leistung nicht entgegennehmen kann.261 Nicht eingegangen wird schliesslich auf
Spezialtatbestände wie die Zweckerreichung262 (der Leistungserfolg stellt sich von
selbst ein oder wird durch einen Dritten oder den Gläubiger bewirkt263) und den Zweckfortfall264 (das Leistungssubstrat, an dem oder mit dem der Schuldner tätig werden
sollte, geht unter265).
II. Ausblick (und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse)
174 Im verbleibenden Teil dieser Arbeit soll – wie gesagt – versucht werden, losgelöst von
den klassischen dogmatischen Lösungsansätzen (Nr. 43 ff.) sachgerechte Regeln zu Be261 Vgl. dazu insb. WEBER, BerK, N 155 ff. zu Art. 91 OR; BECKER, BerK, N 23 zu Art. 91 OR;
OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 16 f. zu Art. 92 OR; VON TUHR/ESCHER, § 72 IV, S. 73;
BERNET, BasK, N 13 ff. zu Art. 91 OR; VON BÜREN, OR AT, S. 416; ferner GAUCH/SCHLUEP/
REY, Nr. 2539; OGer ZH, SJZ 40 (1944) Nr. 217, S. 361 f.
262 AEPLI, ZürK, N 51 zu Art. 119 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3155; GIGER, S. 24 f.; WIEGAND,
BasK, N 6 zu Art. 119 OR; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94; WIEGAND/BERGER, S. 93 ff.; ferner
Münchener Kommentar/EMMERICH, N 38 vor § 275 BGB.
263 Beispiele: (1) Das zu transportierende Holz wird vom Gläubiger weggeschafft (BGE 32 II 334 f.;
GIGER, S. 24 nimmt Zweckfortfall anstatt Zweckerreichung an). (2) Der Patient wird vor der
Behandlung gesund. (3) Das zu streichende Treppenhaus wird von einem anderen Maler
gestrichen. (4) Das Eigentum an der verkauften Sache wird dem Käufer von einem Dritten verschafft (VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94, m. Hw. in Anm. 9).
264 AEPLI, ZürK, N 51 zu Art. 119 OR; GIGER, S. 24 f.; WIEGAND, BasK, N 6 zu Art. 119 OR;
WIEGAND/BERGER, S. 93 ff.
265 Beispiele: (1) Der zu behandelnde Patient stirbt vor Eintreffen des Arztes. (2) Das zu streichende
Haus brennt nieder.
60
urteilung der Leistungserschwerung zu erarbeiten. Ausgangspunkt und Schwerpunkt der
Überlegungen bildet dabei der Realerfüllungsanspruch und seine Grenzen.
175 Der Realerfüllungsanspruch im Allgemeinen (§ 5). Der Realerfüllungsanspruch ist
aus theoretischer Sicht von grosser Bedeutung, weil er – verschuldensunabhängig –
garantiert, dass der Gläubiger die mit dem Vertrag verbundenen Vorteile verwirklichen
(bzw. zu verwirklichen versuchen) kann (Nr. 182 f.). Aus praktischen Gründen wird es
der Gläubiger aber oft vorziehen, auf Realerfüllung zu verzichten und sich anderweitig
eine Ersatzleistung zu beschaffen (Nr. 184 ff.). Das Interesse des Gläubigers an der
Realerfüllung beschränkt sich deshalb in der Regel auf Fälle einzigartiger Leistungen
sowie auf Fälle, bei welchen weder die Gegenleistung noch allfällige Schadenersatzansprüche für die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzleistung ausreichen (Nr. 187).
Das Interesse des Schuldners richtet sich bei Leistungserschwerung typischerweise auf
Befreiung vom Realerfüllungsanspruch, doch ist der Schuldner dennoch oft willens, die
Leistung trotz des erhöhten Erfüllungsaufwands in natura zu erbringen.
176 Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruch bei Leistungserschwerung (§ 6). Da nach
dem Gesagten sowohl der Schuldner als auch der Gläubiger bei Leistungserschwerung
ein Interesse an der Erfüllung in natura haben können, bleibt der Realerfüllungsanspruch
bei Leistungserschwerung grundsätzlich bestehen, bis der Gläubiger nach Art. 107 Abs.
2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichtet (Nr. 209 ff.). Art. 97 und 119 OR finden
keine Anwendung (Nr. 218 ff.).
177 Die übermässige Leistungserschwerung als Grenze der Erzwingbarkeit des Realerfüllungsanspruchs (§ 7). Nach hier vertretener Auffassung muss der Schuldner die
Erbringung der Leistung hingegen verweigern können, wenn der Erfüllungsaufwand in
einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht (übermässige
Leistungserschwerung) (Nr. 230 ff.). Dieser Regel liegt der Gedanke zugrunde, dass es
unsinnig wäre, wenn der Schuldner für die Erbringung der Leistung mehr Aufwand betreibt, als die Leistung für den Gläubiger wert ist. Sie kann durch Gesamtanalogie aus
Art. 368 Abs. 2, Art. 163 Abs. 3 und Art. 373 Abs. 2 OR abgeleitet werden und entspricht der typischen Interessenlage der Parteien (Nr. 240 ff.). Ohne Bedeutung ist
gemäss dieser Regel, ob der Schuldner die übermässige Leistungserschwerung zu verantworten hat, die übermässige Leistungserschwerung voraussehbar war oder zu einer
Äquivalenzstörung führt (Nr. 258 ff.). Ebenso ist grundsätzlich nicht entscheidend, ob
die übermässige Leistungserschwerung bloss vorübergehend oder endgültig ist – der
Schuldner kann die Leistung verweigern, solange die übermässige Leistungserschwerung besteht (Nr. 302 ff.). Die Anwendung dieser Regel (bzw. des ihr zugrunde liegenden Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse) auf ausgewählte klassische Beispiele führt zu sinnvollen Ergebnissen (Nr.
350 ff.).
61
178 Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung (Teil 3). Die Rechtslage bei
übermässiger Leistungserschwerung gestaltet sich damit wie folgt (vgl. auch die Übersicht in § 8, Nr. 433 ff.):
179 Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners (§ 9). Der Schuldner hat bei übermässiger Leistungserschwerung das Recht, die Erbringung der Leistung in natura während der
Dauer der übermässigen Leistungserschwerung zu verweigern. Es handelt sich dabei um
eine Einrede (Nr. 449 f.). Beruft sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, kann er während der Dauer der übermässigen Leistung nicht zur Erbringung der
Leistung in natura verurteilt werden (Nr. 453 ff.). Der Anspruch auf Realerfüllung ist
nicht durch Erfüllungsklage erzwingbar. Verweigert der Schuldner die Leistung, ist der
Gläubiger seinerseits zur Zurückbehaltung seiner Leistung berechtigt (Nr. 462 ff.).
Hingegen schliesst die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht den Eintritt des
Schuldnerverzugs nicht aus. Dem Gläubiger stehen bei Verzug – mit Ausnahme der
Klage auf Realerfüllung – die (normalen) Wahlrechte gemäss Art. 107 und 109 OR zu:
Er kann auf nachträgliche Erfüllung verzichten und gegebenenfalls Ersatz des Erfüllungsinteresses verlangen oder vom Vertrag zurücktreten (Nr. 467 ff.). Der Gläubiger
kann aber stattdessen auch zuwarten und nach Behebung der übermässigen Leistungserschwerung nachträgliche Erfüllung verlangen. Solange der Gläubiger nicht auf nachträgliche Erfüllung verzichtet, bleibt der Schuldner an den Vertrag gebunden.
180 Richterliche Vertragsanpassung (§ 10). Diese Rechtslage kann für den Schuldner unzumutbare Nachteile bringen (Nr. 315 ff.). Gegebenenfalls hat der Schuldner das Recht,
vom Richter die Anpassung oder Auflösung des Vertrages zu verlangen (Nr. 489 ff.). Im
Regelfall löst der Richter den Vertrag auf entsprechendes Begehren des Schuldners ganz
oder teilweise auf. Ausnahmsweise kann der Richter den Schuldner auch zur Erbringung
einer Ersatzleistung verpflichten (Nr. 497 ff.). Zudem bestimmt der Richter die übrigen
Folgen der Vertragsanpassung, insb. die vermögensrechtlichen Folgen (Nr. 518 ff.). Das
Recht auf richterliche Vertragsauflösung bzw. -anpassung steht dem Schuldner zu, wenn
die übermässige Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist oder das Interesse
des Schuldners an definitiver Befreiung das Interesse des Gläubigers am Fortbestand des
Vertrages überwiegt (Nr. 326 ff.).
181 Gewisse Einzelfragen werden in Teil 4 separat behandelt, namentlich der Anspruch
des Gläubigers auf eine Ersatzleistung (§ 11) sowie die Voraussetzungen der Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR bei Leistungserschwerung (§ 12). In § 13 ist
schliesslich vom Verschulden des Schuldners bei Leistungserschwerung die Rede.
62
Teil 2: Der Realerfüllungsanspruch und
die übermässige Leistungserschwerung als seine Grenze
§ 5 Der Realerfüllungsanspruch im Allgemeinen
I.
Bedeutung des Realerfüllungsanspruchs
1. Aus theoretischer Sicht
182 Grundsätzlich verleiht jede Forderung dem Gläubiger direkt einen Anspruch auf Realerfüllung. Bei Fälligkeit kann der Gläubiger unabhängig von einem Verschulden des
Schuldners die Erbringung der geschuldeten Leistung verlangen.266 Er hat sodann Anspruch auf ein Urteil, welches den Schuldner zur Erbringung der Leistung in natura verurteilt, und er hat schliesslich Anspruch auf Vollstreckungsmassnahmen, mit welchen
das Urteil durchgesetzt, d. h. die Erbringung der Leistung in natura erzwungen wird.267
Der Realerfüllungsanspruch ermöglicht die zwangsweise Durchsetzung des Vertrages,
die Durchführung des Vertrages gegen den Willen des Schuldners. Damit hilft der Realerfüllungsanspruch sicherzustellen, dass der Gläubiger die Vorteile, die er sich aus dem
Vertrag verspricht, tatsächlich verwirklichen kann.268
183 Schuldner und Gläubiger schliessen einen Vertrag, weil sie durch die Vertragserfüllung
Bedürfnisse befriedigen oder andere Vorteile erlangen wollen. Einen für sie ungünstigen
Vertrag würde keine der Parteien – von besonderen Umständen abgesehen – freiwillig
eingehen. Unterbleibt die Vertragserfüllung, bleiben die mit der Erfüllung verbundenen
Bedürfnisse unbefriedigt, die erhofften Vorteile unverwirklicht. Zwar kann mittels Schadenersatz (berechnet nach dem positiven Vertragsinteresse) finanzieller Ausgleich für
die unbefriedigten Bedürfnisse und entgangenen Vorteile geschaffen werden. Schadenersatz birgt jedoch die Gefahr der Unterkompensation, beispielsweise wenn eine Partei
mit der Vertragserfüllung Erwartungen auf Gewinne verbindet, die nicht genügend
konkret sind, um Grundlage für die Schadenersatzbemessung zu bilden.269 Zudem ist die
266 Vgl. statt vieler BARTH, S. 61.
267 „Der Anspruch auf Erfüllung und die ihm entsprechende Erfüllungsklage sind selbstverständliche
Begleiterscheinungen der Forderung“, BARTH, S. 61. Die Zulässigkeit der Erfüllungsklage ergibt
sich aus Art. 97 Abs. 2 und Art. 98 Abs. 1 OR, ferner aus Art. 107 Abs. 2 OR; vgl. GAUCH/
SCHLUEP/REY, Nr. 2573; VON TUHR/ESCHER, § 87 II, S. 87; BARTH, S. 61, m. Hw. auf die Rechtsprechung; SCHOBERT, S. 35; WEBER, BerK, N 339 zu Art. 97 OR; rechtsvergleichend MÜLLERCHEN, S. 74.
268 Vgl. MÜLLER-CHEN, S. 75.
269 Beispielsweise setzt die erfolgreiche Geltendmachung von entgangenem Gewinn voraus, dass es
sich um einen üblicherweise erzielbaren Gewinn handelt oder dieser aufgrund der konkreten
63
Leistung von Schadenersatz abhängig vom Verschulden oder Vertretenmüssen des
Schuldners. Einzig der Realerfüllungsanspruch garantiert – verschuldensunabhängig –,
dass der Gläubiger die mit dem Vertrag verbundenen Vorteile verwirklichen (bzw. zu
verwirklichen versuchen) kann. Aus theoretischer Sicht ist der Realerfüllungsanspruch
deshalb von grosser Bedeutung.
2. Aus praktischer Sicht
184 In der Praxis hat der Realerfüllungsanspruch nicht die Bedeutung, die er aus theoretischer Sicht verdienen würde. Einerseits besteht nicht immer ein Anspruch auf Realerfüllung und gewisse Dienstleistungsobligationen sind von Gesetzes wegen nur beschränkt real erzwingbar. Darauf wird in Abschnitt II. näher eingegangen (Nr. 194 ff.).
Andererseits können praktische Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs dazu führen, dass der Gläubiger es vorzieht, auf die zwangsweise
Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs zu verzichten:
185 Die zwangsweise Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs erfolgt auf dem Wege des
Zivilprozesses. Ein Prozessverfahren benötigt zwangsläufig Zeit und ist mit Aufwand
für die Parteien verbunden. Während der Dauer des Verfahrens verzögert sich die Erfüllung des Vertrages – vorbehältlich von einstweiligem Rechtsschutz – und die Bedürfnisse des Gläubigers bleiben unbefriedigt. Wenn der Gläubiger mit der Befriedigung
seiner Bedürfnisse nicht bis zum Abschluss des Verfahrens zuwarten kann oder will,
wird er sich die vertragliche Leistung anderweitig beschaffen und auf zwangsweise
Durchsetzung des Vertrages verzichten.270 Für dieses Vorgehen spricht auch die Erfahrungstatsache, dass eine Leistung (namentlich eine Dienstleistung), die freiwillig erbracht wird, oft wertvoller ist als eine erzwungene Leistung.271 Der Gläubiger hat demnach in der Regel kein Interesse an der Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs,
wenn er sich anderweitig gleichwertigen Ersatz für die Leistung beschaffen kann, die
schuldnerische Leistung für den Gläubiger also ersetzbar ist.272
186
Beispiel: Der Käufer eines Wagens kann, wenn ihm der Wagen vom Garagisten nicht
übergeben wird, zwar auf Herausgabe des Wagens klagen, doch wird er den Wagen
erst mit reichlicher Verzögerung erhalten. Wenn der Käufer bereits heute auf einen
Umstände in Aussicht gestanden hat; REY, Nr. 348; BGE 82 II 401; BREHM, BerK, N 70 a. E. zu
Art. 41 OR. „Der Richter hat zu beurteilen, ob «nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge» (Art. 42
[Abs. 2] OR) eine genügende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das vom Geschädigten
geforderte lucrum cessans ohne das schädigende Ereignis erzielt worden wäre...“, KELLER/GABI,
S. 11, m. Hw. Vgl. auch SCHNYDER, BasK, N 6 zu Art. 41 OR; VON TUHR/PETER, § 13 I 10, S.
100 f.; OFTINGER/STARK, I, § 2 N 14 ff.; GLÄTTLI, S. 183 f.; LÜCHINGER, Nr. 153 f.
270 MÜLLER-CHEN, S. 76.
271 MÜLLER-CHEN, S. 104 f.
272 MÜLLER-CHEN, S. 77.
64
Wagen angewiesen ist, tut er gut daran, auf Realerfüllung zu verzichten und bei einem
anderen Garagisten einen Wagen zu kaufen.273
187 Aus praktischer Sicht ist der Realerfüllungsanspruch deshalb namentlich in Situationen
bedeutsam, in welchen sich der Gläubiger keine angemessene Ersatzerfüllung beschaffen kann.274 Dies ist einerseits der Fall, wenn die Leistung einzigartig ist und andererseits, wenn weder die Gegenleistung noch allfällige Schadenersatzansprüche für die
Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzleistung ausreichen. Im Einzelnen:
188 –
Der Gläubiger hat ein Affektionsinteresse an der Leistung, wenn die Leistung für
den Gläubiger aus ganz persönlichen, ausserhalb wirtschaftlicher Überlegungen
stehenden Gründen besonders wertvoll ist. Beispielsweise handelt es sich beim vom
Gläubiger gekauften Oldtimer-Wagen um genau jenes Fahrzeug, welches der Vater
des Gläubigers in jungen Jahren gefahren hat. Oder der Gläubiger hat sich ein Haus
exakt nach seinen individuellen Vorstellungen bauen lassen. Weil für eine Leistung
mit einem solchen subjektiven oder emotionalen Wert normalerweise kein gleich
wertvoller Ersatz existiert, ist die Leistung einzigartig für den Gläubiger.275
189
Dieser auf einem Affektionsinteresse beruhende Wert (in der angloamerikanischen Law and
Economics-Terminologie ein „subjective value“ oder „idiosyncratic value“) wird bei der
Schadenersatzbemessung nicht berücksichtigt.276 Durch Schadenersatz wird der Gläubiger
deshalb nicht vollständig für die ausbleibende Erfüllung entschädigt.
190 –
Die (zurückbehaltene oder rückerstattete) Gegenleistung des Gläubigers reicht für
die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzleistung nicht aus, wenn beispielsweise die Preise für die Leistung seit Vertragsschluss gestiegen sind oder der Vertrag für den Gläubiger besonders vorteilhaft war (Preis unter Marktpreis). In diesen
Fällen könnte der Gläubiger allenfalls durch Schadenersatz (berechnet nach dem
positiven Vertragsinteresse) entschädigt werden, doch kann der Gläubiger mangels
eines Verschuldens oder eines anderen Vertretenmüssens des Schuldners keinen
Anspruch auf Schadenersatz haben.
191
Auch wenn der Gläubiger Anspruch auf Schadenersatz hat, reicht dieser für die
Beschaffung eines angemessenen Ersatzes zuweilen nicht aus. Dies gilt namentlich, wenn der Schadenersatz zufolge Mitverschuldens des Gläubigers herabgesetzt
273 Zwar könnte sich der Käufer für die Dauer des Verfahrens auch einen Ersatzwagen mieten. Ob
Mietauslagen für einen Ersatzwagen jedoch einen ersatzfähigen Schaden darstellen, ist zweifelhaft, wenn der Wagen lediglich zum Vergnügen oder aus Prestigegründen benützt wird. Vgl.
REY, Nr. 314; BREHM, BerK, N 80 zu Art. 41 OR; KELLER, II, S. 95; MERZ, SPR VI/1, S. 196;
STARK, Nr. 147; OFTINGER/STARK, I, § 6 Nr. 373; OFTINGER, Haftpflichtrecht I, S. 256 ff.
274 SCHWENZER, Nr. 61.02; MÜLLER-CHEN, S. 77.
275 Vgl. auch MÜLLER-CHEN, S. 77.
276 BGE 87 II 291 = Pra 51 (1962) Nr. 29, S. 86; VON TUHR/ESCHER, § 15 IV, m. Hw.; REY, Nr.
323, m. Hw.; SCHNYDER, BasK, N 5 zu Art. 41 OR; OFTINGER/STARK, I, § 6 Nr. 379; SCHMID,
Folgen der Nichterfüllung, S. 302.
65
würde (Art. 44 Abs. 1 OR). Noch wichtiger sind aber all jene Situationen, bei
welchen der Schadenersatz gewisse Nachteile des Gläubigers nicht berücksichtigt
(unterkompensatorischer Schadenersatz). So verhält es sich beim bereits erwähnten Affektionsinteresse (Nr. 188) oder wenn der Gläubiger mit der Vertragserfüllung Erwartungen auf Gewinne verbindet, die nicht genügend konkret sind, um bei
der Schadenersatzbemessung berücksichtigt zu werden (Nr. 183).
192 –
Zu denken ist des weiteren an nicht ersetzbaren vertragsspezifischen Aufwand:
Der Abschluss oder die Vorbereitung der Durchführung des Vertrages bereitet dem
Gläubiger oft Aufwand, der bei Nichterfüllung des Vertrages nutzlos ist und der bei
der Beschaffung einer Ersatzleistung nochmals anfällt. Beispielsweise hat der
Käufer viel Zeit für die Suche nach einem Oldtimer-Wagen oder die Aushandlung
eines Vertrages aufgewendet. Wird der Gläubiger durch Schadenersatz nicht vollständig für solchen vertragsspezifischen Aufwand entschädigt,277 wird der Gläubiger vom Verzicht auf die Leistung abgehalten. Er wird beispielsweise auf Realerfüllung beharren, um sich die Mühen einer erneuten Suche bzw. neuer Vertragsverhandlungen mit einem anderen Vertragspartner zu sparen, weil Such- und
Verhandlungsaufwand (Zeit und Auslagen) bei der Bemessung von Schadenersatz
(namentlich im Rahmen des positiven Vertragsinteresses) oft nicht genügend berücksichtigt wird.278
3. Bedeutung des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung
193 Bei Leistungserschwerung kann sich der Realerfüllungsanspruch zum eigentlichen
Streitpunkt entwickeln. Die Leistungserschwerung ändert an einem allfälligen Interesse
des Gläubigers an der Realerfüllung im Allgemeinen nichts. Der Schuldner soll in den
Augen des Gläubigers trotz der erschwerten Bedingungen gebunden bleiben, solange die
Aussicht besteht, dass die Leistung in natura erbracht werden kann. Anders verhält es
sich aus Sicht des Schuldners. Zwar ist auch der Schuldner normalerweise an der Durchführung des Vertrages interessiert, andernfalls er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte.
Er ist unter Umständen sogar bereit, besondere Aufwendungen und Mühen in Kauf zu
nehmen, beispielsweise um seinen Ruf als Geschäftsmann zu festigen. Wenn sich der
für die Erfüllung nötige Aufwand jedoch stark erhöht, richtet sich das Interesse des
Schuldners typischerweise auf Befreiung von der Pflicht zur Realerfüllung.
277 In der Law and Economics-Terminologie nennt man solche Investitionen, die nur für den abgeschlossenen Vertrag von Nutzen sind, „relationship specific investments“.
278 GLÄTTLI, S. 186; vgl. zum Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen im Allgemeinen LÜCHINGER, Nr. 170 ff. und Nr. 444 ff.
66
II. Bestand und Wegfall des Realerfüllungsanspruchs
1. Im Allgemeinen
194 Grundsätzlich verleiht – wie gesagt – jede Forderung einen Anspruch auf Realerfüllung.
Von diesem Grundsatz gibt es jedoch bedeutende Ausnahmen.279 Erstens können die
Parteien zwangsweise Durchsetzung der Leistung bei Nichterfüllung durch vertragliche
Vereinbarung ausschliessen und andere Rechtsfolgen für den Fall der Nichterfüllung
vereinbaren,280 beispielsweise Schadenersatz, eine Konventionalstrafe oder ein Recht
zur Vertragsauflösung. Zweitens schliesst das Gesetz in einzelnen Bestimmungen einen
Anspruch auf Realerfüllung bei der Nichterfüllung bestimmter Obligationen von Anfang
an aus (vgl. z. B. Art. 340b Abs. 3 OR).281 Drittens entfällt der Anspruch auf Realerfüllung von Gesetzes wegen, wenn die Leistungspflicht des Schuldners aufgrund einer
gesetzlichen Bestimmung ihren Inhalt ändert oder ganz wegfällt. Der Realerfüllungsanspruch entfällt namentlich bei nachträglicher Unmöglichkeit der Leistung (Art. 97
Abs. 1 und 119 Abs. 1 OR).
195 Viertens entfällt der Anspruch auf Realerfüllung auch bei an sich real erzwingbaren Forderungen, wenn das Beharren des Gläubigers auf Realerfüllung Treu und Glauben
widerspricht.282 Rechtsmissbräuchlich verhält sich der Gläubiger, der in Spekulationsabsicht lange Zeit mit der Geltendmachung des Realerfüllungsanspruchs zugewartet hat.283
Wenn der Gläubiger aus blosser Schikane auf seinem Anspruch beharrt, ist der Anspruch infolge unnützer Rechtsausübung zu verweigern. Der Anspruch auf Realerfüllung ist auch abzulehnen, wenn der Vorteil des Gläubigers, Realerfüllung anstatt
Schadenersatz zu erhalten, im krassen Missverhältnis zum Mehraufwand und Schaden
steht, der dem Schuldner bei Realerfüllung entsteht.284 Den letztgenannten Fall könnte
man freilich auch als „normale“ Unzumutbarkeit auffassen (vgl. Nr. 56 ff.).285
279 Vgl. zum Ganzen BARTH, S. 62, m. Hw.; VON TUHR/ESCHER, § 87 II, S. 86 f.; BULACHER, S.
14 ff.
280 BUCHER, OR AT, S. 328; GLÄTTLI, S. 54; MERZ, SPR VI/1, S. 268.
281 Die Verpflichtung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine konkurrierende Tätigkeit zu unterlassen (Konkurrenzverbot), kann gemäss Art.
340b Abs. 3 OR ohne besondere schriftliche Vereinbarung nicht real durchgesetzt werden.
282 WEBER, BerK, N 345 zu Art. 97 OR; VON TUHR/ESCHER, § 67 II, S. 87, sprechen in diesem
Zusammenhang von Untunlichkeit der Leistung.
283 HGer BE, ZBJV 55 (1919) Nr. 3, S. 82 f.; BARTH, S. 62; LEMP, S. 2; WEBER, BerK, N 345 zu
Art. 97 OR.
284 MERZ, BerK, N 388 ff. zu Art. 2 ZGB. Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 67 II, S. 87; BARTH, S. 62;
BECKER, BerK, N 103 zu Art. 97 OR, alle mit Beispielen, namentlich dem Folgenden: Kein Realerfüllungsanspruch besteht, wenn die zu liefernden Balken in ein Haus eingebaut wurden. Ferner
BUCHER, OR AT, S. 331 Anm. 12; SCHOBERT, S. 40; BULACHER, S. 17; WEBER, BerK, N 345 zu
Art. 97 OR.
285 Im ersten und zweiten Fall verfolgt der Gläubiger keine schützenswerten Interessen, denn das
Interesse des Gläubigers am Spekulationsgewinn verdient ebenso wenig Schutz wie der Lustge-
67
196 Der Grundsatz von Treu und Glauben scheint letzten Endes auch dem Wegfall des Realerfüllungsanspruchs bei Unmöglichkeit zugrunde zu liegen: Wenn Realerfüllung definitiv unmöglich ist, wäre
das Beharren des Gläubigers auf den Realerfüllungsanspruch und insbesondere die Erstreitung eines
Urteils auf Realerfüllung unnütze Rechtsausübung286 – die Erstreitung des Urteils bringt dem
Gläubiger keinerlei Vorteile – und würde damit Treu und Glauben widersprechen.
197 Aus diesen Ausführungen kann der allgemeine Grundsatz abgeleitet werden, dass der
Realerfüllungsanspruch entfällt, wenn das Beharren auf Realerfüllung Treu und
Glauben widerspricht.287 Treu und Glauben ist freilich ein vages Kriterium, welches
der Konkretisierung bedarf. In den §§ 6 und 7 (Nr. 209 ff. und 220 ff.) wird deshalb
auf den Wegfall des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung ausführlich
eingegangen. Zuvor soll aber auf gewisse Einschränkungen der zwangsweisen Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs im Arbeits- und Auftragsrecht hingewiesen
werden, weil durch diese Einschränkungen die Leistungserschwerung in diesen Bereichen beinahe vollständig auf die Frage des Schadenersatzes (und anderer Rechtsfolgen) reduziert wird.
2. Einschränkungen der zwangsweisen Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs bei gewissen Dienstleistungspflichten im Besonderen
198 Vor Inkrafttreten des OR von 1911 war umstritten, ob Obligationen auf ein Tun
(Dienstleistungsobligationen) real erzwungen werden können. Gemäss Art. 111 aOR
löst sich „[j]ede Verbindlichkeit etwas zu thun,“ „in eine Verbindlichkeit zum
Schadenersatze auf“, „wenn die Nichterfüllung dem Schuldner zur Last fällt“. Diese
Bestimmung führte – im Anschluss an eine Abhandlung von FRIEDMANN288 – „zur
(freilich sehr umstrittenen) Auffassung ..., dass Zwang zur Realerfüllung (nicht schon:
Verurteilung zur Realerfüllung...) bei Obligationen auf ein Tun ausgeschlossen
sei...“289 Das Bundesgericht entschied in einem wegleitenden Entscheid, dass Zwang
286
287
288
289
68
winn des Gläubigers durch die Schikane. Das Verhalten des Gläubigers ist in beiden Fällen zu
missbilligen. Anders verhält es sich bei den „normalen“ Unzumutbarkeitsfällen. Mit der
Geltendmachung des Realerfüllungsanspruchs verfolgt der Gläubiger hier durchaus schützenswerte Interessen (er will beispielsweise das gekaufte Liebhaberstück in natura erhalten), jedoch
führen die ausserordentlichen Aufwendungen, welche die Erfüllung dem Schuldner bereitet, zur
Unzumutbarkeit. A. A. VON TUHR/ESCHER, § 67 II, S. 87 Anm. 10 a. E.: Die Abgrenzung beruhe
auf Billigkeitserwägungen.
Vgl. auch MÜLLER-CHEN, S. 62 und 243.
Damit ist freilich noch nicht gesagt, ob der Realerfüllungsanspruch auch aus anderen Gründen
entfallen kann.
FRIEDMANN, Der Anspruch auf Realerfüllung im schweizerischen Rechte, ZSR 19 (1900), S.
48 ff.
BECKER, BerK, N 101 zu Art. 97 OR, m. Hw. Vgl. ferner SCHOBERT, S. 30 ff., m. Hw. in Anm. 1
S. 33.
gegen die Person des Schuldners nach eidgenössischem Recht ausgeschlossen sei.290
Diese Auffassung des Bundesgerichts wurde bei der Revision des OR durch Streichung des ersten Satzes von Art. 111 aOR ausdrücklich verworfen.291
199 Trotzdem schliesst das OR noch heute eine zwangsweise Durchsetzung des Anspruchs
auf Realerfüllung bei der Nichterfüllung bestimmter Dienstleistungspflichten in einzelnen Bestimmungen aus.292 Solche Bestimmungen finden sich im Arbeitsrecht. Gemäss
Art. 337d OR hat der Arbeitnehmer, der ohne wichtigen Grund die Arbeitsstelle nicht
antritt oder fristlos verlässt, lediglich eine Entschädigung und allenfalls weiteren Schadenersatz zu entrichten. Die Arbeitsobligation des Arbeitnehmers kann damit nicht
zwangsweise real durchgesetzt werden.293 Die ungerechtfertigte fristlose Entlassung
durch den Arbeitgeber führt ebenfalls nur zur Schadenersatzpflicht (Art. 337c OR).
Schliesslich bejaht die Lehre und Rechtsprechung eine Pflicht des Arbeitgebers, den
Arbeitnehmer effektiv zu beschäftigen, auch während laufender Kündigungsfrist, nur
unter sehr restriktiven Bedingungen.294 Die Verletzung dieser Pflicht kann zu Schadenersatzansprüchen und Genugtuungsansprüchen führen.295 Das Zürcher Obergericht hat
die reale Durchsetzbarkeit der Beschäftigungspflicht in einem Entscheid aus dem Jahre
1980 zwar grundsätzlich bejaht, die Durchsetzung mittels vorsorglicher Massnahme
jedoch in casu abgelehnt.296
200 Art. 418r OR verweist für die fristlose Auflösung des Agenturvertrages auf das Arbeitsrecht. Ob damit Agent und Auftraggeber analog zum Arbeitsrecht einzig Schadenersatzansprüche geltend
machen und keine Realerfüllung verlangen können, ist umstritten.297
290 BGE 32 I 654 ff., insb. 659; ferner BGE 35 I 367 ff.
291 HUBER erklärte die Streichung als Berichterstatter im Nationalrat wie folgt: „Es wird dadurch
abgelehnt, dass im Falle der Nichterfüllung schlechtweg eine blosse Schadenersatzpflicht
eintreten und das kantonale Recht der Exekution ausgeschlossen sein soll, wie das in der neuesten
Judikatur des Bundesgerichts angenommen wurde.“ StenBull NR 1909, S. 534.
292 Die Einschränkungen der zwangsweisen Durchsetzung gewisser Dienstleistungspflichten dienen
letztlich dem Schutz der persönlichen Freiheit des Schuldners. Sie können sodann auf die Erfahrungstatsache abstellen, dass durch Urteil erzwungene Dienstleistungen oft von schlechterer
Qualität und damit von geringerem Wert sind als eine vom Schuldner „freiwillig” erbrachte
Dienstleistung (Nr. 185). Dieses letztere Argument allein vermag freilich die Einschränkungen
nicht zu rechtfertigen, läge es doch in der Hand des Gläubigers zu entscheiden, ob die erzwungene Dienstleistung die besagten Nachteile im konkreten Falle aufweist.
293 Das Arbeitsverhältnis endet mit dem definitiven Verlassen oder Nichtantreten der Arbeitsstelle;
vgl. STREIFF/VON KAENEL, N 2 a. E. zu Art. 337d OR; a. A. anscheinend MÜLLER-CHEN, S. 106.
294 Vgl. OGer ZH, ZR 79 (1980) Nr. 115, S. 247: „...wo die Nichtbeschäftigung eine Verletzung der
Persönlichkeit des Arbeitnehmers bedeuten würde und dessen weiteres Fortkommen dadurch in
Frage gestellt würde. Dies ist vor allem bei künstlerisch tätigen Personen der Fall...“ Ausführlich
zum Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers neuerdings Alfred BLESI, Die Freistellung des
Arbeitnehmers, Diss. St. Gallen, Zürich 2000, S. 88 ff., mit zahlreichen Hw.
295 STREIFF/VON KAENEL, N 17 zu Art. 319 OR.
296 OGer ZH, ZR 79 (1980) Nr. 115, S. 245 ff.
297 WETTENSCHWILER, BasK, N 2 zu Art. 418r OR.
69
201 Im Auftragsrecht kann der Vertrag jederzeit nach Art. 404 Abs. 1 OR widerrufen oder
gekündigt werden. Mit dem Widerruf oder der Kündigung erlischt die Pflicht zur
Erfüllung des Auftrages. Die Kündigung zur Unzeit führt lediglich zur Schadenersatzpflicht. Sowohl Auftraggeber wie Beauftragter können sich deshalb qua Kündigung –
unter Vorbehalt von Schadenersatzansprüchen infolge Kündigung zur Unzeit – jederzeit der Pflicht zur Realerfüllung entledigen. De facto ist deshalb die Pflicht des Beauftragten zur Erfüllung des Auftrages nicht real durchsetzbar.298
202 Das jederzeitige Kündigungsrecht von Art. 404 Abs. 1 OR findet gemäss der Lehre auch auf den
Mäklervertrag (Art. 412 Abs. 2 OR),299 den Kommissionsvertrag (Art. 425 Abs. 2 OR),300 den
Speditionsvertrag (Art. 439 OR i. V. m. Art. 425 Abs. 2 und 440 Abs. 2 OR)301 und auf den Frachtvertrag (Art. 440 Abs. 2 OR)302 Anwendung. Ein jederzeitiges Kündigungsrecht kann schliesslich
auch vertraglich vereinbart werden.
III. Exkurs: Der Realerfüllungsanspruch im amerikanischen Recht
203 Der Realerfüllungsanspruch ist ein charakteristisches Merkmal vieler moderner Civil
Law-Rechtsordnungen. Anderen Rechtsordnungen ist er jedoch weitgehend fremd.303
Im anglo-amerikanischen Rechtskreis ist eine Klage auf Realerfüllung nur in Ausnahmefällen zulässig. Diese Regelung basiert auf der historischen Zweiteilung des
englischen Rechts in das Common Law im engeren Sinn, welches nur Schadenersatz
kannte („legal relief“), und in die Equity-Praxis des Kanzlers und der Kanzlergerichte,
welche die Erfüllungsklage ausnahmsweise zuliessen („equitable relief“).304
204 Wird die vertraglich geschuldete Leistung nicht erbracht, hat der Gläubiger grundsätzlich keinen Anspruch auf Realerfüllung.305 Erfüllungszwang ist dem anglo-amerikanischen Vertragsrecht grundsätzlich fremd. Der Gläubiger hat nur Anspruch auf
Schadenersatz. Im Gegensatz zum Schweizer Recht steht dieser dem Gläubiger aber
grundsätzlich unabhängig von einem Verschulden des Schuldners zu.306 Der Schuldner
kann im Prinzip frei entscheiden, ob er erfüllt oder – verschuldensunabhängig –
Schadenersatz zahlt.307 Der Schadenersatz wird grundsätzlich nach dem positiven
298
299
300
301
302
303
304
305
306
307
70
Vgl. WEBER, BasK, N 3 zu Art. 397 OR; WEBER, BerK, N 344 zu Art. 97 OR.
BGE 115 II 466 f.; BGE 103 II 130; vgl. auch AMMANN, BasK, N 6 zu Art. 412 OR.
VON PLANTA, BasK, N 6 zu Art. 425 OR.
STAEHELIN, BasK, N 6 zu Art. 439 OR.
STAEHELIN, BasK, N 5 zu Art. 440 OR.
Das galt beispielsweise für das klassische römische Recht, vgl. z. B. MÜLLER-CHEN, S. 17 und
19; SCHOBERT, S. 14 ff.; zum germanischen Recht MÜLLER-CHEN, S. 27; SCHOBERT, S. 19 ff.
Vgl. zu den historischen Hintergründen statt vieler E. Allan FARNSWORTH, Contracts, 2. Aufl.,
Boston/Toronto/London 1990, § 12.4, S. 849 ff., oder ZWEIGERT/KÖTZ, S. 477 f.
Vgl. statt vieler ZWEIGERT/KÖTZ, S. 477.
Z. B. MÜLLER-CHEN, S. 337 ff., m. Hw. zu Ausnahmen bei gewissen Dienstleistungen.
Dieses „Wahlrecht“ des Schuldners kann als Realoption aufgefasst werden. Vgl. Alexander J.
Vertragsinteresse bemessen (expectation damages), doch sprechen die Gerichte
zuweilen auch das negative Interesse zu (reliance damages). Im Allgemeinen wird der
Schuldner deshalb die Erfüllung verweigern, wenn die Erfüllungskosten das positive
Vertragsinteresse übersteigen, welches dem Wert der Leistung für den Gläubiger
entspricht.
205 Die anglo-amerikanische Law and Economics-Literatur hat nachgewiesen, dass die Entscheidung
des Schuldners, zu erfüllen oder Schadenersatz zu zahlen, ökonomisch effizient ist (efficient
breach theory). Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Schadenersatz den
Gläubiger vollständig entschädigt, d. h. exakt dem Wert der Leistung für den Gläubiger
entspricht. Unter diesen Umständen berücksichtigt der Schuldner bei der Entscheidung, zu
erfüllen, nicht nur seine eigenen Interessen, sondern – über den Umweg des drohenden
Schadenersatzanspruchs – auch das Erfüllungsinteresse des Gläubigers.308
206 Ausnahmsweise wird jedoch auch im anglo-amerikanischen Recht ein Anspruch auf
Realerfüllung (specific performance) gewährt.309 Die Rechtsprechung berücksichtigt
dabei, ob Schadenersatz in der konkreten Situation ein adäquates Rechtsmittel ist
(„adequate“).310 Specific performance wird deshalb namentlich gewährt, wenn der
Gegenstand des Vertrages einzigartig („unique“) ist, beispielsweise bei einem
Gemälde oder Erbstück.311 Bei Grundstückskäufen wird specific performance in der
Regel gewährt. Die Gerichte berücksichtigen aber auch, ob die Realerfüllung bei der
Vollstreckung Probleme bereiten würde.
207 Die Law and Economics-Literatur hat diese Rechtsprechung damit zu erklären versucht, dass in
diesen Fällen die Bewertung der Leistung besonders schwierig – da durch subjektive Elemente
bestimmt – ist. Die Gefahr, dass der Schadenersatzanspruch den Gläubiger nicht vollständig für
den erlittenen Schaden entschädigt, ist deshalb in diesen Fällen besonders gross.312 Unter diesen
Umständen wäre die Entscheidung des Schuldners, zu erfüllen oder Schadenersatz zu zahlen,
nicht effizient, weil das Erfüllungsinteresse des Gläubigers nur unzureichend berücksichtigt wird.
Der Schuldner tendiert dazu, die Erfüllung vorschnell zu verweigern. Um das zu verhindern, wird
dem Gläubiger in diesen Fällen ein Anspruch auf Realerfüllung gewährt.313
308
309
310
311
312
313
TRIANTIS/George G. TRIANTIS, Timing Problems in Contract Breach Decisions, Journal of Law
and Economics 41 (1998), S. 163 ff.
Vgl. statt vieler Lewis A. KORNHAUSER, An Introduction to the Economic Analysis of Contract
Remedies, University of Colorado Law Review 57 (1986), S. 683 ff., insb. S. 701 oder Richard
CRASWELL, Contract Remedies, Renegotiation, and the Theory of Efficient Breach, Southern
California Law Review 61 (1988), S. 630 ff., insb. S. 634.
ZWEIGERT/KÖTZ, S. 478.
So auch Restatement (Second) of Contracts, § 359 sowie UCC 2-716. Vgl. ZWEIGERT/KÖTZ, S.
478 f.
Vgl. statt vieler Lon L. FULLER/Melvin Aron EISENBERG, Basic Contract Law, 6. Aufl., 1996, S.
319.
Richard A. POSNER, Economic Analysis of Law, 5. Aufl., 1998, § 4.11, S. 145 f.
Vgl. zum Ganzen Antony T. KRONMAN, Specific Performance, The University of Chicago Law
Review 45 (1978), S. 351 ff.; Alan SCHWARTZ, The Case for Specific Performance, The Yale
Law Journal 89 (1979), S. 271 ff. Specific Performance hat freilich andere Nachteile, vgl. Nr.
71
208 Es fällt auf, dass die amerikanischen Gerichte namentlich in jenen Fällen einen Realerfüllungsanspruch gewähren, bei welchen der Gläubiger nach dem Gesagten auch im
Schweizer Recht auf Realerfüllung beharren würde (vgl. Nr. 187 ff.). So unterschiedlich das Amerikanische Recht und das Schweizer Recht bezüglich des Realerfüllungsanspruchs auch sind, so weisen sie doch im Resultat gewisse Ähnlichkeiten auf.
224 ff.
72
§ 6 Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung
I.
Realerfüllungsanspruch bleibt erfüllbar
1. Grundsatz
209 Wie gesagt richtet sich das Interesse des Schuldners bei Leistungserschwerung typischerweise auf Befreiung vom Realerfüllungsanspruch. Ausnahmsweise kann es sich
jedoch anders verhalten: Der Schuldner hat manchmal ein Interesse, die Leistung trotz
auftretender Schwierigkeiten korrekt zu erbringen. Einerseits kann die Durchführung
des Vertrages für den Schuldner trotz der Leistungserschwerung vorteilhaft sein, weil
der Vertrag besonders günstig für ihn ist. Andererseits bewahrt der Schuldner seinen
Ruf als Geschäftsmann, wenn er trotz der Leistungserschwerung erfüllt. Der Schuldner
ist deshalb zuweilen bereit, aussergewöhnliche Erfüllungsanstrengungen auf sich zu
nehmen, oder die Behebung der Leistungserschwerung abzuwarten. Ein solches
Interesse des Schuldners an Realerfüllung ist schützenswert.314 Es widerspricht den
Interessen des Gläubigers im Normalfall nicht, denn auch dieser hat ein Interesse an
Realerfüllung (Nr. 193).
210 Weil es durchaus möglich ist, dass beide Parteien trotz der Leistungserschwerung an
der Durchführung des Vertrages festhalten wollen, wäre ein vollständiger Wegfall des
Realerfüllungsanspruchs – wie er bei Unmöglichkeit der Leistung nach Art. 97 und
119 OR ipso iure eintritt – bei Leistungserschwerung nicht gerechtfertigt. Die
Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs muss bei Leistungserschwerung
grundsätzlich erhalten bleiben. Zwar kann sich der Vertrag bei Leistungserschwerung
im Moment und allenfalls auch in der Zukunft als undurchführbar erweisen (z. B. bei
Diebstahl einer Speziessache). Dieser Umstand rechtfertigt aber nicht, dem Schuldner
die Befreiung durch Erfüllung zu verweigern, wenn er sich dazu in der Lage sieht.315
Dadurch, dass der Schuldner erfüllt, erbringt er den besten Beweis für die Möglichkeit
der Leistung.
211 Der Schuldner kann deshalb die Leistung trotz Leistungserschwerung erbringen und der
Gläubiger ist – sofern er nicht bereits rechtsgültig auf die Leistung verzichtet hat oder
gemäss den allgemeinen Regeln zu Annahmeverweigerung berechtig ist – im Sinne
einer Obliegenheit verpflichtet, die korrekt erbrachte Leistung anzunehmen.
314 Das Interesse des Schuldners an der (korrekten) Erfüllung seiner Leistungspflicht wird vom
Gesetz beispielsweise im Verzugsrecht anerkannt, wo der Verzicht des Gläubigers auf die Leistung nach Art. 107 Abs. 2 OR unter anderem eine Mahnung des Schuldners und eine Nachfristansetzung voraussetzt.
315 Vgl. ZIEGLER, S. 66.
73
2. Ausnahme: Übergeordnete Interessen des Gläubigers oder Dritter
212 Übergeordnete Interessen des Gläubigers oder eines Dritten können ausnahmsweise bei
Leistungserschwerung der Erfüllung entgegenstehen. Der Gläubiger hat in diesem Falle
ausnahmsweise das Recht, die Annahme der Leistung zu verweigern.
Beispiel: „Opernsängerin-Fall“:316 Die Fondation du Grand-Théâtre de Genève
engagierte eine Opernsängerin, um die Rolle der Nedda in der Oper „I Pagliacci“ von
Ruggero Leoncavallo zu spielen, eine Rolle, welche mit Gewaltszenen verbunden ist.
Als die Opernsängerin am Vorabend der Proben in Genf eintraf, war sie im 6. Monat
schwanger; zur Zeit der letzten Aufführung wäre sie gar im 8. Monat schwanger
gewesen. Der Regisseur weigerte sich aus Angst um die Gesundheit von Mutter und
Kind, die Opernsängerin die Rolle spielen zu lassen.
213
214 Nach dem oben Gesagten hindert die Leistungserschwerung (i. c. die Schwangerschaft)
die Opernsängerin als Schuldnerin grundsätzlich nicht daran, die Leistung zu erbringen
– und tatsächlich, die Opernsängerin wollte die Rolle trotz Schwangerschaft spielen!
Hier stehen aber übergeordnete Interessen der Fondation (Gläubigerin) (z. B. die
korrekte Erfüllung der Pflicht zur Wahrung der Gesundheit, des Lebens und der persönlichen Integrität der Opernsängerin als Arbeitnehmerin, vgl. Art. 328 OR), der anderen
betroffenen Schauspieler und insbesondere des ungeborenen Kindes der Erfüllung entgegen. Diese übergeordneten Interessen rechtfertigen eine Ausnahme vom Grundsatz.
Das Bundesgericht hat deshalb zu Recht festgehalten, die Fondation sei zur Verweigerung der Annahme der Leistung der Opernsängerin berechtigt gewesen.317
II. Zulässigkeit des Verzichts auf Realerfüllung gemäss Art. 107 Abs. 2 OR
215 Andererseits kann der Gläubiger bei Leistungserschwerung das Interesse an der Realerfüllung verlieren, weil sich die Erfüllung verzögert oder sich der Vertrag wegen veränderter Verhältnisse als ungünstig für den Gläubiger erweist. Der Gläubiger will die Leistung gar nicht mehr, und er will deshalb von seiner Obliegenheit zur Entgegennahme der
Leistung in natura befreit werden. Oder der Gläubiger zieht es vor, sich anderweitig
einzudecken, und er muss deshalb verhindern können, dass er die Leistung zweimal
erhält.318 Dieses Interesse des Gläubigers am Wegfall des Realerfüllungsanspruchs
widerspricht dem Interesse des Schuldners an dessen Fortbestand (Nr. 209).
316 BGE 126 III 75 = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 710.
317 BGE 126 III 79 f. = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 715; i. gl. S. auch Wolfgang WIEGAND, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1999 und 2000, Obligationenrecht, ZBJV
138 (2002), S. 323 f.
318 Vgl. KOLLER, BerK, N 223 zu Art. 366 OR.
74
216 Bei Schuldnerverzug hat der Gläubiger unter bestimmten Voraussetzungen das Recht,
gemäss Art. 107 Abs. 2 OR auf den Realerfüllungsanspruch zu verzichten und damit
den Realerfüllungsanspruch zum Erlöschen zu bringen. Weil kein Grund besteht, weshalb der Gläubiger bei Leistungserschwerung schlechter zu behandeln wäre als bei
Schuldnerverzug, muss ein Verzicht auf den Realerfüllungsanspruch gemäss Art. 107
Abs. 2 OR bei gegebenen Voraussetzungen auch bei Leistungserschwerung zulässig
sein.319,320 Auf Besonderheiten bei den Voraussetzungen des Verzichts bei Leistungserschwerung wird hinten im Rahmen eine Sonderfrage ausführlich eingegangen (Nr.
553 ff.). Das Recht des Gläubigers, auf Realerfüllung zu verzichten, stellt sicher, dass
die Interessen des Gläubigers durch die Aufrechterhaltung der Erfüllbarkeit nicht
gefährdet werden.
217 Hat die Leistungserschwerung nur geringfügige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des
Schuldners, so unterscheidet sich die Leistungserschwerung kaum von einem eigentlichen Verzugsfall, was für die Zulässigkeit des Verzichts spricht. Sind die Auswirkungen sehr stark, so ist die
Durchführung des Vertrages ohnehin durch faktische Gründe gefährdet, was ebenfalls für die Zulässigkeit des Verzichts spricht.
III. Dogmatische Folgerungen
218 Der Fortbestand der Erfüllbarkeit bedarf keiner besonderen dogmatischen Abstützung.
Das Gesetz setzt das Recht zu erfüllen als selbstverständlichen Ausfluss jeder Obligation in vielen Bestimmungen voraus (vgl. z. B. Art. 75 OR). Hingegen folgt aus dem
Gesagten implizit, dass die Unmöglichkeitsregeln als Rechtsgrundlage für die
Leistungserschwerung nicht in Frage kommen. Bei Unmöglichkeit der Leistung geht
der Realerfüllungsanspruch des Schuldners nach Art. 119 Abs. 1 OR ipso iure unter,
bzw. wandelt er sich nach Art. 97 Abs. 1 OR (und den anderen einschlägigen
Haftungsnormen wie Art. 101 OR) in eine Schadenersatzpflicht um. Mit dem Realerfüllungsanspruch entfällt grundsätzlich auch dessen Erfüllbarkeit. Diese Rechtsfolgen sind nach vorherrschender Lehre und Rechtsprechung zudem endgültig und
irreversibel (vgl. vorne Nr. 70). Dieser „ipso-iure-Wegfall“ der Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs ist nur gerechtfertigt, wenn der Erfüllung ein Leistungshindernis
entgegensteht, welches eindeutig endgültig und unüberwindbar ist.321 Bei Leistungserschwerung, bei welchen die Verhältnisse oft Veränderungen unterworfen sind, passt er
319 SCHWENZER, Nr. 68.10, befürwortet ein „Rücktrittsrecht nach Art. 97 Abs. 1 OR bzw. analog
Art. 107 Abs. 2 [OR]“ selbst bei Schlechtleistung, wenn diese eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt.
320 Vgl. BUCHER, OR AT, S. 420; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3305, in Bezug auf die vorübergehende Unmöglichkeit.
321 Typische Beispiele sind etwa der Untergang einer Speziessache und die weiteren in Nr. 90 genannten Beispiele.
75
nicht. Aus dem Gesichtspunkt der Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs rechtfertigt sich damit eine restriktive Anwendung von Art. 97 und 119 OR.
219 Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die Leistungserschwerung kein
Fall der Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR ist. Offen bleibt freilich, ob
damit bei Leistungserschwerung eine ganz normale mögliche Leistung vorliegt. Die
folgenden Ausführungen werden zeigen, dass das nicht immer der Fall ist (Nr. 220 ff.).
Unabhängig davon steht jedoch bereits jetzt fest, dass der Gläubiger bei Leistungserschwerung nach Art. 107 Abs. 2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichten kann,
wenn der Schuldner mit der Erbringung der Leistung in Verzug ist.322
322 Der Erhalt der Erfüllbarkeit und die Zulässigkeit eines Verzichts auf nachträgliche Erfüllung entspricht der Rechtslage nach der Verzugstheorie, vgl. VON BÜREN, OR AT, S. 390.
76
§ 7 Die übermässige Leistungserschwerung als Grenze der Erzwingbarkeit des
Realerfüllungsanspruchs
I.
Allgemeines
220 Nach dem in § 6 Gesagten bleibt der Realerfüllungsanspruch bei Leistungserschwerung
erfüllbar: Der Schuldner kann – wenn er sich dazu in der Lage sieht – die Leistung trotz
der Leistungserschwerung erbringen. In § 7 soll nun die Frage beantwortet werden, ob
der Schuldner trotz der Leistungserschwerung zur Realerfüllung verpflichtet bleibt, und
ob der Gläubiger die Leistung in natura einklagen und durchsetzen kann.
221 Ausgangspunkt bildet dabei die typische Interessenlage des Schuldners und des Gläubigers. Zur Erinnerung (vgl. Nr. 193 ff.): Die Parteien haben oft gegensätzliche Interessen:
Der Schuldner möchte bei erhöhtem Erfüllungsaufwand typischerweise von der Pflicht
zur Realerfüllung befreit werden (Befreiungsinteresse). Der Gläubiger hat hingegen ein
Interesse, die Erfüllung trotz des erhöhten Erfüllungsaufwands in natura einfordern und
durchsetzen zu können (Realerfüllungsinteresse). Kurz: Das Interesse des Schuldners
richtet sich auf Befreiung, dasjenige des Gläubigers auf Fortbestand des Realerfüllungsanspruchs. Diese gegensätzlichen Interessen gilt es gegeneinander abzuwägen.
1. Keine absolute Geltung von pacta sunt servanda
222 Eine Regel, wonach der Schuldner immer zur Realerfüllung verpflichtet ist und einzig
bei absoluter Unmöglichkeit von dieser Pflicht befreit wird, gibt es im Schweizer Recht
nicht. Bei solcher absoluter Geltung des Grundsatzes pacta sunt servanda würde das Befreiungsinteresse des Schuldners missachtet und nur dann berücksichtigt, wenn das
Realerfüllungsinteresse des Gläubigers aus logischen Gründen (wegen der absoluten
Unmöglichkeit) nicht verwirklicht werden kann. Dass der Grundsatz pacta sunt servanda trotz seiner grossen Bedeutung keine absolute Geltung hat, ist anerkannt (vgl. Nr.
44). Er wird beispielsweise durchbrochen durch die clausula rebus sic stantibus (Nr.
115 ff.), das Recht zur Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund bei Dauerverträgen
(Nr. 126 ff.) oder – nach der Unzumutbarkeitstheorie – durch die Anwendung der
Unmöglichkeitsbestimmungen auf unzumutbare Leistungen (Nr. 57 ff.).
223 Gegen eine absolute Geltung von pacta sunt servanda sprechen drei Gründe. Erstens
könnten (wirtschaftlich) unsinnige Leistungen erzwungen werden, was nicht richtig sein
kann. Zweitens wäre der Schuldner der Willkür des Gläubigers ausgeliefert: Der Gläubiger könnte vom Schuldner bei Erschwerung der Leistung die Bezahlung einer Ablösesumme erzwingen, welche den Wert der Leistung für den Gläubiger übersteigt. Drittens
77
würden sogar Anreize zur Zerstörung wertvoller Sachen gegeben. Dies sei anhand eines
klassischen Beispiels verdeutlicht:
224
Beispiel: „Ring-Beispiel“:323 Der Schuldner verkauft dem Gläubiger einen wertvollen
Ring für 50'000.- SFr., welchen der Gläubiger für 60'000.- SFr. weiterverkauft. Das
Schiff, auf dem sich der Ring zum Zeitpunkt des Verkaufs befindet, geht vor der Übergabe des Ringes an den Gläubiger unter. Solange der Ring existiert, könnte der Gläubiger – bei absoluter Geltung von pacta sunt servanda – auf Erfüllung beharren und die
Bergung des Ringes auf Kosten des Schuldners verlangen. Dass dem Schuldner durch
die hohen Bergungskosten ein beträchtlicher Schaden entstünde (nehmen wir einmal
an, die voraussichtlichen Kosten beliefen sich auf 150'000.- SFr.), der den Kaufpreis
und auch den Wert des Ringes (ausgewiesen durch das Kaufangebot für 60'000.- SFr.)
überstiege, müsste den Gläubiger nicht stören. Weil der Schuldner (und nicht der
Gläubiger selbst) die Bergungskosten zu tragen hätte, würde der Gläubiger auf der Bergung beharren, obwohl sie (wirtschaftlich) unsinnig wäre. Die Bergung ist unsinnig,
weil die Kosten der Bergung den Wert des Ringes bei weitem übersteigen.
225
Mehr noch: Der Gläubiger könnte die hohen Bergungskosten sogar zu seinem Vorteil
nützen, indem er dem Schuldner anbietet, gegen Bezahlung einer „Ablösesumme“ auf
Realerfüllung zu verzichten. Der Gläubiger wird die Ablösesumme so wählen, dass sie
den Wert des Ringes (60'000.- SFr.) übersteigt, aber geringer ist als die Bergungskosten (150'000.- SFr.). Denn einerseits wird der Gläubiger nicht auf den Erfüllungsanspruch verzichten, wenn er nicht den vollen Wert des Ringes ersetzt bekommt. Und
andererseits wird der Schuldner nie mehr als die Bergungskosten zu zahlen bereit sein.
Der Schuldner hätte die Wahl zwischen der Bezahlung der Ablösesumme und der Realerfüllung, und er würde sich für ersteres als das kleinere Übel entscheiden. Damit
würde der Gläubiger infolge des Schiffsunglücks auf Kosten des Schuldners mehr
erhalten (nämlich die Ablösesumme), als er bei Erfüllung in natura erhalten hätte (den
Ring, welcher für ihn 60'000.- SFr. wert ist).
226
Dieser Zwickmühle könnte der Schuldner nur entkommen, wenn es ihm gelänge, den
Ring zu zerstören. Dann hätte der Schuldner lediglich Schadenersatz nach Art. 97 OR
zu entrichten (positives Vertragsinteresse), welches dem Wert des Ringes (60'000.SFr.) entspricht. Dass das Recht Anreize zur Zerstörung von Sachen gibt, kann aber
nicht die richtige Lösung sein.324
2. Keine Befreiung von der Realerfüllung nach Belieben des Schuldners
227 Ebenso wenig genügt freilich jede Erschwerung der Leistungserbringung für die Befreiung des Schuldners von der Pflicht zur Realerfüllung.325 Die Realerfüllung wird im
Schweizer Recht nicht ins Belieben des Schuldners gestellt. Andernfalls könnte der
323 Vgl. die Nw. vorne in Anm. 50.
324 Vgl. in anderem Zusammenhang GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 430.
325 Vgl. statt vieler KOLLER, OR AT I, Nr. 613; MÜLLER-CHEN, S. 125.
78
Schuldner bei jedem noch so kleinen Erfüllungshindernis, welches er nicht zu vertreten
hat, Realerfüllung verweigern. Das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers würde vollständig missachtet, und der Gewinn, welchen der Schuldner zu machen hofft, würde ihm
implizit garantiert.
228 Exkurs: Obwohl im amerikanischen Recht ein Realerfüllungsanspruch nicht bzw. nur im Ausnahmefall besteht (Nr. 203), ist der Schuldner beim Entscheid, den Vertrag real zu erfüllen, nicht
völlig frei. Im Gegensatz zu den meisten Civil Law-Rechtsordnungen haftet der Schuldner im
anglo-amerikanischen Recht verschuldensunabhängig für Schadenersatz bei Nichterfüllung. Der
Schuldner wird deshalb die Realerfüllung nur verweigern, wenn der Aufwand der Vertragserfüllung
den zu bezahlenden Schadenersatz übersteigt. Ein solches System ohne direkten Realerfüllungszwang würde im Schweizer Recht wegen der Haftungsvoraussetzung des Verschuldens nicht funktionieren.
229 Auch wird der Schuldner nicht gegen Verlust geschützt.326 Der Schuldner erleidet einen
Verlust, wenn der Aufwand der Vertragserfüllung den Wert der Gegenleistung (den
„Preis“ der Leistung) übersteigt. Der Schuldner wird nicht von der Pflicht zur Realerfüllung befreit, nur weil der Erfüllungsaufwand den Wert der Gegenleistung übersteigt.
Andernfalls würde auch hier das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers missachtet.
Wenn beispielsweise der Gläubiger den Vertrag abgeschlossen hat, um sich gegen den
ungewissen Aufwand der Leistung abzusichern, so würde durch die Befreiung des
Schuldners dieser Absicherungszweck des Vertrages gerade vereitelt.
II. Übermässige Leistungserschwerung: Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse
1. Grundlagen
230 Damit steht fest, dass die richtige Lösung sowohl dem Interesse des Schuldners an der
Befreiung vom Realerfüllungsanspruch (Befreiungsinteresse des Schuldners) als auch
dem Interesse des Gläubigers an der Realerfüllung (Realerfüllungsinteresse des Gläubigers) Rechnung tragen muss. Es ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Realerfüllung ist nicht gerechtfertigt, wenn das Befreiungsinteresse des Schuldners das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers überwiegt. Das Befreiungsinteresse des Schuldners misst
sich am für die Erfüllung nötigen Aufwand (Erfüllungsaufwand) – je höher der Erfüllungsaufwand, desto grösser das Interesse des Schuldners an der Befreiung. Realerfüllung ist deshalb zu verweigern, wenn der Erfüllungsaufwand in einem Missverhältnis
zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht.327,328 Die Fälle, bei welchen ein
326 Vgl. BGE 104 II 315.
327 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 67 II, S. 87: „Auch kann es ... vorkommen, dass die Erfüllung für den
Schuldner einen Schaden bedeutet, welcher unverhältnismässig grösser ist als das Erfüllungs-
79
solches
Missverhältnis
besteht,
werden
im
Folgenden
„übermässige
329
Leistungserschwerung“ genannt. Das Ganze bedarf der Erläuterung:
231 1. Grundlage für die Interessenabwägung bildet der Erfüllungsaufwand einerseits und
das Realerfüllungsinteresse andererseits. Beide Begriffe sind weit zu verstehen. Zum
Erfüllungsaufwand gehören nicht nur die Auslagen des Schuldners für die Beschaffung der für die Erfüllung nötigen Leistungen und des Materials, sondern alle dem
Schuldner entstehenden Aufwendungen und Mühen, soweit sie für die Erbringung der
Leistung wirklich nötig sind.330 Entscheidend ist also der gesamte Erfüllungsaufwand,
der entsteht, wenn der Schuldner die Leistung – unter den gegebenen Umständen – auf
die wirtschaftlichste Weise erbringt.
232 Ebenso geboten ist eine umfassende Berücksichtigung des Realerfüllungsinteresses
des Gläubigers. Das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers ist – wie gesagt – dann besonders gross, wenn weder die Gegenleistung noch allfällige Schadenersatzansprüche
für die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzleistung ausreichen (Nr. 187 ff.), beispielsweise infolge eines Affektionsinteresses oder nicht ersetzbaren vertragsspezifischen Aufwands. Damit dem Gläubiger die Chance der Realisierung der mit dem
Vertrag verbundenen Vorteile nicht vorschnell genommen wird (Nr. 182 f.), müssen alle
schützenswerten Interessen an der Realerfüllung beachtet werden. Zu berücksichtigen ist
also nicht nur der blosse Markt- oder Verkehrswert der Leistung, sondern auch ein
höherer subjektiver Wert, ja selbst ein Affektionsinteresse.331 Verlorener vertragsspezifischer Aufwand, z. B. verlorene Such- und Verhandlungskosten, sind ebenso relevant
wie nicht materielle Interessen des Gläubigers, z. B. die Wahrung des guten Rufes des
Gläubigers, der die Leistung weiterveräussert hat. Selbst spekulative Hoffnungen des
Gläubigers können unter Umständen mitberücksichtigt werden.
233 2. Der Abwägung von Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse liegt der
Gedanke zugrunde, dass es unsinnig ist, wenn der Schuldner für die Erbringung der
328
329
330
331
80
interesse des Gläubigers. ... In solchen Fällen kann der Richter in billiger Abwägung der Interessen die Erfüllungsklage verweigern und den Gläubiger auf Schadenersatz verweisen.“ BARTH, S.
62: „So verweigert man dem Gläubiger die nachträgliche Erfüllung nach Massgabe und gestützt
auf das Prinzip von Treu und Glauben, wenn bei an sich erzwingbaren Forderungen die Aufwendungen für die Erfüllung in keinem Verhältnis zum Erfüllungsinteresse des Gläubigers stehen.“
Vgl. CAYTAS, S. 45; MÜLLER-CHEN, S. 244, ferner S. 124 f., insb. Anm. 562 (m. Hw. zum angloamerikanischen Institut der „hardship“); differenzierend MERZ, BerK, N 388 ff. zu Art. 2 ZGB.
Vgl. den im Rahmen der Schuldrechtsreform neu eingeführten § 275 Abs. 2 BGB n. F.: „Der
Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben
Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem
Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das
Leistungshindernis zu vertreten hat.“ Kritisch dazu ZIMMER, NJW 2002, S. 3.
Vgl. auch MÜLLER-CHEN, S. 125.
Vgl. die Nw. zu Nr. 242.
Vgl. zum deutschen Recht LORENZ/RIEHM, Nr. 307.
Leistung mehr Aufwand betreibt, als die Leistung für den Gläubiger wert ist (wobei
„wert“ im dargelegten Sinne weit zu verstehen ist). Der Zweck der Verweigerung der
Realerfüllung liegt damit letzten Endes in der Verhinderung der Verschwendung
wertvoller Ressourcen. Gleichzeitig wird verhindert, dass der Gläubiger ungebührliche
Vorteile erlangt, indem er gegen Bezahlung einer Ablösesumme auf Realerfüllung verzichtet; vgl. Nr. 225. Dieser Zweck liegt verschiedenen Bestimmungen des Obligationenrechts zugrunde, namentlich Art. 368 Abs. 2 OR und Art. 163 Abs. 3 OR (Nr.
241 ff.), aber auch Art. 373 Abs. 2 OR (Nr. 254 ff.). Das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse kann auf dem Wege einer
Gesamtanalogie aus den genannten Bestimmungen abgeleitet werden. Vor allem aber
entspricht es der typischen Interessenlage der Parteien (Nr. 250 ff.).332
234 3. Eine Verschwendung von Ressourcen liegt freilich nicht nur vor, wenn das Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse „grob, auffällig
oder übermässig“ ist, sondern auch, wenn der Erfüllungsaufwand das Realerfüllungsinteresse bloss geringfügig übersteigt.333 Das Bundesgericht setzt bei der Beschränkung
des Nachbesserungsrechts im Werkvertrag, welcher dieselbe Ratio zugrunde liegt (Nr.
241 ff.), voraus, „dass der Nutzen ... die ... Kosten vernünftigerweise nicht mehr zu
rechtfertigen vermag“.334 Damit wird – wenn ich das Bundesgericht richtig verstehe –
zwar kein qualifiziertes Missverhältnis verlangt, aber dennoch zu einer gewissen
Zurückhaltung bei der Befreiung des Schuldners gemahnt. Dem ist zuzustimmen. Neben
dem Gedanken, dass nur Realerfüllung es dem Gläubiger erlaubt, die mit dem Vertrag
verbundenen Vorteile zu verwirklichen, sprechen die Schwierigkeiten der Bestimmung
des Erfüllungsaufwands und des Realerfüllungsinteresses für diese Auffassung.
332 Auch Treu und Glauben lässt sich zur Begründung heranziehen: Wenn der Gläubiger durch das
Bestehen auf einer Ablösesumme ungebührliche Vorteile zu erzwingen versucht (vgl. Nr. 225),
verhält er sich treuwidrig. Das Beharren auf Realerfüllung ist für den Schuldner aber die
einschneidendere Massnahme. Sie muss deshalb erst recht treuwidrig sein (zumal die Realerfüllung dem Gläubiger geringere Vorteile bringt als das Erzwingen einer Ablösesumme).
333 Anders § 275 Abs. 2 BGB n. F., der ein „grobes Missverhältnis“ voraussetzt. Vgl. dazu
PALANDT-HEINRICHS, Ergbd., N 26 und 28 zu § 275 BGB; KROPHOLLER, N 4 zu § 275 BGB;
SCHULZE, Handkommentar BGB, N 21 zu § 275 BGB; sehr restriktiv z. B. LORENZ/RIEHM, Nr.
309 f., die vorschlagen, § 275 Abs. 2 BGB n. F. auf Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs zu
beschränken, „auf offensichtliche Extremfälle ..., in denen überhaupt kein Zweifel daran bestehen
kann, dass der Leistungsaufwand völlig ausser Verhältnis zum Interesse des Gläubigers steht, der
Rechtsmissbrauch durch den Gläubiger also evident ist.“
334 BGE 111 II 174, unter Berufung auf KLAUSER, S. 113. Der vollständige Satz lautet: „Da der Ausschluss des Nachbesserungsanspruchs bei übermässigen Kosten als Anwendungsfall der Untunlichkeit einer Realerfüllung den Unternehmer vor nach Treu und Glauben unzumutbaren Forderungen schützen soll, genügt es für den Wegfall des Nachbesserungsrechts, dass der Nutzen des
Bestellers die mit der Verbesserung verbundenen Kosten vernünftigerweise nicht mehr zu rechtfertigen vermag...“ Dies liesse darauf schliessen, dass nach der Auffassung des BGer dasselbe
Kriterium als allgemeiner Grundsatz gilt.
81
235 Bei der Bestimmung, ob ein solches Missverhältnis vorliegt, kann – im Sinne eines Gedankenexperiments – folgende Frage gestellt werden: Würde der Gläubiger, wenn er alle Kosten und Mühen der
Leistungserbringung selbst zu berappen hätte, sich noch für die Durchführung des Vertrages entscheiden? Jeder rational denkende Gläubiger würde sich nämlich gegen die Durchführung des Vertrages entscheiden, wenn der Erfüllungsaufwand sein Realerfüllungsinteresse übersteigt.
236 4. Bei der Beurteilung, ob Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse in einem
Missverhältnis zueinander stehen, sind vertragliche Vereinbarungen mit zu berücksichtigen.335 Die Parteien können selbst definieren, wann ein Missverhältnis vorliegt. Sie
können vertraglich vereinbaren, welche Erfüllungsanstrengungen der Schuldner – wenn
nötig – vornehmen muss bzw. welche er nicht vorzunehmen hat.336 Dass vertragliche
Vereinbarungen zulässig sind, ist unbestritten.337 Durch die Konkretisierung der
geschuldeten Erfüllungsanstrengungen verteilen die Parteien das vertragliche Risiko,
und diese vertragliche Risikoverteilung ist für den Richter verbindlich.338
237 So unbestritten die Zulässigkeit von vertraglichen Vereinbarungen auch ist, so problematisch erweist sich im konkreten Fall die Ermittlung, ob die Parteien eine solche vertragliche Vereinbarung getroffen haben. Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, so ist
durch Vertragsauslegung zu ermitteln, ob die Parteien eine stillschweigende Vereinbarung getroffen haben. Ist dies zu verneinen, so gilt die allgemeine Regel des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse. Nur ausnahmsweise, wenn der Vertrag konkrete Anhaltspunkte für einen abweichenden hypothetischen Parteiwillen gibt, kann der Vertrag gemäss dem von der allgemeinen Regel
abweichenden hypothetischen Parteiwillen ergänzt werden.339 Damit ist die Frage des
Wegfalls des Realerfüllungsanspruchs oftmals auch ein Problem der Vertragsauslegung
und – seltener – der Vertragsergänzung. Auf diese Probleme wird in Zusammenhang mit
Gattungsschulden ausführlich eingegangen (Nr. 382 ff.).
238 5. Gemäss dem soeben Gesagten ist bei übermässiger Leistungserschwerung
Realerfüllung zu verweigern. Was damit im Einzelnen gemeint ist, wird hinten in Teil 3
ausführlich dargelegt. Damit die nachfolgenden Ausführungen nicht missverstanden
werden, sei das Wichtigste der Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung
hier vorweggenommen: Nach hier vertretener Auffassung ist der Schuldner bei übermässiger Leistungserschwerung berechtigt, die Erbringung der Leistung in natura
während deren Dauer zu verweigern.340 Beruft sich der Schuldner auf dieses Leistungs335 Vgl. § 275 Abs. 2 BGB n. F.; LORENZ/RIEHM, Nr. 308.
336 Vgl. MÜLLER-CHEN, S. 235 ff. und passim.
337 Sowohl den Unmöglichkeitsregeln (Art. 97 und 119 OR) als auch der clausula rebus sic stantibus
gehen vertragliche Vereinbarungen vor (vgl. Nr. 53 und Nr. 120).
338 MÜLLER-CHEN, S. 235 f.
339 KOLLER, OR AT I, Nr. 613.
340 Vgl. GUHL/KOLLER, § 38 N 41, in Bezug auf die sog. Unerschwinglichkeit. Vgl. zum deutschen
Recht den neuen § 275 Abs. 2 BGB n. F., dazu hinten Anm. 439; bereits vor Inkrafttreten der
82
verweigerungsrecht (Einrede), kann er während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung nicht zur Realerfüllung verurteilt werden. Der Vertrag bleibt aber im Übrigen grundsätzlich bestehen: Der Gläubiger kann – wie bereits gesagt – zuwarten und auf
die Behebung der übermässigen Leistungserschwerung hoffen, um nach der Behebung
Realerfüllung zu fordern. Er kann aber auch jederzeit nach Art. 107 Abs. 2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichten und damit den Vertrag beenden. Nur unter besonderen
Umständen hat der Schuldner das Recht, die Anpassung des Vertrages durch den
Richter, namentlich dessen Auflösung zu verlangen.341 Wenn im Folgenden davon die
Rede ist, dass bei übermässiger Leistungserschwerung der Realerfüllungsanspruch zu
verweigern ist oder entfällt, so ist damit immer (nur) gemeint, dass dem Schuldner ein
Leistungsverweigerungsrecht und unter bestimmten Umständen ein Recht auf richterliche Vertragsanpassung zusteht.
239 6. Im Folgenden wird wie folgt vorgegangen: Zuerst ist von der Herleitung des
Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse die Rede (Nr. 240 ff.). Sodann wird analysiert, ob verschiedene andere Faktoren, beispielsweise das Vorliegen einer Äquivalenzstörung, eines Verschuldens des
Schuldners oder Gläubigers an der Leistungserschwerung, deren Voraussehbarkeit oder
die Unentgeltlichkeit des Rechtsgeschäftes beim Entscheid über die Verweigerung des
Realerfüllungsanspruchs mit zu berücksichtigen sind (Nr. 258 ff.). Separat wird auf die
Dauer der Leistungserschwerung eingegangen (Nr. 302 ff.). Schliesslich wird das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse
anhand gewisser klassischer Beispiele konkretisiert (Nr. 350 ff.).
2. Herleitung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand
und Realerfüllungsinteresse
240 Das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse kann nicht aus Art. 97 und 119 OR abgeleitet werden. Weder Wortlaut noch
Entstehungsgeschichte noch Zweck der Unmöglichkeitsbestimmungen lassen darauf
schliessen.342 Auch die Lehre und Rechtsprechung zur clausula rebus sic stantibus kennt
Schuldrechtsreform EMMERICH, § 19 II, S. 212: „[J]edoch erlangt der Schuldner ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht, sofern und solange ihm die Leistung nicht mehr zuzumuten ist, insb. wenn es sich um einen Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit handelt, der
nicht der endgültigen Unmöglichkeit gleichsteht.“ Ferner Münchener Kommentar/EMMERICH,
N 28 vor § 275 BGB.
341 Anders die Rechtslage im deutschen Recht: Das neu ins BGB aufgenommene Leistungsverweigerungsrecht gemäss § 275 Abs. 2 BGB n. F. ist, obwohl als Einrede ausgestattet, Schuldbefreiungsgrund wie die in § 275 Abs. 1 BGB n. F. geregelte Unmöglichkeit. Vgl. PALANDTHEINRICHS, Ergbd., N 26 zu § 275 BGB.
342 Immerhin sind nach der Unzumutbarkeitstheorie die Unmöglichkeitsbestimmungen anwendbar,
83
das Kriterium nicht. Das Kriterium geht aber einerseits aus Art. 368 Abs. 2 OR und
mittelbar auch aus Art. 163 Abs. 3 OR hervor. Andererseits entspricht es der typischen
Interessenlage der Parteien. Schliesslich bestätigt Art. 373 Abs. 2 OR die hier vertretene
Auffassung.
A. Beschränkung des Nachbesserungsrechts im Werkvertrag nach Art. 368 Abs. 2
OR
241 Im Werkvertrag hat der Besteller bei mangelhafter Ausführung des Werkes – unter bestimmten Voraussetzungen – das Recht, die unentgeltliche Verbesserung des Werks zu
verlangen (Art. 368 Abs. 2 OR). Gemäss Art. 368 Abs. 2 OR kann Nachbesserung nur
geltend gemacht werden, wenn die Nachbesserung „nicht übermässige Kosten verursacht“. Übermässig bedeutet unverhältnismässig:343 „Die Nachbesserungskosten sind
dann übermässig, wenn sie in einem Missverhältnis zum Nutzen stehen, den die Mängelbeseitigung dem Besteller bringt“.344 Im Einzelnen:
242 Der gesamte Aufwand der Mängelbeseitigung ist dem gesamten Nutzen gegenüberzustellen. Zum
Aufwand gehören damit nicht nur die Kosten der eigentlichen Mängelbeseitigung, sondern auch
Begleitkosten, namentlich für Vorbereitungs- und Wiederherstellungsarbeiten, und Mangelbehebungsfolgekosten.345 Nicht nur die Auslagen des Unternehmers für eingekaufte Leistungen und
Material sind zu berücksichtigen, sondern auch die vom Unternehmer selbst erbrachten Leistungen,
ja sogar alle Anstrengungen und Mühen, welche dem Unternehmer entstehen.346 Ebenso sind auf
Seiten des Bestellers nicht nur der Mehrwert des verbesserten Werks zu berücksichtigen, sondern
auch nichtwirtschaftliche Interessen,347 beispielsweise das Interesse des Bestellers, dass die Hausfassade den vereinbarten Farbton aufweist.348 Der Nutzen ist namentlich beträchtlich, wenn vom unverbesserten Werk Gefahren für den Gläubiger oder Dritte ausgehen.349
243 Nicht vorausgesetzt wird jedoch, dass das Missverhältnis qualifiziert, beispielsweise „grob“ oder
„krass“ ist.350 Es genügt „für den Wegfall des Nachbesserungsrechts, dass der Nutzen des Bestellers
343
344
345
346
347
348
349
350
84
„wenn die zur Erfüllung erforderliche Mühe und Aufwendung in keinem vernünftigen Verhältnis
zum Wert der Leistung steht“, VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; ferner MERZ, Revision, ZSR 61
(1942), S. 415a; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR.
KOLLER, Nachbesserungsrecht, Nr. 91, unter Hinweis auf das österreichische und deutsche Recht;
DERS., BR 1986, S. 11.
BGE 111 II 173 (Regeste); HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 11 zu Art. 368 OR; ZINDEL/
PULVER, BasK, N 48 zu Art. 368 OR, m. Hw.; KOLLER, BR 1986, S. 11.
BGE 111 II 174; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1755; HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 11 zu Art.
368 OR; ZINDEL/PULVER, BasK, N 51 zu Art. 368 OR.
Teilweise abweichend ZINDEL/PULVER, BasK, N 52 zu Art. 368 OR.
BGE 111 II 174; ferner GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1757; HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 11 zu
Art. 368 OR; KOLLER, BR 1986, S. 11; BÜHLER, ZürK, N 144 f. zu Art. 368 OR.
GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1757.
Vgl. GAUCH, Werkvertrag Nr. 1760.
ZINDEL/PULVER, BasK, N 50 zu Art. 368 OR; LENZLINGER GADIENT, S. 111; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1758; a. A. KOLLER, Nachbesserungsrecht, Nr. 94 Anm. 119: Vom Grundsatz pacta sunt
die mit der Verbesserung verbundenen Kosten vernünftigerweise nicht mehr zu rechtfertigen vermag“.351 Das Bundesgericht lehnt auch die Berücksichtigung eines Missverhältnisses zwischen Verbesserungskosten und Werklohn (also einer Äquivalenzstörung) richtigerweise ab (vgl. Nr.
259 ff.).352
244 Der Nachbesserungsanspruch ist nichts anderes „als der Erfüllungsanspruch in modifizierter Gestalt“.353 Art. 368 Abs. 2 OR setzt dem Realerfüllungsanspruch in Form des
Nachbesserungsanspruchs damit ausdrücklich Grenzen. Dass der Gesetzgeber gerade
beim Nachbesserungsanspruch eine ausdrückliche Beschränkung des Realerfüllungsanspruchs vorsieht, erklärt GAUCH mit der Erfahrungstatsache, „dass eine Beseitigung
des Mangels regelmässig höhere Kosten verursacht als die zur Vermeidung des Mangels
erforderlichen Massnahmen“354 – die Gefahr eines Missverhältnisses zwischen Kosten
und Nutzen ist damit hier besonders gross.
245 Gemäss dem Bundesgericht handelt es sich beim Ausschluss des Nachbesserungsanspruchs bei übermässigen Kosten um einen Anwendungsfall der Untunlichkeit der Realerfüllung: Der Unternehmer soll vor nach Treu und Glauben unzumutbaren Forderungen
geschützt werden.355 Aus Art. 368 Abs. 2 OR lässt sich deshalb der allgemeine Grundsatz ableiten, dass der Realerfüllungsanspruch entfällt, wenn der Erfüllungsaufwand (die
„Kosten“) in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse (dem „Nutzen“) steht.
B. Herabsetzung übermässiger Konventionalstrafen nach Art. 163 Abs. 3 OR
246 Das hier vertretene Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und
Realerfüllungsinteresse kann sodann auf Art. 163 Abs. 3 OR abgestützt werden. Gemäss
dieser Bestimmung sind übermässig hohe Konventionalstrafen durch den Richter nach
seinem Ermessen herabzusetzen. Eine hohe Konventionalstrafe hat eine ähnliche Wirkung wie der Realerfüllungsanspruch. Während durch letzteren die Erfüllung der Leistung unmittelbar erzwungen wird, übt erstere mittelbaren Zwang auf den Schuldner aus,
351
352
353
354
355
servanda „darf nur in Extremfällen abgewichen werden, so eben in Rechtsmissbrauchsfällen.“
Restriktiv auch GAUTSCHI, BerK, N 19 zu Art. 368 OR.
BGE 111 II 174.
BGE 111 II 174; zustimmend GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1752 f.; HUBER/SCHWENDENER, HandK,
N 11 zu Art. 368 OR; LENZLINGER GADIENT, S. 112; REBER, S. 150; BÜHLER, ZürK, N 144 zu
Art. 368 OR, anders aber in N 146; a. A. KOLLER, BR 1986, S. 11 f., m. Hw.; GAUTSCHI, BerK,
N 3c zu Art. 368 OR; ZINDEL/PULVER, BasK, N 50 zu Art. 368: „nur in extremen Fällen“.
KOLLER, Nachbesserungsrecht, Nr. 120, unter Hinweis auf LARENZ, Schuldrecht BT, S. 350; ausdrücklich auch OGer ZH, ZR 79 (1980), Nr. 129 S. 278 = SJZ 78 (1982), S. 9: „Der Verbesserungsanspruch ist ein Erfüllungsanspruch.“
GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1765.
BGE 111 II 174; OGer ZH, ZR 79 (1980), Nr. 129, S. 279 = SJZ 78 (1982) Nr. 1, S. 9 f.; zustimmend GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1749 und 1765; ZINDEL/PULVER, BasK, N 47 zu Art. 368 OR;
KLAUSER, S. 113; KOLLER, BR 1986, S. 11; BÜHLER, ZürK, N 145 f. zu Art. 368 OR.
85
den Vertrag real zu erfüllen.356 Wenn die Konventionalstrafe übermässig hoch ist, hat
der Schuldner faktisch keine andere Wahl, als die Leistung zu erbringen. Dass Art. 163
Abs. 3 OR den mittelbaren Zwang zur Realerfüllung beschränkt, bestätigt freilich die
Auffassung, dass der Realerfüllungsanspruch generell beschränkt sein muss. Es wäre
nicht konsequent, die mittelbare Erzwingbarkeit der Realerfüllung in Art. 163 Abs. 3
OR zu beschränken, aber die unmittelbare unbeschränkt zu lassen.
247 Mehr noch: Bei der Beurteilung der Übermässigkeit einer Konventionalstrafe berücksichtigt die bundesgerichtliche Rechtsprechung das Verhältnis zwischen der vereinbarten Konventionalstrafe und dem Interesse des Gläubigers an der Erfüllung der gesicherten Forderung,357 aber auch zahlreiche andere Gesichtspunkte.358 Eine Herabsetzung ist
„insbesondere gerechtfertigt, wenn zwischen der Konventionalstrafe und dem Interesse
des Gläubigers an der Erfüllung ein krasses Missverhältnis besteht...“359 Nicht nur die
finanziellen Interessen des Gläubigers an der Erfüllung sind zu berücksichtigen, sondern
jedes berechtigte Interesse, auch ein Affektionsinteresse.360 In einem Entscheid aus dem
Jahre 1903 hat das Bundesgericht sogar ausdrücklich festgehalten, die Konventionalstrafe sei „auf denjenigen Betrag herabzusetzen, der, wenn er im Vertrage stipuliert
wäre, zwar als das gesamte Erfüllungsinteresse deckend, nicht aber als übermässig zu
bezeichnen wäre“.361 Das Bundesgericht scheint deshalb bei Konventionalstrafen jenes
Kriterium mit zu berücksichtigen, welches auch Art. 368 Abs. 2 OR zugrunde liegt. Der
allgemeine Grundsatz (Nr. 230 ff.) lässt sich deshalb auch auf Art. 163 Abs. 3 OR abstützen.362
356 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 87 I, S. 277; FISCHER, S. 162; ZIEGLER, HandK, N 3 zu Art. 161 OR;
ausführlich SANTORO, S. 23 f. und S. 117; BENTELE, S. 12; ferner GUHL/SCHNYDER, § 56 N 12.
Nicht treffend erscheint mir, die Konventionalstrafe als „Selbsthilferecht“ zu bezeichnen (so
SANTORO, S. 108), ist doch der Gläubiger auch zur Durchsetzung einer Konventionalstrafe auf
staatliche Hilfe angewiesen.
357 BGE 82 II 146; BGE 114 II 264; BGE 103 II 108; BGE 103 II 135; BGE 95 II 540; BGE 91 II
383; BGE 69 II 79; BGE 68 II 174; BGE 63 II 249; BGE 29 II 704.
358 BGE 114 II 265 fasst zusammen: Zu den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls
„...gehören insbesondere die Art und Dauer des Vertrages (BGE 38 II 102), die Schwere des Verschuldens und der Vertragsverletzung (BGE 103 II 135, 91 II 383), das Interesse des Ansprechers
an der Einhaltung des Verbots (BGE 103 II 135) sowie die wirtschaftliche Lage der Beteiligten
(BGE 95 II 539 f.), namentlich des Verpflichteten... Zu berücksichtigen sind ferner allfällige
Abhängigkeiten aus dem Vertragsverhältnis und die Geschäftserfahrungen der Beteiligten.
Gegenüber einem Arbeitnehmer, der in der Regel auch der wirtschaftlich Schwächere ist, rechtfertigt sich eine Herabsetzung eher als unter wirtschaftlich gleichgestellten und geschäftskundigen Vertragspartnern...“ Vgl. ferner die Übersicht bei EHRAT, BasK, N 16 f. zu Art. 163
OR.
359 BGE 103 II 108; BGE 95 II 540; BGE 68 II 174, m. w. Nw.
360 Gl. A. VON TUHR/ESCHER, § 87 IV, S. 285; BUCHER, OR AT, S. 532; vgl. auch BGE 29 II 704 f.
und BGE 63 II 249 f.; ferner BENTELE, S. 121; FISCHER, S. 164; SANTORO, S. 113; SCHERRER, S.
29.
361 BGE 29 II 706.
362 VON BÜREN, OR AT, S. 412, will Art. 163 Abs. 3 OR analog anwenden auf „Verschärfungen der
86
248 Anders ausgedrückt: Der Schuldner wird einen Vertrag mit Konventionalstrafe erfüllen, wenn der
Erfüllungsaufwand geringer ist als die Konventionalstrafe. Wenn die Konventionalstrafe in einem
Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht, wird der Schuldner auch dann
zur Erfüllung in natura gezwungen, wenn der Erfüllungsaufwand das Realerfüllungsinteresse
übersteigt. Art. 163 Abs. 3 OR hat den Zweck, ein solches Ergebnis zu verhindern.
249 Gleichzeitig aber widerspricht Art. 163 Abs. 3 OR dem Grundsatz, dass die Parteien
durch vertragliche Vereinbarung bestimmen können, wann ein Missverhältnis zwischen
Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse besteht (Nr. 236). Insofern ist Art. 163
Abs. 3 OR eine problematische Bestimmung: Vereinbaren die Parteien eine hohe Konventionalstrafe, so deutet das darauf hin, dass das Realerfüllungsinteresse der Höhe der
Konventionalstrafe entspricht (zur Begründung vgl. Nr. 250 f.).363 Zu Recht wird
deshalb allgemein zur Zurückhaltung bei der Anwendung von Art. 163 Abs. 3 OR gemahnt.364 Ein richterlicher Eingriff scheint deshalb grundsätzlich nur gerechtfertigt,
wenn sich die Verhältnisse seit dem Vertragsschluss verändert haben,365 das Realerfüllungsinteresse also in der Zwischenzeit gesunken ist. Ausserdem kann eine Herabsetzung geboten sein, wenn sich eine verhandlungsschwache Partei zur Leistung einer
Konventionalstrafe an eine verhandlungsstarke Partei verpflichtet hat, weil wegen der
ungleichen Verhandlungsmacht allenfalls geschlossen werden muss, dass die Konventionalstrafe nicht das Resultat einer ausgewogenen Verhandlung ist,366 und damit dem
Erfüllungsinteresse nicht entspricht.
363
364
365
366
Verstossfolgen irgendwelcher Art, beispielsweise auf über das Gesetz hinausgehende Verfalloder Verwirkungsklauseln, auf Vereinbarungen, die zwar nicht von einem Schadenseintritt, aber
von den Ersatzbemessungsregeln absehen ..., und dergleichen. ... Art. 163 III ist als der Ausdruck
eines allgemeinen Rechtsgedankens anzusehen...“
Vgl. VON BÜREN, OR AT, S. 412: Die Konventionalstrafe will „nicht Schadenersatz und nicht
Ausgleich sein..., sondern [ist] Ausdruck einer vertraglichen Interessenwertung...“ (Hervorhebung hinzugefügt).
Vgl. BGE 114 II 264; BGE 103 II 135 f.; BGE 95 II 540; BGE 68 II 174; ferner z. B. EHRAT,
BasK, N 10 zu Art. 163 OR; GUHL/SCHNYDER, § 56 N 7; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3951;
SANTORO, S. 111; ZIEGLER, HandK, N 5 zu Art. 161 OR. M. E. sollte der Fokus – abgesehen von
veränderten Umständen und unterschiedlicher Verhandlungsmacht (siehe Text) – auf Willensmängel bei der Vereinbarung gerichtet werden; ähnlich VON TUHR/ESCHER, § 87 IV, S. 284. Das
Gesetz gibt für eine solche Auslegung jedoch wenig Anhaltspunkte.
Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 87 IV, S. 284; vgl. auch Pra 78 (1989) Nr. 36, S. 147, Erw. 2b (in
BGE 114 II 264 f. nicht abgedruckt) und BGE 103 II 136. Bei der Beurteilung der Übermässigkeit der Höhe der Konventionalstrafe ist jedenfalls auf den Zeitpunkt der Nichterfüllung der
Hauptleistung, nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, vgl. BGE 114 II 264;
BGE 69 II 79; BENTELE, S. 110 und 122; VON BÜREN, OR AT, S. 411 f.; EHRAT, BasK, N 11 zu
Art. 163 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3947 und 3954; ZIEGLER, HandK, N 7 zu Art. 163 OR.
Vgl. BGE 41 II 142 f.; BENTELE, S. 111; bspw. im Arbeitsvertrag, vgl. SANTORO, S. 108 ff.
87
C. Typische Interessenlage der Parteien
250 Die Beschränkung des Realerfüllungsanspruchs bei übermässiger Leistungserschwerung
entspricht sodann der typischen (generell-abstrakten) Interessenlage der Parteien und
damit der Regel, welche der Richter nach Art. 1 Abs. 2 ZGB modo legislatoris zu schaffen hat.367 Die Überlegung, welche dies zeigt, ist eine wirtschaftliche. Sie lässt sich am
einfachsten anhand eines Beispiels formal darlegen. Vgl. dazu Nr. 252 f. Das Argument
lässt sich aber auch intuitiv erfassen:
251 Ausgangspunkt bildet die Feststellung, dass die Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung eine Verschwendung von Ressourcen ist, weil es unsinnig ist, wenn
der Schuldner mehr Aufwand für die Erbringung der Leistung betreibt, als die Leistung
für den Gläubiger wert ist (vgl. Nr. 233). Die Parteien eines Vertrages, der Realerfüllung
auch bei übermässiger Leistungserschwerung vorsieht („strenger Vertrag“), können sich
deshalb gemeinsam und auch je einzeln besser stellen, wenn sie bei übermässiger Leistungserschwerung auf die Durchführung des Vertrages verzichten. Dies zeigt das RingBeispiel (Nr. 224 ff.). Die Parteien profitieren beide davon, wenn sie den Vertrag neu
verhandeln, so dass der Gläubiger gegen Bezahlung einer Ablösesumme auf Realerfüllung verzichtet. Sowohl Gläubiger als auch Schuldner werden durch die Neuverhandlung besser gestellt. Die Parteien brauchen mit der Neuverhandlung freilich nicht zuzuwarten, bis eine übermässige Leistungserschwerung eintritt. Wenn sie von Anfang an
einen Vertrag ohne Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung vereinbaren
(„milder Vertrag“), haben sie die gleichen Vorteile. Zudem vermeiden sie, dass der
Gläubiger bei der Neuverhandlung alle Vorteile für sich beansprucht, vom Schuldner
also eine zu hohe Ablösesumme verlangt (was gar zum Abbruch der Neuverhandlungen
führen könnte). Weil der Vertrag ohne Realerfüllungsanspruch bei übermässiger Leistungserschwerung der ideale Vertrag für beide Parteien ist (der Vertrag ist effizient),
entspricht es der typischen Interessenlage der Parteien am besten, wenn der Realerfüllungsanspruch bei übermässiger Leistungserschwerung entfällt.
252 Formal: Nehmen wir an, der Schuldner verspreche dem Gläubiger eine Leistung gegen Bezahlung
des Preises p, welcher grösser ist als die Kosten der Leistungserbringung k (sonst würde der Schuldner den Vertrag nicht freiwillig eingehen), aber kleiner als der Wert der Leistung für den Gläubiger
w (sonst würde der Gläubiger dem Vertrag nicht zustimmen), also w > p > k. Es können jedoch
Ereignisse eintreten, welche die Leistungserbringung über den Wert der Leistung hinaus verteuern
(übermässige Leistungserschwerung). Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts solcher Ereignisse sei q.
Bei Eintritt dieser Ereignisse betragen die Kosten der Leistungserbringung K (K > w).
367 Vgl. MEIER-HAYOZ, BerK, N 317 ff. zu Art. 1 ZGB.
88
253 Die Parteien können vertraglich vereinbaren, ob der Schuldner die Leistung auch bei Eintritt der
Ereignisse zu erbringen hat („strenger Vertrag“) oder nicht („milder Vertrag“). Wenn der Schuldner
die Leistung auch bei Eintritt dieser Ereignisse erbringen muss, so will er dafür entschädigt werden:
Er verlangt also einen Preis, der um q · K höher ist als wenn er bei Eintritt der Ereignisse befreit
wird.368 Dem höheren Preis entspricht natürlich ein höherer Nutzen für den Gläubiger: Da er Realerfüllung auch bei Eintritt der Ereignisse erhalten wird, ist der strenge Vertrag q · w mehr Wert als
der milde Vertrag, bei dem der Schuldner befreit wird.369 Der Mehrnutzen des strengen Vertrags (q ·
w) ist aber kleiner als der Preisaufschlag (q · K), den der Gläubiger für den strengen Vertrag zu bezahlen hat: q · w < q · K.370 Für einen Mehrnutzen von q · w ist kein Gläubiger q · K zu zahlen bereit.371 Der Gläubiger wird also immer den milden Vertrag abschliessen wollen, während der
Schuldner indifferent ist, weil er für die Extrakosten des strengen Vertrages entschädigt wird. Es
entspricht deshalb der typischen Interessenlage der Parteien, dass der Schuldner befreit wird, wenn
die Kosten der Vertragserfüllung den Nutzen der Realerfüllung übersteigen.
D. Richterliche Vertragsanpassung bei ausserordentlichen Umständen im Werkvertragsrecht nach Art. 373 Abs. 2 OR
254 Das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse wird auch durch Art. 373 Abs. 2 OR bestätigt. Diese Bestimmung sieht – wie
gesagt – vor, dass der Richter, „[f]alls ... ausserordentliche Umstände ... die Fertigstel368 Wenn der Schuldner bei Eintritt der Ereignisse befreit wird, so entstehen ihm keine Extrakosten.
Er verlangt also den normalen Preis. Wenn der Schuldner die Leistung auch bei Eintritt der Ereignisse zu erbringen hat, so entstehen ihm Extrakosten: Wenn die Ereignisse eintreten, was mit
Wahrscheinlichkeit q passiert, hat er Kosten von K. Er wird also eine Extraentschädigung verlangen, welche der Wahrscheinlichkeit der höheren Kosten multipliziert mit den höheren Kosten entspricht, also q · K. Beim strengen Vertrag wird deshalb der Preis um q · K höher sein als beim
milden Vertrag.
369 Wenn der Schuldner befreit wird, so hat der Gläubiger keinen Extranutzen. Wenn aber der
Schuldner die Leistung auch bei Eintritt der Ereignisse zu erbringen hat, resultiert für den Gläubiger ein zusätzlicher Nutzen von q · w, weil der Gläubiger die Leistung auch erhält, wenn er sie
beim milden Vertrag nicht erhalten würde.
370 In Nr. 252 haben wir angenommen, dass die Kosten der Leistungserbringung bei Eintritt der
Ereignisse den Wert der Leistung übersteigen: K > w. Multipliziert man beide Seiten mit q, erhält
man q · K > q · w, oder umformuliert q · w < q · K.
371 Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Gläubiger risikoavers ist, er also gegen das Ausbleiben
der Leistung „versichert“ sein will. Dann wäre der Gläubiger allenfalls mehr als q · w und allenfalls sogar mehr als q · K zu zahlen bereit, so dass der strenge Vertrag zustande käme. Dafür muss
aber vorausgesetzt werden, dass der Schuldner risikoneutral (oder zumindest weniger risikoavers
als der Gläubiger) ist, weil ein risikoaverser Schuldner für das zusätzliche Risiko nicht nur q · K,
sondern eine zusätzliche Risikoprämie verlangen würde. Dass der Schuldner weniger risikoavers
ist als der Gläubiger, mag zwar im Einzelfall so sein (beispielsweise wenn der Schuldner viele
Verträge abgeschlossen hat, so dass er sich selbst versichern kann), im Allgemeinen besteht aber
kein Anlass für diese Annahme. Mehr noch: Auch ein risikoaverser Gläubiger würde dem strengen Vertrag einen Vertrag vorziehen, der ihm bei Leistungserschwerung den Ersatz des vollen
Werts der Leistung in Geld zugesteht. Dieser Vertrag ist für den Gläubiger gleich wertvoll wie
der strenge Vertrag, für den Schuldner aber billiger, was sich in einem tieferen Preis niederschlägt.
89
lung [des Werkes] hindern oder übermässig erschweren ... nach seinem Ermessen eine
Erhöhung des Preises oder die Auflösung des Vertrages bewilligen [kann].“ Art. 373
Abs. 2 OR sieht demnach zwei mögliche Eingriffe des Richters in den Vertrag vor, die
Erhöhung des Preises372 einerseits und die Auflösung des Vertrages andererseits, wobei
letzteres im Prinzip der Verweigerung der Realerfüllung verbunden mit anderen Auflösungsfolgen entspricht.373 Welcher der beiden möglichen Eingriffe der angemessenere
ist, entscheidet der Richter „nach seinem Ermessen“, das heisst nach Recht und Billigkeit. Er berücksichtigt dabei die Interessen beider Parteien.374
255 Dabei ist zu beachten, dass die beiden möglichen Eingriffe in ihrer Wirkung verschieden
sind. Wohl kann durch die Erhöhung der Vergütung ein Missverhältnis zwischen dem
(erhöhten) Erfüllungsaufwand und der Vergütung, also eine Äquivalenzstörung behoben
werden. Ist aber der Erfüllungsaufwand so gestiegen, dass gar ein Missverhältnis
zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse des Gläubigers vorliegt (übermässige Leistungserschwerung), ist eine Erhöhung der Vergütung nicht sinnvoll. Die
Vergütung müsste in diesem Falle über das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers hinaus erhöht werden, was ihm nicht zugemutet werden kann.375 Der Richter muss deshalb bei übermässiger Leistungserschwerung auf Auflösung des Vertrages erkennen.376
Umgekehrt ist die Auflösung des Vertrages nicht angebracht, wenn zwar keine übermässige Leistungserschwerung, also kein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und
Realerfüllungsinteresse vorliegt, wohl aber ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Vergütung (Äquivalenzstörung).
256
Beispiel: „Badzimmerkacheln-Beispiel“: Ein Bauunternehmer verpflichtet sich zum
Umbau des Bads des Bauherrn zu einem Festpreis. Es stellt sich jedoch heraus, dass die
ausgewählten Kacheln nur noch sehr schwer erhältlich sind, weil der Produzent seinen
Betrieb eingestellt hat. Dadurch wird der Umbau so erheblich verteuert, dass der Erfüllungsaufwand in einem Missverhältnis zum vereinbarten Festpreis steht. Unterstellen
wir, dass der Bauherr die ausgewählten Kacheln ganz besonders schätzt, so dass dem
Mehraufwand ein entsprechender Nutzen für den Bauherrn gegenübersteht. Da in diesem
Falle keine übermässige Leistungserschwerung vorliegt, wird der Vertrag nicht aufgelöst,
doch hat der Bauunternehmer Anspruch auf eine Erhöhung der Vergütung. Sind umgekehrt aber die Kacheln für den Bauherrn ohne besonderen Wert und durch andere ersetz372 Zum Ausmass der Erhöhung BGE 104 II 317; BGE 50 II 167.
373 Vgl. zu den Auflösungsfolgen z. B. ZINDEL/PULVER, BasK, N 28 f. zu Art. 373 OR; GAUCH,
Werkvertrag, Nr. 1117 ff.
374 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1119; ZINDEL/PULVER, BasK, N 30 zu Art. 373 OR.
375 Vgl. ZINDEL/PULVER, BasK, N 31 zu Art. 373 OR; ferner BÜHLER, ZürK, N 44 zu Art. 373 OR.
376 Ähnlich Jo KOLLER, S. 50: „Die vorzeitige Beendigung des Vertrages kann sich aber rechtfertigen, falls das Interesse des Unternehmers an der Vertragsauflösung – obwohl Aussicht auf Preisaufbesserung besteht – stärker wiegt als das Interesse des Bestellers an der Erfüllung.“ Die herrschende Lehre gibt dem Richter beim Entscheid zwischen Preiserhöhung und Vertragsauflösung
mehr Ermessen; vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1119 ff.; ZINDEL/PULVER, BasK, N 31 zu Art.
373 OR.
90
bar, so besteht ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Wert der Leistung.
Der Vertrag wird deshalb (teilweise – d. h. in Bezug auf den Einbau der schwer erhältlichen Kacheln) aufgelöst und die Parteien können über den Einbau anderer Kacheln eine
neue Vereinbarung treffen.
257 Das Gesagte ist insofern etwas vereinfacht, als der Unternehmer zum Zeitpunkt des Eintritts der Leistungserschwerung oft mit der Werkausführung bereits begonnen hat. Gegebenenfalls ist der für die Werkvollendung notwendige Erfüllungsaufwand mit dem
Interesse des Gläubigers an der Werkvollendung abzuwägen und auf Vertragsauflösung
(statt Vergütungserhöhung) zu erkennen, wenn ersterer letzteres übersteigt. Das Interesse des Gläubigers an der Werkvollendung wird dabei wesentlich dadurch beeinflusst, ob
das unvollendete Werk für ihn brauchbar ist.377
3. Der Einfluss anderer Faktoren auf die übermässige Leistungserschwerung
258 Nach dem soeben Gesagten lässt sich aus Art. 368 Abs. 2 OR, Art. 163 Abs. 3 OR und
auch Art. 373 Abs. 2 OR auf dem Wege der Gesamtanalogie der Grundsatz ableiten,
dass der Realerfüllungsanspruch bei übermässiger Leistungserschwerung zu verweigern
ist: Entscheidend ist dabei das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse. In diesem Kapitel wird untersucht, ob andere Faktoren beim Entscheid über die Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs mit zu berücksichtigen sind. Vorab ist die Rede von der Äquivalenzstörung (Nr. 259 ff.) und sodann
vom Fall, dass der Schuldner oder der Gläubiger die übermässige Leistungserschwerung
zu vertreten hat (Nr. 269 ff. bzw. 276 ff.). Anschliessend wird untersucht, welchen Einfluss es hat, wenn der Schuldner die Leistungserschwerung vorausgesehen hat oder
wenn die Leistungserschwerung voraussehbar war (Nr. 282 ff.). Schliesslich spreche ich
von der Leistungserschwerung bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften (Nr. 296 ff.) sowie
von der Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs (Nr. 300 f.).
A. Äquivalenzstörung
a. Keine Berücksichtigung bei Entscheid über die Verweigerung der Realerfüllung
259 Die clausula rebus sic stantibus setzt für die Anpassung des Vertrages an veränderte
Verhältnisse (wie die herrschende Lehre zu Art. 373 Abs. 2 OR) eine gravierende Äquivalenzstörung voraus, d. h. ein grobes, offenbares, übermässiges Missverhältnis
zwischen Leistung (Erfüllungsaufwand) und Gegenleistung (Nr. 116). Dieses Kriterium
377 Vgl. ZINDEL/PULVER, BasK, N 31 a. A. zu Art. 373 OR; BÜHLER, ZürK, N 44 zu Art. 373 OR.
91
der gravierenden Äquivalenzstörung ist nach hier vertretener Auffassung für den Entscheid über die Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs nicht relevant.378 Weder
dem Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung noch der (absoluten) Höhe der
Gegenleistung kommt eine Bedeutung zu (vgl. auch Nr. 229). Dies bedarf der
Erläuterung:
260 Einerseits ist eine gravierende Äquivalenzstörung für den Wegfall des Realerfüllungsanspruchs nicht hinreichend. Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und
Wert der Gegenleistung kann – wie soeben im Zusammenhang mit Art. 373 Abs. 2 OR
erläutert – auf zwei Arten behoben werden, durch Verweigerung der Realerfüllung oder
durch Erhöhung der Gegenleistung. Die Verweigerung der Realerfüllung ist die sachgerechte Lösung, wenn eine übermässige Leistungserschwerung vorliegt, der Erfüllungsaufwand also in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse steht. Ist dies nicht
der Fall, überwiegt also das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers das Befreiungsinteresse des Schuldners nach wie vor, so ist wenn überhaupt die Erhöhung der Gegenleistung die sachgerechte Lösung (sofern eine Anpassung überhaupt zulässig und geboten ist; dazu Nr. 264 ff.). Dem Gläubiger wird der Anspruch auf Realerfüllung belassen,
unter der Bedingung, dass er eine erhöhte Gegenleistung erbringt.
261 Durch die Verweigerung der Realerfüllung wird das Aufwandrisiko vollständig dem Gläubiger
übertragen: Will der Gläubiger die Leistung dennoch erhalten, muss er sie sich anderweitig beschaffen und damit – vorbehältlich eines allfälligen Schadenersatzanspruchs – den gesamten Erfüllungsaufwand selbst tragen. Dies geht zu weit: Das Aufwandrisiko soll dem Schuldner in jedem
Falle belassen werden, soweit es gemäss Vertrag vom Schuldner übernommen wurde. Dies lässt
sich am einfachsten durch Erhöhung der Gegenleistung erreichen (vgl. Nr. 264 ff.)
262 Andererseits ist eine gravierende Äquivalenzstörung für den Wegfall des Realerfüllungsanspruchs nicht erforderlich. Der Schuldner kann die Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung verweigern, auch wenn der Erfüllungsaufwand nicht in
einem Missverhältnis zum Wert der Gegenleistung steht. Dies folgt aus der Überlegung,
dass der Zweck der Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs die Verhinderung der
Verschwendung wertvoller Ressourcen ist. Ob eine solche vorliegt, hängt nicht vom
Wert der Gegenleistung ab, sondern einzig vom Erfüllungsaufwand und vom Realerfüllungsinteresse.
263 Das soeben Gesagte muss auch nach Art. 373 Abs. 2 OR gelten. Die Auflösung des Vertrages nach
Art. 373 Abs. 2 OR ist deshalb nach hier vertretener Auffassung entgegen der Lehre und Rechtsprechung379 bei übermässiger Leistungserschwerung zulässig, auch wenn keine gravierende Äquivalenzstörung besteht.
378 Gl. A. PICHONNAZ, Nr. 407 ff.; ferner in Bezug auf Art. 373 Abs. 2 OR ERDIN, Nr. 237 ff.; zum
deutschen Recht LORENZ/RIEHM, Nr. 306; KROPHOLLER, N 4 zu § 275 BGB.
379 BGE 104 II 314 ff.; ZINDEL/PULVER, BasK, N 22 zu Art. 373 OR, m. Hw.; GAUCH, Werkvertrag,
92
b. Erhöhung der Gegenleistung bei Äquivalenzstörung?
264 Eng verknüpft mit dem soeben Gesagten ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Schuldner bei einer gravierenden Äquivalenzstörung (ohne dass eine
übermässige Leistungserschwerung vorliegt) Anspruch auf eine Erhöhung der Gegenleistung hat. Gemäss hier vertretener Auffassung ist ein solcher Anspruch – entgegen
Art. 373 Abs. 2 OR – mangels einer ausdrücklichen oder stillschweigenden vertraglichen Vereinbarung nur im absoluten Ausnahmefall zu gewähren, weil er einen Eingriff
in die vertragliche Risikoverteilung darstellt:
265 Durch die konkrete Ausgestaltung des Vertrages verteilen die Parteien das vertragliche Risiko. Entscheiden sich die Parteien beispielsweise für einen festen Preis für die Leistung des Schuldners,
trägt der Schuldner das Risiko, dass die Leistung nur mit erhöhtem Erfüllungsaufwand erbracht werden kann („Aufwandrisiko“). Wird umgekehrt ein „Preis nach Aufwand“ vereinbart, trifft das Aufwandrisiko den Gläubiger. Dazwischen sind beliebige Mittellösungen denkbar. Auch die
Umschreibung der Leistungspflicht des Schuldners beeinflusst die Risikoverteilung. Die Parteien
können beispielsweise vereinbaren, dass der Schuldner nur bestimmte Erfüllungsanstrengungen
vorzunehmen hat oder er bei bestimmten Leistungshindernissen frei wird, und dadurch das
Aufwandrisiko des Schuldners beschränken. Oder die Parteien vereinbaren, dass der Schuldner
unabhängig vom Erfüllungsaufwand zur Realerfüllung verpflichtet ist.380
266 Eine solche vertragliche Risikoverteilung liegt – ausdrücklich oder stillschweigend – jedem Vertrag
zugrunde. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil des von den Parteien ausgehandelten Vertrages und
damit für den Richter grundsätzlich verbindlich (Nr. 236). Realisiert sich das allozierte Risiko, so
mag die vertragliche Risikoverteilung im Nachhinein als hart oder gar ungerecht erscheinen. Dies
gilt namentlich, wenn bei einem Vertrag mit festem Preis der Erfüllungsaufwand infolge veränderter
Verhältnisse stark gestiegen ist (vgl. Art. 373 Abs. 2 OR) und eine gravierende Äquivalenzstörung
resultiert.381
267 Nach der hier vertretenen Auffassung gilt – mangels abweichender vertraglicher Vereinbarung – die
allgemeine Regel, dass der Schuldner die Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung,
d. h. wenn der Erfüllungsaufwand das Realerfüllungsinteresse übersteigt, verweigern kann (vgl. zur
Begründung insb. Nr. 250 ff.). In einem Vertrag mit festem Preis trägt der Schuldner also das Aufwandrisiko bis zur Grenze der übermässigen Leistungserschwerung.382 Es fragt sich nun, ob in diese
Nr. 1056 ff.; REBER, S. 85.
380 Zum Ganzen MÜLLER-CHEN, S. 236 f., mit Beispielen.
381 Um dieses Ergebnis zu vermeiden, verweigern gewisse Autoren die Realerfüllung, wenn hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, dass der Schuldner das realisierte Risiko nicht übernommen hat. Vgl. z. B. MÜLLER-CHEN, S. 242: „Niemand würde eine Verpflichtung eingehen,
wenn er damit rechnen müsste, ohne Berücksichtigung gravierender Veränderungen daran gebunden zu bleiben.“
382 Genauer: Der Schuldner hat den Erfüllungsaufwand zu tragen, sofern er das Realerfüllungsinteresse nicht übersteigt (nicht übermässige Leistungserschwerung). Übersteigt der Erfüllungsaufwand das Realerfüllungsinteresse (übermässige Leistungserschwerung), so kann der Schuldner
die Realerfüllung verweigern. Bei Verschulden oder anderer Verantwortung hat er dem Gläubiger
aber das Erfüllungsinteresse als Schadenersatz zu ersetzen.
93
vertragliche Risikoverteilung zur Korrektur einer Äquivalenzstörung eingegriffen werden darf,
wenn die Voraussetzungen einer übermässigen Leistungserschwerung nicht gegeben sind.
268 Generell ist bei der Anpassung der dem Vertrag immanenten Risikoverteilung grosse
Zurückhaltung geboten. Die Anpassung der Risikoverteilung ist ein schwerwiegender
Eingriff ins Vertragsverhältnis, der – was besonders bedenklich ist – erst vorgenommen
wird, nachdem sich das Risiko verwirklicht hat.383 Unzulässig ist der Eingriff deshalb
immer, wenn sich die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend über die Risikoverteilung geeinigt haben.384 So ist beispielsweise bei spekulativen Verträgen eine Anpassung ausgeschlossen.385 Die Anpassung ist sodann nach hier vertretener Auffassung
(und entgegen Art. 373 Abs. 2 OR) nur zulässig, wenn der Vertrag konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Anpassung der Risikoverteilung dem hypothetischen Parteiwillen entspricht. Dies wird hinten anhand des Beispiels der Gattungsschulden ausführlich erläutert (Nr. 400 ff.).
B. Verantwortung des Schuldners
a. Allgemeines
269 Lehre und Rechtsprechung lassen eine Vertragsanpassung wegen veränderter Verhältnisse oder eine ausserordentliche Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund (meist) nur
zu, wenn die Vertragspartei, welche sich auf die Verhältnisänderung bzw. den wichtigen
Grund beruft, die veränderten Umstände nicht zu vertreten hat. Beispielsweise ist die
Berufung auf die clausula rebus sic stantibus ausgeschlossen,386 wenn der Schuldner
oder eine Hilfsperson, für die der Schuldner gemäss Art. 101 OR einzustehen hat, die
veränderten Umstände verschuldet hat oder wenn der Schuldner den Eintritt der veränderten Umstände pflichtwidrig nicht verhindert, z. B. durch rechtzeitige Eindeckung
mit Ware,387 durch genügende Vorbereitung der Leistungserbringung oder Ergreifung
von Gegenmassnahmen388 usw. Die Verantwortung des Schuldners schliesst gemäss der
Lehre und Rechtsprechung auch die Berufung auf ausserordentliche Umstände nach Art.
383 Der Eingriff wirkt, pointiert gesagt, etwa so, wie wenn der Richter jemandem erlaubt, rückwirkend eine Versicherung abzuschliessen, nachdem der Schadensfall eingetreten ist.
384 MÜLLER-CHEN, S. 235 f.
385 Vgl. die Nw. vorne in Anm. 190, ferner MÜLLER-CHEN, S. 237 und 274.
386 BGE 50 II 166; vgl. auch BGE 127 III 304 f.; BGE 59 II 379 f. = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 470;
BAUMANN, ZürK, N 455 zu Art. 2 ZGB; BISCHOFF, S. 216 ff.; KRAMER, BerK, N 342 zu Art. 18
OR; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233; MERZ, BerK, N 227 zu Art. 2 ZGB;
SCHMIEDLIN, S. 110. Offener JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 672 f. zu Art. 18 OR: „So kann sich z. B.
die Nichtanpassung des Vertrages aus folgenden Gründen rechtfertigen: ...“ (Hervorhebung hinzugefügt). Differenzierend DESCHENAUX, SPR II, S. 202.
387 OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233.
388 Vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1109; ERDIN, Nr. 349.
94
373 Abs. 2 OR389 oder die Kündigung des Mietvertrages aus wichtigem Grund gemäss
Art. 266g OR aus.390
270 Zur Begründung dieses Erfordernisses der fehlenden Verantwortung des Schuldners
führt die Lehre an, dass sich „nach feststehenden Rechtsgrundsätzen niemand ... auf sein
eigenes Verschulden berufen kann“.391 Zudem wird auf die Unmöglichkeitsregeln verwiesen: „[W]enn sich der Schuldner bei verschuldeter Unmöglichkeit der Leistung nicht
befreien kann [vgl. Art. 97 Abs. 1 OR], so soll ihm dieses Recht a fortiori auch bei
blosser Leistungserschwerung nicht zustehen“.392
b. Eigener Ansatz
271 Der Verweis auf die Unmöglichkeitsregeln erweckt Zweifel daran, ob das Erfordernis
der fehlenden Verantwortung des Schuldners in dieser Allgemeinheit gilt. Zwar wird der
Schuldner bei verschuldeter Unmöglichkeit nicht ersatzlos befreit, doch wandelt sich der
Realerfüllungsanspruch immerhin gemäss Art. 97 Abs. 1 OR in einen Schadenersatzanspruch um (Nr. 52 f.). Der Vertrag gilt also bei Unmöglichkeit auch bei Verschulden des
Schuldners nicht unverändert weiter.
272 Bei übermässiger Leistungserschwerung ist meines Erachtens in Analogie zu den Unmöglichkeitsregeln zu entscheiden. Die Verantwortung des Schuldners schliesst die Berufung auf übermässige Leistungserschwerung nicht aus.393 Der Schuldner kann Realerfüllung verweigern und es steht ihm – bei gegebenen Voraussetzungen – ein Recht auf
richterliche Vertragsanpassung zu. In beiden Fällen hat der Schuldner den Gläubiger
jedoch für den entstandenen Schaden schadlos zu halten (vgl. Art. 337b Abs. 1 OR, Art.
97 Abs. 1 OR). Dies bedarf der Erläuterung:
273 1. Die Verweigerung der Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung (Leistungsverweigerungsrecht bzw. Vertragsanpassung) dient – wie gesagt – der Verhinde389 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1109; ERDIN, Nr. 340; BGE 113 II 516 = Pra 78 (1989) Nr. 17, S. 82;
auch BGE 104 II 316.
390 BGE 122 III 265 f.; BGE 33 II 577; Botsch. zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27.
März 1985, BBl 1985 I , S. 1451; HIGI, ZürK, N 36 zu Art. 266g OR; PERMANN, HandK, N 2 und
4 zu Art. 266g OR; PERMANN/SCHANER, N 6 zu Art. 266g OR; SVIT-Kommentar Mietrecht,
N 11 zu Art. 266g OR; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 5 zu Art. 266g OR; LACHAT/STOLL, S.
323 f. und S. 333; MENGE, S. 98; ENGEL, BT, Nr. 40 S. 185.
391 BGE 33 II 577. Vgl. auch OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233; ERDIN, Nr. 340.
Ferner z. B. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1109: „Das versteht sich von selbst“.
392 BISCHOFF, S. 216 f.; MERZ, BerK, N 227 zu Art. 2 ZGB.
393 Eine Mittellösung gilt im deutschen Recht: Das Vertretenmüssen eines Leistungshindernisses
schliesst zwar die Berufung auf § 275 Abs. 2 BGB n. F. nicht aus, doch ist gemäss § 275 Abs. 2
Satz 2 BGB n. F. „[b]ei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ...
auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.“ Vgl.
SCHULZE, Handkommentar BGB, N 22 zu § 275 BGB; KROPHOLLER, N 4 zu § 275 BGB.
95
rung der Verschwendung von wertvollen Ressourcen (Nr. 233). Diese Überlegung gilt
unabhängig davon, ob der Schuldner die übermässige Leistungserschwerung zu vertreten hat oder nicht: Es kann nicht sein, dass eine (wirtschaftlich) unsinnige Leistung erzwungen wird, selbst wenn der Schuldner den Eintritt der entsprechenden Situation
selbst zu verantworten hat. So wenig wie der Bestand des Realerfüllungsanspruchs von
einem Verschulden des Schuldners abhängt, so wenig tut es sein Wegfall.
274 2. Andererseits soll der Schuldner seine Lage aber durch sein (schuldhaftes) Verhalten
nicht zum Nachteil des Gläubigers verbessern können. Bei der Bestimmung der vermögensrechtlichen und übrigen Folgen der Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs
müssen deshalb die Interessen des Gläubigers möglichst vollständig berücksichtigt werden – dies mit der Ausnahme des Realerfüllungsinteresses des Gläubigers, denn hier
überwiegt das Befreiungsinteresse des Schuldners. Der Schuldner schuldet deshalb
vollen Schadenersatz (vgl. Art. 337b Abs. 1 OR; Art. 97 Abs. 1 OR).394 Können die
Interessen des Gläubigers dadurch besser befriedigt werden, so kann der Schuldner
allenfalls auch zur Erbringung einer Ersatzleistung verpflichtet werden (dazu Nr.
530 ff.).
275 3. Das Gesagte soll freilich nicht bedeuten, dass eine Vertragsanpassung auch in anderen Situationen (als bei übermässiger Leistungserschwerung) trotz eines Verschuldens
des Schuldners zulässig wäre. Im Gegenteil: Die hier vorgeschlagene Lösung bezieht
sich ausschliesslich auf den Spezialfall der übermässigen Leistungserschwerung und beruht auf der Ratio, dass in diesem Falle die Realerfüllung objektiv betrachtet unsinnig
ist. In anderen Fällen, z. B. bei einer blossen Äquivalenzstörung, stellt sich dieses Problem nicht. Mit Ausnahme der übermässigen Leistungserschwerung kann deshalb am Erfordernis der fehlenden Verantwortung des Schuldners als Voraussetzung für die Vertragsanpassung nach der clausula rebus sic stantibus oder anderen Bestimmungen festgehalten werden.
C. Verantwortung und Sphäre des Gläubigers
a. Allgemeines
276 Nach dem soeben Gesagten kann sich der Schuldner auch auf eine übermässige Leistungserschwerung berufen (und die Leistung verweigern oder die Anpassung des Vertrages durch den Richter verlangen), wenn er die übermässige Leistungserschwerung
selbst zu vertreten hat. A fortiori muss dem Schuldner dieses Recht zustehen, wenn der
Gläubiger die übermässige Leistungserschwerung zu vertreten hat oder das der über-
394 Vgl. auch Art. 377 OR.
96
mässigen Leistungserschwerung zugrunde liegende Leistungshindernis in der Sphäre
des Gläubigers begründet ist. Das versteht sich eigentlich von selbst.
277 Zudem muss die Verantwortlichkeit des Gläubigers an der übermässigen Leistungserschwerung bei der Bestimmung der vermögensrechtlichen Folgen der Leistungsverweigerung bzw. Vertragsanpassung berücksichtigt werden: Nach hier vertretener Auffassung kann der Richter den Gläubiger zum Ersatz der Auslagen des Schuldners verpflichten, wenn die Leistung durch einen im Gefahrenbereich des Gläubigers eingetretenen
Umstand übermässig erschwert wurde (in Analogie zu Art. 378 Abs. 1 und 376 Abs. 3
OR). Trifft den Gläubiger gar ein Verschulden am Eintritt der übermässigen Leistungserschwerung oder hat er diese aus anderem Grunde zu vertreten (z. B. nach Art. 101
OR), so hat der Schuldner zusätzlich Anspruch auf Schadenersatz (analog zu Art. 378
Abs. 2, 376 Abs. 3 und 337b Abs. 1 OR). Vgl. dazu hinten Nr. 525 f.
b. Erleichterte Anforderungen bei Verantwortung des Gläubigers?
278 Wie verhält es sich aber, wenn das Verhalten des Gläubigers zwar nicht zu einer übermässigen Leistungserschwerung führt, die Leistung durch das Verhalten des Gläubigers
aber dennoch (nicht übermässig) erschwert wird? Nach der allgemeinen Regel wäre der
Schuldner in diesem Falle eigentlich nicht zur Leistungsverweigerung berechtigt. Es erscheint jedoch als stossend, wenn der Schuldner die Leistung unverändert erbringen
muss, obschon der Gläubiger die Leistungserschwerung verschuldet oder aus anderem
Grunde zu vertreten hat.395
279 Vielmehr hat der Schuldner in diesem Falle Anspruch auf Vergütung seiner (zusätzlichen) Erfüllungsanstrengungen,396 welche durch das Verhalten des Gläubigers verursacht wurden. Eine solche „Zusatzvergütung“ scheint sachlich gerechtfertigt: Mangels
ausdrücklicher abweichender Vereinbarung trifft jede Vertragspartei eine aus Treu und
Glauben abgeleitete, stillschweigende Nebenpflicht oder Obliegenheit,397 die Erbringung der Leistung der Gegenpartei nicht zu erschweren.398 Die Verletzung dieser Nebenpflicht bzw. Obliegenheit rechtfertigt meines Erachtens einen Anspruch auf eine Zusatzvergütung. Es wäre unbillig, wenn eine Partei die Erbringung der Leistung der Gegenpartei erschweren könnte, ohne die Gegenpartei dafür zu entschädigen. Im Einzelnen:
395 Vgl. ERDIN, Nr. 263.
396 In diesem Sinne BGE 52 II 442 f.; ERDIN, Nr. 263 ff.
397 Ob es sich um eine eigentliche Pflicht des Gläubigers handelt oder um eine Obliegenheit, wird
hier offengelassen.
398 Vgl. GIGER, S. 68, in Bezug auf Leistungsunmöglichkeit.
97
280 1. Der Schuldner kann die Erbringung der Leistung von der Bezahlung oder Sicherstellung einer angemessenen Zusatzvergütung abhängig machen. Er hat das Recht, die
Erbringung der Leistung zu verweigern, solange ihm die Zusatzvergütung weder bezahlt
noch sichergestellt wird. Das Gesetz sieht dies freilich für diesen Fall nicht ausdrücklich
vor, doch gewährt es dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht in anderen Fällen: Nach Art. 83 OR, wenn der Gläubiger zahlungsunfähig geworden ist und dadurch
der Anspruch des Schuldners gefährdet wird,399 und nach Art. 82 OR, wenn der Vertrag
Zug um Zug zu erfüllen ist oder der Gläubiger vorleistungspflichtig ist und er die Gegenleistung nicht bereits erbracht oder Erfüllung angeboten hat. Es rechtfertigt sich
meines Erachtens in Analogie zu diesen Bestimmungen auch im vorliegenden Falle, die
Leistungsverweigerung zuzulassen.
281 2. Wenn der Gläubiger die Zusatzvergütung innert angemessener Frist weder bezahlt
noch sicherstellt, kann der Schuldner den Vertrag in Analogie zu Art. 83 Abs. 2 OR ausserordentlich auflösen. Gegebenenfalls hat der Schuldner zusätzlich Anspruch auf Schadenersatz (Nr. 277).
D. Voraussehbarkeit
a. Lehre und Rechtsprechung
282 Verschiedene Gesetzesbestimmungen lassen eine Vertragsanpassung oder ausserordentliche Vertragsbeendigung nur zu, wenn die Partei, welche sich auf eine Verhältnisänderung beruft, die Verhältnisänderung nicht vorausgesehen hat und auch nicht voraussehen
konnte. So besteht ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäss Art. 373 Abs. 2 OR bei
„Umstände[n], die nicht vorausgesehen werden konnten“, nicht aber bei voraussehbaren
Umständen. Auch das vorzeitige Rückgaberecht des Aufbewahrers (Art. 476 Abs. 1
OR) und das vorzeitige Rückforderungsrecht des Verleihers (Art. 309 Abs. 2 OR) setzen
„unvorhergesehene Umstände“ bzw. „eine[n] unvorhergesehenen Fall...“ voraus. Die
Lehre und Rechtsprechung hat dieses Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit (und der
fehlenden Voraussicht) ausserdem auf die clausula rebus sic stantibus400 und Art. 266g
OR401 übertragen. Es fragt sich damit, ob die Befreiung des Schuldners von der Realer399 Vgl. auch Art. 316 Abs. 1 OR.
400 BGE 127 III 304 f.; BGE 101 II 19 und 21; BGE 97 II 398; ferner BGE 59 II 374 f. und 380 = Pra
22 (1933) Nr. 176, S. 465 f. und 471; BGE 51 II 197; BAUMANN, ZürK, N 455 zu Art. 2 ZGB;
BISCHOFF, S. 204 ff.; WIEGAND, BasK, N 101 ff. zu Art. 18 OR; ferner DESCHENAUX, révision,
S. 555a ff.; DESCHENAUX, SPR II, S. 202; ENGEL, BT, Nr. 40 S. 185; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N
663 ff. zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 337 ff. zu Art. 18 OR; MERZ, BerK, N 223 zu Art. 2
ZGB; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233 f.
401 BGE 122 III 265 f.; BGer, mp 96/1, S. 17 f.; BGer, Pra 84 (1995) Nr. 142, S. 459 ff.; Botsch. zur
Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März 1985, BBl 1985 I, S. 1451; BGE 63 II 82;
BGE 33 II 577 zum alten Art. 292 OR; abgeschwächt in BGE 60 II 211 ff. zum alten Art. 292
98
füllung (Leistungsverweigerungsrecht bzw. Vertragsanpassung) bei übermässiger Leistungserschwerung ebenfalls nur zulässig ist, wenn der Schuldner die Umstände, welche
zur übermässigen Leistungserschwerung geführt haben, weder vorausgesehen hat noch
voraussehen konnte. Bevor zu dieser Frage Stellung genommen wird (Nr. 293 ff.),
sollen vier Punkte zur Lehre der Voraussehbarkeit kurz dargestellt werden:
283 1. Gemäss der Lehre und Rechtsprechung geht es beim Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit nicht allein darum, ob das eingetretene Ereignis bzw. die eingetretene Verhältnisänderung voraussehbar war. Entscheidend ist vielmehr, ob auch die konkreten
Auswirkungen der verwirklichten Verhältnisänderung auf das zu beurteilende Vertragsverhältnis voraussehbar waren.402 Eine Vertragsanpassung kommt deshalb auch in
Frage, wenn „...zwar die Verhältnisänderung als solche voraussehbar war, nicht aber
deren Art, Umfang oder Auswirkung auf den Vertrag“.403
284 2. Das Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit ist vom Standpunkt eines sorgfältigen
und sachkundigen Schuldners (objektive Betrachtungsweise),404 nicht von der Warte des
Gläubigers aus zu beurteilen.405 Jedoch sind dem individuellen Schuldner besondere
Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen anzulasten (subjektive Betrachtungsweise).406
Voraussehbar sind Ereignisse (bzw. deren Auswirkungen auf den Vertrag), „wenn die
betreffende Partei nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit der späteren Entwicklung
vernünftigerweise rechnen musste“.407 Dies trifft zu, wenn die Wahrscheinlichkeit dieser
Entwicklung so gross war, „dass für einen vernünftigen Menschen in der Lage des Betroffenen Grund bestand, den Vertragsschluss zu unterlassen oder jedenfalls eine Sicherung in den Vertrag aufzunehmen“.408
402
403
404
405
406
407
408
OR; HIGI, ZürK, N 37 zu Art. 266g OR; PERMANN, HandK, N 2 zu Art. 266g OR; PERMANN/
SCHANER, N 4 zu Art. 266g OR; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 5 zu Art. 266g OR; SVITKommentar Mietrecht, N 11 zu Art. 266g OR; MENGE, S. 98; ENGEL, BT, Nr. 40 S. 185.
BISCHOFF, S. 204 f.; WIEGAND/BERGER, S. 89; vgl. BGE 50 II 166.
JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 670 zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 340 zu Art. 18 OR; BGE 127 III
305 f.; BGE 50 II 166. In BGE 51 II 197 hat das Bundesgericht die Kriegserklärung im rumänisch-österreichischen Krieg i. c. zwar für voraussehbar gehalten, aber festgehalten, dass dennoch
„nicht gefolgert werden [kann], dass deshalb auch sämtliche durch diese Kriegserklärung bewirkten Ereignisse voraussehbar gewesen seien und daher die Einrede der höheren Gewalt für alle
diese Fälle von vorneherein ausgeschlossen worden sei.“
BGE 109 II 336; BGE 104 II 317; BGE 58 II 422 f.; BGer, Semjud 115 (1993), S. 656; BGer,
Semjud 111 (1989), S. 335 = BR 1989, S. 69 f., Nr. 101; ERDIN, Nr. 284.
GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1076.
GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1076; ERDIN, Nr. 291 ff.; AppH BE, ZBJV 118 (1982), S. 524 = BR
1983, S. 72, Nr. 56.
JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 667 zu Art. 18 OR; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1079; SCHMIEDLIN, S.
111; BISCHOFF, S. 207; ERDIN, Nr. 285; ähnlich BGer, mp 96/1, S. 18; BGE 104 II 316; BGer,
Semjud 111 (1989), S. 335 = BR 1989, S. 69 f., Nr. 101; implizit auch BGE 58 II 423.
G. KEGEL, Empfiehlt es sich, den Einfluss grundlegender Veränderungen des Wirtschaftslebens
auf Verträge gesetzlich zu regeln und in welchem Sinn?, Gutachten für den 40. Deutschen Juristentag 1953, Heft II B, Tübingen 1954, S. 135 ff., S. 203; zit. nach BISCHOFF, S. 207; ferner
99
285 3. Damit ist allerdings noch nicht viel darüber gesagt, was für ein Massstab anzuwenden ist. Die Meinungen gehen auseinander: Teilweise wird ein „eher strenger Massstab“409 gefordert: Schon bei „einfacher Möglichkeit“ des Eintritts der betreffenden
Ereignisse kann Voraussehbarkeit gegeben sein.410 Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts
der Ereignisse braucht also nicht besonders hoch zu sein. Andere Autoren wiederum fordern, dass es mit der Voraussehbarkeit „nicht zu streng genommen“ wird.411 Das
Bundesgericht hat zu unterschiedlichen Zeiten verschieden entschieden. Gemäss BGE
109 II 336 aus dem Jahre 1934 bleibt dem Schuldner die Berufung auf veränderte Verhältnisse nur verwehrt, wenn er um die Verhältnisänderungen „geradezu gewusst“412
hat. Gemäss Pra 84 (1995) Nr. 143 aus dem Jahre 1994 ist umgekehrt die Berufung auf
die veränderten Verhältnisse nur zulässig, wenn im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages mit dem künftigen Ereignis „absolut nicht zu rechnen war“.413
286 4. Die Unzulässigkeit einer Vertragsanpassung wird im Falle tatsächlicher Voraussicht wie folgt begründet: Hat der Schuldner die kritischen Ereignisse „tatsächlich vorausgesehen, so ist anzunehmen, er habe das Risiko bewusst auf sich genommen“.414
Andernfalls „hätte nach Treu und Glauben ein unmissverständlicher Vorbehalt angebracht werden müssen“,415 „...weil es die Parteien in diesem Fall in der Hand gehabt
hätten, sich gegen das Risiko der Verhältnisänderung abzusichern“.416 Im Falle blosser
Voraussehbarkeit tritt der Aspekt des Verschuldens in den Vordergrund:417 Hat der
Schuldner „die betreffenden Ereignisse nicht vorausgesehen, obwohl sie voraussehbar
waren, so gereicht ihm diese Nichtvoraussicht zum Verschulden, was eine Berufung
JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 667 zu Art. 18 OR.
409 BGE 109 II 336; BGE 104 II 317; BGer, Semjud 111 (1989), S. 335 = BR 1989, S. 69 f., Nr. 101;
GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1076.
410 DESCHENAUX, révision, S. 555a f. Oder wie BISCHOFF, S. 207 es ausdrückt: Die Verhältnisänderungen „brauchen also nicht geradezu wahrscheinlich zu sein“.
411 KRAMER, BerK, N 339 zu Art. 18 OR; abwägend WIEGAND, BasK, N 101 zu Art. 18 OR.
412 Vgl. BGE 60 II 213 (zum alten Art. 269 OR): „Nur wenn man dem Kläger entgegenhalten könnte, er habe geradezu gewu sst, dass sich die wirtschaftliche Lage in dieser Weise entwickeln werde, könnte ihm das Recht zur Kündigung ... versagt werden.“ Und weiter: „...es kann lediglich gesagt werden, der Kläger habe die Entwicklung zu optimistisch beurteilt und habe sich dabei sehr
stark verrechnet. Das steht einer Berufung auf Art. 269 OR aber nicht im Wege.“
413 Pra 84 (1995) Nr. 143, S. 461 (zu Art. 266g OR); zustimmend PERMANN/SCHANER, N 6 zu Art.
266g OR.
414 OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233. Ferner BGE 63 II 79; SCHMITZ, S. 47;
SCHMIEDLIN, S. 110 f.
415 MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 498a.
416 KRAMER, BerK, N 337 zu Art. 18 OR; BGE 33 II 577: „weil aus dem Umstande, dass jemand
einen ...[Vertrag] abschliesst, trotzdem ihm gewisse ... Übelstände bekannt sind oder bekannt sein
müssen, der Schluss zu ziehen ist, dass er diese Übelstände nicht als «unerträglich» betrachtet.“
417 Vgl. z. B. SIEGWART, S. 114; GAUTSCHI, BerK, N 15a zu Art. 373 OR.
100
darauf ausschliesst“.418 Das Nichtbeachten von Umständen, die für einen korrekten und
vernünftigen Menschen voraussehbar sind, ist ein Fall von (Selbst-)Verschulden.419
b. Kritik
287 Das Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit und fehlenden Voraussicht vermag nicht in
jeder Hinsicht zu überzeugen:
288 1. Dies gilt einerseits für seine Begründung (vgl. Nr. 286): So kann nicht gesagt werden, dass der Schuldner, der eine Verhältnisänderung tatsächlich vorausgesehen hat, das
Risiko der Verhältnisänderung in jedem Falle bewusst auf sich genommen hat. Die Parteien können sehr wohl eine Verhältnisänderung vorausgesehen haben, aber keine Regel
in den Vertrag aufgenommen haben, beispielsweise weil sie dies vergessen oder nicht
für wichtig befunden haben oder sich darüber nicht einigen konnten. In diesem Falle
haben sie die Frage der Verhältnisänderung aber nicht stillschweigend zu Lasten des
Schuldners geregelt, sondern eben stillschweigend offengelassen. Der offengelassene
Punkt ist vom Richter „nach der Natur des Geschäftes“ (vgl. Art. 2 Abs. 2 OR), d. h.
nach dem hypothetischen Parteiwillen zu schliessen,420 der so oder anders sein kann.
289 Aber auch im Falle der blossen Voraussehbarkeit überzeugt die Begründung der Lehre
nicht vollends: War der Eintritt einer übermässigen Leistungserschwerung voraussehbar, so hat der Schuldner allenfalls die Pflicht, den Gläubiger darauf hinzuweisen (vgl.
Nr. 596 ff.). Unterlässt er dies, gereicht ihm dies unter Umständen zum Verschulden.
Hat er dies aber getan, oder war das Risiko dem Gläubiger bekannt, so kann dem
Schuldner kein Vorwurf gemacht werden. Hinzu kommt: Wird die Voraussehbarkeit als
Fall des Verschuldens des Schuldners aufgefasst, so dürfte sie gemäss der hier vertretenen Ansicht die Befreiung des Schuldners vom Realerfüllungsanspruch bei übermässiger Leistungserschwerung (Leistungsverweigerungsrecht bzw. Vertragsanpassung) nicht
ausschliessen, sondern würde lediglich (aber immerhin!) zu voller Schadloshaltung
führen (vgl. Nr. 271 ff.).
290 2. Als problematisch erscheint andererseits die Unterscheidung zwischen voraussehbaren und nicht voraussehbaren Ereignissen. Voraussehbar sind gemäss der Lehre und
Rechtsprechung – wie gesagt – Ereignisse, welche ein sorgfältiger und sachkundiger
Schuldner beim Vertragsschluss hätte beachten müssen (Nr. 284). Der sorgfältige und
418 BISCHOFF, S. 205; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233. BGE 59 II 380 = Pra 22
(1933) Nr. 176, S. 471: „[D]er tatsächlichen Voraussicht der künftigen Veränderung der Umstände ist das Voraussehenmüssen ... gleichzuachten, sonst liefe die Anwendung der Klausel auf eine
Prämierung des Leichtsinnes zum Nachteil des Vertragsgegners hinaus.“ Vgl. auch ERDIN, Nr.
277.
419 HIGI, ZürK, N 37 zu Art. 266g OR.
420 Vgl. KOLLER, OR AT I, Nr. 592.
101
sachkundige Schuldner bezieht aber nicht nur Ereignisse mit hoher Eintretenswahrscheinlichkeit in seine Kalkulation ein, sondern auch andere Ereignisse, indem er sie als
Restrisiko berücksichtigt. Er kann dies beispielsweise tun, indem er bei seiner Preiskalkulation einen entsprechenden Zuschlag „für unvorausgesehene Ereignisse“ macht oder
einen Vorbehalt für „höhere Gewalt“, „starken Preisanstieg“ oder ähnliches in den
Vertrag aufnimmt. Er braucht dazu keine konkrete Vorstellung vom Ereignis zu haben,
das eintreten könnte. Insofern ist jedes Ereignis „voraussehbar“, auch die so genannt
nicht voraussehbaren.
291 Angenommen, der Ausbruch eines Krieges im Land des Schuldners führe zu einer erheblichen
Preissteigerung des vom Schuldner benötigten Rohstoffes. Auch wenn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses niemand mit dem Ausbruch eines Krieges gerechnet hat, so ist doch die dadurch bewirkte
Preissteigerung nur Teil eines umfassenderen Risikos, nämlich des Risikos einer Rohstoffpreissteigerung im Allgemeinen, welches als Ganzes sehr wohl voraussehbar und abschätzbar sein kann.
Deshalb kann das Argument, dass die Ursache, welche letztlich zur Verwirklichung des umfassenderen Risikos geführt hat, nicht voraussehbar war, nicht zur Entlastung des Schuldners führen. Da
das umfassendere Risiko voraussehbar war, kommt nichts darauf an, ob der Ausbruch des Krieges
im Schuldnerland, Unruhen im Ursprungsland der Rohstoffe, Unfälle beim Transport, Arbeitskampf
im Transportgewerbe, eine drastische Veränderung der Wirtschaftslage oder sonst etwas (oder auch
verschiedene Ereignisse zusammen) die Veränderung bewirkt hat. All diese Ereignisse mögen für
sich allein genommen nicht voraussehbar sein, zusammen sind sie es. Da aber jedes Ereignis in eine
umfassendere Risikokategorie eingeteilt werden kann, die abschätzbar ist, scheint das Erfordernis
der Voraussehbarkeit, wie es von der Lehre und Rechtsprechung verstanden wird, kein taugliches
Kriterium zu sein.421,422
292 Will man am Erfordernis der Voraussehbarkeit festhalten, so sollte es meines Erachtens
anders verstanden werden: Voraussehbarkeit ist gegeben, wenn der Schuldner hätte erkennen können, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes oder irgendein unbestimmtes übermässiges Leistungshindernis eintreten kann. Die Voraussehbarkeit bezieht
sich damit auf den Eintritt einer übermässigen Leistungserschwerung im Allgemeinen,
nicht auf ein konkretes Leistungshindernis oder Ereignis.
c. Eigener Ansatz: Keine selbständige Bedeutung
293 Nach hier vertretener Auffassung kommt dem Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit
und fehlenden Voraussicht keine selbständige Bedeutung zu. Das heisst freilich nicht,
dass die Voraussehbarkeit bzw. Voraussicht einer übermässigen Leistungserschwerung
421 Grundlegend dazu George G. TRIANTIS, Contractual allocations of unknown risks: a critique of
the doctrine of commercial impracticability, University of Toronto Law Journal 1992, S. 450 ff.
422 Vgl. zur Illustration die Ausführungen von WIEGAND/BERGER, S. 90 ff., zur Voraussehbarkeit
der Auswirkungen der Einführung des Euro.
102
gänzlich unbeachtlich wäre. Sie findet sehr wohl Beachtung, einerseits bei der Vertragsauslegung und -ergänzung und andererseits im Rahmen des Verschuldens:
294 1. Einerseits ist der Umstand, dass der Schuldner eine übermässige Leistungserschwerung vorausgesehen hat oder dass sie voraussehbar war, bei der Vertragsauslegung und
Vertragsergänzung zu berücksichtigen. Dieser Umstand kann zusammen mit anderen
Umständen im Rahmen der Vertragsauslegung zum Auslegungsresultat führen, dass der
Schuldner oder der Gläubiger das entsprechende Risiko stillschweigend übernommen
hat. Ist eine entsprechende stillschweigende Vereinbarung nicht erkennbar, so kann der
Umstand der Voraussicht oder Voraussehbarkeit zusammen mit anderen Umständen im
Rahmen der Vertragergänzung für einen bestimmten hypothetischen Parteiwillen
sprechen, der so oder anders sein kann. Dazu sind aber immer konkrete Anhaltspunkte
im Vertrag notwendig. Ist weder das eine noch das andere möglich, so gilt die (ungeschriebene) Regel, dass der Schuldner das Risiko der Leistungserschwerung bis zur
Grenze der übermässigen Leistungserschwerung trägt, darüber aber der Gläubiger. Die
Voraussicht bzw. Voraussehbarkeit ist damit ein Indiz bei der Vertragsauslegung und
Vertragsergänzung. Mehr als ein Indiz ist sie nicht – insbesondere besteht meines
Erachtens keine strikte Regel, wonach die Voraussicht oder Voraussehbarkeit (im Sinne
einer ungeschriebenen Auslegungsregel oder von ungeschriebenem dispositivem Gesetzesrecht) generell für die Übernahme des Risikos durch den Schuldner spricht.
295 2. Andererseits kann die Voraussicht bzw. Voraussehbarkeit einer übermässigen Leistungserschwerung dem Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen zum Verschulden
gereichen. Denn hat der Schuldner vorausgesehen, dass eine übermässige Leistungserschwerung droht, oder war dies voraussehbar, so hat er allenfalls die Pflicht, den Gläubiger darüber aufzuklären.423,424 Unterlässt er dies, so kann er wegen der Verletzung der
Aufklärungspflicht haftbar werden (Nr. 595 ff.). Gegebenenfalls wird der Schuldner
zwar dennoch von der Realerfüllungspflicht befreit (Leistungsverweigerungsrecht bzw.
Vertragsanpassung), doch schuldet er vollen Schadenersatz (Nr. 274).
E. Exkurs: Erleichterte Anforderungen bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften?
296 Der Schenker kann das Schenkungsversprechen gemäss Art. 250 Abs. 1 OR aus verschiedenen Gründen widerrufen, unter anderem wenn seit dem Versprechen die Vermögensverhältnisse sich so geändert haben, dass die Schenkung ihn ausserordentlich
schwer belasten würde. Bei der Gebrauchsleihe wiederum kann der Verleiher die Sache
423 Vgl. BGE 57 II 535 f.; BGE 54 II 337 ff.
424 Eine solche Pflicht besteht bei Voraussicht oder Voraussehbarkeit einer nicht übermässigen Leistungserschwerung nicht, weil der Schuldner gemäss der dispositiven Regel das Risiko solcher
Leistungserschwerungen ohnehin selbst trägt.
103
gemäss Art. 309 Abs. 2 OR vorzeitig zurückfordern, „wenn er selbst wegen eines unvorhergesehenen Falles der Sache dringend bedarf.“ Diese Bestimmungen offenbaren die
gesetzgeberische Tendenz, bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften die ausserordentliche
Vertragsauflösung grosszügig zuzulassen. Es fragt sich, ob damit bei der Schenkung im
Besonderen aber auch bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften im Allgemeinen erleichterte
Voraussetzungen für die Befreiung des Schuldners von der Realerfüllung bei Leistungserschwerung (Leistungsverweigerungsrecht und Vertragsanpassung) gelten. Dies ist
nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich zu bejahen:
297 Anders als beim entgeltlichen Rechtsgeschäft gibt es beim unentgeltlichen Rechtsgeschäft keine „ausgehandelte“ Risikoverteilung, da sich nur eine Partei zur Erbringung
einer Hauptleistung verpflichtet. Es wäre in dieser Situation unbillig, wenn beispielsweise der Schenker auch bei Eintritt von Ereignissen, die die Erfüllung des Schenkungsversprechens stark erschweren, gebunden bliebe. Der Gesetzgeber hat den Schenker
privilegiert, vermutlich um Schenkungen als altruistische425 Akte zu fördern, indem er
die Haftung des Schenkers eingeschränkt hat, in Bezug auf das vorausgesetzte Verschulden (vgl. Art. 248 Abs. 1 OR),426 den Umfang der Haftung (Art. 99 Abs. 2 OR)427 und
die Verzugszinsen (Art. 105 Abs. 1 OR).428 Wenn also die Haftung des Schenkers für
Schadenersatz beschränkt ist, so scheint naheliegend (wenn auch nicht zwingend), dass
auch die Leistungspflicht selbst nicht unbegrenzt gilt.429
298 Diese Auffassung wird durch Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR bestätigt: Gemäss dieser Bestimmung kann
– wie gesagt – das Schenkungsversprechen vom Schenker widerrufen werden, „wenn seit dem Versprechen die Vermögensverhältnisse des Schenkers sich so geändert haben, dass die Schenkung ihn
ausserordentlich schwer belasten würde“. Die Bestimmung stellt eine Ausnahme zum Grundsatz
dar, dass die Vermögensverhältnisse des Schuldners keinen Einfluss auf den Bestand seiner Schuldpflicht haben.430 Sie ist in folgender Hinsicht verallgemeinerungsfähig:431 Nicht nur geänderte
425 Vgl. VON BÜREN, OR BT, S. 274.
426 Die Bestimmung findet auf beliebige Leistungsstörungen Anwendung, vgl. KOLLER, Einem geschenkten Gaul, S. 101; a. A. CAVIN, SPR VII/1, S. 195. Vgl. aber BUCHER, OR AT, S. 156 und
VOGT, BasK, N 1 zu Art. 250 OR: Gemäss diesen Autoren kann der Beschenkte nicht gemäss
Art. 107 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichten und statt dessen Schadenersatz verlangen.
427 Vgl. CAVIN, SPR VII/1, S. 195; GUHL/KOLLER, § 43 N 30; ROMELLI, HandK, N 3 zu Art. 248
OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 2 zu Art. 248 OR; TERCIER, BT, Nr. 1400; vgl. auch
BUCHER, OR BT, S. 156: „...die besonderen Verhältnisse bei der Schenkung müssen in vielen
Fällen dazu führen, eine vertragliche Haftungswegbedingung anzunehmen“, dies insbesondere für
den Fall verspäteter Erfüllung.
428 Vgl. VON BÜREN, OR BT, S. 274.
429 Die herrschende Lehre zu Art. 248 OR geht auf den Fall der Leistungserschwerung nicht ein und
beschränkt sich darauf festzustellen, dass der Beschenkte – ausser bei Unmöglichkeit – Anspruch
auf Realerfüllung hat. Vgl. BUCHER, OR BT, S. 156; MAISSEN, Nr. 363; ROMELLI, HandK, N 2
zu Art. 248 OR; TERCIER, BT, Nr. 1399; VOGT, BasK, N 1 zu Art. 248 OR.
430 VOGT, BasK, N 1 zu Art. 250 OR.
431 Die analoge Anwendung von Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR auf andere Verträge, insbesondere entgeltliche Verträge, ist freilich ausgeschlossen, vgl. AppGer BS, SJZ 45 (1949) Nr. 12, S. 42;
104
Vermögensverhältnisse berechtigen den Schenker zum Widerruf der Schenkung, sondern alle Umstände, welche dazu führen, dass die Erfüllung der Schenkung den Schuldner im Sinne der genannten Bestimmung „ausserordentlich schwer belasten würden“ (Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR). In Frage
kommen also auch Umstände, die die Erfüllung der Schenkung so erschweren, dass der Schuldner
in finanzielle Bedrängnis geraten würde. Die Erwähnung der Veränderung der Vermögensverhältnisse ist insofern nur beispielhaft. Damit kann sich der Schenker bei jeder Leistungserschwerung,
bei der die Erfüllung ihn ausserordentlich schwer belasten würde, gestützt auf Art. 250 Abs. 1 Ziff.
2 OR vom Vertrag lösen, auch wenn keine übermässige Leistungserschwerung im hier verstandenen
Sinne vorliegt.
299 Konkret bedeutet dies: Bei der Schenkung sowie bei anderen unentgeltlichen Rechtsge-
schäften ist die Befreiung des Schuldners von der Realerfüllung bei Leistungserschwerung (Leistungsverweigerungsrecht und Vertragsanpassung) grosszügiger zuzulassen.
Sie kommt unter Umständen auch dann in Frage, wenn keine übermässige Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne vorliegt.432 Zudem haftet der Schenker für die
leicht fahrlässige Herbeiführung einer Leistungserschwerung nicht (Art. 248 Abs. 1
OR).
F. Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs
300 PICHONNAZ433 (und gewisse andere Autoren434) stellen schliesslich beim Entscheid über
die Verweigerung der Realerfüllung auf die Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs ab. Der Gedanke ist naheliegend, denn dem Gläubiger ist mit dem Realerfüllungsanspruch prima vista nur gedient, wenn er auch vollstreckt werden kann.435,436
301 Diese Auffassung verkennt aber, dass der Realerfüllungsanspruch auch für die Haftung
des Schuldners eine gewisse Bedeutung hat:437 Der Schuldner handelt schuldhaft, wenn
er ein Leistungshindernis, welches er überwinden muss, nicht überwindet (vgl. Nr. 590).
VOGT, BasK, N 1 zu Art. 250 OR.
432 Ähnlich ERDIN, Nr. 273: Bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften gelte ein weniger strenger Massstab bei der Anwendung von Art. 373 Abs. 2 OR.
433 PICHONNAZ, Nr. 355 ff., insb. Nr. 360 f.
434 Nw. in Anm. 166.
435 MÜLLER-CHEN, S. 105.
436 Ein Realerfüllungsurteil, welches endgültig nicht vollstreckt werden kann, muss letzten Endes in
ein auf Schadenersatz lautendes Urteil umgewandelt werden. Diese sog. Taxation ist eine Frage
des materiellen Privatrechts, also des Bundesrechts, vgl. BGE 30 II 565 f.; ZR 99 (2000) Nr. 59,
S. 161; ferner z. B. VON TUHR/ESCHER, § 67 III, S. 89; BARTH, S. 65; SCHOBERT, S. 42. Dem
kantonalen Recht bleibt die Regelung des Verfahrens der Taxation überlassen; vgl. z. B. § 309
Abs. 1 ZPO ZH oder § 431 ZPO AG. Ob Art. 97 ff. OR direkt (in diesem Sinne BGE 30 II 365)
oder bloss analog (ZR 99 (2000) Nr. 59, S. 162) Anwendung findet, ist nicht geklärt, ebenso wie
zahlreiche andere Einzelfragen zur Taxation. Vgl. dazu insb. ZR 99 (2000) Nr. 59, S. 161 ff.;
ferner VON TUHR/ESCHER, § 67 III, S. 89; und insb. BULACHER, S. 76. Gegen das kantonale
Taxationsurteil ist die Berufung ans Bundesgericht zulässig; vgl. BGE 30 II 559; BGE 102 II 9 f.
437 A. A. PICHONNAZ, Nr. 358.
105
Die Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs würde damit mittelbar die Haftung
des Schuldners beeinflussen. Nach hier vertretener Auffassung darf die materiellrechtliche Frage des Bestands und Wegfalls des Realerfüllungsanspruchs deshalb nicht mit
der prozessrechtlichen Frage der Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs vermischt werden.
III. Die Dauer der Leistungserschwerung im Besonderen
1. Allgemeines
302 Bei der Unmöglichkeit der Leistung ist die Dauer der Unmöglichkeit gemäss der
Lehre und Rechtsprechung – wie bereits gesagt – von entscheidender Bedeutung für
die Rechtsfolgen: Endgültige Unmöglichkeit fällt unter Art. 97 und 119 OR, vorübergehende Unmöglichkeit nicht (Nr. 68 ff.).
303 Die Bestimmung, ob endgültige oder vorübergehende Unmöglichkeit vorliegt, bereitet
jedoch oft Schwierigkeiten (vgl. Nr. 69 ff.). Zwar gibt es Fälle, in welchen zweifelsfrei
feststeht, dass ein Leistungshindernis endgültig ist (z. B. bei Zerstörung einer Speziessache) oder bloss vorübergehend ist (z. B. wenn der Vermieter dem Mieter die Mietsache wegen Erstreckung des Mietverhältnisses des Vormieters während der Dauer der
Erstreckung nicht übergeben kann). Im Regelfall ist für die Bestimmung der Dauer
eines Leistungshindernisses jedoch eine Prognose über zukünftige Entwicklungen notwendig, beispielsweise über das Ende kriegerischer Auseinandersetzungen (vgl. das
Beispiel in Nr. 319), die Entwicklung der Marktverhältnisse, technische Innovationen
oder die Wahrscheinlichkeit der Wiedererlangung gestohlener Sachen (vgl. das Colliers-Beispiel, Nr. 38). Solche Prognosen sind erfahrungsgemäss schwierig zu stellen.
304 Um solche Schwierigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden, wird im Rahmen dieser
Arbeit für die übermässige Leistungserschwerung eine Lösung vorgeschlagen, bei welcher der Dauer der Leistungserschwerung nicht eine solch zentrale Bedeutung zukommt. Dies scheint insbesondere sachgerecht zu sein, weil die Verhältnisse bei
Leistungserschwerungen – wie einleitend gesagt – oft Veränderungen unterworfen
sind (Nr. 37 f.). Die Regelung der übermässigen Leistungserschwerung soll insbesondere auch auf Leistungshindernisse von unbestimmter oder nicht absehbarer Dauer
zugeschnitten sein. Die hier vorgeschlagene Lösung gestaltet sich übersichtsweise wie
folgt:
305 –
106
Der Schuldner hat bei übermässiger Leistungserschwerung ein Leistungsverweigerungsrecht, welches den Schuldner zur Verweigerung der Realerfüllung während
der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung berechtigt (Nr. 309 ff.). Beruft
sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, ist der Gläubiger seiner-
seits zur Zurückhaltung der Gegenleistung berechtigt. Damit wird der Vertrag bei
übermässiger Leistungserschwerung vorerst auf unbestimmte Zeit, d. h. bis zur allfälligen Behebung der übermässigen Leistungserschwerung suspendiert.
306 –
Der Gläubiger hat jedoch das Recht, jederzeit gemäss Art. 107 Abs. 2 OR auf
Realerfüllung zu verzichten und damit den Vertrag aufzulösen (Nr. 215 ff. und
475 ff.). Er kann aber auch zuwarten und auf Behebung der übermässigen Leistungserschwerung hoffen. Im Allgemeinen wird der Gläubiger zuwarten, wenn die
Realerfüllung für ihn besonders wertvoll ist und er die Wahrscheinlichkeit der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung für hinreichend erachtet. Er wird
hingegen auf nachträgliche Leistung verzichten, wenn er nicht mit deren Behebung rechnet. Es bleibt damit grundsätzlich dem Gläubiger überlassen, den Vertrag zu „liquidieren“.
307 –
Unter bestimmten Umständen soll diese Möglichkeit aber auch dem Schuldner zustehen. Der Schuldner ist einerseits berechtigt, vom Richter die (definitive) Vertragsanpassung oder -auflösung zu verlangen, wenn die Leistungserschwerung
offensichtlich endgültig ist – der Gläubiger kann in diesem Falle kein schützenswertes Interesse an der Weitergeltung des Vertrages haben. Ausserdem kann der
Schuldner die richterliche Vertragsanpassung oder -auflösung verlangen, wenn
ihm die Bindung an den Vertrag solche Nachteile bereitet, dass das Interesse des
Schuldners an der Befreiung vom Vertrag das Interesse des Gläubigers an dessen
Fortbestand überwiegt. Ob dies der Fall ist, hängt auch – aber nicht nur! – von der
voraussichtlichen Restdauer der übermässigen Leistungserschwerung ab (Nr.
315 ff.).
308 Im Folgenden ist zuerst (kurz) von den Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts des Schuldners die Rede, insbesondere bei vorübergehenden Leistungshindernissen, und sodann ausführlich von den Voraussetzungen der definitiven Vertragsanpassung oder -auflösung auf Begehren des Schuldners.
2. (Vorläufiges) Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners
A. Interessenlage
309 Wie vorne ausführlich dargelegt ist bei Leistungserschwerung das (am Erfüllungsaufwand bemessene) Befreiungsinteresse des Schuldners gegen das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers abzuwägen (Nr. 230 ff.): Steht der Erfüllungsaufwand in einem
Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers (übermässige Leistungserschwerung), ist die Erzwingung der Leistung in natura unsinnig, eine Verschwen-
107
dung wertvoller Ressourcen. Der Gläubiger soll deshalb in diesem Falle mit einer
Erfüllungsklage nicht durchdringen.
310 Diese Überlegungen gelten unabhängig davon, ob die Leistungserschwerung auf
einem endgültigen oder bloss auf einem vorübergehenden Leistungshindernis beruht,
die übermässige Leistungserschwerung also endgültig oder bloss vorübergehend ist.
Bei bloss vorübergehenden Leistungshindernissen wäre es erst recht unsinnig, Realerfüllung mit unverhältnismässigem Aufwand sofort zu erzwingen, anstatt die Behebung des Leistungshindernisses abzuwarten. Der Schuldner hat deshalb – nach hier
vertretener Auffassung – das Recht, die Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung zu verweigern, wenn und solange die Leistungserschwerung übermässig
ist.438,439 Dabei braucht die Dauer der übermässigen Leistungserschwerung im Zeitpunkt der Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht nicht festzustehen: Die Leistungsverweigerung kann vorerst auf unbestimmte Zeit erfolgen. Erst im Zeitpunkt der
allfälligen Behebung der übermässigen Leistungserschwerung entfällt das Leistungsverweigerungsrecht wieder.
B. Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts: Übermässige Leistungserschwerung
311 Voraussetzung für den Bestand eines Leistungsverweigerungsrechts ist – wie gesagt –
das Vorliegen eines Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse (übermässige Leistungserschwerung). Von dieser Voraussetzung war
bereits ausführlich die Rede (Nr. 230 ff.). Zwei Punkte bleiben nachzutragen:
312 1. Es rechtfertigt sich nicht, an das Vorliegen von übermässiger Leistungserschwerung bei vorübergehenden Leistungshindernissen andere (strengere oder mildere) An438 Diese Rechtslage – Fortbestand des Realerfüllungsanspruchs, aber eingeschränkte Durchsetzbarkeit des Realerfüllungsanspruchs während der Dauer der Verhinderung – scheint von einem Teil
der Lehre zumindest dem Grundsatze nach anerkannt zu werden (Nr. 77 ff.).
439 Das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners gemäss dem nun Gesetz gewordenen § 275
Abs. 2 BGB n. F. besteht dem Wortlaut nach nur bei endgültigen Leistungshindernissen. Die konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sah
jedoch noch vor, dass der Schuldner auch bei vorübergehenden Leistungshindernissen zur Leistungsverweigerung berechtigt sei. § 275 Abs. 2 BGB lautete in dieser Fassung: „Der Schuldner
kann die Leistung verweigern, soweit und solange diese einen Aufwand erfordert, der...“ (Hervorhebung angefügt). Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur
Modernisierung des Schuldrechts. Der ausdrückliche Einbezug von vorübergehenden Leistungshindernissen in § 275 BGB wurde namentlich von CANARIS, JZ 2001, S. 499, kritisiert und ist
schliesslich auf Antrag des Bundesrates mit dem Hinweis auf im Entwurf nicht geregelte Folgeprobleme fallengelassen worden. Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, Nr. 19; Gegenäusserung
der Bundesregierung, Zu Nr. 19; Bericht des Rechtsausschusses, Zu § 275: „Damit bleibt die Einordnung vorübergehender Leistungshindernisse wie bisher auch Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen.“ Vgl. dazu ARNOLD, JZ 2002, S. 868 ff.
108
forderungen zu stellen als bei definitiven Leistungshindernissen. Gegen strengere Anforderungen spricht schon das – soeben erwähnte – Argument, dass es unsinnig wäre,
die Leistung real zu erzwingen, wenn sie nach Behebung der übermässigen Leistungserschwerung mit verhältnismässigen Anstrengungen erbracht werden kann. Aber auch
besondere Milde ist nicht gerechtfertigt, weil der Schuldner dadurch auf Kosten des
Gläubigers bevorzugt würde. Dies sei anhand des Ring-Beispiels (Nr. 224 ff.) verdeutlicht:
313
Beispiel: Nehmen wir an, im Ring-Beispiel sei das Schiff mit dem Ring im Herbst gesunken, doch könne der Ring geborgen werden, ohne dass übermässiger Aufwand entsteht. Eine sofortige Bergung des Rings im Winter ist aber wesentlich teurer als eine
Bergung im Sommer. Der Gläubiger will den Ring möglichst früh erhalten, so dass er
die sofortige Bergung im Winter vorzieht. Wenn der Schuldner die Bergung im Winter
verweigern kann, so muss der Gläubiger den Schuldner für die Mehrkosten der Bergung im Winter entschädigen, um den Ring sofort zu erhalten. Wenn der Schuldner die
Bergung im Winter nicht verweigern kann, so wird der Schuldner dem Gläubiger anbieten, eine Ablösesumme zu zahlen, damit er einer Bergung im Sommer zustimmt. So
oder anders werden sich die Parteien voraussichtlich auf eine Bergung im Winter einigen können, wenn die Vorteile der Bergung im Winter die Mehrkosten überwiegen.
Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, dass im ersten Fall der Gläubiger,
im zweiten Fall der Schuldner die Mehrkosten der Bergung im Winter trägt. Weshalb
aber der Gläubiger an den Erfüllungskosten beteiligt werden sollte, obwohl die Bergung im Winter sinnvoll ist und der Erfüllungsaufwand in beiden Fällen nicht übermässig ist, ist nicht ersichtlich.
314 2. Nicht vorausgesetzt ist eine bestimmte (minimale) Dauer der übermässigen
Leistungserschwerung. Das Leistungsverweigerungsrecht berechtigt den Schuldner –
wie gesagt – nur zur Verweigerung der Leistung während der Dauer der übermässigen
Leistungserschwerung. Der Richter wird deshalb eine Leistungsklage nur (zur Zeit)
abweisen, wenn die übermässige Leistungserschwerung im Zeitpunkt des Urteils noch
besteht, und er kann den Schuldner sogar zu einer zukünftigen Leistung verurteilen,
wenn der Zeitpunkt der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung im Zeitpunkt des Urteils ausnahmsweise bereits feststeht (zum Ganzen Nr. 451 ff.). Eine Einschränkung des Leistungsverweigerungsrechts auf Fälle mit einer bestimmten minimalen Dauer ist deshalb nicht nötig.
109
3. Endgültige Vertragsanpassung oder -auflösung durch den Richter
A. Interessenlage
315 Wie soeben dargelegt bleibt der Realerfüllungsanspruch auch bei übermässiger
Leistungserschwerung grundsätzlich bestehen. Zwar kann der Schuldner Realerfüllung
während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung verweigern. Endgültig
befreit wird er jedoch nicht, bis der Gläubiger – bei gegebenen Voraussetzungen –
nach Art. 107 Abs. 2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichtet. Der Gläubiger muss
nicht auf Erfüllung verzichten. Er kann die Entwicklung der Verhältnisse abwarten
und auf die Behebung der übermässigen Leistungserschwerung hoffen. Wird die übermässige Leistungserschwerung behoben, so kann er auch nach langer Zeit noch Realerfüllung fordern. Diese Rechtslage kommt dem Gläubiger stark entgegen, wird es
doch ihm überlassen, über das Vertragsschicksal zu entscheiden. Für den Schuldner
kann diese Rechtslage verschiedene Nachteile haben (vgl. gleich nachfolgend Nr.
318 ff.).440 Diese sind gegen das Interesse des Gläubigers an der unveränderten
Weitergeltung des Vertrages abzuwägen.
316 1. Der Gläubiger hat ein Interesse an der unveränderten Weitergeltung des Vertrages,
wenn er damit rechnet oder hofft, dass die übermässige Leistungserschwerung in Zukunft behoben werden könnte, so dass er gegebenenfalls Realerfüllung doch noch erhalten wird. Dieses Interesse des Gläubigers ist grundsätzlich schützenswert. Ein Zuwarten des Gläubigers verdient hingegen keinen Schutz, wenn die übermässige Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist. Da in diesem Falle feststeht, dass die
Leistung auch in Zukunft mit verhältnismässigen Erfüllungsanstrengungen nicht erbracht werden kann, kann sich der Gläubiger nicht auf ein schützenswertes Interesse
an der Weitergeltung des Vertrages berufen.
317 Gemäss dem in § 5 dargelegten allgemeinen Grundsatz entfällt der Realerfüllungsanspruch endgültig, wenn der Gläubiger kein schützenswertes Interesse an der Realerfüllung hat, so dass das
Beharren des Gläubigers auf Realerfüllung Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) widerspricht (Nr.
197). Dies ist bei übermässiger Leistungserschwerung nur der Fall, wenn sie offensichtlich endgültig ist. Besteht hingegen die Aussicht oder Möglichkeit, dass die übermässige Leistungserschwerung wegfallen wird oder behoben werden kann, verhält sich der Gläubiger nicht a priori
treuwidrig, wenn er die Entwicklung der Verhältnisse abwartet und auf Behebung der Leistungserschwerung hofft.441
318 2. Die Weitergeltung des Vertrages kann jedoch für den Schuldner erhebliche
Nachteile haben: Solange der Gläubiger nicht nach Art. 107 Abs. 2 OR auf die Leis440 Vgl. auch ARNOLD, JZ 2002, S. 871.
441 Vgl. EMMERICH, § 19 II, S. 212.
110
tung verzichtet hat, lebt der Schuldner in Ungewissheit über seine Leistungspflicht. Er
muss damit rechnen, dass der Gläubiger nach Behebung der übermässigen Leistungserschwerung auf Realerfüllung beharrt. Der Schuldner kann deshalb über die für die
Erfüllung nötigen Ressourcen (den Vertragsgegenstand, Hilfsmittel, usw.) nicht frei
verfügen. Weil er nach der Behebung zur Erfüllung bereit sein muss, werden seine
Dispositionsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Erhaltung der Erfüllungsbereitschaft
kann dem Schuldner in gewissen Situationen erhebliche Nachteile bereiten.
319
Beispiel: „Gewebe-Fall“: BGE 45 II 192 ff. liegt (stark vereinfacht) der folgende
Sachverhalt zugrunde: Ein englischer Händler verkaufte Gewebe an einen Käufer in
der Schweiz. Wegen der Knappheit an Transportmitteln während des ersten Weltkrieges konnten die Gewebe während längerer Dauer nicht in die Schweiz transportiert
werden. Das Bundesgericht hatte namentlich über die Frage zu entscheiden, ob eine
zwischen Käufer und Verkäufer vereinbarte „Kriegsklausel“442 den Verkäufer endgültig von der Lieferpflicht befreite, oder ob der Verkäufer nur während der Dauer der
Lieferschwierigkeiten zur Verweigerung der Leistung berechtigt war, so dass er die
Ware hätte aufbewahren müssen. Das Bundesgericht hat bei der Auslegung der Kriegsklausel die Zumutbarkeit der Erhaltung der Erfüllungsbereitschaft mitberücksichtigt:
„Nach der Ansicht der Klägerin wäre die Beklagte gezwungen, das grosse Warenquantum, das sie seinerzeit in England zur Deckung der klägerischen Bestellungen nach den
vorinstanzlichen Feststellungen angeschafft hat, Jahr und Tag zu behalten, ohne das investierte beträchtliche Kapital wiederum verwenden zu können. Sie müsste die Lagerspesen tragen...“443
320 Sodann können sich die Verhältnisse, namentlich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung so stark zu Ungunsten des Schuldners verändern, dass eine unveränderte Weitergeltung des Vertrages nach Behebung des Leistungshindernisses unbillig wäre. Zu denken ist vor
allem an den Fall, dass die geschuldete Leistung stark an Wert gewinnt oder die
Gegenleistung massiv entwertet wird. Der Vertrag entwickelt sich während der Dauer
der Leistungserschwerung zu einem Verlustgeschäft für den Schuldner.
321
Beispiel: In BGE 45 II 192 (Nr. 319) hat das Bundesgericht drohende Veränderungen
der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mitberücksichtigt: Die Beklagte müsste „...
untätig zusehen, wie die Preise der Gewebe sich zu ihren Ungunsten verändern, um
endlich bei ganz anderen Verhältnissen (schon zur Zeit der Ausfällung des handelsgerichtlichen Urteils hatten sich die Preise verdoppelt) die Käuferin zu den vertraglichen
Konditionen zu bedienen und ihr damit einen ungeahnten Spekulationsgewinn zu verschaffen“.444
442 Die Klausel lautete im Wortlaut: „Infolge eventueller Nichtlieferung können ausser Annullationsrecht keinerlei Ansprüche entstehen.“ Vgl. BGE 45 II 193.
443 BGE 45 II 200.
444 BGE 45 II 200.
111
322 Wie das Bundesgericht richtig erkennt, kann der Gläubiger bei Leistungserschwerung
auf eine für ihn günstige Veränderung der Verhältnisse (namentlich auf eine Steigerung des Werts der Leistung) spekulieren:445 Der Gläubiger wird bei Leistungserschwerung vorerst zuwarten. Fällt der Wert der Leistung, so wird er auf Realerfüllung verzichten und vom Vertrag zurücktreten. Steigt der Wert, so wird er nach der
Behebung des Leistungshindernisses auf Realerfüllung beharren und die Gegenleistung erbringen. Der Gläubiger kann deshalb von einer Wertsteigerung profitieren,
ohne das Risiko einer Wertverminderung tragen zu müssen.446
323 Die genau gleichen Vorgehensweisen stünden dem Gläubiger offen, wenn der Schuldner dem Gläubiger (ohne eine besondere Entschädigung zu verlangen) eine Kaufoption
eingeräumt hätte (ausführlich dazu Nr. 340 ff.). Die übermässige Leistungserschwerung schiebt deshalb nicht nur (qua Leistungsverweigerungsrecht) die Erfüllung auf, sie verändert den eigentlichen Charakter des Vertrages: Aus einem normalen
Terminvertrag oder Vertrag mit aufgeschobener Fälligkeit wird plötzlich ein Vertrag,
der stark an einen eigentlichen Optionskontrakt erinnert.
324
Beispiel: Der Gläubiger kann in BGE 45 II 192 (Nr. 319) die Preisentwicklung der
Gewebe abwarten. Steigen die Preise der Gewebe, so beharrt er nach Behebung der
Transportschwierigkeiten auf Erfüllung und bezahlt den Kaufpreis, sinken die Preise,
verzichtet er auf nachträgliche Erfüllung und verweigert die Bezahlung. Damit hat der
Gläubiger eine eigentliche Kaufoption auf Gewebe: Er kann die Gewebe zum vereinbarten Kaufpreis (dem „Ausübungspreis“ der Option) beziehen, kann aber auch auf
Durchführung des Vertrages verzichten (die Option verfallen lassen).
325 3. Grundsätzlich soll der Gläubiger bei Leistungserschwerung die Entwicklung der
Verhältnisse abwarten können, damit er nicht sofort entscheiden muss, ob er auf Realerfüllung verzichten oder die Leistung nach Behebung des Leistungshindernisses in
natura einfordern will. Dem Schuldner dürfen jedoch durch ein Zuwarten des Gläubigers nicht unverhältnismässige Nachteile entstehen. Belastet ihn die Erhaltung seiner
Erfüllungsbereitschaft übermässig, oder ist die Gefahr gross, dass der Gläubiger auf
Kosten des Schuldners spekuliert und sich dadurch übermässige Vorteile verschafft, so
hat der Schuldner schützenswerte Interessen an definitiver Befreiung vom Realerfüllungsanspruch. Das Interesse des Gläubigers am Fortbestand des Realerfüllungsanspruchs und das Interesse des Schuldners an definitiver Befreiung sind deshalb
gegeneinander abzuwägen. Ein allfälliges Interesse des Gläubigers an der Auflösung
des Vertrages braucht – anders als vor der Schuldrechtsreform im deutschen Recht,
vgl. Nr. 73 – nicht mitberücksichtigt zu werden, steht es dem Gläubiger doch jederzeit
frei, auf Realerfüllung zu verzichten.
445 MÜLLER-CHEN, S. 123.
446 Gleichzeitig kann der Gläubiger auch auf die Entwertung der Gegenleistung spekulieren.
112
B. Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung oder -auflösung
326 Aus der dargestellten Interessenlage ergibt sich, dass der Schuldner in zwei Fällen ein
Recht auf richterliche Vertragsanpassung oder -auflösung haben muss: Einerseits kann
der Richter den Vertrag anpassen oder auflösen, wenn die übermässige Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist, da sich der Gläubiger in diesem Falle nicht
auf schützenswerte Interessen am Fortbestand des Vertrages berufen kann (Nr. 316).
Dieser Fall ist unproblematisch und bedarf keiner weiteren Erläuterung.
327 Genauerer Erläuterung bedürfen jedoch die Voraussetzungen der Vertragsanpassung
oder -auflösung im anderen Fall, wenn also die übermässige Leistungserschwerung
nicht offensichtlich endgültig ist: Der Richter darf den Vertrag in diesem Falle nur anpassen bzw. auflösen, wenn ein Zuwarten des Gläubigers dem Schuldner447 unverhältnismässige Nachteile bereitet. Ob die dem Schuldner entstehenden Nachteile unverhältnismässig sind, ist letzten Endes ein Ermessensentscheid. Viel hängt von den
Umständen des Einzelfalls ab. Im Einzelnen:
328 1. Wird die Erfüllung zufolge der Leistungserschwerung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit hinausgeschoben, ist in der Regel nicht absehbar, wie sich die Verhältnisse zur Zeit der Erfüllung gestalten werden.448 Freilich scheint es nicht der richtige Ansatz zu sein, erst im Zeitpunkt der Erfüllung zu entscheiden, ob die Aufrechterhaltung
des Vertrages dem Schuldner zumutbar ist. Der Schuldner soll grundsätzlich schon
vor der Behebung der Leistungserschwerung die Auflösung des Vertrages verlangen können, weil er sonst – unter Umständen für lange Zeit – in Ungewissheit über
seine Leistungspflicht leben muss. Der Schuldner wäre gezwungen, sich zur Erfüllung
bereit zu halten, obwohl der Gläubiger später möglicherweise auf Realerfüllung verzichtet oder der Richter den Vertrag anpasst oder auflöst. Neben diesen Interessen des
Schuldners sprechen die öffentlichen Interessen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit für die Zulässigkeit einer frühzeitigen Vertragsanpassung oder
-auflösung.449
329 Damit kann der Entscheid über die Vertragsauflösung nicht von den Verhältnissen bei
Behebung des Leistungshindernisses abhängig gemacht werden, sind diese doch im
447 Zu berücksichtigen sind nur die Nachteile auf Seiten des Schuldners, nicht solche auf Seiten des
Gläubigers, da die Interessen des Gläubigers durch das Recht, auf Realerfüllung zu verzichten,
hinreichend geschützt werden. Die in der deutschen Lehre entwickelten Grundsätze lassen sich
deshalb nicht ohne weiteres auf das Schweizer Recht übertragen. Vgl. Nr. 73.
448 WÜRDINGER/RÖHRICHT, N 479 Vor § 373 HGB.
449 Ähnliche Überlegungen liegen der Verjährung zugrunde; vgl. statt vieler VON TUHR/ESCHER, §
80 I, S. 211 f.; BUCHER, OR AT, S. 444 f.
113
Zeitpunkt des Entscheids häufig noch nicht absehbar.450 Auch sollte sich der Richter
jeder Prognose der Verhältnisse bei Behebung des Leistungshindernisses enthalten:451
Nicht nur würden solche „Marktprognosen“ den Rahmen richterlicher Funktionen
sprengen. Die ökonomische Theorie geht davon aus, dass es in effizienten Märkten gar
nicht möglich ist, Prognosen über die Entwicklung von Preisen zu machen (Markteffizienzhypothese).452
330 2. Richtigerweise muss die Vertragsauflösung auf objektiven Kriterien basieren,
welche – soweit möglich – bereits im Zeitpunkt der Vertragsauflösung feststehen.
Welche Faktoren bei Vertragsauflösung zu berücksichtigen sind, ist nicht offensichtlich. Bedenkt man aber, dass der Gläubiger bei Leistungserschwerung wirtschaftlich
betrachtet eine Kaufoption auf die Leistung hält (er kann entweder die Leistung nach
Behebung des Leistungshindernisses gegen Erbringung der Gegenleistung beziehen
oder auf Realerfüllung verzichten), so kann man sich an jenen Faktoren orientieren,
welche nach der Optionspreisbildungstheorie den Wert der Option des Gläubigers
(Optionspreis) beeinflussen (ausführlicher hinten Nr. 340 ff.). Für die Auflösung
sprechen damit namentlich die folgenden Faktoren:453
331 –
Hohe Volatilität des Werts der Leistung: Wenn eine Leistung starken Preisschwankungen unterworfen ist, so ist die Gefahr der Spekulation durch den Gläubiger offensichtlich besonders gross. Eine Auflösung des Vertrages ist deshalb bei
solchen Leistungen eher zu bejahen als bei Leistungen, deren Preis kaum
variiert.454
332 –
Lange Restdauer der Leistungserschwerung: Wenn ein Leistungshindernis voraussichtlich noch lange besteht, so ist die Gefahr einer ungünstigen Preisentwicklung besonders gross. Die Vertragsauflösung kommt deshalb am ehesten in Frage,
wenn der Schuldner bei voraussichtlich lange dauernder Leistungserschwerung
frühzeitig Auflösung des Vertrages verlangt.
450 Auch wäre es kaum sinnvoll, den Schuldner bloss provisorisch zu befreien, würden damit doch
die mit der frühzeitigen Befreiung angestrebten Ziele (Nr. 328) gerade nicht (oder nur teilweise)
erreicht.
451 Genau das wird im deutschen Recht implizit vom Richter verlangt: Für die Annahme von vorübergehender Unmöglichkeit muss im Zeitpunkt des Eintritts des Leistungshindernisses abzusehen sein, „dass der die Leistung verhindernde Umstand noch innerhalb eines Zeitraums fortgefallen sein wird, von dem unter normalen Umständen anzunehmen ist, dass die für den Abschluss
auf beiden Seiten motivierende Situation sich nicht wesentlich verändert haben wird...“ vgl. statt
vieler WÜRDINGER/RÖHRICHT, N 470 Vor § 373 HGB.
452 Für eine Übersicht vgl. z. B. Richard A. BREALEY/Stewart C. MYERS, Priciples of Corporate
Finance, 5. Aufl., New York etc. 1996, S. 323 ff.
453 Entgegen der herrschenden Lehre (Nr. 72) hängt die Befreiung des Schuldners deshalb nicht
allein von der Dauer der Leistungserschwerung, sondern ebenso von anderen Faktoren ab.
454 Vgl. WIELAND, S. 461, gemäss welchem bei Gattungskäufen über Waren, die Konjunktur- und
Preisschwankungen unterliegen, bei vorübergehender Unmöglichkeit stets endgültige Unmöglichkeit vorliege.
114
333
Der Unterscheidung zwischen vorübergehenden Leistungshindernissen und Leistungshindernissen von nicht absehbarer Dauer kommt deshalb entgegen der herrschenden Lehre (Nr. 72)
keine entscheidende Bedeutung zu. Auch bei vorübergehenden Leistungshindernissen kann
die Befreiung gerechtfertigt sein, wenn sie lange dauern. Umgekehrt kann bei Leistungshindernissen von nicht absehbarer Dauer eine definitive Befreiung des Schuldners nicht gerechtfertigt sein, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Leistungshindernis frühzeitig behoben wird.
334 –
Anstieg des Werts der Leistung bis zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung:455
Ist der Wert der Leistung seit dem Eintritt des Leistungshindernisses stark gestiegen (wie z. B. im Gewebe-Fall, Nr. 319), so besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die Erfüllung bei Behebung des Leistungshindernisses den Schuldner belasten wird. Seit dem Eintritt des Leistungshindernisses eingetretene Preissteigerungen sprechen daher eher für eine Befreiung. Hingegen ist eine Steigerung des
Werts der Leistung keinesfalls eine notwendige Voraussetzung für die Befreiung.
Auch wenn die Verhältnisse sich bis dato nicht verändert haben, kann eine Auflösung des Vertrages bei stark volatilen Leistungen und lange dauernden Leistungshindernissen gerechtfertigt sein.
335 –
Hohes Realzinsniveau einer risikolosen Anlage. Der Preis von Optionen hängt
sodann vom Realzinsniveau risikoloser Anlagen mit einer der Dauer der Leistungserschwerung entsprechenden Laufzeit ab. Hohe Realzinsen begünstigen eine
Befreiung vom Vertrag. Diese Voraussetzung lässt sich kaum intuitiv erfassen,
folgt aber, wie die anderen, aus der Optionspreisbildungstheorie.
336 Ob der Schuldner die Leistungserschwerung zu vertreten hat, ist beim Entscheid über
die definitive Vertragsanpassung oder -auflösung nicht zu berücksichtigen. Zwar
spricht die durch das Gerechtigkeitsempfinden motivierte Überlegung, dass dem
schuldhaft handelnden Schuldner (namentlich bei Absicht) grössere Nachteile zugemutet werden können, prima vista für eine Berücksichtigung des Verschuldens (Nr.
270). Dagegen spricht hingegen, dass der Gläubiger bei Verschulden des Schuldners
durch den Schadenersatzanspruch ohnehin bereits besser geschützt ist als bei fehlendem Verschulden des Schuldners, so dass der Gläubiger eigentlich keines zusätzlichen
Schutzes bedarf.456 Im Gegenteil: Weil der Gläubiger bei der nicht zu vertretenden
Leistungserschwerung keine Schadenersatzansprüche geltend machen kann, sollte ihm
gerade in diesem Fall die Möglichkeit gelassen werden, die Behebung des Leistungshindernisses abzuwarten. Es rechtfertigt sich deshalb nach hier vertretener Auffassung
455 In BGE 45 II 200 hat das Bundesgericht berücksichtigt, dass sich die Preise der verkauften Waren
schon bis zur Zeit des vorinstanzlichen Urteils verdoppelt hatten.
456 Dies wird bestätigt durch den Umstand, dass eine amerikanische Option (Situation bei verschuldeter Leistungserschwerung) mindestens gleich wertvoll ist wie die entsprechende europäische
Option (Situation bei nicht zu vertretender Leistungserschwerung). Vgl. hinten Nr. 343 f.
115
nicht, das Verschulden beim Entscheid über die Vertragsauflösung zu berücksichtigen
(vgl. auch vorne Nr. 271 ff.).
337 Ebenso wenig ist der tatsächliche Eintritt einer für den Schuldner ungünstigen Veränderung der Verhältnisse eine notwendige Voraussetzung für die Vertragsanpassung
oder -auflösung. Der Richter kann den Vertrag anpassen, selbst wenn sich später
herausstellt, dass die Verhältnisse bei Behebung der Leistungserschwerung unverändert sind. Es genügt, wenn die obengenannten Faktoren auf eine beträchtliche Gefahr
der Spekulation durch den Gläubiger hinweisen – ob der Gläubiger letzten Endes mit
seiner Spekulation Erfolg hatte, kann nicht ausschlaggebend sein. Aus diesem Grunde
ist der einmal angepasste oder aufgelöste Vertrag auch bei unveränderten Verhältnissen nicht wieder herzustellen. Umgekehrt aber hindert die Verweigerung der Vertragsanpassung oder -auflösung natürlich nicht, dass der Schuldner in einem späteren Zeitpunkt aufgrund veränderter Umstände befreit wird.
338 3. Zusätzlich zu den obengenannten Faktoren muss der Richter Nachteile berücksichtigen, welche dem Schuldner durch die Erhaltung seiner Erfüllungsbereitschaft
entstehen. Zu denken ist beispielsweise an folgende Arten von Nachteilen: Der
Schuldner kann über den Vertragsgegenstand nicht verfügen, so dass das darin
investierte Kapital gebunden bleibt.457 Die Aufbewahrung des Vertragsgegenstandes
verursacht Lagerkosten.458 Der Vertragsgegenstand benötigt während der Aufbewahrung Unterhalt oder Pflege (z. B. das Pferd, das nicht exportiert werden kann) oder
muss gegen Umwelteinflüsse oder Diebstahl geschützt werden. Die für die Erfüllung
benötigten Hilfsmittel sind während der Leistungserschwerung gebunden (z. B. die
Baumaschinen stehen während des Baustopps still, können aber nicht anderweitig eingesetzt werden, weil der Abtransport und Rücktransport zu kostspielig wäre). Der
Schuldner kann nicht ohne weiteres neue Aufträge annehmen, weil er sonst bei Behebung des Leistungshindernisses ungenügende Kapazitäten für die Erfüllung des Vertrages hätte (z. B. eigene Arbeitskraft, Personal, Maschinen usw.).
339 4. Schliesslich müssen die dem Schuldner entstehenden Nachteile die Interessen
des Gläubigers am Weiterbestand des Vertrages überwiegen. Der Richter hat bei
dieser Interessenabwägung zwangsläufig ein relativ weites Ermessen, lassen sich die
Interessen doch kaum quantifizieren. Das Spekulationsinteresse des Gläubigers darf
bei der Interessenabwägung selbstverständlich nicht mitberücksichtigt werden, geht es
doch hier gerade darum, spekulatives Verhalten des Gläubigers zu verhindern.
457 Vgl. BGE 45 II 200.
458 Vgl. BGE 45 II 200.
116
C. Exkurs: Analyse der Realoption im Besonderen
340 Die Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung werden in dieser Arbeit
durch Vergleich der Situation der vorübergehenden Leistungserschwerung mit einem
Optionsrecht abgeleitet (Nr. 330). Weil dieses Vorgehen in der schweizerischen
Rechtswissenschaft unüblich ist und zudem ein gewisses Verständnis der Grundlagen
der Optionspreistheorie voraussetzt, sollen hier einige Punkte im Sinne eines Exkurses
ausführlicher dargelegt werden:
341 1. Bei Leistungserschwerung hat der Gläubiger – wie gesagt – zwei Vorgehensmöglichkeiten: (1) Einerseits kann der Gläubiger auf Realerfüllung beharren und die vertragliche Leistung nach Beendigung der vorübergehenden Leistungserschwerung
gegen Entrichtung der Gegenleistung beziehen. Der Gläubiger wird sich für diese
Variante entscheiden, wenn der Wert der Leistung gestiegen ist. (2) Andererseits kann
der Gläubiger jederzeit auf Realerfüllung verzichten. Er muss die Gegenleistung nicht
erbringen, bzw. er kann die bereits erbrachte Gegenleistung zurückfordern. Der Gläubiger wird so vorgehen, wenn der Wert der Leistung in der Zwischenzeit gesunken ist.
Genau dieselben Vorgehensweisen stünden dem Gläubiger offen, wenn der Schuldner
dem Gläubiger eine Kaufoption auf die vertragliche Leistung eingeräumt hätte. (1)
Wenn der Wert der Leistung bei Verfall der Option den Ausübungspreis übersteigt,
würde der Gläubiger die Option ausüben. Er bezahlt den Ausübungspreis und bezieht
die Leistung. (2) Wenn der Wert der Leistung bei Verfall den Ausübungspreis nicht
übersteigt, lässt er die Option verfallen. Er bezieht die Leistung nicht und behält den
Ausübungspreis.
342 Technisch gesehen hat der Gläubiger bei Leistungserschwerung somit eine Option, die
Leistung gegen Erbringung der Gegenleistung zu beziehen. Es handelt sich um eine
Realoption, um ein Optionsrecht also, welches nicht auf besonderer vertraglicher Vereinbarung, sondern auf der Verteilung der Rechte und Pflichten in dieser besonderen
Situation beruht.459 Die Realoption ist nicht eine (beabsichtigte) Rechtsfolge der Leistungserschwerung, sie ist eine (unbeabsichtigte) Folge der Rechte, welche dem Gläubiger gemäss den allgemeinen Regeln bei Leistungserschwerung zustehen.
343 Bei der Realoption handelt es sich um ein Kaufoption (Call-Option) auf die vertragliche Leistung.
Der „Ausübungspreis“ der Option entspricht der Gegenleistung. Die Laufdauer der Option richtet
sich nach der Dauer der Leistungserschwerung. Ist sie im Voraus bestimmt, so hat die Option eine
bestimmte Laufdauer. Ist die Dauer der Leistungserschwerung unbestimmt, so hat die Option eine
unbestimmte (stochastische) Laufdauer. Real kann die Leistung freilich nur nach Behebung der
459 Vgl. TRIANTIS/TRIANTIS (zit. in Anm. 307), S. 163 ff.
117
Leistungserschwerung durchgesetzt werden (Nr. 341). Weil die Option damit nur am Ende der
Laufzeit ausgeübt werden kann, handelt es sich um eine europäische Option.
344 Anders verhält es sich, wenn der Schuldner die Leistungserschwerung zu verantworten hat. In diesem Falle steht dem Gläubiger eine zusätzliche Vorgehensweise offen. Er kann auf Realerfüllung
verzichten und Schadenersatz bemessen nach dem positiven Vertragsinteresse verlangen. Der
Gläubiger wird damit finanziell gleich gestellt, wie wenn der Vertrag real erfüllt worden wäre.
Diese Situation kann deshalb als Option aufgefasst werden, welche den Gläubiger berechtigt,
jederzeit während der Dauer der Leistungserschwerung gegen Erbringung der Gegenleistung den
Geldwert der Leistung zu beziehen. Es handelt sich somit um eine amerikanische Option auf den
Wert der Leistung.
345 2. Die Option des Gläubigers ist ein wertvolles Recht. Sie fällt dem Gläubiger wie
gesagt bei Eintritt der Leistungserschwerung ohne weiteres als (unbeabsichtigte) Folge
der allgemeinen Rechte des Gläubigers zu. Der Gläubiger erhält damit die Option
völlig umsonst, ohne dem Schuldner eine besondere Entschädigung als Optionsprämie
zu zahlen.460 Aufgabe des Rechts muss deshalb sein, dafür zu sorgen, dass die mit der
vorübergehenden Leistungserschwerung verbundene Realoption den Gläubiger nicht
ungebührlich auf Kosten des Schuldners bevorzugt.
346 Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems wäre, dem Gläubiger den Verzicht auf
die Leistung bei vorübergehender Leistungserschwerung generell zu verweigern und
eine Vertragsauflösung nur im gegenseitigen Einverständnis zuzulassen – dies würde
der Rechtslage bei nicht zu vertretender vorübergehender Unmöglichkeit im deutschen
Recht vor der Schuldrechtsrevision entsprechen (Nr. 73). Damit würde die Option entfallen. Wie aber bereits dargelegt wurde, hat der Gläubiger durchaus berechtigte Interessen daran, sich durch Verzicht auf Realerfüllung vom Vertrag lösen zu können (Nr.
215). Diese Variante missachtet die Interessen des Gläubigers und ist deshalb nicht
sinnvoll.
347 Exkurs: Theoretisch könnte der Gläubiger verpflichtet werden, dem Schuldner eine Entschädigung für die Option zu bezahlen, genauer eine Entschädigung für die Dauer, während er nicht auf
Realerfüllung verzichtet und damit die Option hält. Die Optionspreisbildungstheorie liefert verschiedene Modelle, mit welchen Optionen bewertet werden können, zum Beispiel die Black/
Scholes-Formel. Voraussetzung für die Bewertung ist freilich, dass genügend Daten betreffend
der Volatilität des Preises vorliegen. Dies wird freilich nur ausnahmsweise der Fall sein. Eine Entschädigung des Werts der Option kommt deshalb im Allgemeinen nicht in Betracht.
348 Die einzige gangbare Lösung ist also, dem Schuldner dann einen Anspruch auf endgültige Befreiung vom Realerfüllungsanspruch zu gewähren, wenn die Bevorzugung
des Gläubigers durch das Optionsrecht besonders stossend ist. Dies ist der Fall, wenn
die Realoption besonders wertvoll ist. Der Wert einer Kaufoption widerspiegelt nichts
460 Es ist auch anzunehmen, dass sich die meisten Parteien dessen beim Vertragsschluss nicht bewusst sind, so dass das allfällige Optionsrecht im Vertragspreis nicht berücksichtigt ist.
118
anderes als Gewinnchancen, welche die Option dem Gläubiger verleiht.461 Ein hoher
Optionswert bedeutet hohe Gewinnchancen für den Gläubiger und damit hohes
Verlustrisiko für den Schuldner. Es liegt deshalb nahe, den Schuldner zu befreien,
wenn der Wert der Realoption des Gläubigers hoch ist.
349 Ein Blick auf die Optionspreistheorie zeigt, welche Faktoren den Preis der Option
beeinflussen: Der Ausübungspreis der Option (in unserem Fall also der Wert der
Gegenleistung, Nr. 343), die Restlaufzeit der Option (also die Restdauer der Leistungserschwerung), der gegenwärtige Wert des Gegenstands der Option (also der Wert der
Leistung), die Volatilität des Werts des Gegenstands der Option (also die Volatilität
des Werts der Leistung) und der Zinssatz einer risikolosen Anlage mit derselben Laufzeit wie die Option.462
IV. Konkretisierung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse anhand klassischer Beispiele
350 Nach dem Gesagten hat der Schuldner bei übermässiger Leistungserschwerung ein Leistungsverweigerungsrecht (Nr. 309 ff. und hinten Nr. 447 ff.). Eine übermässige Leistungserschwerung liegt vor, wenn ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und
Realerfüllungsinteresse besteht (Nr. 230 ff.). Dieses Kriterium des Missverhältnisses
zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse soll hier anhand klassischer
Beispiele eingehender erläutert und konkretisiert werden. Dabei wird auf verschiedene
praktische Probleme bei der Anwendung des Kriteriums hingewiesen und Lösungsansätze dafür präsentiert.
351 Unter bestimmten Voraussetzungen hat der Schuldner bei übermässiger Leistungserschwerung zusätzlich zum vorübergehenden Leistungsverweigerungsrecht das Recht,
vom Richter die endgültige Anpassung oder Auflösung des Vertrages zu verlangen (Nr.
315 ff. und hinten Nr. 489 ff.). Ob dieses Recht besteht, hängt neben anderen Faktoren
auch von der Restdauer der übermässigen Leistungserschwerung ab. Im Sinne eines Exkurses wird am Beispiel der Speziessache mit unbekanntem Aufenthaltsort (z. B. Diebstahl einer Speziessache) auf das Problem der unbestimmten Restdauer des Vertrages
eingegangen.
461 Vgl. BREALEY/MYERS (zit. in Anm. 452), S. 568 ff.
462 Vgl. Heinz ZIMMERMANN, Preisbildung und Risikoanalyse von Aktienoptionen, St. Gallen 1988,
S. 33; BREALEY/MYERS (zit. in Anm. 452), S. 573.
119
1. Speziessache mit unbekanntem Aufenthaltsort
A. Im Allgemeinen
352 Eine Stückschuld oder Speziesschuld liegt vor, wenn die Parteien ausdrücklich oder
stillschweigend vereinbart haben, dass der Schuldner eine (oder mehrere) individuell bestimmte Sache (Speziessache) schuldet.463 Beispielsweise verkauft der Schuldner dem
Gläubiger ein ganz bestimmtes Colliers. Kommt bei einer Speziesschuld die geschuldete
Speziessache nach Vertragsschluss abhanden, beispielsweise weil sie gestohlen wird
oder verloren geht, so wird der Schuldner nicht einfach von der Pflicht zur Realerfüllung
befreit. Vielmehr muss der Schuldner Nachforschungen anstellen und nach der Speziessache suchen, das heisst alles vornehmen, was ihrer Wiederbeschaffung dient. Diese
Wiederbeschaffungspflicht ist im Gesetz nirgendwo ausdrücklich festgeschrieben, und
sie wird auch in der Literatur kaum erwähnt. Sie ist ein Ausfluss des Realerfüllungsanspruchs und folgt namentlich aus der allgemeinen Pflicht des Schuldners, Leistungshindernisse zu überwinden.
353 Der Schuldner ist jedoch gemäss dem dargelegten allgemeinen Grundsatz berechtigt, die
Wiederbeschaffung zu verweigern, wenn der Wiederbeschaffungsaufwand das Realerfüllungsinteresse übersteigt. Die Ratio für diese Beschränkung ist immer dieselbe: Es ist
unsinnig, wenn der Schuldner mehr zur Wiederbeschaffung einer Sache aufwendet, als
die Sache für den Gläubiger wert ist (Nr. 233).
354 Wie viel Aufwand für die Wiederbeschaffung einer abhanden gekommenen Speziessache nötig ist, ist jedoch oft unbekannt. Wie lange beispielsweise eine verlorene Sache
gesucht werden muss, bevor sie gefunden wird, weiss man im Allgemeinen erst, wenn
die Sache gefunden wurde. Der Erfüllungsaufwand ist objektiv ungewiss. Nicht nur der
Schuldner und der Gläubiger kennen den Erfüllungsaufwand nicht. Auch für ein Gericht
ist es schwierig oder gar nicht möglich, den zu erwartenden Aufwand zuverlässig zu bestimmen. Einen Entscheid über den Bestand des Leistungsverweigerungsrechts zu fällen
ist damit bei Abhandenkommen einer Speziessache schwierig.
355
Beispiel: „Falken-Beispiel“: Ein Züchter verkauft einen kostbaren, für die Jagd abgerichteten Falken, welcher jedoch vor der Übergabe entfliegt. Wenn keine Anhaltspunkte über den Aufenthaltsort des entflogenen Falken bestehen, kann nicht festgestellt werden, wie viel Aufwand die Suche bereitet und ob er überhaupt gefunden und wieder
eingefangen werden kann.
463 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 97; GUHL/KOLLER, § 8 N 4; KELLER/SCHÖBI, I, S. 99 und 203;
VON TUHR/PETER, § 8 I, S. 53; BUCHER, OR BT, S. 63.
120
B. Das Problem des ungewissen Erfüllungsaufwands
356 Bei objektiver Ungewissheit über den zu erwartenden Erfüllungsaufwand besteht keine
andere Lösung, als dass der Aufwand unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und allgemeiner Erfahrungstatsachen geschätzt wird.
357 Konkret wird das Gericht ermitteln, mit welchen Massnahmen das Leistungshindernis überwunden
werden könnte. Es ermittelt sodann die Kosten der einzelnen Massnahmen. Schliesslich schätzt es
für jede Massnahme einzeln und kombiniert mit anderen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie zur
Wiederbeschaffung der Leistung führt. All jene Massnahmen, deren Kosten unter Berücksichtigung
ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit nicht im Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers
stehen, muss der Schuldner vornehmen.464 Das Gericht wird zwar kaum je all diese Schritte einzeln
so abklären, sie liegen aber dem Schätzungsprozess implizit zugrunde.
358
Beispiel: Nehmen wir an, der Züchter habe im Falken-Beispiel (Nr. 355) zwei Möglichkeiten, um den Falken wiederzubeschaffen. Er kann einerseits durch Vogelbeobachtung
nach dem Falken suchen, im engeren und im weiteren Umkreis, und er kann andererseits
Fallen mit Ködern aufstellen. Wenn nun beispielsweise das Aufstellen einer Falle nur
eine sehr geringe Erfolgswahrscheinlichkeit hätte, zum Beispiel 1%, so ist der Schuldner
dazu nicht verpflichtet, wenn die Kosten 1% des Werts des Falken übersteigen. Analog
entscheidet sich, ob der Schuldner den Falken suchen muss. Dabei kann es durchaus sein,
dass der Schuldner zur Suche im engeren Umkreis verpflichtet ist, nicht aber zur Suche
in der weiteren Umgebung.
359 Zusammenfassend kann also nicht gesagt werden, der Schuldner sei in den Fällen von
Speziessachen mit unbekanntem Aufenthaltsort regelmässig zur vollständigen Verweigerung der Leistung berechtigt.465 Meistens existieren gewisse Erfüllungsanstrengungen,
deren Kosten unter Berücksichtigung ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit verhältnismässig
sind – welche hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Vornahme solcher
Erfüllungsanstrengungen darf der Schuldner nicht verweigern. Zur Abklärung, welche
Massnahmen erfolgversprechend und verhältnismässig sind, ist der Schuldner immer
verpflichtet. Bei Diebstahl einer Speziessache beispielsweise wird der Schuldner ferner
regelmässig verpflichtet sein, Anzeige zu erstatten und die Polizei bei ihren Ermittlungen zu unterstützen. Geht die Speziessache verloren, so ist der Schuldner im Allgemeinen zumindest verpflichtet, die Sache am Ort, wo sie verloren ging, zu suchen, sowie
das Fundbüro zu benachrichtigen. Je nach den Umständen können freilich auch viel weitergehende Massnahmen verhältnismässig sein.
464 Der Schuldner kann eine Massnahme verweigern, wenn die Kosten der Massnahme grösser sind
als der Wert der Leistung multipliziert mit der Erfolgswahrscheinlichkeit der Massnahme, formal:
c > w · p.
465 So aber z. B. ENNECCERUS/LEHMANN, § 29 I 3, S. 131: „Kommt dagegen die verkaufte Sache
dem Verkäufer spurlos abhanden, so liegt objektive Unmöglichkeit vor, weil ihre Lieferbarkeit
praktisch ausgeschlossen ist“ (Hervorhebung angefügt); ebenso MÜLLER-CHEN, S. 245.
121
360 Umgekehrt ist der Schuldner kaum je zu unbedingter Realerfüllung verpflichtet. Es geht
nicht an, dass die offensichtlichen Schwierigkeiten der Wiederbeschaffung der Speziessache vom Recht negiert werden und der Schuldner unbedingt zur Realerfüllung verurteilt würde, wie wenn er im Besitze der Sache wäre.466 Der Schuldner ist nicht verpflichtet, „das Unmögliche möglich zu machen“, er soll nur – aber immerhin – all das
vornehmen, was hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht. Der Gläubiger kann deshalb im Allgemeinen nicht einfach die Herausgabe der Sache verlangen.467
361 Objektive Ungewissheit des Erfüllungsaufwands ist besonders häufig oder sogar typisch
beim Abhandenkommen einer Speziessache. Sie kann freilich auch bei anderen Fällen
der Leistungserschwerung auftreten. Diese Ausführungen können deshalb auf andere
Leistungserschwerungstatbestände übertragen werden.
C. Das Problem der unbestimmten Restdauer der Leistungserschwerung
362 Im Sinne eines Exkurses soll hier auf das Recht des Schuldners auf endgültige richterliche Vertragsanpassung oder -auflösung (Nr. 315 ff.) eingegangen werden. Die richterliche Vertragsanpassung oder -auflösung setzt neben einer übermässigen Leistungserschwerung voraus, dass dem Schuldner durch die Bindung an den Vertrag Nachteile
entstehen (durch die Pflicht zur Erhaltung der Erfüllungsbereitschaft und die Möglichkeit der Spekulation durch den Gläubiger), welche das Interesse des Gläubigers am
Weiterbestand des Vertrages überwiegen (Nr. 339). Ob dies der Fall ist, hängt von den
konkreten Umständen des Einzelfalls ab. In Bezug auf die Möglichkeit des Gläubigers,
auf Kosten des Schuldners zu spekulieren, ist – wie gesagt – namentlich auf die Volatilität des Werts der Leistung (d. h. ob die Leistung starken Preisschwankungen ausgesetzt ist), die voraussichtliche Restdauer des Leistungshindernisses, einen allfälligen
466 Auch könnte ein solches Realerfüllungsurteil kaum vollstreckt werden: Fehlt dem Schuldner die
tatsächliche Verfügungsmacht über eine Sache, so ist die Vollstreckung durch direkten behördlichen Zwang gegen Sachen (Wegnahme, vgl. § 426 Abs. 1 ZPO AG, Beschlagnahme, Räumung,
Zwangsbenutzung etc.) mangels Verfügbarkeit der Sache ausgeschlossen. Vgl. OGer ZH, ZR 78
(1979) Nr. 85, S. 205 ff.; OGer ZH, ZR 86 (1987) Nr. 34, S. 77 f.; OGer ZH, ZR 72 (1973) Nr.
57, S. 140 f.; FRANK/STRÄULI/MESSMER, N 3 zu § 307 ZPO; GULDENER, S. 623 Anm. 40;
PFENNINGER, S. 74; ferner BGE 102 II 8. Die unbedingte Verurteilung zur Leistung unter Androhung von Ordnungsbusse oder einer Ungehorsamsstrafe wäre unzulässig. Es ist ein fundamentaler Grundsatz unserer Strafordnung, dass nur für eine Unterlassung bestraft werden kann, wer
die Tatmacht hatte, d. h. die Möglichkeit, die gebotene Handlung vorzunehmen. Vgl. Günter
STRATHENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 2. Aufl., Bern
1996, § 14 Nr. 37; Jörg REHBERG/Andreas DONATSCH, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 7. Aufl.,
Zürich 2001, S. 251; Peter NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Allgemeine
Voraussetzungen der Strafbarkeit, Zürich 1981, S. 189 und 193 f. Vgl. in Bezug auf das unechte
Unterlassungsdelikt Stefan TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich
1989, N 40 zu Art. 1 StGB: „Dass es für den Täter objektiv möglich gewesen sein muss, den
Erfolg abzuwenden (Tatmacht), ist selbstverständlich.“
467 So im Ergebnis OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206.
122
Anstieg des Werts der Leistung bis zum Zeitpunkt der Vertragsanpassung oder
-auflösung und das Realzinsniveau abzustellen (Nr. 330 ff.). All diese Faktoren können im Einzelfall so oder anders ausfallen.
363 Hier soll auf das Problem der voraussichtlichen Restdauer der Leistungserschwerung
eingegangen werden. Während die übrigen Faktoren im Zeitpunkt der Vertragsauflösung im Prinzip feststehen,468 muss der Richter über die Restdauer der Leistungserschwerung eine Prognose treffen. Dies kann im Einzelfall einfach sein: Zu denken ist
beispielsweise an den Fall, dass der Vermieter die Mietsache dem Mieter wegen der
Erstreckung der Miete des Vormieters nicht übergeben kann (vgl. Nr. 368) – die Dauer
der Leistungserschwerung entspricht der Dauer der Erstreckung des Mietverhältnisses.
Oft ist die Dauer der Leistungserschwerung jedoch unbestimmt469 und nicht absehbar.470
364 Letzteres trifft beispielsweise bei der abhanden gekommenen Speziessache zu: Die
Dauer der Verhinderung ist bei Abhandenkommen einer Speziessache nie im Voraus
bestimmt (vgl. Nr. 38). Es steht nicht einmal fest, ob die abhanden gekommene Sache
überhaupt je wieder auftaucht.471 Entscheidende Bedeutung kommt deshalb der Wahrscheinlichkeit des Auftauchens der Speziessache und dem wahrscheinlichen Zeitpunkt
des Auftauchens zu. Die Wahrscheinlichkeit des Auftauchens wird von einer Vielzahl
von Faktoren beeinflusst, beispielsweise von den Umständen des Abhandenkommens
der Speziessache, von der Art der abhanden gekommenen Sache, und von der Zeit, die
seit dem Abhandenkommen verstrichen ist. Solche Umstände müssen deshalb beim
Entscheid über die Vertragsauflösung mitberücksichtigt werden.
365 Beispielsweise spielen beim Diebstahl einer Speziessache die Umstände des Diebstahls,
allfällige Hinweise auf die Täterschaft usw. eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der
Wahrscheinlichkeit der Rückerstattung.472 Relevant kann auch sein, was für eine Sache
gestohlen wurde.473 Bei einem berühmten Bild eines berühmten Malers (z. B. Munchs
468 Durch (historische) Aufzeichnungen über Preise der Leistung – sofern verfügbar – kann ermittelt
werden, ob die Leistung starken Preisschwankungen unterliegt (Volatilität) bzw. ob der Preis der
Leistung seit dem Eintritt des Leistungshindernisses gestiegen ist. Das Zinsniveau ist eine leicht
feststellbare Tatsache.
469 So beispielsweise im „Englische-Voile-Fall“ (Nr. 398).
470 So beispielsweise im „Falken-Beispiel“ (Nr. 355).
471 Vgl. dazu WEBER, BerK, N 132 zu Art. 97 OR.
472 Das Obergericht Zürich ist in einem Fall, der von Unbekannten in Italien gestohlene Colliers
betraf (vgl. Nr. 38), von endgültiger Unmöglichkeit ausgegangen, freilich ohne die Umstände des
Diebstahls im Einzelnen zu berücksichtigen; OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206. Dies entspricht der herrschenden Lehre. Vgl. z. B. GAUCH, Dauervertrag, S. 120.
473 Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts werden beim gutgläubigen Erwerb einer abhanden gekommenen Sache nach Art. 936 ZGB erhöhte Anforderungen an die zu verlangende Aufmerksamkeit gemäss Art. 3 Abs. 2 ZGB gestellt, in Geschäftsbereichen, in denen oft Waren zweifelhafter Herkunft angeboten werden (Auto-Occasionshandel, BGE 113 II 397; Antiquitätenhandel, BGE 122 III 1). Es liegt deshalb nahe, beim Diebstahl von (namentlich auffälligen) Sachen
123
Schrei) ist das Auftauchen und die Rückgabe an den Besitzer wahrscheinlicher als bei
einem Bild eines unbekannten Malers, nicht zuletzt, weil berühmte Bilder im Kunsthandel bekannt sind und in den Medien über den Diebstahl eines berühmten Bildes oft ausführlich berichtet wird. Die Zeit, die seit dem Diebstahl verstrichen ist, kann ebenfalls
eine Rolle spielen. Ein gestohlenes Fahrrad wird in vielen Fällen binnen weniger Tage
wieder auftauchen, wenn der Entwender es nur für eine Strolchenfahrt verwendet hat.
Sind aber bereits einige Wochen seit dem Diebstahl vergangen, liegt die Vermutung
nahe, dass der Dieb das Fahrrad behalten oder zerstört hat (z. B. hat er es in einen Fluss
geworfen), so dass mit der Rückgabe nicht mehr zu rechnen ist. Es scheint deshalb in
diesem Fall sinnvoll, den Schuldner erst nach Ablauf einer gewissen Wartefrist zu befreien.474
366 Die ungewisse Dauer der Leistungserschwerung ist zwar typisch für die Fälle abhanden gekommener Speziessachen, kommt aber ebenso bei anderen Fällen der Leistungserschwerung vor. Diese Ausführungen haben deshalb auch für andere Leistungserschwerungstatbestände Gültigkeit. Letzten Endes muss der Richter in solchen Fällen
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles abschätzen, wie wahrscheinlich eine frühzeitige Behebung des Leistungshindernisses ist.
2. Speziessache in fremdem Eigentum
A. Im Allgemeinen
367 In dieser Fallgruppe werden alle Situationen zusammengefasst, bei welchen eine Drittperson nach Vertragsschluss ein dingliches oder anderes Recht an der geschuldeten
Speziessache erwirbt, welches dem obligatorischen Anspruch des Gläubigers vorgeht.
Klassisches Beispiel ist der bereits erwähnte Doppelverkauf475 (Nr. 85), jedoch fallen
auch zahlreiche weitere Lebenssachverhalte, namentlich aus dem Bereich des Mietrechts
darunter (vgl. die Beispiele in Nr. 368 und 370). Weil der Schuldner nicht mehr ohne
aus diesen Geschäftsbereichen nicht vorschnell endgültige Leistungserschwerung anzunehmen.
474 KOZIOL/WELSER, S. 233, schlagen deshalb für das österreichische Recht vor, im Einzelfall durch
Wertung zu bestimmen, ob die Behebung oder die Nichtbehebung der Unmöglichkeit bei Berücksichtigung aller Umstände als wahrscheinlicher erscheint. Ähnlich MÜLLER-CHEN, S. 282 f.: Der
Schuldner sei in der Regel zu befreien, doch sei dem Gläubiger der Erfüllungsanspruch ausnahmsweise zu belassen, wenn konkreter Anlass für die Annahme bestehe, dass die gestohlene
Ware wieder auftauche.
475 Nur ausnahmsweise kann der Erstkäufer beim Doppelverkauf direkt gegen den Zweitkäufer vorgehen und die Übertragung der Kaufsache direkt vom Zweitkäufer verlangen: Hat der Zweitkäufer sittenwidrig gehandelt, wird er dem Erstkäufer – bei gegebenen Voraussetzungen – nach Art.
41 Abs. 2 OR ersatzpflichtig; dieser Ersatzanspruch kann durch Naturalrestitution durchgesetzt
werden. KRAMER, BerK, N 55 zu Allg. Einl. in das OR, m. w. Hw.; CORTESI, S. 92 f.; BGE 114
II 333 Erw. 2a. Sittenwidrigkeit ist hingegen nur bei besonderer Anstössigkeit der Verleitung zum
Vertragsbruch anzunehmen. Vgl. BGE 102 II 340; BGE 52 II 376 f.
124
Mitwirkung der berechtigten Drittperson erfüllen kann, werden diese Fälle von einem
Teil der Lehre zur subjektiven Unmöglichkeit gezählt.
368
Beispiele: (i) Der Verkäufer ist bei Vertragsschluss nicht Eigentümer der Speziessache.
Der Eigentümer hat ihm aber den Verkauf in Aussicht gestellt. Nach Vertragsschluss verkauft der Eigentümer an einen Dritten.476 (ii) Die zur Aufbewahrung übergebene
Speziessache wird vom Aufbewahrer verkauft.477 (iii) Wird die vermietete/verpachtete
aber vom Vermieter/Verpächter noch nicht übergebene Miet-/Pachtsache verkauft, geht
das Miet-/Pachtverhältnis nicht über.478 (iv) Der Eigentümer einer Liegenschaft, der
einem Nachbarn ein nicht im Grundbuch eingetragenes Wegrecht eingeräumt hat, verkauft die Liegenschaft, ohne dem neuen Eigentümer das Wegrecht zu überbinden.479 (v)
Die vermietete Liegenschaft kann dem neuen Mieter nicht überlassen werden, weil der
Vormieter ein Mieterstreckungsverfahren anstrebt und das Mietverhältnis erstreckt
wird.480 (vi) Der Vermieter vermietet die vermietete Sache an einen zweiten Mieter und
räumt diesem den Besitz ein (Doppelvermietung).481
369 Macht ein Dritter Rechte an der geschuldeten Speziessache geltend, so ist der Schuldner
verpflichtet, sich gegen die behaupteten Rechte zur Wehr zu setzen. Wie dies zu geschehen hat, hängt von den jeweiligen einschlägigen Bestimmungen (des Sachenrechts,
Mietrechts, usw.) ab. Nach diesen Regeln bestimmt sich auch, ob das behauptete Recht
tatsächlich besteht. Oft muss der Schuldner auf dem Rechtswege gegen den Dritten vorgehen, wenn der Dritte sich zu Unrecht auf ein dem obligatorischen Anspruch des Gläubigers vorgehendes Recht beruft.482
370
Beispiel: Ein Mieter vermietet die Mietsache an den Untermieter, jedoch kann er die
Mietsache dem Untermieter nicht zum Gebrauch überlassen, weil der Eigentümer dem
476 Vgl. BGE 96 II 21 Erw. 2a, betr. Gattungsschuld. Betr. anfängliche Unmöglichkeit vgl. KOLLER,
OR AT I, Nr. 855.
477 BGE 109 II 474 ff.: Der Aufbewahrer hat die aufzubewahrenden Aktien verkauft. Vgl. ferner
BGE 97 II 362 = Pra 61 (1972) Nr. 52, S. 159 (ohne Sachverhalt); AEPLI, ZürK, N 129 zu Art.
119 OR.
478 HIGI, ZürK, N 13 f. zu Art. 261 - 261a OR; a. A. ZIHLMANN, S. 88, mit Verweis auf Art. 107 ff.
OR. Nach der Übergabe der Miet-/Pachtsache gelten Art. 261, 261a und 290 lit. a OR; vgl. GUHL/
KOLLER, § 44 N 72 ff.; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 3 zu Art. 261 OR. Bei der landwirtschaftlichen Pacht gelten Art. 14 f. LPG. Vor der Miet- und Pachtrechtsrevision vom 15. Dezember 1989
galt dies noch generell, wenn die vermietete/verpachtete Sache/Liegenschaft ohne Überbindung
des Miet-/Pachtvertrags an den Erwerber verkauft wurde. Vgl. BGE 28 II 283 betr. Miete; BGE
112 II 235 ff. betr. Pacht.
479 BGE 84 II 10.
480 BGE 117 II 71 f. = Pra 80 (1991) Nr. 164, S. 737; BGE 47 II 201 f.; HIGI, ZürK, N 20 zu Art. 258
OR. Den Vermieter trifft ein Verschulden an der Unmöglichkeit, „car il est imprudent de conclure
un nouveau contrat aussi longtemps qu'il doit compter avec la prolongation de l'ancien bail“;
BGE 117 II 72. Vgl. auch BGE 47 II 201 Erw. 1; BGE 90 I 142 ff.; AppGer TI, SJZ 55 (1959)
Nr. 100, S. 261.
481 SVIT-Kommentar Mietrecht, N 17 Vorbem. zu Art. 258 - 259i OR; HIGI, ZürK, N 19 zu Art. 258
OR.
482 BGE 36 II 185 f.
125
Untermieter den Zutritt zur Mietsache verweigert.483 Erfolgt die Zutrittsverweigerung zu
Unrecht, so muss der Mieter (und Untervermieter) rechtliche Schritte gegen den Eigentümer ergreifen, um dem Untermieter Besitz an der Mietsache zu verschaffen.484 Hat
der Eigentümer jedoch lediglich seine Zustimmung zur Untervermietung verweigert
(Art. 262 OR), ohne den Zutritt physisch zu verweigern,485 und erfolgt die Verweigerung
der Zustimmung zu Unrecht, so steht der Untervermietung nichts entgegen. Die Zustimmungsverweigerung ist schlicht unbeachtlich.486
371 Besteht das Recht des Dritten zu Recht, so kann einem rechtlichen Vorgehen gegen den
Dritten kein Erfolg beschieden sein. Dennoch wird der Schuldner nicht einfach von der
Pflicht zur Realerfüllung befreit.487 Es trifft ihn grundsätzlich die Pflicht, alles zu versuchen, damit der Dritte – allenfalls gegen eine Entschädigung – auf sein Recht verzichtet. Dass der Gläubiger vom Schuldner den „Freikauf der Leistung“ verlangen kann, ist
jedoch keine Selbstverständlichkeit.488 Meines Erachtens folgt aber auch diese Pflicht
aus der allgemeinen Pflicht des Schuldners, Leistungshindernisse zu überwinden.489
372 Freilich kann der Schuldner den Freikauf der Leistung verweigern, wenn der Drittberechtigte eine so hohe Ablösesumme fordert, dass der Erfüllungsaufwand in einem
Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht, oder wenn der Dritte
den Freikauf gar schlechthin ablehnt.490
B. Das Problem des ungewissen Realerfüllungsinteresses
373 Der Schuldner ist demnach verpflichtet, dem Drittberechtigten eine Ablösesumme anzubieten, welche dem Realerfüllungsinteresse des Gläubigers entspricht. Dabei kann sich
483 HÖCHLI, S. 50 f. Vgl. auch BGE 36 II 183 ff.: Der Eigentümer liess den Untermieter nicht einziehen, „...da sein Mobiliar mit Wanzen behaftet sei“; und den Entscheid der Vorinstanz, AppH BE,
ZBJV 46 (1910) Nr. 41, S. 489 ff.
484 BGE 36 II 185 ff.
485 Vgl. HIGI, ZürK, N 16, 49, 52 zu Art. 262 OR.
486 Vgl. HIGI, ZürK, N 54 ff. zu Art. 262 OR.
487 Fehlt dem Schuldner die rechtliche Verfügungsmacht über die Sache, so kann ein Realerfüllungsurteil, das ihn trotzdem zur Erfüllung zwingt, nicht vollstreckt werden, weil sich der Berechtigte
durch Einsprache gegen die Vollstreckung zur Wehr setzen kann; § 305 ZPO ZH. Vgl. FRANK/
STRÄULI/MESSMER, N 1 zu § 305 ZPO; ferner BULACHER, S. 75; zum Verfahren ausführlich
SIEGRIST, S. 68 ff.
488 Zum Vergleich: Im Kaufrecht ist bei bereits vor Vertragsschluss bestehenden Rechtsmängeln umstritten, ob dem Gläubiger neben der Rechtsgewährleistung ein Anspruch auf Realerfüllung zusteht; ablehnend HONSELL, BasK, N 6 Vorbem. zu Art. 192 - 210 OR, m. Hw., und N 1 zu Art.
192 OR; wohl auch VON BÜREN, OR BT, S. 16 f.; bejahend GIGER, BerK, N 8 zu Art. 192 OR;
keine eindeutige Stellungnahme bei GUHL/KOLLER, § 42 N 1; KELLER/SIEHR, S. 70.
489 VON TUHR/PETER, § 15 I, S. 115, scheinen die Pflicht als Anwendungsfall der Naturalrestitution
zu verstehen.
490 Vgl. VON TUHR/PETER, § 15 I, S. 115 Anm. 3: „Ist die Wiederverschaffung der Sache untunlich,
weil der Erwerber sie nur zu einem übermässigen Preis herausgeben will, so wird der Richter den
Kläger auf den Weg des Geldersatzes verweisen.”
126
der Schuldner aber nicht damit begnügen, dem Dritten bloss die Bezahlung des objektiven Markt- oder Verkehrswerts anzubieten. Die Ablösesumme muss – wenn nötig –
mindestens dem subjektiven Wert entsprechen, welcher die Sache für den Gläubiger besitzt. Ja sogar nicht materielle Interessen müssen bei der Bemessung der maximal anzubietenden Ablösesumme berücksichtigt werden. Zu unterscheiden sind drei Fälle:
374 1. Unproblematisch ist die Situation, wenn die Leistung einen Markt- oder Verkehrswert besitzt und der Drittberechtigte als Ablösesumme die Bezahlung dieses Marktwerts
verlangt. Der Gläubiger wird die Sache auch mindestens zu ihrem Marktwert bewerten,
weil er Ersatz nur zu diesem Preis erwerben könnte. Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse liegt nicht vor, so dass der Anspruch auf
Realerfüllung ohne weiteres zu bejahen ist.
375 2. Oft wird der Drittberechtigte jedoch eine Leistung mit Markt- oder Verkehrswert
nur gegen Bezahlung eines Zuschlags zu veräussern bereit sein, was verschiedene Gründe haben kann. Der Drittberechtigte hat beispielsweise ein Affektionsinteresse an der
Leistung, so dass die Leistung für ihn einzigartig oder zumindest besonders wertvoll ist.
Er braucht die Leistung dringend, beispielsweise in seinem Betrieb, so dass er nicht bis
zum Erwerb einer Ersatzleistung darauf verzichten will. Er möchte für die Mühen der
Suche nach einer Ersatzleistung entgolten werden. Oder er hat bereits Investitionen im
Zusammenhang mit der Sache getätigt, welche verloren wären (z. B. hat er für das gekaufte Gemälde einen Rahmen anfertigen lassen).
376 Der Realerfüllungsanspruch wäre in diesem Falle nur zu bejahen, wenn sich auch der
Gläubiger auf ein besonderes, den Markt- oder Verkehrswert übersteigendes Interesse
an der Realerfüllung berufen kann.491 Wie aber kann überprüft werden, ob beispielsweise ein vom Gläubiger behauptetes Affektionsinteresse tatsächlich besteht? Nicht materielle Interessen des Gläubigers sind schwer überprüf- und bewertbar. Der Entscheid
des Richters ist deshalb in solchen Situationen letztlich ein Ermessensentscheid, ein Entscheid mit weitreichenden Konsequenzen freilich:
377 Einerseits garantiert der Realerfüllungsanspruch, dass der Gläubiger die Chance hat, alle
mit dem Vertrag verbundenen Interessen und Erwartungen zu realisieren. Der Gläubiger
entschliesst sich nicht nur im Hinblick auf den objektiven Wert der Leistung zum Abschluss des Vertrages, sondern im Hinblick auf all seine Interessen an der Leistung.
Wird der Realerfüllungsanspruch zu früh verweigert, werden gewisse Interessen
frustriert. Der Gläubiger würde – bei Verschulden des Schuldners – auf einen blossen
Schadenersatzanspruch verwiesen, welcher namentlich immaterielle Interessen nur
unzureichend schützt (Nr. 187 ff.). Wird andererseits der Realerfüllungsanspruch zu spät
491 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3162, lehnen eine Pflicht zur Beschaffung der Leistung ab, wenn der
Dritte zufolge eines Affektionsinteresses zum Verkauf nicht bewegt werden kann. Vgl. auch
127
verweigert, führt dies zur Verschwendung wertvoller Ressourcen, und es besteht die Gefahr, dass der Gläubiger ungebührliche Vorteile erlangt, indem er gegen Bezahlung
einer Ablösesumme auf Realerfüllung verzichtet (Nr. 233).
378 Exkurs: Als Grund dafür, dass immaterielle Interessen bei der Schadensberechnung nicht berücksichtigt werden, wird angeführt, dass sie schwer zu überprüfen sind und deshalb die Gefahr des
Missbrauchs besteht. Ebenso wichtig ist meines Erachtens eine andere Überlegung: Schadenersatz
braucht ein Affektionsinteresse nicht zu schützen, weil der Gläubiger ja normalerweise Realerfüllung verlangen und somit immaterielle Interessen in natura realisieren kann. Das würde freilich
wiederum bedeuten, dass der Realerfüllungsanspruch nicht vorschnell verweigert werden sollte.
379 3. Noch schwieriger sind die Verhältnisse, wenn die geschuldete Speziessache keinen
Markt- oder Verkehrswert besitzt, weil sie ihrer individuellen Eigenschaften zufolge
nicht mit anderen Speziessachen verglichen werden kann. Zu denken ist beispielsweise
an Kunstwerke, Antiquitäten, generell Gegenstände, die stark durch individuelle Züge
geprägt sind, beispielsweise gewisse Grundstücke. Der Wert, den der Gläubiger einer
solchen Sache zumisst, ist zwangsläufig subjektiv, eine innere Tatsache, die sich nur
schwer verifizieren lässt. Das oben Gesagte (Nr. 377 f.) gilt hier in noch verstärktem
Ausmasse.
380 4. Entscheidende Bedeutung kommt deshalb der Beweislastverteilung zu. Gemäss der
allgemeinen Regel von Art. 8 ZGB hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten
Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Die Beweislast der übermässigen
Leistungserschwerung als Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts bzw. der
Vertragsanpassung oder -auflösung trifft deshalb regelmässig den Schuldner, der sich
darauf beruft.492 Der Schuldner hat demnach zu beweisen, dass der Erfüllungsaufwand
das Realerfüllungsinteresse übersteigt. Soweit jedoch immaterielle Interessen des Gläubigers bzw. ein rein subjektiver Wert der Leistung für den Gläubiger in Frage stehen,
befriedigt dies nicht: Der Schuldner wäre zu beweisen gezwungen, dass diese nicht bzw.
nicht im erforderlichen Umfang bestehen. Das erscheint nach dem Gesagten kaum möglich zu sein. Es rechtfertigt sich deshalb in Bezug auf immaterielle Interessen des Gläubigers und einen rein subjektiven Wert eine Beweislastumkehr.493
381 Immaterielle Interessen oder der subjektive Wert können freilich auch vom Gläubiger
selbst nicht im eigentlichen Sinne bewiesen werden. An das erforderliche Beweismass
CORTESI, S. 42 Anm. 173.
492 Bei Art. 373 Abs. 2 OR hat der Unternehmer die übermässige Erschwerung der Fertigstellung zu
beweisen, vgl. ERDIN, Nr. 253; Alfred BÜHRER, Von der Beweislast im Bauprozess, in Alfred
KOLLER (Hrsg.), Aktuelle Probleme des privaten und öffentlichen Baurechts, St. Gallen 1994, S.
319; i. gl. S. auch BÜHLER, ZürK, N 52 zu Art. 373 OR. Der Schuldner, der sich auf Unmöglichkeit beruft, hat deren Vorliegen zu beweisen, vgl. z. B. AEPLI, ZürK, N 156 zu Art. 119 OR;
WIEGAND, BasK, N 20 zu Art. 119 OR.
493 Vgl. zur Tunlichkeit der Beweislastumkehr bei unbestimmten Negativa im Allgemeinen SCHMID,
BasK, N 73 zu Art. 8 ZGB.
128
sind deshalb meines Erachtens erleichterte Anforderungen zu stellen: Der Gläubiger hat
nicht materielle Interessen bzw. einen subjektiven Wert bloss glaubhaft zu machen.
Dem Schuldner steht dabei natürlich der – schwierig zu führende! – Gegenbeweis offen.
3. Fehlende Gattungsware
A. Gattungsschulden im Allgemeinen
382 Eine Genus- oder Gattungsschuld liegt vor, wenn die Parteien vereinbart haben, dass
eine oder mehrere Sachen einer bestimmten Art (Gattung) geschuldet sind.494 Die geschuldete Sache ist nicht individuell bestimmt, sondern durch eine Mengenangabe und
durch die Umschreibung der Gattung (z. B. 120 Wagen Kleinpflastersteine495).496 Den
Schuldner trifft bei Gattungsschulden die Pflicht, Gattungsware zu beschaffen, wenn er
nicht im Besitze von Gattungsware ist (Beschaffungspflicht).
383 Entscheidend für die Bestimmung, was geschuldet ist, ist die Vereinbarung der Parteien.497 Sie
bestimmt, ob eine Spezies- oder Gattungsschuld vorliegt,498 und im letzteren Falle welche Gattungsmerkmale die Ware aufzuweisen hat.499 Haben sich die Parteien auf eine bestimmte Gattung geeinigt, so kann bei der Auslegung, was unter der vereinbarten Gattung zu verstehen ist, hilfsweise
auf die Verkehrsauffassung abgestellt werden.500
384 Unter einer begrenzten bzw. beschränkten Gattungsschuld wird eine Pflicht zur Leistung von Sachen verstanden, die zwar der Gattung nach bestimmt sind, jedoch durch zusätzliche Merkmale auf bestimmte Teile der Gattung eingegrenzt werden. Beispielsweise ist nur Ware eines bestimmten Herstellers, aus einem bestimmten Ursprungsland
494 BGE 121 III 454.
495 Zu jeder Gattung (z. B. Kleinpflastersteine im Masse von 8/10) ist grundsätzlich eine enger und
eine weiter umschriebene Gattung denkbar (z. B. Kleinpflastersteine im Masse von 8/10 aus dem
Steinbruch Sarnen bzw. Kleinpflastersteine). Das Beispiel entstammt dem „Steinbruch-SarnenFall“, BGE 57 II 508 ff.
496 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 98; KELLER/SCHÖBI, I, S. 99 und 203; KOLLER, OR AT I, Nr.
114; VON TUHR/PETER, § 8 I, S. 53 f.; ferner GUHL/KOLLER, § 8 N 4; BUCHER, OR BT, S. 63.
497 BGE 121 III 456 f. Die Unterscheidung zwischen Speziesschulden und Gattungsschulden deckt
sich damit nicht mit der Unterscheidung zwischen vertretbaren und nicht vertretbaren Leistungen.
Diese zweite Unterscheidung stellt darauf ab, ob die vereinbarte Sache nach der Verkehrsauffassung als individuell bestimmt oder als bloss nach Zahl, Mass oder Gewicht und Qualität (also der
Gattung nach) bestimmt angesehen wird. Vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 100; KELLER/
SCHÖBI, I, S. 99 f.; VON TUHR/PETER, § 8 I, S. 53 f.; BUCHER, OR BT, S. 63 f.
498 VON TUHR/PETER, § 8 I, S. 54.
499 Allgemeinen Gattungseinteilungen, etwa der botanischen, kommt in diesem Zusammenhang
keine Bedeutung zu; vgl. OGer ZH, SJZ 44 (1948) Nr. 69, S. 226; teilweise abweichend BGE 69
II 100 f. und BGE 22, 571.
500 OGer ZH, SJZ 44 (1948) Nr. 69, S. 226.
129
oder aus einem bestimmten Lager oder Vorrat geschuldet.501 Im letztgenannten Fall
spricht man von einer Vorratsschuld.502
B. Grundsatz: Genus perire non potest
385 Der Schuldner von Gattungsware schuldet – wie gesagt – nicht bestimmte Exemplare
der Gattung, sondern irgendwelche Exemplare von mittlerer Qualität (Art. 71 Abs. 2
OR). Er bleibt deshalb zur Realerfüllung verpflichtet, wenn er nicht aus den Vorräten
oder Quellen erfüllen kann, mit welchen er zu erfüllen beabsichtigte. Der Schuldner ist
verpflichtet, Gattungsware anderweitig zu beschaffen. Die Pflicht zur Beschaffung von
Gattungsware besteht – mangels gegenteiliger vertraglicher Vereinbarung – gemäss der
herrschenden Auffassung, solange überhaupt ein Exemplar der Gattung existiert. Weil
es aber – namentlich bei weit umschriebenen Gattungen – kaum denkbar ist, dass alle
Exemplare der Gattung untergehen, bleibt die Beschaffungspflicht gemäss der herrschenden Lehre praktisch immer bestehen. Das ist mit „genus perire non potest“ gemeint.503
386 Eine übermässige Leistungserschwerung tritt bei Gattungsschulden im Allgemeinen
nicht auf. Leistungshindernisse, beispielsweise Unwetter, Naturkatastrophen, Importoder Exportverbote werden zwar zu einer Knappheit an Gattungsware, steigenden Preisen und damit erhöhten Beschaffungskosten führen. Den erhöhten Beschaffungskosten
steht aber regelmässig ein erhöhter Wert der Leistung für den Gläubiger gegenüber,
könnte er doch Ersatzware ebenfalls nur zu den gestiegenen Preisen erwerben.504 Ein
Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse kann deshalb
bei Gattungsschulden in einem funktionierenden Markt grundsätzlich nicht auftreten (zu
Ausnahmen Nr. 392 ff.). Dies sei anhand des Kuriwata-Seiden-Falls verdeutlicht:
Beispiel: Kuriwata-Seiden-Fall:505 Kopf-Schnewlin (Verkäufer) verkaufte im Juni
1899 1500 Kilogramm Kuriwata-Seide für 7 Franken pro Kilogramm an Bavier & Cie.
(Käufer). Der Verkäufer lieferte nicht, weil – gemäss den Behauptungen des Verkäufers – ein Taifun und damit verbundene Überschwemmungen die Kuriwata-Ernte von
1899/1900 in den japanischen Produktionsgebieten nahezu gänzlich zerstört hatten.506
387
501 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 99; GUHL/KOLLER, § 8 N 6; HONSELL, BasK, N 20 zu Art.
97 OR; KOLLER, OR AT I, Nr. 115; ferner AEPLI, ZürK, N 50 zu Art. 119 OR; BUCHER, OR BT,
S. 63; KRAMER, BerK, N 256 zu Art. 19 - 20 OR.
502 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 16; BUCHER, OR AT, S. 421 Anm. 17; BUCHER, OR BT,
S. 63; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 99; KOLLER, OR AT I, Nr. 115.
503 Vgl. statt vieler WEBER, BerK, N 115 zu Art. 97 OR, m. Hw.; GUGGENHEIM, II, S. 177; TERCIER,
AT, Nr. 1148.
504 Gl. A. LORENZ/RIEHM, Nr. 306.
505 BGE 27 II 211 ff. Vgl. auch vorne Nr. 14.
506 I. c. verlangte der Käufer nicht Realerfüllung, sondern Schadenersatz. Der Verkäufer berief sich
auf Unmöglichkeit der Leistung. Das Bundesgericht lehnte es ab, Beweise über die Auswirkun-
130
Offenbar sind infolge des Taifuns die Preise von Kuriwata-Seide gestiegen,507 was die
Beschaffungskosten des Verkäufers erhöhte. Der Wert der Leistung ist aber genauso
gestiegen, weil der Gläubiger Ersatzware, welche er zur Erfüllung seinerseits eingegangener Verträge benötigte, nun auch nur zu höheren Preisen hätte kaufen können. Ein
Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse bestand deshalb nicht, und der Wegfall des Realerfüllungsanspruchs wäre nicht gerechtfertigt gewesen.508
388 Die Rechtsprechung geht deshalb zu Recht davon aus, dass den Schuldner eine Pflicht
zur rechtzeitigen Beschaffung von Gattungsware trifft. Die Beschaffungspflicht besteht
selbst dann, wenn die Preise der Ware gestiegen sind509 oder wenn der Schuldner nicht
aus den Vorräten liefern kann, mit denen er gerechnet hat.510 Fällt der Lieferant eines
Gattungsschuldners aus, so muss der Schuldner den Lieferanten zur nachträglichen Lieferung zu bewegen versuchen und sich rechtzeitig um Ersatzware eines anderen Lieferanten bemühen.511 Er ist verpflichtet, allenfalls Ware aus dem Ausland zu importieren
oder beim Importgeschäft Ersatzware im Inland zu beschaffen512 und die dazu nötigen
Ausfuhr- bzw. Einfuhrbewilligungen zu beschaffen und allfällige Extrakosten in Kauf
zu nehmen.513
389 Das Gesagte ist freilich nicht unbestritten. Nach einer anderen Lehrmeinung entfällt die
Beschaffungspflicht, „wenn die Beschaffung derart schwierig geworden ist, dass sie
nach Treu und Glauben im Verkehr dem Schuldner billigerweise nicht mehr zumutbar
ist...“514 Diese Auffassung entspricht der Unzumutbarkeitstheorie (Nr. 57 ff.). Sie wird
507
508
509
510
511
512
513
514
gen des Taifuns zuzulassen, denn „...von einer nachgewiesenen eigentlichen Unmöglichkeit der
Beschaffung von Ersatzware [könnte] nur dann gesprochen werden, wenn solche überhaupt nicht
vorhanden war, wenn daher nicht nur die sämtliche Ware der Kampagne 1899/1900 zerstört, sondern auch die ältere Ware überall vollständig aufgebraucht war“, BGE 27 II 219. Dies wurde aber
vom Verkäufer nicht behauptet.
Bavier & Cie. hat die Seide für 7.50 Franken pro Kilogramm weiterverkauft, so dass sie einen
Gewinn von 50 Rappen pro Kilogramm gemacht hätte. Weil Bavier & Cie. diesen Vertrag nicht
erfüllen konnte, wurde sie von einem Gericht in Lyon zur Bezahlung von Schadenersatz im Umfang von 3375 Franken verurteilt, also 2.23 Franken pro Kilogramm. Der Marktpreis der Seide
dürfte deshalb zufolge des Taifuns auf ca. 9.73 Franken pro Kilogramm gestiegen sein.
Vgl. auch OGer LU, ZBJV 55 (1919) Nr. 7, S. 488.
Vgl. HGer ZH, ZR 21 (1922) Nr. 37, S. 84; BECKER, BerK, N 19 zu Art. 97 OR.
BGE 27 II 218; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95. Anders aber bei Vorratsschulden; s. hinten Nr.
393 ff.
BGE 27 II 218; BGE 43 II 176 f.; BGE 43 II 793; OGer LU, ZBJV 55 (1919) Nr. 7, S. 488;
BECKER, BerK, N 16 zu Art. 97 OR.
KGer GR, SJZ 47 (1951) Nr. 28, S. 80. Eine solche Pflicht zur Beschaffung im Inland wurde verneint in BGE 43 II 174 f.; ebenso in BGE 43 II 84 ff. und BGE 45 II 42.
BGE 43 II 176 ff., wo der Schadenersatz nach Art. 43 OR reduziert wurde.
OGer AG, AGVE 1987 Nr. 9, S. 33 = SJZ 85 (1989) Nr. 30, S. 177 f.; BGE 44 II 527; BESSON,
S. 32; BUCHER, OR AT, S. 421; MÜLLER-CHEN, S. 248 ff.; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 f.,
m. Hw.; WIELAND, S. 458 f., unter Berufung auf BGE 27 II 218. Vgl. auch BECKER, BerK, N 18
zu Art. 97 OR: „[D]as Abgesperrtsein von der ganzen Gattung ist als Unmöglichkeit anzuerkennen, wenn das Überwinden des Hindernisses eine «überobligationsmässige» Anstrengung erfor-
131
hier abgelehnt, weil – wie gesagt – bei Gattungsschulden ein Missverhältnis zwischen
Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse grundsätzlich nicht eintritt (zu Ausnahmen Nr. 392 ff.), auch wenn sich der Erfüllungsaufwand „unzumutbar“ erhöht.
390 Ob die Beschaffungspflicht des Schuldners auch bestehen bleibt, nachdem der Schuldner (bzw.
der Gläubiger) die zur Erfüllung des einzelnen Vertrages erforderliche Gattungsware ausgewählt
hat (Art. 71 Abs. 1 OR), ist in der Lehre umstritten. Nach wohl vorherrschender Lehrmeinung
trägt der Schuldner die Gefahr des Untergangs der Leistung (Leistungsgefahr) auch nach erfolgter Konkretisierung.515 Er muss selbst dann Gattungsware beschaffen, wenn die von ihm ausgewählte Ware zerstört wurde. Ausdrücklich geregelt ist die Frage einzig beim Gattungskauf, und
zwar gerade anders: Gemäss Art. 185 Abs. 2 OR geht die Gefahr (gemeint ist die Leistungs- und
die Preisgefahr)516 mit erfolgter Konkretisierung auf den Käufer über. Ab diesem Zeitpunkt trifft
den Schuldner bei zufälligem Untergang der Gattungsware damit keine Beschaffungspflicht
mehr.517
391 Exkurs: „Geld muss man [immer] haben“.518 Am kompromisslosesten ist die
Parömie „genus perire non potest“ bei Geldschulden verwirklicht, die freilich im Allgemeinen keine echten Gattungsschulden, sondern Geldsummenschulden (bzw. Wertverschaffungsschulden519) sind.520 Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und
Realerfüllungsinteresse kann bei Geldschulden nie eintreten, weil ein Franken immer
ein Franken wert ist, sowohl für den Schuldner, wie auch für den Gläubiger. Fest verankert in Lehre521 und Rechtsprechung522 ist deshalb der Grundsatz, dass Geldmangel nie
dern würde...“
515 VON TUHR/PETER, § 8 III f., S. 55 ff.; LEU, BasK, N 4 f. zu Art. 71 OR; a. A. WIEGAND, BasK, N
21 zu Art. 97 OR; MERZ, SPR VI/1, S. 142 f.; ohne Stellungnahme BARTH, S. 53; KOLLER,
BasK, N 11 zu Art. 185 OR. Abweichend vom Schweizer Recht auch § 243 Abs. 2 BGB, vgl.
dazu statt vieler MEDICUS, Bürgerliches Recht, Nr. 258.
516 KOLLER, BasK, N 22 zu Art. 185 OR, m. Hw.
517 Vgl. VON TUHR/PETER, § 8 IV, S. 56; GUHL/KOLLER, § 8 N 7; WEBER, BerK, N 115 zu Art. 97
OR.
518 MEDICUS, „Geld muss man haben“, AcP 188 (1988), S. 489 ff.
519 CANTIENI, S. 3.
520 Vgl. GUHL/KOLLER, § 11 N 2 ff.
521 „Das Schuldrecht speziell, aber überhaupt das Privatrecht als Ganzes würden allen Boden verlieren, wenn nicht eisern der Satz bestünde, dass man Geld schlichtweg zu haben hat“, VON
BÜREN, OR AT, S. 392; AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR; BARTH, S. 54; BECKER, BerK, N 16
zu Art. 97 OR; BISCHOFF, S. 125; ENGEL, AT, Nr. 209 S. 706 und Nr. 204 S. 694; GAUCH,
Dauervertrag, S. 121; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3136, 3160 und 3165; KELLER/SCHÖBI, I, S.
247; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96; VON TUHR/PETER, § 7 II, S. 46 f.; MARTIN, l'inexecution,
ZSR 33 (1914), S. 80 und 120; betr. die anfängliche Unmöglichkeit KRAMER, BerK, N 256 zu
Art. 19 - 20 OR. Vgl. zum deutschen Recht SOERGEL/WIEDEMANN, N 55 zu § 275 BGB.
522 In diesem Sinne ist wohl auch BGE 59 II 378 = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 468 f. zu verstehen:
„Das Merkmal des drohenden Ruins des Schuldners beim Beharren auf der Leistungspflicht
würde übrigens im letzten Grunde bedeuten, dass es auf seine subjektive Leistungsfähigkeit
ankommen solle, also auf einen Umstand, der nach Art. 119 OR gerade ohne Belang sein soll; das
Obligationenrecht steht auf dem Boden, dass blosses subjektives Unvermögen des Schuldners
keinen Erlöschungsgrund einer Forderung bilden soll.“ Vgl. ferner ZR 34 (1935) Nr. 16, S. 43;
AppGer BS 9 (1946 - 1948) Nr. 17, S. 52 f.; BGE 25 II 67; BGE 60 II 339.
132
zur Befreiung des Schuldners von einer Geldschuld führt. Hat der Schuldner einer Geldleistung nicht genügend Geldmittel (Bargeld, Buchgeld, Kredit usw.) zur Erfüllung
seiner Geldschuld, so führt dies in keinem Falle zu übermässiger Leistungserschwerung
oder zur Anwendbarkeit des Unmöglichkeitsrechts.523 Vielmehr liegt ein normaler
Verzugsfall vor. Der Gläubiger kann direkt auf Erfüllung klagen und die Leistung nach
den Regeln des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts vollstrecken lassen. Er kann den
Schuldner in Verzug setzen und beispielsweise – bei gegebenen Voraussetzungen –
Verzugszinsen und bei Verschulden Ersatz weiteren Schadens fordern (Art. 104 - 106
OR)524 oder nach Art. 107 Abs. 2 OR vom Vertrage zurücktreten. Das Gesagte gilt
grundsätzlich auch, wenn die Erfüllung der Geldschuld die wirtschaftliche Existenz des
Schuldners gefährdet.525
C. Ausnahmen
392 Trotz „genus perire non potest“ hat das Bundesgericht den Gattungsschuldner in verschiedenen Entscheiden von der Leistungspflicht (bzw. von der Schadenersatzpflicht)
befreit.
a. Beschränkte Gattungsschuld
393 Einerseits hat das Bundesgericht den Schuldner bei beschränkten Gattungsschulden befreit, beispielsweise in BGE 57 II 508 ff. aus dem Jahre 1931:
394
Beispiel: „Steinbruch-Sarnen-Fall“: Die Gemeinde Rapperswil kaufte von Josef Spiller ca. 120 Wagenladungen Kleinpflastersteine im Masse von 8/10 aus dem Steinbruch
des Spiller in Sarnen, welche sie für den Bau einer Strasse benötigte. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Formation des guten Gesteins, welcher die Steine entnommen werden sollten, stark „bergeinfallend“ war.526 Das Bundesgericht erachtet die Lieferung der
Pflastersteine als nicht erschwinglich und wies die Schadenersatzforderung der Gemeinde Rapperswil ab.527
395 Wendet man das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und
Realerfüllungsinteresse auf dieses Beispiel an, so liegt hier ausnahmsweise eine übermässige Leistungserschwerung vor. Einerseits war der Abbau von Steinen im Stein523 Ausdrücklich BISCHOFF, S. 125; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3165; PICHONNAZ, Nr. 364; vgl.
ferner GAUCH, Dauervertrag, S. 121. BARTH, S. 54, weist richtigerweise darauf hin, dass dies bei
einer Geldsortenschuld nicht unbedingt gilt. Ausführlich CANTIENI, S. 18 ff.
524 Ausführlich CANTIENI, S. 28 ff.
525 BGE 59 II 378 = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 468 f., vgl. dazu Anm. 522.
526 Es handelt sich dabei streng genommen um einen Beispiel einer anfänglichen Leistungserschwerung, vgl. Nr. 11 f.
527 BGE 57 II 508 f.
133
bruch Sarnen sehr kostspielig: Die Kosten für den Abbau überstiegen den Marktwert der
Kleinpflastersteine offensichtlich. Andererseits waren die Pflastersteine aus dem Steinbruch Sarnen für die Käuferin nicht wertvoller als Pflastersteine aus anderen Brüchen,
welche sie beim Strassenbau ebenso gut verwenden konnte.528 Unter diesen Voraussetzungen standen freilich die Kosten der Realerfüllung in einem Missverhältnis zum
Wert der Leistung für den Gläubiger.529
396 Zu diesem Resultat konnte das Bundesgericht jedoch nur gelangen, wenn es davon ausging, dass die Parteien die Lieferung von Kleinpflastersteinen aus dem Steinbruch
Sarnen vereinbart hatten.530 Weil sich die Beschaffungspflicht des Schuldners grundsätzlich nur auf Gattungsware bezieht,531 war der Schuldner nicht zur Beschaffung von
Kleinpflastersteinen aus anderen Steinbrüchen verpflichtet. Hätten die Parteien hingegen
die Lieferung von Kleinpflastersteinen schlechthin vereinbart, wäre anders zu entscheiden gewesen. Der Schuldner wäre zur Beschaffung von Steinen aus anderen Brüchen
verpflichtet gewesen, was zu Marktpreisen auch ohne weiteres möglich gewesen wäre.
Übermässige Leistungserschwerung hätte nicht vorgelegen. Dies zeigt: Der vertraglichen Abgrenzung der Gattung durch die Parteien bzw. der Auslegung der vertraglichen
Gattungsabgrenzung kommt ganz entscheidende Bedeutung zu.
528 Die Gemeinde Rapperswil hat sich nicht darauf berufen, dass die Steine ihrer späteren Bezugsquelle minderer Qualität gewesen wären.
529 Dies ist wohl auch der wahre Grund für die Befreiung des Schuldners im berühmten EichenlaubFall des deutschen Reichsgerichts (RGZ 57, 116 ff.): Der Schuldner hatte die Lieferung von 6000
Zentnern doppelgesiebtes, entfasertes Baumwollsamenmehl Marke „Eichenlaub“ versprochen,
welches nach geheimem Rezept und Verfahren von einer bestimmten Mühle in Hamburg mit
eigens dazu konstruierten Maschinen hergestellt wurde. Die Mühle brannte samt Vorräten ab,
doch wurden in der Nacht vor dem Brand noch 2000 Zentner elbaufwärts versandt. Obwohl es –
wenn auch mit aussergewöhnlichen Anstrengungen – möglich gewesen wäre, bereits ausgeliefertes Mehl im In- und Ausland aufzukaufen, befreite das Reichsgericht den Schuldner von seiner
Leistungspflicht. Der Befreiung ist zuzustimmen, sofern der Aufwand für das Zusammenkaufen
der geschuldeten Menge Mehl den Wert des Mehls für den Gläubiger übersteigt. Dies ist namentlich der Fall, wenn der Gläubiger Mehl anderer Herkunft ebenfalls hätte verwenden können, das
Mehl Marke Eichenlaub also für den Gläubiger substituierbar war. Dies scheint i. c. der Fall gewesen zu sein, denn der Gläubiger hat nicht behauptet, nur das originale Mehl Marke Eigenlaub
gebrauchen zu können, sondern er hat verlangt, dass das Mehl in einer anderen Mühle hergestellt
werde.
530 Zur Frage, ob diese Annahme berechtigt war, vgl. Nr. 403.
531 Hat der Schuldner beispielsweise Voile englischer Provenienz versprochen, so muss er solche beschaffen, aber er ist nicht verpflichtet, auch Voile anderer Provenienz zu beschaffen; vgl. BGE 45
II 41. Wurde nur Ware eines bestimmten Lieferanten verkauft, so hat sich der Schuldner nur um
Belieferung durch diesen Lieferanten zu kümmern; vgl. BGE 43 II 85 f.
134
b. Vertragliche Einschränkung der Beschaffungspflicht
397 In anderen Fällen hat das Bundesgericht angenommen, dass die Beschaffungspflicht
vertraglich beschränkt war, beispielsweise in BGE 45 II 37 ff. aus der Zeit des ersten
Weltkrieges:
398
Beispiel: „Englische-Voile-Fall“: Die Verkäuferin verkaufte der Käuferin im Februar
1915 300 Stück Voile englischer Provenienz. Wegen eines Einfuhrverbots war aber ab
Juli 1915 die Einfuhr von Voile aus England in die Schweiz ausgeschlossen, so dass sich
die Verkäuferin Ware nur noch im Inland hätte beschaffen können. Das Bundesgericht
verneinte eine Pflicht zur Beschaffung von Ware im Inland: „Insbesondere war [die
Verkäuferin] nicht verpflichtet[,] Voile englischer Provenienz in der Schweiz
aufzukaufen, und zwar schon deswegen nicht, weil die Parteimeinung auf Kauf bzw.
Verkauf von aus England einzuführenden Waren ging... Auf dieser Parteimeinung fusste
die Preiskalkulation (in der Schweiz befindliche Ware wäre offenbar viel teurer zu stehen
gekommen), und sie allein kommt, mangels anderer Abrede, mit Rücksicht darauf in
Frage, dass der Verkehr der Parteien sich bisher stets in dieser Weise abgespielt hatte“.532
399 Der Umfang der Beschaffungspflicht ergibt sich aus der vertraglichen Vereinbarung. Die Parteien können eine unbegrenzte Beschaffungspflicht verabreden oder die
Beschaffungspflicht durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung vertraglich einschränken.533 Das Bundesgericht hat im vorliegenden Fall angenommen, dass die
Parteien die Beschaffung von englischer Voile im Inland vertraglich ausgeschlossen haben.534 Eine Beschaffung von englischer Voile wäre deshalb nur unter Umgehung des
Importverbots (durch Schmuggel!) möglich gewesen. Das Bundesgericht hat das Interesse des Schuldners, nicht unter Umgehung gesetzlicher Bestimmungen erfüllen zu
müssen, zu Recht höher gewichtet als das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers.535
Hätte das Bundesgericht umgekehrt angenommen, dass die Parteien die Beschaffung
von englischer Voile im Inland nicht vertraglich ausgeschlossen haben, so hätte der
Schuldner die Ware im Inland beschaffen müssen, selbst wenn die Preise für die Ware
532 BGE 45 II 42.
533 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 15.
534 Vgl. die folgenden Entscheide mit ähnlichen Sachverhalten: In BGE 43 II 174 ff. wurde die
Pflicht zur Beschaffung von Kupferdraht französischer Provenienz im Inland abgelehnt, Unmöglichkeit aber verneint, weil kein generelles Einfuhrverbot bestand. In BGE 44 II 513 f. wurde
Unmöglichkeit der Beschaffung des für die Erfüllung erforderlichen Rohmaterials abgelehnt. Vgl.
auch BGE 42 II 380 ff. = Pra 5 (1916) Nr. 127, S. 314 f., betr. den Import von Eiern eines bestimmten österreichischen Produzenten. KGer GR, SJZ 47 (1951) Nr. 28, S. 80, betr. italienische
Stoffe.
535 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96, m. Hw.; ferner BECKER, BerK, N 9 zu Art. 97 OR:
Schmuggelt der Verkäufer die Ware, begeht er (in der Regel) eine positive Vertragsverletzung.
Der Käufer kann die Annahme der Ware, die unter Verletzung eines Importverbots an den
Erfüllungsort gebracht wird, verweigern, ohne in Annahmeverzug zu geraten; vgl. WEBER, BerK,
N 160 zu Art. 91 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 17 zu Art. 92 OR.
135
wegen der Importsperre sehr hoch gewesen wären. Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse hätte in diesem Falle nicht bestanden. Dies
zeigt, dass vertragliche Vereinbarungen über die Einschränkung der Beschaffungspflicht
und die Auslegung des Vertrages in dieser Hinsicht von entscheidender Bedeutung sind
für die Feststellung, ob bei Gattungsschulden eine übermässige Leistungserschwerung
vorliegt.536
D. Das Problem stillschweigender vertraglicher Vereinbarungen und der Vertragsergänzung im Besonderen
400 Von der Abgrenzung der Gattung (Nr. 396) und der Einschränkung der Beschaffungspflicht (Nr. 399) im Vertrag hängt deshalb bei Gattungsschulden letzten Endes ab, ob
eine übermässige Leistungserschwerung vorliegt (bzw. vorliegen kann), so dass der
Schuldner von der Realerfüllung (und bei nicht zu vertretenden Leistungshindernissen
letztlich auch von der Haftung für Schadenersatz, Nr. 590 ff.) befreit wird. Vertragsauslegung und Vertragsergänzung sind deshalb namentlich bei Gattungsschulden von entscheidender Bedeutung. Die Versuchung der Gerichte ist gross, den Schuldner aus Billigkeitsgründen durch die Annahme stillschweigender vertraglicher Vereinbarungen
oder durch Vertragsergänzung zu befreien, selbst wenn die Voraussetzungen dafür nicht
gegeben oder zumindest zweifelhaft sind. Ein solches Vorgehen ist problematisch: Die
Abgrenzung der Gattung und die Einschränkung der Beschaffungspflicht sind Entscheide, welche die vertragliche Risikoverteilung beeinflussen und deshalb von den Parteien
selbst geregelt und nicht dem Richter überlassen werden sollten (Nr. 265 ff.). Der Richter darf deshalb auch bei Gattungsschulden nur in den Vertrag eingreifen, wenn die Voraussetzungen für die Annahme einer stillschweigenden vertraglichen Vereinbarung
oder für die Vertragsergänzung gemäss den allgemeinen Regeln im konkreten Fall erfüllt sind. Im Einzelnen:
401 Ausdrückliche Vereinbarungen der Parteien über die Abgrenzung der geschuldeten Gattungs oder die Einschränkung der Beschaffungspflicht sind für den Richter verbindlich.
Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, so ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln, ob
die Parteien eine stillschweigende Vereinbarung getroffen haben. Ist auch dies zu verneinen, so gilt die allgemeine Regel, wonach ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse bei Gattungsschulden grundsätzlich nicht eintreten
kann (genus perire non potest, Nr. 385 ff.). Die Ergänzung des Vertrages durch eine Beschränkung der geschuldeten Gattung oder durch die Einschränkung der Beschaffungspflicht kommt hingegen nur in Frage, wenn der Vertrag konkrete Anhaltspunkte für
536 Vgl. DESCHENAUX, révision, S. 537a.
136
einen solchen hypothetischen Parteiwillen gibt.537,538 Die Vertragsanpassung ohne Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für einen abweichenden hypothetischen Parteiwillen nach der clausula rebus sic stantibus539 kommt schliesslich nur in Ausnahmefällen in Frage.540
402 In den hier interessierenden Situationen gibt der Wortlaut in der Regel keine hinreichenden Hinweise für die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung,541 so dass auf ergänzende Auslegungsmittel wie die Entstehungsgeschichte des Vertrages, Begleitumstände, das Verhalten der Parteien vor oder nach Vertragsschluss, die Interessenlage der
Parteien, den Vertragszweck oder Verkehrssitte und Usancen abgestellt werden muss.542
Dazu einige Hinweise:
403 –
Die Umstände lassen in der Regel Rückschlüsse zu, wie der Schuldner zu erfüllen
plante. Im „Steinbruch-Sarnen-Fall“ (Nr. 394) war der Verkäufer der Besitzer dieses
Steinbruchs, eine Delegation des Gemeinderates von Rapperswil hatte den Steinbruch besichtigt und Lieferung war „franco Station Sarnen“ vereinbart;543 dies
deutet darauf, dass der Verkäufer aus dem eigenen Steinbruch zu liefern plante. Und
im „Englische-Voile-Fall“ (Nr. 398) hatte die Käuferin „aus ihrem früheren Verkehr
den Charakter der [Verkäuferin] als einer Importfirma gekannt“,544 so dass die Käuferin wohl wusste, dass die Verkäuferin zu importieren und nicht im Inland zu beschaffen gedachte. Aus der beabsichtigten Art der Erfüllung, welche sich aus den
Umständen ergibt, kann aber nicht ohne weiteres auf die geschuldete Leistung geschlossen werden. Ein solcher Schluss ist zwar oft naheliegend, aber meist nicht
zwingend, und häufig unzulässig. Lassen die Umstände nicht auf einen dem Gläubiger erkennbaren Willen des Schuldners schliessen, die Lieferung nur auf die geplante Art ausführen zu müssen, kommt eine Vertragsergänzung nicht in Betracht.
404
Beispiel: Der Umstand, dass der Schuldner im Steinbruch-Sarnen-Fall aus dem Steinbruch Sarnen zu liefern plante, sagt nichts darüber aus, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie an den Fall gedacht hätten, dass Lieferung aus dem Steinbruch Sarnen –
537 KOLLER, OR AT I, Nr. 613; ERDIN, Nr. 123, m. w. Hw.; vgl. ferner WIEGAND, BasK, N 71 zu
Art. 18 OR; in Zusammenhang mit der clausula rebus sic stantibus z. B. KRAMER, BerK,
N 322 ff. zu Art. 18 OR.
538 In der Praxis gehen Vertragsauslegung und Vertragsergänzung ineinander über. Vgl. WIEGAND,
BasK, N 59 zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 220 ff. zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, ZürK,
N 553 ff. zu Art. 18 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 1263.
539 Vgl. z. B. KOLLER, OR AT I, Nr. 613; KRAMER, BerK, N 330 ff. zu Art. 18 OR.
540 Vgl. z. B. KRAMER, BerK, N 333 zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 646 zu Art. 18 OR.
541 Wenn beispielsweise ein Gemüsebauer im Juni Salat verkauft, wobei er nach vertraglicher Vereinbarung bei Hagelschäden von der Lieferpflicht befreit wird, der Salat aber durch Frost zerstört
wurde, woran die Parteien im Juni natürlich nicht gedacht haben.
542 Vgl. dazu z. B. WIEGAND, BasK, N 26 ff. zu Art. 18 OR; KOLLER, OR AT I, Nr. 569 f.; GAUCH/
SCHLUEP/SCHMID, Nr. 1212 ff.
543 BGE 57 II 508 f.
544 BGE 45 II 41.
137
aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich sein wird. Sie hätten vereinbaren können, dass der Schuldner in diesem Falle frei wird. Sie hätten aber ebenso gut vorsehen
können, dass der Schuldner Steine aus einem anderen Steinbruch liefern werde.545 Da die
Umstände weder für das eine noch für das andere sprechen, sind die Parteien auf dem zu
behaften, was sie ausdrücklich vereinbart haben, nämlich: Kleinpflastersteine aus dem
Steinbruch Sarnen (und nichts anderes).
405 –
Andererseits kommen Absichten des Schuldners, mögen sie noch so naheliegend
sein, keine Bedeutung zu, wenn sie nicht aus den Umständen hervorgehen. Beispielsweise rechtfertigt die selbstverständliche Absicht jedes Händlers, die Ware bei
einem anderen Händler oder direkt bei einem Erzeuger einzukaufen, die Befreiung
des Händlers bei Ausfall seiner „üblichen“ oder „normalen“ Bezugsquelle nicht.
Insbesondere ist es aber unzulässig, aus dem Umstand, dass niemand gerne grosse
Risiken übernimmt, zu schliessen, dass die Lieferpflicht bei starken Preissteigerungen oder anderen grossen Beschaffungsschwierigkeiten generell erlischt.546
406
Beispiel: „Château-Petrus-Fall“.547 Der Käufer bestellte 1984 vom Verkäufer 12
Flaschen Château Petrus MC 1982 für 97 Franken die Flasche. Der Verkäufer hatte sich
seinerseits bei A.B. eingedeckt, welcher wiederum mit C.D., einem grossen französischen Weinhändler unter Vertrag war. C.D. belieferte A.B. nicht, und wegen Unregelmässigkeiten im Betrieb von C.D. war Château Petrus MC 1982 auf dem „normalen“
Markt in der Schweiz überhaupt nicht erhältlich. Er wurde jedoch an Weinauktionen
gehandelt. Der Käufer klagte gegen den Verkäufer auf Schadenersatz, mit der Begründung, der Verkäufer habe den Wein an einer Auktion zu kaufen. Das Obergericht Aargau
stellte zuerst richtig fest, dass der Ausfall des Lieferanten allein den Verkäufer nicht zu
befreien vermag (Erw. 2a). Sodann stellt das Gericht fest, dass es den Gepflogenheiten
im Geschäftsverkehr entspreche, dass der Verkäufer die verkaufte Ware, wenn er sie
nicht schon beim Vertragsabschluss besitze, am Markt ankaufte, wobei stets vorausgesetzt sei, dass die Ware am Markt vorhanden sei, gehandelt werde und einen Marktpreis
habe. Und weiter: „Der Wein eines bestimmten Jahrgangs einer bestimmten Provenienz,
der nicht mehr auf dem üblichen Weg verkauft wird und nur noch in kleinen Beständen
bei Händlern und Privaten zu Spekulationszwecken mit dem Ziel lagert, an Versteigerungen einen möglichst hohen Preis zu erzielen, hat keinen Marktpreis mehr und ist im Handel nicht mehr erhältlich. Mit der Beschaffung der Ware auf dem ungewöhnlichen Weg
545 Beispielsweise behauptete der Verkäufer, der Käuferin nach Bekanntwerden der ungünstigen
Schichtenlage angeboten zu haben, fristgemäss „60 Wagen ab Bruch Sarnen und 60 Wagen ab
Bruch Wolfenschiessen“ (also für die Hälfte ein abweichender Erfüllungsort) zu liefern, worauf
die Käuferin nicht einging.
546 So aber MÜLLER-CHEN, S. 237, m. Hw. auf die deutsche Lehre und Rechtsprechung: „Die vertragliche Risikoübernahme gilt nicht schrankenlos: Besteht die Gefahr der Existenzvernichtung,
so muss vermutet werden, dass eine vernünftige Partei dieses extreme Risiko nicht tragen wollte.“
Vgl. auch Anm. 381. Dem kann nicht zugestimmt werden: Im Gegenteil entspricht es der Erfahrung, dass beim unternehmerischen Handeln zuweilen Risiken übernommen werden (müssen),
welche bei sehr ungünstiger Entwicklung der Dinge zum Konkurs führen bzw. führen können.
547 Vgl. OGer AG, AGVE 1987 Nr. 8, S. 32 = SJZ 85 (1989) Nr. 30, S. 177 f.; (zu Recht) kritisch
138
über Auktionen rechnet der Verkehr nicht, weshalb der Beklagten die Erfüllung des
Vertrages unzumutbar und damit unmöglich im Sinne von Art. 119 Abs. 1 OR war“.548
407
Die Argumentation des Obergerichts Aargau überzeugt nach dem Gesagten nicht.549
Selbst wenn „der Verkehr“ nicht damit rechnet, Wein an einer Auktion beschaffen
zu müssen – ob dies zutreffe bleibe dahingestellt –, so heisst das nicht, dass es nicht
der Wille der konkreten Vertragsparteien gewesen sei, dass der Wein notfalls auch
auf diesem Wege beschafft werde. Sofern der Vertrag keine konkreten Anhaltspunkte dafür gibt, dass die „Verkehrsübung“ dem hypothetischen Parteiwillen entspricht, darf nicht von deren Geltung ausgegangen werden.550
408 –
Auch die Höhe der Gegenleistung (der „Preis“ der Leistung) lässt in der Regel keine
Rückschlüsse auf die vertragliche Risikoverteilung zu. Zwar ist es richtig, dass die
vertragliche Risikoverteilung den Preis der Leistung beeinflusst, 551 doch handelt es
sich dabei nur um einen unter vielen Faktoren. Der Preis hängt namentlich auch von
der Einschätzung des Risikos durch jede Partei, von der gegenseitigen Verhandlungsmacht und dem Verhandlungsgeschick der Parteien, von Angeboten der Konkurrenz, der Qualität der Leistung usw. ab. Der vereinbarte Preis ist damit ein Resultat einer Vielzahl von Faktoren. Nur wenn eine Vertragspartei ihre Leistung
regelmässig mit verschiedener Risikoverteilung zu entsprechend unterschiedlichen
Preisen anbietet, kann nach dem Vertrauensprinzip ausnahmsweise aus dem Preis
auf die vertragliche Risikoverteilung geschlossen werden.
409
Beispiel: Ein Reiseveranstalter bietet dieselbe Pauschalreise ohne Annulationsversicherung und gegen Bezahlung eines Zuschlags auch mit Annulationsversicherung
an. Wenn ein Kunde den höheren Preis bezahlt hat, kann allenfalls geschlossen werden,
dass die Annulationsversicherung im Preis inbegriffen war.
410 Die Befreiung des Schuldners auf dem Wege der Vertragsanpassung, also bei Fehlen
konkreter Anhaltspunkte im Vertrag, beruht hingegen letzten Endes auf Billigkeitserwägungen. Die Billigkeit kann Anlass zur Vertragsanpassung geben, wenn sich der Vertrag
völlig überraschend für die eine Partei als ein eigentlicher grosser Glücksfall, für die
andere Partei als schweres Unglück erweist. Ob letztere in eine Notlage gerät (Art. 44
Abs. 2 OR), kann allenfalls mitberücksichtigt werden.552 Wenn das wahre Motiv der
dazu GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3300 f.
548 OGer AG, AGVE 1987 Nr. 8, S. 34 = SJZ 85 (1989) Nr. 30, S. 178.
549 Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse liegt nicht vor,
wenn davon ausgegangen wird, dass der Gläubiger den Wein zum vom Schuldner bezahlten Preis
weiterverkaufen könnte.
550 Verkehrsübung kann zur Vertragsergänzung nur herangezogen werden, wenn das Gesetz auf die
Verkehrsübung verweist oder wenn sie dem hypothetischen Parteiwillen entspricht. Vgl. JÄGGI/
GAUCH, ZürK, N 524 zu Art. 18 OR; KOLLER, OR AT I, Nr. 612.
551 Vgl. ADAMS, recht 1986, S. 22.
552 Freilich kann die Verhinderung der Insolvenz des Schuldners kein Ziel des materiellen Rechts
139
Vertragsanpassung aber solche Billigkeitsüberlegungen sind, ist nochmals zu höchster
Zurückhaltung bei ihrer Anwendung zu mahnen.
4. Dienstleistungspflichten
411 Die bisher behandelten Fälle der Leistungserschwerung betrafen Sachleistungen (Gattungs- und Speziesschulden). Bei der Beurteilung der Leistungserschwerung bei Dienstleistungen spielt die Unterscheidung zwischen persönlichen und unpersönlichen Leistungspflichten eine wesentliche Rolle, weshalb sie hier vorab zu behandeln ist.
A. Begriffe der persönlichen und unpersönlichen Leistungspflicht
412 1. Art. 68 OR handelt von der Pflicht des Schuldners, persönlich zu erfüllen. Trifft den
Schuldner eine Pflicht zu persönlicher Erfüllung (sog. persönliche – oder höchstpersönliche, vgl. Nr. 418 – Leistungspflicht) so muss er eine persönliche Leistung erbringen
(vgl. Marginalie zu Art. 68 OR), d. h. selbst553 erfüllen.554 Der Schuldner darf die Erbringung der Leistung nicht einem Dritten übertragen, und der Gläubiger muss die Leistung eines Dritten nicht annehmen. Die Erbringung der Leistung durch einen Dritten
stellt bei persönlicher Leistungspflicht keine Erfüllung dar.555
413 Bei einer unpersönlichen Leistungspflicht hat der Schuldner die Wahl, die Leistung
persönlich zu erbringen oder die Erfüllung einem Dritten zu übertragen (Substitution).556
Der Gläubiger muss die Leistung (im Sinne einer Obliegenheit) auch dann annehmen,
wenn sie nicht vom Schuldner selbst, sondern von einem Dritten erbracht wird.557
Selbstverständlich darf der Schuldner auch Hilfspersonen bei der Erfüllung beiziehen
oder die Erfüllung nur teilweise an Dritte übertragen. Leistungen, welche nicht persönlich zu erbringen sind, werden als unpersönliche Leistungen bezeichnet.558
sein. Diese Aufgabe fällt dem Schuldbetreibungs- und Konkursrecht zu.
553 Vertraglich kann vereinbart werden, dass nicht der Schuldner, sondern eine bestimmte Hilfsperson (bei juristischen Personen allenfalls eines ihrer Organe) die Leistung erbringt, weil es dem
Gläubiger auf die persönlichen Eigenschaften dieser Hilfsperson ankommt. Das hier zur persönlichen Leistungspflicht Gesagte gilt in diesem Fall analog.
554 Die hier interessierende Unterscheidung zwischen persönlicher und unpersönlicher Leistungspflicht darf nicht verwechselt werden mit der Unterscheidung zwischen sachlichen Leistungen
und Dienstleistungen („persönlichen“ Leistungen); vgl. zu letzterer Unterscheidung VON TUHR/
PETER, § 7 II, S. 45; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 37; KOLLER, OR AT I, Nr. 20.
555 KOLLER, BerK, N 69 zu Art. 364 OR, differenzierend in N 70 ff. Die Leistung eines Dritten ist
keine vertragsgemässe Leistung, vgl. KOLLER, OR AT I, Nr. 856.
556 Vgl. statt vieler GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2019.
557 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2023; VON TUHR/ESCHER, § 59 I, S. 25.
558 Anstatt von unpersönlichen Leistungen sprechen verschiedene Autoren von „vertretbaren Leistungen“, beispielsweise KELLER/SCHÖBI, I, S. 209, oder SCHRANER, ZürK, N 3 zu Art. 68 OR.
140
414 2. Ob der Schuldner zu persönlicher Erfüllung verpflichtet ist, hängt gemäss Art. 68
OR davon ab, ob es bei der Leistung auf die Persönlichkeit des Schuldners ankommt.
Die Lehre stellt mehrheitlich darauf ab, ob „die Leistung so stark durch ... [die] individuellen (physischen, fachlichen, geistigen, moralischen) Eigenschaften [des Schuldners]
geprägt ist, dass die Leistung nicht ohne Veränderung des Inhalts von einem Dritten erbracht werden kann“.559 Ob dies der Fall ist, richtet sich primär nach vertraglicher Vereinbarung. Beispielsweise wird vereinbart, dass der Betriebsinhaber einer Autogarage
den defekten Motor des Wagens des Kunden persönlich zu reparieren hat.560 Fehlt eine
vertragliche Vereinbarung, so ist gemäss KOLLER in zweiter Linie auf die Natur des Geschäftes (vgl. Art. 364 Abs. 2 OR) und in letzter Linie auf eine allfällige Übung (vgl.
Art. 398 Abs. 3 OR) abzustellen.561 Für den Fall, dass alle drei Kriterien nicht zu einem
Resultat führen, stellt das Gesetz verschiedene Vermutungen auf. Eine persönliche Leistungspflicht besteht vermutungsweise für die Arbeitsleistung (Art. 321 OR), die Leitung
und Überwachung der Werksausführung durch den Unternehmer im Werkvertrag (Art.
364 Abs. 2 OR),562 die Leistung des Beauftragten (Art. 398 Abs. 3 OR) und in bestimmten anderen Fällen.563 Bei allen übrigen Leistungen besteht vermutungsweise keine persönliche Leistungspflicht (Art. 68 OR).564
415 3. Auch bei persönlicher Leistungspflicht muss der Schuldner in der Regel nicht sämtliche Erfüllungshandlungen selbst vornehmen.565 Er kann gewisse Verrichtungen auf
eine Hilfsperson übertragen. Unter Umständen ist er bloss zur persönlichen Leitung verpflichtet (vgl. Art. 364 Abs. 2 OR). Wie weit der Schuldner die Leistung persönlich zu
erbringen hat, d. h. wie weit der Umfang der persönlichen Leistungspflicht geht, richtet
sich ebenfalls nach den genannten drei Kriterien (Nr. 414).566 Jenen Teil der Leistung,
bei dem es auf die Persönlichkeit des Schuldners ankommt, muss der Schuldner in jedem Falle selbst erbringen.
416 4. Ist der Schuldner zu persönlicher Leistung verpflichtet, so wirkt die Beschränkung
der Leistungspflicht auf persönliche Erfüllung dem Grundsatz nach sowohl zu
559 Vgl. LEU, BasK, N 3 zu Art. 68 OR; SCHRANER, ZürK, N 16 zu Art. 68 OR; ähnlich z. B. VON
TUHR/ESCHER, § 59 I, S. 23; KELLER/SCHÖBI, I, S. 209. Dieser restriktiven Formulierung zum
trotz sind an die Annahme einer persönlichen Leistungspflicht keine strengen Anforderungen zu
stellen.
560 Beispiel von SCHRANER, ZürK, N 33 zu Art. 68 OR.
561 KOLLER, BerK, N 10 zu Art. 364 OR, mit überzeugender Begründung.
562 Vgl. KOLLER, BerK, N 17 und 19 zu Art. 364 OR.
563 Vgl. SCHRANER, ZürK, N 17 ff. zu Art. 68 OR; LEU, BasK, N 3 zu Art. 68 OR.
564 Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Schuldner überhaupt der Einzige ist, der die Leistung zu
erbringen imstande ist, die Leistung des Schuldners also einmalig und unersetzbar ist. Eine solche
Leistung kann selbstverständlich aus praktischen Gründen nur vom Schuldner selbst erbracht
werden. Vgl. NEUMANN-DUESBERG, BB 1970, S. 1462. ZIEGLER, S. 57.
565 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2848; LEU, BasK, N 1 zu Art. 68 OR; VON TUHR/ESCHER, § 59 I, S.
24.
566 KOLLER, BerK, N 12 zu Art. 366 OR.
141
Gunsten des Gläubigers als auch zu Gunsten des Schuldners. Die Vereinbarung
einer persönlichen Leistungspflicht bedeutet also nicht nur, dass der Schuldner die Erfüllung nicht einem Dritten übertragen darf, sondern ebenso, dass er zur Erbringung der
Leistung durch Übertragung der Erfüllung auf einen Dritten nicht verpflichtet ist. Der
Gläubiger seinerseits muss zwar Erfüllung durch einen Dritten nicht annehmen, er kann
aber auch nicht fordern, dass der Schuldner durch Übertragung auf einen Dritten erfülle.
Dass sich Recht und Pflicht zum Beizug eines Dritten entsprechen, gilt freilich nur dem
Grundsatz nach. Die Parteien können auch eine persönliche Leistungspflicht einseitig zu
Gunsten des Gläubigers oder einseitig zu Gunsten des Schuldners vereinbaren. Ob eine
persönliche Leistungspflicht zweiseitig oder einseitig vereinbart wurde, bestimmt sich
ebenfalls nach der Parteivereinbarung, der Natur des Geschäftes und Übung (Nr. 414).
417 Eine persönliche Leistungspflicht gilt einseitig zu Gunsten des Gläubigers, wenn der
Schuldner zwar persönlich erfüllen muss, der Gläubiger aber das Recht hat, auf persönliche Erfüllung zu verzichten und Erfüllung durch Beizug eines Dritten zu fordern.
Durch den Verzicht auf persönliche Erfüllung wird die persönliche Leistungspflicht zu
einer unpersönlichen. Einseitig zu Gunsten des Schuldners wirkt die persönliche Leistungspflicht, wenn der Gläubiger nur Erfüllung durch den Schuldner fordern kann, der
Schuldner aber auch durch Dritte erfüllen darf und der Gläubiger die Leistung des Dritten anzunehmen hat.
418 5. In der Lehre wird zuweilen auch von höchstpersönlichen Leistungen gesprochen.
Die Verwendung dieses Begriffs ist jedoch nicht einheitlich. Teilweise wird der Begriff
der höchstpersönlichen Leistung gleichbedeutend mit dem Begriff der persönlichen
Leistung verwendet.567 Andere Autoren sprechen in Zusammenhang mit Art. 68 OR von
persönlicher Leistung und in Zusammenhang mit der Unmöglichkeit von höchstpersönlichen Leistungen, teilweise ohne dass klar wird, ob ein materieller Unterschied
zwischen den persönlichen und den höchstpersönlichen Leistungen besteht.568 Schliesslich werden jene Teile einer Leistung als höchstpersönlich bezeichnet, welche der
Schuldner selber vorzunehmen hat, oder jene Leistungen, bei welchen sich der Schuldner nicht auf die persönliche Leitung der Leistungserbringung beschränken kann.569 In
dieser Arbeit wird der Begriff der höchstpersönlichen Leistung wegen der Unklarheit
seines Inhalts vermieden und nur von persönlicher Leistung gesprochen. Sofern nicht
ausdrücklich auf eine einseitig persönliche Leistung Bezug genommen wird, wird
darunter immer eine zweiseitig persönliche Leistung im oben beschriebenen Sinne (Nr.
416) verstanden.
567 So anscheinend SCHRANER, ZürK, N 29 zu Art. 68 OR.
568 Vgl. z. B. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2019 ff. einerseits und Nr. 3149 andererseits; ferner GIGER,
S. 23 Anm. 2.
569 KOLLER, BerK, N 17 und N 54 f. zu Art. 364 OR.
142
B. Leistungshindernisse in der Person des Schuldners
419 Der Schuldner einer Dienstleistung kann – wie bereits einleitend gesagt (Nr. 25) – aus
persönlichen Gründen an der Erfüllung gehindert sein. Zu denken ist primär an Leistungshindernisse, die ihre Ursache in der Person des Schuldners selbst haben.570 Beispielsweise fehlt dem Schuldner die für die Erfüllung nötige körperliche (physische)
Leistungsfähigkeit, infolge Krankheit, Alter, körperlicher Behinderung, Unfall, Tod571
oder aus anderen Gründen. Oder der Schuldner hat die nötigen geistigen, intellektuellen
oder psychischen Fähigkeiten nicht, um die Leistung zu erbringen, beispielsweise infolge mangelnder Ausbildung, Wissen, Know-how.
420 Leistungshindernisse, die ihre Ursache in der Person des Schuldners selbst haben, sind
grundsätzlich nach dem allgemeinen Grundsatz zu beurteilen: Der Realerfüllungsanspruch entfällt bei übermässiger Leistungserschwerung. Ob aber der Erfüllungsaufwand
des Dienstleistungsschuldners das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers übersteigt,
wird wesentlich dadurch beeinflusst, ob die Dienstleistungspflicht des Schuldners eine
persönliche oder eine unpersönliche Leistungspflicht ist: Der Schuldner einer unpersönlichen Dienstleistung, der die Dienstleistung zufolge mangelnder physischer oder psychischer Leistungsfähigkeit nicht selbst zu erbringen in der Lage ist, kann die Vertragserfüllung in aller Regel mit geringem Aufwand auf einen Dritten übertragen.572 Diese
Möglichkeit besteht bei einer persönlichen Leistungspflicht gerade nicht. Dies sei anhand zweier Beispiele erläutert.
421
Beispiel: Ein Kunstmaler verpflichtet sich zum Erstellen von religiösen Fresken in
einer Kirche. Die Wandmalereien sind nach der Vereinbarung der Parteien persönlich
auszuführen. Wird der Kunstmaler zufolge eines Unfalls invalid, so dass er die Malereien – wenn überhaupt – nur noch mit grossen Mühen und Zeitaufwand selbst ausführen kann, so kann er die Ausführung der Malereien in der Regel verweigern. Der Erfüllungsaufwand überwiegt in diesem Falle das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers.573
422
Anders ist bei unpersönlichen Leistungspflichten zu entscheiden. Wird beispielsweise
der Flachmaler invalid, der sich zum Bestreichen der Kirchenmauern verpflichtet hat,
so wird er die Malerarbeiten zwar ebenfalls nicht selbst ausführen können. Anders als
der Kunstmaler ist er aber berechtigt und wenn nötig auch verpflichtet, die Erfüllung
570 Vgl. auch Art. 324a Abs. 1 OR: „Gründe, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes“.
571 Vgl. Art. 379 Abs. 1 OR.
572 Dasselbe gilt bei einseitig zu Gunsten des Gläubigers vereinbarten persönlichen Leistungspflichten, nachdem der Gläubiger auf die persönliche Erfüllung verzichtet hat. Vgl. Nr. 417.
573 Hingegen bestehen unter Umständen gewisse – aus Treu und Glauben abgeleitete – Nebenpflichten in Zusammenhang mit dem Eintritt der übermässigen Leistungserschwerung, z. B. die Pflicht
des Schuldners, dem Gläubiger Empfehlungen für einen Ersatz zu geben.
143
Dritten zu übertragen oder die Leistung durch Hilfspersonen zu erbringen. Zwar ist
auch dies mit gewissem zusätzlichem Aufwand für den Flachmaler verbunden. Besondere Verhältnisse vorbehalten, besteht jedoch kaum je ein Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers, müsste doch dieser ebenfalls einen Dritten beauftragen, um Realerfüllung zu erhalten. Der zu einer unpersönlichen Leistung verpflichtete
Flachmaler kann deshalb zwar die persönliche Ausführung der Malerarbeiten verweigern, doch bleibt er zur Ausführung der Malerarbeiten durch Beizug von Hilfspersonen
oder Übertragung der Malerarbeiten an einen Dritten verpflichtet – die Erfüllung auf
diesem Wege kann er nicht verweigern.
423 Das Gesagte kann auf Art. 379 Abs. 1 OR abgestützt werden. Gemäss dieser Bestimmung erlischt der Werkvertrag bei Tod oder Unfähigkeit des Unternehmers zur Vollendung des Werkes nur, wenn der Werkvertrag „mit Rücksicht auf die persönlichen Eigenschaften des Unternehmers eingegangen war“.574 Art. 379 Abs. 1 OR scheint der Gedanke zugrunde zu liegen, dass der Schuldner einer unpersönlichen Leistungspflicht bei persönlichen Hindernissen in der Regel durch Beizug von Hilfspersonen oder durch Übertragung der Erfüllung an Dritte erfüllen kann.575
424 Nachzutragen bleiben drei Präzisierungen: 1. Gilt eine persönliche Leistungspflicht einseitig zu Gunsten des Gläubigers, so kann der Gläubiger auf persönliche Erfüllung verzichten und Erfüllung durch Beizug eines Dritten fordern (Nr. 416 f.). Die Erfüllung
durch Beizug eines Dritten ist nach dem Gesagten in der Regel nicht übermässig erschwert (Nr. 422).
425 2. Ausnahmsweise besteht gemäss hier vertretener Auffassung auch bei „normalen“,
sowohl zu Gunsten des Gläubigers wie auch zu Gunsten des Schuldners vereinbarten
persönlichen Leistungspflichten die Möglichkeit, eine gleichartige und gleichwertige
Leistung eines Dritten als Ersatzleistung zu verlangen. Der Anspruch auf eine Ersatzleistung setzt namentlich eine Verantwortung des Schuldners an der Leistungserschwerung voraus. Vgl. dazu Nr. 530 ff.
426 3. Bei der Abwägung des Erfüllungsaufwands des Schuldners und des Realerfüllungsinteresses des Gläubigers stellen sich besondere Probleme, weil auf Seiten des Schuldners häufig nicht wirtschaftliche Interessen tangiert sind. Beispielsweise fragt sich, ob
der Schuldner trotz der Krankheit, der körperlichen Behinderung etc. die geschuldeten
Erfüllungshandlungen vornehmen muss576 oder ob der Erfüllungsaufwand unter diesen
574 Gemäss BGE 103 II 58 fallen sowohl die unverschuldete wie auch die verschuldete Leistungsunfähigkeit des Schuldners unter Art. 379 Abs. 1 OR. Gl. A. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 757; a. A.
ZINDEL/PULVER, BasK, N 6 zu Art. 379 OR.
575 Vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 755; ZINDEL/PULVER, BasK, N 12 zu Art. 379 OR; BGE 34 II
262.
576 Vgl. z. B. im arbeitsrechtlichen Kontext STREIFF/VON KAENEL, N 10 zu Art. 324a/b OR.
144
Umständen das Realerfüllungsinteresse überwiegt. Diese Abwägung ist stark durch wertende, teilweise ethische Entscheidungen geprägt.577
C. Andere Leistungshindernisse
427 Keine entscheidende Bedeutung hat die Abgrenzung zwischen unpersönlicher und persönlicher Leistungspflicht hingegen bei Leistungshindernissen, welche von der Person des Schuldners unabhängig sind. Hier gilt einzig der allgemeine Grundsatz der
übermässigen Leistungserschwerung, wobei das Resultat so oder anders ausfallen kann.
428
Beispiel: Ein Goldschmied verpflichtet sich zur Herstellung eines Halsbandes aus
Gold, doch erhöht sich der Aufwand für dessen Herstellung, weil die Goldpreise stark
ansteigen. Die steigenden Goldpreise beeinflussen aber nicht nur den Erfüllungsaufwand, sondern ebenso den Wert des Halsbands für den Gläubiger, der entsprechend ansteigt. Analog zum Kuriwata-Seiden-Fall (Nr. 387) liegt ein Missverhältnis zwischen
Erfüllungsaufwand nicht vor. Der Goldschmied kann deshalb die Herstellung des Halsbandes nicht verweigern.578
429
Beispiel: Ein Flachmaler hat sich zum Streichen einer Mauer mit einer ganz bestimmten Farbe eines bestimmten Herstellers verpflichtet, doch brennt die Fabrik des Herstellers samt Lagerbeständen ab. Der Flachmaler müsste die Farbe nun auf dem Markt zusammenkaufen, was beträchtlichen Aufwand erfordert. Ob der Erfüllungsaufwand in
einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse steht, hängt davon ab, ob die vereinbarte Farbe für den Gläubiger einzigartig oder sonst wie besonders wertvoll ist, oder ob
er die Farbe eines anderen Herstellers, welche noch zu unveränderten Preisen erhältlich
ist, ebenso schätzen würde. Ist letzteres der Fall, so liegt übermässige Leistungserschwerung vor. Der Flachmaler kann in diesem Falle die Ausführung der Malerarbeiten
mit der vereinbarten Farbe verweigern. Dies entspricht der Situation im SteinbruchSarnen-Fall (Nr. 394).
430
Zur Ausführung der Malerarbeiten mit einer anderen als der vereinbarten Farbe ist der
Flachmaler nach hier vertretener Auffassung nur verpflichtet, wenn die Voraussetzungen zur Geltendmachung einer Ersatzleistung gegeben sind (vgl. Nr. 530 ff.), namentlich also bei Verantwortung des Schuldners an der übermässigen Leistungserschwerung. In allen anderen Fällen kann eine solche Pflicht nur mit Zustimmung beider Parteien begründet werden (einvernehmliche Vertragsanpassung).
431 Schliesslich gibt es eine Gruppe von Leistungshindernissen, die ihre Ursache im Vermögen des Schuldners haben. Diese liegen zwischen den beiden genannten Fällen,
meist aber näher beim zweitgenannten. Beispielsweise fehlen dem Schuldner die für die
Erfüllung nötigen Hilfsmittel (Werkzeuge, Maschinen, Material, Arbeiter etc.).579
577 Vgl. die vorne in Anm. 51 f. zit. Entscheide.
578 Er hat jedoch allenfalls Anspruch auf eine Erhöhung der Gegenleistung. Vgl. Nr. 437.
579 Vgl. ZINDEL/PULVER, BasK, N 9 zu Art. 379 OR.
145
Grundsätzlich muss sich der Schuldner die nötigen Hilfsmittel beschaffen, und er hat
den entsprechenden Aufwand in Kauf zu nehmen. Dabei ist unbeachtlich, ob der
Schuldner persönlich zu erfüllen hat. Die Möglichkeit des Schuldners einer unpersönlichen Leistung, die Erfüllung einem Dritten zu übertragen, erleichtert ihm zwar die
Beschaffung der nötigen Hilfsmittel, doch scheint die Erleichterung meist nicht von entscheidender Bedeutung zu sein.
432 Im Einzelfall mag freilich anders zu entscheiden sein. Zu denken ist insbesondere an den
Fall, dass der Schuldner in der Zwischenzeit sein Geschäft aufgegeben hat.580 Der
Schuldner einer unpersönlichen Leistung kann und muss in diesem Falle durch Übertragung der Arbeiten an einen Dritten erfüllen. Er kann die Leistung nicht verweigern. Der
zur persönlichen Erfüllung verpflichtete Schuldner kann hingegen nur erfüllen, wenn er
seine Geschäftstätigkeit vorübergehend wieder aufnimmt, weil er (sofern die persönliche
Leistungspflicht nicht einseitig zu Gunsten des Gläubigers vereinbart wurde und der
Gläubiger auf persönliche Erfüllung verzichtet hat, vgl. Nr. 424) zum Beizug von Dritten nicht berechtigt ist.581 Die Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit dürfte in der Regel eine übermässige Leistungserschwerung bedeuten, so dass der Schuldner die Erfüllung verweigern kann (vgl. zur Leistung eines Dritten als Ersatzleistung Nr. 530 ff.).
580 BGE 103 II 58.
581 Vgl. BGE 103 II 57; die Ausführung der Arbeiten mit geliehenem Personal und geliehenen
Maschinen und Geräten erachtete das Bundesgericht wegen der persönlichen Leistungspflicht als
unzulässig.
146
Teil 3: Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung
§ 8 Übersicht
I.
Nicht übermässige Leistungserschwerung
433 Die nicht übermässige Leistungserschwerung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf
den Vertrag oder die Leistungspflicht des Schuldners. Der Schuldner bleibt – trotz
der Leistungserschwerung – zur rechtzeitigen und vertragsgemässen Erbringung der
Leistung verpflichtet und der Gläubiger kann die Erbringung der fälligen Leistung in natura verlangen. Erbringt der Schuldner die Leistung nicht rechtzeitig, gerät er – bei gegebenen Voraussetzungen – in Verzug. Es liegt ein normaler Verzugsfall vor. Die Rechtslage richtet sich nach den Verzugsregeln, Art. 102 - 109 OR.
434 Vorbehalten bleibt der Fall, dass sich der Schuldner ausnahmsweise aufgrund (ausdrücklicher oder stillschweigender) vertraglicher Vereinbarung oder besonderer Gesetzesbestimmungen bei nicht übermässiger Leistungserschwerung vom Vertrag lösen
kann (beispielsweise wenn im Einzelfall die Voraussetzungen für die Kündigung eines
Dauervertrages aus wichtigem Grund erfüllt sind). Daneben ist auf drei Sonderfälle hinzuweisen:
435 –
Wenn der Gläubiger die (nicht übermässige) Leistungserschwerung zu verantworten hat, so kann der Schuldner die Erbringung der Leistung von der Bezahlung
oder Sicherstellung einer zusätzlichen Vergütung abhängig machen. Vgl. dazu Nr.
278 ff.
436 –
Bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften ist die Befreiung des Schuldners bei Leistungserschwerung grosszügig zuzulassen. In Analogie zu Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR
rechtfertigt sich ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners immer, wenn die
Erfüllung den Schuldner infolge Leistungserschwerung „ausserordentlich schwer
belasten“ würde. Vgl. dazu Nr. 296 ff.
437 –
Schliesslich kann der Unternehmer im Werkvertrag gemäss Art. 373 Abs. 2 OR
vom Richter eine Erhöhung der Vergütung (Gegenleistung) verlangen, wenn ausserordentliche Umstände eine gravierende Äquivalenzstörung bewirken (Nr.
123 ff.). Die Vertragsauflösung gemäss Art. 373 Abs. 2 OR kommt hingegen nach
hier vertretener Auffassung nur bei übermässiger Leistungserschwerung in Frage
(Nr. 254 ff.).
438
Ausserhalb des Anwendungsbereiches von Art. 373 Abs. 2 OR (zu denken ist insbesondere an Situationen wie im „Kuriwata-Seiden-Fall“, Nr. 14 und 387, oder im
147
„Château-Petrus-Fall“, Nr. 406) ist die Erhöhung der Gegenleistung bei einer gravierenden Äquivalenzstörung nach hier vertretener Auffassung weitestgehend abzulehnen, wenn im Vertrag konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden hypothetischen Parteiwillen fehlen. Vgl. vorne Nr. 264 ff.
II. Übermässige Leistungserschwerung
1. Allgemeines
439 Eine übermässige Leistungserschwerung liegt vor, wenn der Erfüllungsaufwand so stark
erhöht ist, dass ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse besteht (Nr. 230 ff.). Zur Erinnerung sei hier nochmals erwähnt, dass der Bestand
der übermässigen Leistungserschwerung nicht davon abhängig ist, ob eine gravierende
Äquivalenzstörung vorliegt (Nr. 259 ff.), der Schuldner oder der Gläubiger die übermässige Leistungserschwerung zu verantworten hat (Nr. 269 ff.) oder die übermässige Leistungserschwerung voraussehbar war (Nr. 282 ff.). Die beiden letztgenannten Punkte
sind jedoch für die Haftung von Bedeutung.
440 Die Leistungspflicht des Schuldners und der Vertrag als Ganzes bleibt auch bei übermässiger Leistungserschwerung grundsätzlich bestehen. Der Schuldner kann deshalb
die Leistung trotz übermässiger Leistungserschwerung erbringen (Nr. 209 ff.) und der
Gläubiger ist zur Annahme der vertragsgemäss erbrachten Leistung verpflichtet, es sein
denn übergeordnete Interessen des Gläubigers (oder von Dritten) rechtfertigen ausnahmsweise ein Annahmeverweigerungsrecht (Nr. 212 ff.). Erbringt der Schuldner die
Leistung nicht rechtzeitig, richtet sich die Rechtslage nach dem Verzugsrecht (vgl.
dazu Nr. 467 ff.). Jedoch ergeben sich bei übermässiger Leistungserschwerung zwei wesentliche Besonderheiten:
2. Leistungsverweigerungsrecht
441 Einerseits hat der Schuldner das Recht, die Erbringung der Leistung in natura während
der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung zu verweigern (§ 9). Beruft sich der
Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, kann er während der Dauer der übermässigen Leistung nicht zur Erbringung der Leistung in natura verurteilt werden. Der
Anspruch auf Realerfüllung ist nicht klageweise erzwingbar. Auf den Ausschluss
der Erzwingbarkeit bzw. Klagbarkeit des Realerfüllungsanspruchs beschränkt sich jedoch die Wirkung des Leistungsverweigerungsrechts. Insbesondere schliesst die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht nicht aus, dass der Schuldner in Verzug fällt,
wenn er die Leistung nicht rechtzeitig erbringt. Dem Gläubiger stehen bei Verzug – mit
148
Ausnahme der Klage auf Realerfüllung – die (normalen) Wahlrechte gemäss Art. 107
und 109 OR zu: Er kann auf nachträgliche Erfüllung verzichten und gegebenenfalls Ersatz des Erfüllungsinteresse verlangen oder vom Vertrag zurücktreten. Der Gläubiger
kann aber stattdessen auch zuwarten – er kann sich dabei seinerseits auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen – und nach Behebung der übermässigen Leistungserschwerung
noch nachträgliche Erfüllung verlangen. Solange der Gläubiger nicht auf nachträgliche
Erfüllung verzichtet, bleibt der Schuldner an den Vertrag gebunden.
3. Vertragsanpassung bzw. -auflösung
442 Diese Rechtslage kann dem Schuldner unzumutbare Nachteile bringen. Der Schuldner
hat deshalb unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, vom Richter die Anpassung oder Auflösung des Vertrages zu verlangen (§ 10). Im Normalfall löst der Richter den Vertrag auf entsprechendes Begehren des Schuldners ganz oder teilweise auf.
Ausnahmsweise kann der Richter den Schuldner auch zur Erbringung einer Ersatzleistung verpflichten.
443 Dieses Recht auf richterliche Vertragsauflösung bzw. -anpassung steht dem Schuldner
jedoch nur zu, wenn die übermässige Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist
oder das Interesse des Schuldners an definitiver Befreiung das Interesse des Gläubigers
am Fortbestand des Vertrages überwiegt. Genaueres dazu in Nr. 330 ff.
III. Exkurs: Endgültige, absolute Unmöglichkeit
444 Weder die nicht übermässige Leistungserschwerung noch die übermässige Leistungserschwerung fallen damit nach hier vertretener Auffassung in den Anwendungsbereich
von Art. 97 und 119 OR. Weil die Verhältnisse bei Leistungserschwerung oft Veränderungen unterworfen sind und kaum je endgültig feststehen, rechtfertigen sich die ipsoiure eintretenden Rechtsfolgen der Unmöglichkeitsbestimmungen (insbesondere der
vollständige Wegfall des Realerfüllungsanspruchs) nicht.
445 Der Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen beschränkt sich deshalb
nach hier vertretener Auffassung auf Fälle der endgültigen, absoluten Unmöglichkeit
(vgl. Nr. 218), wenn also die Leistung definitiv mit beliebigen Erfüllungsanstrengungen
nicht bewirkt werden kann. Zu denken ist an die vorne in Nr. 34 erwähnten Beispiele.
Ob die Voraussetzungen der endgültigen, absoluten Unmöglichkeit erfüllt sind, ist im
konkreten Einzelfall zu ermitteln. Bei Zweifeln über die Endgültigkeit der Unmöglichkeit oder die Möglichkeit der Leistung ist nach den Regeln der (übermässigen) Leistungserschwerung vorzugehen.
149
IV. Ausblick
446 Im Folgenden ist nur noch von der Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung
die Rede, und zwar zuerst vom Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners (Nr.
447 ff.) und anschliessend vom Recht des Schuldners auf richterliche Vertragsanpassung (Nr. 489 ff.). Auf verschiedene Einzelfragen, namentlich den Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung, die Besonderheiten der Voraussetzungen des Verzichts
auf nachträgliche Erfüllung, sowie auf die Verantwortung des Schuldners an der Leistungserschwerung, wird in Teil 4 gesondert eingegangen.
150
§ 9 Leistungsverweigerungsrecht
I.
Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts (Zusammenfassung)
447 Das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners setzt den Bestand einer übermässigen
Leistungserschwerung, d. h. ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse voraus (Nr. 230 ff.). Nicht vorausgesetzt ist, dass die übermässige
Leistungserschwerung endgültig ist oder während einer bestimmten Minimaldauer besteht (Nr. 314). Auch bei bloss vorübergehender übermässiger Leistungserschwerung
besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, doch ist der Schuldner immer nur zur Verweigerung der Leistung berechtigt, solange die übermässige Leistungserschwerung andauert.
448 Die Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts müssen im Zeitpunkt der Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht und während der ganzen Dauer der Leistungsverweigerung bestehen. Die Beweislast für die Voraussetzungen trifft – mit Ausnahme von allfälligen immateriellen Interessen des Gläubigers oder eines rein subjektiven Werts der Leistung für den Gläubiger, welche vom Gläubiger glaubhaft zu machen
sind – den Schuldner (Nr. 380 f.).
II. Rechtsnatur des Leistungsverweigerungsrechts
449 Das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners kann als Einrede verstanden werden:582 Eine Einrede ist ein dem Schuldner „...zustehendes Recht, die geschuldete
Leistung aus besonderem Grunde zu verweigern“.583 „Sie besteht und sie erschöpft
sich in der Befugnis, die Erfüllung eines Rechts, das sich gegen den Einredeberechtigten richtet, zu verweigern...“584 Statt von einem Leistungsverweigerungsrecht könnte
man deshalb auch von der „Einrede übermässiger Leistungserschwerung“ sprechen.
450 Aus der Rechtsnatur des Leistungsverweigerungsrechts als Einrede folgt, dass sich der
Schuldner auf die Einrede berufen muss, wenn er sein Leistungsverweigerungsrecht
ausüben will. „Die Ausübung der Einrede besteht im Verweigern der geschuldeten
Leistung und erfolgt, wenn der Anspruch auf Leistung aussergerichtlich erhoben wird,
durch Erklärung an den Gegner, wenn der Anspruch eingeklagt ist, durch Erklärung
vor Gericht“.585,586 Der Richter darf die übermässige Leistungserschwerung nicht von
582 Vgl. zum deutschen Recht PALANDT-HEINRICHS, Ergbd., N 32 zu § 275 BGB; LORENZ/RIEHM,
Nr. 320; MATTHEUS, JuS 2002, S. 214; SCHULZE, Handkommentar BGB, N 18 zu § 275 BGB.
583 VON TUHR/PETER, § 3 IV, S. 27.
584 Vgl. statt vieler GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 76 (Hervorhebung weggelassen).
585 VON TUHR/PETER, § 3 IV, S. 29.
151
Amtes wegen berücksichtigen.587 Beruft sich der Schuldner nicht auf sein Leistungsverweigerungsrecht, so ist es nicht Aufgabe des Richters, nach Gründen für die Nichterfüllung des Schuldners zu suchen. Dies folgt nicht nur aus der Rechtsnatur des Leistungsverweigerungsrechts, sondern entspricht auch der Lebenstatsache, dass der
Schuldner selbst am besten beurteilen kann, ob er die Leistung erbringen kann.
III. Rechtslage bei Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts
1. Allgemeines
451 Die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht bei übermässiger Leistungserschwerung verändert die Rechtslage nicht grundlegend: Sie bewirkt grundsätzlich nur,
dass der Gläubiger die Leistung nicht in natura erzwingen kann: Der Realerfüllungsanspruch ist während der Dauer der Leistungserschwerung nicht klageweise durchsetzbar
(Nr. 453 ff.). Beruft sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, steht
umgekehrt auch dem Gläubiger das Recht zu, die Gegenleistung für die Dauer der
Leistungsverweigerung des Schuldners zurückzubehalten (Nr. 462).
452 Hingegen schliesst die Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts den Eintritt
von Schuldnerverzug nicht aus (Nr. 467 ff.). Bei gegebenen Voraussetzungen stehen
dem Gläubiger deshalb – mit Ausnahme der Klage auf Realerfüllung während der
Dauer der übermässigen Leistungserschwerung – grundsätzlich alle Vorgehensweisen
des Verzugsrechts offen. Insbesondere kann der Gläubiger bei gegebenen Voraussetzungen jederzeit, d. h. auch während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung auf nachträgliche Erfüllung verzichten (Art. 107 Abs. 2 OR) und Ersatz des aus
Nichterfüllung entstandenen Schadens verlangen oder vom Vertrage zurücktreten (Art.
107 Abs. 2 und Art. 109 OR). Der Gläubiger kann aber auch zuwarten und hoffen,
dass die Leistungserschwerung behoben wird. Solange er nicht auf nachträgliche
Erfüllung verzichtet hat, kann er nach Behebung der übermässigen Leistungserschwerung auf Erfüllung klagen und – bei Verschulden des Schuldners – Ersatz des Verspätungsschadens (Art. 103 Abs. 1 OR) verlangen.
586 Vgl. Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB, in Bezug auf die vorübergehende
Unmöglichkeit; ähnlich PALANDT-HEINRICHS, Ergbd., N 32 zu § 275 BGB.
587 Vgl. statt vieler BUCHER, OR AT, S. 38, ferner Art. 142 OR betr. Verjährung und BGE 76 II
298 ff. = Pra 39 (1950) Nr. 133, S. 403 ff. betr. Art. 82 OR.
152
2. Realerfüllungsanspruch ist nicht klageweise durchsetzbar
A. Grundsatz
453 Die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht berührt den Bestand der Leistungspflicht des Schuldners als solche nicht.588 Der Schuldner wird durch die Berufung
auf das Leistungsverweigerungsrecht nicht von der Pflicht zur Realerfüllung befreit.589
Betroffen ist vom Leistungsverweigerungsrecht einzig die Durchsetzbarkeit (Klagbarkeit) des Realerfüllungsanspruchs und auch diese wird nur vorübergehend beeinträchtigt:590 Der Realerfüllungsanspruch ist während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung nicht mittels Erfüllungsklage durchsetzbar (klagbar).
454 In sachlicher Hinsicht bezieht sich das Leistungsverweigerungsrecht nur auf jene
Teile der Leistung (s. Nr. 460 f.) und jene Arten der Leistungserbringung, welche
übermässig erschwert sind. Einer Verurteilung des Schuldners zur Leistung steht deshalb nichts entgegen, wenn dem Schuldner verschiedene Möglichkeiten zur Leistungserbringung offen stehen (z. B. durch persönliche Leistung oder Erfüllung durch einen
Dritten), von welcher nur eine (z. B. persönliche Erfüllung) übermässig erschwert ist
(vgl. Nr. 422 und Nr. 531).
455 In zeitlicher Hinsicht besteht das Leistungsverweigerungsrecht – wie gesagt – nur
während der Dauer der Leistungserschwerung und nur solange entfällt die Klagbarkeit
des Realerfüllungsanspruchs. Ob der Schuldner zur Realerfüllung verurteilt werden
kann, ist aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt der Urteilsfällung, nicht im Zeitpunkt der
Klageeinleitung zu beurteilen:
456 –
Solange die übermässige Leistungserschwerung im Zeitpunkt der Urteilsfällung
besteht, wird die Klage auf Realerfüllung (zur Zeit) abgewiesen.591 Der Gläubiger
588 Einreden zerstören den Anspruch nicht, gegen den sie sich richten, sondern hemmen ihn bloss.
Vgl. VON TUHR/PETER, § 3 IV, S. 32; ferner GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 77.
589 Anders offenbar die deutsche Lehre zu § 275 Abs. 2 BGB n. F., vgl. PALANDT/HEINRICHS,
Ergbd., N 32 zu § 275 BGB.
590 KOLLER, OR AT I, Nr. 75, betr. dilatorische Einreden im Allgemeinen. Ferner Rolf STEINER, Das
Gestaltungsrecht, Diss. Zürich 1984, S. 30.
591 Vgl. BGE 44 II 526 Erw. 3 betr. vorübergehende Unmöglichkeit, der aber wegen der zwischen
den Parteien vereinbarten „Kriegsklausel“ nur beschränkt als Präjudiz gelten kann. Ob das Urteil
abgewiesen oder bloss „zur Zeit“ abgewiesen wird, ist letztlich ein Streit um Begriffe, denn aus
materiellrechtlichen Gründen steht fest, dass der Gläubiger nach Wegfall der übermässigen Erschwerung erneut auf Realerfüllung klagen kann (s. gleich anschliessend im Text); vgl. LEUCH/
MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, N 4a zu Art. 204 ZPO BE. Bei begründeter Einrede des nicht
erfüllten Vertrages wird der Schuldner zur Leistung Zug um Zug, d. h. zu einer aufschiebend bedingten Leistung verurteilt, vgl. BGE 127 III 200, ferner BGE 111 II 197 f.; BGE 94 II 269 f.;
ausführlich SCHRANER, ZürK, N 206 ff. zu Art. 82 OR, m. Hw.; WEBER, BerK, N 222 zu Art. 82
OR.
153
kann jedoch nach der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung eine
neue Realerfüllungsklage einreichen.592 Es liegt keine res iudicata vor.593 Ist die
übermässige Leistungserschwerung im Urteilsfällungszeitpunkt behoben, steht
einer Verurteilung zur Realerfüllung nichts entgegen.
457 –
Vorbehalten bleibt der Fall, dass im Zeitpunkt der Urteilsfällung die übermässige
Leistungserschwerung zwar noch besteht, aber der Zeitpunkt ihrer Behebung
bereits mit hinreichender Bestimmtheit absehbar ist. In diesem Falle wäre die Abweisung der Klage unbillig. Das Urteil ergeht statt dessen auf Erbringung einer zukünftigen Leistung: Der Schuldner wird zur Erbringung der Leistung zu oder nach
einem mit Datum bestimmten Zeitpunkt verurteilt. Dieser Zeitpunkt ist so zu bemessen, dass dem Schuldner die zur Erfüllung notwendige Zeit ab dem Zeitpunkt
der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung bleibt.594 Es versteht sich
von selbst, dass das Urteil erst ab dem im Urteil bestimmten Datum vollstreckt
werden kann.
458 –
Verlangt schliesslich der Schuldner im Prozess widerklageweise die definitive
Vertragsanpassung oder -auflösung und sind die Voraussetzungen dafür erfüllt
(beispielsweise bei offensichtlich endgültiger übermässiger Leistungserschwerung), so kann der Richter die Realerfüllung definitiv verweigern und den Vertrag
anpassen oder auflösen (vgl. Nr. 489 ff.).
459 Anzufügen bleibt, dass der Schuldner jederzeit auf seinen Entscheid, die Einrede auszuüben, zurückkommen kann.595 Solange der Gläubiger nicht auf nachträgliche Erfüllung verzichtet hat (Nr. 475 ff.), darf der Schuldner die Leistung doch noch erbringen
(vgl. die Einschränkung in Nr. 212). Dabei hat er jedoch dem Gläubiger die Änderung
seiner Absicht rechtzeitig anzuzeigen.
B. Teilerschwerung
460 Bei teilweiser übermässiger Leistungserschwerung besteht das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners – wie gesagt – nur für die übermässig erschwerten Teile der
Leistung. Soweit die Leistung nicht übermässig erschwert ist, kann der Schuldner die
592 Vgl. VON TUHR/PETER, § 3 IV, S. 31, betr. dilatorische Einreden im Allgemeinen.
593 Vgl. FRANK/STRÄULI/MESSMER, N 5 zu § 188 ZPO, in Bezug auf nicht fällige Leistungen;
WEBER, BerK, N 223 zu Art. 82 OR; SCHRANER, ZürK, N 209 zu Art. 82 OR, in Bezug auf die
Einrede des nicht erfüllten Vertrages.
594 Ähnlich Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB, betr. vorübergehende Unmöglichkeit: Das Urteil ergeht auf zukünftige Leistung oder wird zur Zeit abgewiesen.
595 Die Ausübung einer Einrede ist (im Gegensatz zur Ausübung von „normalen“ Gestaltungsrechten) nicht unwiderruflich. Vgl. KOLLER, OR AT I, Nr. 76.
154
Leistung nicht verweigern und der Gläubiger kann nicht übermässig erschwerte Teilleistungen durch Klage auf Realerfüllung durchsetzen (vgl. Nr. 505 ff.).
461 Umgekehrt ist der Gläubiger jedoch grundsätzlich zur Annahme einer Teilleistung
nicht verpflichtet (Art. 69 OR).596 Vorbehältlich abweichender vertraglicher Vereinbarungen darf er die Annahme einer Teilleistung verweigern.597
3. Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers
462 Beruft sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, so ist der Gläubiger
seinerseits zur Zurückbehaltung seiner eigenen Leistung berechtigt. Wenn der Schuldner vorleistungspflichtig ist oder der Vertrag Zug um Zug zu erfüllen ist, ergibt sich
dies ohne weiteres aus Art. 82 OR. Aber auch dem vorleistungspflichtigen Gläubiger
steht meines Erachtens in Analogie zu Art. 83 OR ein Zurückbehaltungsrecht zu:
463 Art. 83 OR berechtigt die Partei eines synallagmatischen Vertrages, ihre Leistung bis zur Sicherstellung der Gegenleistung zurückzuhalten, wenn die andere Partei zahlungsunfähig geworden ist und
durch diese Verschlechterung der Vermögenslage die Erbringung der Gegenleistung gefährdet ist.
Die Bestimmung beruht auf der Überlegung, dass einer Partei nicht zuzumuten ist, die eigene Leistung zu erbringen, wenn die Erbringung der Gegenleistung wegen der Zahlungsunfähigkeit der
Gegenpartei gefährdet ist.598 Wenn der Schuldner infolge übermässiger Leistungserschwerung die
Erfüllung verweigert, liegt eine vergleichbare Situation vor. Da die schuldnerische Leistung in diesem Falle gleichermassen gefährdet sein kann, muss gegebenenfalls auch der vorleistungspflichtige
Gläubiger in Analogie zu Art. 83 OR seine Leistung verweigern können.
464 Ein Zurückbehaltungsrecht besteht deshalb immer, wenn sich der Schuldner ausdrücklich auf das Leistungsverweigerungsrecht wegen übermässiger Leistungserschwerung
beruft. Die Zurückbehaltung muss sodann auch zulässig sein, wenn der Schuldner
unter Berufung auf Leistungshindernisse implizit zum Ausdruck bringt, die Leistung
nicht planmässig erbringen zu können bzw. zu wollen (der Schuldner erklärt beispielsweise, dass die geschuldete Speziessache gestohlen worden sei), oder wenn die Erbringung der Leistung infolge der Leistungshindernisse objektiv betrachtet ernstlich gefährdet599 ist (der Schuldner liegt beispielsweise krank im Spital). Weitergehende
Zurückbehaltungsrechte können sich – bei gegebenen Voraussetzungen – aus Art. 82
OR ergeben. Gegenüber dem vorleistungspflichtigen Gläubiger kann der Schuldner
das Zurückbehaltungsrecht beseitigen, indem er seine Erfüllungsfähigkeit und -willigkeit nachweist.
596
597
598
599
BGE 75 II 140 ff.
A. A. in Zusammenhang mit der Teilunmöglichkeit die in Anm. 652 zit. Autoren.
SCHRANER, ZürK, N 2 zu Art. 83 OR, m. Hw.; WEBER, BerK, N 4 zu Art. 83 OR.
Als Massstab können die Anforderungen von Art. 83 OR gelten. Vgl. WEBER, BerK, N 44 ff. zu
Art. 83 OR; SCHRANER, ZürK, N 23 zu Art. 83 OR.
155
465 Wie das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners ist das Zurückbehaltungsrecht
des Gläubigers bloss vorübergehender Natur und besteht nur, solange der Schuldner
die Leistung wegen übermässiger Leistungserschwerung verweigert bzw. die anderen
Voraussetzungen von Nr. 464 gegeben sind. Bei Wegfall des Leistungshindernisses
muss der vorleistungspflichtige Gläubiger die fällige Gegenleistung umgehend erbringen, ansonsten er riskiert, seinerseits in Schuldnerverzug zu geraten.
4. Andere Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis
466 Die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts kann ferner andere Auswirkungen
auf das Vertragsverhältnis haben, die von den Umständen des Einzelfalls abhängig
sind. Beispielsweise können vertragliche Nebenpflichten während der Dauer der Leistungsverweigerung weitergelten, d. h. erstreckt werden (z. B. die Pflicht zur sorgfältigen Verwahrung des Vertragsgegenstandes) oder bis zur Leistungserbringung aufgeschoben werden (z. B. die Pflicht zum Versand des Vertragsgegenstandes in der vereinbarten Verpackung). Auch können neue Nebenpflichten hinzutreten; zu denken ist
namentlich an die Pflicht des Schuldners, den Gläubiger über die Fortschritte bei der
Behebung der Leistungshindernisse zu informieren.
IV. Weitere Rechtsfolgen gemäss Verzugsrecht (Art. 102 - 109 OR)
1. Vorbemerkung: Leistungserschwerung schliesst Schuldnerverzug nicht aus
467 Der Schuldner, der die Leistung trotz Fälligkeit nicht rechtzeitig erbringt, fällt – bei gegebenen Voraussetzungen (Nr. 471) – in Schuldnerverzug (Art. 102 OR). Dabei ist
grundsätzlich irrelevant, aus welchen Gründen der Schuldner die Leistung nicht rechtzeitig erbringt. Neben der willkürlichen Späterfüllung ist jene wegen kleineren, überwindbaren Leistungshindernissen ein typischer Verzugsfall.600 Nach hier vertretener
Auffassung kann der Schuldner – bei gegebenen Voraussetzungen – auch bei Verzögerung der Leistung infolge Leistungserschwerung in Verzug geraten. Die Berufung auf
das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners wegen übermässiger Leistungserschwerung schliesst Schuldnerverzug – im Gegensatz zu anderen Einreden601 – nicht
aus.602
600 Vgl. z. B. VON BÜREN, OR AT, S. 365.
601 BGE 45 II 349. Vgl. ferner statt aller WEBER, BerK, N 59 zu Art. 102 OR, m. Nw.
602 A. A. die deutsche Lehre zu § 275 Abs. 2 BGB n. F., vgl. LORENZ/RIEHM, Nr. 321. Wie hier aber
ARNOLD, JZ 2002, S. 869, unter Hinweis auf die Regelung der „Priciples of European Contract
Law“.
156
468 –
Dies ergibt sich primär aus dem Sinn und Zweck des Leistungsverweigerungsrechts:
Durch das Leistungsverweigerungsrecht soll verhindert werden, dass der Gläubiger
die Erbringung der Leistung real erzwingen kann, obwohl der Erfüllungsaufwand in
einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht. Weil die
Realerfüllung einer Verschwendung von Ressourcen gleichkäme, wird das Interesse
des Gläubigers an Realerfüllung vorübergehend hintangestellt (Nr. 309 f.). Hingegen bezweckt das Leistungsverweigerungsrecht nicht, den Gläubiger in anderer
Hinsicht (beispielsweise bei der Geltendmachung von Verspätungsschaden) zu benachteiligen.
469 –
Einzig wenn Leistungshindernisse die Erfüllung endgültig absolut unmöglich machen, ist Schuldnerverzug ausgeschlossen. Gegebenenfalls fällt die Pflicht des
Schuldners zur Realerfüllung gemäss Art. 119 OR dahin, bzw. sie wandelt sich gemäss Art. 97 Abs. 1 OR in die Pflicht zur Leistung von Schadenersatz um. Mit dem
Wegfall der Leistungspflicht kann Verzug, der die nicht rechtzeitige Erfüllung einer
bestehenden Leistungspflicht voraussetzt,603 nicht mehr eintreten. Da bei Leistungserschwerung – auch bei übermässiger Leistungserschwerung – die Pflicht zur Realerfüllung aber grundsätzlich bestehen bleibt (Nr. 453), steht die Leistungserschwerung dem Eintritt des Schuldnerverzugs nicht entgegen.
470 –
Auch setzt Schuldnerverzug kein Verschulden oder anderes Vertretenmüssen des
Schuldners voraus.604 Der Schuldner kann deshalb auch in Verzug geraten, wenn
der übermässigen Leistungserschwerung Leistungshindernisse zugrunde liegen, die
der Schuldner nicht zu vertreten hat.
471 Die Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung – wie auch bei nicht übermässiger Leistungserschwerung (Nr. 433 ff.) – richtet sich deshalb grundsätzlich nach
Verzugsrecht. Es gelten die allgemeinen Grundsätze: Der Schuldner fällt in Verzug,
wenn er die fällige Leistung trotz Mahnung oder Eintritt des Verfalltags nicht erbringt
(Art. 102 OR). Vorbehalten bleibt der Fall, dass der Schuldner nicht pflichtwidrig handelt, weil sich der Gläubiger in Annahmeverzug befindet oder der Schuldner eine verzugsausschliessende Einrede (z. B. Art. 82 OR605 oder Art. 83 OR) erhoben hat; die Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts selbst hat – wie gesagt – nicht diese
Wirkung.
603 Vgl. Anm. 133.
604 BECKER, BerK, N 27 zu Art. 102 OR; BUCHER, OR AT, S. 356; GUHL/KOLLER, § 32 N 7;
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2932; VON TUHR/ESCHER, § 72 V, S. 141 f.; WEBER, BerK, N 37 zu
Art. 102 OR; MÜLLER-CHEN, S. 63.
605 Vgl. aber Nr. 462 ff.
157
472 Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Darstellung der Grundzüge der
Rechtslage bei Schuldnerverzug (Art. 102 - 109 OR); für Einzelheiten (auch zu den Voraussetzungen des Schuldnerverzugs) sei auf die einschlägige Literatur verweisen.606
2. Haftung für Verspätungsschaden und Haftung für Zufall
473 Wird die Leistung infolge einer Leistungserschwerung mit Verspätung erbracht (beispielsweise weil der Schuldner wegen des erhöhten Erfüllungsaufwands mehr Zeit für
die Erfüllung benötigt oder er die Behebung einer übermässigen Leistungserschwerung
abgewartet hat), so haftet der Schuldner bei Verzug – und gegebenen übrigen Voraussetzungen – für Verspätungsschaden (Art. 103 Abs. 1 OR). Die Haftung setzt insbesondere
ein Verschulden oder eine andere Verantwortung des Schuldners an der Leistungserschwerung bzw. am Verzug voraus (vgl. Nr. 572 ff.). Zu ersetzen ist das Erfüllungsinteresse, genauer das Zeitinteresse: Der Gläubiger soll so gestellt werden, wie wenn der
Schuldner rechtzeitig erfüllt hätte (sog. Verspätungsschaden oder Verzugsschaden).607
474 Zudem haftet der Schuldner – bei gegebenen Voraussetzungen – für Zufall (Art. 103
Abs. 1 OR). Die Haftung für Zufall betrifft den Fall, dass die Leistung während der
Dauer des Verzuges durch ein zufälliges, d. h. weder vom Schuldner noch vom Gläubiger zu vertretendes Ereignis608 verschlechtert609 oder verunmöglicht wird. Art. 103 OR
sieht vor, dass der Schuldner in diesem Falle nicht nur für den durch Verspätung entstandenen Schaden, sondern auch für die durch Zufall eingetretene Verschlechterung
oder Unmöglichkeit der Leistung haftet. Voraussetzung der Haftung für Zufall ist (neben den allgemeinen Voraussetzungen), dass den Schuldner am Verzug ein Verschulden
oder eine andere Verantwortung trifft (Nr. 572 ff.)610 und dass der Verzug für die Verschlechterung bzw. das Unmöglichwerden der Leistung kausal war.611 Dem Schuldner
steht deshalb einerseits der Einwand zu, dass ihn am Verzug keine Verantwortung trifft,
und andererseits, dass der Zufall die Leistung auch bei rechtzeitiger Erfüllung getroffen
606 Vgl. für eine ausführliche Darstellung neueren Datums z. B. die Kommentierung von WEBER,
BerK, zu Art. 102 bis 107 OR, oder KOLLER, BerK, N 97 ff. zu Art. 366 OR.
607 SCHENKER, Nr. 266, m. Hw.; BUCHER, OR AT, S. 360 f.; WEBER, BerK, N 14 f. und N 36 zu
Art. 103 OR.
608 Vgl. z. B. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2998 f.; SCHENKER, Nr. 307; WEBER, BerK, N 48 zu Art.
103 OR.
609 Obwohl der Wortlaut vom Untergang einer Speziessache ausgeht, ist anerkannt, dass die Zufallshaftung auf alle Arten von Leistungen und auf jede Art der Verschlechterung oder Verunmöglichung der Leistung anwendbar ist. Vgl. die in Anm. 612 zit. Literatur.
610 Haftung für „Casus mixtus“, vgl. WEBER, BerK, N 46 zu Art. 103 OR, m. Hw.
611 Hier genügt natürliche Kausalität, vgl. WEBER, BerK, N 49 zu Art. 103 OR; GAUCH/SCHLUEP/
REY, Nr. 2999; sowie sogleich im Text.
158
hätte (Art. 103 Abs. 2 OR). Bei gegebenen Voraussetzungen hat der Schuldner das positive Vertragsinteresse zu ersetzen.612
3. Verzicht auf nachträgliche Erfüllung
A. Im Allgemeinen
475 Der Gläubiger kann dem Schuldner bei Verzug sodann eine angemessenen Nachfrist zur
nachträglichen Erfüllung ansetzen (Art. 107 Abs. 1 OR) und nach ungenutztem Ablauf
der Nachfrist unverzüglich gegenüber dem Schuldner erklären, auf nachträgliche Erfüllung zu verzichten (Art. 107 Abs. 2 OR).
476 –
Bei der Bemessung der Nachfrist gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln:
Was angemessen ist, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalles, namentlich nach den Interessen des Gläubigers und der Art der Leistung.613 Für die
blosse Wiedereinschaltung von Apparaten614 kann also beispielsweise eine kürzere
Frist gesetzt werden als für die Errichtung eines komplexen Werkes. Bei Leistungserschwerung ist zudem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Erfüllung erhöhte Erfüllungsanstrengungen erfordert, was in der Regel eine längere Nachfrist
rechtfertigt. Allerdings braucht die Frist nicht so bemessen zu sein, dass der Schuldner die der Leistungserschwerung zugrunde liegenden Hindernisse (in jedem Falle)
überwinden kann.615 Schon gar nicht braucht der Gläubiger die Behebung der Leistungserschwerung abzuwarten, bevor er auf die Leistung verzichten kann (Nr.
215 f.).
477 –
Umgekehrt ist die Ansetzung einer Nachfrist in den Fällen von Art. 108 OR nicht
erforderlich. Die Nachfristansetzung erübrigt sich insbesondere, wenn der Schuldner
die Leistung unter Berufung auf sein Leistungsverweigerungsrecht bestimmt verweigert oder wenn aus objektiven Gründen voraussehbar ist, dass der Schuldner innert einer angemessenen Nachfrist nicht wird erfüllen können. Ausführlich dazu in
Nr. 553 ff.
612 Vgl. zum Ganzen statt vieler z. B. WEBER, BerK, N 45 ff. zu Art. 103 OR; GAUCH/SCHLUEP/
REY, Nr. 2996 ff.; VON TUHR/ESCHER, § 73 I, S. 145 f.
613 BGE 103 II 106.
614 Vgl. BGE 103 II 106; Semjud 68 (1946), S. 61 ff.; KOLLER, BerK, N 303 ff. zu Art. 366 OR;
WEBER, BerK, N 66 ff. zu Art. 107 OR; WIEGAND, BasK, N 9 zu Art. 107 OR; VON TUHR/
ESCHER, § 73 III, S. 149.
615 Ebenso wenig wie die Frist beim „normalen Verzug“ so weit zu bemessen werden braucht, dass
sie einem Schuldner, der noch nichts getan hat, die Möglichkeit zur Erfüllung gibt. Vgl. VON
TUHR/ESCHER, § 73 I, S. 149; WEBER, BerK, N 69 zu Art. 107 OR; BGE 43 II 172; HGer ZH,
ZR 23 (1924) Nr. 170, S. 289.
159
478 Hat der Gläubiger rechtswirksam auf die nachträgliche Erfüllung verzichtet (Art. 102
Abs. 2 OR), entfällt der Realerfüllungsanspruch. Der Gläubiger kann die Leistung
nicht mehr real einfordern, und der Schuldner kann nicht mehr mit befreiender Wirkung erfüllen. Der Verzicht ist grundsätzlich unwiderruflich ist,616 so dass der Gläubiger nur mit der Einwilligung des Schuldners auf seinen Entscheid zurückkommen
kann: Damit der Realerfüllungsanspruch wieder auflebt, bedarf es einer entsprechenden Vereinbarung.617
479 Hat der Gläubiger bereits eine Teilleistung angenommen, kann er grundsätzlich nur in
Bezug auf die noch nicht erbrachte Teilleistung verzichten. Auf die ganze Leistung
verzichten kann er in diesem Falle nur, wenn die teilweise Aufrechthaltung des Vertrages für den Gläubiger unzumutbar wäre, z. B. weil der schon erbrachte Teil der Leistung für den Gläubiger ohne Interesse oder wertlos ist.618 Das in Nr. 507 f. Gesagte gilt
analog.
B. Wahlrechte gemäss Art. 107 - 109 OR
480 Trifft den Schuldner an der Leistungserschwerung ein Verschulden oder ein anderes
Vertretenmüssen (Nr. 572 ff.), hat der Gläubiger – bei gegebenen übrigen Voraussetzungen – Anspruch auf Schadenersatz. Der Gläubiger kann nach dem rechtswirksamen
Verzicht entweder „Ersatz des aus der Nichterfüllung entstandenen Schadens verlangen“ (positives Vertragsinteresse) (Art. 107 Abs. 2 OR). Oder der Gläubiger kann vom
Vertrage zurücktreten und „Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens“ verlangen (negatives Vertragsinteresse) (Art. 109 Abs. 2 OR). Zwischen diesen beiden Möglichkeiten steht dem Gläubiger ein Wahlrecht zu. Das Wahlrecht wird durch eine entsprechende Erklärung des Gläubigers ausgeübt.619
481 –
Entscheidet sich der Gläubiger für den Ersatz des positiven Vertragsinteresses,
wandelt sich die Leistungspflicht des Schuldners – gemäss der üblichen Formulierung der Lehre – in eine Schadenersatzpflicht um.620 Der Gläubiger kann nach freier
Wahl die eigene Leistung erbringen und den ganzen Schadenersatz verlangen (Austauschtheorie) oder die eigene Leistung behalten und deren Wert vom Schadener-
616 BGE 123 III 22; VON TUHR/ESCHER, § 73 V, S. 153; WEBER, BerK, N 114 zu Art. 107 OR; differenzierend KOLLER, Leistungsverzicht, ZSR 116 (1997) I, S. 503 ff.
617 Vgl. z. B. KOLLER, Leistungsverzicht, ZSR 116 (1997) I, S. 499.
618 Vgl. statt vieler BUCHER, OR AT, S. 382; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3091; VON TUHR/ESCHER,
§ 73 VIII, S. 158; WEBER, BerK, N 214 zu Art. 107 OR, m. w. Hw.; WIEGAND, BasK, N 21 zu
Art. 107 OR und N 10 zu Art. 109 OR.
619 Vgl. zu den Modalitäten der Wahlentscheidung KOLLER, Verzichtsfolgen, S. 11 ff. Zur Frage
eines ius variandi BGE 123 III 16 ff.; KOLLER, Leistungsverzicht, ZSR 116 (1997) I, S. 503 ff.;
Vedat BUZ, Das ius variandi des Gläubigers bei Verzug des Schuldners, recht 1997, S. 201 f.
620 Vgl. statt vieler GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3052; WEBER, BerK, N 159 und 163 zu Art. 107 OR.
160
satz in Abzug bringen (Differenztheorie).621 Das Vorgehen nach der Differenztheorie steht dem Gläubiger gemäss der herrschenden Lehre jedoch nur offen, solange er
die eigene Leistung noch nicht erbracht hat.622 Nach anderer Auffassung kann der
Schuldner in jedem Falle nach der Differenztheorie vorgehen und die bereits erbrachte Leistung zurückfordern (strikte Differenztheorie).623
482
Der Schadenersatz bemessen nach dem positiven Vertragsinteresse kann sehr hoch ausfallen,
wenn der Wert der Leistung infolge der Leistungserschwerung stark gestiegen ist. Es stellt sich
in diesem Falle die Frage, ob der Schadenersatz gemäss Art. 43 Abs. 1 OR i. V. m. Art. 99 Abs.
3 OR herabzusetzen ist. Vgl. dazu hinten Nr. 520 ff.
483
Zudem hat der Richter auf ein entsprechendes Begehren des Gläubigers die Möglichkeit, dem Gläubiger an Stelle einer Schadenersatzleistung in Geld (bemessen
nach dem positiven Vertragsinteresse) eine gleichartige und gleichwertige Ersatzleistung als Naturalersatz zuzusprechen. Die Zusprechung einer Ersatzleistung ist
insbesondere dann gerechtfertigt, wenn dies den Interessen des Gläubigers besser
entspricht, weil Geldersatz den Gläubiger nicht vollständig entschädigen würde
(Einzelheiten in Nr. 530 ff.).
484 –
Entscheidet sich der Gläubiger dafür, vom Vertrag zurückzutreten und Ersatz
des negativen Vertragsinteresses zu verlangen (Art. 107 Abs. 2 i. V. m. Art. 109
Abs. 2 OR), wandelt sich der Vertrag in ein vertragliches Rückabwicklungsverhältnis um:624 Der Gläubiger kann seine Leistung behalten bzw. zurückverlangen, wenn
er sie bereits erbracht hat. Der Schadenersatz richtet sich auf das negative Vertragsinteresse. Der Gläubiger ist so zu stellen, wie wenn er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte.
485 Das Schicksal der Gegenleistung hängt von der Ausübung der Wahlrechte durch den
Gläubiger ab. Der Anspruch auf die Gegenleistung entfällt, wenn der Gläubiger vom
Vertrag zurücktritt (Nr. 484) oder er sich für den Ersatz des aus der Nichterfüllung entstandenen Schadens und ein Vorgehen nach der Differenztheorie entscheidet (Nr.
481). Wählt der Gläubiger hingegen den Ersatz des positiven Vertragsinteresses nach
621 BezGer ZH, ZR 91/92 (1992/1993) Nr. 16, S. 61 = SJZ 89 (1993) Nr. 12, S. 122; AppGer TI, SJZ
58 (1962) Nr. 171, S. 306 f.; HGer und KassGer ZH, SJZ 53 (1957) Nr. 138, S. 327; AppGer BS,
SJZ 51 (1955) Nr. 51, S. 74 f.; WIEGAND, BasK, N 18 zu Art. 107 OR; BUCHER, OR AT, S. 381;
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3072; GUHL/KOLLER, § 32 N 29; SCHENKER, Nr. 673 ff.; WIEGAND,
BasK, N 55 zu Art. 97 OR; a. A. KELLER/SCHÖBI, I, S. 275; VON TUHR/ESCHER, § 73 VI, S. 155;
offengelassen in BGE 105 II 87; BGE 104 II 198; BGE 65 II 174; BGE 54 II 311.
622 Die herrschende Lehre lehnt ein Vorgehen nach der Differenztheorie bei bereits erfolgter Erfüllung (sog. strikte Differenztheorie) ab; BUCHER, OR AT, S. 381 f.; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr.
3073; SCHENKER, Nr. 676.
623 KOLLER, Leistungsverzicht, ZSR 116 (1997) I, S. 500 f.; DERS., BasK, N 24 zu Art. 214 OR;
DERS., Verzichtsfolgen, S. 7 ff., mit zahlreichen Nw.; WEBER, BerK, N 200 zu Art. 107 OR;
gl. A. im Ergebnis GLÄTTLI, S. 239 ff.
624 BGE 114 II 157 f.; a. A. EHRAT, Nr. 402 ff.; BGE 61 II 258.
161
der Austauschtheorie oder verlangt er eine Ersatzleistung (Nr. 483 ff.), bleibt er zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet.
486 Trifft den Schuldner kein Verschulden und keine andere Verantwortung an der Leistungserschwerung, wird sich der Gläubiger regelmässig für den Rücktritt vom Vertrage entscheiden, da er in diesem Falle seine Leistung behalten bzw., falls er sie bereits
erbracht hat, zurückfordern kann.625 Zu erwähnen sind jedoch zwei Sonderfälle:
487 –
Ausnahmsweise können bei übermässiger Leistungserschwerung besondere Gefahrtragungsregeln Anwendung finden. Gegebenfalls bleibt der Gläubiger trotz des
Rücktritts vom Vertrag zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet. Vgl. dazu
Nr. 502.
488 –
Erwirbt der Schuldner in Zusammenhang mit dem Eintritt einer übermässigen
Leistungserschwerung ein stellvertretendes Commodum (z. B. eine Versicherungsleistung bei Diebstahl der verkauften Speziessache), so kann der Gläubiger das
stellvertretende Commodum allenfalls als Ersatzleistung herausverlangen. Auch in
diesem Falle muss der Gläubiger die Gegenleistung erbringen. Vgl. dazu Nr.
539 ff.
625 Vgl. statt vieler KOLLER, Verzichtsfolgen, S. 5.
162
§ 10 Richterliche Vertragsanpassung
I.
Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung (Zusammenfassung)
489 Das Recht des Schuldners, vom Richter die (endgültige) Anpassung oder Auflösung des
Vertrages zu verlangen, setzt erstens eine übermässige Leistungserschwerung, d. h.
ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse voraus (Nr.
230 ff.).
490 Zweitens wird vorausgesetzt, dass die übermässige Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist (weil der Gläubiger in diesem Falle kein schützenswertes Interesse am
unveränderten Weiterbestand des Vertrages haben kann, Nr. 316 f. und Nr. 326) oder
dass das Interesse des Schuldners an der Vertragsanpassung bzw. -auflösung das
Interesse des Gläubigers am Fortbestand des Vertrages überwiegt. Im letzteren Fall
sind fünf Faktoren zu berücksichtigen: Für eine Vertragsanpassung oder -auflösung
sprechen eine lange voraussichtliche Restdauer der übermässigen Leistungserschwerung, eine hohe Volatilität des Werts der vertraglichen Leistung, ein starker Anstieg des
Werts der Leistung bis zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung bzw. -anpassung und ein
hohes Realzinsniveau. Daneben sind andere Nachteile zu berücksichtigen, welche dem
Schuldner durch die Erhaltung seiner Erfüllungsbereitschaft entstehen. Genaueres dazu
vorne Nr. 330 ff.
491 Weder die Verantwortung des Schuldners an der übermässigen Leistungserschwerung (Nr. 271 ff.),
noch die Voraussehbarkeit der übermässigen Leistungserschwerung (vgl. aber Nr. 293 ff) schliessen
die Vertragsanpassung oder -auflösung aus. Nicht entscheidend ist ferner, ob infolge der Leistungserschwerung eine gravierende Äquivalenzstörung eingetreten ist (Nr. 259 ff.).
492 Ob die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung oder -auflösung erfüllt sind, hat der
Richter aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt der Urteilsfindung zu beurteilen. Die
Beweislast für die Voraussetzungen trifft den Schuldner; eine Ausnahme gilt nur für allfällige immaterielle Interessen des Gläubigers oder einen rein subjektiven Wert der Leistung für den Gläubiger, welche vom Gläubiger glaubhaft zu machen sind (Nr. 380 f.).
II. Rechtsgrundlage und Rechtsnatur
493 Die richterliche Vertragsanpassung oder -auflösung bei übermässiger Leistungserschwerung kann dogmatisch als ein besonderer Anwendungsfall der clausula rebus sic
stantibus aufgefasst werden. Nach dem Gesagten decken sich die Voraussetzungen der
Vertragsanpassung bei der übermässigen Leistungserschwerung freilich nicht mit den
„normalen“ Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus, sondern weisen verschie163
dene leistungserschwerungsspezifische Besonderheiten auf (Nr. 489 ff.). Die Abstützung auf die clausula rebus sic stantibus ist nicht erforderlich, soweit sich der Schuldner
aufgrund besonderer vertraglicher oder gesetzlicher Bestimmungen von seiner Leistungspflicht befreien kann, beispielsweise im Werkvertrag nach Art. 373 Abs. 2 OR
oder bei Dauerverträgen durch Kündigung aus wichtigem Grund. Vertragliche oder
gesetzliche Bestimmungen gehen der clausula rebus sic stantibus als subsidiärer Rechtsbehelf auch bei übermässiger Leistungserschwerung naturgemäss vor.626
494 Dogmatisch handelt es sich beim Recht des Schuldners, vom Richter die Vertragsanpassung oder -auflösung zu verlangen, um ein Gestaltungsklagerecht. Das Urteil hat
konstitutiven Charakter. Dies entspricht nicht nur der Rechtsnatur der clausula
rebus sic stantibus im Allgemeinen, sondern auch jener der Mehrheit der Gesetzesbestimmungen (vgl. sogleich), aus welchen das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse im Wege der Gesamtanalogie
abgeleitet wurde (Nr. 240 ff.).
495 Die Herabsetzung einer Konventionalstrafe gemäss Art. 163 Abs. 3 OR erfolgt gemäss dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut durch den Richter, also durch konstitutives Urteil.627 Die Rechtsnatur von Art. 373 Abs. 2 OR ist umstritten, doch scheint sich neuerdings – wie gesagt – die am
Wortlaut orientierte Lehrmeinung durchzusetzen, welche Art. 373 Abs. 2 OR als Gestaltungsklagerecht auffasst (Nr. 125).628 Einzig bei Art. 368 Abs. 2 OR ist die Verhältnismässigkeit der
Nachbesserungskosten nach dem Gesetzeswortlaut eine materielle Voraussetzung für den Bestand
des Nachbesserungsrechts.629
496 Auch sachlich scheint ein Gestaltungsklagerecht gerechtfertigt zu sein. Erstens steht
dem Schuldner während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung ohnehin
das Leistungsverweigerungsrecht zu, eine Einrede, welche er ausserprozessual – ohne
Mitwirkung des Richters – erheben kann. Der Gläubiger hat umgekehrt ein Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf die Gegenleistung. Berufen sich die Parteien auf ihre Leistungsverweigerungsrechte, wird der Vertrag in diesem Sinne bis auf weiteres suspendiert. Da damit eine sinnvolle provisorische Regelung der Rechtslage besteht (und
da sich der Gläubiger ohnehin jederzeit durch Verzicht auf nachträgliche Erfüllung
vom Vertrag lösen kann), scheint ein Gestaltungsrecht des Schuldners nicht erforderlich zu sein. Zudem ist der Entscheid über die (endgültige) Vertagsanpassung oder
-auflösung bei nicht offensichtlich endgültiger übermässiger Leistungserschwerung ein
626
627
628
629
164
Nw. in Anm. 189.
Vgl. z. B. VON TUHR/ESCHER, § 87 IV, S. 284 f.; a. A. BENTELE, S. 123 ff.
Nw. in Anm. 212.
GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1748; KOLLER, Nachbesserungsrecht, Nr. 90; HONSELL, OR BT, S.
279.
schwieriger Ermessensentscheid, der besser in die Hand des Richters gelegt wird, als
dass er einseitig vom Schuldner getroffen wird.630
III. Arten der Vertragsanpassung
1. Übersicht
497 Ziel der richterlichen Vertragsanpassung ist die Behebung der übermässigen Leistungserschwerung. Dieses Ziel kann im Wesentlichen auf drei Arten erreicht werden: Entweder befreit der Richter den Schuldner gänzlich von der Pflicht zur Realerfüllung und löst
den Vertrag auf (Nr. 499 ff.). Diese weitgehende Massnahme ist jedoch nicht in jedem
Falle erforderlich. Sind nur gewisse Teile der geschuldeten Leistung übermässig
erschwert, so genügt es in der Regel, wenn der Richter die Leistungspflicht des Schuldners reduziert – er löst den Vertrag nur teilweise auf (Nr. 504 ff.). Schliesslich kann der
Richter die Leistungspflicht des Schuldners unter bestimmten Umständen modifizieren,
d. h. er verpflichtet den Schuldner zu einer anderen als der vertraglich geschuldeten
Leistung (Ersatzleistung) (Nr. 513 ff.). Die übrigen Anpassungsfolgen, insbesondere die
vermögensrechtlichen Folgen der Vertragsanpassung bestimmt der Richter nach seinem
Ermessen (Nr. 518 ff.).
498 Der Richter hat sich für jene Art der Vertragsanpassung zu entscheiden, welche dem hypothetischen Parteiwillen entspricht631 bzw. welche unter Berücksichtigung der Interessen von Schuldner und Gläubiger die angemessenere ist.632 Dabei ist er an den durch die
Parteianträge abgesteckten Rahmen gebunden.633
2. Vollständige Vertragsauflösung
499 Die erste Art der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung besteht in der vollständigen Auflösung des Vertrages. Sie entspricht der bei Unmöglichkeit als Regelfall
vorgesehen Lösung (Art. 97 Abs. 1 und Art. 119 OR) und steht nach hier vertretener
Auffassung auch bei übermässiger Leistungserschwerung den Normalfall dar.634
630 Vgl. ERDIN, Nr. 382.
631 Vgl. BGE 127 III 307; WIEGAND, BasK, N 118 zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 358 zu Art. 18
OR.
632 KRAMER, BerK, N 358 zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 652 zu Art. 18 OR.
633 Vgl. KRAMER, BerK, N 357 zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 638 zu Art. 18 OR; MERZ,
Revision, ZSR 61 (1942), S. 480a ff.; ferner in Zusammenhang mit Art. 373 Abs. 2 OR ERDIN,
Nr. 386 und Nr. 564 ff.; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1121; ZINDEL/PULVER, BasK, N 31 zu Art.
373 OR.
634 BISCHOFF, S. 230.
165
500 Hebt der Richter den Vertrag auf, so wird der Schuldner vollständig von der Pflicht zu
Realerfüllung befreit. Ebenso entfällt dem Grundsatze nach die Gegenleistungspflicht
des Gläubigers (Art. 119 Abs. 2 OR analog; zu den Ausnahmen sogleich in Nr. 501 f.).
Der Gläubiger braucht die Gegenleistung nicht zu erbringen bzw. er kann die Gegenleistung, soweit er sie bereits erbracht hat, zurückfordern. Gleichzeitig hat der Richter über
die übrigen Anpassungsfolgen zu befinden (Nr. 518 ff.), namentlich Schadenersatzansprüche.
501 –
Die Gegenleistungspflicht des Gläubigers bleibt trotz der Vertragsaufhebung bestehen, wenn der Gläubiger infolge Verantwortung des Schuldners Schadenersatz bemessen am positiven Vertragsinteresse verlangen kann und er sich für ein Vorgehen nach der Austauschtheorie entscheidet (Nr. 519 ff.).
502 –
Gemäss Art. 119 OR fällt die Gegenleistungspflicht des Gläubigers bei vom
Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit nur dahin, wenn nicht „die Gefahr
nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf
den Gläubiger übergeht“ (Art. 119 Abs. 3 OR). Bei abweichenden Gefahrtragungsregeln wie beispielsweise Art. 185 Abs. 1 OR oder Art. 324a OR bleibt der
Gläubiger trotz des Dahinfalls der Leistungspflicht des Schuldners zufolge vom
Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit zur Erfüllung verpflichtet. Ob
solche abweichenden Gefahrtragungsregeln bei vom Schuldner nicht zu vertretender übermässiger Leistungserschwerung analoge Anwendung finden, ist durch
Auslegung der einzelnen Bestimmungen zu ermitteln.635 Beispielsweise bezieht
sich die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlungspflicht, Art. 324a OR, auf typische
Leistungserschwerungstatbestände („Verhinderung des Arbeitnehmers“) und verlangt deshalb bei gegebenen Voraussetzungen zwingend angewendet zu werden.
Bei Art. 185 Abs. 1 OR ist im konkreten Einzelfall zu entscheiden, ob trotz „blosser“ übermässiger Leistungserschwerung ein dem Untergang oder der Verschlechterung der Speziessache wertungsmässig gleichzusetzender Tatbestand vorliegt.636
503 Hat der Richter den Vertrag aufgelöst, so ist die Vertragsauflösung definitiv. Auch nach
der Auflösung eintretende Veränderungen können den Vertrag nicht mehr zum entstehen bringen.
635 Eine Anwendung kommt jedenfalls nur bei übermässiger Leistungserschwerung in Betracht,
welche den Schuldner zur Leistungsverweigerung berechtigt.
636 Als solche kommen nur die Kaufsache betreffende Ereignisse in Frage; vgl. VON TUHR/ESCHER,
§ 72 III, S. 135; GIGER, BerK, N 18 zu Art. 185 OR. Die Lehre erachtet Art. 185 Abs. 1 OR beispielsweise auch auf den Entzug der Sache durch Enteignung und Beschlagnahme für anwendbar,
vgl. CAVIN, SPR VII/1, S. 30; KOLLER, BasK, N 4 zu Art. 185 OR.
166
3. Teilweise Vertragsauflösung
A. Im Allgemeinen
504 Sodann wird es nicht selten vorkommen, dass durch ein Leistungshindernis nur gewisse
Teile der geschuldeten Leistung übermässig erschwert werden, während die Erbringung
der Leistung im Übrigen mit verhältnismässigen Erfüllungsanstrengungen möglich
bleibt. Beispielsweise kann der Schuldner im „Steinbruch-Sarnen-Fall“ wegen der ungünstigen Schichtenlage nur 60 Wagenladungen Kleinpflastersteine statt der geschuldeten 120 Wagenladungen mit verhältnismässigem Aufwand liefern.637 Oder der
Werkunternehmer kann zwar den Aushub vornehmen und das Fundament legen, nicht
aber den Aufbau erstellen. Bei solcher teilweise übermässiger Leistungserschwerung ist
zu deren Behebung meist nicht die vollständige Vertragsauflösung erforderlich – es
genügt, die Leistungspflicht des Schuldners teilweise aufzuheben bzw. zu reduzieren.638
505 1. Im Regelfall wird der Richter den Schuldner bei so gearteter teilweiser übermässiger Leistungserschwerung nur teilweise von der Leistungspflicht befreien: Der Schuldner bleibt zur Erbringung der nicht übermässig erschwerten Leistungsteile verpflichtet,
doch wird er von der Pflicht zur Erbringung der übermässig erschwerten Leistungsteile
befreit.639 Die Gegenleistungspflicht wird dem Grundsatze nach ebenfalls entsprechend reduziert.640,641 Mit anderen Worten wird der Vertrag teilweise aufgelöst.
506 2. Die Interessen des Gläubigers oder des Schuldners können jedoch die vollständige
Auflösung des Vertrages gebieten.642 Zwei Fälle sind zu unterscheiden:
507 –
Hat der Schuldner die Leistung bereits teilweise erbracht (und der Gläubiger die
Teilleistung angenommen), so kann der Richter den Vertrag nur vollständig auflösen, wenn eine teilweise Auflösung dem Gläubiger unzumutbar ist.643 Entscheidend
637 BGE 57 II 508 ff., ausführlich dazu Nr. 394 ff. Der Sachverhaltsbeschreibung des Entscheids ist
zu entnehmen, dass in Wirklichkeit nur eine teilweise Leistungserschwerung vorgelegen hat.
638 BISCHOFF, S. 235 f.; vgl. i. Zh. m. Art. 373 Abs. 2 OR ERDIN, Nr. 466 ff.
639 Vgl. in Bezug auf die Teilunmöglichkeit BGE 32 II 647 f.; ZR 84 (1985) Nr. 142, S. 318;
BUCHER, OR AT, S. 420; VON BÜREN, OR AT, S. 389; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3317; VON
TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 97; WEBER, BerK, N 140 f. zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 13 zu
Art. 119 und N 15 zu Art. 97 OR; auch BECKER, BerK, N 22 zu Art. 97 OR.
640 Vgl. in Bezug auf die Teilunmöglichkeit ZR 84 (1985), Nr. 142, S. 318; BUCHER, OR AT, S. 420.
Anders jedoch, wenn der Gläubiger ausnahmsweise die Gefahr trägt (Nr. 502), vgl. GAUCH/
SCHLUEP/REY, Nr. 3317.
641 Zur Bemessung vgl. insb. die Lehre zur Teilvergütung gemäss Art. 378 Abs. 2 OR, z. B. GAUCH,
Werkvertrag, Nr. 730; ZINDEL/PULVER, BasK, N 18 zu Art. 378 OR.
642 AEPLI, ZürK, N 115 ff. zu Art. 119 OR; BARTH, S. 48 f.
643 AEPLI, ZürK, N 115 zu Art. 97 OR; BUCHER, OR AT, S. 420; VON BÜREN, OR AT, S. 389;
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3317; WIEGAND, BasK, N 13 zu Art. 119 OR.
167
sind dabei die Verkehrsauffassung und die Umstände des Einzelfalls.644 Für eine
vollständige Vertragsauflösung spricht namentlich, wenn die bereits erbrachte Teilleistung für den Gläubiger weniger Wert ist als für den Schuldner oder die Teilleistung für den Gläubiger keinen645 oder nur einen geringen646 Wert besitzt.647,648
508
Im Normalfall wird demnach der bereits teilweise erfüllte Vertrag nur ex nunc,
d. h. für den noch nicht erbrachten Teil der Leistung aufgelöst.649 Beispielsweise
hatte der Schuldner im Aprikosenmarkfall650 bereits 200 der 800 geschuldeten
Kisten Aprikosenmark geliefert, als ein Ausfuhrverbot der spanischen Behörden
die Lieferung weiterer Kisten verunmöglichte. Soweit der Vertrag bereits erfüllt
wurde, hat es damit sein bewenden.
509 –
Hat der Schuldner aber die Leistung noch überhaupt nicht erbracht, auch nicht
teilweise, so hat der Gläubiger ein – beschränktes (Nr. 510) – Wahlrecht. Er kann
die Erbringung einer Teilleistung verlangen oder deren Annahme verweigern (Art.
69 Abs. 1 OR). Dieses Wahlrecht ist gerechtfertigt, weil dem Gläubiger – sofern
sich der Schuldner in Verzug befindet – der Verzicht auf die (ganze) nachträgliche
Leistung ohnehin offen stünde (Nr. 215 ff.).651 Es erscheint unbillig, dem Gläubiger,
der in Hoffnung auf die vollständige Erbringung der Leistung auf Realerfüllung
beharrt hat, die Annahme einer Teilleistung entgegen Art. 69 OR aufzuzwingen,652
wenn er das Recht gehabt hätte, auf die ganze Leistung zu verzichten.
510
Vorbehalten bleibt jedoch der Fall, dass dem Schuldner die vom Gläubiger gewählte Lösung unzumutbar ist. Die Erbringung einer Teilleistung kann beispielsweise für den Schuldner unzumutbar sein, weil die herabgesetzte Gegenleistung
für ihn wertlos wäre.653 Die vollständige Vertragsauflösung kann für den Schuld-
644 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3317.
645 BGE 32 II 647; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 97; SCHWENZER, Nr. 64.31: „ob der Gläubiger an
der Leistung des möglichen Teils ein Interesse hat oder nicht...“
646 BECKER, BerK, N 22 zu Art. 97 OR; KREN KOSTKIEWICZ, HandK, N 7 zu Art. 97 OR; WEBER,
BerK, N 140 f. zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 15 zu Art. 97 OR.
647 Dies entspricht auch der Rechtslage bei Teilverzug, vgl. Nr. 461.
648 Hilfsweise kann (in Anlehnung an Art. 20 Abs. 2 OR) darauf abgestützt werden, ob „...nach den
Umständen anzunehmen ist, dass derjenige Kontrahent, dessen Forderung infolge des Eintrittes
des schädigenden Ereignisses zum Teil nicht mehr realisiert werden kann, den Vertrag nicht geschlossen haben würde, wenn er die teilweise Unmöglichkeit der Erfüllung der von ihm ausbedungenen Leistung vorausgesehen hätte.“ AppH BE, ZBJV 36 (1899/1900) Nr. 55, S. 255, ferner
BUCHER, OR AT, S. 420; SCHWENZER, Nr. 64.31.
649 BISCHOFF, S. 231.
650 BGE 69 II 97 ff. Ausführlich zu diesem Entscheid Nr. 532.
651 Vgl. WEBER, BerK, N 141 zu Art. 97 OR.
652 A. A. AEPLI, ZürK, N 115 zu Art. 119 OR; BUCHER, OR AT, S. 420; auch VON BÜREN, OR AT,
S. 389 Anm. 110.
653 BARTH, S. 49.
168
ner unzumutbar sein, wenn er für die Vorbereitung der Leistungserbringung
bereits erhebliche Aufwendungen getätigt hat, welche verloren wären.
B. Vorzeitige Vertragsauflösung bei Dauerverträgen
511 Bei Dauerschuldverhältnissen gelten die soeben dargelegten Grundsätze analog. Tritt
während der Vertragsdauer ein Leistungshindernis ein, welches die weitere Erfüllung
des Vertrages übermässig erschwert, so wird der Vertrag dem Grundsatze nach ex
nunc, d. h. für die Zukunft aufgelöst.654 Man kann diese vorzeitige Vertragsauflösung
als Teilauflösung bzw. als Änderung (Abkürzung) der Vertragsdauer auffassen. Vertragliche und gesetzliche ordentliche oder ausserordentliche Kündigungs- oder Rücktrittsrechte haben selbstverständlich auch bei Dauerverträgen Vorrang.
512
Beispiel: Der Schuldner hat sich für zwölf Monate zur Lieferung eines bestimmten
Quantums Wasser aus seiner Quelle verpflichtet, z. B. 100 hl pro Tag. Wegen einer unerwartet aufgetretenen Reduktion der Wasserleistung der Quelle kann der Schuldner
nach drei Monaten plötzlich nur noch 50 hl pro Tag liefern. Soweit der Schuldner den
Vertrag bereits erfüllt hat, bleibt der Vertrag unverändert bestehen. Der Gläubiger wäre
gar nicht in der Lage, das während der ersten drei Monate erhaltene Wasser zurückzugeben. Eine Vertragsanpassung kommt damit nur für die verbleibende Vertragsdauer in
Frage. Auch hier rechtfertigt sich aber keine vorzeitige Vertragsauflösung, sondern der
Schuldner bleibt während der Restdauer der Vertrages zur Lieferung der noch möglichen Wassermenge von 50 hl pro Tag verpflichtet. Sogar könnte der Richter in diesem
Beispiel die Vertragsdauer für zusätzliche neun Monate erstrecken, so dass der Gläubiger letztendlich die gesamte geschuldete Wassermenge erhält, wenn auch über einen
längeren Zeitraum.
4. Vertragsanpassung im engeren Sinn: Abänderung der Leistung (Ersatzleistung)
513 Schliesslich kann die Leistungserschwerung in gewissen Fällen durch eine Abänderung
der Leistungspflicht des Schuldners behoben werden: Der Schuldner wird anstatt zur Erbringung der geschuldeten Leistung zur Erbringung einer anderen, abgeänderten
Leistung verpflichtet (Ersatzleistung). Auf diesen Fall und die Frage der Zulässigkeit der
Verurteilung zur Erbringung einer Ersatzleistung im Allgemeinen wird hinten in Nr.
530 ff. ausführlich eingegangen. Das Wichtigste sei hier vorweggenommen:
514 –
Ein Anspruch auf eine Ersatzleistung besteht nach hier vertretener Auffassung
grundsätzlich nur, wenn der Schuldner die übermässige Leistungserschwerung ver-
654 BISCHOFF, S. 231; OGer ZH, ZR 84 (1985) Nr. 142, S. 317 ff.
169
schuldet oder aus anderen Gründen zu verantworten hat. Gegebenenfalls kann der
Richter den Schuldner zur Erbringung einer Ersatzleistung verpflichten, wenn den
Interessen des Gläubigers dadurch besser gedient ist als durch Zusprechung von
Schadenersatz in Form einer Geldleistung. Dies kann namentlich bei immateriellen
Interessen des Gläubigers angezeigt sein (Nr. 535 ff.).
515 –
Trifft den Schuldner keine Verantwortung an der Leistungserschwerung, so kann
der Gläubiger nur – aber immerhin – ein allfälliges stellvertretendes Commodum als
Ersatzleistung verlangen (Nr. 539 ff.).
516 –
Schliesslich gibt Art. 98 Abs. 1 OR dem Gläubiger Anspruch auf eine Art Ersatzleistung, nämlich auf Übernahme der Kosten der Ersatzvornahme. Ob dafür ein Verschulden vorausgesetzt wird, ist umstritten (Nr. 544 ff.).
5. Keine mögliche Art der Vertragsanpassung: Erhöhung der Gegenleistung
517 Nicht in Frage kommt hingegen bei übermässiger Leistungserschwerung eine Erhöhung
der Gegenleistung des Gläubigers. Durch die Erhöhung der Gegenleistung kann zwar
ein Missverhältnis zwischen der Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzstörung) beseitigt werden, nicht aber ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse des Gläubigers (vgl. Nr. 255 und 259 ff.).
IV. Übrige Anpassungsfolgen
518 Mit der blossen Anpassung der Leistung und Gegenleistung hat es freilich nicht sein bewenden. Die übrigen Anpassungsfolgen, namentlich die vermögensrechtlichen Folgen
wie Schadenersatzansprüche, bestimmt der Richter unter Würdigung aller Umstände
nach seinem Ermessen (vgl. Art. 226g Abs. 2 OR und Art. 337b Abs. 2 OR). Als
solche Umstände sind insbesondere das Verschulden bzw. die Verantwortung von
Schuldner und Gläubiger zu berücksichtigen, namentlich aber auch die Interessen des
Gläubigers. Zu unterscheiden sind drei Fälle:
1. Bei Verantwortung des Schuldners
519 Trifft den Schuldner ein Verschulden an der übermässigen Leistungserschwerung, oder
trifft ihn aus anderem Grunde eine Verantwortung an der übermässigen Leistungserschwerung (z. B. aus Art. 101 OR oder bei Haftung für Zufall bei Schuldnerverzug, Art
103 OR), so schuldet er vollen Schadenersatz (analog zu Art. 97 Abs. 1 OR und Art.
337b Abs. 1 OR). Der Schadenersatz bemisst sich grundsätzlich nach dem positiven
170
Vertragsinteresse (Erfüllungsinteresse), doch hat der Gläubiger in Analogie zu Art. 107
Abs. 2 i. V. m. Art. 109 Abs. 2 OR die Wahl, statt des positiven Vertragsinteresses das
negative Vertragsinteresse zu verlangen.655
520 Die Bemessung des Schadenersatzes bereitet bei übermässiger Leistungserschwerung
im Allgemeinen keine besonderen, „leistungserschwerungsspezifischen“ Probleme.656
Fraglich kann jedoch sein, ob der Schuldner Anspruch auf Herabsetzung des Schadenersatzanspruches gemäss Art. 44 Abs. 1 OR i. V. m. Art. 99 Abs. 3 OR hat, wenn der
zu leistende Schadenersatz sehr hoch ausfallen würde, weil der Wert der Leistung
infolge des eingetretenen Leistungshindernisses stark gestiegen ist.657 Das Bundesgericht hat den Schadenersatzanspruch des Gläubigers namentlich in einer Reihe von Entscheiden betreffend Gattungsschulden aus der Zeit des ersten Weltkriegs herabgesetzt.658,659
521 Die erwähnten Entscheide betrafen Gattungskäufe, bei welchen der Verkäufer nicht lieferte und sich
im anschliessenden Prozess auf kriegsbedingte Beschaffungsschwierigkeiten berief. Das Bundesgericht hat das Vorliegen von Unmöglichkeit im Sinne von Art. 119 OR in allen Entscheiden verneint
(genus perire not potest) – übermässige Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne lag in
keinem der beurteilten Fälle vor (vgl. Nr. 385 ff.) – und den Schuldner zur Bezahlung von Schadenersatz verurteilt. Weil der Marktpreis der geschuldeten Gattungsware infolge der Kriegswirren
jeweils gestiegen war, machten die Kläger (Gläubiger) in allen Entscheiden hohe Schadenersatzfor655 Die Mehrheit der neueren Lehre lässt den Rücktritt vom Vertrag gemäss Art. 107 Abs. 2 i. V. m.
Art. 109 Abs. 2 OR auch bei nachträglicher Leistungsunmöglichkeit zu; vgl. z. B. BUCHER, OR
AT, S. 339 f. und 424; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3163; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 9 zu
Art. 97 OR; WEBER, BerK, N 118 und 269 zu Art. 97 OR; differenzierend WIEGAND, BasK, N 58
zu Art. 97 OR; a. A. insb. VON TUHR/ESCHER, § 68 III, S. 105 Anm. 79. A fortiori muss die Zusprechung des negativen Vertragsinteresses bei „blosser“ übermässiger Leistungserschwerung zulässig sein; dies damit der Gläubiger bei richterlicher Vertragsauflösung nicht schlechter gestellt
wird, als wenn er aus eigener Initiative auf nachträgliche Erfüllung verzichtet hätte und vom Vertrag zurückgetreten wäre, vgl. Nr. 484.
656 Vgl. aber zu den Grenzen des klassischen Schadensbegriffs vorne Nr. 183 und Nr. 188 ff. sowie
die dort angeführten Nw., ferner statt vieler WEBER, BerK, N 184 ff. zu Art. 97 OR, und GAUCH/
SCHLUEP/REY, Nr. 2632 ff.
657 Zu denken ist beispielsweise an den „Englische Voile-Fall“ (Nr. 398), BGE 45 II 37 ff.: Der
Schuldner konnte infolge eines Einfuhrverbotes die versprochene englische Voile nicht in die
Schweiz importieren. Da er gemäss – stillschweigender – vertraglicher Vereinbarung nicht zur
Beschaffung der englischen Voile durch Aufkauf bereits importierter Ware im Inland verpflichtet
war, wurde der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit. Unterstellen wir (entgegen dem
BGE 45 II 37 zugrunde liegenden Sachverhalt), dass der Schuldner pflichtwidrig die Voile nicht
rechtzeitig beschafft und importiert hat, als das Einfuhrverbot noch nicht in Kraft getreten war.
Der Schuldner haftet in diesem Falle für Schadenersatz, der sich am Wert der englischen Voile in
der Schweiz im Zeitpunkt des Urteils bemisst. Es ist davon auszugehen, dass der Wert der englischen Voile infolge des Einfuhrverbots erheblich gestiegen ist.
658 Z. B. BGE 43 II 170 ff.; BGE 47 II 391 ff. und BGE 44 II 510 ff. Vgl. ferner die Übersicht über
diese Rechtsprechung bei SIEGWART, S. 187 ff.
659 Vgl. – in Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung – BISCHOFF, S. 129; ENGEL, AT,
Nr. 209 S. 707 f.; HENGGELER, S. 258a; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 415a f.; DERS.,
BerK, N 191 zu Art. 2 ZGB; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 248; SCHMITZ, S. 25.
171
derungen geltend. Das Bundesgericht hat den Schadenersatz gestützt auf Art. 99 Abs. 3 OR i. V. m.
Art. 43 Abs. 1 OR erheblich reduziert.660 In BGE 43 II 170 ff. begründete es dies ausführlich damit,
dass „die Erfüllung ... mit ausserordentlichen Schwierigkeiten verbunden [war], die nur durch Aufwendung besonderer Bemühungen und Kosten überwunden werden konnten,“ „die Möglichkeit,
zum Ziele zu gelangen, eine [im Vergleich zu normalen Markt- und Verkehrsverhältnissen] ausserordentlich geringe“ war, und „beim Vertragsschluss nicht anzunehmen war, dass [die Lieferungserschwerung] in diesem Masse zunehmen werde“.661
522 Gegen diese Praxis des Bundesgerichts sprechen grundsätzliche Überlegungen: Vorab
rechtfertigt weder ein hoher Erfüllungsaufwand noch ein hoher Wert der Leistung (und
seien diese im Einzelfall auch ausserordentlich hoch) für sich allein eine Herabsetzung
des Schadenersatzes. Es entspricht der dispositiven gesetzlichen Risikoverteilung, dass
der Schuldner das Aufwandrisiko bis zur Grenze der übermässigen Leistungserschwerung (der Erfüllungsaufwand übersteigt das Realerfüllungsinteresse) trägt; über dieser
Grenze hat der Schuldner dem Gläubiger bei Verschulden oder anderer Verantwortung
das Erfüllungsinteresse als Schadenersatz zu ersetzen. Wird – mit dem Bundesgericht –
der am Erfüllungsinteresse bemessene Schadenersatz bei starker Aufwanderhöhung
quasi automatisch reduziert, so bedeutet dies eine Verschiebung des Vertragsrisikos zu
Lasten des Gläubigers.662 Ein solcher Eingriff in die vertragliche Risikoverteilung (vgl.
266 ff.) ist jedoch nur zulässig, wenn sich aus dem Vertrag konkrete Anhaltspunkte für
einen entsprechenden hypothetischen Parteiwillen ergeben (Nr. 237 und Nr. 401 ff.).
Die Höhe des Erfüllungsaufwands genügt für sich alleine nicht für die Annahme eines
solchen hypothetischen Parteiwillens (Nr. 405 f.). Vorbehalten bleiben freilich ausdrückliche oder stillschweigende vertragliche Haftungsbeschränkungen.663
523 Zulässig ist jedoch eine Herabsetzung des Schadenersatzes gemäss Art. 99 Abs. 3
i. V. m. Art. 43 Abs. 1 OR in Fällen, bei welchen andere Umstände als die Höhe des Erfüllungsaufwandes oder des Werts der Leistung eine Reduktion rechtfertigen.664 Zu denken ist in erster Linie an die Grösse des Verschuldens (vgl. Art. 43 Abs. 1 OR). Dabei
darf freilich nicht angenommen werden, dass das Verschulden des Schuldners bei starker Aufwanderhöhung oder (übermässiger) Leistungserschwerung generell ein geringes
sei. Vielmehr ist die Grösse des Verschuldens nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen.665
660 BGE 43 II 177 f.: „auf ungefähr die Hälfte“; BGE 47 II 401 f.: auf „ein[en] erheblich reduzierte[n], ex aequo et bono zu bestimmende[n] Entschädigungsbetrag“; BGE 44 II 518: „auf circa die
Hälfte“.
661 BGE 43 II 177.
662 I. gl. S. WEBER, BerK, N 229 zu Art. 99 OR.
663 Die Abstützung auf Art. 43 Abs. 1 OR ist in diesem Falle nicht notwendig.
664 Vgl. dazu statt vieler WEBER, BerK, N 229 ff. zu Art. 99 OR; SCHNYDER, BasK, N 8 ff. zu Art.
43 OR.
665 Vgl. dazu WEBER, BerK, N 231 zu Art. 99 OR; WIEGAND, BasK, N 18 zu Art. 99 OR; ferner
SCHNYDER, BasK, N 8 ff. zu Art. 43 OR.
172
524 Exkurs: Das Bundesgericht hat auch in einer zweiten Fallkonstellation regelmässig von der Herabsetzung des Schadenersatzes gemäss Art. 99 Abs. 3 OR i. V. m. Art. 43 Abs. 1 OR Gebrauch gemacht, nämlich bei Verwendungserschwerung bzw. -unmöglichkeit. In der Tat wäre es bei Verwendungserschwerung oder -unmöglichkeit nicht sinnvoll, die Partei, welche die Anpassung oder Auflösung des Vertrages verlangt, in vollem Umfang haften zu lassen. Wenn beispielsweise der Mieter
im „Börsengebäude-Zürich-Fall“ (Nr. 29) aus wichtigem Grund kündigen kann, dem Vermieter aber
den vollen Mietzinsausfall bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin bzw. – falls der Vertrag auf fixe Dauer abgeschlossen wurde – bis zum Vertragsende zu entschädigen hat, so ist ihm damit nicht gedient, weil er in diesem Fall genauso gut ordentlich hätte kündigen können bzw. das ordentliche Vertragsende hätte abwarten können.666 Das Bundesgericht hat deshalb den Schadenersatz
im „Börsengebäude-Zürich-Fall“667 und in ähnlich gelagerten Fällen668 erheblich herabgesetzt. –
Mit dem soeben Gesagten soll jedoch keine Stellung genommen werden zur Frage, ob und unter
welchen Voraussetzungen eine Vertragsanpassung oder -auflösung bei Verwendungserschwerung
bzw. -unmöglichkeit zulässig und geboten ist.
2. Bei Verantwortung des Gläubigers
525 Wurde die Leistung durch einen im Gefahrenbereich des Gläubigers eingetretenen (zufälligen) Umstand669 übermässig erschwert, so kann der Richter den Gläubiger zum Ersatz der Auslagen des Schuldners verpflichten. Dies ergibt sich aus Analogie zu Art. 378
Abs. 1 OR auch Art. 376 Abs. 3 OR.670 Zu denken ist insbesondere an Umstände, die in
der Person des Gläubigers, seines Betriebs, seinem Verhalten, dem Verhalten seiner
Hilfspersonen oder sonst in seinem vertraglichen Risikobereich gründen.671 Gegebenenfalls hat der Schuldner Anspruch auf Ersatz der Auslagen, welche er im Hinblick auf die
Leistungserbringung getätigt hat, und die nun „verloren“ sind.672 Hat der Schuldner die
Leistung bereits teilweise erbracht, hat er zudem Anspruch auf eine Teilvergütung, d. h.
auf eine teilweise Erbringung der vereinbarten Gegenleistung (Nr. 504 ff.). Der Anspruch auf Auslagenersatz reduziert sich in diesem Falle auf Auslagen, welche durch die
Teilvergütung nicht bereits abgegolten sind (vgl. Art. 378 Abs. 2 OR).
666 Die Verurteilung zu ungekürztem Schadenersatz kommt bei Verwendungserschwerung wirtschaftlich der Verweigerung der Vertragsanpassung gleich.
667 BGE 61 II 261 ff.
668 BGE 46 II 172 f. Vgl. ferner BGE 48 II 252 f.
669 Vgl. zur Abgrenzung des Gefahrenbereichs des Gläubigers im werkvertraglichen Kontext
GAUCH, Werkvertrag, Nr. 724 f.; HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 3 zu Art. 378 OR; ZINDEL/
PULVER, BasK, N 16 zu Art. 378 OR.
670 In wessen Gefahrenbereich ein Ereignis eingetreten ist, wird von den Gerichten beispielsweise
auch bei der Bestimmung der vermögensrechtlichen Folgen der fristlosen Auflösung eines
Arbeitsvertrages gemäss Art. 337b Abs. 2 OR berücksichtigt, vgl. STAEHELIN, ZürK, N 11 zu
Art. 337b OR, m. Hw.; STREIFF/VON KAENEL, N 7 zu Art. 337b OR, m. Hw.
671 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 724, m. Hw.
672 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 731.
173
526 Trifft den Gläubiger am Eintritt der übermässigen Leistungserschwerung zudem ein
Verschulden, oder hat er aus anderem Grunde dafür einzustehen (z. B. nach Art. 101
OR), so hat der Schuldner Anspruch auf Schadenersatz (Art. 378 Abs. 2 OR, Art. 376
Abs. 3 OR und Art. 337b Abs. 1 OR). Zu ersetzen ist grundsätzlich das positive
Vertragsinteresse;673 der Schuldner soll so gestellt werden, wie wenn der Vertrag ohne
Eintritt der vom Gläubiger verschuldeten übermässigen Leistungserschwerung erfüllt
worden wäre. Auszugehen ist damit vom Erfüllungsaufwand, der dem Schuldner ohne
das schuldhafte Verhalten des Gläubigers entstanden wäre.
3. Mangels Verantwortung des Schuldners und des Gläubigers
527 Trifft weder den Schuldner noch den Gläubiger eine Verantwortung am Eintritt der
übermässigen Leistungserschwerung, ist keine der Parteien zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet. Auch die Verurteilung zu einer Ersatzleistung kommt – mit der Ausnahme eines Anspruchs auf ein stellvertretendes Commodum bzw. (wenn der Vollstreckungstheorie oder der Erfüllungstheorie gefolgt wird) eines Anspruchs auf Ersatzvornahme nach Art. 98 Abs. 1 OR – nicht in Frage.
528 In Ausnahmefälle mag diese Rechtslage nicht vollständig befriedigen, beispielsweise
wenn sich bei einer Teilerschwerung die Leistung des Gläubigers nicht im gewünschten
Verhältnis teilen lässt. Die Lehre zur clausula rebus sic stantibus gibt dem Richter denn
auch das Recht, der einen oder anderen Vertragspartei auch bei fehlendem Verschulden
eine Schadenersatzleistung (oder „Kompensationsleistung“674) zuzusprechen,675 „um
einen gerechten und billigen Ausgleich der beiderseitigen Interessen zu erreichen“.676
Solange Kompensationszahlungen – wie im Beispiel – zur Behebung von Wertdifferenzen oder anderer Schwierigkeiten bei der Vertragsanpassung beschränkt bleiben und
sich auf den hypothetischen Parteiwillen abstützen, ist dagegen nichts einzuwenden.
Keinesfalls dürfen aber solche Kompensationszahlungen zur Einführung einer verschuldensunabhängigen Haftung missbraucht werden.
529 Verschuldensunabhängige Kompensationszahlungen stehen im Widerspruch zum Grundsatz, dass
Schadenersatz wegen einer Vertragsverletzung im Schweizer Recht – mit Ausnahme des Wiener
Kaufrechts677 – immer von einem Verschulden (Art. 97 Abs. 1, Art. 103, Art. 107 Abs. 2 OR etc.)
673 Vgl. zur Berechnung GAUCH, Werkvertrag, Nr. 735; ZINDEL/PULVER, BasK, N 21 zu Art. 378
OR.
674 SCHMITZ, S. 65.
675 OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 247 f.; SCHMITZ, S. 65 f.; TERCIER, clausula, JdT
127 (1979) I, S. 210; DESCHENAUX, SPR II, S. 204; KGer SG, SJZ 64 (1968), S. 361; implizit
wohl auch JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 635 zu Art. 18 OR; ferner in Bezug auf Art. 373 Abs. 2 OR
ERDIN, Nr. 449; vgl. auch HGer ZH, ZR 95 (1996) Nr. 51, S. 158 ff.
676 BISCHOFF, S. 232.
677 Vgl. statt vieler KELLER/SIEHR, S. 160.
174
oder einer anderen Verantwortung (z. B. aus Art. 101 OR oder Haftung für casus mixtus, z. B.
Art. 103 Abs. 1 OR) abhängig ist:678 Der Gläubiger kann zwar – sofern keine übermässige Leistungserschwerung vorliegt – unabhängig vom Verschulden des Schuldners Realerfüllung fordern.
Schadenersatz schuldet der Schuldner jedoch nur, wenn ihn ein Verschulden oder eine andere
Verantwortung trifft. Verschuldensunabhängige Kompensationszahlungen müssen deshalb im
Schweizer Recht die Ausnahme bilden, wenn eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien fehlt.
678 MÜLLER-CHEN, S. 330, m. Hw.
175
176
Teil 4: Einzelfragen
§ 11 Der Anspruch auf eine Ersatzleistung
I.
Vorbemerkung
530 Grundsätzlich ist der Schuldner nur zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Leistung verpflichtet. Der Gläubiger kann nur diese und keine andere Leistung fordern.
Diese Rechtslage kann für den Gläubiger unbillig erscheinen, wenn der Schuldner die
Erbringung der vereinbarten Leistung wegen übermässiger Leistungserschwerung verweigern kann. Es fragt sich deshalb, ob der Gläubiger bei übermässiger Leistungserschwerung nicht ausnahmsweise eine andere Leistung als Ersatz für die vertraglich
vereinbarte Leistung (eine „Ersatzleistung“) fordern kann. Das Gesetz gibt gewisse
Ansatzpunkte für die Gutheissung eines solchen Anspruchs auf Ersatzleistung (vgl. Nr.
535 ff.). Bevor auf diese eingegangen wird, sind jedoch zwei Vorbemerkungen anzubringen:
531 –
Eine echte Ersatzleistung liegt vor, wenn der Gläubiger eine andere Leistung als
die vertragliche vereinbarte Leistung fordert. Beispielsweise fordert der Gläubiger
eine andere Sache als die geschuldete Speziessache, eine Leistung eines Dritten
anstatt der vereinbarten persönlichen Dienstleistung des Schuldners oder Ware,
welche nicht der vereinbarten Gattung entspricht. Davon abzugrenzen ist eine unechte Ersatzleistung, welche der vertraglich vereinbarten Leistung gerade noch
entspricht, auch wenn sie in gewissen Nebenpunkten oder Modalitäten der Leistung von der vollständig vertragsgemässen Erfüllung abweicht. Beispielsweise fordert der Gläubiger Ware, die zwar minderer Qualität ist, von der vertraglichen
Umschreibung der zu liefernden Gattungsware aber noch gedeckt ist. Eine solche
unechte Ersatzleistung kann der Gläubiger direkt gestützt auf den Anspruch auf
Realerfüllung fordern, ohne dass sich besondere Fragen des Bestands eines Anspruchs auf eine (echte) Ersatzleistung stellen. Ob das eine oder das andere vorliegt, ist durch Auslegung des Vertrages in Bezug auf die geschuldete Leistung zu
bestimmen.
532
Beispiel: „Aprikosenmark-Fall“:679 Die Migros AG, Zürich kaufte im Juni 1941 von
der Andalpin AG, Zürich 1000 Kisten zu je 10 Büchsen Aprikosenmark „Extra“, Marke
„La Torrentina“, zum Preis von CHF 43.50 pro Kiste, franko spanische Grenze.
Andalpin AG lieferte 200 Kisten, und berief sich des weiteren darauf, es sei wegen eines
679 BGE 69 II 97 ff.
177
Ausfuhrverbots der spanischen Behörden nicht möglich, die übrigen 800 Kisten Aprikosenmark in Blechbüchsen zu liefern. Die Migros beharrte auf Lieferung und erklärte sich
bereit, das Aprikosenmark notfalls auch in Holzfässern anzunehmen. Das Bundesgericht
prüfte richtigerweise vorab die Frage, ob Aprikosenmark in Holzfässern der vereinbarten
Leistung entsprach, was es – m. E. zu unrecht680 – bejahte.
533 –
Ein Anspruch auf eine (echte oder unechte) Ersatzleistung steht sodann nur zur
Diskussion, wenn die Erbringung der fraglichen (echten oder unechten) Ersatzleistung selbst nicht übermässig erschwert ist. Wenn beispielsweise im Aprikosenmark-Fall (Nr. 532) die Lieferung von spanischem Aprikosenmark in Blechbüchsen wegen eines Ausfuhrverbots der spanischen Behörden übermässig erschwert
ist, so kommt die Verurteilung des Schuldners zur Lieferung von Aprikosenmark
in Holzfässern jedenfalls nur dann in Frage, wenn dies mit verhältnismässigen
Erfüllungsanstrengungen möglich ist, also namentlich dann nicht, wenn sich das
Ausfuhrverbot auch auf Aprikosenmark in Holzfässer bezieht.681 Das versteht sich
von selbst, ist unbestritten682 und bedarf keiner weiteren Erläuterung.
680 Das Bundesgericht hat auf diese Frage die Kriterien zur Abgrenzung einer Schlechtlieferung
(peius) von einer Falschlieferung (aliud) bei Gattungsschulden angewandt und damit auf die Verkehrsauffassung und den im Einzelfall vereinbarten Verwendungszweck abgestellt, BGE 69 II
100 f. Im Ergebnis hielt es fest: „Im vorliegenden Fall besteht der Unterschied zwischen der bestellten und der allenfalls noch lieferbaren Ware abgesehen von der Marke einzig in der verschiedenen Packung, die auch eine schlechtere Qualität zur Folge haben kann. Es liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, dass gerade diese Unterschiede Kennzeichen verschiedener Gattungen darstellen.
Vielmehr ist der Regelfall anzunehmen, dass es sich, da in beiden Fällen die gleiche Frucht in
Frage steht, auch rechtlich um die gleiche Gattung handelt. Die angeführten Unterschiede sind
wohl geeignet, dem Käufer unter Umständen einen Preisminderungs- oder Wandelungsanspruch
zu verschaffen. Sie reichen aber nicht aus, um die Sache zu einer andern zu machen.“ BGE 69 II
101.
Das vom Bundesgericht angewandte Kriterium (Abgrenzung zwischen peius und aliud, vgl. dazu
BGE 121 II 453 ff.) ist nur eines von mehreren möglichen Kriterien. Beispielsweise hätte auch
darauf abstellt werden können, ob der Gläubiger bei Lieferung von Aprikosenmark in Holzfässern zur Wandelung des Vertrages berechtigt gewesen wäre. M. E. ist entscheidend, welche der
vereinbarten Merkmale (i. c. z. B. das Prädikat „Extra“, die Marke „La Torrentina“ oder die Verpackung in Büchsen) gemäss der Auffassung der Parteien wesentliche Elemente der Gattungsumschreibung sind, nicht blosse Modalitäten der Leistungserbringung, von welchen der Schuldner
notfalls abweichen muss. Welche Leistung der Gläubiger fordern kann, ist selbstständig, d. h.
unabhängig von anderen Abgrenzungen durch Vertragsauslegung zu bestimmen. Dabei sind alle
Umstände des Vertrages zu berücksichtigen, – falls diese keinen eindeutigen Schluss zulassen –
auch eine allfällige Verkehrsauffassung.
681 Das Bundesgericht wies deshalb den Entscheid an die Vorinstanz zurück zur Abklärung, ob die
Lieferung von Aprikosenmark in Holzfässern zulässig und möglich war. Gleichzeitig wies es die
Vorinstanz an abzuklären, „ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die Preise, seit
dem Kaufabschluss nicht so tiefgreifend geändert haben, dass die allenfalls noch mögliche Leistung ... nunmehr – wirtschaftlich gesehen – als eine inhaltlich völlig andere erscheinen würde...“,
BGE 69 II 101 f.
682 Die Lehre lässt die Verurteilung des Schuldners zu Naturalersatz statt Geldersatz (vgl. Nr. 535)
nur zu, wenn Naturalersatz „dem Schuldner nicht übermässige Kosten verursacht“; vgl. WEBER,
BerK, N 278 zu Art. 99 OR; BECKER, BerK, N 29 zu Art. 99 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK,
N 9 zu Art. 43 OR.
178
534 Im Folgenden wird unter einer Ersatzleistung immer eine echte Ersatzleistung verstanden, die selbst nicht übermässig erschwert ist.
II. Als Naturalersatz bei Verantwortung des Schuldners
535 Der Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung kann auf den Schadenersatzanspruch abgestützt werden. Wie gesagt hat der Gläubiger unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Schadenersatz bemessen nach dem positiven Vertragsinteresse,
wenn den Schuldner ein Verschulden oder eine andere Verantwortung am Eintritt
einer übermässigen Leistungserschwerung trifft (Nr. 481 ff. und Nr. 519 ff.). Der
Schadenersatz besteht in der Regel in einer Geldleistung.683 Gemäss Art. 43 Abs. 1 OR
i. V. m. Art. 99 Abs. 1 OR ist es freilich Sache des Richters, die Art des Schadenersatzes zu bestimmen.684 Der Richter kann anstatt auf Leistung einer Geldsumme auf Naturalersatz erkennen, sofern Naturalersatz den Umständen des Falles besser entspricht
(Art. 43 Abs. 1 OR), d. h. nach der Beschaffenheit des Schadens und den Verhältnissen der Parteien zweckmässiger oder besser durchführbar ist.685 Insbesondere kann der
Richter auf Naturalersatz erkennen, wenn dies den Interessen des Gläubigers besser
entspricht.686 Der Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung kann deshalb als
Schadenersatzanspruch in der Form von Naturalersatz aufgefasst werden.687
536 Bei dieser dogmatischen Grundlage setzt der Anspruch auf eine Ersatzleistung erstens
ein Verschulden bzw. eine andere Verantwortung des Schuldners voraus sowie
zweitens, dass die Ersatzleistung den Interessen des Gläubigers besser entspricht als
Geldersatz: Die Zusprechung einer Ersatzleistung ist damit gerechtfertigt, wenn Geldersatz den Gläubiger nicht voll zu entschädigen vermag. Dies ist namentlich bei
nicht oder schwer bewertbaren („einzigartigen“) Leistungen der Fall, ferner bei nicht
materiellen Interessen des Gläubigers,688 z. B. Affektionsinteressen, oder wenn der
Gläubiger spekulative Erwartungen mit der Erfüllung verbindet, welche zu unsicher
sind, um Grundlage für die Bemessung von Schadenersatz zu bilden. Für die
683 Vgl. z. B. BARTH, S. 70, m. w. Hw., und S. 72; BECKER, BerK, N 29 zu Art. 99 OR; VON BÜREN,
OR AT, S. 32 und 72; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2785; SCHWENZER, Nr. 15.04; VON TUHR/
PETER, § 15 I, S. 115; WEBER, BerK, N 258 zu Art. 97 OR und N 274 zu Art. 99 OR; WIEGAND,
BasK, N 54 zu Art. 97 OR.
684 BARTH, S. 69; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2785; SCHWENZER, Nr. 15.01; VON TUHR/ESCHER, §
68 II, S. 101; BECKER, BerK, N 22 zu Art. 99 OR; WEBER, BerK, N 272 zu Art. 99 OR; LEMP, S.
207, der Art. 43 Abs. 1 OR allerdings analog anwendet.
685 VON TUHR/PETER, § 15 I, S. 114 f.; BARTH, S. 70.
686 VON TUHR/PETER, § 15 I, S. 115; BECKER, BerK, N 29 zu Art. 99 OR.
687 Diese Auffassung ist freilich nicht unbestritten. SCHWENZER, Nr. 15.03, lehnt beispielsweise Naturalersatz ab, wenn Schadenersatz wegen Nichterfüllung eines Vertrages verlangt wird, „da dies
dem Erfüllungsanspruch gleichkäme“.
688 SCHWENZER, Nr. 15.03.
179
Zusprechung einer Ersatzleistung als Schadenersatz kann auch sprechen, dass der
Schuldner die Ersatzleistung leichter beschaffen kann als der Gläubiger, beispielsweise
weil der Schuldner – im Gegensatz zum Gläubiger – im Handel mit solchen Waren
spezialisiert ist. Hingegen kann eine Ersatzleistung nicht gefordert werden, wenn der
Gläubiger sich die Ersatzleistung mit einer Schadenersatzleistung in Geld selbst
erwerben kann.
537
Beispiel: Der Gläubiger kauft vom Schuldner ein Bild, doch wird es vor der Übergabe an
den Gläubiger gestohlen, weil es vom Schuldner unzureichend gegen Diebstahl gesichert
wurde. Unterstellen wir, dass das gekaufte Exemplar aus einer Serie von Bildern desselben Malers stammt, von welcher der Schuldner noch weitere Exemplare besitzt. Hier
kann die Zusprechung eines gleichwertigen Exemplars derselben Serie sinnvoll sein.
538 Hinsichtlich des Gegenstands der Ersatzleistung ist einschränkend festzuhalten, dass
der Schuldner wohl nur zu einer gleichartigen und (mehr oder weniger) gleichwertigen
Leistung verpflichtet werden kann.689 Es geht nicht an, dass der Gläubiger unter dem
Titel der Ersatzleistung etwas völlig anderes verlangt, als der Schuldner sich zu liefern
verpflichtet hat.690 Ist die Erbringung einer gleichartigen und gleichwertigen Leistung
nicht möglich, z. B. weil auch dies übermässig erschwert ist, so muss sich der Gläubiger mit Geldersatz begnügen.
III. Mangels Verantwortung des Schuldners
1. Anspruch auf ein stellvertretendes Commodum
539 Mit dem Schadenersatzanspruch lässt sich der Anspruch auf eine Ersatzleistung nicht
begründen, wenn den Schuldner keine Verantwortung an der eingetretenen Leistungserschwerung trifft. Immerhin hat der Gläubiger gemäss der Lehre und Rechtsprechung
bei nachträglicher, vom Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit Anspruch auf
ein allfälliges vom Schuldner erworbenes stellvertretendes Commodum: Leistungen
oder Ansprüche, welche der Schuldner als Ersatz für die entfallene Leistung im Zusammenhang mit dem Eintritt der Unmöglichkeit erwirbt, können vom Gläubiger an
Stelle der unmöglich gewordenen Leistung herausverlangt werden.691 Begründet wird
der Anspruch auf das stellvertretende Commodum mit dem Argument, dass die Befreiung vom Realerfüllungsanspruch bei Unmöglichkeit nur dann den Anforderungen der
689 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 68 II, S. 101; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 10 zu Art. 43 OR.
690 Dies schliesst m. E. jedoch weder die Zusprechung einer Dienstleistung eines Dritten an Stelle
einer persönlichen Leistung noch die Zusprechung einer Speziessache anstelle einer anderen
Speziessache zwingend aus.
691 BGE 51 II 175 f.; BGE 46 II 436 ff.; BGE 43 II 234; KELLER/SCHÖBI, I, S. 250; VON TUHR/
ESCHER, § 71 I 2, S. 131 ff.; BUCHER, OR AT, S. 424 ff.; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 187 ff.
180
Billigkeit entspricht, wenn der Schuldner die erlangte Ersatzleistung herausgibt.692
Analog zur Rechtslage bei Unmöglichkeit ist auch bei übermässiger Leistungserschwerung ein Anspruch auf das stellvertretende Commodum zuzulassen, wenn der
Schuldner ausnahmsweise in Zusammenhang mit dem Eintritt einer übermässigen
Leistungserschwerung ein stellvertretendes Commodum erwirbt.693
2. Im Allgemeinen: Kein Anspruch auf eine Ersatzleistung
540 Im Allgemeinen ist ein Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung bei fehlender
Verantwortung des Schuldners an der übermässigen Leistungserschwerung nach hier
vertretener Auffassung abzulehnen, und zwar aus grundsätzlichen Überlegungen:
541 Gemäss dem vorne Gesagten (Nr. 529) haftet der Schuldner bis zur Grenze der übermässigen Leistungserschwerung verschuldensunabhängig für Realerfüllung. Tritt aber
eine übermässige Leistungserschwerung ein, so hat er nur bei Verschulden oder anderer Verantwortung für den dem Gläubiger entstandenen Schaden einzustehen. Ein Anspruch auf eine Ersatzleistung passt in dieses Konzept, solange er sich auf den Fall der
vom Schuldner zu verantwortenden Leistungserschwerung beschränkt und an Stelle
des Schadenersatzanspruchs tritt. Bei fehlender Verantwortung des Schuldners würde
ein Anspruch auf eine Ersatzleistung hingegen zu einer Ausweitung der Haftung des
Schuldners führen: Der Gläubiger würde neben dem Realerfüllungsanspruch einen zusätzlichen verschuldensunabhängigen Anspruch erhalten. Dies widerspricht dem Konzept des Leistungsstörungsrechts des schweizerischen Obligationenrechts.
542 Wird – entgegen der hier vertretenen Auffassung – dennoch auch bei fehlender Verantwortung ein Anspruch auf eine Ersatzleistung bejaht, so müsste dieser klar eingrenzbar sein, damit die Parteien im Voraus, d. h. bereits bei Vertragsschluss wissen,
in welchen Situationen ein Ersatzanspruch bei Leistungserschwerung gegeben sein
wird. Ein solcher verschuldensunabhängiger Anspruch auf eine Ersatzleistung beeinflusst das vertragliche Austauschverhältnis (die Vertragsäquivalenz), weil der Gläubiger – bei gegebenen Voraussetzungen – die Ersatzleistung erhält, wenn er sonst leer
ausginge.694 Wichtig ist deshalb, dass ein (verschuldensunabhängiger) Anspruch auf
eine Ersatzleistung nicht nachträglich „willkürlich“ durch Richter eingeführt wird.
692 BGE 51 II 175 f.; BGE 43 II 234.
693 Zu denken ist z. B. an eine Versicherungsleistung bei Diebstahl der geschuldeten Speziessache.
694 Trifft den Schuldner eine Verantwortung an der übermässigen Leistungserschwerung, so stellt
sich dieses Problem nicht im gleichen Masse, weil die Ersatzleistung in diesem Falle grundsätzlich an Stelle des Schadenersatzanspruchs tritt. Sofern der Wert der Ersatzleistung bzw. der Aufwand der Erbringung der Ersatzleistung ungefähr der Höhe des Schadenersatzes entspricht, wird
die Vertragsäquivalenz nicht erheblich beeinflusst.
181
543 Hintergrund des Aprikosenmark-Falls695 (Nr. 532) war – wie mittelbar aus dem Entscheid hervorgeht – ein (vermutlich durch das Exportverbot verursachter) ausserordentlicher Preisanstieg von
Aprikosenmark. Es ist anzunehmen, dass die Migros nicht zuletzt auf Erfüllung – notfalls in Holzfässern – beharrte, weil sich das Geschäft für sie als äusserst günstig erwies. Indem das Bundesgericht die Leistungspflicht des Schuldners weit – m. E. zu weit – auslegte (und dem Gläubiger damit
faktisch einen Anspruch auf eine Ersatzleistung zusprach), wies es das Risiko des Preisanstiegs im
Ergebnis dem Schuldner zu. Hätte es sich strikt an den Wortlaut des Vertrages gehalten (und damit
keine Ersatzleistung zugesprochen), hätte Migros das Risiko tragen müssen. Für die Parteien ist es
entscheidend, bereits bei Vertragsschluss abschätzen zu können, wie der Entscheid im Falle eventueller Leistungshindernisse ausfallen wird – dies weil die „Preiskalkulation“ von der Risikoverteilung abhängt.
IV. Ersatzvornahme nach Art. 98 Abs. 1 OR
1. Allgemeines
544 Gemäss Art. 98 Abs. 1 OR kann sich der Gläubiger, sofern „der Schuldner zu einem
Tun verpflichtet“ ist, „ermächtigen lassen, die Leistung auf Kosten des Schuldners vorzunehmen“ (so der Wortlaut) oder durch einen Dritten vornehmen zu lassen. Bei gegebenen Voraussetzungen hat der Gläubiger Anspruch auf Ersatz oder Vorschuss696 der
Kosten der Ersatzvornahme. Ersatzvornahme kommt gemäss dem Gesetzeswortlaut nur
bei Verpflichtungen auf ein Tun (Art. 98 Abs. 1 OR) in Frage, wobei umstritten ist, ob
damit nur Arbeits- oder Dienstleistungspflichten697 oder – so die Minderheitsmeinung –
auch Sachleistungspflichten gemeint sind.698 Ferner muss die Leistung des Schuldners
gemäss der Lehre vertretbar sein;699 damit ist wohl eine unpersönliche Leistung im Sinne von Art. 68 OR gemeint.700,701 Die Ersatzvornahme im Sinne von Art. 98 Abs. 1 OR
kann als eine Art Ersatzleistung aufgefasst werden (Genaueres in Nr. 549 und 552).
695 BGE 69 II 97 ff.
696 Vgl. WEBER, BerK, N 80 zu Art. 98 OR, m. Hw.; NIKLAUS, Nr. 1.87, m. Hw.
697 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2586 f.; BUCHER, OR AT, S. 331 f.; GAUCH, Ersatzvornahme, recht
1987, S. 26, insb. Anm. 10; BECKER, BerK, N 1 zu Art. 98 OR; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 126;
WIEGAND, BasK, N 4 zu Art. 98 OR.
698 So NIKLAUS, Nr. 1.73; VON TUHR/ESCHER, § 67 IV, S. 92; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 f.
zu Art. 98 OR; WEBER, BerK, N 56 zu Art. 98 OR.
699 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2586; WIEGAND, BasK, N 4 zu Art. 98 OR; OSER/SCHÖNENBERGER,
ZürK, N 4 zu Art. 98 OR.
700 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 67 IV, S. 92; GAUCH, Ersatzvornahme, recht 1987, S. 26 Anm. 11;
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2586; NIKLAUS, Nr. 1.74; WEBER, BerK, N 54 zu Art. 98 OR. Unpersönliche Leistungen werden bisweilen auch als vertretbare Leistungen bezeichnet, vgl.
SCHRANER, ZürK, N 3 zu Art. 68 OR. Andererseits wird der Begriff auch für Sachleistungen verwendet, welche nach der Verkehrsauffassung als nach Zahl, Mass oder Gewicht und nach Qualität bestimmt (also nicht als individuell bestimmt) angesehen werden (vgl. Anm. 497).
701 Diese Auffassung drängt sich insbesondere auf, wenn der Vollstreckungs- oder Erfüllungstheorie
(Nr. 547 f.) gefolgt wird: Wäre Ersatzvornahme auch bei persönlichen Leistungen zulässig, wür-
182
545 Bei übermässiger Leistungserschwerung – wie auch generell – setzt der Bestand eines
Anspruchs auf Ersatzvornahme gemäss dem einleitend dargelegten Grundsatz (Nr.
533) zusätzlich voraus, dass die Ersatzvornahme selbst nicht übermässig erschwert ist.
Ersatzvornahme kommt deshalb nicht in Frage, wenn ein Missverhältnis zwischen den
(vom Schuldner zu tragenden) Kosten der Ersatzvornahme und dem Interesse des
Gläubigers an der Erfüllung durch Ersatzvornahme besteht.
546 Umstritten ist in der Lehre, ob durch Art. 98 Abs. 1 OR lediglich der fällige Realerfüllungsanspruch in natura durchgesetzt werden soll oder ob Art. 98 Abs. 1 OR dem Gläubiger Anspruch auf eine andere Leistung an Stelle des Realerfüllungsanspruchs gibt, die
– ähnlich wie der Schadenersatzanspruch – ein Surrogat für die Leistung darstellt. Im
Rahmen dieser Arbeit wird zu dieser Kontroverse nicht Stellung bezogen, weil beide
Auffassungen mit der hier vertretenen Ansicht zur Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung vereinbar sind. Im Einzelnen:
2. Vollstreckungstheorie und Erfüllungstheorie
547 Gemäss der herrschenden Lehre dient Art. 98 Abs. 1 OR der Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs. Demgemäss setzt die Ersatzvornahme den Bestand eines Anspruchs
auf Realerfüllung voraus.702 Ob die Leistungspflicht zusätzlich bereits durch ein entsprechendes Realerfüllungsurteil festgestellt sein muss, ist umstritten: Die Vollstreckungstheorie703 bejaht dies, die Erfüllungstheorie704 verneint dies. Gemäss keiner
der beiden Theorien wird für die Ersatzvornahme ein Verschulden des Schuldners vorausgesetzt,705 da letztlich der – verschuldensunabhänige – Realerfüllungsanspruch
durchgesetzt wird.706
548 Wird dieser Vollstreckungstheorie bzw. Erfüllungstheorie gefolgt, so hat der Schuldner
bei übermässiger Leistungserschwerung zwar das Recht, die eigene Leistung zu verwei-
702
703
704
705
706
de der Gläubiger eine Leistung erhalten, auf die er keinen Anspruch hat, und der Schuldner müsste für die Bezahlung dieser nicht geschuldeten Leistung aufkommen. Vgl. BECKER, BerK, N 1 zu
Art. 98 OR; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 126. Dies stünde im Widerspruch zu den genannten Theorien, welche davon ausgehen, dass die Ersatzvornahme lediglich der Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs dient.
Vgl. FELLMANN, recht 1993, S. 110; WIEGAND, BasK, N 2 zu Art. 98 OR; auch BUCHER, OR
AT, S. 332; GAUCH, Ersatzvornahme, recht 1987, S. 26. Entgegen dem Anschein, den die Einordnung der Bestimmung im Anschluss an Art. 97 OR erwecken könnte, besteht gemäss der herrschenden Lehre bei Unmöglichkeit der Leistung i. S. v. Art. 97 und 119 OR mangels eines Anspruchs auf Realerfüllung gerade kein Anspruch auf Ersatzvornahme.
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2588; VON TUHR/ESCHER, § 67 IV, S. 90; GAUCH, Ersatzvornahme,
recht 1987, S. 28; WEBER, BerK, N 47 zu Art. 98 OR; WIEGAND, BasK, N 6 zu Art. 98 OR.
FELLMANN, recht 1993, S. 115 f.; OGer LU, LGVE 1985 I Nr. 11, S. 28 = SJZ 83 (1987) Nr. 30,
S. 203 = ZBJV 122 (1986), S. 140 f. = BR 1987, S. 66 f., mit Anm. von Peter GAUCH.
Vgl. statt vieler VON TUHR/ESCHER, § 67 IV, S. 91 f.
WEBER, BerK, N 49 zu Art. 98 OR.
183
gern. Der Gläubiger kann jedoch auf Realerfüllung auf dem Wege der Ersatzvornahme
beharren, sofern die Kosten der Ersatzvornahme nicht in einem Missverhältnis zum Interesse des Gläubigers an der Erfüllung durch Ersatzvornahme stehen. Eine Verantwortung des Schuldners an der übermässigen Leistungserschwerung ist dafür nicht vorausgesetzt. Mit anderen Worten bezieht sich das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners nur auf die eigene Leistung, nicht auf die Ersatzvornahme. Der Realerfüllungsanspruch bleibt deshalb in beschränktem Umfang, d. h. soweit Ersatzvornahme verlangt
wird, bestehen und der Ersatzvornahme steht nichts entgegen.
549 Von einer echten Ersatzleistung kann – wenn der Vollstreckungstheorie oder der Erfüllungstheorie
gefolgt wird – nicht gesprochen werden: Da – wie gesagt – durch Art. 98 Abs. 2 OR letztlich der
Realerfüllungsanspruch durchgesetzt wird, handelt es sich bei der Ersatzvornahme um eine unechte
Ersatzleistung. Das rechtfertigt auch den Verzicht auf die Voraussetzung der Verantwortung des
Schuldners.
3. Surrogatstheorie
550 Gemäss der neuerdings von KOLLER im Berner Kommentar zum Werkvertrag vertretenen Auffassung ist Art. 98 Abs. 1 OR keine Vorschrift, die auf die Durchsetzung der
Leistung in natura zielt,707 sondern eine materiell-rechtliche Regel, welche dem Gläubiger unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Ersatz der Kosten der
Ersatzvornahme als Surrogat für die Leistung gewährt.708 Dieser Anspruch auf Kostenersatz setzt dementsprechend weder den Bestand des Realerfüllungsanspruchs noch ein
Realerfüllungsurteil voraus. Im Gegenteil, Voraussetzung für die Geltendmachung des
Kostenersatzanspruchs ist gerade, dass der Gläubiger auf die Leistung verzichtet hat
oder die Leistungspflicht aus anderem Grunde dahingefallen ist.709 Hingegen setzt
Ersatzvornahme nach KOLLER ein Verschulden des Schuldners voraus.710
551 Wird der Surrogatstheorie gefolgt, muss der Gläubiger auf die Leistung verzichten, um
einen Anspruch auf Ersatzvornahme geltend zu machen. Dies gilt auch bei übermässiger
Leistungserschwerung. Der Anspruch auf Ersatzvornahme steht dem Gläubiger so dann
nur bei Verantwortung des Schuldners zu und nur unter der Voraussetzung, dass kein
Missverhältnis zwischen den vom Schuldner zu tragenden Kosten der Ersatzvornahme
und dem Interesse des Gläubigers an der Erfüllung durch Ersatzvornahme besteht.
552 Anders als nach der Vollstreckungstheorie oder Erfüllungstheorie kann der Anspruch auf Kostenersatz nach der Surrogatstheorie als echte Ersatzleistung oder – in der Terminologie Kollers – als
707
708
709
710
184
KOLLER, BerK, N 89 zu Art. 366 OR.
KOLLER, BerK, N 90 zu Art. 366 OR.
KOLLER, BerK, N 89 f. sowie N 7 und 10 zu Art. 366 OR; NIKLAUS, Nr. 1.72 und 1.75 ff.
KOLLER, BerK, N 91 f. zu Art. 366 OR; NIKLAUS, Nr. 1.80.
Surrogat der Leistung aufgefasst werden. Als echte Ersatzleistung kommt die Ersatzvornahme nach
dem vorne Gesagten grundsätzlich nur bei Verantwortung des Schuldners in Frage.
185
§ 12 Voraussetzungen der Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR bei Leistungserschwerung
I.
Allgemeines
553 Wie gesagt gerät der Schuldner – bei gegebenen Voraussetzungen – in Verzug, wenn er
die fällige Leistung infolge Leistungserschwerung nicht rechtzeitig erbringt (Nr.
467 ff.); das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners bei übermässiger Leistungserschwerung schliesst den Eintritt des Verzuges nicht aus. Der Gläubiger kann dem
Schuldner namentlich eine angemessene Nachfrist zur nachträglichen Erfüllung ansetzen, nach ungenutztem Ablauf der Nachfrist unverzüglich auf nachträgliche Erfüllung
verzichten und die Wahlrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR (Ersatz des positiven Vertragsinteresses oder Rücktritt vom Vertrag und Ersatz des negativen Vertragsinteresses)
ausüben.
554 Die Voraussetzungen für die Geltendmachung dieser Gläubigerrechte gemäss Art. 107
Abs. 2 OR richten sich auch bei übermässiger Leistungserschwerung nach den allgemeinen Regeln. Fraglich kann jedoch sein, ob beispielsweise die Mahnung des Schuldners
oder eine Nachfristansetzung sinnvoll und erforderlich sind, wenn der Schuldner die
Leistung unter Berufung auf übermässige Leistungserschwerung verweigert. Zu unterscheiden sind verschiedene Fälle:
555 –
Vorab wird der Fall behandelt, dass der Schuldner die Leistung verweigert und sich
dabei ausdrücklich auf sein Leistungsverweigerungsrecht wegen übermässiger Leistungserschwerung beruft (Nr. 557 ff.).
556 –
Anschliessend wird auf andere Fälle eingegangen, beispielsweise wenn der Schuldner erklärt, wegen bestimmten Leistungshindernissen nicht erfüllen zu können oder
wenn die Leistung wegen der Leistungshindernisse objektiv betrachtet als gefährdet
erscheint (Nr. 566 ff.).
II. Bei ausdrücklicher Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht
1. Nachfristansetzung
557 Gemäss Art. 108 Ziff. 1 OR ist die Ansetzung einer Nachfrist nicht erforderlich,
„...wenn aus dem Verhalten des Schuldners hervorgeht, dass sie sich als unnütz erweisen
würde“. Hauptanwendungsfall dieser Bestimmung ist die Erfüllungsverweigerung:711 In
der Tat erscheint die Ansetzung einer Nachfrist zwecklos und unnütz, wenn sich der
711 SCHWENZER, Nr. 66.19; KOLLER, BerK, N 274 zu Art. 366 OR.
186
Schuldner rundweg weigert, die Leistung zu erbringen.712 Der Gläubiger ist deshalb
gegebenenfalls berechtigt, ohne Nachfristansetzung auf Erfüllung zu verzichten.713,714
Dabei muss jedoch vorausgesetzt werden, dass die Weigerung des Schuldners so klar
und endgültig ist,715 „so dass die Fristansetzung keinen Sinn mehr hätte und sich als
leere Form erweisen würde“.716 Dieses Erfordernis der Endgültigkeit der Erfüllungsverweigerung meint zweierlei:
558 –
Einerseits muss der Schuldner die Leistungsverweigerung in einer Weise zum Ausdruck bringen, dass der Gläubiger annehmen darf, der Schuldner liesse sich durch
die Nachfristansetzung nicht umstimmen. Daran fehlt es gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beispielsweise, wenn der Schuldner bloss eine Fristerstreckung verlangt,717 ohne sich über die Folgen der Verweigerung der anbegehrten Erstreckung zu äussern, oder wenn der Schuldner bloss Zweifel an der Gültigkeit des
Vertrages äussert.718
559 –
Andererseits muss der Schuldner die Erfüllung nicht nur momentan verweigern,
sondern ein für allemal, oder zumindest für so lange Zeit, dass die Leistung klarerweise innert einer angemessenen Nachfrist nicht mehr erbracht wird. Daran fehlt es,
wenn der Schuldner behauptet, momentan nicht erfüllen zu können,719 oder wenn er
die Leistung nur momentan zurückbehält.720
560 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kommt nichts darauf an, ob sich der Schuldner zu
Recht auf das Leistungsverweigerungsrecht wegen übermässiger Leistungserschwerung
beruft: Mit anderen Worten entfällt das Erfordernis der Nachfristansetzung – bei gegebenen Voraussetzungen – auch dann, wenn der Schuldner die Leistung bei nicht übermässiger Leistungserschwerung endgültig verweigert.
712 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3033; SCHENKER, Nr. 505; SCHMID, Schuldnerverzug, S. 24 f.
713 OGer ZH, ZR 40 (1941) Nr. 114, S. 300.
714 Der Schuldner braucht die Leistung nicht schlechthin zu verweigern – es genügt, wenn er nicht
zur vertragsgemässen Leistung bereit ist. Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150 Anm. 57;
ferner z. B. BGE 54 II 31 und die Vorzinstanz, HGer ZH, ZR 27 (1928) Nr. 45, S. 85.
715 Vgl. z. B. BGE 110 II 144 („clair“) = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567 („bestimmt“); OSER/
SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 zu Art. 108 OR: “ernstlich und entschieden”; SCHWENZER, Nr.
66.19: „ernsthaft und endgültig“; VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150: „ernstlich und bestimmt“; WEBER, BerK, N 13 zu Art. 108 OR: „klar und eindeutig“.
716 OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 zu Art. 108 OR.
717 BGE 110 II 145 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567. Anders wiederum BGE 116 II 430 f., wo das
BGer festhielt, der Gläubiger, der auf rasche Erfüllung beharre, könne ohne Nachfristansetzung
auf Realerfüllung verzichten, wenn der Schuldner den Kaufpreis neu zu verhandeln versucht.
718 BGE 110 II 145 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567; VOSER, S. 89 f. Anders wiederum, wenn der
Schuldner „bestimmt erklärt hat, nicht in der verlangten Art und Weise erfüllen zu w o l l e n,
weil er sich, nach s e i n e r Auffassung des Vertrages, hiezu nicht für verpflichtet hält“, Pra 1
(1912) Nr. 42, S. 111; zustimmend VOSER, S. 89.
719 BGE 110 II 145 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567.
720 BGE 48 II 408.
187
2. Mahnung
561 Der Gedanke von Art. 108 Ziff. 1 OR kann auch auf das Erfordernis der Mahnung übertragen werden.721 „Das Erfordernis der Mahnung bezweckt, den Schuldner gegen eine
allzu harte Behandlung zu schützen, wenn die Erfüllungszeit ihm unbekannt oder unbestimmt ist“.722 Der Schuldner soll erkennen, dass der Gläubiger die Leistung nun bestimmt verlangt. Wenn aber der Schuldner die Leistung zuvor bereits endgültig verweigert hat, so braucht er nicht zu wissen, ob und wann der Gläubiger die Leistung verlange.723 Grundsätzlich entfällt deshalb bei endgültiger Leistungsverweigerung auch das
Erfordernis der Mahnung.724
562 An das Endgültigkeitserfordernis (Nr. 557 ff.) sind hier aber erhöhte Anforderungen
zu stellen, muss doch der Gläubiger gestützt auf das Verhalten des Schuldners annehmen dürfen, der Schuldner liesse sich weder durch Mahnung noch durch Nachfristansetzung zur Erfüllung bewegen.725 „Ergibt sich aus der Erklärung oder aus den Umständen,
dass der Schuldner vielleicht doch noch leisten wird, wenn der Gläubiger darauf besteht,
so ist Mahnung am Platz und daher Voraussetzung...“726 der Gläubigerrechte.
3. Fälligkeit
563 Schliesslich fragt sich, ob der Gläubiger bereits vor Eintritt der Fälligkeit Gläubigerrechte analog zu Art. 107 Abs. 2 OR geltend machen kann, wenn der Schuldner die Leistung
in diesem Zeitpunkt verweigert.727 Dies ist umstritten, wird in der Lehre jedoch mehrheitlich bejaht.728 Es kann dem Gläubiger nicht zugemutet werden, an einen synallagma721 Das aOR enthielt keine Art. 108 Ziff. 1 OR entsprechende Bestimmung, doch wurde eine entsprechende Regel von der Rechtsprechung entwickelt (vgl. z. B. Pra 1 (1912) Nr. 42, S. 111) und bei
der Revision ins OR aufgenommen; vgl. VOSER, S. 34; VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150
Anm. 55. Es scheint deshalb durchaus zulässig, auch in Bezug auf die Mahnung die nötigen ergänzenden Regeln durch richterliche Rechtsfindung zu bilden.
722 Pra 60 (1971) Nr. 143, S. 448 = BGE 97 II 64.
723 SCHMID, Schuldnerverzug, S. 11.
724 BGE 110 II 144 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567; VOSER, S. 34: „Der sich beharrlich weigernde
Schuldner hat kein Recht, sich darauf zu berufen, er sei nicht gemahnt worden.“
725 VON TUHR/ESCHER, § 72 IV 4, S. 141; zustimmend BGE 97 II 64 = Pra 60 (1971) Nr. 143, S.
449; BGE 94 II 32 = Pra 57 (1968) Nr. 145, S. 511; OGer ZH, ZR 40 (1941) Nr. 114, S. 300;
ferner OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 15 zu Art. 102 OR.
726 VON TUHR/ESCHER, § 72 IV 4, S. 141 Anm. 55.
727 Die Lehre spricht in diesem Fall von einem „antizipierten Vertragsbruch“, vgl. GAUCH/SCHLUEP/
REY, Nr. 2676.
728 OGer ZH, ZR 40 (1941) Nr. 114, S. 300: „Die Art. 107 ff. OR, die nach ihrem Wortlaute und
ihrer Stellung im System des Gesetzes Verzug des Schuldners voraussetzen, sind hier nicht unmittelbar, sondern nur allenfalls analog anwendbar.“ BGE 69 II 243 ff. Ferner GAUCH/SCHLUEP/
REY, Nr. 2676; OGer ZH, ZR 40 (1941) Nr. 114, S. 300; GÖSCHKE, ZBJV 60 (1924), S. 72;
Eduard HONEGGER, Über das Rücktrittsrecht bei gegenseitigen Verträgen nach dem Schweizerischen Obligationenrecht, Diss. Zürich 1926, S. 33 und 39.
188
tischen Vertrag gebunden zu bleiben, wenn sich das vertragswidrige Verhalten des
Schuldners aufgrund der Verweigerungserklärung mit Gewissheit voraussehen lässt.729
564 Dogmatisch kann diese Auffassung auf Art. 366 OR abgestützt werden: Aus dieser Bestimmung
lässt sich der allgemeine Grundsatz ableiten, dass vorzeitige Gläubigerrechte überall dort gerechtfertigt sind, „wo – wie bei Art. 366 OR – der Vertragszweck erheblich gefährdet und es dem Gläubiger
aus diesem Grund nicht mehr zumutbar ist, an der Leistung festzuhalten“.730
565 Vor Fälligkeit sind aber noch strengere Anforderungen an die Endgültigkeit der Erfüllungsverweigerung (Nr. 557 ff.) zu stellen.731 Zulässig ist die Ausübung von Gläubigerrechten nur, wenn der Gläubiger annehmen darf, dass der Schuldner seine Meinung bis
zum Eintritt der Fälligkeit nicht ändern wird. Weil dies kaum je mit Sicherheit feststeht,
lehnen VON TUHR/ESCHER732 und OSER/SCHÖNENBERGER733 den Verzicht bei Erfüllungsverweigerung vor Fälligkeit gänzlich ab.734 Das geht meines Erachtens zu weit:
Der Schuldner, der die Erfüllung vor Fälligkeit verweigert, muss sich auf seine Erklärung behaften lassen und soll nicht Zeit gewinnen können mit dem Argument, er könne
seine Meinung ja noch ändern.735
III. Mangels ausdrücklicher Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht
566 Zusammenfassend kann der Gläubiger nach dem Gesagten ohne Mahnung, Nachfristansetzung und sogar bereits vor Eintritt der Fälligkeit die Gläubigerrechte gemäss Art. 107
Abs. 2 OR ausüben, wenn der Schuldner die Leistung unter Berufung auf sein Leistungsverweigerungsrecht wegen übermässiger Leistungserschwerung endgültig verweigert. Erleichterte Voraussetzungen können aber auch ohne ausdrückliche Leistungsverweigerung gerechtfertigt sein:
567 1. Gleich zu behandeln wie die ausdrückliche endgültige Leistungsverweigerung ist
der Fall, wenn der Schuldner endgültig erklärt, er könne wegen unüberwindbaren Leistungshindernissen nicht leisten.736 Der Schuldner muss sich auf seine Aussage behaften
lassen: Es kann dem Gläubiger nicht zugemutet werden, an einen Vertrag gebunden zu
sein, von dem der Schuldner erklärt, dass er ihn nicht wird erfüllen können.
729
730
731
732
733
734
735
SCHENKER, Nr. 225.
Vgl. KOLLER, BerK, N 26 zu Art. 366 OR.
GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2676.
VON TUHR/ESCHER, § 72 IV 4, Anm. 53.
OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 15 zu Art. 102 OR und N 3 zu Art. 108 OR.
Vgl. auch SCHMID, Schuldnerverzug, S. 25; VOSER, S. 89 f., mit Einschränkungen.
Umgekehrt „darf eine [blosse] Ansichtsäusserung nicht schlechthin als Willensäusserung ausgelegt und aus konkludenten Handlungen nicht leicht auf definitive Weigerung geschlossen werden,
noch nicht fällige Raten zu liefern“, BGE 45 II 61 f. betr. Sukzessivlieferungsvertrag.
736 SCHENKER, Nr. 505; VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150; BGE 32 II 122; AppGer TI, SJZ 55
(1959) Nr. 27, S. 74.
189
568
Beispiel: In BGE 43 II 225 hatte sich der Verkäufer von aus dem Ausland zu lieferndem
Getreide „seit dem Beginn des Lieferungsverzugs stetsfort und bestimmt gegenüber dem
Begehren des Beklagten auf Realleistung ablehnend verhalten und sich auf den Standpunkt gestellt, die Lieferung sei ihm durch den Kriegsausbruch verunmöglicht worden
und es könne sich nur noch um Leistung einer Geldentschädigung ... handeln. Dass sich
der Kläger [der Verkäufer] von dieser Auffassung noch durch Fristansetzung werde abbringen lassen, musste ... als ausgeschlossen gelten...“737
569 2. Ebenso kann der Gläubiger die Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR unter
erleichterten Voraussetzungen geltend machen, wenn objektiv feststeht, dass der
Schuldner nicht rechtzeitig wird erfüllen können. Beispielsweise ist der Schuldner wegen der Leistungserschwerung mit der Erfüllung so in Rückstand, dass weder das Abwarten der Fälligkeit, noch eine Mahnung, noch eine angemessene Nachfrist ihm zur
nachträglichen Erfüllung ausreichen würden.738
570 3. Hingegen besteht kein Recht zur Geltendmachung von Gläubigerrechten unter erleichterten Voraussetzungen, wenn das Verhalten des Schuldners bloss als Versuch zu
interpretieren ist, bessere Vertragsbedingungen auszuhandeln, solange nicht sichergestellt ist, dass der Schuldner nicht trotzdem zu den ursprünglichen Bedingungen zu erfüllen bereit ist. Dies gilt namentlich dann, wenn der Schuldner auf das Verständnis des
Gläubigers für die Leistungshindernisse hofft und eine Abänderung der Vertragsbedingungen, namentlich eine Fristerstreckung auszuhandeln versucht.739
571
Beispiel: In BGE 110 II 141 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 566 schrieb die X Meubles SA
dem Käufer am 19. Mai 1980, die Lieferung der verkauften Möbel werde im Laufe des
Juli 1980 erfolgen (statt Ende Mai 1980); sie könne die Möbel vom Lieferanten nicht
früher erhalten. Das Bundesgericht hielt fest, beide Parteien seien mit Recht davon ausgegangen, der Brief vom 19. Mai 1980 sei als eine Offerte der Verkäuferin zur Änderung
des Liefertermins zu betrachten; der Brief habe aber nicht gesagt, welche Folgen eine
Ablehnung der Offerte hätte. Es habe jedenfalls nicht als ausgeschlossen erschienen, dass
die Lieferung noch innert der vereinbarten Frist hätte erfolgen können, oder mindestens
innert der angemessenen Frist, die der Käufer der Verkäuferin hätte ansetzen sollen.
Unter diesen Umständen erscheine die Mahnung nicht als unnütz.
737 BGE 43 II 230.
738 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3033; SCHENKER, Nr. 505; BECKER, BerK, N 4 zu Art. 108 OR;
VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150; SCHMID, Schuldnerverzug, S. 25; VOSER, S. 91. BGE 97
II 64; ferner KGer SG, GVP 1991, Nr. 38 S. 85.
739 Vgl. Anm. 717.
190
§ 13 Vom Verschulden des Schuldners bei Leistungserschwerung
I.
Allgemeines
572 Im Rahmen dieser Arbeit war bereits an verschiedener Stelle von der Verantwortung des
Schuldners die Rede: Die Verantwortung des Schuldners bildet namentlich eine Voraussetzung für den Schadenersatzanspruch (vgl. Nr. 473, 480 ff. und 519 ff.), und – nach
hier vertretener Auffassung – für den Anspruch auf eine Ersatzleistung (Nr. 535 ff.).
573 Der Hauptfall der Verantwortung bildet das Verschulden. Daneben trifft den Schuldner
in verschiedenen anderen Fällen eine Verantwortung, beispielsweise bei der bereits erwähnten Haftung für Zufall bei Schuldnerverzug (Nr. 474), bei Haftung aus Billigkeit
(Art. 54 Abs. 1 OR) oder bei besonderer vertraglicher Vereinbarung. Praktisch am bedeutendsten ist jedoch neben dem Verschulden der Fall, dass der Schuldner gemäss Art.
101 OR für das Verhalten einer Hilfsperson einzustehen hat.740
574 Im Folgenden spreche ich ausschliesslich vom Verschulden des Schuldners. Der urteilsfähige Schuldner, der seine vertraglichen Pflichten kennt,741 handelt schuldhaft, wenn er
eine vertragliche Pflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt.742 Bei Leistungserschwerung ist insbesondere an vier typische Fallkonstellationen zu denken:
575 –
der Schuldner führt ein Leistungshindernis (bzw. eine Leistungserschwerung, was
gleichbedeutend ist, vgl. Nr. 9) aktiv herbei (Nr. 580 ff.);
576 –
der Schuldner verhindert den Eintritt eines Leistungshindernisses pflichtwidrig nicht
(Nr. 582 ff.);
577 –
der Schuldner überwindet ein Leistungshindernis, welches er überwinden müsste,
pflichtwidrig nicht (Nr. 590 ff.); und
578 –
der Schuldner klärt den Gläubiger pflichtwidrig bei Vertragsschluss über drohende
Leistungshindernisse nicht auf, obwohl er mit deren Eintritt rechnet oder rechnen
muss (Nr. 595 ff.).
579 Dabei wird immer unterstellt, dass der Schuldner die Leistung infolge des Leistungshindernisses (bzw. der Leistungserschwerung) nicht, nicht rechtzeitig oder sonst wie nicht
vertragskonform erbringt. Das versteht sich von selbst: Der Schuldner, der beispielsweise ein Leistungshindernis herbeiführt oder den Gläubiger über ein drohendes Leistungshindernis nicht aufklärt, aber dennoch rechtzeitig und vollständig vertragskonform er740 Vgl. zu den Haftungsvoraussetzungen statt vieler WEBER, BerK, N 39 ff. zu Art. 101 OR;
KOLLER, Erfüllungsgehilfe, Nr. 109 ff.
741 Vgl. zur entschuldbaren Unkenntnis von Leistungspflichten z. B. VON TUHR/ESCHER, § 69 III, S.
116; BUCHER, OR AT, S. 347; WEBER, BerK, N 26 zu Art. 99 OR.
191
füllt, begeht keine Pflichtverletzung, und die Frage der Verantwortung des Schuldners
stellt sich damit auch nicht.
II. Aktives Herbeiführen eines Leistungshindernisses
580 Den Schuldner trifft – wie gesagt – ein Verschulden, wenn er ein Leistungshindernis
durch aktives Tun vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt. Beispielsweise handelt
der Verkäufer einer Speziessache schuldhaft, wenn er die Speziessache im vollen Bewusstsein, den Vertrag mit dem Käufer zu verletzen, an einen Dritten verkauft und überträgt (absichtlicher Doppelverkauf).743 Ebenso trifft ihn ein Verschulden, wenn er die
Speziessache in nicht entschuldbarem Irrtum doppelt verkauft (fahrlässiger Doppelverkauf).
581 Besondere Probleme stellen sich (namentlich bei Dienstleistungsschulden), wenn der
Schuldner bei oder neben der Vertragserfüllung Tätigkeiten vornimmt, die seine Gesundheit oder sonstige Leistungsfähigkeit gefährden. Der Schuldner begibt sich beispielsweise mit völlig ungeeigneter Ausrüstung auf eine schwierige Bergtour. Verletzt
sich der Schuldner bei einer gefährlichen Tätigkeit, kann er wegen des fahrlässigen Herbeiführens seiner Leistungsunfähigkeit haftbar werden. Es scheint jedoch angebracht,
bei der Annahme von Fahrlässigkeit Zurückhaltung zu üben.744 Jedenfalls wäre es mit
Hinblick auf die persönliche Freiheit des Schuldners verfehlt, dem Schuldner jede potentiell gefährliche Tätigkeit als Verschulden anzurechnen – gewisse Risiken darf der
Schuldner eingehen.745 Anhaltspunkt kann dabei die Lehre und Rechtsprechung zu Art.
324a OR sein.746
III. Verletzung der Pflicht zur Verhinderung von Leistungshindernissen
582 Sodann trifft den Schuldner ein Verschulden, wenn er nicht hinreichende Massnahmen zur Verhinderung des Eintritts von Leistungshindernissen trifft, obwohl er dazu verpflichtet wäre.747 Dies bedarf der Erläuterung:
742 VON TUHR/ESCHER, § 69 I, S. 114.
743 Vgl. LGVE 1980 I Nr. 155, S. 619: Der Schuldner schliesst einen neuen, vierten Automatenaufstellungsvertrag ab, obwohl er weiss, dass er aufgrund einer neuen gesetzlichen Regelung, die nur
einen Geldspielautomaten pro Gaststätte erlaubt, zwei seiner drei bestehenden Verträge auflösen
muss.
744 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2266.
745 Vgl. OGer ZH, ZR 88 (1989) Nr. 70, S. 222; STREIFF/VON KAENEL, N 29 zu Art. 324a/b OR.
746 Vgl. STREIFF/VON KAENEL, N 29 zu Art. 324a/b OR; REHBINDER, BerK, N 16 zu Art. 324a OR;
REHBINDER, BasK, N 3 zu Art. 324a OR; alle mit zahlreichen Hw. auf die Rechtsprechung.
747 Vgl. ERDIN, Nr. 349.
192
583 1. Die Haftung des Schuldners setzt den Bestand einer Pflicht des Schuldners zur Verhinderung des Eintritts von Leistungshindernissen voraus. Bei solchen Pflichten handelt
es sich um vertragliche Nebenpflichten, deren Funktion in der Ermöglichung und Sicherung der Leistungserbringung liegt (leistungssichernde oder leistungsorientierte Nebenpflichten).748 Sie zielen auf den Schutz des Leistungsinteresses. Zu denken ist beispielsweise an die Pflicht, den Vertragsgegenstand oder das Vertragsobjekt (beispielsweise
das zu reparierende Fahrzeug, vgl. Nr. 585) vor Beschädigung, Diebstahl oder anderem
zu sichern.749
584 2. Leistungssichernde Nebenpflichten (in der Lehre auch Obhuts-, Fürsorge-, Erhaltungs- oder Schutzpflichten genannt) werden zuweilen ausdrücklich oder stillschweigend vertraglich vereinbart. Teilweise, jedoch nur punktuell, sind sie auch im Gesetz
verankert (vgl. z. B. Art. 256 und 284 OR sowie Nr. 585).
585
Beispiel: Den Unternehmer trifft gemäss Art. 365 Abs. 2 OR die Pflicht, vom Besteller
gelieferten Stoff mit aller Sorgfalt zu behandeln. Das Bundesgericht hat diese Bestimmung in BGE 113 II 421 ff. = Pra 77 (1988) Nr. 110, S. 404 ff. auf den Diebstahl eines
dem Garagisten zur Reparatur überlassenen Personenwagens angewandt und geprüft, ob
der Garagist der aus Art. 365 Abs. 2 OR abgeleiteten Pflicht zur Sicherung der anvertrauten Sache gegen Diebstahl750 in casu nachgekommen ist.751
586 Vor allem aber ergeben sich leistungssichernde Nebenpflichten ungeschrieben und unausgesprochen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB).752 „Der Schuldner ist verpflichtet, alles zu tun, um die richtige Erfüllung der Hauptleistung und die
Verwirklichung des Leistungserfolges zu sichern“.753 Beispielsweise muss der Verkäufer den Kaufgegenstand sachgemäss behandeln und verwahren.754 Dabei hat der Schuldner gemäss KOLLER einem Durchschnittsstandard zu genügen, der jedoch variiert, je
nachdem, welche Fähigkeiten und Eigenschaften des Schuldners dem Gläubiger bei
Vertragsschluss bekannt waren; über den Durchschnittsstandard hinausgehenden subjek748 KOLLER, positive Vertragsverletzungen, AJP 1992, S. 1485; GUHL/KOLLER, § 31 N 15; KOLLER,
BerK, N 260 zu Art. 363 OR.
749 Damit unterscheiden sich leistungssichernde Nebenpflichten namentlich von jenen, welche ausschliesslich dem Schutz der Rechtsgüter des Gläubigers, d. h. des Erhaltungsinteresses dienen.
750 Aus Art. 365 Abs. 2 OR leitet die Lehre eine umfassende Obhutspflicht (Schutz vor Lagerschäden, Beschädigung, Diebstahl, missbräuchlicher Benutzung, mutwilliger Zerstörung, schädlichen
Umwelteinflüssen etc.) ab; vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 828; GAUTSCHI, BerK, N 32c zu Art.
365 OR; BECKER, BerK, N 6 zu Art. 365 OR; KOLLER, BerK, N 32 ff. zu Art. 365 OR.
751 Vgl. BGE 113 II 422 f. Erw. 2 und 3 = Pra 77 (1988) Nr. 110, S. 405 f. Erw. 2 und 3, mit illustrativen Ausführungen zur Sicherungspflicht des Garagisten; BGE 126 III 196 f. betr. Hinterlegungsvertrag.
752 GUHL/KOLLER, § 2 N 25; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2266 und Nr. 2608; differenzierend
KOLLER, BerK, N 270 zu Art. 363 OR; BGE 114 II 65 f.; BGE 116 II 434; OGer ZH, ZR 75
(1976) Nr. 77, 200 ff.; für das Kaufrecht: GIGER, BerK, N 50 zu Art. 184 OR; KOLLER, BasK, N
70 zu Art. 184 OR.
753 GUHL/KOLLER, § 2 N 25; KOLLER, BerK, N 260 zu Art. 363 OR.
754 GIGER, BerK, N 55 zu Art. 184 OR; KELLER/SIEHR, S. 20.
193
tive Eigenschaften und Fähigkeiten hat der Schuldner einzusetzen, auch wenn sie dem
Gläubiger nicht bekannt sind (diligentia quam in suis).755
587 Leistungssichernde Nebenpflichten lassen sich nicht immer von eigentlichen Hauptpflichten unterscheiden. Zum Beispiel trifft den Verkäufer von Gattungsware – wie gesagt – eine aus dem Realerfüllungsanspruch abgeleitete Pflicht zur Beschaffung von Gattungsware. In der Wahl des Zeitpunkts
der Beschaffung ist der Verkäufer grundsätzlich frei. Wenn aber Schwierigkeiten der Beschaffung
voraussehbar sind, so dass die Beschaffung unmöglich zu werden droht, so trifft den Schuldner die
Pflicht, die Ware frühzeitig zu beschaffen und nicht bis zum Ende der Lieferfrist zuzuwarten.756
Handelt es sich bei dieser vom Bundesgericht entwickelten Pflicht zur frühzeitigen Beschaffung um
eine blosse Konkretisierung der Beschaffungspflicht des Gattungsschuldners, oder ist es eine leistungssichernde Nebenpflicht, welche die Möglichkeit der Beschaffung sichert? Die Frage kann
offengelassen werden, weil eine unterschiedliche Behandlung in unserem Zusammenhang nicht
gerechtfertigt ist (vgl. gleich nachfolgend).757
588 3. Die Verletzung leistungssichernder Nebenpflichten kann zu einer Störung der Leistungshandlung bzw. des Leistungserfolgs führen.758 Im Einzelnen können die Folgen
unterschiedlich sein. Beispielsweise kann die ungenügende Sicherung der Kaufsache zu
deren Beschädigung führen, so dass eine mittelbare Schlechterfüllung759 vorliegt. In unserem Zusammenhang interessiert freilich einzig der Fall, dass die Verletzung einer leistungssichernden Nebenpflicht in einer Leistungserschwerung resultiert. Die ungenügend
gesicherte Kaufsache wird zum Beispiel gestohlen, so dass die Übergabe der Kaufsache
verzögert wird oder schliesslich ganz ausbleibt. Solche mittelbare Leistungserschwerungstatbestände sind eigentliche Leistungserschwerungstatbestände und unterscheiden
sich von diesen nicht in den Rechtsfolgen. Die (schuldhafte) Verletzung leistungssichernder Nebenpflichten wird dem Schuldner als Verschulden an der Leistungserschwerung zugerechnet.760 Die besonderen Regeln betreffend Schlechterfüllungstatbestände oder so genannte positive Vertragsverletzungen passen für mittelbare Leistungserschwerungstatbestände nicht.
589 4. Der Schuldner kann bei Verletzung von leistungssichernden Nebenpflichten jedoch
einwenden, dass das Leistungshindernis auch eingetreten wäre, wenn er alle geschulde-
755 Genaueres bei KOLLER, BerK, N 270 ff. und 421 ff. zu Art. 363 OR.
756 BGE 44 II 514. Der Verkäufer braucht jedoch die Ware nicht während langer Zeit physisch an
Lager zu halten, sondern kann sich mit der vertraglichen Eindeckung bei Lieferanten begnügen;
vgl. BGE 45 II 41 f.
757 Vgl. auch BGE 32 II 187: Der Mieter (und Untervermieter) hat die Schlüssel vom ausziehenden
Untermieter nicht rechtzeitig herausverlangt und dem neuen Untermieter übergeben, sondern es
geschehen lassen, dass der ausziehende Untermieter die Schlüssel der Wohnungseigentümerin
aushändigte.
758 GLÄTTLI, S. 35.
759 KOLLER, positive Vertragsverletzungen, AJP 1992, S. 1485; GUHL/KOLLER, § 31 N 15.
760 Vgl. GUHL/KOLLER, § 2 N 30; GLÄTTLI, S. 35; KOLLER, BerK, N 417 f. zu Art. 363 OR.
194
ten Sicherungsmassnahmen getroffen hätte.761 Vgl. zu diesem Einwand rechtmässigen
Alternativverhaltens hinten Nr. 601.
IV. Nichtüberwindung eines überwindbaren Leistungshindernisses
590 Zudem handelt der Schuldner schuldhaft, wenn er ein Leistungshindernis, welches er
überwinden müsste, pflichtwidrig nicht überwindet. Welche Leistungshindernisse zu
überwinden sind, bestimmt sich nach dem Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse (Nr. 230 ff.). Demnach sind zwei Fälle zu
unterscheiden:
591 Bei übermässiger Leistungserschwerung ist der Schuldner zur Verweigerung der Leistung berechtigt, solange die übermässige Leistungserschwerung dauert (Nr. 230 ff.). Erbringt der Schuldner die Leistung nicht oder nicht rechtzeitig, handelt er damit nicht
schuldhaft, es sei denn er habe die übermässige Leistungserschwerung aus anderem
Grunde zu verantworten, beispielsweise weil er sie aktiv herbeigeführt (Nr. 580 f.), deren Eintritt pflichtwidrig nicht verhindert (Nr. 582 ff.) oder den Gläubiger über eine drohende Leistungserschwerung pflichtwidrig nicht aufgeklärt hat (Nr. 595 ff.).
592 Ist die Leistungserschwerung hingegen nicht übermässig, so muss sie der Schuldner
überwinden und er haftet für den durch die Verzögerung oder das Ausbleiben der Leistung verursachten Schaden. Zur Überwindung des Leistungshindernisses ist dem
Schuldner aber die dafür nötige Zeit zu lassen. Wenn der Schuldner mit der Behebung
eines Leistungshindernisses sofort nach dessen Eintritt beginnt und die Behebung zügig
vorantreibt, kann ihm kein Vorwurf gemacht werden.762 Vorbehalten bleibt freilich wiederum der Fall, dass der Schuldner die Leistungserschwerung aus anderem Grunde zu
verantworten hat (vgl. Nr. 591 a. E.).
593
Beispiel: Der Schuldner ist im Kuriwata-Seiden-Fall (Nr. 387) nicht berechtigt, die Leistung zu verweigern. Er muss Kuriwata-Seide beschaffen, auch wenn dies mit Schwierigkeiten verbunden ist.763 Nimmt die Beschaffung eine gewisse Zeit in Anspruch,
beispielsweise weil der Schuldner dazu persönlich nach Japan reisen muss, so trifft ihn
erst ein Verschulden an der Verzögerung der Erfüllung, wenn er sich nicht sofort um die
Beschaffung kümmert und diese zügig vorantreibt.
594 Exkurs: Zu den überwindbaren Leistungshindernissen gehört namentlich der blosse Geldmangel.764 Blosser Geldmangel liegt vor, wenn der Schuldner seine Leistungspflicht wegen mangelnder
Geldmittel nicht erfüllt, ohne dass die Leistung übermässig erschwert ist. Beispielsweise kann der
761 Zum rechtmässigen Alternativverhalten hinten Nr. 601.
762 Semjud 71 (1949), S. 388 ff.; vgl. auch WEBER, BerK, N 26 zu Art. 99 OR; ferner BUCHER, OR
AT, S. 347; ENGEL, AT, Nr. 210 S. 712.
763 BGE 27 II 219.
764 Vgl. zum Geldmangel bei Geldschulden Nr. 391.
195
Schuldner die geschuldete Gattungs- oder Speziessache nicht beschaffen, weil er nicht genügend
Bargeld oder Kredit hat.765 Oder der Schuldner kann das versprochene Werk nicht vollenden, weil
er seine Arbeiter und das erforderliche Material nicht bezahlen kann. Der so geartete Mangel an den
für die Erfüllung nötigen Geldmitteln berechtigt den Schuldner nicht zur Verweigerung der Leistung, sondern ist eine blosse Schwierigkeit, die vom Schuldner zu überwinden ist.766 Der blosse
Geldmangel ist ein Leistungshindernis, welches immer – definitionsgemäss – überwindbar ist.767
Der Schuldner gerät – bei gegebenen Voraussetzungen – in Verzug, und an diesem trifft ihn in aller
Regel ein Verschulden.768
VI. Verletzung einer Aufklärungspflicht
595 Schliesslich trifft den Schuldner ein Verschulden, wenn er bei Vertragsschluss mit
dem Eintritt einer Leistungserschwerung gerechnet hat oder damit rechnen musste769 und er den Gläubiger pflichtwidrig darüber nicht aufgeklärt hat770,771 und er auch
keinen entsprechenden Vorbehalt in den Vertrag aufgenommen hat. Es liegt ein Spezialfall der culpa in contrahendo vor.772 Das Bundesgericht hat wiederholt in diesem Sinne
entschieden:773 Der Vermieter wird beispielsweise haftbar, wenn er mit einem neuen
Mieter einen Vertrag abschliesst, obwohl er mit der Erstreckung des Mietverhältnisses
des Vormieters rechnen muss.774 Ebenso haftet der Verkäufer, wenn er im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses damit rechnet oder rechnen muss, auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt
zu werden, so dass er den Vertrag nicht wird erfüllen können.775 Im Einzelnen:
765 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96 Anm. 25. Vgl. ferner BISCHOFF, S. 125; zum deutschen Recht
MEDICUS, „Geld muss man haben“, AcP 188 (1988), S. 508 ff.
766 Vgl. die Nw. in der vorangehenden Anm.
767 VON BÜREN, OR AT, S. 368; VON TUHR/ESCHER, § 73 I, S. 144.
768 BGE 25 II 67; BGE 60 II 339; VON BÜREN, OR AT, S. 368 und ausführlich S. 391 f.
769 Vgl. BGE 57 II 513: Nicht schuldhaft verhielt sich der Verkäufer im Steinbruch Sarnen-Fall (Nr.
394), weil er das Versiegen der Ausbeute infolge einer bedeutenden Veränderung der Schichtenlage bei gehöriger Sorgfalt nicht hätte voraussehen können.
770 Vgl. LEMP, S. 200; MÜLLER-CHEN, S. 331. Ähnlich verhält es sich bei gewissen anfänglichen
Leistungshindernissen. Zu denken ist an den Fall, dass der Schuldner Waren verkauft, welche er
bei Vertragsschluss nicht besitzt (bzw. er hat noch keine Verträge zum Erwerb der Ware abgeschlossen) und die Beschaffung in der Folge misslingt. Der Schuldner handelt jedenfalls dann
schuldhaft, wenn er mit dem Misslingen der Beschaffung rechnen musste. VON BÜREN, OR AT,
S. 392 f., will den Schuldner für die Beschaffungsmöglichkeit gar kausal haften lassen.
771 BGE 88 II 203; BGE 42 II 372; ferner BGE 111 II 372; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3167. Steht
hingegen bei Vertragsschluss objektiv fest, dass der Schuldner die Leistung nicht wird erbringen
können, liegt anfängliche Unmöglichkeit vor. Abweichend offenbar WEBER, BerK, N 117 zu Art.
97 OR.
772 Vgl. z. B. LÜCHINGER, Nr. 237.
773 Z. B. BGE 54 II 337. Vgl. auch das Beispiel von LEMP, S. 200: Der Schuldner hat sich bereits vor
Vertragsschluss bei einem ungenügend leistungsfähigen Fabrikanten eingedeckt, der nach Vertragsschluss tatsächlich nicht liefern kann, erwähnt aber beim Vertragsschluss nichts von seiner
zweifelhaften Bezugsquelle.
774 BGE 117 II 72.
775 BGE 48 II 218 ff.
196
596 1. Die Haftung des Schuldners setzt voraus, dass der Schuldner zur Aufklärung des
Gläubigers über eine drohende Leistungserschwerung bzw. drohende Leistungshindernisse verpflichtet ist. Im Allgemeinen ergeben sich Aufklärungspflichten aus vertraglicher Vereinbarung und teilweise aus Gesetz, namentlich aber aus dem Grundsatz von
Treu und Glauben.776 Ob Treu und Glauben die Aufklärung über ein potentielles Leistungshindernis gebieten, kann gemäss Lehre und Rechtsprechung nur im konkreten Einzelfall gesagt werden:777 Einzelheiten sind umstritten.778 Drei Aspekte sind im hier interessierenden Zusammenhang hervorzuheben:
597 –
Erstens setzt eine Aufklärungspflicht voraus, dass der Schuldner mit dem Eintritt
einer Leistungserschwerung gerechnet hat oder rechnen musste oder – mit anderen
Worten – dass er die Leistungserschwerung vorausgesehen hat oder voraussehen
musste.779 Dabei ist entscheidend, ob aufgrund aller bei Vertragsschluss bekannten
Umstände und Anzeichen der Eintritt einer Leistungserschwerung eine bestimmte
Wahrscheinlichkeit780 aufweist (vgl. Nr. 292 und sogleich Nr. 600). Anzuwenden ist
ein Durchschnittsstandard, doch sind dem Schuldner besondere Fähigkeiten zuzurechnen (Nr. 284). Es kann auf das vorne zur Voraussehbarkeit Gesagte verwiesen
werden (Nr. 282 ff.). Die Voraussehbarkeit der Leistungserschwerung alleine
genügt jedoch für eine Begründung der Haftung noch nicht.
598 –
Sodann wird vorausgesetzt, dass der Gläubiger der Aufklärung bedarf.781 Dies ist in
der Regel nicht der Fall, wenn der Gläubiger selbst mit dem Eintritt der Leistungserschwerung gerechnet hat oder er damit rechnen musste.782 Die Aufklärung kann
jedoch geboten sein, wenn die drohenden Leistungshindernisse in der Sphäre des
Schuldners gründen (z. B. in seinem Betrieb),783,784 oder wenn der Schuldner
spezielle Fachkenntnisse besitzt, der Gläubiger aber gerade nicht.785 Hingegen besteht über allgemeine Hindernisse wie zum Beispiel das Risiko eines Kriegsaus-
776 Vgl. HARTMANN, Nr. 51 ff.; ABEGGLEN, S. 78 ff.
777 BGE 116 II 434; KOLLER, OR AT I, Nr. 1182; BUCHER, OR AT, S. 220; kritisch HARTMANN,
Nr. 58 ff., m. Hw.
778 Vgl. HARTMANN, Nr. 51 ff.; ABEGGLEN, S. 166 ff.; ferner GONZENBACH, S. 104 ff.; KOLLER,
OR AT I, Nr. 1182.
779 Vgl. HARTMANN, Nr. 68 f.
780 Dieser Einschränkung liegt der Gedanke zugrunde, dass sich bei „unwahrscheinlichen“ Leistungshindernissen die Mühe der Aufklärung nicht lohnt: Der Vorteil, der dem Gläubiger durch
die Aufklärung entsteht, mag die Mühe der Aufklärung (zu denken ist in erster Linie an den Aufwand des Erforschens möglicher Leistungshindernisse) nicht zu rechtfertigen.
781 Vgl. HARTMANN, Nr. 72, und ABEGGLEN, S. 172: „Erkennbarer Informationsbedarf“.
782 Vgl. HARTMANN, Nr. 74.
783 Ähnlich HARTMANN, Nr. 79.
784 Vgl. zum Beispiel GONZENBACH, S. 104: „Je mehr ... bestimmte Informationen im Einfluss- und
Einsichtsbereich nur einer Partei liegen, desto eher ist für sie eine Aufklärungspflicht anzunehmen.“
785 Ähnlich HARTMANN, Nr. 80; ABEGGLEN, S. 175 ff.
197
bruchs normalerweise keine Aufklärungspflicht, weil beide Parteien dessen Wahrscheinlichkeit gleich gut abschätzen können. Anders wäre allenfalls zu entscheiden,
wenn der Betrieb des Schuldners oder seine Leistungsfähigkeit durch den Eintritt
eines allgemeinen Leistungshindernisses stärker als andere betroffen wäre und der
Gläubiger dies weder weiss noch wissen kann.
599
Beispiel: Wenn der Kunsthändler A dem Kunsthändler B ein Gemälde verkauft, braucht
A B nicht über das Risiko eines allfälligen Diebstahls des Gemäldes aufzuklären, weil B
als Kunsthändler das Risiko ebenso gut abschätzen kann. Anders verhält es sich jedoch,
wenn bereits mehrmals versucht wurde, bei A einzubrechen, was B nicht wissen kann.
600 –
Schliesslich sind die Folgen der Nichterbringung der Leistung für den Gläubiger mit
zu berücksichtigen.786 Je grösser der Schaden des Gläubigers bei Leistungserschwerung ist, desto eher gebietet sich eine Aufklärung über drohende Leistungshindernisse. Wenn beispielsweise der Schuldner weiss, dass selbst eine kurzfristige Verzögerung der Leistung den ganzen Produktionsbetrieb des Gläubigers lahm legen würde,
so hat er auch über weniger wahrscheinliche Leistungshindernisse zu informieren.
601 2. Hat der Schuldner eine bestehende Aufklärungspflicht verletzt, so haftet er für den
aus der Verletzung der Aufklärungspflicht adäquat kausal entstandenen Schaden.787,788
Der Schuldner kann geltend machen, dass der Gläubiger den Vertrag auch bei erfolgter
Aufklärung abgeschlossen hätte und der Gläubiger keine zusätzlichen Massnahmen zur
Verhinderung des Schadenseintritts getroffen hätte.789 Gegebenenfalls fehlt zwischen
der Verletzung der Aufklärungspflicht und dem Schaden, der dem Gläubiger durch das
Leistungshindernis entstanden ist, die erforderliche Kausalität. Das Bundesgericht,
welches die Berücksichtigung eines solchen „rechtmässigen Alternativverhaltens“ in anderem Kontext befürwortet,790 hatte soweit ersichtlich bisher keine Gelegenheit, den
Einwand in unserem Zusammenhang zu prüfen.
786 Vgl. HARTMANN, Nr. 88 ff.; ABEGGLEN, S. 173.
787 Vgl. HARTMANN, Nr. 299: „Der Ersatzanspruch richtet sich ... auf die Differenz zwischen dem
gegenwärtigen Stand des Vermögens und dem Vermögensstand, wie er bei korrekter Information
gegeben wäre“ (Hervorhebung weggelassen); GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2705, m. Hw.
788 Die Schadenersatzpflicht richtet sich auf das negative Vertragsinteresse (wenn der Gläubiger geltend macht, er hätte den Vertrag bei erfolgter Aufklärung nicht abgeschlossen, bzw. er hätte mit
einer anderen Partei einen Vertrag mit geringerem Risiko abgeschlossen) oder auf das positive
Vertragsinteresse (wenn der Gläubiger geltend macht, er hätte Massnahmen zur Verhinderung des
Schadens getroffen, z. B. hätte der Kunsthändler B im obigen Beispiel auf sofortige Übergabe des
Bildes bestanden und es selbst diebstahlsicher verwahrt).
789 Vgl. z. B. BGE 122 III 229 ff.; ausführlich zum rechtmässigen Alternativverhalten KOLLER, Fehlgeschlagene Sterilisation, S. 19 ff.; ABEGGLEN, S. 88 ff.
790 Vgl. die Nw. bei GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2722.
198
Zusammenfassung (Verweis)
Ein kurze Übersicht und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit
findet sich vorne in Nr. 175 ff.
199
Lebenslauf
1976-1988
Primarschule und Gymnasium in Zürich
1988-1992
Juristisches Studium an der Universität St. Gallen (HSG)
1992-1995
Assistent bei Prof. Dr. Alfred Koller, St. Gallen
1995-1997
Anwaltspraktikum und Anwaltsprüfung in Zürich
1998-
Rechtsanwalt in Zürich
1999-2000
Studium an der University of Chicago Law School (LL.M.)
200

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