5. Aufgabe – Übung 5.1 Orientierung am hermeneutisch orientierten

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5. Aufgabe – Übung 5.1 Orientierung am hermeneutisch orientierten
5. Aufgabe – Übung
In der Spannung von Aufgabe und Impuls lässt sich die Entwicklung vom kommunikativen zum
hermeneutisch orientierten Ansatz messen. In diesem Kapitel erhält der Lehrende solche Informationen, die ihm gestatten, diesem Entwicklungsweg nachzugehen.
Aufgabe – Übung
i
Aufgabe und Übung unterscheiden sich in ihren Funktionen im Lernprozess, in der Praxis
aber werden diese beiden Begriffe häufig vermischt und als Synonyme gebraucht. Zur
Unterscheidung:
Eine Aufgabe wird gestellt, sie wird teilweise oder ganz gelöst: Die Relation zwischen
Aufgabe und Lösung kann überprüft werden.
Auch eine Übung kann als Aufgabe formuliert werden. Die Übung besteht aber im
wiederholten Anwenden eines gelernten und verstandenen Lernstoffes. Beim Üben macht
sich also der Lernende bestimmte Regeln und Ordnungsprinzipien noch einmal klar und
wendet diese dann wiederholt an Beispielen und Mustern an. Aufgabe und Übung stehen
also in einer Wechselbeziehung zueinander und der Übergang zwischen den beiden ist
fließend, weil nach der richtigen Lösung von Aufgaben regelmäßige Übungen unerlässlich
sind.
5.1 Orientierung am hermeneutisch orientierten Unterricht
Im hermeneutisch orientierten Unterricht begreift der Lernende – wenn eine entsprechende Lernkultur entwickelt worden ist – die Texte, Bilder usw. als ➡ Impuls, dem als Aufgabe ein zusätzlicher Denk- und Handlungsanstoß hinzugefügt ist. Der Lernende bearbeitet die in der Aufgabe enthaltenen Problemstellungen auf der Basis seiner persönlichen Erfahrungen, seines Fachwissens,
seiner Vorstellungen und Urteile bzw. versprachlicht sie spontan in seiner ➡ Interimsprache. Der
Lehrende sollte darauf gefasst sein, dass ihm ganz unerwartete, ungewöhnliche und überraschende Ergebnisse begegnen, die stark von seinen eigenen Vorstellungen abweichen können. Auch
wenn diese Offenheit und Risikobereitschaft vorhanden sind, wird sich dem Lehrenden die Frage
stellen, wie er mit bestimmten Lösungen umgehen soll, gerade wenn sie ihm wie unterhaltsame
Spielereien vorkommen und den Sprachlernprozess auf den ersten Blick wenig vorantreiben. Denken wir z. B. an Bastelarbeiten, graphische Gestaltungen und mimische Darstellungen.
Solche Schülerarbeiten müssen aber ernst genommen werden, denn sie bilden in der Präsentationsphase den Ausgangspunkt für sprachliches Handeln, bei dem durch die Addition der unterschiedlichen Kompetenzen die Thematik der Aufgabe in einem neuen Licht erscheint.
Diese Tätigkeit gibt wichtige Aufschlüsse über übungsbedürftige Strukturen, die der Lehrende
aufgreifen kann, um sie mit den Schülern gezielt zu üben. Je nach Aufgabenbereich (in Abhängigkeit von den vier Fertigkeiten Lesen, Hören/Verstehen, Schreiben, Sprechen) ergeben sich so
nach der Reflexion über auffallende sprachliche Abweichungen von der Norm die unterschiedlichsten Übungen: phonetische, prosodische, lexikalische, grammatikalische und textsortenspezifische, um nur die wichtigsten zu nennen.
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Inwieweit der Lehrende den Lernprozess steuern muss, hängt von dem Entwicklungsstand der
hermeneutischen Lernkultur ab. Am Anfang wird die Aufgabe vielleicht vom Lehrenden gegeben
werden müssen, bei fortgeschrittenen Lernergruppen hingegen stellen sich die Lernenden selbst
unterschiedliche Aufgaben. Die dadurch entstehende Binnendifferenzierung ermöglicht selbstständige und individuelle Lernzugänge. Daher wird den Lernenden die Freiheit gelassen zu entscheiden, in welcher Sozialform (Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit) sie arbeiten möchten.
Bei der Lösung von Aufgaben muss die Fehlertoleranz aus zwei Gründen zunächst groß sein:
erstens ergeben sich Fehler aus nicht ganz verstandenem Lernstoff, zweitens ergeben sich Fehler
aus der Interimsprache des Lerners. Wenn erkennbar ist, dass der Lernstoff nicht verstanden ist,
muss die Erklärung so lange wiederholt werden, bis die korrekte Lösung entsprechend in Übungen überführt werden kann, bei denen Fehlertoleranz natürlich nicht mehr erlaubt ist. Dagegen
bleibt die Toleranz gegenüber Interimsprache weiter hoch aus Gründen, die an anderer Stelle wiederholt beschrieben worden sind (➡ Fehler und Interimsprache).
5.2 Beispiele aus der Praxis
Beispiel 1
Lied: »Brüderchen, komm tanz mit mir«
Übrigens …
Was über Aufgaben und Übungen gesagt
wurde, gilt auch für Hausarbeiten. Vielfalt
und Binnendifferenzierung sind auch für
das Lernen zu Hause von großer Wichtigkeit. Hausaufgaben ergeben sich immer
von selbst aus dem Unterrichtsprozess
und werden im Idealfall von den Schülern
vorgeschlagen und formuliert. Sie sind
nicht Selbstzweck, sondern Fortführung,
Bereicherung und Vertiefung des Unterrichts, und es versteht sich von selbst,
dass sie in der folgenden Unterrichtsstunde besprochen werden und als Grundlage
für den weiteren Lernprozess dienen.
Anlässlich eines Besuches eines deutschen Kindergartens stellen sich die Schüler die Aufgabe,
den Kindern ein deutsches Singspiel vorzuführen,
denn sie wollen sich aktiv einbringen (fächerübergreifend: Musik, Pädagogik, Deutsch, …).
Aus einem Dossier von interkulturellen Liedern wählen sie ein Lied aus (Kriterien: geeignetes Singspiel für verschiedene Altersstufen im
Kindergarten; nicht zu schwierig, geeignete Methoden).
2 Schüler, die Ballett studieren, tanzen das
den Kindern vor, während die anderen singen
(Addition der unterschiedlichen Kompetenzen).
Die Form der Präsentation wird mit Blick auf die Zielgruppe gewählt.
Beispiel 2
Vorannahmen:
Ausstellung »Frangibile« im Centro TREVI; Besichtigung des »laboratorio del vetro«, wo die Schüler
auch selbst etwas aus Glas produzieren dürfen; in der Klasse wird dann der Wunsch geäußert,
etwas zu produzieren über das, was sie gesehen haben.
Die Schüler geben sich selbst verschiedene Aufgaben (in Hinblick auf die geplante Ausstellung
ihrer Glasproduktionen):
1. Bericht über den gesamten Tag
2. Anfertigen eines Plakats zu den 3 schönsten Werken aus dem Katalog und Äußerung der eigenen Meinung dazu
3. Glossar mit Worten zu Kunst und Glas (eher schwache Schüler)
4. Bericht über den Besuch im »laboratorio del vetro«
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Beispiel 3
Schüler merken, dass sie Schwierigkeiten mit den Temporalsätzen haben (besonders die beiden
Gruppen aus Beispiel zwei, die die Berichte schreiben).
Sie lesen im Grammatikbuch nach, suchen die Konjunktionen heraus (als, wenn, solange, während, seitdem, bevor, nachdem) und suchen nach den Bedeutungen. Sie suchen sich eigene
Übungssätze heraus, anschließend werden die bereits geschriebenen Texte redigiert, mit besonderem Augenmerk auf die Temporalsätze.
Fixierübung als Hausaufgabe: Sie wählen sich eine Übung aus Dreyer/Schmitt aus und machen
sie zu Hause, um die Regel zu sichern und zu festigen.
Tipp:
Interessant und angregend zu diesem Thema sind die Ausführungen von Häussermann/Piepho im
Aufgabenhandbuch.
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