Layout 1 (Page 1) - Röösli Sattelbau

Transcrição

Layout 1 (Page 1) - Röösli Sattelbau
PferdeWoche
RUND UMS LEDER
20. Juni 2012 31
Die Entstehung eines handgemachten Masssattels
Harmonie zwischen zwei Wirbelsäulen
Ein Sattel muss das optimale Zusammenspiel von
Mensch und Tier ermöglichen. Doch wie erkennt
man, ob der eigene Sattel
richtig sitzt? Wann macht
es Sinn, einen Masssattel
anfertigen zu lassen? Und
wie entsteht ein solcher?
Die «PferdeWoche» besuchte die Sattlerei Röösli
und begleitete die Sattelbauer bei diesem künstlerischen Handwerk.
Melina Haefeli
«Sitzt der Sattel gut, sitzt
der Reiter besser.» Nach
diesem Motto fertigt das
Röösli-Team massgefertigte Sättel an, die weltweit
ein Begriff sind. Die Referenzliste der Sattlerei
Röösli spricht für den Erfolg ihres ehrwürdigen
Handwerks. Mit ihren Sätteln gewannen namhafte
Reiter an Olympischen
Spielen, Welt- und Europameisterschaften
sowie
Weltcup-Finals viele Titel
und Medaillen.
Die Röösli-Sättel werden
nach traditionellem Knowhow weitgehend von Hand
Ein Teil der Werkstatt in der Sattlerei Röösli im luzernischen Schachen.
hergestellt. «Nur mit Massarbeit kann eine harmonische Einheit zwischen
Zwei- und Vierbeiner entstehen, die den Zauber des
Reitens ausmacht und
sportliche Erfolge ermöglicht», so Urs Röösli. Der
gelernte Sattler übernahm
vor zehn Jahren das Ge-
schäft seines Vaters Fredy.
Fredy Röösli begann bereits 1965 mit der Produktion von Sätteln. Vorher absolvierte er die Berufslehre
als Sattler/Tapezierer. Mittlerweile beschäftigt die
Sattlerei neun Angestellte,
davon fünf gelernte Sattler
und zwei Lehrlinge.
Ein Unikat nach
persönlichen Massen
Wie jeder Reiter habe auch
jedes Pferd seine eigenen
anatomischen Vorausset-
zungen, etwa bezüglich Sattellage und Schulterbeschaffenheit. Jeder RöösliSattel ist ein Unikat, gefertigt nach den persönlichen
Massen von Pferd und Reiter, damit sich beide gleichermassen
wohlfühlen.
«Bereits bei jungen Pferden muss der Sattel optimal
passen. Sie sind es sich nicht
gewohnt, Sattel und Reiter
zu tragen und sind noch
nicht ideal bemuskelt. Daher muss man ihnen dies so
angenehm wie möglich ge-
Urs Röösli beim Aufpolstern eines Sattelkissens. Mit
der rechten Hand kontrolliert er stets, wo die Wolle
hingelangt. Anschliessend muss das andere Kissen
gleichermassen behandelt werden.
Fotos: Melina Haefeli
stalten», erklärt der Fachmann. Es lohnt sich also,
schon früh einen Masssattel
anfertigen zu lassen oder
sich um einen einwandfrei
sitzenden Stangensattel zu
kümmern. «Es ist ein grosser Irrtum zu glauben, der
Sattel müsse einem jungen
Pferd noch nicht unbedingt
passen, da es sich noch verändern wird», stellt der gelernte Sattler klar.
Die Qual der Wahl
Bei Röösli werden die
grundlegenden Faktoren
bereits beim ersten Anruf
des Kunden ermittelt.
«Reiten Sie Dressur, Springen oder Freizeit? Welche
Rasse hat Ihr Pferd und wie
alt ist es? Können Sie den
Widerrist und die Oberlinie beschreiben? Wie sind
Ihre Körpergrösse und Gewicht?» So ist Urs Röösli
bei seinem anschliessenden
Stallbesuch optimal vorbereitet und kann vorher entscheiden, welchen seiner
Sättel er zum Probieren
mitbringt. Er bietet vier
Dressur-, zwei Spring- und
zwei Freizeitmodelle an.
Sie unterscheiden sich vor
allem in ihren Vorzügen –
wie nahe man am Pferd ist,
welche Breite und Form
RUND UMS LEDER
32 20. Juni 2012
PferdeWoche
1
2
3
4
5
6
die Kissen vorweisen oder
wie der Schenkel liegt, um
nur einige davon zu nennen.
Das qualitativ hochwertige
Material, der bequeme und
weiche Sitz sowie bestmögliche Druckverteilung ist
bei allen garantiert.
Technische Daten
generieren
Vor Ort wird zuerst das
Pferd ausgemessen. Anhand von Kurvenlinien
wird die Form des Rückens
ermittelt. Dies gibt Aufschluss darüber, wie der
Sattelbaum gespannt wird,
wie weit das Kopfeisen
wird, wo der tiefste Punkt
des Sattels liegt und wie
gross die Kissen sein müs-
sen. Die individuelle Anpassung der Sattelbaumspannung ist einer der grossen Unterschiede zwischen
einem Masssattel und einem ab der Stange. Beim
Stangensattel kann nur die
Weite des Kopfeisens sowie die Grösse der Sitzfläche individuell angepasst werden. Die Beugung
des Sattelbaumes ist vorgegeben. Das macht es bei
Pferden, die nicht über
Durchschnittsmasse verfügen, schwierig, einen Sattel
mit der korrekten Sattelbaumspannung zu finden.
Natürlich wird auch der
Reiter ausgemessen – er
soll sich ja genauso wohl
fühlen wie sein Vierbeiner.
Die Sattelkissen werden sorgfältig an den Sattel genäht.
Die Beckenstellung, der
Schenkelschluss, die Ausmessung der Beine sowie
die Haltung des Reiters im
Sattel verraten dem Spezialisten, wie er die Pauschen und Sattelblätter anwinkeln muss und welche
Grösse der Sitz hat.
Nachdem die notwendigen
Masse festgehalten sind,
werden gemeinsam die
mitgebrachten Modelle
ausprobiert. «Meistens
merkt der Kunde sehr
schnell, auf welchem der
Modelle er sich wohlfühlt,
trotzdem überlasse ich ihm
das gewünschte Modell
noch eine Woche lang, um
alle Zweifel auszuräumen.» Wenn alles unter
Dach und Fach ist, wird das
wertvolle Stück mit Hilfe
der vor Ort generierten
technischen Daten in der
Sattlerei im luzernischen
Schachen hergestellt.
Symmetrie und Sorgfalt
von Anfang an
Begonnen wird beim Sattelbaum. Die Sitzgrösse
des Reiters, die Weite des
Kopfeisens, die Spannung
des Baumes und die Polsterung des Sitzes bestimmen den Sattelbaum. Dieses Holz-Stahlfeder-Konstrukt (Bild 1) wird mit Polyesterbändern bespannt (2).
Diese Polyesterbänder ermöglichen eine ideale Einwirkung des Reitersitzes.
Es wird ein Latexgummi
über die Bänder gelegt,
welcher eine langjährige
Federkraft garantiert (3).
Ein Wollfilz überdeckt den
Latexgummi, sodass Reibungen auf den Gummi
verhindert werden und damit das Leder des Sitzes
besser aufgezogen werden
kann (4). Diese Arbeit erfordert Fingerspitzengefühl und Exaktheit. Die
Rindshaut muss beim
Überziehen genug gespannt werden, damit
keine Falten entstehen,
darf aber nicht zu viel
straffen, weil sonst das Leder brechen könnte (5).
Wenn der Sitz überzogen
ist (6), werden die eben-
Die einzelnen Teile des Sitzes werden vorsichtig verarbeitet.
PferdeWoche
RUND UMS LEDER
Sitzt der Sattel?
Die drei Kopfeisen von Röösli: Für stark gebaute
Pferde mit breitem Hals (grün); für durchschnittliche
Warmblüter (rot); für feinere Pferde oder Vollblüter
(gelb).
Ein Vollschalensitz verfügt über keinerlei Elastizität. Er
wirkt wie eine Unterbrechung zwischen Reiter und
Pferd. Ausserdem federt er weder Schläge für die Wirbelsäule des Menschen ab noch für jene des Tieres.
falls massgefertigten Sattelblätter und Strippen angenäht. Der Winkel und
die Höhe der Pauschen
sind wiederum individuell
auf jeden Kunden zugeschnitten. Bei einem Stangensattel sind diese Teile
Standard. Nach Rööslis
Machart ist der obere Teil
des Sattels nun fertig, es
fehlen «nur» noch die Kissen. Sie nehmen aber im
gesamten Prozess einer
Sattelherstellung sehr viel
Arbeit in Anspruch.
Aufpolstern – eine
pure Gefühlssache
Sattelkammer bald auf dem
Widerrist aufliegt oder zu
eng ist, wenn der Sattel vorne
oder hinten zu tief liegt,
wenn die Füllung der Kissen
stark zusammenfiel oder
nicht eben ist, muss der Sattel aufgepolstert werden. Urs
Röösli macht es am liebsten
unmittelbar nach dem Stallbesuch. Denn dann hat er
noch genau im Kopf, wie der
Pferderücken aussah und
wie der Sattel darauf lag.
«Wenn ich mit dieser Arbeit
beginne, werde ich nicht gern
gestört.» Ansonsten müsse
er immer wieder von vorne
beginnen und sich erneut in
den spezifischen Fall hineinversetzen.
Im Laufe der Zeit verändert
sich das heikle Material und
auch das Pferd. Wenn der
Sattel nicht mehr passt, muss
eine Aufpolsterung vorgenommen werden. Um dies
fachmännisch auszuführen,
müssen die Kissen immer
vollständig demontiert werden. Es ist eine knifflige Arbeit, erfordert gute Kenntnisse des Sattelbauers und ist
reine Gefühlssache. Denn
durch das Aufpolstern kann
ein Sattel auch verschlechtert werden. Wenn das Pferd
Druckstellen aufweist – eigentlich dürfte es gar nie so
weit kommen –, wenn die
Viele Stunden Handarbeit
Das passende Wollfilzkissen wird mit Leder überzogen, mit Wolle individuell
aufgepolstert, gepresst und
schliesslich
aufgenäht.
Auch hier gilt wieder absolute Symmetrie, Genauigkeit und Sorgfalt. Sie müs-
«Leider trauen sich die Reiter
heutzutage immer weniger zu,
den Sattel selbst zu überprüfen. Eine jährliche Kontrolle
durch einen Fachmann finde
ich gut, die Selbstkontrolle ist
jedoch genauso wichtig», verdeutlicht Röösli und fährt fort:
«Denn wenn man einen offenen Widerrist vorfindet oder
das Pferd bereits unter einem
Satteldruck leidet, hätte man
schon viel früher reagieren
müssen. Wenn einem das Tier
wichtig ist, sollte man sich auch
für sein Wohlbefinden interessieren.»
Der Reiter solle zuerst auf das
eigene Gefühl hören und sich
während des Reitens folgende
Fragen stellen:
• Sitze ich am richtigen Ort?
• Ist es mir grundsätzlich wohl
im Sattel?
• Oder muss ich mich nach
vorne oder hinten beugen,
um Einwirkung zu erlangen?
• Wie läuft das Pferd? Geht es
locker und gelöst?
• Kaut es sauber ab?
• Oder verteidigt es sich bereits, wenn ich mit dem Sattel
komme?
Um weitere Missstände zu
prüfen, drückt man den Sattel
längs mit beiden Händen fest
an den Bauch, um die Längselastizität des Baumes zu testen. Falls er gebrochen wäre,
gibt er extrem nach. Auch das
Kopfeisen sollte man kontrollieren. Hierzu drückt man die
Pauschen gegeneinander. Das
Kopfeisen muss fix sein, darf
leicht federn, sollte aber nicht
zu sehr nachgeben. Ein Vollschalensitz gibt gar nicht
nach. Anschliessend bindet
man das Pferd am besten im
Stallgang an. Den Sattel legt
man ohne Sattelunterlage auf
den nackten Rücken seines
Vierbeiners. Danach kontrolliert man mit etwas Distanz
von der Seite, ob sich der Tiefpunkt des Sattels schön in der
Mitte befindet und ob der Sattel nach wie vor hinter der
Schulter liegt. Ausserdem
20. Juni 2012 33
muss Folgendes einer Kontrolle unterzogen werden:
• Ist die Auflagefläche genügend gross?
• Oder wippt er, wenn sich das
Pferd etwas bewegt?
• Besteht genügend Widerristfreiheit auch mit Reitergewicht? Es müssen zwei bis
drei Finger Platz haben.
• Ist die Kammer (Abstand
zwischen den Kissen) genügend breit (sechs bis acht
Zentimeter)?
• Ist das Schweissbild nach
dem Reiten regelmässig?
Oder gibt es trockene Stellen? Achtung: Im Bereich der
Sturzfeder, wo die Bügelriemen befestigt sind, besteht
ein ungefähr handgrosser
Fleck, der meistens trocken
bleibt. Das ist normal, da hier
keine Luft hinkommt. Wenn
es jedoch in der Mitte
trocken bleibt, ist dies kein
gutes Zeichen.
Im Zweifelsfall sollte man den
Fachmann lieber früher als
später fragen.
sen auf der gleichen Höhe
und im gleichen Winkel
aufgenäht werden. Sie sind
massgeblich für einen gut
passenden Sattel.
Nun ist er fertig, der perfekte Sattel, bei dem jedes
einzelne Stückchen massgeschneidert wurde. Mit
Rööslis Einrichtung kostet
dies in Tat und Wahrheit
zwischen 30 und 40 Stunden Handarbeit.
Der Sattel alleine
bewirkt keine Wunder
Es lohnt sich für Pferd wie
auch Reiter, etwas in den
Sattel zu investieren und
viel Wert darauf zu legen.
Nur so kann man harmonisches Zusammenwirken
geniessen und die Gesundheit aufrechterhalten.
Doch alleine der passende
Sattel bewirkt keine Wunder. Wir Reiter müssen
auch an unserer Reitweise
arbeiten und nicht ausschliesslich die Fehler
beim Material suchen.
Denn: «Ergebnisse von
Satteldruckmessungen haben ergeben, dass schlecht
passende Sättel mit gut sitzenden Reitern bessere
Werte erzeugen, als ein
schlecht sitzender Reiter
mit einem gut passenden
Sattel», so der Innerschweizer Fachmann.
Diese Fläche muss sauber und ebenmässig sein.
Kleinste Unebenheiten können Druckstellen hinterlassen – auch wenn die Kissen noch aufgenäht werden.
Ein Wollkissen (u.) ist elastisch und passt sich bis zu einem gewissen Grad dem Pferderücken an. An einem
Gummikissen (o.) kann man nichts verändern
(aufpolstern). Ausserdem ist es viel härter als ein
Wollkissen und passt sich nicht an.