Stefan Auer
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Stefan Auer
JIPSS VOL.4, NR.1/2010, 106-115 Stefan Auer Nationalsozialistische und rechtsextreme Propaganda in Computerspielen – Ein kritischer Überblick Stefan Auer, geboren 1981 in Steyr, Oberösterreich. Seit März 2004 Studium der Geschichte und Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz. Im Rahmen der Tätigkeiten bei ACIPSS Beschäftigung mit (Kriegs-)Propaganda im 20. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt Film. Kontakt: [email protected] Summary: National socialist and right-wing propaganda in computer games - a critical overview National socialist and right-wing propaganda have found their way into the World Wide Web years ago and so have computer games filled with racist, anti-Semitic and Nazi-glorifying elements. It is the goal of this article to give an impression of the multiple relationships between propaganda and computer games. Therefore, after defining the complex role of this relatively new media for both the individual player as well as for modern societies as a whole and after explaining how propaganda is spread throughout the internet and its communities as well as showing the limits of banning it by national law, several of these products will be described and analyzed on various levels. The focus is set on graphical elements, the acoustic dimensions, old and new ideological contents and of course the specific technical aspects of realization, which are important for successful computer games and effective propaganda. After this the main insights are presented on the questions of reoccurring elements, production settings and how effectively these games fulfill their tasks and functions of spreading ideology. Finally a glimpse on the major new developments in this sector is given, particularly on the trends of modifications, social impacts of multiplayer gaming and historical problems that may arise when replaying and altering the outcome of human history in virtual environments. Einleitung Zum Konnex von Propaganda und Computerspielen Nationalsozialistische Bücher, Plakate, Fotos und Filme wurden in den letzten Jahrzehnten oft und ausführlich unter propagandistischen Aspekten analysiert. Wie aber verhält es sich bei einem relativ neuen und immer wichtiger werdenden Medium, das sich vor allem an den „homo ludens“ und Ju- 106 gendliche wendet?1 Ein Medium, das es erlaubt, virtuelle Welten zu erschaffen und darin Episoden der Geschichte unmittelbar nachzuerleben oder gar zu verändern: An der Seite der 6. Armee Stalingrad erobern? Als Soldat der Waffen-SS die alliierten Truppen in der Normandie ins Meer zurücktreiben? Als Kommandant ein Konzentrationslager leiten? Die Drahtzieher der „jüdischen Weltverschwörung“ eliminieren und dadurch die Zukunft der „weißen Rasse“ schützen? Auer, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen Der vorliegende Text beschäftigt sich mit den konkreten spielbaren Manifestationen der Verbindungen, die nationalsozialistische beziehungsweise rechtsextreme Propaganda und Computerspiele2 eingehen. Zu Beginn wird ein thematischer Rahmen gesetzt, der die gesellschaftliche Bedeutung von Computerspielen, Versuche ihrer Reglementierung sowie die Verbreitungsmöglichkeiten über das Internet umfasst. Im Zentrum des Artikels stehen ein historischer Überblick und die kritische Analyse mehrerer Spiele, die jenes Gedankengut beinhalten und propagandistisch zu transportieren versuchen. Dies geschieht auf einer technischen Ebene (Grafiken, Töne, Spielbarkeit), einer inhaltlichen Ebene (Spieleraufgaben und -ziele) und einer Wirkungsebene (Was leisten sie? Wen sprechen sie an?). Ein Ausblick auf neue Entwicklungen innerhalb des Sektors beschließt den Beitrag. Computerspiele als Medium und Kulturgut3 Die gesellschaftliche Bedeutung von Computerspielen nahm innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte rapide zu. Von der belächelten oder kopfschüttelnd zur Kenntnis genommenen Freizeitbeschäftigung einiger „Computernerds“4 entwickelten sie sich zu einem Teil der Alltagskultur vieler Menschen. Die Gruppe der so genannten „Digital Natives“, also jener Personen, die mit den neuen Medien sozialisiert wurden, wächst beständig und längst gehören auch viele Erwachsene der Spielergemeinschaft an, wodurch die relative Anzahl der „Digital Immigrants“, also von „weniger medien-affinen“ Personen, kontinuierlich sinkt.5 Während in der angloamerikanischen Welt, vor allem in den USA, die Akzeptanz von Computerspielen als einflussreiches Kulturgut bereits weit vorangeschritten ist und manche Vertreter des Genres sogar offiziell als wertvolles Kulturgut gelten6, trifft diese Feststellung nur begrenzt auf den deutschsprachigen Raum zu, wo solche Spiele oftmals als triviale Produkte der Massen- oder Populärkultur oder gar verpönt als Schund in Form menschenverachtender „Killerspiele“ klar abgegrenzt werden von der wesentlich höheres Ansehen genießenden Hochkultur.7 Hierbei wird aber der fortschreitenden internen Diversifikation und den enormen technischen Entwicklungen dieses Mediums nicht ausreichend Beachtung geschenkt. Auf den ersten Blick scheinen Computerspiele also nur mehr oder weniger komplexe Unterhaltungsmedien und kulturelle Randphänomene zu sein. Es gilt jedoch, sie umfassender als Produkte sozialer Realitäten und technischer Möglichkeiten („kulturelle Medienprodukte“) zu verstehen, die gesellschaftliche Prägekräfte entwickeln können.8 Als „Kulturtechnik“ schließlich nehmen sie eine immer wichtigere Rolle bei der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ein.9 Unbestreitbar sind zudem die weltweit wachsende Zahl von Spielern (vor allem der Zuwachs an Gelegenheitsspielern ist enorm), die steil steigenden Umsatzzahlen (2009: Videospiele 77 Milliarden US-Dollar10, Computerspiele 13,1 Milliarden USDollar11), die zunehmende Bedeutung als etablierte Form der Freizeitgestaltung und die neuen Möglichkeiten zwischenmenschlicher Interaktion innerhalb der Spiele sowie in den sich rund um sie entwickelnden „Communities“ (immer mehr lassen sich gemeinsam online mit- oder gegeneinander spielen). Zentral für das psychologische Verständnis der Thematik ist das Faktum, dass durch das Spielen virtuelle Welten erschlossen werden, in denen man mehr Handlungsalternativen, Macht oder Kontrolle besitzt als im realen Leben. Diese neuen Freiheiten sind ein starker Anreiz für jugendliche Konsumenten. Auch die sich daraus ergebende Tatsache, dass sich in Spielen leichter bzw. schneller Erfolgserlebnisse einstellen, trägt ihren Teil zur Faszination bei. „Das zentrale motivationale Element des Computerspiels ist der Wunsch der Spieler, Erfolg zu haben. Der Spielerfolg ist unmittelbar gekoppelt mit der Kontrolle des Spiels. Die allen Spielen gemeinsame Leistungsanforderung besteht darin, das Spiel zu kontrollieren.“12 Ebenso können aber im virtuellen Raum gesellschaftliche Tabus übertreten werden, was einen weiteren möglichen Reiz darstellt und für die behandelte Thematik von Bedeutung ist.13 Zensuren, Verbote und ihre Grenzen Computerspiele gliedern sich in verschiedene Genres, zum Beispiel Sportspiele, Rätsel- und Denkspiele, Simulationen oder auch Strategie- und Actionspiele. In den letzten beiden Gruppen findet sich die relativ höchste Zahl jener Produkte, die Gewaltelemente im weitesten Sinn beinhalten. Deshalb sollten diese erst ab einer bestimmten, an ein Mindestalter gekoppelten Entwicklungsstufe gespielt werden. Für fast jedes Land in Europa testet die Pan European 107 AUER, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen Game Information (PEGI)14 Spiele und versieht sie mit Hinweisen und Warnungen vor potentiell gefährlichen Inhalten (Sex, Gewalt, Drogen, Sprache). Deutschland hat im Gegensatz zu Österreich dieses Bewertungssystem bis heute nicht übernommen.15 Stattdessen teilen sich dort die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK)16, eine von der Industrie eingerichtete Stelle, und die staatliche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)17 die Aufgabe, Spiele zu evaluieren, was nicht immer kritik- oder konfliktfrei verläuft.18 „Eine Indizierung durch die BPjM und eine Alterskennzeichnung durch die USK schließen sich dabei gegenseitig aus. So können einmal altersgekennzeichnete Spiele nicht mehr indiziert werden und bereits indizierte Spiele keine Alterskennzeichnung mehr erhalten.“19 Die Indizierung führt zu einem Verbot öffentlicher Bewerbung und einer Verkaufsbeschränkung auf nicht für Kinder und Jugendliche zugängliche Orte.20 Bei besonders schwer wiegenden Fällen von Verhetzung oder Gewaltdarstellung findet das Strafgesetzbuch Anwendung und das Produkt kann beschlagnahmt werden (in Deutschland vor allem nach §§ 86a,130, 131 StGB21). Aufgrund der historisch gewachsenen spezifischen Gesetzeslagen in Deutschland und Österreich zum Thema Nationalsozialismus (vgl. in Österreich das Verbotsgesetz von 194722) handeln viele Hersteller aus kommerziellen Eigeninteressen präventiv und modifizieren für den deutschsprachigen Raum ihre Produkte noch zusätzlich, um eine Indizierung oder gar Beschlagnahme zu vermeiden. Dies geschieht meistens durch die Entfernung grafischer Elemente (Symbole des Nationalsozialismus auf Flaggen, Fahrzeugen und Uniformen) oder die Abwandlung der Handlung (z.B. werden menschliche Gegner durch Roboter ersetzt, historische Persönlichkeiten verschwinden als Protagonisten oder erhalten verfremdete Namen), um allzu direkte Referenzen auf das „Dritte Reich“ und seine Symbole zu vermeiden. Im Zeitalter globaler Vernetzung erweisen sich diese gesetzlichen Maßnahmen allerdings nur mehr als begrenzt wirksam. So kann der Kauf des physischen Produktes mit Hilfe Volljähriger getätigt, unzensierte Versionen im benachbarten Ausland erstanden, eine Bestellung über ausländische Versandfirmen vorgenommen23 oder durch das Herunterladen von unzensierten „Raubkopien“ der Weg des illegalen Erwerbs gewählt werden. 108 Verbreitung rechtsextremer Propaganda im Internet24 Auch rechtsradikale und neonazistische Gruppen machen sich diese unterschiedlichen Gesetzeslagen und die Grenzen des nationalen Rechts zunutze, indem sie verstärkt die internationalen Möglichkeiten des Internets erschließen, um untereinander zu kommunizieren, sich zu organisieren und neue Zielgruppen für die eigene Propaganda anzusprechen.25 „Die Internet-Sektionen der Nazis entsprechen dem ‚Stürmer‘ des 21. Jahrhunderts. […] Der Cyberspace ist in den Händen der Rechtsextremisten heute zu einem der effektivsten und vielseitigsten Medien avanciert […].“26 Die meisten Seiten befinden sich auf Servern in den USA, wo die bestehende Gesetzeslage (vgl. Erster Zusatzartikel zur Verfassung der USA) die Verbreitung der im deutschsprachigen Raum strikt verbotenen Propagandaprodukte zulässt. Dies führt dazu, dass dort am meisten produziert und in Deutschland und Österreich hauptsächlich konsumiert wird.27 Die „Angebote auf rechtsextremistischen Homepages haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Viele Seiten sind inzwischen mit erheblichem Sachverstand erstellt und ihre Betreiber haben die neusten technischen Möglichkeiten sehr bald in die Internet-Präsenzen integriert“.28 Es gibt immer mehr Werbeseiten, Blogs, Foren, Chats, Shops und Multimediaarchive, die Manifestationenihrer Ideologie global verfügbar machen. Die beiden letzten Kategorien umfassen neben Musikstücken und Videos auch eigens programmierte Computerspiele mit nationalsozialistischen oder rechtsextremen Inhalten. Neben der Möglichkeit, Spiele auf einschlägigen Plattformen gratis herunterzuladen oder käuflich zu erwerben, finden sich diese vermehrt auch in anderen Bereichen des Internets. Hierbei handelt es sich vor allem um private Server, Foren und Tauschbörsen. Wegen der multiplen Verteilungskanäle ist es nicht möglich, umfassende und verlässliche Zahlen zu ihrer Verbreitung zu eruieren. Exemplarisch lässt sich aber festhalten, dass ein bekanntes Spiel (Ethnic Cleansing) innerhalb der ersten Monate nach seinem Erscheinen im Januar 2002 laut Angaben des Vertreibers mehrere tausend Mal verkauft wurde und im Januar 2002 gab es rund 12.000 kostenlose Downloads von Spielen, die auf dem Portal der NSDAP/AO im Internet angeboten werden.29 JIPSS VOL.4, NR.1/2010 Spiele, so die Hoffnung der ideologischen Vordenker, eignen sich aufgrund ihrer Natur (siehe oben) besonders gut, um die Jugend anzusprechen und für Botschaften empfänglicher zu machen. Dies haben auch führende Vertreter rechtsextremer oder nationalsozialistischer Gruppen in den USA erkannt: „The younger the better. [...] We mean to utilize whatever means we can to achieve our goals and bring new faces to our church“30 meint Matthew F. Hale, ehemaliger Hohepriester der „World Church of the Creator“, einer rassistischen Vereinigung, die an die Überlegenheit der weißen Rasse glaubt.31 „Basically they‘re free advertising for us […] Young people get these games because they‘re entertaining and they‘re not supposed to have them. They get them and spread them all over the place“, stellt Gary Rex Lauck fest.32 Er ist Gründer der NSDAP/AO (NSDAP Aufbau- und Auslandsorganisation), einer in den USA residierenden, weltweit agierenden, neonazistischen Propagandaplattform. Im Folgenden wird anhand mehrerer Computerspiele untersucht, wie sich nationalsozialistische und rechtsextreme Propaganda konkret manifestiert.33 Aufgrund der rasanten und zahlreichen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit werden in diesem Artikel nur solche Spiele untersucht, die von dezidiert rechtsextremen Personen oder Gruppen programmiert und in Umlauf gebracht wurden. Es handelt sich also um eine Erfassung von Spielen der letzten Jahrzehnte. Die Gruppe der Modifizierungen von aktuellen Produkten der Spieleindustrie inklusive ihrer sozialen wie auch geschichtsdidaktischen und -theoretischen Implikationen bedarf einer gesonderten Untersuchung (siehe dazu den letzten Abschnitt). Reichs! Heil, Fuehrer, Dir! [...]“. Anschließend erscheint ein Text zu den Aufgaben und Zielen. Der Titel unterstützt einen Mehrspielermodus, der es bis zu fünf Personen ermöglicht, an einem Rechner zu spielen, und ist im Grunde eine sehr simple, rein textbasierte Staatssimulation des Deutschen Reiches, das sich auf militärischem Expansionskurs befindet. Man schlüpft in die Rolle des „Führers“ und muss Steuern eintreiben, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Wehrmacht, SS, Bürger, Händler etc.) bei Laune halten, Waffen produzieren, Konzentrationslager bauen und schließlich Kriege gegen Nachbarländer führen. Durch Justierungen an diversen Reglern bestimmt man, wie hart die Zwangsarbeiter angetrieben werden, ob die SS Judenverfolgungen, deren Opfer anschließend in die Gaskammern gebracht werden, durchführen soll und wie hoch die Steuerbelastungen ausfallen. Zufallsereignisse wie jüdische Überfälle auf die eigenen Steuereintreiber komplettieren das massiv antisemitische Spiel. KZ Manager Millenium Hamburg Edition (German Elite, 2000) Auch dieses Spiel stammt ursprünglich aus den späten 1980er Jahren. Es wurde 1989 indiziert und 1990 beschlagnahmt. Jedoch erschien es immer wieder aktualisiert oder inhaltlich modifiziert für neue Plattformen.34 In der vorliegenden Version sind Juden durch Türken und das Konzentrationslager Auschwitz durch die Stadt Hamburg ersetzt. Nationalsozialistische Propagandaspiele Hitler-Diktator (198?) Eigentlich wurde dieses Spiel für den Commodore 64 Heimcomputer programmiert, erhielt jedoch durch Konvertierungen für andere Plattformen (Amiga, PC) weitere Versionen. Es kann als ein „Urvater“ rechtsextremer Propagandaspiele angesehen werden und fand zu Beginn vor allem durch den (heimlichen) Tausch oder Verkauf auf Disketten weitere Verbreitung. Begrüßt wird man mit einer tontechnisch sehr rudimentären Version der deutschen Nationalhymne, zu der ein Liedtext am Bildschirm eingeblendet wird: „Heil Dir im Hakenkreuz, Herrscher des Deutschen Den grafischen Hintergrund dieser in Echtzeit ablaufenden Staatssimulation bildet eine trostlose Landschaft mit der dunklen Silhouette eines Gefängnisses, auf dem die Hakenkreuzfahne weht. Ebenso ist ein riesiger rauchender Schornstein abgebildet. Im Vordergrund befindet sich ein Wegweiser („Hamburg 4km“) und in der Mitte der Spieloberfläche ein „White Power World Wide“ Emblem. Menschenverachtendes Spielziel ist es, Hamburg „von der 109 AUER, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen Türkenpest zu erlösen. Dazu müssen sie das Blut von 30.000 Türken fließen lassen. Achten sie auch penibel darauf, das [sic!] der Müllberg der dadurch zustande kommt nicht zu groß wird! Und halten sie das Volk bei laune [sic!] und vergasen sie regelmäßig Türken in ihren Lagern.“35 Hierzu muss der Spieler Gas und Türken kaufen, die immer wieder als Parasiten bezeichnet werden, anschließend Türken jagen, sie in Arbeitslager stecken, wo sie vergast werden oder an Erschöpfung sterben. Nebenbei gilt es, Steuern einzutreiben, das Lager zu verwalten und immer auf den Statusbalken zu achten, der die „Stimmung des Volkes“ anzeigt, die nicht auf 0% sinken darf. Sollte dies dennoch eintreten, hat man versagt und erhält folgenden Vorwurf: „Das Volk hat die [sic!] als Bürgermeister abgewählt! Du hast es nicht geschafft: Die Hansestadt Hamburg vor der Türkenpest zu retten!! DU BIST EINE SCHANDE FÜR DEUTSCHLAND!“ KZ Rattenjagd (NSDAP/AO, 2000) Ein primär antisemitisches Spiel, in dem man als Aufseher in einem Konzentrationslager Jagd auf „jüdische Ratten“ macht, die sich vor einem Davidstern und Zyklon B Kanistern über den Bildschirm bewegen.36 Als Titelbild findet sich eine Computergrafik vom Eingang des KZ Auschwitz mit Hakenkreuz und dem Schriftzug „Arbeit macht frei!“ Nazi Moorhuhnjagd (NSDAP/AO, 2000) Auch vom bekannten Spielklassiker „Moorhuhnjagd“37 aus dem Jahr 1999 existiert eine antisemitische Hetzversion. Der Hersteller Phenomedia aus Deutschland reagierte allerdings schnell auf diese unerlaubte Veränderung und erreichte die Entfernung von verschiedenen Downloadplattformen und der NSDAP/ AO Webpage.38 Akustisch wird man von einer Originalaufnahme Rudolf Hess‘ begrüßt: „Adolf Hitler, 110 Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil!“ und es ertönt das Horst-Wessel-Lied. Spielprinzip und -ziel, in einer vorgegebenen Zeit möglichst viele über den Bildschirm flatternde Moorhühner zu erschießen, blieben gegenüber dem Original unverändert. Jedoch erhielten die Moorhühner Schläfenlocken und ein Käppchen aufgesetzt. Zusätzlich ist auf der Brust des am Titel- und Endbildschirm abgebildeten Moorhuhns ein großer gelber „Judenstern“ sichtbar. Weiters kam es zu zahlreichen grafischen Veränderungen innerhalb des Spieles: Flugzeuge ziehen NSDAP/AO Werbebanner hinter sich her, Heißluftballone mit großen Hakenkreuzen schweben im Hintergrund, ein Wegweiser, auf dessen Spitze der Reichsadler thront, weist den Weg nach Dachau, Auschwitz und Buchenwald. Ein Filmplakat zu „Der ewige Jude“ sowie ein Propagandaplakat mit Hakenkreuzen, einem Wehrmachtssoldaten und dem Text „Der Sieg wird unser sein!“ finden sich an Bäumen. Die Highscoreliste ist mit den Nationalsozialismus verherrlichenden Grafiken hinterlegt und beim Beenden des Spieles erscheint eine Werbeeinschaltung der NSDAP/AO. SA Mann (NSDAP/AO, um 2000/2001) Eine einfache, neonazistische Version des Spielklassikers „Pac-Man“ mit folgendem, eindeutigem Ziel: „As the SA Mann, you must distribute propaganda leaflets to every house in your neighborhood. From time to time, Jews will leave their ghetto and try to interfere with your work.“39 Das Titelbild zeigt das Portrait eines SA-Manns, das stark an das Originalfilmplakat von „S.A.-Mann Brand“ aus dem Jahr 1933 erinnert. Die Spielfigur marschiert in ihrer Mission, akustisch begleitet durch Geräusche marschierender Stiefel durch die Straßen und hinterlässt Hakenkreuzsymbole auf ihrem Weg. Beim Aufnehmen von so genannten „Power-ups“ ertönt drei Mal ein „Sieg Heil!“ und man kann die Juden, JIPSS VOL.4, NR.1/2010 die rassistisch karikiert mit übergroßen Nasen und Hörnern dargestellt werden, nun selbst jagen. Erwischt man sie, folgt die Ausgabe von Schussgeräuschen und Todesschreien. Kill ‘em all! (Mickey, um 2001/2002) Ein Titel, der von einem ungarischen Skinhead programmiert wurde. Das Spiel ist so simpel wie seine Hassbotschaft direkt ist: „The object of the game is simple: destroy the ugly faces before they disapear [sic!] from the screen, or you lose a life.“40 Vor dem Hintergrund einer Aufnahme des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg bewegen sich Portraits der Köpfe von Lenin, Stalin, Ariel Scharon, Che Guevara, Martin Luther King und Malcolm X. Diese gilt es mittels Klick zu treffen. Musikalisch begleitet dabei das Horst-Wessel-Lied den Spieler. Germania (Skinhat Software, um 2009)41 Ein Sonderfall ist das Onlinerollenspiel „Germania“, das den Spieler in die neue „Reichshauptstadt Germania“ vor dem historischen Hintergrund eines von Nazi-Deutschland gewonnenen Zweiten Weltkrieges transportiert. Es scheint sich in einer noch sehr frühen Entwicklungsphase zu befinden und gleicht derzeit eher einer virtuellen Huldigung der Gigantomanie von Albert Speers und Adolf Hitlers geplanten Gebäuden. So kann man die Volkshalle, den Triumphbogen und weitere bereits implementierte Stätten besichtigen.42 Auf einem Werbebildschirmfoto ist zudem eine Menschenmasse zu sehen ist, die die rechte Hand kollektiv zum Hitlergruß erhoben hat.43 Holocaust(er) Tycoon44 Auch im Bereich der Propagandaspiele gibt es so genannte „Urban Legends“, also Spiele, die niemals existiert haben. Ein Beispiel dafür ist „Holocaust Tycoon“, von dem lange Zeit ein Screenshot durch Internetforen geisterte, der darauf schließen ließ, dass man hier ein Konzentrationslager zu bauen und zu führen habe.45 Ethnic Cleansing (Resistance Records, 2002)46 Resistance Records, ein Label für rechtsextreme Musik, das sich im Besitz der „National Alliance“ befindet, einer „White Power/White Supremacy“ Organisation in den USA, brachte zynischerweise am Martin Luther King Day 2002 den First Person Shooter (FPS)47 „Ethnic Cleansing“ auf den Markt. Dieses ist im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Produkten ein Kaufspiel, das mit Hilfe eines frei verfügbaren Programms zur Erschaffung virtueller Welten konzipiert wurde.48 Bereits nach Erscheinen des Herstellerlogos, das vor einem SSTotenkopfemblem abgebildet wird, ist im Titel die Kernbotschaft zu lesen: „The race war has begun“. Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Ku-Klux-KlanMitglieds in weißer Robe oder eines Skinheads mit Hakenkreuz auf seiner Jacke. Ziel ist es, sich durch New York zu kämpfen, das sich aufgrund jüdischer Verschwörungen zur Vernichtung der weißen Rasse in ein Ghetto für „sub-humans“ entwickelt hat. Im ersten Level mit dem Titel „Operation Ghetto Storm“ begegnet man feindlich gesinnten Farbigen und Mexikanern. Klischees und rassistische Stereotypen reichen hierbei von Ponchos und Sombreros über T-Shirts mit abgebildeten Marihuanapflanzen bis hin zu böswillig überzeichneten Gesichtszügen. An den Wänden finden sich immer wieder Logos der „National Alliance“, alte nationalsozialistische Plakate wie jenes zum Film „Der ewige Jude“ (1940), antisemitische Karikaturen und Warnungen vor einer rassischen Durchmischung („MISSING A FUTURE FOR WHITE CHILDREN“). In der Zwischensequenz wird der Spieler darauf aufmerksam gemacht, dass die parasitenhaften Juden einen Rassenkrieg gegen die Weißen führen und ihr Schattenimperium die größte Gefahr darstellt. Ebenso wird an die eigene Entschlossenheit appelliert: „No 111 Auer, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen jew can stop a determined aryan man“. Im zweiten Level („Lair of the Beast“) betritt man das U-Bahnsystem der Stadt, über dessen Eingang ein Plakat mit einem Davidstern im „Big Apple“ Symbol prangt. Es gilt, die jüdische Weltverschwörung zur Vernichtung der weißen Rasse endgültig zu beenden. Als Gegner erscheinen Juden in traditionellen Gebetsmänteln, mit Käppchen, Schläfenlocken und einem gelben „Judenstern“ auf der linken Brust. Um das Spiel erfolgreich zu beenden, muss man den Anführer, dargestellt von Ariel Scharon, ausschalten. Auf dem Weg zu ihm finden sich Propagandatexte wie „Diversity, It‘s Good for Jews“ oder Pläne, die das Fortschreiten des globalen jüdischen Einflusses deutlich machen sollen. Großes Augenmerk wurde auf die akustische Dimension gerichtet. Als Hintergrundmusik wechseln sich verschiedene Rechtsrocklieder mit Hetztexten ab, beim Starten des Spiels ertönt der Satz „White revolution is the only solution“ und beim Töten geben die Opfer Sätze wie „I‘ll take a siesta now“, „Filthy white dog, you have destroyed thousands of years of planning“, „We have destroyed your culture“, „We‘ve silenced Henry Ford“ oder gar Affenschreie bei Farbigen von sich, wobei in den Credits zu lesen ist: „Negro Voices: Recorded Live On Location With Real Negros“ und „No Subhumans Were Harmed During the Making of This Video Game.“ ZOG‘s Nightmare I: The National Socialist Movement (Swastika Arts Software Team, 2001)49 Dies ist ebenfalls ein kommerzielles Produkt, dessen offizielle Webpräsenz mittlerweile geschlossen wurde. Von der Machart her Ethnic Cleansing ähnlich, ist es allerdings umfangreicher und professioneller gestaltet. Der Startbildschirm hat ein Ölgemälde von Adolf Hitler zum Hintergrund und erklärt die sehr rudimentären Kontrollen der Spielfigur. ZOG steht für „Zionist Occupied Government“ und beginnt mit 112 einem zionistischen Angriff auf das Hauptquartier des „National Socialist Movement“ (NSM), einer real existierenden, neonazistischen Organisation in den USA. Auch bei diesem FPS gilt es, bewaffnet gegen „jüdische Terroristen“ und deren farbige Handlanger vorzugehen, wobei erstere in schwarzen Kampfanzügen mit gelbem Judenstern auf der Brust und letztere mit den Buchstaben „NIG“ auf der Stirn gekennzeichnet sind. An den Böden und Wänden der Level befinden sich fast durchgehend Hakenkreuze, Davidsterne, israelische Flaggen oder NSPropagandaplakate aus den 1920er bis 1940er Jahren. Die Soundeffekte sind professioneller, vor allem bei den Waffengeräuschen; aggressiver Rechtsrock läuft als Endlosschleife und vermittelt wiederkehrende ideologische Botschaften wie „Terrorstate Israel“ oder „One nation, one race, one fate“. ZOG‘s Nightmare II: The War Continues (Swastika Arts Software Team, 2007)50 Eine Fortsetzung des Spiels erschien 2007 und bewirbt sich selbst mit dem Slogan „The Most Politically Incorrect Videogame Ever Made!“ Die sehr hohe Intensität an Hasspropaganda gegen verschiedene Gruppen lässt sich bereits klar anhand weiterer Auszüge erkennen: „[...] you are being hunted by a Police agency that has been taken over by jews. [...] In later levels you are in a jew controlled prison, in prison you again liberate guns and blast away at the homosexuals and armed guards [...] you face zombies and other hideous creatures created by the jews [...] The last level has you sloshing through filth and has rooms and halls dedicated to holocaust (holohoax) worship, yids [Jews] are wailing on the soundtrack repeatedly about 600 Billion dead jews [...].“51 JIPSS VOL.4, NR.1/2010 Resümee Durch die Beschreibung und Analyse der vorgestellten Titel ergeben sich mehrere interessante Erkenntnisse. Es lässt sich feststellen, dass sowohl die Menge als auch der Grad an Propaganda in allen Medien hoch bis sehr hoch sind. Es wird kaum versucht, auf subtilen Ebenen Botschaften zu vermitteln, vielmehr entsteht oftmals der Eindruck einer quantitativen Überfrachtung. Durch die zunehmende digitale Verfügbarkeit nationalsozialistischer Bild- und Tonpropaganda findet man diese auch zunehmend als fixen Bestandteil innerhalb der Spiele wieder. Die bildliche Präsentation ist wenig einfallsreich und beschränkt sich bei allen Spielen auf einige wiederkehrende Sujets, die sich aus alten, bekannten Propagandaplakaten der Nationalsozialisten und neueren Symbolen aus dem Umkreis der „White Supremacy/ Nationalism“-Ideologie zusammensetzen. Auch die verzerrte Darstellung der weltanschaulichen Feinde folgt altgedienten Klischees. Akustisch wiederholen sich vor allem Mitschnitte von „Sieg Heil!“ Rufen bei NSDAP-Parteiveranstaltungen und immer wieder das Horst-Wessel-Lied als musikalische Begleitung. Auf einer inhaltlichen Ebene stehen vier Elemente im Vordergrund. Erstens ein omnipräsenter Antisemitismus, der sich neben der grafischen Darstellung vor allem in Theorien jüdischer Weltverschwörungen Bahn bricht. Zweitens ein ebenso intensiver Rassismus, ausgedrückt in massiv propagierten Theorien rassischer Reinheit und Überlegenheit. Drittens verherrlichende Referenzen auf die nationalsozialistische Ideologie und Adolf Hitler als Vorkämpfer der weißen Rasse sowie schließlich viertens und zugleich am häufigsten die aggressive Bewerbung der neonazistischen, vor dem spezifischen US-Hintergrund existierenden „White Supremacy/ Nationalism“-Ideologie. Betrachtet man die Titel aus einem technischen Blickwinkel, kann man sie in „Spielchen“ und vollwertige Spiele (KZ-Manager, Hitler-Diktator, Ethnic Cleansing, ZOG I+II) unterteilen. Erstere können mit heutigen „Browserspielen“ verglichen werden, deren primärer Zweck kurzweilige Ablenkung oder Unterhaltung ist und die über keine komplexeren Spielmechaniken oder Regelwerke verfügen. In der zweiten Gruppe sind aufgrund ihrer relativen Aktualität nur Ethnic Cleansing sowie ZOG I+II für eine nähere Analyse von Relevanz, die beiden anderen Titel kann man als „digitale Artefakte“ bezeichnen, die aus der Frühzeit der Computerspielentwicklung stammen. Es handelt sich bei ihnen um professionelle und zugleich kommerziell orientierte Versuche rechtsextremer Gruppen, Spiele zu produzieren, die in der Lage sind, breitere Massen anzusprechen und die zugleich alle Möglichkeiten zur Präsentation des eigenen Gedankengutes nutzen. Alle drei weisen allerdings im Vergleich mit anderen Produkten mehr oder weniger große Defizite in allen Bereichen auf, sei es nun die mangelhafte Grafik, der geringe Umfang oder spielerische Aspekte, wie dumm agierende Gegner oder eine unpräzise Steuerung. Dies resultiert aus der Tatsache, dass die Herstellung eines konkurrenzfähigen und die Massen begeisternden Computerspieles (vor allem bei FPS) im Verlauf der letzten 20 Jahre immer mehr zu einem Multimillionendollarprojekt wurde. Analog dazu wuchsen auch die Erwartungen der Spieler an die optische Gestaltung, die Handlungstiefe und einen höheren Realismus etc. In den konkreten Fällen verbinden sich mehrere klassische Formen der Propaganda, die nun simultan und multimedial auf den Spieler einwirken. Gekoppelt mit der interaktiven Grundkomponente des Mediums, erhöhen sich Anzahl und Intensität der Reize enorm, denen der Empfänger ausgesetzt ist. Die vorgestellten Spiele sind durchaus für einfache propagandistische Botschaften und Werbung geeignet - vor allem durch die Integration der in Studios aufgenommenen und auch alleinstehend kommerziell vertriebenen Musik populärer Rechtsrockbands. Aufgrund der oben erwähnten Defizite setzt sich das primär erreichte Zielpublikum allerdings wohl zum überwiegenden Teil aus Personen zusammen, die ideologisch bereits auf einer Linie mit den Herstellern sind. Auf dem legalen Markt erzielen sie bei der breiten Masse kaum bis keine propagandistische Wirkung. Vielmehr werden sie am ehesten als Kuriositäten wahrgenommen, die man schnell ignoriert oder eventuell einmal ausprobiert, um sich selbst ein Bild machen zu können. Ausblick und Trends Die Computerspielszene befindet sich in einer ständigen Entwicklung. Für die weitere Verbreitung von rechtsextremer und nationalsozialistischer Propaganda bedeutet dies, dass sie sich andauernd adaptieren muss, wenn sie das neue Medium erfolgreich nutzen will. Drei Trends sind in diesem Kontext 113 Auer, Nationalsozialistische Propaganda in Computerspielen von Relevanz.52 Erstens gibt es immer mehr Produkte, die gemeinsam über das Internet gespielt werden können, wodurch die soziale Ebene immer wichtiger wird. Die Vernetzung der Spieler untereinander nimmt zu, es kommt zur Bildung von immer mehr Communities und Clans53, deren Mitglieder sich oft als sehr eng miteinander verbunden sehen. Diese können den ideologischen Konzepten virtuell Raum und damit eine potente Werbefläche bieten. So trifft man immer wieder auf Clans mit Namen wie „White-Power-Clan“ oder „Sturmtrupp Division 88“54 oder Spieler, die sich nach bekannten Nationalsozialisten oder Einheiten der SS benennen. Zum Zweiten erlauben es immer mehr Hersteller erfolgreicher Spiele55, vor allem von Mehrspieler-FPS, dass man sie mit relativ geringem Aufwand (grundlegend) modifizieren kann56, um so die kreative Energie von Fans zu nutzen, um das Produkt zu verbessern und zu erweitern. Dies bietet weitere Möglichkeiten, Propagandaelemente in weit verbreitete Titel einzubauen, wodurch sich auch die klassische Kommunikation zwischen Programmierern und Spielern verändert, weg von einem simplen Verkäufer-Käufer- bzw. Sender-Empfängermodell, hin zu einer in komplexeren Relationen stehenden gegenseitigen Beeinflussung. Bei diesen Modifikationen („MODs“) ist eine eindeutige Trennung in solche, die dazu dienen, den Realismus zu erhöhen, und solche, die den Nationalsozialismus verherrlichen, nicht immer möglich. So reicht die Bandbreite von der (Re-)Implementierung der historisch korrekten Wehrmachtsuniformen und NS-Flaggen in deutsche Spielversionen über die Entwicklung neuer Missionen bis hin zum Wechsel der Seite, auf der man im Spiel kämpft.57 Auch gilt es hier zwischen den möglichen Absichten der Personen, die solche Modifikationen erstellen, und jenen der Benutzer zu unterscheiden: Wo ersteren nur am „historischen Realismus“ gelegen sein kann, sehen letztere den Einbau von Hakenkreuzen, SSEmblemen und nationalsozialistischen Plakaten als Mittel zum Zweck, die eigene Ideologie sichtbarer zu machen und weiterzuverbreiten – und umgekehrt. Schließlich macht sich ein Trend bemerkbar, vermehrt die deutsche Perspektive im Zweiten Weltkrieg nachspielbar zu gestalten. Ist es in Mehrspielergefechten nur logisch, dass, wenn eine Seite die Alliierten vertritt, die andere das nationalsozialistische Deutschland übernehmen muss, passiert dies nun auch zunehmend in den Einzelspielerkampagnen.58 So wirbt das in Kürze erscheinende Spiel „Red Orchestra – The Heroes of Stalingrad“ (Tripwire Interactive) auf seiner offiziellen Internetpräsenz unter anderem mit folgendem Text: „For the first time ever in a first person shooter gamers will be able to experience WWII from the Axis side in a German single player campaign.“59 Die eingangs erwähnte Möglichkeit, alternative Geschichte interaktiv zu erleben, wirft hier auch geschichtsdidaktische und -theoretische Fragen im Umgang mit der Vergangenheit auf. Kommt es zu neuen Unschärfen bzw. Geschichtsvergessenheit, wenn Spiele einen unkritischen oder hochgradig selektiven Umgang mit Elementen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs erlauben? Welche Implikationen hat die Reduktion auf einen „sauberen Krieg“ im Rahmen von Strategie- oder Actionspielen, ohne Aspekte wie Holocaust, Kriegsverbrechen und Diktatur (ausreichend) zu berücksichtigen? Diese Fragenkomplexe und sich neu entwickelnde Dimensionen von Computerspielen werden in einem künftigen Artikel behandelt. ENDNOTEN Vgl. Julia Scheers, Games Elevate Hate to Next Level. http://www.wired.com/culture/lifestyle/news/2002/02/50523 (alle Onlinequellen wurden am 19.5.2010 überprüft). 2 Der Terminus „Computerspiel“ umfasst hier Produkte für den klassischen Personal Computer (PC). Videospiele für Konsolen (X-Box, Playstation, Nintendo Wii etc.) bilden eine eigene Produktkategorie. 3 Als Orientierung empfehlenswert Jürgen Fritz, Computerspiele: Was ist das? (Bundesanstalt für politische Bildung 2005). http:// www.bpb.de/themen/NGYBQY,0,0,Computerspiele%3A_Was_ist_das.html. Ausführlicher das Dossier der BPB zum Thema Computerspiele. http://www.bpb.de/themen/ST72BG,0,0,Computerspiele.html (Bundesanstalt für politische Bildung 2005). 4 Sich in seiner Freizeit obsessiv mit Computerspielen beschäftigender Mensch, der andere soziale Ebenen vernachlässigt. 5 Ruth Lemmen, Das neue Kulturmedium – Im medienpolitischen Spannungsfeld zwischen Politik und Kultur, in: Olaf Zimmermann, Theo Geißler (eds.), Streitfall Computerspiele: Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz (Berlin 20082), 97. http://www.kulturrat.de/dokumente/streitfall-computerspiele.pdf. 6 Kristin Bäßler, Kulturgut: Computerspiele!? – Der Games-Kanon der Library of Congress/USA, in: Zimmermann, Geißler, Streitfall, 109. Weiters: http://www.loc.gov/today/pr/2006/06-096.html und http://www.digitalpreservation.gov/news/2010/20100322news_article_PVW.html. 7 Bäßler, Kulturgut: Computerspiele, 109. 8 Jörg Müller-Lietzkow, Zwischen Rentabilität und Kulturmedium – Digitale Spiele. Weit mehr als eine rational-ökonomische 1 114 JIPSS VOL.4, NR.1/2010 Rentabilitätsrechnung, in: Zimmermann, Geißler, Streitfall, 112-114, hier 113. 9 Lothar Mikos, Kulturtechnik Computerspiel – Zu Unrecht zum Sündenbock gemacht, in: ibid., 61f., hier 61. 10 http://www.gamasutra.com/view/news/27932/Report_Wii_Holds_47_Percent_Of_Global_Console_Revenue.php. 11 http://www.gamasutra.com/view/news/27598/Study_PC_Software_Sales_Up_3_To_131_Billion_In_2009.php. 12 Zitiert nach Jürgen Fritz, Computerspiele: Was ist das?, http://www.bpb.de/themen/NGYBQY,0,0,Computerspiele%3A_Was_ist_das.html. 13 Mikos, Kulturtechnik Computerspiel, 62f. 14 PEGI Webpräsenz: http://www.pegi.info/en/index/. 15 Zu einer umfassenden Erklärung der Zensurrichtlinien und -abläufe in Deutschland siehe http://medienzensur.de/seite/zensur/pcspiele.shtml. 16 USK Webpräsenz: http://www.usk.de/. 17 BPjM Webpräsenz: http://www.bundespruefstelle.de. 18 http://de.wikipedia.org/wiki/Unterhaltungssoftware_Selbstkontrolle#Kritik_am_Freigabesystem und http://de.wikipedia.org/wiki/BPjM#Kritik. 19 Zitiert nach http://www.spielbar.de/neu/praxiswissen-computerspiele/jugendschutz/. 20 http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/Jugendmedienschutz/Rechtsfolgen/indizierung-traegermedien,did=33104.html. 21 Bundesministerium für Justiz, Strafgesetzbuch: http://bundesrecht.juris.de/stgb/index.html. Anhang Kennzeichnungen durch die USK und Gesetzliche Bestimmungen zur Kunstfreiheit, zur Meinungsfreiheit, zum Jugendschutz und zur Strafbewährung von Gewaltdarstellungen, in: Zimmermann, Geißler, Streitfall, 133-137. Außerdem http://medienzensur.de/seite/beschlagnahmung.shtml. 22 Bundeskanzleramt Rechtsinformationssystem, Verbotsgesetz 1947: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bu ndesnormen&Gesetzesnummer=10000207. 23 Siehe zum Beispiel hier, wo die ungeschnittene UK/US Version lieferbar ist: http://www2.gameware.at/info/space/Wolfenstein. 24 Folgender Artikel gibt einen guten Einblick in die Netzwerke und Strukturen: Thomas Pfeiffer, „Das Internet ist billig, schnell und sauber. Wir lieben es“. Rechtsextremisten entdecken den Computer, in: Bundeszentrale für politische Bildung (ed.), Rechtsextremismus im Internet. Recherchen, Analysen, pädagogische Modelle zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus (Bonn 2002, CD ROM). http://www.im.nrw.de/inn/doks/vs/Bpb-neu.pdf. 25 Ibid., 13, 16-19. 26 Zitiert nach Rainer Fromm, Rassistischer Hass im Word Wide Web. Die weltweite Vernetzung von Neonazis im Internet. http://www.bpb.de/themen/2BWYNR,1,0,Rassistischer_Hass_im_Word_Wide_Web.html. 27 Pfeiffer, Internet, 13. 28 Zitiert nach ibid., 8. 29 Scheers, Games. 30 Zitiert nach ibid. 31 Er verbüßt bis 2037 eine Haftstrafe wegen Anstiftung zum Mord. Siehe: http://www.bop.gov/iloc2/InmateFinderServlet?Transaction= NameSearch&needingMoreList=false&LastName=hale&Middle=&FirstName=matthew&Race=W&Sex=M&Age=&x=17&y=12. 32 Zitiert nach Scheers, Games. 33 Es wird bei den Spielen, sofern eruierbar, immer der Name des Herstellers und das Erscheinungsjahr angegeben. Dies ist teilweise jedoch nicht vollständig oder mit Sicherheit möglich, da manche Verantwortliche anonym bleiben wollen oder es sich um private Produktionen unbekannter Herkunft handelt. Möglicherweise erschienen manche Spiele bereits früher. 34 http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Manager. 35 Weitere Rechtschreibfehler wie „Türkenjagt“ finden sich en masse. 36 Siehe dazu: http://www.adl.org/PresRele/Internet_75/4042_72.htm. 37 http://www.moorhuhn.de/games_mh_1.php?menu=spiele&header=1999. 38 https://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,98921,00.html. 39 Zitiert aus der beiliegenden Spielbeschreibung. 40 Zitiert aus der beiliegenden Spielbeschreibung. 41 Webpräsenz: http://germania2.org/start.html und http://www.germania2.org/info.html. 42 Siehe dazu folgendes Video auf: http://www.youtube.com/watch?v=VY1iBYrK3Gk „Germania, ride from Triumphant arch to Volkshalle“. 43 http://www.germania2.org/insidedome.jpg. 44 Siehe dazu: http://uncyclopedia.wikia.com/wiki/Holocaust_Tycoon. 45 http://images2.wikia.nocookie.net/__cb20061108160751/uncyclopedia/images/7/7c/Holocauster.jpg. 46 http://en.wikipedia.org/wiki/Ethnic_Cleansing_%28video_game%29. 47 Aus der Ichperspektive oder aus einer isometrischen Perspektive gesteuertes Spiel. 48 http://www.adl.org/PresRele/Internet_75/4042_72.htm. 49 http://nsm88records.com/theshop/product_info.php?cPath=51&products_id=1060. 50 http://www.nsm88.org/press/zogs_nightmare_2.html und http://www.adl.org/Learn/Ext_US/nsm/NSM_Reportv12.pdf. 51 Zitiert nach http://www.nsm88.org/press/zogs_nightmare_2.html. 52 Vergleiche hierzu auch folgenden aktuellen Artikel, der sich u.a. mit sozialen Netzwerken und dem propagandistischen Schlagabtausch zwischen Al-Qaida und der Spieleindustrie beschäftigt: Nico Prucha, Online Jihad versus Gaming Industry, in: SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis Nr. 1 (2010), 70-80. 53 Ein Clan definiert sich als soziales Netzwerk von Spielern, die nach außen online gemeinsam auftreten und interne Ziele, Hierarchien und Regelwerke für ihre Organisation aufstellen. 54 Alexandra Müller, Facharbeit. http://de.wikibooks.org/wiki/Rechtsextremismus_heute; hier speziell: http://de.wikibooks.org/ wiki/Rechtsextremismus_heute:_Medien#Internet. 55 Bspw. die bis jetzt millionenfach verkaufte „Call of Duty”-Reihe“ (Activision, ab 2003). www.callofduty.com/. 56 So lassen sich je nach Spiel und Editor neue Welten und Aufträge erstellen, Grafiken fundamental verändern, neue Musik und Töne integrieren und vieles mehr. 57 Zum Beispiel können die Texturen der Figuren („Skins“) einfach vertauscht werden. Der Spieler kämpft so auf Seiten der Wehrmacht oder der Waffen-SS. 58 Im Spiel „Company of Heroes: Tales of Valor“ (Relic Entertainment, 2009) übernimmt man auch die Rolle eines deutschen Panzerkommandanten oder muss als Soldat der Wehrmacht eine französische Stadt gegen alliierte Truppen verteidigen. 59 Webpräsenz: http://www.heroesofstalingrad.com/about/. 115