Krankheitsbedingte Kündigung

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Krankheitsbedingte Kündigung
Kanzlei Merz – Ratgeber
Krankheitsbedingte Kündigung
Dieter Merz
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
www.merz-dresden.de
Stans Januar 2011
Zur Person: Dieter Merz
Geboren wurde Dieter Merz 1957 in Ludwigsburg. Nach
dem Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg und
Mainz absolvierte er sein Referendariat im OLG Bezirk
Koblenz. Von 1985 war er als Rechtsanwalt und späterer
Partner einer großen Sozietät im Rhein-Main-Gebiet und
später als verantwortlicher Partner in Dresden tätig.
2002 fusionierte seine Kanzlei mit mehreren Dresdener
Kanzleien. Im Jahr 2009 erfolgte seine Ausgliederung zur
Kanzlei Merz in einer Bürogemeinschaft mit Herrn Rechtsanwalt Hans H. Abtmeyer.
Dieter Merz ist Gründer von zahlreichen Organisationen, Verbänden und Vereinen und besitzt langjährige
Erfahrung als Aufsichtsratsvorsitzender und Gemeinderat. Ferner ist er Herausgeber zahlreicher Fachpublikationen und Ratgeber. Zudem hält er vielfach Fachvorträge, leitet arbeitsrechtliche Workshops und ist
Referent im Expertenteam der Dresden International University.
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Stand Januar 2011
Inhalt
I.
EINLEITUNG ........................................................................................................................ 4
II.
BEGRIFF UND EINORDNUNG DER KRANKHEITSBEDINGTEN KÜNDIGUNG .........5
1)
Begriff ...................................................................................................................................5
2)
Einordnung ..........................................................................................................................5
Exkurs ......................................................................................................................................... 6
III.
VORAUSSETZUNGEN DER KRANKHEITSBEDINGTEN KÜNDIGUNG ........................ 7
1)
Allgemeine Voraussetzungen .............................................................................................. 7
2)
Besondere Voraussetzungen ............................................................................................... 7
IV.
FALLGRUPPEN DER KRANKHEITSBEDINGTEN KÜNDIGUNG .................................. 8
1)
Häufige Kurzerkrankungen ............................................................................................... 8
a) Negative Gesundheitsprognose ..................................................................................... 8
b) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ................................................................... 9
c)
2)
Interessenabwägung ...................................................................................................... 9
Längere Erkrankungen (Langzeiterkrankungen) ............................................................ 10
a) Negative Gesundheitsprognose .................................................................................... 10
b) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen .................................................................. 11
c)
Interessenabwägung ..................................................................................................... 11
3)
Dauerhafte Arbeitsunfähigkeit ......................................................................................... 12
4)
Krankheitsbedingte Leistungsminderung........................................................................ 13
a) Negative Gesundheitsprognose .................................................................................... 14
b) Beeinträchtigung betrieblicher Interessen .................................................................. 14
c)
V.
Interessenabwägung ..................................................................................................... 15
FAZIT .................................................................................................................................... 15
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Stand Januar 2011
I.
Einleitung
Krankheitsbedingte Kündigungen sind für den Arbeitgeber und für den Arbeitnehmer gleichermaßen
schwierige und mit weitreichenden Folgen verbundene Entscheidungen.
Der Arbeitnehmer verliert seine Beschäftigung zu einem Zeitpunkt, wo er meist noch viele andere Probleme lösen muss. Ungewissheiten gesundheitlicher, familiärer und finanzieller Art stellen eine enorme Belastung für ihn dar.
Doch auch der Arbeitgeber muss im Eigeninteresse und im Interesse der anderen Arbeitnehmer eine
schwerwiegende Entscheidung treffen.
Einerseits ist er verantwortlich für seine Mitarbeiter und den Erhalt von Wettbewerbsfähigkeit und Handlungsfähigkeit des Unternehmens. Er garantiert den reibungslosen Ablauf des Betriebsgeschehens. Und
andererseits belastet eine gesundheitsbezogene Kündigung nicht selten das betriebsinterne Arbeitsklima,
schafft womöglich Ängste und unnötigen Druck auf andere Arbeitnehmer. Außerdem hat der Arbeitgeber
ebenso eine große Verantwortung für den zu kündigenden Arbeitnehmer.
Folgendes Beispiel soll diesen Interessenkonflikt kurz verdeutlichen:
Der mittelständige Betrieb B mit 15 Angestellten bearbeitet unter anderem Gaspipelines und schweißt
diese zusammen. Die Auftragslage und der Kostendruck in der Branche sind angespannt.
S, ein 58- jähriger, bei B seit längerer Zeit angestellter Schweißer erleidet eine Hornhautablösung am
linken Auge. Sein Arzt rät ihm dazu, keine weiteren Schweißtätigkeiten auszuüben, um nicht auch noch
das rechte Auge zu gefährden. S teilt B den Befund mit und bittet um eine anderweitige Beschäftigung im
Betrieb. B jedoch kann S an anderer Stelle nicht einsetzen, da auch unter größten Anstrengungen keine
Kapazitäten bestehen. Zudem benötigt er unbedingt einen Schweißer, um die finanziell rettenden Aufträge
ausführen zu können.
Das Dilemma ist offensichtlich. Sowohl B als auch S haben eine Vielzahl verschiedener Interessen, welche nur schwer miteinander vereinbar sind. So wird S nur schwer eine geeignete neue Stelle finden können. Aber auch B befindet sich in einer Situation, in der die Existenz des Betriebes, mithin die Zukunft der
Beschäftigten gefährdet ist.
Das Skript soll Ihnen daher einen Überblick über Schwierigkeiten und Möglichkeiten der krankheitsbedingten Kündigung geben. Es soll eine erste Grobbeurteilung darüber erlauben, wann eine krankheitsbezogene Kündigung gerechtfertigt ist und ob diese auch im Sinne des Betriebsklimas ratsam ist.
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Keinesfalls ersetzen die Ausführungen jedoch die persönliche und kompetente anwaltliche Beratung, da
sowohl die sich ändernde Rechtsprechung, als auch der jeweilige Einzelfall meist weitere Probleme in sich
bergen.
II.
Begriff und Einordnung der krankheitsbedingten Kündigung
1)
Begriff
Der Begriff der krankheitsbedingten Kündigung erfasst alle Fallgestaltungen, in denen der Arbeitgeber
einem Arbeitnehmer wegen dessen Erkrankung kündigt. Die Erkrankung allein ist jedoch noch lange kein
Kündigungsgrund! Zu der Erkrankung muss eine unbestimmte Zahl von betriebsstörenden Merkmalen
dazu kommen, welche sich immer nach dem Einzelfall richten. Die Merkmale sind grundsätzlich explizit im
Kündigungsschreiben zu nennen und gegebenenfalls zu beweisen.
Solche betriebsstörenden Merkmale, hervorgerufen durch die Erkrankung des Arbeitnehmers, können
konkrete Störungen im Betriebsablauf oder erhebliche Beeinträchtigungen wirtschaftlicher Art sein.
Ein Beispiel für
»
eine konkrete Störung im Betriebsablauf stellt z.B. eine erhebliche Mehrbelastung der Arbeitskollegen dar, weil der Arbeitgeber keine Ersatzkraft für die Krankheitszeit findet.
»
eine erhebliche Beeinträchtigung wirtschaftlicher Art liegt vor, wenn es durch den nicht einsatzfähigen Arbeitnehmer zu erheblichen Umsatzeinbußen kommt oder der Arbeitgeber häufige
und/oder hohe Entgeltfortzahlungskosten zahlen muss.
2)
Einordnung
Neben der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ist insbesondere die ordentliche Kündigung
praxisrelevant. Findet das Kündigungsschutzgesetz in Ihrem Betrieb Anwendung, so bedarf es, gem.
§ 1 I KSchG, für eine ordentliche bzw. fristgemäße Kündigung einem der drei folgenden Gründe:
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»
Gründe in der Person („Personenbedingte Kündigung“),
»
Gründe im Verhalten der Person („Verhaltensbedingte Kündigung“) oder
»
Gründe, welche betriebsbedingt sind („Betriebsbedingte Kündigung“).
Die krankheitsbedingte Kündigung stellt einen speziellen Fall der personenbedingten Kündigung dar und
ist somit nur möglich, sofern die Voraussetzungen zur Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes
vorliegen. (Weitere Fallgruppen, die zur personenbedingten Kündigung gehören, finden Sie im Skript „Personenbedingte Kündigung“.)
Beachten Sie, dass insbesondere die verhaltensbedingte Kündigung von der krankheitsbedingten Kündigung unterschieden werden muss, was nicht immer einfach ist.
Folgender Fall soll dies kurz verdeutlichen:
Eine Kündigung wegen mehrfach verspäteter Krankmeldungen, nach vorhergehender Abmahnung, ist
grundsätzlich denkbar. Jedoch muss die Kündigung als verhaltensbedingte Kündigung erfolgen, da der
Arbeitnehmer seinen Informationspflichten nicht nachkommt, welche er aber beeinflussen kann. Eine
krankheitsbedingte Kündigung hätte in diesem Fall kaum Erfolgschancen.
Personenbedingte Kündigungen jedoch stützen sich grundsätzlich auf Gründe, welche vom Arbeitnehmer
gerade nicht beeinflussbar sind (z.B. Krankheit, Alter, Gewissen und viele weitere).
Exkurs
Die wichtigsten Grundvoraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes sind:
»
Es muss sich um eine ordentliche Kündigung handeln.
»
Der Betrieb muss mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigen, wobei nicht jeder Mitarbeiter zugleich
als Arbeitnehmer zu klassifizieren ist.
»
Und der Arbeitnehmer muss mindestens 6 Monate im Arbeitsverhältnis des Arbeitgebers gestanden haben.
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III.
Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung
1)
Allgemeine Voraussetzungen
Wie bei jeder personenbedingten Kündigung müssen auch bei der krankheitsbedingten Kündigung stets
vier allgemeine Voraussetzungen beachtet werden, damit die Kündigung formell wirksam ist.
Die Kündigung muss:
»
schriftlich erfolgen,
»
eindeutig erklärt werden,
»
dem Arbeitnehmer zugehen und
»
einen tatsächlichen personenbedingten Grund enthalten.
Nicht notwendig ist dagegen eine Abmahnung, von Ausnahmen abgesehen.
2)
Besondere Voraussetzungen
Über die allgemeinen Voraussetzungen hinaus bedarf es zur Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung noch vier weiterer besonderer Erfordernisse.
Dies sind:
1. Prognose negativer Art
2. Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
3. Erforderlichkeit
4. Interessenabwägung
Was genau man unter den einzelnen Voraussetzungen versteht, wird Ihnen nachfolgend grob anhand der
Fallgruppen krankheitsbedingter Kündigungen verdeutlicht werden.
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IV.
Fallgruppen der krankheitsbedingten Kündigung
Die krankheitsbedingte Kündigung ist der häufigste Fall der personenbedingten Kündigung. Jedoch berechtigt nicht jede Krankheit gleichermaßen zur Kündigung. Vielmehr wird insbesondere nach Art und
Dauer der Krankheit unterschieden. Auch woher die Krankheit kommt, ob sie etwa aus dem Arbeitsverhältnis resultiert und viele weitere Faktoren sind nötig, um die Rechtmäßigkeit einer Kündigung beurteilen
zu können.
Man unterscheidet daher Kündigungen wegen:
»
häufiger Kurzerkrankungen,
»
lang anhaltender Erkrankungen,
»
dauernder Arbeits- bzw. Leistungsunfähigkeit und
»
einmaliger Schicksalsschläge.
Jede dieser Gruppen hat unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich der oben genannten Voraussetzungen, damit eine Kündigung auch wirksam ist.
Häufige Kurzerkrankungen
1)
Häufige Kurzerkrankungen können das Arbeitsverhältnis erheblich beeinträchtigen, weil immer neue beträchtliche Fehlzeiten auflaufen und entsprechende Lohnfortzahlungen nötig sind. Die Folge kann eine
erhebliche Störung des Austauschverhältnisses (also ein Missverhältnis von Arbeitsleistung und Vergütungsleistung, vgl. § 611 I BGB) von nicht absehbarer Dauer sein, weshalb die Aufrechterhaltung des
Arbeitsverhältnisses als unzumutbar angesehen werden kann.
Wann häufige Kurzerkrankungen zur Kündigung berechtigen, wird im Dreischritt geprüft. Festgestellt wird,
ob eine negative Gesundheitsprognose vorliegt, betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt werden
und ob die Interessen aller Beteiligten ausreichend berücksichtigt wurden. Grundsätzlich müssen alle drei
Voraussetzungen erfüllt sein.
a)
Negative Gesundheitsprognose
Eine negative Gesundheitsprognose wird z.B. angenommen wenn:
»
der Arbeitnehmer in den letzten 2-3 Jahren krankheitsbedingte Fehlzeiten von mehr als 6 Wochen pro Jahr hatte. Egal ist, ob die Fehlzeiten auf unterschiedlichen Krankheiten beruhten.
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Einmalige Ursachen für Fehltage können eine negative Zukunftsprognose meist nicht rechtfertigen, da
diese keine Aussagekraft über eine Wiederholungsgefahr beinhalten. Dies kann z.B. der Fall sein bei
einem Schicksalsschlag.
Der Arbeitgeber sollte den Betriebs- / Personalrat über die Ausfallzeiten des Arbeitnehmers der vergangenen Jahre, welche er für die negative Prognose heranzieht, unterrichten.
b)
Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Eine krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist nur sozial gerechtfertigt, wenn
die bisherigen und die nach der Prognose zu erwartenden künftigen Krankheitszeiten betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigen.
Anhaltspunkte für erhebliche Beeinträchtigungen sind etwa gegeben, wenn wegen der Krankheit:
»
Maschinen still stehen,
»
die Produktion zurück geht, da kurzfristig einzuarbeitendes Ersatzpersonal nötig ist,
»
eine Überlastung des verbliebenen Personals vorliegt,
»
Arbeitskräfte zur Lückendeckung aus anderen Arbeitsbereichen abgezogen werden müssen, obwohl diese dort ebenfalls benötigt werden,
»
der Arbeitnehmer so unvorhersehbar und häufig fehlt, dass der Arbeitgeber diesen nicht mehr
sinnvoll einsetzen kann, da ihm das erforderliche Erfahrungswissen im Umgang mit neu angeschafften Geräten immer wieder verloren geht,
»
c)
der Arbeitgeber für mehr als 6 Wochen im Jahr Entgeltfortzahlungskosten zahlen muss.
Interessenabwägung
Die Interessenabwägung stellt eine soziale Korrektur des Ergebnisses dar und hilft auch dem Arbeitgeber
die Kündigungsentscheidung im Einklang zum Betriebsklima zu fällen. Es gilt generell, dass der Einzelfall
entscheidend ist.
Faktoren, die der Arbeitgeber berücksichtigen sollte, sind:
»
Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers,
»
bisherige Arbeitsleistungen,
»
finanzielle Situation des Arbeitnehmers,
»
Familienstand des Arbeitnehmers,
»
eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers,
»
Alter des Arbeitnehmers usw.
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Eine einheitliche Formel, wie viel jeder der genannten Faktoren wiegt, existiert nicht.
Für die Vielgestaltigkeit der Interessenabwägung lässt sich folgendes Beispiel zeigen:
»
Einem Arbeitnehmer kann zugutekommen, dass Unterhaltspflichten bestehen und sich die krankheitsbezogene Kündigung auf finanzielle Belastungen im Unternehmen stützt. Hier wird regelmäßig das Arbeitnehmerinteresse höher gewichtet werden.
»
Genau anders liegt dagegen der Fall, wenn zwar Unterhaltspflichten bestehen, der Arbeitgeber
sich aber auf Betriebsablaufstörungen beruft, da hier gerade nicht die finanzielle Lage gegeneinander abgewogen wird.
Sie sehen, dass zur Beurteilung einer rechtmäßigen krankheitsbezogenen Kündigung zahlreiche Faktoren
zu berücksichtigen sind, weshalb dieses Skript auch nur exemplarisch Anhaltspunkte liefern kann.
2)
Längere Erkrankungen (Langzeiterkrankungen)
Eine Kündigung wegen lang anhaltender Krankheit ist grundsätzlich schwieriger als eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen oder dauerhafter Arbeitsunfähigkeit. Denn anders als bei häufigen Kurzerkrankungen, belastet eine längere Krankheit nur selten mit immer wiederkehrenden Entgeltfortzahlungskosten oder Organisationsproblemen. Auch kann die Kündigung eben nicht wie bei einer dauerhaften
Arbeitsunfähigkeit auf die dauerhafte Unmöglichkeit die Beschäftigung je wieder ausüben zu können,
gestützt werden.
Die Kündigung wegen längerer Erkrankung ist daher nur gerechtfertigt, wenn sie aus betrieblichen Gründen unbedingt erforderlich ist. Dies ist grundsätzlich nur der Fall, wenn es nötig ist, den Arbeitsplatz des
Arbeitnehmers auf Dauer zu besetzen und der krankheitsbedingte Ausfall nicht anderweitig überbrückt
werden kann.
Wann längere Erkrankungen zur Kündigung berechtigen, wird ebenfalls im Dreischritt geprüft. Festgestellt
wird, ob eine negative Gesundheitsprognose vorliegt, betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt werden und ob die Interessen aller Beteiligten ausreichend berücksichtigt wurden. Grundsätzlich müssen alle
drei Voraussetzungen erfüllt sein.
a)
Negative Gesundheitsprognose
Bei längeren Erkrankungen gilt die Gesundheitsprognose als negativ, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung aufgrund seiner Erkrankung bereits für einen längeren Zeitraum seine Arbeitsleistung
nicht mehr erbringen konnte und ein Ende der Erkrankung nicht absehbar oder die Wiederherstellung für
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längere Zeit völlig ungewiss ist. Anknüpfungspunkt ist also stets eine bereits bestehende längere Arbeitsunfähigkeit.
Das Bundesarbeitsgericht urteilt,
»
dass eine bestehende Erkrankung von knapp acht Monaten als lang andauernd angesehen werden darf. Es betont dabei auch, dass es keine starren Mindestgrenzen gibt, weshalb auch kürzere
Zeiträume unter Berücksichtigung der speziellen Umstände gerechtfertigt sein können.
»
dass für eine Prognose 24 Monate ab Kündigungszeitpunkt Berücksichtigung finden sollen, ob
evtl. eine positive Entwicklung möglich ist.
Ob nach Ausspruch der Kündigung bei zuvor festgestellter negativer Prognose nun doch eine positive
Entwicklung eintritt, ist unerheblich, da es nur auf den Zeitpunkt der Kündigung ankommen kann.
Beachten Sie, dass frühestens nach 6 Wochen eine Kündigung wegen Langzeiterkrankung ausgesprochen werden darf, sofern eine negative Gesundheitsprognose vorliegt.
b)
Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Sofern der Arbeitgeber kündigen will, muss er grundsätzlich prüfen, ob durch die Langzeiterkrankung des
Arbeitnehmers tatsächlich erhebliche Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen vorliegen.
Der Arbeitgeber muss daher zunächst versuchen Überbrückungsmaßnahmen zu schaffen.
An dieser Stelle sind etwa denkbar, sofern dem Arbeitgeber zumutbar:
»
die Einstellung von Aushilfskräften bis zu 24 Monaten,
»
die Durchführung von Mehrarbeit,
»
personelle Umorganisation sowie
»
organisatorische Umstellungen.
Nur wenn diese und weitere Maßnahmen nicht möglich oder zumutbar sind, kann von einer erheblichen
Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gesprochen werden.
Aufgrund neuester Entwicklungen, angestoßen durch die sog. „Schultz-Hoff“-Entscheidung des EuGH,
können die nunmehr nicht verfallbaren Urlaubsansprüche zu einer erheblichen Belastung des Arbeitgebers führen und somit eventuell eine Kündigung rechtfertigen. Bisher sind die Folgen der Entscheidung
kaum absehbar und sollten nur unter juristischer Hilfestellung angewandt werden.
c)
Interessenabwägung
Liegt eine dauerhafte Erkrankung vor und ist eine negative Prognose festgestellt, braucht der Arbeitgeber
in aller Regel eine weitere unabsehbare Zeit der Arbeitsunfähigkeit billigerweise nicht hinzunehmen. Eine
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Interessenabwägung ist daher entbehrlich, wenn die dauerhafte Erkrankung inklusive negativer Prognose
feststeht. Steht die dauernde Arbeitsunfähigkeit jedoch nicht fest, so sind die schon oben gezeigten Kriterien wie Alter, einmaliger Schicksalsschlag, Unterhaltspflichten usw. in die Prüfung einzubeziehen.
3)
Dauerhafte Arbeitsunfähigkeit
Ist ein Arbeitnehmer aufgrund einer Erkrankung zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung dauerhaft nicht mehr in der Lage, so kann eine personenbedingte Kündigung auf die dauernde Leistungsunfähigkeit gestützt werden und sozial gerechtfertigt sein.
Grundsätzlich gilt, dass allein die dauernde Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen,
bereits zu einer erheblichen, nicht nur vorübergehenden Störung des Arbeitsverhältnisses führt. Die negative Prognose liegt, sofern begründet, bei einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit regelmäßig vor.
Der Arbeitgeber muss im Zeitpunkt der Kündigung nachweisen, dass der Arbeitnehmer dauerhaft arbeitsunfähig ist.
Außerdem muss der Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen freien
Arbeitsplatz prüfen, auf dem sein Arbeitseinsatz ohne Fortdauer der Erkrankung denkbar ist.
Eine erhebliche Betriebsbeeinträchtigung muss der Arbeitgeber dagegen regelmäßig nicht darlegen. Diese
steht ja gerade schon fest, da der Arbeitnehmer die in Zukunft geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr
erbringen kann.
Beachten Sie, dass der dauernden Arbeitsunfähigkeit auch eine schwere Gesundheitsschädigung, die bei
einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers eintreten würde, unter Umständen gleich gestellt wird.
Da es einer Darlegung von negativer Prognose nur sporadisch und erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen, in Fällen der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit, ausschließlich in Ausnahmesituationen bedarf, muss
nur die Interessenabwägung umfangreicher erfolgen. Nur eine außergewöhnliche besondere Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers kann ein Arbeitnehmerinteresse im Falle der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit
höher wiegen lassen als das Arbeitgeberinteresse. Wegen des Grundsatzes, dass eine Kündigung immer
nur letztes Mittel sein kann, muss der Arbeitgeber ausführlich prüfen, ob der Arbeitnehmer nicht auf einen
„leidensgerechten Arbeitsplatz“ oder „Schonarbeitsplatz“ versetzt werden kann.
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4)
Krankheitsbedingte Leistungsminderung
Die krankheitsbedingte Leistungsminderung kann nur in Ausnahmefällen und mit großer Zurückhaltung als
Kündigungsgrund in Betracht gezogen werden. Eine Leistungsminderung liegt immer dann vor, wenn der
Arbeitnehmer aufgrund einer Krankheit hinter der vertraglich vereinbarten Normalleistung erheblich zurückbleibt.
Erheblich ist die Minderung der Normalleistung z.B. immer dann:
»
wenn der Arbeitnehmer nur noch 2/3 der vereinbarten Leistung erbringen kann.
Beispiele für vom Arbeitnehmer meist nicht beeinflussbare Leistungsmerkmale, welche Grund für die Kündigung sein können, sind:
»
ein Nachlassen der Körperkraft,
»
ein Nachlassen der Geschicklichkeit,
»
ein Nachlassen der Seh- oder Hörschärfe,
»
ein Nachlassen der Konzentration oder des Gedächtnisses, usw.
Folgende Kriterien sollten unter anderem für die Beurteilung der Leistungsminderung berücksichtigt werden:
»
Was ist die individualvertraglich vereinbarte Leistung?
»
Welche Leistung erbringen vergleichbare Arbeitnehmer?
»
Liegt die erbrachte Leistung des Arbeitnehmers um ca. 1/3 niedriger als die Leistung vergleichbarer Arbeitnehmer?
»
Handelt es sich tatsächlich um eine krankheitsbedingte Leistungsminderung oder doch eher um
eine gezielte Leistungsverweigerung? (Denn dies wäre womöglich ein verhaltensbezogener Kündigungsgrund.)
»
Handelt es sich nur um einen unwesentlichen oder altersbedingten Leistungsabfall?
Anhand der aufgezeigten Kriterien sieht man schon an dieser Stelle wie weitsichtig der Arbeitgeber vorgehen muss, weshalb die Kriterien nur Anhaltspunkte und keine ausführliche Checkliste darstellen können.
Die gebotene Zurückhaltung einer Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsminderung macht die
sorgsame Prüfung der negativen Gesundheitsprognose, der Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und
der Interessenabwägung umso wichtiger.
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a)
Negative Gesundheitsprognose
Die negative Gesundheitsprognose ist gegeben, wenn auch in Zukunft die begründete Befürchtung vorliegt, dass der Arbeitnehmer nur die erheblich verminderte Leistungsfähigkeit erbringen kann. Zum Zeitpunkt der Kündigung muss daher ein objektiv messbarer erheblicher Leistungsabfall in quantitativer oder
qualitativer Hinsicht gegeben sein.
Eine negative Gesundheitsprognose kann z.B. angenommen werden:
»
wenn ein Arbeitnehmer aufgrund starker Rückenbeschwerden nur noch 50% der Arbeitszeit an
der Kasse stehen kann, die restliche Zeit im Aufenthaltsraum des Büros verbringen muss und von
ärztlicher Seite aus bestätigt ist, dass eine Besserung nicht ohne Eingriff möglich ist.
Dies allein rechtfertigt natürlich noch keine Kündigung. Vielmehr muss die verminderte Leistungsfähigkeit
zu der uns bereits bekannten erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen.
b)
Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen wird regelmäßig in wirtschaftlicher Hinsicht relevant sein.
Denn der Arbeitgeber erhält trotz der Zahlung des vollen Zeitlohnes keine adäquate Arbeitsleistung.
Jedoch genügt nicht jede geringfügige Minderleistung, denn diese wäre nicht geeignet die betrieblichen
Interessen erheblich zu beeinträchtigen.
Es muss sich um eine Minderung der Arbeitsleistung von ca. 1/3 handeln.
Aber auch organisatorische Aspekte können eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen rechtfertigen.
Um unser Beispiel des Verkäufers wieder aufzugreifen, wird man aus wirtschaftlicher Sicht eine erhebliche
Beeinträchtigung bejahen müssen, da dieser nur 50% der Arbeitszeit den Verkauf betreiben kann.
Allein diese Feststellungen berechtigen jedoch keinesfalls zur Kündigung.
Der Arbeitgeber ist angehalten, die von ihm beeinflussbaren Gründe für eine krankheitsbedingte Leistungsminderung positiv zu beeinflussen.
Beispiele für eine geforderte Kreativität an den Arbeitgeber, gemessen an unserem Beispiel sind etwa,
dass:
»
die Verkaufstätigkeit statt im Stehen auch im Sitzen vorgenommen werden könnte,
»
der Verkaufende auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt wird, sofern dies möglich ist,
»
eine Halbtagsbeschäftigung angestrebt wird, welche die möglichen 50% Arbeitsleistung deckt
und dabei Aushilfskräfte, weitere Halbtagsbeschäftigte oder Ähnliches als Ausgleich genutzt werden.
Nur wenn keine vom Arbeitgeber beeinflussbaren Möglichkeiten bestehen, soll eine Kündigung gerechtfertigt sein, sofern das Interesse des Arbeitgebers im Rahmen der Interessenabwägung überwiegt.
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c)
Interessenabwägung
Oft wird das Arbeitgeberinteresse nur dann überwiegen können, wenn keine zumutbaren Möglichkeiten
bestehen, den leistungsgeminderten Arbeitnehmer anderweitig sinnvoll im Unternehmen zu beschäftigen.
Zu beachten sind Möglichkeiten (insb. bei älteren Arbeitnehmern) der:
V.
»
Änderung des Arbeitsablaufes,
»
Umgestaltung des Arbeitsplatzes,
»
Umverteilung der Aufgaben, usw.
Fazit
Die krankheitsbedingte Kündigung ist ein komplexes aber auch extrem praxisrelevantes Themengebiet,
welches oftmals nicht ohne Komplikationen gemeistert werden wird. Dennoch sollte dieses Skript die wichtigsten Stolpersteine aufgezeigt und einen kurzen Überblick für die verschieden gelagerten Interessen von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern vermittelt haben.
Die Beurteilung des Einzelfalles, z.B. ob eine krankheitsbedingte Kündigung möglich ist oder ob eine solche gerechtfertigt ist, wird oft schwierig sein. Eine gute Beratung ist somit essentiell.
Dieter Merz
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Wichtiger Hinweis:
Der Inhalt ist nach besten Wissen und Kenntnisstand erstellt worden. Die Komplexität und der ständige
Wandel der in ihm behandelten Materie machen es jedoch erforderlich, Haftung und Gewähr auszuschließen.
Dieter Merz
Rechtsanwalt
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