Geox auf dem Weg zu einem der Großen der Branche

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Geox auf dem Weg zu einem der Großen der Branche
INDUSTRIE & MÄRKTE
8 WirtschaftsKurier
OKTOBER 2008
Mode und Technologie – eine erfolgreiche Ehe
Geox auf dem Weg zu einem der Großen der Branche | Der „atmende“ Schuh – die Lösung eines Menschheitsproblems
VON ELWINE HAPP-FRANK
T
echnologie – das ist das Wort, das
Mario Moretti Polegato, Präsident
des italienischen Geox-Konzerns, am
häufigsten nennt, wenn es um seine Schuhe geht. Denn der Italiener stellt nicht einfach nur ein Produkt her, sondern hat eine
Innovation auf den Markt gebracht. Was
vor 13 Jahren mit fünf Mann anfing, ist
heute ein Konzern mit einem Umsatz von
770 Mio. Euro (2007) in 68 Ländern – und
gleichzeitig eines der ertragreichsten Unternehmen, nicht nur in Italien, sondern
weltweit in diesem Sektor.
Der Anfang war schwierig. Polegato ist
Spross einer wohlhabenden italienischen
Winzerfamilie. Eigentlich war sein Weg als
Chef eines der größten Wein- und Prosecco-Produzenten in Italien vorgezeichnet.
Nach dem Studium der Önologie (Weinbau- und produktion) war er Präsident des
Weinguts La Gioiosa, das bereits in der
dritten Generation von der Familie Polegato geführt wird.
Eines Tages, so jedenfalls geht die Legende, nahm er im amerikanischen Bundesstaat Nevada an einem Weinbau-Kongress teil. Beim morgendlichen Jogginglauf
bei sengender Hitze brannten ihm die
Füße so sehr, dass er ein Messer nahm und
kleine Löcher in die Gummisohle schnitt.
Die Idee des atmenden Schuhs war geboren.
Wieder zuhause entwickelte er die atmungsaktive und wasserdichte Gummisohle. Herzstück der neuen Schuhtechnologie ist eine Membran, die die Transpiration in Form von Wasserdampf durch, aber
kein Wasser herein lässt, da die Molekularstruktur des Dampfes 700-fach kleiner ist
als die von Wasser. Die
Erfindung ließ er
weltweit patentieren. Drei
Schuhe waren nur der Anfang. Geox-Chef Mario Moretti Polegato fährt eine klare Wachstumsstrategie.
Vorteil, dass er in vielen Sprachen
adaptiert werden kann. Viele italienische und französische, aber auch
deutsche oder spanische Verbraucher halten das Label für eine nationale Marke.
Innerhalb von 13 Jahren wurde
aus dem Fünf-Mann-Team eine
Firma mit 30.000 direkten und indirekten Beschäftigten. Die Zahl
der verkauften Schuhe erhöhte sich
von 4,5 Mio. Paar in 2002 über 13
Mio. in 2005 auf 21 Mio. in
2007. In Italien ist Geox
Die Eröffnung von Eigenmarkenshops (im Bild der Megastore in New York) sind
eine Säule der Expansionsstrategie von Geox.
GEOX IN ZAHLEN
1. Halbjahr 2008
in Mio. Euro
Umsatz
EBITDA
EBIT
Nettogewinn
*gegenüber 1. Hbj. 2007
1. Hbj. 2008
464,1 Mio. Euro
118,3 Mio. Euro
106,1 Mio. Euro
78,0 Mio. Euro
Veränderung*
+ 20%
+ 5%
+ 4%
+ 13%
ckelt: das NetSystem. Während
bei den Freizeitschuhen die Belüftung des Fußes im
vorderen Ballenbereich
ausreicht, findet die
Technik bei den Sportschuhen über die ganze
Laufsohle Anwendung. Selbstverständlich hat sich das Unternehmen auch diese Erfindung patentieren lassen.
Noch gibt sich Geox ganz bescheiden und spricht davon, als „Maus“
nicht die Großen der Sportbranche wie
Adidas, Nike oder Puma angreifen zu wollen. „Aber Geox hat mit dem Net-System
ein neues Fenster geöffnet, das alle
Sportschuhe dieser Welt in Frage
stellt“, so Polegato. Mit den Sportschuhen sei die Situation so wie anfangs bei
den Straßenschuhen: „Niemand hat uns
ernst genommen – und heute sind wir die
zweitgrößte Schuhfirma der Welt im Freizeitschuhbereich (Quelle: Shoe Intelli-
gence)“, so der Geox-Chef. „Ich denke, dass
Geox in den nächsten Jahren auch eine der
größten Firmen des Sportsektors werden
kann“, so die klare Ansage.
Derzeit erzielt Geox 93% des Umsatzes
mit Straßenschuhen und 7% mit Bekleidung; bei Sportschuhen gibt es erst einige
Testserien. Mittelfristig sollen Straßenschuhe und Bekleidung in puncto Umsatz
etwa gleich groß werden, für die Sportsparte will Polegato noch keine Umsatzziele
nennen.
Um das Wachstum zu finanzieren, hat
Polegato Ende 2004 29% der Aktien an die
Börse in Mailand gebracht. 71% hält die
Familie Polegato. Die Börse hat die Aktie
geradezu euphorisch aufgenommen. Der
Kurs verdreifachte sich bis Ende 2007 auf
über 16 Euro. Doch die Finanzkrise erschütterte auch die Borsa di Milano und
ließ die Geox-Aktie stark einbrechen. Dabei waren es weniger die tatsächlichen
Zahlen des Unternehmens, die zum Rückgang auf 6,30 Euro führten, als vielmehr
die Angst der Börsianer, Geox könnte in einem schwierigen Umfeld seine Ziele nicht
erreichen.
Mittlerweile hat sich die Situation wieder
beruhigt. Der Kurs erholte sich auf 8,50
Euro und pendelt derzeit um 7 Euro. „Wir
spüren die Weltwirtschaftskrise natürlich
auch, aber nicht so stark“, so Polegato.
Gründe für die gute Marktposition seien
die Positionierung der Schuhe im mittleren bis gehobenen Preissegment sowie die
Technologie als „Problemlöser“ für Füße.
Große Finanzinstitute wie zum Beispiel die
Deutsche Bank haben den Wert zum Kauf
empfohlen. Nach Bekanntgabe der Halbjahreszahlen, die über ein Umsatzwachstum um 21% berichteten, musste die
Geox-Aktien sogar wegen zu großer Kurssprünge vom Handel ausgesetzt werden.
Auch für den weiteren Jahresverlauf sind
die Italiener optimistisch. Die Orderbücher
für die Herbst-/Wintersaison sind voll. Die
Nachfrage liegt um rund 20% über dem
Vorjahr – und das, obwohl sich das Unternehmen in allen drei Geschäftsbereichen
auf gesättigten Märkten bewegt. Doch der
entscheidende Vorteil von Geox, und da
wird Polegato geradezu missionarisch, ist
der Fokus auf Technologie.
Die „atmende“ Technologie von Geox
gibt es nicht nur bei Schuhen, sondern auch bei Jacken. In Italien
fand die erste Kollektion reißenden Absatz.
Jahre lang versuchte er, international renommierte Schuhproduzenten für die Innovation zu begeistern. „Aber niemand hat
die Tragweite der Idee verstanden“, so Polegato. „Angesichts des weltweiten Gesundheits- und Wellnesstrends war das
unverständlich. Dabei lösen wir mit der
neuen Technologie ein großes Problem
der Menschheit.“
Polegato beschloss, die Sache selbst in
die Hand zu nehmen. Er gründete Geox
mit Hauptsitz in Biadene di Montebelluna,
eine halbe Autostunde von Venedig entfernt. Dabei überließ Polegato nichts dem
Zufall. Von Anfang an stand ein klarer Businessplan hinter dem kometenhaften Aufstieg der Firma. „Ich habe bei Null angefangen“, stellt der Unternehmensgründer
fest, „aber damals schon in der festen Absicht, Geox in wenigen Jahren als eine der
bedeutendsten Marken in der Schuhwelt
zu etablieren.“
Schon der Name weist in diese Richtung:
Geox ist eine Mischung aus dem altgriechischen Wort „Geo“ für Erde und „x“ für
Technologie. Der Firmenname hat den
DAS WEINGUT
In Crocetta del Montello, Provinz Treviso, in unmittelbarer Nachbarschaft
von Geox liegt das Weingut La Gioiosa, das in der dritten Generation von
der Familie Polegato geführt wird. Bekannt ist diese Region durch die
„Straße des Prosecco“, wo der beliebte Schaumwein (DOC) angebaut
wird. Das Klima dieser Zone am
Fuße der Alpen ist geprägt von
kalten Wintern und milden
Sommern. Diese natürlichen
Gegebenheiten begünstigen die Vegetation und
Reifung der Weinreben.
La Gioiosa ist einer der
führenden Hersteller von
Prosecco, Sekt und
Schaumweinen in Italien
und größter Exporteur
weltweit. Für die Qualität
seiner Produktlinien Villa
Sandi, La Gioiosa, Casa
Ghellar und Agro Argento wurde das Weingut
mehrfach mit nationalen und internationalen Auszeichnungen
bedacht.
Lange Zeit war Geox für bequeme, freilich belüftete Freizeitschuhe bekannt. Doch mittlerweile hat das Unternehmen die
Produktpalette stark erweitert. Von schicken Pumps für Damen
bis Businessschuhe für Herren reicht das Angebot. Demnächst
werden auch Sportschuhe flächendeckend eingeführt.
bereits
die Nummer eins, in vielen
anderen Ländern wie Frankreich, Deutschland oder Österreich ist die Marktführerschaft in
Reichweite. In den USA, England und
vielen asiatischen Märkten ist der Vertrieb im Aufbau.
Die Firmenzentrale in Montebelluna fungiert als eine Art Think
Tank. Hier arbeiten neben Designern auch Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche. 70%
der 600 Beschäftigten am Standort haben einen Universitätsabschluss. Herzstück des Think Tanks
ist ein Laboratorium, in dem die
Materialien getestet und neue Einsatzgebiete für die „atmende“ Technologie entwickelt werden.
Am Stammsitz werden die neuen
Modelle für die kommende Saison
entworfen und die Prototypen
hergestellt. Die Kollektionen werden – die saisonalen Trends,
Passform und Geschmack betreffend – auf die lokalen Märkte weltweit abgestimmt. Gefertigt werden die Schuhe dann in
Osteuropa, Südamerika und
Asien. Mit dieser Aufstellung,
die vom Start weg Teil der Strategie war, hat Geox die Nase
nahe am Markt und kann schnell
reagieren. „Wir produzieren
Mode für den Moment“, stellt Polegato fest. Damit unterscheidet
sich das Unternehmen von anderen Schuhherstellern, die ihre Ursprünge im Modebusiness haben
und deren Strukturen nicht so stark
auf eine rasche Anpassung an die
Märkte ausgerichtet sind.
Di e
Schuhe
–
Geox
stellt
Damen-, Herrenund Kindermodelle her – werden
sowohl über Mehrmarken- als auch über
Eigenmarken-Geschäfte
vertrieben. Besonders Megastores sind in letzter Zeit in
den Fokus gerückt. Unter anderem
hat Geox solche Shops in New York,
London und in Frankfurt am Main eröffnet. „Denn wir brauchen für die Präsentation unseres erweiterten Produktangebots
größere Flächen“, so Polegato. Geox startete nämlich vor zwei Jahren die Produktion von Bekleidung, der zweite Paukenschlag nach den Schuhen. Zunächst waren es vor allem Jacken, natürlich auch auf
Basis der „atmenden“ Technologie. „Die
Wärme des Körpers steigt durch ein spezielles Futter im Kleidungsstück noch
oben“, erläutert Polegato. „Sie staut sich
dann an den Schultern. Geox appliziert
deshalb in diesem Bereich eine Membran,
die die Wärme über feine Kanäle ableitet.
Mit dieser Technologie kann die Transpiration um 40% verbessert werden“, so Polegato.
Von dem Einstieg in die Bekleidung erhofft sich Geox einen weiteren Schub für
das Wachstum. Die Italiener jedenfalls –
der Start erfolgte zunächst im Heimatmarkt – haben Geox die Jacken aus den
Händen gerissen: Im vergangenen Jahr
wurden bereits 1,5 Mio. Stück abgesetzt.
Doch damit nicht genug. Nächster
Schritt ist der Einstieg in den Sportmarkt.
Geox hält die „atmende“ Technologie geradezu ideal für diese Anwendung. „Die großen Sportmarken haben sehr hohe Investitionen in die Entwicklung ihrer Produkte
gesteckt“, stellt Polegato fest. „Aber das
Hauptproblem bei Sportschuhen haben sie
vergessen: die Transpiration.“ Bei den
Sportschuhen hat Geox eine Sohlenkonstruktion mit neuer Technologie entwi-
„Der Markt wartet nicht“
Europa-Gedanke muss schneller umgesetzt werden | USA machen es vor
M
ario Moretti Polegato, Präsident
der Geox SpA, engagiert sich
stark für die Jugend. Er hält Vorträge an Universitäten in der ganzen Welt,
um seine Erfahrungen weiterzugeben. Der
Kern seiner Botschaft: „Was ich gemacht
habe, könnt ihr auch!“ Mit dem Geox-Chef
sprach WiKu-Chefredakteurin Elwine
Happ-Frank in der Villa Sandi, dem repräsentativen Sitz des Unternehmens in Biadene di Montebelluna bei Treviso.
WirtschaftsKurier: Herr Polegato, Sie halten viele Vorträge an Universitäten. Was
lehren Sie?
Polgato: Ich habe zwei Ziele in meinem Leben: Das eine ist das Wachstum von
Geox voranzutreiben, damit diese Firma
auf dem Modesektor eine der größen
Unternehmen weltweit wird. Die zweite
ist, Europa zu helfen, wettbewerbsfähig
zu werden. Dafür setze ich mich ein.
WiKu: Wie wollen Sie das machen?
Polegato: Meine Erfahrung, oder besser die
von Geox, ist eine Erfahrung, die man
wiederholen kann. Ich hatte nicht einfach nur Glück mit meiner Erfindung.
Heute wird man nicht mit Schlachten
und Abwehrkämpfen wettbewerbsfähig,
sondern mit guten Ideen. Ich halte an
den Universitäten Vorträge zum Thema
„Intellektuelles Eigentum“. Dabei habe
ich festgestellt, dass sich die amerikanischen Colleges die weltweit besten Studenten schnappen, auch aus Deutschland. Dem müssen wir in Europa etwas
entgegensetzen. Denn es sind die Ideen,
die die Wirtschaft voranbringen. Es gibt
viele hervorragende, alteingesessene Firmen – in Deutschland zum Beispiel
Daimler, Porsche, Siemens oder Bayer,
die Weltmarktführer sind. Aber es gibt
zu wenig junge, innovative Unternehmen.
WiKu: Was raten Sie den Studenten?
Villa Sandi ist der repräsentative Firmensitz von Geox. Das prachtvolle Gebäude
wurde 1622 erbaut und ist ein Kulturerbe der Region Treviso.
Polegato: Ich erzähle meine Geschichte,
die Geschichte von Geox. Ich erzähle von
der Erfindung, von dem Patent, vom
Businessplan bis zum Börsengang, der
mich zu einem der reichsten Männer in
Italien gemacht hat. Dabei geht es mir
nicht darum, dass die Studenten sagen:
„Toll, wie du das gemacht hast.“ Es geht
mir darum, dass sie sagen: „Das will ich
auch probieren.“ Ich habe ja nicht die
Sohle neu erfunden, ich habe sie modifiziert. Das kann man mit tausend anderen Sachen auch machen. Zum Beispiel
mit dem Espresso: Italien ist das Land
des Kaffees, aber die US-amerikanische
Starbucks hat nun 10 000 Coffee-Shops
weltweit eröffnet.
WiKu: Was muss Europa tun, um mit den
USA gleichzuziehen?
Polegato: Wir brauchen einheitliche Schulund Bildungssysteme in Europa. Wir
müssen eine einheitliche Sprache schaffen, welche auch immer das ist. Und wir
brauchen eine Politik für die Jugend, die
in Talente investiert und die ihr Vertrauen gibt. Die USA haben hier die Nase
vorn, weil sie viel in das intellektuelle Eigentum investieren.
WiKu: Wie fördern Sie den Nachwuchs bei
Geox?
Polegato: Wir haben ein eigenes, internes
Bildungssystem geschaffen. Wir können
nicht auf europäische Initiativen warten.
Wir haben vier Fortbildungszentren: für
Techniker, für Manager, für Topmanager
und für Studenten mit Universitätsabschluss. Wir erhalten jedes Jahr etwa
3000 Anfragen von Absolventen. Wir treffen eine Auswahl, bilden die jungen Leute bei uns aus und schicken sie in unsere Tochtergesellschaften weltweit. Sie
helfen uns dann, unsere Wachstumsziele vor Ort umzusetzen. Wir investieren
sehr viel in das „menschliche Kapital“.
Denn der Markt wartet nicht.