KV-Blatt 08/2014 - Titelthema I: Techniker Krankenkasse
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KV-Blatt 08/2014 - Titelthema I: Techniker Krankenkasse
14 Titelthema KV-Blatt 08.2014 Einzelleistung – nie was anderes. So lassen sich die Reaktionen auf den jüngsten Vorschlag der Techniker Krankenkasse (TK) zusammenfassen, die Ärzte künftig nach Einzelleistungen zu entlohnen. Und irgendwie stimmt es. Alle KBV-Chefs der vergangenen 20 Jahre haben diese Forderung hin und wieder aufgegriffen – gerne auch dann, wenn wieder mal vergeblich mit den Krankenkassen um mehr Geld gestritten wurde oder die x-te Honorarreform für Zoff in den eigenen Reihen und sowieso mit den Berufsverbänden sorgte. Und nun will die TK den Einzelleistungslohn frei Haus liefern – und erntet fast nur Beifall. Das irritiert. Titelthema KV-Blatt 08.2014 Techniker Krankenkasse Einzelleistung – nie was anderes Von Reinhold Schlitt Einen Richtungswechsel in der ärztlichen Vergütung – viel mehr verriet die Einla dung zur TK-Pressekonferenz erst mal nicht. Zu wenig, um die HauptstadtJournalisten aus ihren Redaktionsstuben zu locken? Schließlich wurde schon oft genug über das System der ärztlichen Vergütung und seine Effektivität berich tet. Und groß war die Zahl vermeintlicher Heilsbringer, die den Berichterstattern mit immer neuen Vorschlägen, Leistung und Honorar besser zusammenzubrin gen, die Zeit stahlen. Und diesmal? Gerade einmal drei Pressevertreter hat ten ihre Teilnahme vorher angemeldet. Gekommen waren dann aber über zwan zig. Könnte ja doch interessant werden. Und wie. Die Einzelleistungsvergütung, so ist zu vernehmen, sei für viele Ärzte die Ultima Ratio, um aus der vermeint lichen oder tatsächlichen Honorar misere in der GKV herauszukommen. Ärztliches Tun würde mit der Einzelleis tungsvergütung planbarer – und viel leicht auch gerechter. Und die Konse quenz eines solchen Vergütungssystems wäre geradezu revolutionär: Die unge liebten Honorarverteilungsmaßstäbe in den Kassenärztlichen Vereinigungen und die R egelleistungsvolumina würden obsolet. Welch eine Botschaft. Die Tech niker Krankenkasse hatte das renom mierte Berliner IGES-Institut beauftragt, Umfang und Wirkungsweise eines Ein zelleistungsvergütungssystems zu skiz zieren und es dem aktuellen HonorarSystem gegenüberzustellen. In ein Wespennest gestochen Die von den IGES-Wissenschaftlern beschriebene Ausgangslage hätten die Honorarexperten auf KBV-Seite nicht treffender skizzieren können: Das aktu elle Honorarsystem in der KV-Land schaft ist stark konfliktbeladen, es krankt letztlich an den notwendigen nachträglichen Honorarabschlägen und orientiert sich – dies die Sicht der Krankenkassen – zu wenig am medizi nischen Bedarf. Und folglich soll, was intransparent wirkt, transparenter und daher berechenbarer werden. Der Schlüssel dazu: die Vergütung jeder ein zelnen Leistung. Für sie wird der Preis vorher bekanntgegeben und auch nach träglich nicht mehr geändert. Einzelleistung, fester Preis – und nichts wird hinterher wieder abgezogen. Kann sich das für eine Krankenkasse rech nen? TK-Vizechef Thomas Ballast kennt solche Bedenken: „Beim Stichwort Ein 15 16 Titelthema KV-Blatt 08.2014 Fortsetzung von Seite 15 zelleistungsvergütung schießt jedem mit der Materie halbwegs Vertrauten sofort das Risiko unkontrollierter Men gen- und damit auch Ausgabensteige rungen durch den Kopf.“ Und weil das so sei, hätten die IGES-Experten dies auch bedacht. In der Tat: Die listen in ihrem Honorarkonzept die vorausseh baren Ursachen für eine Mengenstei gerung im Einzelleistungsvergütungs system auf, vorneweg die Ausweitung der Arbeitszeit der Ärzte, um zusätz liche Fälle oder mehr Leistungen je Fall zu ermöglichen. Nicht auszuschließen sei aber auch eine tendenzielle Verla gerung ärztlichen Tuns zu attraktiven Leistungen, für die ein hoher Wert kal kuliert wurde, sowie die „inkorrekte“ Dokumentation erbrachter Leistungen. Immerhin – und das dürfte viele ärzt liche Berufsfunktionäre wie Gesund heitspolitiker freuen – kann sich IGES auch „eine Erhöhung der Anzahl der niedergelassenen Ärzte durch höhere Attraktivität des Arztberufs“ als Grund für eine Leistungsausweitung vorstellen. Ab wann sich Leistungen nur noch weniger lohnen IGES-Chef Dr. Karsten Neumann schien sichtliche Freude bei der Präsentation des Systems zu haben. Er stellte den staunenden Journalisten auf einer Folie beide Preiskomponenten als eigenstän dige Linien dar (siehe Grafik), die bis zu einem bestimmten Punkt p arallel ansteigend verlaufen. Dann taucht da eine Grenze auf, die signalisiert, ab hier sind die fixen Kosten bezahlt. Folglich läuft nur noch die Linie der variablen Kosten weiter. In der IGES-Textierung heißt das: „Da die Fixkosten ab dem Zeitpunkt der vollständigen Bezahlung nicht mehr vergütet werden, sinkt ab diesem Punkt der Anreiz zur Mengen ausweitung.“ Neu ist die Auftrennung von Kosten arten in der Preiskalkulation nicht, sie wird in manchen Selektivverträgen praktiziert, ist aber auch bei der KBV Anzeige Und ihr Gegenrezept bei – zumindest ungerechtfertigten – Leistungsauswei tungen? Trennung der Preise in fixe und variable Kosten, sodass sich Leistungen ab einem gewissen Umfang nur noch weniger oder gar nicht mehr lohnen und der Anreiz zu unmäßigem Tun gemin dert würde. So wisse man beispielsweise vorher, wie hoch die Kosten für die Refi nanzierung einer Praxisausstattung sind und würde diese in der Preisbildung für die einzelnen Leistungen auch berück sichtigen. Aber danach würden nur noch die anderen, die variablen Kosten (darunter der Arztlohn) weiterbezahlt. nicht ganz unbekannt. Dort spielt sie derzeit bei der Weiterentwicklung des Hausarzt-EBM eine Rolle, wo es um die Abstaffelung technischer Leistungen ab einem Punkt X geht. Für die TK ist dieses Instrument ein Mittel, die Anzahl erbrachter Leistungen und mit ihr die Kosten der Einzelleistungsvergütung nicht unkontrolliert steigen zu lassen. Lediglich im ersten Jahr einer Umstel lung auf Einzelleistungsvergütung müsse man mit einem Anstieg der Ver gütung um bis zu 5,9 % (1,41 Milliarden Euro) rechnen, heißt es. Das aber ist nach TK-Angaben mit Blick auf die jähr lichen Ausgabenzuwächse im ambu lanten GKV-Bereich und den möglichen Vorteilen einer Einzelleistungsvergütung vertretbar. Garaus für Chronikerpauschalen und Verdünnerfälle Auch sollen dann Elemente wie Chro niker- und altersgrenzenabhängige Pauschalen der Vergangenheit ange hören, ebenso auch am Schweregrad ausgerichtete Zu- oder Abschläge oder Anreize „zur Auswahl oder G enerierung insbesondere leichter Fälle („Verdünner fälle“). Bei alledem sind sich TK und IGES bewusst, dass „kurzfristig regio nale Unterschiede beim Punktwert nicht vermeidbar sein werden“, langfristig gleichwohl eine Konvergenz bis hin zu einheitlichen Preisen erstrebenswert ist, nach dem Motto: „Gleiche Leistung, gleicher Preis“. Was wird mit der Hausarzt-/FacharztTrennung? Rechtsfragen? Wir sprechen Ihre Sprache! Wir beraten Sie im Medizinrecht, insbesondere bei Abwehr von Regressen Plausibilitätsprüfungen Berufs- und Disziplinarrecht Honorarstreitigkeiten KV/Patient Vertragsgestaltung für Arztpraxen Zulassung und Approbation Ehlers, Ehlers & Partner Rechtsanwaltsgesellschaft mbB Dr. iur. Melanie Arndt · Carsten Gundel-Arndt · Tom Karl Soller, M.MEL. Meinekestraße 13 · 10719 Berlin Telefon: 030 / 88 71 26-0 · Telefax: 030 / 88 67 61-11 [email protected] · www.eep-law.de Klingt wie „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“: Dieses klassische Kampfmotto der Gewerkschaften würde in der GKV weitere Fragen aufwerfen, weil dann am Ende vielleicht auch die derzeitige Haus arzt-/Facharzt-Trennung bei der Vergü tung überflüssig werden könnte. Wer sich in Honorartöpfen zu Hause fühlt, müsste dann gehörig umdenken. Die zwingend vorgeschriebene Trennung der Honorare soll derzeit verhindern, dass eine Gruppe der anderen in die Tasche Titelthema 17 Foto: Schlitt KV-Blatt 08.2014 greift. Hätte eine s olche Schutzfunktion unter dem Primat der Einzelleistungs vergütung, bei der jeder jede erbrachte Leistung vergütet bekommt, dann noch ihre Berechtigung? EBM als Grundlage für Einzelleistungsdefinitionen Zurück zum IGES-Konzept: Einstweilen sollen die Gebührenordnungspositio nen des EBM für die Definition der Einzelleistungen herangezogen werden. Neuere Versicherten-/Grundpauscha len sollen wieder aufgelöst, also „durch die zuvor im EBM bestehenden Ziffern ersetzt“ werden. Die Stringenz dieses Prinzips kann laut IGES dort unterbro chen werden, wo einzelne Leistungen besonders gefördert werden sollen. Das sei durch entsprechende Punktzahl bewertungen möglich. Für den EBM als Modellierungsgrund lage spricht aus Sicht der TK, dass dort die mit Abstand größten Honorarum sätze der Ärzte generiert werden. Und schon träumen die Protagonisten einer derart hergeleiteten Einzelleistungs vergütung auch von einer Konvergenz der Honorarwerke EBM und GOÄ: „Sollte eine Vereinheitlichung des EBM mit der GOÄ anstehen, würden Leis tungspositionen und/oder Punktzahl bewertungen angepasst.“ Begeisterungsstürme bei ärztlichen Verbänden Einzelleistung – nie was anderes. Nach diesem Muster waren die meisten Reak tionen aus dem berufsärztlichen Lager gestrickt. Es fühlen sich jene bestätigt, die darin immer schon eine Möglichkeit sahen, aus der „nicht mehr reformier baren Honorarverteilungsmühle“ der KVen herauszukommen. „Ein tolles Signal“ sieht beispielsweise die Allianz Deutscher Ärzteverbände in dem Vorstoß der TK, denn damit könnten auch neue und junge Kolle ginnen und Kollegen endlich besser planen. Die innerärztlichen Verteilungs Titelthema KV-Blatt 08.2014 Fotos: Schlitt 18 IGES-Chef Karsten Neumann TK-Vizechef Thomas Ballast Fortsetzung von Seite 17 Auch die Kassenärztliche Bundesver einigung (KBV) wähnt die TK auf dem richtigen Weg: „Ich begrüße es sehr, dass die Techniker Krankenkasse unsere Gedanken und Vorschläge aufgreift“, ließ der Vorsitzende der KBV, Andreas Gassen, erklären und signalisierte Gesprächsbereitschaft. Anzeige kämpfe, „für einen freien Beruf unwür dig“, würden dann der Vergangenheit angehören, glaubt MEDI-GENODeutschlandchef Werner Baumgärtner aus Stuttgart. Der Schwabe ist Sprecher der aus allen großen Facharztverbänden bestehenden A llianz. Gerade so, als sei man schon mitten in Verhandlungen, gibt Baumgärtner der TK auf: „Das dem jetzigen EBM zugrunde liegende kalku latorische Arzthonorar muss neu kal kuliert werden.“ Und für die Hausärzte seien Einzelleistungen „nur dann inte ressant, wenn die einzelnen Leistungen besser vergütet“ würden. Allgemeine Ortskrankenkassen scheinen zu mauern Wer hat außerdem noch Gesprächs bereitschaft signalisiert? Auf eine ent sprechende Frage in der TK-Presse konferenz wollte TK-Kassenvize Ballast einstweilen nicht konkret werden. Man sei bereits mit Kassenärztlichen Ver einigungen im Gespräch. Und mit anderen Krankenkassen, die sinn vollerweise bei einem solchen System wechsel innerhalb einer Region mitzie hen sollten? Da gibt es erste Ansätze. Doch werden die großen Versorger kassen mitspielen? Die haben offenbar längst ihren Frieden mit Morbiditäts orientierter Gesamtvergütung (MGV) gemacht. Von Ausnahmen abgesehen zahlen sie die MGV weitestgehend mit befreiender Wirkung. Das finan zielle Risiko ist für sie, Sondereffekte und Morbiditätsentwicklung hin oder her, einstweilen kalkulierbar. Doch ein Systemwechsel hin zu Einzelleis tungen könnte für AOK & Co sehr viel schwerer berechenbar sein. Das weiß auch TK-Vize Ballast. Der freut sich zwar, dass inzwischen auch einige Krankenkassen bereit sind, über den TK-Vorstoß zu sprechen, doch aus gerechnet die AOK, in vielen Regi onen eine große oder gar marktbe herrschende Krankenkasse, scheint zu mauern: „Wirklich kritisch geäußert hat sich eigentlich nur die AOK“, sagte der TK-Vize in einem Interview mit facharzt.de. Das Beste am Norden … Doch ohne eine gewisse Homogenität, also das Zusammenwirken der inner halb einer Region vertretenen Kassen, wird sich das Prinzip der Einzelleis tungsvergütung wohl nicht so einfach durchsetzen lassen. Unpraktisch wäre es allemal, wie Thomas Ballast in dem schon erwähnten facharzt.de-Interview, sagte. Man sollte ein neues Hono rarsystem über alle Kassenarten hin weg ausprobieren, „damit es nicht zu besonderen Verlagerungseffekten oder Verzerrungen kommt“. Offenbar gibt es im KV-Gebiet Schles wig Holstein Interesse an einer Erpro bung. Man habe schon gute Gespräche, heißt es. Vielleicht gibt es dort bald in Abwandlung eines bekannten NDRTV-Trailers den Spruch: „Das Beste am Norden sind unsere Einzelleistungen“. Anzeigen Anzeigen KV-Blatt 08.2014 Colorektales Karzinom — Folgeprobleme der Therapie 28. und 29. August 2014 Aus dem Programm: Risikoprofil multipler Polypen · Folgeprobleme bei erblichem Darmkrebs · Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie · Kardiotoxizität der onkologischen Therapie · Thromboembolierisiko unter Chemotherapie · Anastomoseprobleme an Colon / Rektum · Low anterior resection syndrom · Transanale TM E · Pelvines Neuromonitoring · Vorhersage der postoperativen Beckenboden- und Sphinkterfunktion · Postoperative Inkontinenz · Stomaprobleme · Störung von Sexualfunktion und Miktion · Lebensqualität nach der Therapie · Fatigue · Depressivität / Traumatisierung / Anpassungs- und Belastungsstörungen · Mind-Body-Medicine Information und Anmeldung zum Kongress: www.sjk.de · www.emts-online.de Honorarmanagement – ein sensibles Thema leicht gemacht Die Abrechnungsexperten Lipke & Lipke ist mehr als eine privatärztliche Verrechnungsstelle 100 % Honorarsicherheit für Sie Keine Rückbuchung bei Ausfall Persönliche Betreuung durch unser erfahrenes Ärzteteam Erstattungsberatung für Ihre Patienten Abrechnungsberatung GOÄ und KV, individuell für alle Fachgruppen MVZ-Beratung und -Organisation Partner von BDC, BVDD, BVOU, Commerzbank, Deutsche Apotheker- und Ärztebank, DIGEST, Gladus, Horbach AG, MEDI, MediaSoft und Medistar Telefon 030 406809-30 | Telefax 030 406809-20 | [email protected] | www.arztabrechnung.com 19