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D 8512
51. Jahrgang
nr. 15
montag, 20. April 2015
Na
Politik
Strategie für Afrika
Der Inspekteur des Heeres in
Pretoria: Das deutsche Heer will
seine Kooperation mit Südafrika
intensivieren.
Seite 4
einsAtz
Orion fliegt wieder
Die Aufklärungsflugzeuge sind
wieder im Atalanta-Einsatz. Die
Besatzung überwacht ein riesiges
Seegebiet.
Seite 5
Schlagkraft für
das Baltikum
BunDeswehr
Manöver 2015
Welche Manöver sind 2015
geplant? aktuell bietet den Überblick und berichtet über ein Training mit der CH-53. Seite 6/7
Litauen bekommt zwölf Panzerhaubitzen aus dem Bestand
der Bundeswehr. Das hat Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen während ihrer Reise ins
Baltikum zugesagt. Seite 3
Vermischtes
Umstrittener Geist
Der Schriftsteller Günter Grass
ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Er erhielt 1999 den Nobelpreis für Literatur.
Seite 11
Die Bundeswehr im Internet
www.bundeswehr.de
www.wirdienendeutschland.de
Foto: Wilke/RedBw
www.bmvg.de
www.youtube.com/bundeswehr
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augustinfotos
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G 36: Weisung zur Einsetzung einer Untersuchungskommission
Berlin. Das Verteidigungsministerium hat vergangene Woche zwei Weisungen erlassen. Demnach wird zum einen eine „Kommission zur
Untersuchung des Einsatzes des G 36-Sturmgewehres in Gefechtssituationen“ zum 1. Juni eingesetzt. Die Kommission hat den Auftrag, die
Meldungen und Berichte der vergangenen Jahre
zum Einsatz des G 36 erneut zu betrachten und
auszuwerten. Dabei geht es insbesondere um
Auffälligkeiten und Vorkommnisse während
des Afghanistan-Einsatzes, die nach heutigem
Kenntnisstand gegebenenfalls anders zu bewerten sind. Den Vorsitz der Kommission übernimmt Winfried Nachtwei. Die zweite Weisung
regelt die Durchführung der „Organisationsstudie G 36“. Als unabhängiger Sachverständiger
wird Klaus-Peter Müller die Prozessabläufe bei
der Beschaffung, Prüfung und Nutzung des G 36
analysieren. Er soll durch weitere externe Fachleute unterstützt werden. Müller leitete bis September 2013 die Regierungskommission „Deutscher Corporate Governance Kodex“.
(stö)
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aktuell
Intern
20. April 2015
Foto: Rolf Dunkel
BIld der WOcHe
Halbes Schiff mit Kurs auf Hamburg: Ein Schlepper zieht das Vorschiff der neuen Fregatte „Sachsen-Anhalt“ durch den Nord-Ostsee-Kanal. In Hamburg soll es mit w
­ eiteren
Bauteilen zusammengesetzt werden. Insgesamt sind drei Werften am Bau der später einmal 150 Meter langen „F224“ beteiligt.
IMpreSSuM
ZItAt
E
Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt:
Bundesministerium der Verteidigung
Presse- und Informationsstab
Stauffenbergstraße 18, 10785 Berlin
„Wir möchten mit Ihnen ins Gespräch kommen.“
Vom Chef einer Fernmeldekompanie zum Redakteur im
Ressort Einsatz. Seit mehr als
vier Jahren bin ich nun für die
Informationsarbeit der Bundeswehr tätig. Damals ein riesiger
Schritt und eine Umstellung für
mich. Der Anfang war schwer
– ich habe es aber nie bereut. Das
Wichtigste für mich ist, durch
meine Arbeit als Redakteur weiterhin engen Kontakt zur Truppe
zu haben.
Unser Team möchte über Sie
berichten, Ihre Geschichte erzählen – die Soldaten der Bundeswehr im Einsatz. Wir generieren
Themen aus den Einsatzgebieten
oder recherchieren selbst vor Ort
– crossmedial für alle Medien
der Redaktion wie aktuell und
Y sowie die Online- und SocialMedia-Auftritte und unsere
Videos. Die Themen sind fast
unerschöpflich, es sind die kleinen und großen Geschichten, die
schönen über den Erfolg, aber
auch die ernsten, die mit unserem
Beruf unweigerlich verbunden
sind.
Lassen Sie uns darüber gemeinsam berichten. Hinter jeder dieser
Geschichten stecken Menschen.
Uns ist wichtig, dass über sie
gesprochen wird.
In dieser Ausgabe wirft aktuell
­
unter anderem einen Blick auf die
Redaktionsanschrift:
Redaktion der Bundeswehr
Bundeswehr aktuell
Reinhardtstraße 52, 10117 Berlin
Telefon: (0 30) 886 228 - App.
Fax: (0 30) 886 228 - 20 65, BwFw 88 41
E-Mail: [email protected]
Bundeskanzlerin Angela Merkel über den neuen Bürgerdialog der
Bundesregierung „Gut leben in Deutschland“. Das Ziel: Büger sollen
gegenüber der Politik direkt äußern können, was sie beschäftigt.
Leitender Redakteur (App. 24 20):
Oberstleutnant Torsten Sandfuchs-Hartwig (tsh)
Vertreter und Politik (App. 24 21)
N.N.
Redaktionelle Mitarbeit
Streitkräfte/Einsatz (App. 24 22):
Fregattenkapitän Peter Vossieg (pev), Major Peter
Mielewczyk (pm), Jörg Fleischer, Hauptmann
Patricia Franke (pfr), Major Anika Wenzel (akw)
Sport/Vermischtes/Militärgeschichte (App: 28 52):
Björn Lenz, Regierungsamtmann Stefan Rentzsch (sr),
Gabriele Vietze (vie), Christiane Tiemann (tie),
Oberleutnant Jennifer Fiebig-Schulze (jfs),
Ulrike Jenssen (uje)
Mediendesign:
Eva Pfaender (epf, App: 24 23)
aktuell als E-Paper und im pdf-Format:
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Satz:
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und Dienstleistungen der Bundeswehr,
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Auffassung der Redaktion oder des BMVg. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Leserbriefe per E-Mail werden nur mit wirklichem Namen
und Adresse berücksichtigt, außerdem behält sich die
Redaktion das Recht auf Kürzung vor.
KAlenderBlAtt
Vor 10 Jahren: Am 27. April 2005 startet unter dem Jubel der
Zuschauer im französischen Toulouse das Großflugzeug A 380 zu
seinem Erstflug. Der Airbus ist das größte Verkehrsflugzeug aller
Zeiten und kann bis zu 800 Passagiere befördern.
Vor 25 Jahren: Am 24. April 1990 wird das „Hubble-WeltraumTeleskop“ auf die Erdumlaufbahn gebracht. Das erste Teleskop im
Weltall soll bis zu 50-mal bessere Bilder liefern als Teleskope auf
der Erde – sie werden durch die Atmosphäre behindert.
Vor 55 Jahren: Am 20. April 1960 zeigt die Arbeitsmarktstatistik,
dass die deutsche Wirtschaft mit Arbeitskräften unterversorgt ist. Die
Bundesregierung kündigt an, sich verstärkt um die Anwerbung von
Arbeitskräften aus dem Ausland zu bemühen. Bereits 1955 wurde eine
Anwerbevereinbarung zwischen Deutschland und Italien vereinbart.
Vor 90 Jahren: Am 26.April 1925 erscheint der Roman „Der Prozess“ von Franz Kafka. Das unvollendete Werk entstand 1914/1915
und blieb durch die Initiative von Kafkas Freund Max Brod erhalten.
Der Autor hatte die Arbeit an seinem Werk abgebrochen. Begründung:
„Ich bin an einer endgültigen Grenze.“
Vor 95 Jahren: Am 23.April 1920 werden bei den Olympischen
Sommerspielen im belgischen Antwerpen erstmals Medaillen im Eishockey vergeben. Das erste olympische Eishockeyturnier gewinnt
Kanada vertreten durch die Amateure der Winnipeg Falcons. (eb)
zahlreichen nationalen und multinationalen Übungsvorhaben in
diesem Jahr (Seite 6/7). Für den
Ernstfall zu trainieren, gehört
für Soldaten zum Alltag. Durch
die aktuelle geopolitische Lage
ist das öffentliche Interesse an
allem, was wir tun, in den vergangenen Monaten enorm gewachsen. Eine Gelegenheit für die
Bundeswehr, ihre Leistungsfähigkeit und ihr Können unter
Beweis zu stellen – auch gegenüber den internationalen Bündnispartnern.
Außerdem im Blatt: Eine
spannende Geschichte aus dem
Kosovo über eine ungewöhnliche
Aufgabe im Feldlager (Seite 5).
Sie handelt vom täglichen Kampf
gegen eine sehr kleine, aber dennoch gefährliche Bedrohung.
Peter Mielewczyk
Redakteur Einsatz
20. April 2015
Ministerium / Hintergrund
aktuell
3
Angst im Osten
Ministerin von der Leyen reist ins Baltikum – und versichert Solidarität.
panie des Jägerbataillons 292
mit den litauischen Streitkräften
Vilnius. Die Sorge vor dem übertrainieren. Höhepunkt des Aufmächtigen russischen Nachenthalts in Litauen ist die zweibarn sitzt tief. Jetzt rüsten die
wöchige Übung „Iron Wolf“ im
baltischen Staaten auf – und
Juni. Dann werden die 250 InfanDeutschland unterstützt sie dabei.
teristen aus Donaueschingen von
Während ihrer mehrtägigen
weiteren 150 Fallschirmjägern
Reise ins Baltikum hat Verteides Fallschirmjägerregiments 31
digungsministerin Ursula von der
verstärkt. Der „Eiserne Wolf“ ist
Leyen die Solidarität der BundesTeil des NATO-Manövers „Sabre
republik und der NATO mit den
Strike 2015“, mit dem die Allianz
baltischen Staaten bekräftigt.
die Verteidigung Ost-Europas
„Ihre Sorgen sind
übt.
auch unsere SorDie Ministegen“, sagte sie bei
rin
informierte
„Ihre Sorgen sind auch unsere Sorgen.“
ihrem Besuch in
sich
außerdem
Ursula von der Leyen während ihres Besuchs im Baltikum.
Estlands Hauptüber die Arbeit
stadt Tallin. An
des NATO
der Solidarität des nordatlan- russisch-sprachige Minderhei- Cooperative Cyber Defence
tischen Bündnisses gebe es kei- ten – die Regierungen fürchten, Center of Excellence. Die etwa
nerlei Zweifel. Die Ministerin: Moskau könnte versuchen, ihre 50 militärischen und zivilen
„Der Artikel fünf gilt für uns als Staaten mit Mitteln der hybriden Experten des Thinktanks beschäfunverbrüchlich.“
Kriegführung zu destabilisieren. tigen sich mit technischen, strateDer litauischen Regierung
Deutschland und die NATO gischen und völkerrechtlichen
sagte von der Leyen ganz kon- zeigen jetzt Flagge in Osteuropa. Fragen der Cyber-Kriegführung
krete Unterstützung zu. Deutsch- Unter anderem mit der Übung und beraten die NATO und ihre
land werde dem Land zwölf „Persistent Presence“. Drei Mitgliedstaaten.
Panzerhaubitzen 2000 aus den Monate lang wird eine KomHintergrund: 2007 war Estland
Opfer eines Cyberangriffs geworden, der das öffentliche Leben
So rüstet das Baltikum auf
tagelang lahmlegte. Bis heute ist
nicht geklärt, wer hinter dieser
In Litauen wurde das Militärbudget für das laufende Jahr auf
Attacke steckte. Cyber Defence,
1,1 Prozent des BIP erhöht und beträgt nunmehr 425 Millionen
also die Abwehr von CyberanEuro. Mitte März stimmte das Parlament in Vilnius in erster
griffen, und Cyberkriegführung
Lesung für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Im vergangewürden immer wichtiger, betonte
nen Jahr kaufte Litauen von Polen tragbare Luftabwehrraketen,
die Ministerin. Die NATOMitglieder haben sich darauf
aus den USA sollen Panzerabwehrraketen und aus Deutschland die
Panzerhaubitze 2000 folgen. Auch Lettland erhöhte seinen Verteiverständigt, dass im Fall eines
digungshaushalt und will 2018 zwei Prozent erreichen. In Estland
Cyberangriffs der NATO-Rat
übersteigt das Militärbudget mit derzeit 412 Millionen Euro die
darüber befindet, ob ein Angriff
Zweiprozentmarke. Die Armee zählt 3000 Berufssoldaten und 3000
nach Artikel 5 des NATOWehrpflichtige, außerdem gibt es 15 000 Paramilitärs. Im verganVertrages vorliegt – und damit
genen Jahr erwarb Tallinn von den Niederlanden 44 Panzer vom
der Bündnisfall.
­
Typ CV90.
(eb)
Mehr auf www.bmvg.de.
Litauen: Von der Leyen mit Verteidigungsminister Juozas Olekas.
Estland: Gespräch mit Präsident Toomas Hendrik Ilves (2.v.l).
Foto (3): dpa/pa
Beständen der Bundeswehr liefern. Litauen soll außer den
Geschützen auch Feuerleitsysteme und Mittel zur Artilleriebeobachtung erhalten. Die Haubitzen werden an den baltischen
Staat verkauft. „Es werden solidarische Konditionen sein“, versicherte von der Leyen.
Seit Russland die Krim annektiert hat, fühlen sich die baltischen Staaten bedroht. In Estland, Lettland und Litauen leben
Von Jan Marberg
Lettland: Pressekonferenz mit Minister Raimonds Vejonis.
Experten beraten über Grundsätze
Was soll im neuen Weißbuch stehen? Mitarbeiterforum für Angehörige der Bundeswehr im Intranet.
Berlin. 2016 soll das neue
Weißbuch vorliegen – jetzt
hat die „Partizipationsphase“
der Arbeitsgruppen begonnen.
Zahlreiche unabhängige Experten diskutieren darüber, welche
Inhalte das neue Grundsatzdokument zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik vereinen soll.
Vergangene Woche hat die
Arbeitsgruppe „Perspektiven der
Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ getagt und sich über die
internationalen Rahmenbedingungen der deutschen Sicherheitspolitik ausgetauscht. aktuell
benennt die wichtigsten Punkte:
• Laut Volker Perthes, Direktor
der Stiftung Wissenschaft und
Politik, dient ein Weißbuch der
Selbstvergewisserung und der
Information der Öffentlichkeit
über die sicherheitspolitischen
Grundlagen der Bundesrepublik. Das Weißbuch müsse
deutlich machen, welche
baut und dieser Anspruch im
Weißbuch deutlich formuliert
werden. Gemeinsam könnten
die EU-Mitgliedstaaten deutlich mehr Einfluss ausüben und
Instrumente und Ressourcen
eingesetzt werden, um die formulierten Ziele zu erreichen.
• Nach Einschätzung von Fritz
Felgentreu, Mitglied des
Bundestags und des Verteidigungsausschusses, muss die
sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa ausge-
an Gestaltungskraft gewinnen.
Anstelle der Zukunftsvision
einer Europäischen Armee
nachzugehen, spricht sich
Felgentreu für eine „Politik der
kleinen Schritte“ aus. Erreichbare Ziele seien gemeinsame
Strukturen wie ein Europäisches Hauptquartier oder
eine Europäische Führungsakademie.
• Roderich Kiesewetter, Abgeordneter im Bundestag und
Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, betont, viele gleichzeitig stattfindende Krisen
und das russische Vorgehen
in der Ukraine hätten deutlich
gemacht, dass die „Zivilmacht“
Deutschland weiterhin eine
glaubwürdige Verteidigung
und eine Debatte über seine
sicherheitspolitische Strategien
und Instrumente benötige.
Ministerin Ursula von der Leyen
empfing die Experten zu einem
Kolloquium. Neben einer Kategorisierung von Gefahren müsse
auch eine Priorisierung erfolgen,
sagte die Ministerin.
(stö)
Mitarbeiterforum
Vor dem Weißbuch steht der
Diskurs – so hat Verteidigungsministerin Ursula von
der Leyen es angekündigt. Ab
sofort können Angehörige der
Bundeswehr im Mitarbeiterforum „WEISSBUCH 2016“
Anregungen für das neue
Grundsatzdokument geben.
Alle Einträge werden von
der Arbeitsgruppe Weißbuch
geprüft und können so die
Entwicklung des neuen Weißbuchs beeinflussen.
Das Forum finden Sie im
Intranet der Bundeswehr.
4
aktuell
Politik / Hintergrund
20. April 2015
Die Afrika-Strategie
G7-Gipfel
ohne Russland
Das Heer intensiviert seine Beziehungen zur South African Army – um zu lernen.
Simbabwe
Strategische
Partnerschaft
Raketen aus Moskau
für den Iran
Moskau. Russlands Präsident
Wladimir Putin hat ein Verbot
von Lieferungen des Luftabwehrraketensystems S-300 an den Iran
aufgehoben. Putins Vorgänger
Dmitri Medwedew hatte die
Auslieferung der Boden-LuftRaketen an den Iran 2010 untersagt, nachdem die UNO wegen
des umstrittenen iranischen
Atomprogramms Sanktionen verhängt hatte. Moskau und Teheran
hatten erst 2007 ein Lieferabkommen über 800 Millionen Dollar
geschlossen. Nach dem Verbot verklagte der Iran Russland
vor einem Genfer Schiedsgericht auf vier Milliarden Dollar
Abfindung. Moskau und Teheran
pflegen traditionell gute Beziehungen.
(bw/jep)
Jemen: Benomar
tritt zurück
Gemeinsam mit dem südafrikanischen Oberbefehlshaber
der Landstreitkräfte Südafrikas, Generalleutnant Vusumuzi
Ramakala Masondo, hat der
Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf, einen
„Letter of Intent“ im Hauptquartier der South Africa Army in
Pretoria unterzeichnet. Die Kernaussagen:
• Festlegung konkreter Kooperationsmaßnahmen beider Heere,
unter anderem auf den Gebieten der UNO-Einsätze und bei
der Counter-IED-Ausbildung.
• Austausch von Experten und
Wissen, unter anderem im
Bereich Urban und Desert
Warfare.
• Gegenseitige Entsendung von
Beobachtern zu Heeresübungen.
Außerdem sollen wechselseitige Heeresgeneralstabsbesprechungen in zweijährigem Rhythmus durchgeführt werden – ein
aussagekräftiges Zeichen dafür,
Mosambik
Namibia
Pretoria
Johannesburg
Maseru
Swaziland
Lesotho
Südafrika
Kapstadt
Grafik: Pfaender
L
Botsuana
Pretoria. Der afrikanische Kontinent gewinnt zunehmend an
sicherheits- und verteidigungspolitischer Bedeutung. Mit den
„Afrikapolitischen Leitlinien“
reagiert die Bundesregierung
auf diese Entwicklung. Jetzt
beginnt im Verteidigungsressort
die Umsetzung der Leitlinien.
Einer der ersten Schritte: Das
deutsche Heer intensiviert die
Beziehungen zu den südafrikanischen Landstreitkräften („South
African Army“).
Foto: Bundeswehr
Foto: imago
Von Ingo Becker
Zu Gast in Afrika: Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf (li.) in Pretoria.
dass beide Seiten großes Interesse
an einer besonders engen Partnerschaft haben. Das deutsche Heer
führt diese Besprechungen ausschließlich mit engen und wichtigen Verbündeten durch. Generalleutnant Kasdorf: „Das sind erste
konkrete Schritte auf dem Weg
in eine langjährige intensive
­
Partnerschaft.“
Hintergrund der Kooperation
sind die im Jahr 2014 beschlossenen Afrikapolitischen Leitlinien,
mit denen die Bundesregierung
auf die zunehmende sicherheitsund ­verteidigungspolitische
Bedeutung Afrikas reagiert.
Wichtige Einblicke
für deutsches Heer
Ziel ist unter anderem, den
Kontakt zu afrikanischen Akteuren zu intensivieren und positive
Entwicklungen aktiv zu unterstützen. Die Republik Südafrika zählt
zu den sicherheitspolitischen
Hauptakteuren auf dem afrikanischen Kontinent. Die Soldaten
sind und waren an zahlreichen
Friedensmissionen und Stabilisierungseinsätzen beteiligt, beispielsweise in Darfur, in der
Demokratischen Republik Kongo
und Burundi. Von einem Erfahrungsaustausch erhofft sich die
deutsche Heeresführung wichtige Einblicke in die Einsatzbedingungen auf dem afrikanischen
Kontinent.
Für das deutsche Heer ist der
Übungsplatz aufgrund der extremen Bedingungen, die dort vorherrschen, interessant. Die Temperaturspanne reicht von minus
18 Grad im Winter bis zu 45 Grad
im Sommer. Hinzukommt: Durch
den eisenhaltigen Boden ist eine
Orientierung mittels Magnetkompass erschwert. Nun soll geprüft
werden, ob deutsche Soldaten das
Übungsgelände nutzen können.
Generalmajor Walter Spindler,
Kommandeur Ausbildungskommando in Leipzig: „Ein Übungsplatz mit zahlreichen Möglichkeiten, die für das Heer durchaus
von Interesse sein können.“
Der nächste Schritt: Im Herbst
soll eine Delegation der South
African Army nach Deutschland
reisen. Gemeinsam mit Vertretern des deutschen Heeres sollen
dann die Rahmenbedingungen
für die ab 2016 beginnenden
Heeresgeneralstabsbesprechungen festgelegt werden. Die South
African Army verfügt über etwa
40 000 aktive Soldaten und rund
12 300 Reservisten.
Übungsort mit
Extrembedingungen
Dem „Letter of Intent“ war der
Besuch einer deutschen Delegation in Pretoria vorausgegangen.
Unter anderem besuchten die
Soldaten das Combat Training
Center in der Kalahari Wüste.
Es bietet Übungsmöglichkeiten,
die in dieser Breite weltweit nur
sehr selten vorhanden sind. Auf
158 000 Hektar – das entspricht
in etwa der doppelten Fläche
Berlins – sind verschiedenste
Übungsräume und Schießbahnen
für Waffen aller Kaliber sowie
360-Grad-Schießbahnen für
Gefechtsfahrzeuge vorhanden.
Aufgefordert, mitzureden
N
Von Alexander Linden
ulm. Der neue Bürgerdialog der
Bundesregierung hat begonnen.
Unter dem Titel „Gut leben in
Deutschland“ sollen Bundesbürger in den kommenden
Monaten über ihre Ideen für und
ihre Anforderungen an das Land
diskutieren. Auch das Verteidigungsministerium beteiligt sich.
Auftakt war vergangene Woche
eine Veranstaltung vom Bundeswehr-Sozialwerk in Ulm.
Auftrag an die geladenen Soldaten und Zivilisten: Sie sollen
in Ulm zunächst die drei für
ihr eigenes Leben wichtigsten
Bereiche identifizieren. Ergebnis: „Familie“ und „Gesundheit“
stehen ganz oben. Die „persönli-
Foto: imago
Foto: imago
Der neue Bürgerdialog der Bundesregierung „Gut leben in Deutschland“ startet.
Der neue Bürgerdialog: Auch Soldaten sollen sich einbringen.
che Freiheit“ in Deutschland wird
als umfassend, jedoch materiell
zu abhängig empfunden.
Die Themen „Gerechtigkeit“
und „Bildung“ zeigen emotionale
Sprengkraft. Der Föderalismus
mache das gute Bildungssystem
überregional zunichte. „Gerech-
tigkeit“ sei an sich schwer zu
definieren. Der Gang zum Anwalt
oder der Ruf nach Gesetzen verdränge zunehmend gesunden
Menschenverstand. Zwei weitere Aspekte, seien fehlende
Steuergerechtigkeit und technisch bedingte Informations-
ungerechtigkeit, lautet das Fazit
der Teilnehmer.
Alle Ergebnisse werden protokolliert. Die Bundesregierung will zentrale Themen für
die Gesellschaft aus deren Mitte
heraus identifizieren. Mit Unterstützung von etwa 100 Organisationen finden bis Herbst mehr als
150 Veranstaltungen statt. Auch
im Internet können Bürger sich
zu Wort melden. Die Idee dahinter? Ein Hauptfeldwebel bringt es
in Ulm auf den Punkt: „Als Wähler will ich Ergebnisse spüren.
Sonst macht Politik keinen Sinn.“
Mehr Informationen zum Bürgerdialog und weitere Termine
auf www.bmvg.de und www.gutleben-in-deutschland.de.
20. April 2015
Einsatz / Bundeswehr
Mikroskopieren im Kosovo
aktuell
5
Informationen
aus erster Hand
Kontrolle: Die Proben aus der Petrischale (re.) werden unter dem Mikroskop bis zu
1000-fach vergrößert, auf Bakterien kontrolliert und mit Koblenz abgestimmt.
Prizren. Vorbeugen. Erkennen.
Bekämpfen. Das ist der Auftrag
von Oberfeldwebel Gerrit S. im
Einsatzkontingent bei KFOR.
Was viele nicht vermuten: Sein
Einsatzort ist nicht auf den Straßen von Prizren, sondern im
Labor für Mikrobiologie. Mikrobiologen als Teil von Einsatzkontingenten? Nur wenige machen
sich Gedanken, dass zur ärztlichen Versorgung auch die Vorbeugung von Krankheiten gehört.
Den Auftrag direkt
vor Augen
Im Labor des Einsatzlazaretts
unterstützt Oberfeldwebel Gerrit
S. die Ärzte bei genau dieser
Arbeit. Seit Anfang November
2014 ist er am Einsatzort. Sein
persönliches „Feindbild“ entsteht
in Petrischalen und Reagenzgläsern und lässt sich bis zu 1000-
fach vergrößern. „Wenn ich die
Proben vom Truppenarzt bekommen habe, werden sie bakteriologisch angezüchtet. Am nächsten Tag wird diese Anzucht auf
verdächtige Bakterienkolonien
kontrolliert.“ Was gilt für ihn
als Bedrohungslage? „Wenn ich
Salmonellen, Shigellen, Campylobacter oder ähnliche für den
menschlichen Körper schädliche Keime in Proben nachweise und identifiziere“, sagt
der 29-Jährige. Das Aufspüren,
Identifizieren und Ausschalten
von Parasiten stellt für ihn keine
Herausforderung dar.
Das Mikroskopieren setzt
Erfahrung voraus. „Fachbücher
sind oft nicht ausreichend hilfreich, weil die dort gezeigten Fotos nur ein Idealbild des
Erregers oder Parasiten zeigen“,
erklärt der Münchner. Erst die
Berufserfahrung bringt auch
die Sicherheit.
Bei der weiteren
Diagnostik
­
bekommt
Gerrit S. Unterstützung aus dem
Bundeswehrzentralkrankenhaus
in Koblenz: „Die untersuchte
Probe sende ich als Bild in das
Bundeswehrzentralkrankenhaus.
Dort beurteilt der Facharzt die
Probe und teilt mir dann seinen
Befund mit.“
Unterstützung für
US-Kameraden
Auch für die Lebensmittelhygiene sind seine Ergebnisse
wichtig. Täglich bearbeitet er
Proben zur Küchentauglichkeit
des Personals. Anhand seiner
Resultate wird über den Zutritt
in den Küchen- und Hygienebereich entschieden. 150 Tests
kommen im Monat schnell
zusammen. Stellt S. Unregel-
„Jester is ready for take off“
Seefernaufklärer P-3C Orion kehrt zurück ins Einsatzkontingent am Horn von Afrika.
D
Mittelmeer
Rufnamen „Jester“ dem
Einsatzkontingent
Foto
EUNAVOR Atalanta
: Wil
DSCHIBUTI
ke/B
unde
sweh
wieder zur Verfügung.
r
Die Zeit ohne
ca. 6 607 608 km
„Jester“ wurde sowohl
kation, ­Logistik
im Einsatzgebiet als
und Technik waren
Atlantischer
auch in Deutschland
für den uneinca.
Ozean
357 165 km
genutzt. Innerhalb von
geschränkten
drei Monaten haben die
Flugbetrieb vorzuSoldaten des Spezialpionierbereiten.
Mit dem
MADAGASKAR
bataillons 164 in Husum den
Eintreffen
des
HauptIndischer
Bw
Red
Ozean
fik:
Gra
gesamten Arbeitsbereich der Einkontingents der Einsatzsatzgruppe in Dschibuti saniert.
gruppe und „Jester“ sind nun
Die fliegende Crew hatte Zeit, des Vorkommandos mit 34 Ton- wieder 47 Soldaten vor Ort. Als
in Deutschland neue Soldaten nen Material damit begonnen, Anfang April dann die Worte
in ihren Auftrag einzuweisen. die Infrastruktur in Dschibuti „Jester is ready for take off“ an
Mitte März haben die Soldaten wieder herzustellen. Kommuni- den Tower gehen, kann der erste
2
2
Einsatzflug der P-3C Orion im
Jahr 2015 beginnen.
Das Seegebiet mit Hilfe
der Besatzung des Aufklärungsflugzeuges auch aus
der Luft aufzuklären, sei eine
entscheidende Fähigkeit,
sagt der Kommandeur des deutschen
Einsatzverbandes,
Fregattenkapitän
Frank Fähnrich.
Die größte Herausforderung des Einsatzes ist
der riesige Umfang des zu überwachenden Gebietes – die Fläche
ist etwa 18-mal so groß wie
Deutschland.
„Die Abnahme der Piraterie ist auch ein Ergebnis
des Lagebildes über See und
im Bereich der somalischen
Küste, zu dem ‚Jester‘ entscheidend beiträgt“, erklärt der
Kommandeur.
(eb)
Foto: Schachel/Bundeswehr
mäßigkeiten bei den Proben des
Küchenpersonals fest, schlägt er
Alarm – und verhindert, dass es
zu einer weiteren Ansteckung
oder einer Übertragung auf die
Lebensmittel kommt. In der
Bakteriologie und Parasitologie
können fast alle Untersuchungen
durchgeführt werden. Auch die
US-Kameraden im Camp
Bondsteel ­profitieren
von den modernen
Geräten und der
­gewissenhaften
Arbeit: „Die
amerikanischen
Kameraden ­hatten
ein GastroenteritisAusbruch (Anm.
d. R.: Magen-DarmGrippe) und haben bei
uns um entsprechende Untersuchungen gebeten.“ Auf diesem
Weg konnte Oberfeldwebel
Gerrit S. nicht nur Erreger identifizieren, sondern auch mögliche Übertragungswege aufzeigen. Die Ursachen Erkennen
hilft, eine weitere Verbreitung
einzudämmen und zukünftig zu
vermeiden. Auch die Behandlung
kann so zielgerichteter erfolgen.
Oberfeldwebel Gerrit S. hat
sichtlich Spaß bei seiner Tätigkeit. „Die Einsatzvorbereitung
für diese Aufgabe war besonders gut und fachlich ein großer
Gewinn für mich. Die Tätigkeit
im mikrobiologischen Labor
und die Kooperation mit anderen
KFOR-Nationen hat mir bisher
sehr viel Spaß gemacht“, sagt der
Oberfeldwebel.
(eb)
Mazar-e sharif. Staatssekretär
­
Ralf Brauksiepe hat Anfang
April die deutschen Soldaten
im nordafghanischen Mazar-e
Sharif besucht. Dort hat er
sich in das „Train, Advise and
Assist“ (Ausbilden, Beraten
und Unterstützen) – den Kernauftrag der aktuellen Mission
„Resolute Support“ – einweisen
lassen. Außerdem informierte er
sich über die Ausstattung der
­Soldaten.
(eb)
Polizeinachwuchs
erfolgreich ausgebildet
Mazar-e sharif. Nach sechs
Monaten Ausbildung haben 802
afghanische Polizei-Unteroffiziere im „Police Sergeant Training Command“ ihren Lehrgang
erfolgreich abgeschlossen. An
der feierlichen Zeremonie nahmen neben dem stellvertretenden afghanischen Innenminister
Jawahr, der Schulkommandeur
General Aqtash und Brigadegeneral Hannemann als Kommandeur des „Train, Advise and
Assist Command North“ teil.
Die Ausbildung der Polizeianwärter erfolgt durch afghanische
Polizisten. Ausländische Kräfte
stünden der Leitungsebene
dabei beratend zur Seite, sagt
Polizeihauptkommissar Markus
K., der als deutscher Berater
tätig ist.
(eb)
Zu politischen
Gesprächen im Irak
Foto: Bundeswehr
Foto (3): Koch/Bundeswehr
Bakterien und Parasiten zur Kontrolle im Feldlager-Labor des deutschen Einsatzkontingents.
Bagdad / Erbil. Staatssekretär Markus Grübel hat den Irak
für politische Gespräche besucht.
Themen wie die Bekämpfung
der Terrorgruppe „Islamischer
Staat im Irak und in Syrien“
(ISIS), die Menschenrechtssituation und die deutsche Ausbildungsunterstützung im Irak
standen im Mittelpunkt der
Gespräche mit irakischen Vertretern aus Politik und Militär.
Zum Abschluss besuchte Staatssekretär Grübel die deutschen
Soldaten des KTCC „Kurdistan
Training Coordination Center“
in Erbil.
(eb)
6
aktuell Bundeswehr
aktuell Startklar
Wann und wo wird in diesem Jahr geübt? aktuell gibt den
Überblick – und hat das Hubschraubergeschwader 64
beim Manöver begleitet.
„142 Männer und Frauen
arbeiten Hand in Hand, um den
Übungsbetrieb unter Tag­ und
Nachtflugbedingungen mit drei
Hubschraubern sicherzustel­
len“, sagt Oberstleutnant Bernd
Wiedenhöfer. Der Staffelkapitän
der 1. Fliegenden Staffel des HSG
64 aus Laupheim ist Kommando­
führer des Übungskontingentes.
von Carsten Vennemann
Oberlausitz. Das Hubschrau­
bergeschwader 64 „Ober­
schwaben“ übt mit seinen CH­53
­Transporthubschraubern den
Flugbetrieb bei Tag und Nacht
unter einsatznahen Bedingungen.
Der Truppenübungsplatz
Oberlausitz bietet dafür beste
Bedingungen.
Truppenlager Haide, früher
Morgen, Take off. Die CH­53GS,
eine modernisierte Version der
CH­53G, hebt von der „Platte“
ab, gewinnt schnell an Höhe. In
den kommenden zwei Stunden
wird die Besatzung ein umfang­
reiches Übungsprogramm absol­
vieren.
„Heli Dust“ heißt die jähr­
liche Übung des in Laupheim
und Holzdorf stationierten
­Hubschraubergeschwaders 64
(HSG 64). Und der Name verrät:
Es wird staubig zugehen.
­
Hubschrauber vom Erdboden.
Der Kommandant löst manuell
die Täuschkörperwurfanlage aus.
Sofort werden die Leuchtkörper,
sogenannte Flares, ausgestoßen.
Dieses als „pre­emptive flares“
bezeichnete Verfahren verhin­
dert, dass der gegnerische Flie­
gerfaustschütze das Luftfahrzeug
klar anvisieren kann.
In 25 Metern Höhe
über den Platz
Rakete
im Anflug
Auf der „Platte“ laufen die
Vorbereitungen für den Start
eines zweiten Hubschraubers,
einer CH­53GE. Die Techniker
haben die Vorflugkontrolle
abgeschlossen, die Maschine
ist startklar. Während die Bord­
sicherungssoldaten die Muni­
tionskisten verstauen und ihre
Waffen klar zum Gefecht
machen, nimmt Major Marius
M. vorne rechts im Cockpit
In einem weiten Bogen steu­
ert der Pilot die CH­53GE über
die Schießbahn und beginnt
einen neuen Anflug. Durch das
gleichmäßige Brummen der
Triebwerke warnt plötzlich eine
Frauenstimme über die Kopf­
hörer: „Missile – three o‘clock“
– Rakete im Anflug! Eine
weiße Rauchspur steigt in den
Himmel, zeugt vom Abschuss
einer „smokey SAM“. So werden
die kleinen
Raketen zur
visuellen Dar­
stellung einer
Boden­Luft­
Rakete
bezeichnet.
Gleichzei­
tig wird der
Hubschrau­
ber mit einem
leistungsfähigen UV­Strahler
angestrahlt. Die Anlage zur
elektronischen Erkennung und
Abwehr von Flugabwehr­
geschossen reagiert prompt:
Erneut verschießt die Täuschkör­
perwurfanlage eine Vielzahl von
Flares. Für die Bedrohungsdar­
stellung durch Flugabwehr sind
Spezialisten des Multinational
Aircrew Electronic Warfare
Tactics Facility Polygone
(MAEWTF POLYGONE)
zuständig. Dabei handelt es
sich um eine in Deutschland und
Überlick 2015: Truppenübungen
Frankreich gele­
gene Übungseinrich­
tung für den elektronischen
Kampf.
Das Einsatzspektrum des HSG
64 reicht von Lufttransport im
nationalen und multinationalen
Umfeld über Durchführung von
Einsätzen zur Rettung von Perso­
nal (Personnel Recovery), medi­
zinischer Evakuierung bis hin zur
Unterstützung von militärischen
Evakuierungsoperationen und
Einsätzen der Spezialkräfte. Das
Fähigkeitsprofil des fliegenden
Personals ist vielschichtig – die
Übungsszenarien für „Heli Dust“
auch. „Die Luftfahrzeugbesat­
zungen üben die Aufnahme und
das
Absetzen von
Außenlasten, Staublandungen,
Tiefflug, verschiedene Verfah­
ren bei Bedrohung durch Flugab­
wehrsysteme und den Nachtflug
im kompletten Einsatzspektrum.
Die Bordsicherungssoldaten
werden zahlreiche Schul­ und
Gefechtsschießen im scharfen
Schuss durchführen“, umreißt
Kommandoführer Oberstleutnant
Wiedenhöfer grob das Übungs­
programm.
Die CH­53GE steuert die
Schießbahn 2 im Osten des Trup­
penübungsplatzes an. Mit ihren
weitläufigen Sandflächen ist sie
idealer Trainingsort für Staub­
landungen. „Die Verhältnisse
kommen denen in Afghanistan
sehr nahe“, sagt Major M. Er hat
bereits einen Landeplatz anvi­
siert. „Staublandung“, kündigt
er das nächste
Manöver über
Bordfunk an.
„Staublandung
verstanden“,
antwortet der
Bordmechaniker
in der Kabine.
Während der
Hubschrauber
eine Platzrunde
dreht und Major
M. nach einem
Referenzpunkt am
Boden sucht, nimmt
der Bordmechaniker
an der geöffneten
Heckrampe
Position ein. Die
Nase des Hubschraubers
geht hoch, die Rotorblätter
klopfen, der Hecksporn
fährt aus. Der Abwind des
mächtigen Sechs­Blatt­
Rotors wirbelt den Sand hoch.
Eine Wand aus Staub und Sand
türmt sich rund herum auf und
verhüllt den Hubschrauber. Auf
der Heckrampe liegend beob­
achtet der Bordmechaniker den
Landeanflug. „Fünf tief, vier
tief,… eins tief, links Kontakt,
rechts Kontakt“, meldet er an
den Piloten. Ein Ruck geht durch
die Kabine, die Maschine
steht sicher. Nach einem
kurzen Moment Stand­
zeit steigert Major M.
die Triebwerksleistung
und hebt wieder ab.
Damit die Triebwerke
durch die sandhaltige
Luft nicht beschädigt
werden, sind Luftfil­
ter, so genannte EAPS
(Engine Air Particle
Separator), installiert.
Auch die Kanten der Rotorblät­
ter des Haupt­ und Heckrotors
sind mit Folien vor der aggres­
siven Wirkung der Sandpartikel
geschützt.
Einsatz für
die Doorgunner
„Einsatzbereitschaft herstel­
len“, befiehlt der Hubschrauber­
kommandant den Bordsiche­
rungssoldaten. Sie sind die
„Doorgunner“. Major M. steuert
im Tiefflug zu den Zielfeldern.
Über den Bordfunk erhalten die
Bordsicherungssoldaten ihre Ziel­
zuweisung und das Kommando
„Feuer frei“. Die Maschinen­
gewehre M3M
hämmern, der
Einschlag der
Geschosse
im Zielfeld
ist unüber­
sehbar. In
mehreren
Anflügen
bekämpfen
die Door­
gunner die
Ziele.
„Morgens die ersten, abends
die letzten“ lautet das Motto der
Techniker, die die Maschine am
Ende des Übungstages überprü­
fen. Sorgfältig werden die Zelle
und Rotorblätter nach Beschädi­
gungen abgesucht, Füllstände
und Triebwerke kontrolliert,
die Cockpit­Scheiben gerei­
nigt. Elektroniker überprüfen
die Anlage zur elektronischen
Kampfführung. Die Munitions­
gruppe bestückt die Täuschkör­
perbehälter mit neuen Flares,
stellt Munition für die Bord­
sicherungssoldaten bereit. Knapp
eine Stunde, dann ist der Hub­
schrauber wieder startklar. Aber
es läuft nicht immer rund. Staub­
landungen und extreme Flug­
manöver
belasten die
Maschine.
„Da geht
auch mal
e t w a s
kaputt“, sagt
Oberstleut­
nant Wieden­
höfer.
„Trainieren
für den Ein­
satz“ ist der
Leitgedanke
der Übung „Heli Dust 2015“.
Der bleibt für das HSG aktuell.
„Wir haben drei Hubschrauber in
Afghanistan im Einsatz und wer­
den dort auch weiterhin präsent
sein“, sagt Wiedenhöfer.
In den kommenden Wochen
verlegt das HSG 64 mit eini­
gen Hubschraubern in die
Vereinigten Staaten, um an der
Übung „Angel Thunder“ teil­
zunehmen – der weltweit größ­
ten und realistischsten Combat
Search and Rescue­Übung mit
multinationaler
­
Beteiligung.
Überlick 2015: Computergestützte und Stabsübungen
SIIL
Mai
Zeichenerklärung
Estland
IRON WOLF
Juni
NATO
COMPACT EAGLE
November
Mai - Juni
BALTOPS
Juni
Name der Übung
Übungsmonat/-ort
Polen
November
Finnland, Norwegen
Ostsee
Oktober
Lettland
SILVER ARROW
Ostsee
September
OPEN SPIRIT
Mai
Litauen
DETONATORS
NORTHERN COASTS
September
Litauen
IRON SWORD
ARCTIC CHALLENGE
Multinationale Übung
Lettland
NOBLE JUMP
Ostsee
Juni
Polen
STEADFAST COBALT
Mai - Juni
April
November
Niederlande
TRIDENT JAGUAR
April - Mai
Multinationale Übung
November
COMPACT EAGLE
November
Name der Übung
Übungsmonat/-ort
Polen
PRECISE CARE
April und Oktober
ARRCADE FUSION
November
COMPACT EAGLE
Großbritanien
November
November
Juni
Juni
November - Dezember
Frankreich
VIGOROUS WARRIOR
EUROPEAN ADVANCE
Tschechien
November - Dezember
EUROPEAN ADVANCE
November - Dezember
Österreich
SPACE SITUATIONAL
AWARENESS TABLETOP
Mai
CAPABLE LOGISTICIAN
ANGEL THUNDER
Mai - Juni
Juli und September
Ungarn
USA
AFRICAN LION
Mai
TRIDENT JUNCTURE
Marroko
Sep. - Nov. Spanien, Portugal, Italien
ARGONAUT
ITALIEN BLADE
Mai
Juni - Juli
Italien
Baltikum, Polen
Frankreich
EUROPEAN CHALLENGE
Baltikum, Polen
Juni
Polen
SABER STRIKE
PONY EXPRESS
Polen
SABER STRIKE
Großbritannien
Kanada
Italien, Deutschland
Polen
Oktober
JOINT WARRIOR
Norwegen
NAPLES JOURNEY
DRAGON
PRECISE RESPONSE
Juli
Polen
COMPACT EAGLE
FRISIAN FLAG
Zeichenerklärung
NATO
Zypern
USA
Österreich
TRIDENT JOUST
TRIDENT JUNCTURE
Sep. - Nov. Spanien, Portugal, Italien
Juni
7
Italien
8
aktuell
bundeswehr
20. April 2015
Trainingsflug über Helgoland
Testphase: Schulen
sind ausgerüstet
Fregatte heißt
Nordrhein-Westfalen
H
Flugvorbereitung für
den Navigationsflug
Kapitänleutnant Florian Vosgerau und Leutnant zur See
Daniel Höser sind beim Briefing
mit ihrem Operator, dem dritten
Mann an Bord. Zwei Stunden
werden sie heute über See unterwegs sein, zunächst entlang der
ostfriesischen Inseln, danach hinaus aufs Meer Richtung Helgoland. „Hier auf Land ist es natürlich sehr leicht, zu navigieren,
da gibt es viele Hinweise, wo
man hin muss,“ so Vosgerau.
Über See zu fliegen, sei deutlich
schwieriger, da sich die Piloten
anhand von Tonnen im Wasser
orientieren müssen.
Vosgerau ist heute Pilot in
Command, kümmert sich um
Navigation und Funk. Höser
wird die Maschine fliegen. Von
Nordholz aus geht es Richtung Westen. Plötzlich verhindert eine Nebelbank den Weiterflug. Vosgerau lässt nach Norden
Präzisionsanflüge
sind unverzichtbar
Jetzt soll noch die Tonne
„Elbe“ angeflogen werden. Für
die Piloten ist die Navigation
mit dem EC-135 kein Problem.
Auf diesem Modell haben sie
ihre fliegerische Grundausbildung absolviert. Langsam nähert
sich der Hubschrauber der Tonne
„Elbe“. Hier kommt der Operator, der dritte Mann an Bord, ins
Spiel. Er ist für die Piloten ein
unverzichtbares drittes Augenpaar, wenn Ziele am Boden, oder
wie hier auf See, angeflogen werden. Präzisionsanflüge wie diese
könnte. Die Crew weiß: Im Einsatz kann es hier um Menschenleben gehen.
Die heutige Mission ist beendet. Nach zwei Stunden landet
der Hubschrauber wieder
beim Marinefliegergeschwader in Nordholz.
Vosgerau ist zufrieden:
„Es war ein sehr interessanter Flug, der
wieder einmal deutlich
gemacht hat, warum die
EC-135 so wertvoll fürs
uns ist.“
esw
ehr
abdrehen, in der
Hoffnung, das
Nebelgebiet
umfliegen
zu können.
Und tatsächlich: Der Himmel klart
auf, die Mission kann
fortgesetzt
werden.
Die Crew fliegt
nun Helgoland an. Ihr Ziel:
der Landeplatz, den die Marine
für den Such- und Rettungsdienst über der Nordsee nutzt.
Nach kurzem Schwebeflug geht
es weiter. Von Helgoland aus
führt die Route zurück zur Küste.
und
nordholz. Die Marineflieger
gehen bei der Ausbildung des
Pilotennachwuchses neue Wege:
Um den Luftfahrzeugführern
genügend Flugstunden zu verschaffen, haben sie einen zivilen
Hubschrauber angemietet. Mit
dem EC-135 (Foto) sind die
Piloten fast täglich in der Luft.
Sie können sich so in Übung halten, bevor sie später auf die Hubschrauber der Marine wechseln.
Rund 600 Flugstunden ist der
EC-135 pro Jahr für die Marineflieger im Einsatz.
o: B
Ingolstadt. Mit Spiegeln,
Kühlschränken, Fernsehern
und Stehlampen sind jetzt 3000
Unterkunftsstuben in Schulen
des Heeres (Dresden und Ingolstadt), der Luftwaffe (Appen), der
Streitkräftebasis (Garlstedt) und
des Bildungszentrums (Mannheim) ausgestattet worden. Mit
einem Medientag wurde in Ingolstadt der Schlussakzent für die
Testphase gesetzt. Die Aktion
„Erweiterte Ausstattung“ im
Zeichen der Attraktivitätsagenda
„Bundeswehr in Führung“ war im
Herbst begonnen worden. Ziel
ist es, bis 2018 insgesamt 55 000
Unterkunftsräume entsprechend
auszustatten. Dafür werden bis
2018 insgesamt 38,5 Millionen
Euro ausgegeben.
(dibu)
von Robert
Annetzberger
Fot
Foto: Vennemann/RedBw
Mit einem angemieteten Hubschrauber EC-135 beschreitet die Marine neue Wege.
Schritt
nach vorn
sind wichtig,
um etwa einen verunglückten Segler bei einem Rettungseinsatz so
genau wie möglich anfliegen zu
können.
Nun wartet noch ein weiterer
Trainingsabschnitt auf die Crew.
Es geht Richtung Wattenmeer.
Im Übungsgebiet angekommen,
wirft der Operator ein orangefarbenes Kreuz ins Wasser. Mit
der Seilwinde lässt er nun einen
Haken hinab, mit dem er das
Kreuz aus dem Meer fischen
muss. Jetzt kommt es darauf an,
dass die Koordination zwischen
den Crewmitgliedern optimal
funktioniert. Wieder dirigiert der
Operator an der Winsch die Piloten, denn nur er hat den optimalen Blick nach unten und hinten.
Bei einem echten Notfalleinsatz wäre am Ende des Seils eine
Rettungsschlaufe oder ein Korb
angebracht, mit deren Hilfe ein
Verunglückter gerettet werden
Für das Marinefliegergeschwader
5 (MFG 5) ist die Nutzung
des EC-135 ein entscheidender und für die Bundeswehr ein
richtungsweisend pragmatischer
­
Fortschritt. Im Vergleich zu den
Einsatzhubschraubern sei das
Projekt kostengünstig.
Zudem sei für die Wartung und
Reparatur allein die zivile Betreiberfirma zuständig. „Es ist kein
Bundeswehr-Hubschrauber, sondern ein ziviler Hubschrauber,
den wir wie einen Mietwagen
anmieten – und das tun wir im
Moment zu einem Preis von
knapp 3000 Euro in der Stunde,
und das ist wirklich konkurrenzfähig“, erklärt Fregattenkapitän
Jörg Modey, Kommodore des
Marinefliegergeschwaders 5.
Der Beitrag „EC-135
fliegt für die Marine“
unter www.youtube.
com/bundeswehr.
Luftkampf multinational
Leeuwarden / niederlande.
Donnergrollen am Himmel
über Leeuwarden im Norden
der Niederlande – Nachbrenner
zünden. Mehr als 50 Luftfahrzeuge der NATO sind derzeit an
der Übung „Frisian Flag“ 2015
beteiligt. Sie trainieren komplexe
Luftoperationen im Verbund.
Integriert in dieses Übungsgeschehen findet die Luftbetankungsübung EART 2015 (European Air Refueling Training)
2015 des Europäischen Lufttransportkommandos (EATC)
in Eindhoven statt.
Der Luftwaffenstützpunkt
Leeuwarden ist gegenwärtig Dreh- und Angelpunkt für
multinationales
­
Luftkampftraining. Bis diesen Freitag üben
dort neben dem Gastgeber von
der Royal Netherlands Air Force
(RNLAF) auch polnische, finnische, spanische und amerikanische Staffeln. Von deutscher
Seite ist das Taktische Luftwaffengeschwader (TaktLwG) 31
„Boelcke“ mit zehn Eurofightern
an der Übung beteiligt. Unterstützt wird es dabei personell
und materiell von der Taktischen
Luftwaffengruppe „Richthofen“
aus Wittmund und dem TaktLwG
74 aus Neuburg.
Hinzu kommt das Deployable
Control and Reporting Center
„Red Hawk“ des Einsatzführungsbereiches 3 aus Holzdorf/
Schönewalde. In Zusammenarbeit mit den niederländischen
Jägerleitstellen und einem
Foto: Metternich/Bundeswehr
Bei den Übungen „Frisian Flag“ und EART proben die NATO-Partner komplexe Operationen in der Luft.
Bei „Frisian Flag“ mit dabei: Ein Eurofighter des Taktischen Luftwaffengeschwaders 31“Boelcke“ rollt zum Start.
AWACS E-3A Frühwarnflugzeug der NATO wird so ein Luftlagebild erstellt, das zur Steuerung und Überwachung der
Übung nötig ist.
Nach 2010 sind erstmals
zwei Staffeln aus den Vereinigten Staaten mit dabei. Jeweils
sechs F-15 „EAGLE“ der Florida
und Oregon Air National Guard
nehmen teil. Bereits zum zweiten Mal nach 2014 findet die
Luftbetankungsübung EART
statt. Neben einem niederländischen KDC-10 Tankerflugzeug liefern eine französische
Boeing C-135FR Stratotanker
sowie ein Airbus A310 MRTT der
Flugbereitschaft aus Köln Kerosin aus der Luft. In dieser Woche
hat sich eine Boeing KC-767A
der italienischen Luftwaffe aus
Pratica di Mare angesagt.
Vor dem Hintergrund weltweiter Einsätze wird eine enge
Zusammenarbeit und gemeinsames Training zwischen Staffeln
und Nationen immer wichtiger.
Übungen wie „Frisian Flag“ und
EART leisten dazu einen wichtigen Beitrag.
(eb)
20. April 2015
innere Führung / Militärgeschichte
Die letzte Schlacht um Berlin
Die US-Army zieht
Richtung Süden
Bis heute fragen sich viele,
warum die USA es der Roten
Armee überließen, die deutsche
Hauptstadt zu erobern. Angesichts des unerwartet raschen
Vorstoßes der westalliierten
Truppen über den Rhein hinweg
mitten durch das Reichsgebiet
hätte sich Washington durchaus Berlin zuwenden können.
US-Oberbefehlshaber General
Dwight D. Eisenhower spielte
eine Zeitlang mit diesem Gedanken. Als ihm seine Berater jedoch
mitteilten, man müsste dafür mit
Verlusten von ungefähr 100 000
Mann rechnen, schien ihm dieser
Preis zu hoch gewesen zu sein.
Foto: dpa/pa
Nach der deutschen Kapitulation: Blick auf das zerstörte Reichstagsgebäude im Mai 1945.
Jedenfalls „entdeckte“ der
US-Geheimdienst beinahe zeitgleich eine mögliche deutsche
Alpenfestung. Eisenhower befahl
daraufhin seinen Truppen den
Schwenk gen Süden und überließ Berlin wie vereinbart den
sowjetischen Verbündeten.
In Washington glaubte man,
Moskau noch als Verbündeten
auf dem pazifischen Schlachtfeld zu benötigen. Dort lieferten
die japanischen Truppen hartnäckige Rückzugsgefechte.
Schon einen Tag bevor die ersten Verbände der Roten Armee
am 21. April in die Stadt eindrangen, hatte man auf der deutschen Seite mit der Evakuierung
aller Regierungsgebäude und der
Vernichtung aller Akten begonnen. Die nun entbrennenden gnadenlosen Häuserkämpfe dienten
allein dem Kampf bis zum letzten Mann und zur letzten Patrone,
wie er von Hitler befohlen worden war. Hier wie andernorts fand
sich kein militärischer Befehlshaber, der sich gegen seinen „Führer“ und für das Überleben seiner
Untergebenen entschieden hätte.
Stattdessen terrorisierten Standgerichte und Exekutionskommandos die eigenen Truppen.
Adolf Hitler begeht
Selbstmord
Am 24. April ernannte Hitler
den General der Artillerie
Helmuth Weidling zum Kampfkommandanten von Berlin.
Einen Tag zuvor hatte der „Führer“ zwar noch dem General der
Panzertruppen Walther Wenck
den undurchführbaren Befehl
gegeben, mit dessen 12. Armee
aus dem Süden zur Reichshauptstadt durchzubrechen. Doch
schon am 25. April schloss die
Rote Armee ungefähr 40 Kilometer westlich Berlins bei Ketzin ihren Ring um die Stadt. Die
sowjetischen Truppen kämpften
sich konzentrisch bis zur Stadtmitte vor und hissten am späten Abend des 30. April die Rote
Fahne auf dem Reichstag.
Während sich die verbliebenen
Verteidiger noch ihres Lebens
erwehrten, tötete sich Hitler in
der folgenden Nacht zusammen
mit seiner noch rasch angetrauten
Ehefrau Eva Braun im „Führerbunker“ unter der Reichskanzlei
selbst. Am 2. Mai kapitulierte
General Weidling schließlich für
Berlin. Die Regierungsgewalt im
Deutschen Reich übernahm nach
dem Willen Hitlers Großadmiral
Karl Dönitz in Mürwik. Auf dessen Befehl wurde noch eine weitere Woche sinnlos weitergekämpft und gestorben.
Autor: Oberstleutnant Dr. John
Zimmermann arbeitet am Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der
Bundeswehr.
Soldaten wie alle anderen?
„Himmlers Krieger“: Buch zur Waffen-SS zerpflückt den Mythos einer rein militärischen Elite.
Geschichte.
Le Paradis,
Babij Jar,
Oradoursur-Glane,
Distomo,
Marzabotto,
Malmedy.
Sechs Orte,
sechs SS-Massaker. Nicht die
einzigen. Waren die Angehörigen der Waffen-SS Verbrecher
oder Soldaten wie alle anderen?
Darüber ist viel gestritten worden. Lange wurde argumentiert,
dass zwischen der politischen
SS und der im Kern anständigen Waffen-SS zu differenzieren
sei. Es dauerte Jahrzehnte, bis
Wissenschaftler diese verzerrte
Sicht korrigieren konnten. Jens
Westemeiers Buch „Himmlers
Krieger“ setzt in dieser Hinsicht
neue Maßstäbe.
SS-Soldaten als militärische
Elite des Reiches? Hart, aber fair?
20 Jahre nach dem Krieg waren
selbst ehemalige Gegner geneigt,
die militärischen Leistungen der
Waffen-SS zu würdigen. Es überrascht nicht, dass dies unter „alten
Kämpen“ gut ankam. Bestens
vernetzt, schufen sie sich in der
Bundesrepublik Wahrnehmungsnischen, wo sie nur selten Besuch
von kritischen Historikern bekamen. Die Geschichtsklitterung
brauchte Gesichter, und der ehemalige Standartenführer Joachim
Peiper wurde zum Prototypen des
vermeintlich unpolitischen Elitesoldaten. Peiper, der perfekt ins
Rasseschema der Nazis passte,
hatte seit 1933 in der SS gedient.
Im Krieg hoch dekoriert, wurde
er nach 1945 wegen des MalmedyMassakers als Kriegsverbrecher
verurteilt und saß bis 1956 in
Haft. Unter Unterdrückung seiner massiven Verstrickung wurde
die Vita des Karrieristen Peiper
auf „Frontschwein“ und „untadeliger Vorgesetzter“ getrimmt.
Seine bis heute nicht aufgeklärte
Ermordung in Frankreich 1976
rundete den Mythos ab.
Entlang historischer Fakten
spürt Westemeier dem Weg
Peipers durch die NS-Diktatur
nach. Stück für Stück zerpflückt
der Autor gewachsene Legenden
rund um den Ritterkreuzträger
und weist parallele Entwicklungen im Kader der Waffen-SS
nach. Er zeigt, dass die Junkerschulen mitnichten militärische,
9
Hindenburg wird
Reichspräsident
Nach erbitterten Kämpfen erobert die Rote Armee im April 1945 die Reichshauptstadt.
Geschichte. Der Zweite Weltkrieg war lange entschieden, aber
noch längst nicht vorbei, als die
Rote Armee am 16. April 1945
den Angriff auf die Reichshauptstadt begann. Fast 2,5 Millionen
sowjetische Soldaten bestürmten die auch materiell hoffnungslos unterlegenen rund 800 000
Verteidiger aus Wehrmacht,
Waffen-SS und Volkssturm.
Etwa 2,7 Millionen Menschen
lebten zu diesem Zeitpunkt noch
in Berlin, das nach 85 Luftangriffen allein in den elf Wochen
zuvor einer Trümmerlandschaft
glich. Als die Stadt am 2. Mai
kapitulierte, waren dafür 170 000
Soldaten auf beiden Seiten und
zehntausende Zivilisten gestorben, circa eine halbe Million verwundet. Jeder fünfte Soldat hatte
die Schlacht mit dem Leben oder
seiner Gesundheit bezahlt.
aktuell
sondern weltanschauliche Kaderschmieden waren und wie dreist
diese Tatsache nach dem Krieg
geleugnet wurde. Der verlogene
Umgang der Nachkriegsgesellschaft mit dem Erbe des Regimes
ist der vielleicht wichtigste Teil
des Buches. Westemeier zeigt die
Waffen-SS als die militärische
Parteitruppe, die sie war. Rücksichtslos, durch und durch vom
„nationalsozialistischen Geist“
durchdrungen und jederzeit willfähriges Machtinstrument des
NS-Apparates.
(mat)
Jens Westemeier: „Himmlers
Krieger – Joachim Peiper und
die Waffen-SS in Krieg und
Nachkriegszeit“, Schöningh,
882 Seiten, 2014, 98,00 Euro,
ISBN: 978-3-506-77241-1
Geschichte. Liegt in der
Gesundung eines Individuums
nicht schon der Keim von dessen Untergang? Lässt sich diese
Überlegung auch auf ein staatliches Gebilde – in diesem Fall
Deutschland – anwenden? Die
innenpolitischen Vorgänge in
Deutschland im Frühjahr 1925
und die Persönlichkeit desjenigen, der am 30. Januar 1933
Hitler zum Reichskanzler ernennen sollte, geben zu dieser Überlegung Anlass. In der Tat: Historiker stritten bis vor Kurzem
darüber, welche Rolle der zweite
Reichspräsident der jungen deutschen Demokratie, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg,
bei deren Untergang spielte.
Laut Weimarer Reichsverfassung war der Reichspräsident in
persona zum Schutz der Republik berufen. Auf den ersten Präsidenten der Weimarer Republik,
den Sozialdemokraten Friedrich
Ebert, traf dies voll und ganz zu.
Doch Ebert verstarb infolge einer
Entzündung des Bauchfells am
28. Februar 1925 und konnte sich
kein zweites Mal zur Wahl des
Reichspräsidenten 1926 stellen.
Damit war die vorgezogene
Wahl des Reichspräsidenten
unabdingbar geworden. Nach
einem ersten Wahlgang ohne
absolute Mehrheit mussten sich
die Parteien in einem zweiten
Wahlgang auf einen jeweiligen
Sammelkandidaten einigen.
Als ein solcher trat Paul von
Hindenburg für den „Reichsblock“ an und gewann am
26. April 1925: Mit 48,3 % der
abgegebenen Stimmen machte der
„Herzensmonarchist“ das Rennen.
Autor: Andreas Popp
Bw Classix
Filmbeiträge aus sechs Jahrzehnten Bundeswehr – das
sind die Bw Classix. Mal
informativ, mal humorvoll
berichten sie über die politischen und ­gesellschaftlichen
Verhältnisse vergangener
­Zeiten.
Im zweiten Teil des Beitrags
über einen umgebauten VW
Käfer geht es um den Test
des Fahrzeugs. Dabei muss
der „Neue“ widriges ­Wetter
und unebenes Gelände überstehen.
Der Beitrag „Neuer
Lkw 0,4t Teil 2“
unter www.youtube.
com/bundeswehr.
10
aktuell
sport
20. April 2015
Im Becken zu Hause
Linke siegt auf 20
Kilometer
Die Schwimmer der Bundeswehr überzeugen bei den Deutschen Meisterschaften.
Leichtathletik. Stabsunteroffizier (FA) Christopher Linke hat
sich beim Geher-Meeting im
tschechischen Podebrady überraschend den Sieg über 20 Kilometer gesichert. Der EM-Fünfte
setzte sich mit der persönlichen
Bestzeit von 1:20:37 Stunden
durch. Damit unterbot er die
Norm für die Weltmeisterschaften, die im August in Peking stattfinden. Bei dem stark besetzten
Wettkampf verwies der 26-jährige Potsdamer den Slowakischen
Vizeeuropameister Matej Toth
und den Olympiazweiten Erick
Barrondo aus Guatemala auf die
Plätze.
(sid)
Foto: imago
Deprez Dritte auf
dem Balkan
Badminton. ­Stabsunteroffizier
(FA) Fabienne Deprez hat bei
den Croatian Open im Badminton einen starken dritten
Platz erreicht. Erst im Halbfinale des Damen-Einzelwettbewerbs musste sich die 23-jährige
amtierende Deutsche Vizemeisterin der russischen Topspielerin
Olga Golovanova knapp in drei
Sätzen geschlagen geben. Mit
Elena Komendrovskaja gewann
ebenfalls eine Russin das Turnier
in Zagreb.
(sr)
Pleite für die
Mehrkämpfer
T
Berlin. Bei den Deutschen Meisterschaften der Schwimmer haben
Spitzensportler der Bundeswehr
für zahlreiche Medaillen gesorgt.
Am Ende konnten sich die Soldaten im Schwimmanzug über
sieben Titel freuen. Doch in der
Schwimm- und Sprunghalle im
Berliner Europapark ging es
nicht nur um Edelmetall. Auch
die Qualifikation für die Weltmeisterschaften, die im August
im russischen Kasan stattfinden
werden, stand im Mittelpunkt.
Frauen auf
Medaillenjagd
Für die größte Medaillenausbeute aus Sicht der Bundeswehr
sorgte Stabsunteroffizier (FA)
Franziska Hentke. Die 25-jährige Wolfenerin sicherte sich erstmals Gold über die 400 Meter
Lagen und Silber über die 100
Meter Schmetterling. Zudem verteidigte sie bereits zum zweiten
Mal in Folge den Titel in der 200
Meter Schmetterlingsdistanz. Mit
2:07 Minuten knackte sie die
WM-Norm und steht damit sogar
auf Platz fünf der Weltrangliste.
„Das war eine super Zeit. Ich
bin sehr zufrieden“, gab sich
Hentke erfreut. Auch Hauptgefreiter Dorothea Brandt fischte
drei Medaillen aus dem Becken.
Die WM-Achte gewann die 100
Meter Freistil und wurde jeweils
Zweite in den 50 Meter Disziplinen Brust und Schmetterling.
Für ein Highlight sorgte zudem
Hauptgefreiter Isabelle Härle.
Mit ihrer Siegerzeit von 16:06
Minuten auf der Freistildis-
Foto: imago
Foto: imago
von Stefan Rentzsch
Noch Luft nach oben: Christian Diener muss trotz Gold und Silber weiter Gas geben.
tanz über 1500 Meter erreichte
die 27-Jährige nicht nur die
WM-Norm, sondern nimmt nun
auch Platz zwei der Weltjahresbestenliste ein. „Ich freu mich wie
Keks“, jubelte die FreiwasserEuropameisterin, die ihre persönliche Bestzeit gleich um elf
Sekunden verbesserte, nach dem
Rennen. „Ich bin auch nicht
mehr die Jüngste und hätte nie
damit gerechnet, so schnell zu
schwimmen.“ Die Silbermedaille von Hauptgefreiter Lisa
Graf und zwei Bronzemedaillen
von Hauptgefreiter Daniela
Schreiber komplettierten die
ordentliche Medaillenausbeute
bei den Frauen.
Die Männer hingegen hatten
deutlich größere Probleme mit
der geforderten WM-Norm. Vor
allem bei dem zuletzt starken
Hauptgefreiten Christian Diener wollte deswegen keine rich-
tige Siegesfreude aufkommen.
Der 21-jährige Rückenspezialist
gewann auf der 200 Meter-­
Strecke, auf der er im Vorjahr an
gleicher Stelle Vizeeuropameister wurde. Für einen Listenplatz
reichte es trotz einer weiteren Silbermedaille über die 100 Meter
dennoch nicht. Diener zeigte
sich jedoch optimistisch, sich in
Kasan mit den „richtig krassen
Typen“ messen zu dürfen.
Erfolgreiche Bilanz
gezogen
Darauf hofft auch der amtierende EM-Zweite Obergefreiter
Philip Heintz, der das 200 Meter
Lagenrennen für sich entschied
und zudem Silber über 100 Meter
Schmetterling ergatterte, jedoch
ebenfalls an der WM-Norm
scheiterte. Einzig Obermaat (BA)
Hendrik Feldwehr konnte sich bei
seiner überlegenen Titelverteidigung über 50 Meter Brust für die
WM qualifizieren.
Henning Lambertz, Cheftrainer Schwimmen im DeutschenSchwimmverband (DSV), zog
ein überwiegend positives Fazit:
„Insgesamt bin ich sehr zufrieden. Wir haben sicherlich eine
ordentliche Meisterschaft mit
sehr guten Leistungen gesehen,
trotzdem gibt es noch Baustellen“, resümierte der 44-Jährige.
„Es gibt einige Strecken, auf
denen wir den Kopf ganz gut aus
dem Wasser stecken.“
Die traditionsreichen Deutschen Schwimmmeisterschaften wurden bereits zum 127. Mal
ausgetragen. Wer es hier noch
nicht auf die sogenannte Longlist geschafft hat, erhält bei den
Wettkämpfen im Frühjahr weitere Chancen, die WM-Norm zu
unterbieten.
Ein Einwurf aus dem Seitenaus
Gedanken zu Jürgen Klopps angekündigtem Rücktritt als Trainer bei Borussia Dortmund.
von Dietmar Buse
Dortmund. Ist da etwas Besonderes passiert? Ein Fußballtrainer
kündigt an, dass er zum Saisonende seinen Verein verlässt. Das
ist in der Geschichte der Bundesliga gefühlte zig 1000 mal passiert. Nur wenn das ein gewisser
Jürgen Klopp macht, hyperventiliert die deutsche Fußballgemeinde und die Medienwelt ist
im vollen Schlagzeilenkoller. Das
ist also ganz großes Theater, es
riecht nach (antiker) griechischer
Tragödie, da ballen die Chefredakteure die Auflagenfaust.
Nehmen wir das Ganze einmal
mit etwas mehr Ruhe ins Blickfeld, lassen die Nachruforgien
außer Betracht. Fakt ist, dass es
der Junge aus dem Schwarzwald
tatsächlich geschafft hat, die Herzen nicht nur der Fußballfans für
seine Borussia zu erwärmen. „Uns Oma“ ist
auch dabei. Der
Medien Liebling
war er spätestens seit seiner
­Grimme-Preis
würdigen Auftritte bei WM
und EM 2006 bis
2010.
Die Seitenlinienausraster und
das cholerische
Pressekon-
ferenz-Gehabe werden ihm glatt
verziehen und vielleicht ab Herbst
wieder zu bewundern sein.
Jürgen Klopp bleibt
uns auf jeden Fall
erhalten. Bis er
geht, wird er sein
Team noch einmal kräftig fordern. Wäre ja
nicht verwunderlich, wenn
der Fußballgott
­
bei Aubameyang,
­
Weidenfeller, Hummels, Kuba und Reus
noch den Turbo zündet
und zum SchlussanFo
to
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griff auf Platz
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sieben in der
Liga und
zum Pokalhalbfinal-Kick bei den
­Bayern bläst.
Halten wir einen Moment inne
und geben Jürgen Klopp das
Wort, so ist er und das kommt
aus seinem Herzen (zitiert nach
Fußball-Gott.com): „Ich komme
aus einer sehr behüteten schwäbischen Familie, in der man sich
keine Gedanken machen musste,
ob am nächsten Tag auch genug
zu essen auf dem Tisch stand.
Für die meisten von uns ist so
etwas auch völlig normal. Und
doch denke ich, dass ich mir
eine gewisse Dankbarkeit darüber bewahren möchte. Das ist
nur einer der Gründe, warum ich
am Ende des Tages mit meiner
Frau Ulla immer gemeinsam zu
Gott bete.“
Vermischtes
Der Trommler ist verstummt
C
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Foto (2): imago
n
Mann mit Pfeife: Zu den berühmtesten Werken von Günter Grass (Mitte) zählen „Der Butt“ (l.) und „Die Blechtrommel“ (r.).
Nachruf. „Ilsebill salzte nach.
Bevor gezeugt wurde, gab es
Hammelschulter zu Bohnen und
Birnen, weil Anfang Oktober.
Beim Essen noch, mit vollem
Mund sagte sie: ‚Wolln wir nun
gleich ins Bett oder willst du
mir vorher erzählen, wie unsre
Geschichte wann wo begann?‘“
Das ist Grass, das ist der Einstieg in eines seiner wortmächtigsten Bücher: „Der Butt“,
erschienen im Jahr 1977.
Wir schreiben das Jahr 2015,
in der vergangenen Woche ist
Günter Grass in Lübeck im Alter
von 87 Jahren verstorben, der
Nobelpreisträger für Literatur
(1999) hat eine in die Millionen
gehende weltweite Leser- und
Fangemeinde verlassen.
Auseinandersetzung
mit der Geschichte
Zu den Fans gehörte die links
angehauchte Jugend der endsechziger Jahre Westdeutschlands.
Hatte sie das Glück, einem jungen Deutschlehrer zu begegnen,
dann lag „Die Blechtrommel“
auf dem Pult, dann war die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte gefordert,
dann geriet die Auseinandersetzung mit der Elterngeneration
zur Pflicht.
Doch vorher galt es, das Buch
zu lesen. Es galt zu verstehen,
was da in der Kaschubei und
der Hansestadt Danzig geschah.
Warum auf einem Kartoffelfeld unter einer dicken Schicht
von Kleidern die Geschichte
beginnt, warum der Erzähler
Oskar Matzerath als Dreijähriger
beschließt, nicht mehr zu wachsen und stattdessen die Trommel
zu schlagen; wie es war, als die
Nazis die Macht über die Hansestadt übernahmen, wie es war, als
der Kampf um die polnische Post
und damit der Zweite Weltkrieg
nach dem Beschuss der Westerplatte in Danzig seinen Ausgang nahm, und schließlich der
Marsch, besser die Flucht, in den
Westen folgte und die Adenauerzeit mit ihren Verdrängungsmechanismen das Nachkriegsdeutschland bestimmte.
Überhaupt bildet das Nachkriegsdeutschland die Hintergrundbeleuchtung für den jungen Grass. Nach der Arbeit mit
Hammer und Meißel bei Steinmetzarbeiten und der Feder bei
grafischem Wirken findet er zur
Schrift. In der Gruppe 47, moderiert von Hans-Eberhard Richter,
kommt es zum inspirierenden
Gedankenaustausch mit anderen Künstlern. Grass betritt die
öffentliche Bühne. Und nach dem
Welterfolg mit der Blechtrommel betritt er auch die politische
Bühne. Sein vehementer Einsatz für Willy Brandt führt zum
Wahlsieg des Sozialdemokraten
und damit 1969 zur Bildung der
sozialliberalen
­
Koalition.
Meinungsfreiheit
des Citoyens
Mit dem deutschen Großkritiker Marcel Reich-Ranicki
hatte der Großdichter über die
Jahre hinweg einen Förderer,
der aber auch die vermeintlich
schwächeren Werke gnadenlos geißelte, wie die Grass‘sche
Abrechnung mit der Wiedervereinigung („Ein weites Feld“)
und das im Jahr 2012 in den
Tageszeitungen Süddeutsche
Zeitung, La Repubblica und El
País gleichzeitig veröffentlichte
politische Gedicht „Was gesagt
werden muss“. Hier hatte Grass
Israel unterstellt, mit seinen
Atomwaffen den Iran auslöschen zu wollen und dies ausgerechnet von U-Booten aus,
die in Deutschland hergestellt
worden seien.
Also, an diesem Mann konnte
sich die veröffentlichte Meinung in
Deutschland kräftigst reiben. Auch
mit der deutschen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik lag er nach
Abschaffung der Wehrpflicht
über Kreuz: Grass kritisierte die
„Abschaffung“ der Wehrpflicht als
„beschämend“, so die Tageszeitung Die Welt in einem Bericht aus
dem Wahlkampf 2013. Er sagte
demnach weiter: „Jetzt haben wir
den Salat: Eine Söldnerarmee, die
in Auslandseinsätze geht.“ Bei
diesen Einsätzen würden Soldaten „verbraten für Geld“. Grass
appellierte: „Man kann nur davon
abraten, bei dieser Söldnerarmee
einzutreten!“ Schon die deutsche
Reichswehr habe sich als „Staat
im Staate“ erwiesen, und nunmehr
entstehe mit der „Söldnerarmee“
Bundeswehr etwas „im gleichen
Maße“.
Das ist starker Tobak, den muss
man nicht mögen. Jedoch: Die
republikanische Kultur, die Meinungsfreiheit des Citoyens, wie
sie in Frankreich beispielhaft
Intellektuelle und Literaten mit
großer Wirkungsmacht traditionell gestalten, diese Kultur musste
in Deutschland der Nachkriegszeit erst einmal begründet werden. Grass ist einer der Begründer
dieser republikanischen Kultur.
Schwierige Zeiten schweißen zusammen
Kino. Die zweifache
Oskar-Preisträgerin
­
Hillary Swank beweist
als Hauptfigur in dem
ergreifenden Drama „Das
Glück an meiner Seite“
erneut ihr Geschick,
dem Zuschauer schwierige Rollen authentisch
zu vermitteln.
In ihrer Rolle als unheilbar an ALS
(Amyotrophe Lateralsklerose) erkrankte Kate
spielt sie eine Frau mit unfassbarer Stärke:
Obwohl ihr ganzes Leben durch die degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems zerbricht, macht sie sich frei davon,
ihr Leben an den Vorstellungen anderer zu
orientieren.
Am 35. Geburtstag der glücklich verheirateten Kate zeigen sich die ersten Symptome. Die junge Frau verliert die Kontrolle
über ihre Hände. Kurze Zeit später wird bei
ihr ALS diagnostiziert. Die Beschwerden
und die fortschreitende Hilfebedürftigkeit der
einst erfolgreichen Pianistin verlangt Freunden und Familie immer mehr ab. Schließlich zerbricht auch Kates Ehe. Evan (Josh
Duhamel) ist überfordert und schafft es nicht,
die Krankheit seiner Frau zu akzeptieren,
mit ihr umzugehen. Zwar kümmert er sich
fürsorglich um Kate. Er schenkt ihr jedoch
keine liebevolle Zuneigung mehr.
Kate möchte trotz ihrer Krankheit aktiv am
Leben teilnehmen und von ihrer Umwelt als
Person – nicht als Patientin – wahrgenommen
werden. So feuert sie kurzerhand die diszi-
plinierte Pflegerin und engagiert selbstbestimmt die chaotische Studentin Bec (Emmy
Rossum). Die unerfahrene junge Frau wächst
an der Verantwortung, sich um Kate zu kümmern. Schnell entwickelt sich eine starke
Freundschaft und tiefe Verbundenheit zwischen den beiden gegensätzlichen Frauen
trotz ungünstigster Umstände.
Der berührende Film von Regisseur George
C. Wolfe begleitet sensibel das Leben der
Protagonistin bis hin zum unausweichlichen
Ende. Die Romanverfilmung des Bestsellers
„You’re not you“ aus dem Jahr 2006 von
Michelle Wildgen besticht durch die herausragende schauspielerische Leistung von
Hilary Swank und Emmy Rossum.
(jfs)
Seit 16. April im Kino.
11
No Pier Pressure
Anmerkungen eines nicht immer treuen Lesers zum Tode von Günter Grass.
von Dietmar Buse
aktuell
Gruppe Beach Boys ist wieder
solo unterwegs: Mit seinem Studioalbum „No Pier Pressure“,
dem elften Solo-Album beim
Label Capitol, führt der 72-Jährige die Ära des legendären Beach
Boys Feelings fort. Dafür sorgen
Gute-Laune-Songs mit mehrstimmigen Arrangements, die zum
Wohlfühlen und Abschalten einladen. Auch das Coverbild einer
Seebrücke, die von sanften Wellen umspielt wird, trifft die Vibes
der 13 Songs.
Musikalisch ist Wilsons neue Produktion sowohl auf die guten alten
Zeiten der allseits beliebten, unbeschwerten Surfmusik ausgerichtet,
orientiert sich aber auch am Hier
und Jetzt. Daher sind zusätzlich zu
Kooperationen mit seinen ehemaligen Bandkollegen und langjährigen Weggefährten inspirierende
Songs mit fünf weiteren Gastkünstlern wie Zooey Deschanel
entstanden. Deschanel ist durch
ihre zweiköpfige Folk-Band „She
& Him“ sowie aus der TV Serie
„The New Girl“ bekannt. Zum
künstlerischen Nachwuchs, den
sich Wilson mit ins Boot geholt
hat, gehören keine geringeren
als Capital-Cities-Sänger Sebu
Simonian, Singer-Songwriter
Nate Ruess
(ehemals
Indie-Popband Fun),
a -­c a p p e l la-Sänger
Peter Hollens und
CountrySängerin
Kacey Musgraves. (jfs)
Foto: imago
20. April 2015
Brian Wilson: No Pier Pressure,
CD, 56 Minuten, Capitol
(Universal Music), ASIN:
B00NSOP9Y2, 19,98 Euro
aktuell verlost zwei CDs. Einfach
eine E-Mail mit Adresse und
Betreff „Brian Wilson“ bis zum
27. April an [email protected] schicken.
Gewinnauslosung
aktuell 12/2015:
Über jeweils ein Hörbuch
„Die große Franz-­EberhoferBox“ gelesen von Christian
Tramitz dürfen sich Lutz
Maziul, Heike Schoenherz
und Jürgen Prüger freuen.
Herzlichen Glückwunsch!
12
aktuell
vermischtes
Uniform per Post
Ausgewählte
­
Medienbeiträge
22. April, 22:00 Uhr, Br:
Aria Kuti versorgt deutsche Soldaten in den USA mit den passenden Uniformen.
„vom Leiden und sterben im KZ
Flossenbürg“
Youtube-video der Woche:
Aus Rettungsassistenten werden zukünftig Notfall-Sanitäter.
Damit verlängert sich ihre Ausbildungszeit von zwei auf drei
Jahre. Schon jetzt werden die
Bundeswehr-Notfallmediziner
mit umfangreichen Lehrgängen
auf die steigenden Anforderungen
vorbereitet.
(eb)
Der Beitrag „Ausbildung der Notfallsanitäter in Berlin“ unter
www.youtube.com/
bundeswehr.
015
15/2
Welche lebende Person bewundern Sie am meisten?
Ich bewundere Menschen, die ihre Zeit investieren, um anderen
Menschen in Not zu helfen.
H
Wie können Sie am besten entspannen?
Beim Laufen mit Musik auf den Ohren.
Was wäre Ihre berufliche Alternative?
Krankenschwester.
Foto: Hannemann/ RedBw
Am 23. April findet der 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Flossenbürg statt.
Die Dokumentation von Thomas
Muggenthaler, Andrea Bräu und
Beatrice Sonhüter zeichnet die
Geschichte des KZ nach. Auch
Überlebende bekommen eine
Stimme und berichten von den
erschütternden Erfahrungen ihrer
schrecklichen Zeit am Ort des
Grauens. Die Gefangenen in dem
1938 errichteten KZ wurden für
den Granitabbau ausgebeutet.
Eines der tragischsten Kapitel
bleiben die Todesmärsche im
April 1945, bei denen 7000 Häftlinge kurz vor ihrer Befreiung
ums Leben kamen.
20. April 2015
ich einmal in New Mexico für
die Deutsche Luftwaffe arbeiten werde“, sagt die gebürtige
Niederländerin
­
rückblickend.
1982 lernt sie ihren Mann,
einen ehemaligen amerikanischen Soldaten, kennen und lieben und folgt ihm in die USA.
Sein letzter Posten vor der Pensionierung führt ihn auf die
Holloman Air Force Base in
New Mexico. 2000 bewirbt sich
Kuti, die ausgebildete Schneiderin ist, bei der Kleiderkammer des damals neu gegründeten
Fliegerischen Ausbildungszentrums der Luftwaffe in Holloman. Insgesamt 1000 deutsche
Soldaten in den USA versorgt
die Kleiderkammer. Zusammen
mit zwei weiteren zivilen Mitar-
beitern gibt Kuti seit 15 Jahren
täglich von Fliegersonderbekleidung über Kampfstiefel bis hin
zu Sonnenhüten alle Kleidungsstücke aus, die man auch in einer
deutschen Kleiderkammer finden
würde. Rund 2000 verschiedene
Produkte sind permanent vorrätig. Trotzdem passt nicht immer
alles: „Kleiner machen geht
immer. Wenn die größte Größe
nicht passt, mache ich aber auch
Maßanfertigungen und passe
Uniformteile individuell an“,
erklärt die 52-Jährige. „Vieles
verschicken wir wegen der großen Entfernungen per Post. Wir
bekommen ein altes Paar Stiefel und schicken dafür dann ein
neues Paar zurück. Das klappt
prima!“
(uje)
Welches Wort oder welche Redewendung gebrauchen Sie zu häufig?
Es ist, wie es ist!
Was ist Ihr Hauptcharakterzug?
Meine Tatkraft.
Wozu können Sie nicht „Nein“ sagen?
Zu holländischer Lakritze.
Welches Lied singen oder hören Sie gerne?
„Talking about a revolution“ von Tracy Chapman.
Wo möchten Sie am liebsten leben?
Überall dort, wo unsere Familie ist.
Was können Sie besonders gut kochen?
Nicht viel. Ich liebe es, wenn mein Mann kocht. Er ist der beste
Koch, den ich kenne!
Was mögen Sie an sich selbst nicht?
Ich kann manchmal sehr ungeduldig sein!
Wie lautet Ihr Lebensmotto?
Materielle Dinge sind nicht wichtig – Erfahrungen hingegen schon.
Was ist Ihr höchtes Gut?
Gesundheit.
SUDOKU
Vi
el G
Senden Sie die vier Lösungszahlen,
lück
die sich aus den farbigen Feldern
!
ergeben, per E-Mail mit dem Betreff
“Sudoku 15/2015” und Ihrer Postanschrift an:
[email protected]
Einsendeschluss:
Sonntag dieser Woche
Der Gewinn:
Eine Outdoor-Kaffeepresse
Lösung der Ausgabe 13/2015:
7 7 2 9
Gewonnen hat:
Holger Wömpener
Spielregeln: Füllen Sie das Raster mit den Zahlen von 1 bis 9. In jeder Zeile und jeder Spalte darf jede Zahl nur einmal vorkommen.
Zudem kommt auch in jedem 3 x 3 Feld jede Zahl nur einmal vor. Doppelungen sind nicht erlaubt.
Aus allen richtigen Einsendungen wird der Gewinner ausgelost. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.