Didaktischer Wert und gesellschaftlicher Nutzen von Motion

Transcrição

Didaktischer Wert und gesellschaftlicher Nutzen von Motion
Didaktischer Wert und gesellschaftlicher
Nutzen von Motion Graphics im
Informationszeitalter
Stephan P. Müller
DIPLOMARBEIT
eingereicht am
Fachhochschul-Masterstudiengang
Digitale Medien
in Hagenberg
im Jänner 2011
© Copyright 2011 Stephan P. Müller
Alle Rechte vorbehalten
ii
Erklärung
Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen
und Hilfsmittel nicht benutzt und die aus anderen Quellen entnommenen
Stellen als solche gekennzeichnet habe.
Hagenberg, am 24. Januar 2011
Stephan P. Müller
iii
Inhaltsverzeichnis
Erklärung
iii
Kurzfassung
vii
Abstract
viii
1 Einleitung
1.1 Einteilung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.2 Geschichte der Kommunikationskultur . . . . . . . . . . . . .
2 Von
2.1
2.2
2.3
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3 Das Bild als Informationsträger
3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Theorien zu Bild und Text . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.1 Bild-Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.2.2 Bild-Text-Theorien . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Klassifizierung von Bildzeichen . . . . . . . . . . . . .
3.3.1 Klassifizierung anhand der Darstellungsart . . .
3.3.2 Klassifizierung anhand der Funktion . . . . . .
3.4 Der Wiener Kreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.1 Vorgeschichte: Das Bildmedium im Aufschwung
3.4.2 Entstehung und Leitmotive . . . . . . . . . . .
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29
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2.4
der Schrift zum Bild
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Entstehung der Schrift . . . . . . . . . . .
Visuelle Zeitenwende . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Sichtbarmachung des Unsichtbaren
2.3.2 Bilderflut . . . . . . . . . . . . . .
2.3.3 Sprachkritik und Sprachkrise . . .
2.3.4 Die Sprache der Zeichen . . . . . .
Semiotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.4.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . .
2.4.2 Das Zeichen . . . . . . . . . . . . .
2.4.3 Teilgebiete . . . . . . . . . . . . . .
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2
3
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72
5 Fragestellung und Analyse
5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Hypothese 1: Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . .
5.2.1 Erklärung der Fragestellung . . . . . . . . . .
5.2.2 Von Komplexität zu Klarheit . . . . . . . . .
5.2.3 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2.4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 Hypothese 2: Überlegenheit . . . . . . . . . . . . . .
5.3.1 Erklärung der Fragestellung . . . . . . . . . .
5.3.2 Vergleich mit statischen Grafiken . . . . . . .
5.3.3 Kognitive Verarbeitung multimedialer Inhalte
5.3.4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4 Hypothese 3: Redundanz . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.1 Erklärung der Fragestellung . . . . . . . . . .
5.4.2 Chart Junk vs. Minimalismus . . . . . . . . .
5.4.3 Studie zur Thematik . . . . . . . . . . . . . .
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3.5
3.6
3.4.3 Neuraths Bildersprache . . . . . . . . .
3.4.4 ISOTYPE / Piktogramme . . . . . . . .
Informationsdesign . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5.2 Anwendungsgebiete und Klassifizierung
3.5.3 Lernstile . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5.4 Gestaltungsprinzipien . . . . . . . . . .
3.5.5 Beispiel: Disk Space . . . . . . . . . . .
Instrumentalisierung von Bildern . . . . . . . .
3.6.1 Erschaffung neuer Weltbilder . . . . . .
3.6.2 Manipulation von Fotografien . . . . . .
4 Motion Graphics
4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.1 Begriffsbestimmung . . . . . .
4.1.2 Abgrenzungen . . . . . . . . . .
4.2 Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.1 Frühe optische Erfindungen . .
4.2.2 Die ersten Animationen . . . .
4.2.3 Experimentelle Animation . . .
4.2.4 Filmtiteldesign . . . . . . . . .
4.2.5 Einfluss des Computers . . . .
4.3 Motion Graphics als Wissensvermittler
4.3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . .
4.3.2 Charles und Ray Eames . . . .
4.3.3 Eingrenzung der Thematik . .
4.3.4 Beispiele . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
5.4.4
5.4.5
vi
Dekorative Elemente im Bewegtbild . . . . . . . . . . 100
Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
6 Schlusswort
102
A Inhalt der CD-ROM
104
A.1 PDF-Dateien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
A.2 Videodateien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Literaturverzeichnis
105
Kurzfassung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einer speziellen Kategorie der Animation, in
der abstrakte Sachverhalte, Anschauungen und Informationen veranschaulicht werden, die in der Realität nicht unmittelbar beobachtbar sind und daher nicht mit filmischen Mitteln behandelt werden können. Man bezeichnet
solche Animationen aufgrund ihres narrativen Charakters als Visual Essays;
sie stellen einen kommunikative Öffnung dar, mit deren Hilfe es möglich ist,
einer breiten Masse Wissen zu vermitteln. Hierbei bedient man sich bewährter Methoden wie etwa der reduzierten Darstellung bestimmter Entitäten
durch Piktogramme, um eventuelle kulturelle bzw. sprachliche Differenzen
zwischen Erschaffern und Rezipienten von vornherein zu überwinden und
somit eine eindeutige Kommunikation zu ermöglichen.
Gegenstand der Untersuchung ist die Transformation von Informationen
in (Bewegt-)Bilder und deren Wirkung beim Betrachter. Jede konzeptionelle und gestalterische Entscheidung hat letztlich auch Auswirkungen auf das
mentale Modell, das im Kopf des Rezipienten über den behandelten Sachverhalt erstellt wird, das Treffen solcher Entscheidungen ermöglicht also eine
(idealerweise bewusste) Beeinflussung der Denkweise der Zielgruppe.
Ein weiteres Hauptaugenmerk liegt auf dem Vergleich zwischen statischen
und dynamischen Darstellungen von Informationen. So resultiert etwa das
Vorhandensein einer temporalen Dimension im Bewegtbild in der Notwendigkeit eines chronologischen Ablaufs der Informationsdarstellung, allein diese
Schaffung eines erzählerischen Charakters resultiert in einer hohen Emotionalität, die das bewegten Bild wesentlich vom statischen unterscheidet.
Andererseits sind viele Konzepte der Informationsaufbereitung in Form von
Animationen deckungsgleich mit denen, die sich für die statische Darstellung
im Laufe der Geschichte bewähren konnten.
Im Zuge dieser Arbeit sollen also sowohl Theorien zum Einsatz von Bildern und Motion Graphics zu didaktischen Zwecken, als auch deren Rolle in
der heutigen Informationsgesellschaft aufgezeigt werden.
vii
Abstract
This thesis deals with a specific category in animation, which visualizes abstract facts, views and all other kinds of information that can’t be observed
in reality and are therefore unable to be recorded on film. As a result of
their narrative qualities, they are also known as Visual Essays, which can
be considered as tools to communicate knowledge to a broad audience. In
order to accomplish this, established methods like the visual representation
of certain roles by pictograms are utilized to overcome cultural and linguistic
differences between creator and observer.
Subject of this study is the process of transforming information to (moving) images and their effects on the viewer. Every conceptual and artistic decision has repercussions on the mental image that is subsequently constructed
in the observer’s mind when watching the visualization, which means that
the audience’s way of thinking can be affected delibarately by knowingly
making those decisions.
Another important topic is the comparison between static and dynamic
ways of visualizing information. For example, the presence of a temporal
dimension in moving images leads to the necessity of chronologically organizing information in a narrative way, which results in a higher amount of
emotionality when compared to static ways of visualizing data. On the other
hand, many concepts of dynamically visualizing information are similar to
those that are well-tried in the process of creating static images.
Consequently, this thesis points out theories and ways of the didactic
usage of pictures and motion graphics, as well as and their role in a modern
information society.
viii
Kapitel 1
Einleitung
Als Menschen bewegen wir uns mit all unseren Sinnen in einer vierdimensionalen Welt von Raum und Zeit. Die Art und Weise, wie wir diese Welt
wahrnehmen, steuert unser Leben und definiert gleichermaßen unsere Realität. Da diese Realität aber flüchtig ist, wurden im Lauf der Geschichte niederdimensionale Techniken entwickelt, um das Erlebte in Form von Bildern zu
bewahren. Meist wird im Zuge dessen eine komplexe Wirklichkeit durch ein
gewisses Maß an Strukturierung vereinfacht, um eine Abbildung bestimmter Gegebenheiten überhaupt erst zu ermöglichen. Tatsache ist, dass jegliche
Form dieser Bewahrung einer Wirklichkeit eine Erweiterung von Kommunikationsmöglichkeiten darstellt, da man eine individuell wahrgenommene
Realität so auch anderen bzw. nicht unmittelbar daran beteiligten Personen
zugänglich macht.
Natürlich stehen seit jeher auch andere Möglichkeiten als Bilder zur Verfügung, um Informationen zu speichern – die Sprache in Schriftform ist von
diesen mit Sicherheit die Bedeutendste. Die Bewahrung von Information
in Form von Sprache stößt aber beim Aspekt der Kommunikation schnell
an Grenzen, da sie einerseits maßgeblich vom Vorwissen bzw. der Bildung
des Adressaten abhängig ist, und andererseits relativ viel Zeit in Anspruch
nimmt. Neben (und mit) der alphabetischen Schrift und der verbalen Artikulation bestehen deshalb Zeichen- und Symbolsysteme, die für die Kommunikation unabdingbar geworden sind. Die bildlichen Darstellung zeichnet
also eine wesentliche kommunikative Bedeutung aus, da mit ihrer Hilfe sowohl zeitliche, als auch sprachliche und zivilisatorische Grenzen überwunden
werden können. Die Ästhetik des Konkreten spricht die menschlichen Sinne
außerdem viel direkter an als abstrakte Formulierungen in Schriftform, die
erst eimal interpretiert werden müssen. Weiters können Bilder Inhalte, die
sich an unterschiedlichste Kognitionsrichtungen ausrichten, ausdrücken. Der
technische Fortschritt war und ist maßgeblich am „Erfolg“ von Bildern und
der damit verbundenen Veränderung der Wahrnehmung und Sehgewohnheiten beteiligt.
1
1. Einleitung
2
Diese Arbeit beschäftigt sich letztlich mit dem Zusammenhang zwischen
Beobachter und Wirklichkeit – genauer formuliert um die gedankliche Vorstellung des Beobachters von der Wirklichkeit, die gezwungenermaßen durch
den Konsum verschiedenster Medien kreiert wird. Eine wichtige Rolle hierbei
spielen Wahrnehmungsveränderungen und Paradigmenwechsel, die im Laufe
der Geschichte durch technische Innovationen und dem daraus resultierenden gesellschaftlichen Wandel hervorgerufen wurden – besonders behandelt
wird der Wechsel von der Schrift auf das Bild als Leitmedium, der sich in den
letzten Jahrhunderten vollzogen hat. Es gilt, die Resultate dieser Entwicklung zu untersuchen und Analogien zu heutigen Entwicklungen aufzuzeigen,
da sich durch neue technische Möglichkeiten das Bewegtbild immer mehr als
Möglichkeit der Veranschaulichung von Sachverhalten etabliert.
1.1
Einteilung der Arbeit
Als Abschluss dieses Kapitels erfolgt eine kurze Beschreibung der technischen
Entwicklungen, die im Lauf der Geschichte für tiefgehende Veränderungen
der Medienlandschaft sorgten.
Kapitel 2 ab Seite 5 widmet sich der Entwicklung der Schrift zur Bewahrung beobachteter Vorgänge sowie dem Aufkommen des Bildes und der
Vorgeschichte seiner mittlerweile gefestigten Rolle als Leitmedium unserer
Kultur. Weiters werden in Abschnitt 2.4 ab Seite 12 bildhafte Zeichen aus
der Perspektive der Semiotik betrachtet, was besonders im Hinblick auf die
Thematik der Piktogramme von Bedeutung ist.
In Kapitel 3 ab Seite 22 wird die Etablierung des Bildmediums in der
Gesellschaft behandelt. Anfangs werden einige Theorien zu Bild und Text –
sowohl separat, als auch in Kombination – vorgestellt (siehe Abschnitt 3.2
ab Seite 22), weiters werden einige Möglichkeiten zur Klassifizierung von
Bildzeichen vorgestellt (siehe Abschnitt 3.3 ab Seite 3.3). Anschließend wird
der Wiener Kreis und dessen Auswirkungen auf die Praxis der bildlichen
Informationsvermittlung untersucht (siehe Abschnitt 3.4 ab Seite 29), bevor
dann spezifisch die Thematik des Informationsdesigns behandelt wird (siehe Abschnitt 3.5 ab Seite 34). Es wird hierbei speziell auf die Wirkung von
Bildern bei Betrachtern eingegangen, im Anschluss wird auch deren Instrumentalisierung – also das bewusste Verändern von Bildern mit dem Ziel der
suggestiven Beeinflussung – behandelt (siehe Abschnitt 3.6 ab Seite 44).
Kapitel 4 ab Seite 51 wird die Thematik der Motion Graphics behandelt. Zuerst wird versucht, eine Definition bzw. eine Abgrenzung von Motion
Graphics zu anderen Bereichen der (bewegten) Bilder vorzunehmen (siehe
Abschnitt 4.1 ab Seite 51), danach wird die Geschichte der Animation – mit
dem Fokus auf für diese Arbeit relevante Entwicklungen – untersucht (siehe
Abschnitt 4.2 ab Seite 53). Im letzten Teil ab Seite 68 wird dann konkret
auf die Kategorie der Motion Graphics als Wissensvermittler eingegangen,
1. Einleitung
3
hierbei wird sowohl versucht, relevante Vorreiter auf dem Gebiet und deren
Philosophie zu erklären (siehe Abschnitt 4.3.2 ab Seite 68), als auch mit einigen Beispielen einen aktueller Praxisbezug zur Thematik herzustellen (siehe
Abschnitt 4.3.4 ab Seite 72).
Das letzte Kapitel (ab Seite 81) behandelt drei vom Verfasser dieser
Arbeit aufgestellte Hypothesen im Hinblick auf die Thematik von Motion
Graphics als Wissensvermittler. Diese Hypothesen befassen sich mit der gesellschaftlichen Notwendigkeit und Rolle dieser Art von Animation (siehe
Abschnitt 5.2 auf Seite 81), mit den Unterschieden zwischen statischer und
dynamischer Informationsdarstellung (siehe Abschnitt 5.3 auf Seite 91) und
letztlich mit der Sinnhaftigkeit des Einsatzes von dekorativen (bzw. redundanten) Elementen in Informationsvisualisierungen (siehe Abschnitt 5.4 auf
Seite 96).
1.2
Geschichte der Kommunikationskultur
Betrachtet man die Geschichte der Medien anhand von relevanten technologischen Errungenschaften, kann diese grob in 3 Phasen eingeteilt werden
(vgl. [43, S. 2-5]):
Die erste Phase begann mit der Erfindung des modernen Buchdrucks
in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Johannes Gutenberg erfand die Druckerpresse – das erste maschinenbetriebene Drucksystem mit beweglichen, wiederverwendbaren metallischen Lettern. Es bewirkte eine Mechanisierung der
Schriftproduktion und ermöglichte damit eine enorme Beschleunigung der
Verfielfältigung von Schriftstücken. Es entstanden die ersten professionellen
Medienproduzenten wie etwa Drucker oder Verleger, neue Wege der Distribution ermöglichten Autoren und Journalisten, ihre Werke einem breiteren
Publikum zugänglich zu machen. Mit der Erfindung der Druckerpresse wurde sozusagen der Grundstein für die Entfaltung der heutigen Wissensgesellschaft gelegt.
Die Technologie der Schnell - und Rotationspresse (1811 bzw. 1848) in
Kombination mit der Linotype (1883), einer automatischen Zeilensetzmaschine, läutete Mitte des 19. Jahrhunderts die zweite Phase, die Phase der
Massenmedien, ein. Die Fotografie (Ende 1830er) ermöglichte eine Reproduktion der Realität in Form von Bildern, welche sich kurze Zeit später erstmals
auch in Massen drucken ließen. Außerdem revolutionierte die Telegrafie (Mitte 19. Jhdt.) die Nachrichtenübermittlung, indem sie durch eine wesentliche
Beschleunigung der Informationsübertragung ein weitaus höheres Maß an
Aktualität in der Berichterstattung gewährte. Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich das Bewegtbild in Form des (Kino-)Films (Ende 19. Jhdt.) schnell
als Massenmedium, eine spezielle Industrie in Form großer Medienkonzere
versuchte sowohl in diesem als auch im Pressebereich Herr der Märkte zu
werden. Der Hörfunk (Mitte 1920er) als das erste elektromagnetische Pro-
1. Einleitung
4
grammmedium erlaubte erstmals die drahtlose Kommunikation, Geräusche
ließen sich zudem bereits elektrisch über Leitungen transportieren (Telefon,
1870er). Generell wurde ab der diesem Zeitpunkt der Privatkonsum immer
wichtiger: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich durch die Technologie der Tonaufzeichnung auf Schallplatte (Beginn 20. Jhdt.) der erste
Markt für Populärmusik, außerdem ermöglichten die ersten in Massenserien
produzierten Foto- und Filmkameras (Pocked Kodak Camera, 1895; KodakBoxkamera, 1899; 8-mm-Filmkamera, 1926), Tonbandgeräte (ca. 1935) und
Kassettenrecorder (ca. 1963) sowohl eine persönliche Gestaltung als auch
eine Speicherung und Verbreitung von Medien.
Ebenfalls noch in die zweite Phase einzuordnen ist das Fernsehen, das
seit den frühen 1950er-Jahren Einzug in mehr und mehr Haushalte erlangt
hat. Die in den 1980er-Jahren aufkommende Technologie des Kabel - und
Satellitenempfangs internationalisierte das bis dahin durch den Einsatz von
terrestrischen Frequenzen in seiner Reichweite begrenzte Medium rasant. Natürlich entwickelten sich auch in dieser Sparte bald zusätzliche Geräte und
Technologien für den privaten Gebrauch, wie etwa Videokassetten bzw. Videorecorder oder Videokameras.
Um 1940 begann die dritte Phase der Mediengeschichte: das Zeitalter der Computer. Auf die ersten Universalrechner bzw. Relaiscomputer
(1936/37) folgte ENIAC (1945), der erste Röhrencomputer; wenig später
entstanden integrierte Schaltkreise in Halbleitertechnik (Mitte 1950er) und
Mikroprozessoren (Ende 1960er). In Kombination mit dem Aufkommen der
ersten leistungsfähigen Leitungsnetze wie z.B. ISDN stellte der Personal
Computer (1975: Microsoft, 1976: Apple) auch Privatpersonen erstmals Daten aus aller Welt zur Verfügung.
Der technologische Fortschritt sorgte für eine Wende in der Medienlandschaft, die man ruhigen Gewissens als Revolution bezeichnen kann: Die einst
analog codierten Informationen wurden nach und nach einer Digitalisierung
unterzogen – der Kassettenrecorder wich dem DAT-Recorder, die Videokassette wurde von der DVD ersetzt. Diese Virtualisierung ermöglicht eine
exakte Reproduktion von digitalen Inhalten, in Kombination mit der zunehmenden und immer schneller funktionierenden Vernetzung durch das Internet ergeben sich noch nie gesehene Möglichkeiten zur Verbreitung von
Informationen aller Art.
Kapitel 2
Von der Schrift zum Bild
2.1
Einleitung
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Übergang von einer schrift- zur einer
bildorientierten Kultur, der in den letzten Jahrhunderten vonstatten ging.
Diese Entwicklung und die damit verbundenen Konsequenzen sind für die
Arbeit aus dem Grund von großer Bedeutung, da sich mit dem Aufkommen
des Bildes als Leitmedium auch die Sichtweise der Menschen auf ihre Umwelt grundlegend veränderte. Die kritische Auseinandersetzung mit Sprache
und deren Fähigkeiten als Kommunikationsmedium spielt dabei eine entscheidende Rolle, genau wie die Erfindung von technischen Gerätschaften,
die erstmals eine Sichtbarmachung von dem menschlichen Auge bis dahin
verborgenen naturwissenschaftlichen Vorgängen ermöglichte.
In letzten Teil dieses Kapitels wird die Semiotik 1 , also die Lehre von
den Zeichen, behandelt. Die Theorien und verschiedenen Kriterien, nach denen bildliche Zeichen kategorisiert werden können, spielen in dieser Arbeit
besonders im Zusammenhang mit Piktogrammen 2 eine große Rolle.
2.2
Entstehung der Schrift
Kommunikation ist der Grundstein aller menschlichen Erkenntnis, da letztere erst entstehen kann, wenn einzelne beobachtete Fakten neu formiert
und vereinigt (bzw. eben „kommuniziert“) werden. Solche Erkenntnisse sind
aber flüchtig, das bedeutet dass sie – in welcher Form auch immer – gespeichert werden müssen, um sie letztlich für die Nachwelt zu bewahren. Anfangs
war das menschliche Gehirn das einzige verfügbare Speichermedium, wirklich relevant wurden die Ergebnisse der Denkarbeit erst, als vor etwa 100.000
Jahren das Medium der Sprache aufkam: Sie erlaubte, komplexe Sachverhalte auszudrücken, und erschaffte eine Ordnung in welcher gleichsam die
1
2
Siehe Abschnitt 2.4 ab Seite 12.
Siehe Abschnitt 3.4.4 ab Seite 32.
5
2. Von der Schrift zum Bild
6
Verarbeitung von Gedanken und das Weiterführen dieser möglich war.
Die Schrift machte das gesprochene Wort erstmals sichtbar, und ermöglichte somit auch die Aufbewahrung des bis dahin rein verbal überlieferten
Gedankenguts. Der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes wurde Einhalt geboten, da durch die Speicherung des Wissens räumliche und zeitliche Grenzen überwunden und auch eine Trennung von Gedankengut und Sprecher
erreicht werden konnte. Diese Form der Sichtbarmachung von bis dahin ausschließlich akustisch wahrnehmbaren Inhalten war eine wesentliche Prämisse
für die Geburt der Wissenschaft.
Es dauerte aber einige Zeit, bis sich die alphabetische Schrift, wie wir sie
heute kennen, etablierte. Anfang bestand sie aus Piktogrammen, also bildhaften Darstellungen von Dingen selbst. Da diese aber zum Ausdruck von
Eigennamen oder abstrakten Gedanken ungeeignet waren, entwickelten sich
eine Art Lautschrift (auch bekannt als Phoenikisch), welche das Dargestellte
anhand von phonetischen Bestandteilen3 anstatt von äußerlichen Eigenschaften oder Sinnbildern zeigten. Mit der Keilschrift wurde ca. 1400 v. Chr. das
erste wirkliche Alphabet erfunden, in welchem ein Zeichen für einen einzigen
Vokal oder Konsonanten steht. Somit konnte das gesprochene Wort direkt
— also ohne eine Übersetzung in bildhafte Darstellungen oder phonetische
Bausteine — in Schriftform gebracht werden.
2.3
Visuelle Zeitenwende
Der Begriff der visuellen Zeitenwende beschreibt einen gesellschaftlichen Wandel, ausgelöst durch die rasant zunehmende Präsenz visueller Medien und einer daraus resultierenden Veränderung der Wahrnehmungsgewohnheiten der
Menschen.
Wie im vorangehenden Abschnitt erwähnt, beruhen die Anfänge der
Wissenschaften und die Gründung diverser Wissenschaftsdisziplinen auf der
Schrift. Genau genommen repräsentiert diese das gesprochene Wort in Form
der Aneinanderreihung von grafischer Zeichen. Trotz dem Vorhandensein eines solchen Schriftbilds wählte man im Zeitalter der Aufklärung den Weg
der Negativität, also einer möglichst darstellungsfreien Argumentation.
Die Bewahrung und Mehrung des über Jahrhunderte entstandenen gesamtgesellschaftlichen Wissensvorrats erfolgte beinahe ausschließlich durch die
alphabetische Schrift, sie bildete quasi den Grundbaustein der menschlichen
Existenz. Bilder galten als verpöhnt und wurden lediglich als erbauliche Belehrung für Ungebildete gesehen, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig
waren.
3
Für mehrere gleich klingende Worte wurde ein einziges Zeichen definiert, das unabhängig von der Bedeutung des Wortes eingesetzt werden konnte. Der Sinn offenbarte sich
erst im Zusammenhang.
2. Von der Schrift zum Bild
7
Die Sprache wurde also als einziges und ultimatives Medium der Erkenntnis angesehen. Die Vertreter des so genannten Linguistic Turn4 –
besonders Philosophen wie etwa Ludwig Wittgenstein oder Immanuel Kant
– waren der festen Überzeugung, dass Bedeutung und Erkenntnis sich allein in der Sprache vollziehe bzw. ausschließlich auf diese zurückzuführen
sei. Laut ihrer Ansicht konkretisiert die bildhafte Darstellung eine Idee so
stark, dass eine Manipulation kaum verhindert werden kann. Logik bzw. logisches Denken wurden also strikt an sprachliche Gesetzmäßigkeiten gebunden
– kurz gesagt bezweifelte man lange die Fähigkeit des Menschen, überhaupt
in Bildern denken zu können.
Nun ist es aber so, dass Bilder dennoch als bewährte Methode, um Weltanschauungen der Menschen zu erhalten, betrachtet werden können. Sie existieren, seitdem sich der Mensch bewusst mit seiner Umgebung auseinandersetzte – man denke nur an die ersten Höhlenmalereien, die vor etwa 20.000
Jahren angefertigt wurden. Es änderte sich also lediglich das Wesen der
Erzeugung von Bildern – und das besonders im Bezug auf deren Massenwirksamkeit.
Wie bereits in Abschnitt 1.2 ab Seite 3 erwähnt wurde, begründete sich
der Übergang von einer schriftorientierten Kultur zu einer Kultur der Bildpräsenz einerseits durch eine Reihe technischer Errungenschaften5 , welche einen Paradigmenwechsel in den Wissenschaften veranlassten und die
Wahrnehmung der Menschen grundsätzlich veränderte, andererseits auch der
Infragestellung von Sprache in ihrer Rolle als ultimative Ausdrucksform aller
Erkenntnis durch Sprachkritik bzw. Sprachkrise6 .
2.3.1
Sichtbarmachung des Unsichtbaren
In der frühen Neuzeit war die Sichtbarmachung des Unsichtbaren eine wesentliche Thematik für Wissenschafter aller Welt. Durch Instrumente wie dem
Mikroskop und dem Fernrohr konnten Welten erschlossen werden, die für das
menschliche Auge bisher nicht unmittelbar sichtbar (bzw. hyperrealistisch)
waren. Die Erschließung von Mikro- und Makrokosmos nahm wesentlichen
Einfluss auf die Theoriebildung in verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen.
Fernrohr
Im Jahre 1609 baute Galileo Galilei das erste leistungsfähige Fernrohr7 und
nutzte es zur Beobachtung des Himmels, welche bis dahin mit dem bloßen
Auge (und dementsprechend ungenau) geschah. So konnten erstmals genauere Angaben über die Himmelskörper bzw. der Struktur des Makrokosmos
4
Vgl. Abschnitt 2.3.2 auf Seite 10.
Siehe Abschnitte 2.3.1 und 2.3.2 ab Seite 7
6
Siehe Abschnitt 2.3.3 ab Seite 2.3.3
7
Das Fernrohr wurde 1698 vom Holländer Hans Lipperhey erfunden, Galilei hat es
lediglich weiterentwickelt.
5
2. Von der Schrift zum Bild
8
gemacht werden, wie etwa dass es sich bei der Milchstraße um keine nebelige
Struktur, sondern eine Vielzahl einzelner Sterne handelt. Eine bedeutende
Erkenntnis, die zum erwähnten Paradigmenwechsel in den Wissenschaften
beitrug, ist das Kopernikanische (bzw. heliozentrische) Weltbild (siehe Abbildung 2.2), welches das geozentrische Weltbild (siehe Abbildung 2.1) ablöste
und im Gegensatz zu diesem besagt, dass nicht die Erde, sondern die Sonne
der Zentralkörper unseres Planetensystems ist.
Abbildung 2.1: Schema des
geozentrischen Weltbildes
Abbildung 2.2: Schema des
heliozentrischen Weltbildes
Mikroskop
1625 gelang Francesco Stelluti und Frederico Stesi erstmals die Untersuchung
des Mikrokosmos am Beispiel der äußeren Eigenschaften von Honigbienen
in einer bis dahin nicht gekannten Exaktheit mit Hilfe eines Mikroskops. Die
Möglichkeit, kleinste Objekte zu vergrößern, sorgte neben der Überprüfung,
Bestätiung und Widerlegung alter Theorien für eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse — wie etwa dem Kapillarsystem von Venen und Arterien und
in Folge der Theorie des Blutkreislaufs. Weiters wurde die Präformationstheorie, welche besagt dass der gesamte Organismus im Spermium bzw. im
Ei (je nach Auffassung der Vertreter) vorgebildet ist (siehe Abbildung 2.3)
und sich im Lauf seiner Entwicklung nur noch entfalten und wachsen müsse,
zwar anfangs durch mikroskopische Untersuchungen unterstützt, anfang des
19. Jahrhunderts aber verworfen.
Röntgenstrahlen
Im Jahre 1895 gelang es dem deutschen Physiker Wilhelm Conrad Röntgen, das Innere lichtundurchlässiger Körper sichtbar zu machen. Er bemerkte, dass die von ihm benutzte Kathodenstrahlung beim Auftreffen auf feste
Körper (wie etwa Metalle) elektromagnetische Wellen erzeugte. Außerdem
stellte sich heraus, dass die Röntgenstrahlen auch fotochemische Wirksamkeit aufweisen: So sorgte etwa eine Hand zwischen der Ionenröhre und einer
2. Von der Schrift zum Bild
9
Abbildung 2.3: Homunculus – Darstellung des gesamten menschlichen Embroys in einem Spermienkopf.
fotografischen Schicht dafür, dass letztere unterschiedlich geschwärzt wurde
– je nachdem, wie sehr die durchdrungenen Materialien die Röntgenstrahlen
abschwächten (siehe Abbildung 2.4).
Abbildung 2.4: Frühe Röntgenaufnahme von Bertha Röntgens Hand, die
diese hierfür 25 Minuten lang in die Röntgenstrahlung hielt.
Bohrsches Atommodell
Das im Jahre 1913 von Niels Bohr entwickelte Bohrsche Atommodell lässt
sich wie das Mikroskop in die Kategorie der Ergründung des Mikrokosmos
eingliedern. Es basiert auf dem 2 Jahre zuvor aufgestellten Atommodell nach
Ernest Rutherford (Rutherford-Modell ), welches besagt, dass jedes Atom aus
einem Kern (bestehend aus positiv geladenen Protonen und ungeladenen
Neutronen) und um diesen kreisende negativ geladenen Elektronen besteht.
Im Grundzustand jedes Atoms entspricht die Anzahl der Elektronen der Anzahl der Protonen. Bohr erkannte weiters, dass die Elektronen nur bestimmte Abstände vom Kern einnehmen können, welche im Falle eines Wechsels
nicht kontinuierlich, sondern sprunghaft verändert werden. Diese Abstände
spiegeln die Energieniveaus der Elektronen wieder, dabei gilt: Je kleiner der
Abstand eines Elektrons zum Kern, desto geringer ist das Energieniveau des
Elektrons. Ein Beispiel befindet sich in Abbildung 2.5.
2. Von der Schrift zum Bild
10
Das Bohrsche Atommodell gilt als überholt und wurde mehrfach weiterentwickelt, es soll im Kontext dieser Arbeit lediglich als Beispiel dafür dienen,
wie eine eigentlich fiktive Abbildung (es handelt sich lediglich um ein stark
vereinfachtes Modell) einen Wirklichkeitswert transportieren kann.
Abbildung 2.5: Bohrsches Atommodell anhand des Beispiels Natrium (Na):
Natrium hat die Ordnungszahl 11 im Periodensystem, es weist also 11 Elektronen auf. Diese sind auf den Kreisbahnen bzw. Schalen von innen nach
außen angeordnet – dabei ist zu beachten, dass keine der Schalen mehr als
die maximal zulässige Anzahl von Elektronen aufweist.
2.3.2
Bilderflut
Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wird auch als Pictoral Turn8
bzw. Beginn des sogenannten optischen Zeitalters bezeichnet. In dieser
Zeit war nicht nur ein Umdenken in Wissenschaft und Technik zu verzeichnen, auch die philosophische Meinungsbildung wurde maßgeblich beeinflusst.
Einerseits durch die in Abschnitt 2.3.1 ab Seite 7 erwähnten Technologien
zur Sichbarmachung dessen, was dem menschlichen Auge bis dahin verborgen blieb; andererseits durch die rasante Entwicklung anderer Technologien –
besonders den Verbesserungen hinsichtlich der Nachrichtenübermittlung und
der Verkehrsmittel – wurden die Verhältnisse von Raum und Zeit grundlegend verändert. Distanzen verloren an Bedeutung, die Fotografie mit ihrer
klaren Abbildung der Wirklichkeit löste die bis dahin üblichen Illustrationen
in der Massenpresse ab, die ersten (Werbe-)Plakate veränderten die Fassaden der Großstädte. Es galt, das Verhältnis von Bild und Begriff in Frage zu
stellen.
8
Vgl. Abschnitt 2.3 auf Seite 6.
2. Von der Schrift zum Bild
2.3.3
11
Sprachkritik und Sprachkrise
Sprachkritik
Als „Sprachkritik“ bezeichnet man die Auseinandersetzung mit dem Sprachgebrauch einer Zeit und die Erforschung des Zusammenhängen von Sprache
und Denken.
Es liegt auf der Hand, dass eine schriftorientierte Kultur sich dadurch
auszeichnet, dass chaotische Mengen an Wissen, welche der Beobachtung
bzw. Wahrnehmung entstammen, durch die Sprache in eine geordnete Welt
geführt werden. Eine entscheidende Frage lautet nun, wie objektiv eine solche Transformation überhaupt sein kann, wenn man an die Regeln und Gesetzmäßigkeiten von Sprache gebunden ist. Da schriftliche Aufzeichnungen
per Definition mit einem gewissen Maß an Erzählstruktur versehen werden
müssen, lässt sich in Folge ein narrativer Charakter nicht vermeiden. Die
Geschichtsschreibung ist ein gutes Beispiel hierfür: Zweifelsohne wird der Interpret von geschichtlichen Aufzeichnungen in Schriftform von der Art und
Weise, wie die beobachteten Sachverhalte strukturiert wurden, beeinflusst.
Sprachkrise
Als „Sprachkrise“ bezeichnet man eine Steigerung (bzw. Folgeerscheinung)
der Sprachkritik, im Zuge derer Zweifel geäußert werden, ob die Wirklichkeit
mit sprachlichen Mitteln überhaupt objektiv darstellbar sei.
Die aus der Sprachkritik resultierende Problematik wurde um 1900 ein
wesentliches Thema, da die Sprache als ausschließliche Methode zur Bewahrung genauer wissenschaftlicher Erkenntnisse an ihre Grenzen zu gelangen
schien. Das Ausformulieren dieser Beobachtungen war schlicht und einfach
zu ungenau bzw. zu banal, um eine funktionierende Vermittlung der Erkenntnisse möglich zu machen. Diese Unzulänglichkeit wurden etwa in Hugo
von Hofmannsthals 1902 verfassten Brief des Lord Chandos 9 thematisiert.
Auch Friedrich Nietzsche stellt in dem Essay Über Wahrheit und Lüge 10 die
Frage, ob die Sprache wirklich den Anforderungen an eine Ausdrucksform
aller Realitäten gerecht werden kann.
Die Leute sind es nämlich müde, reden zu hören. Sie haben
einen tiefen Ekel vor den Worten: Denn die Worte haben sich
vor die Dinge gestellt. [..] Wir sind im Besitz eines entsetzlichen
Verfahrens, das Denken völlig unter den Begriffen zu ersticken.
(Hugo von Hoffmansthal, [79])
9
10
Siehe [79].
Siehe [60].
2. Von der Schrift zum Bild
2.3.4
12
Die Sprache der Zeichen
Wie bereits in Abschnitt 2.2 ab Seite 5 erläutert, bestanden die ersten Schriften aus Piktogrammen, also vereinfachten Darstellungen von Objekten oder
Sinnbildern, bevor sie letztlich vom griechischen Alphabet abgelöst wurden.
Nach dem Pictoral Turn der Jahrhundertwende übernahmen die Bilder jedoch (wieder) eine Leitfunktion, welche sich kurze Zeit später in einer Art
Sprache der Zeichen in Form von Piktogrammen bzw. Symbolen oder Signalen äußerte. Betrachtet man nun die Relationen dieser Sprache der Zeichen
zu seinen eigentlichen Bestandteilen, gelangt man zu folgenden Erkenntnissen:
1. Die Sprache wird repräsentiert von der Schrift, welche wiederum aus
grafischen Zeichen besteht.
2. Die Schrift selbst folgt einer Grammatik, die Lektüre und das Verstehen von Schriften ist mit zeitlichem Aufwand verbunden und maßgeblich von der Vorbildung des Lesers abhängig.
3. Bilder müssen per Definition gedeutet werden, verlangen also ein gewisses Maß an Interpretation. Je höher die Anzahl der Interpretationsmöglichkeiten bzw. je geringer der tatsächliche Gegenstandsbezug
ist, desto mehr kann man beim Betrachten des Bildes eher von einer
ungenauen Deutung als einem eindeutigen Verstehen sprechen.
4. Die Sprache der Zeichen hingegen folgt weder den Gesetzmäßigkeiten der Schrift, noch denen der Sprache. Sie muss weder umständlich
interpretiert, noch langwierig gelesen werden – und steht damit zwischen Bildern und der Schrift.
In der Schlussfolgerung bedeutet dies, dass Bilder ebenfalls Zeichensysteme bilden können und deshalb semiotisch interpretierbar sind.
2.4
2.4.1
Semiotik
Allgemeines
Jede Form von Kommunikation besteht aus Zeichen, seien diese nun sprachlich oder außersprachlich. Die Semiotik ist die Theorie von den Zeichen
und untersucht deren Wesen, Entstehung und Gebrauch. Sie ist deshalb genau genommen keine unabhängige Wissenschaftsdisziplin, sondern ein Teilgebiet diverser anderer Wissenschaften. Man kann von einer Metawissenschaft sprechen, da sie durch die Beschäftigung mit Zeichen und deren kommunikativer Bedeutung die Grundlage für andere Wissenschaften darstellt.
Man unterscheidet generell zwei verschiedenen Richtungen der Semiotik:
Hauptaugenmerk der linguistisch-strukturalistischen Semiologie liegt rein auf
2. Von der Schrift zum Bild
13
der Sprache, während sich die zeichentheoretische Semiotik um allgemeine
Themen der Benutzung von Zeichensystemen annimmt.
An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass der Fokus dieser Arbeit eher
auf zweitgenannter Disziplin liegt – und dabei im Speziellen auf den Einsatz
von Piktogrammen als Zeichen im semiotischen Sinn.
Der Grundgedanke der Semiotik
Ein Zeichen 11 – sei es nun in Form eines niedergeschriebenen Buchstabens,
eines Ausrufes, einer Geste oder eines Piktogramms – steht immer für etwas,
dieses etwas kann man als Objekt 12 bezeichnen.
Die Semiotik untersucht das Zusammenspiel zwischen diesen Grundkomponenten. Hierbei wird davon ausgegangen, dass ein solches Zeichen sich
nicht direkt auf ein konkretes Objekt bezieht, sondern auf der Seite des Rezipienten des Zeichens erst eine Vorstellung bzw. einen Begriff 13 hervorruft,
welcher dann mit dem eigentlichen Objekt assoziiert wird. Dieser Begriff kann
– laut Charles Sanders Peirce – wiederum als ein (äquivalentes oder weiterentwickeltes) Zeichen betrachtet werden. Das für die Deutung von Zeichen
notwendige Interpretationsgeschehen selbst wird Semiose genannt.
Laut dem semiotischen Modell stehen die Wörter also nicht in eindeutiger
Weise mit den Dingen selbst in Beziehung, vielmehr ist es unser Denkapparat
der fähig ist, den Zusammenhang über begriffliche Konzepte herzustellen.
Diese Abhängigkeiten werden in Abbildung 2.6 dargestellt.
2.4.2
Das Zeichen
In der Semiotik wird jede Form einer Nachricht, die für Menschen sinnlich
wahrnehmbar ist, Zeichen genannt. Diese können in 3 Kategorien eingeteilt
werden:
1. Auditive Zeichen sind hörbar, Beispiele hierfür sind etwa eine Feuerwehrsirene oder ein klingelndes Telefon.
2. Visuelle Zeichen sind sichtbar, Beispiele hierfür sind etwa eine Fotografie oder eine Geste.
3. Taktile Zeichen sind tastbar, Beispiele hierfür sind etwa Blindenschrift oder ein Elektrozaun.
11
auch bekannt als: Symbol (Oden-Richards), Representatum (Peirce), Ausdruck
(Hjelmslev), Bezeichnung, Name (Ullmann) oder zeichenhaftes Vehikel (Morris)
12
auch bekannt als: Ding (Ullmann), Gegenstand (Frege-Peirce), Denotatum (Morris),
Denotation (Russel), Signifikat (Frege) oder Extension (Carnap)
13
auch bekannt als: Interpretant (Peirce), Referenz (Odgen-Richards), Sinn (Frege), Intension (Carnap), Designatum (Morris), Significatum (Morris), Mentales Bild (Saussure,
Peirce), Inhalt (Hjelmslev) oder Bewusstseinszustand (Buyssens)
2. Von der Schrift zum Bild
14
Abbildung 2.6: Semiotisches Dreieck.
Ein Zeichen muss nicht jede Eigenschaft eines wirklichen Gegenstands
abbilden, der Bezug ergibt sich auch durch das Repräsentieren des Objekts
auf konstruierte Art und Weise. Es wird sozusagen wiedererkannt, auch wenn
es nirgendwo komplett identisch aufzufinden ist. Gleichermaßen muss ein repräsentiertes Objekt auch nicht tatsächlich existieren oder unmittelbar wahrnehmbar sein.
2.4.3
Teilgebiete
Die im Wesentlichen von Charles Sanders Peirce ab Anfang des 20. Jhdts.
entwickelte Wissenschaftsdisziplin der Semiotik beschäftigt sich mit den Zeichen selbst, mit ihrem Kontext und mit der Art wie sie in Systemen organisiert sind. Diese Interessensfelder werden von den folgenden Teilgebieten der
Semiotik abgedeckt:
1. Die Sigmatik beschreibt die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem (bzw. Objekt).
2. Die Semantik beschreibt die Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung (bzw. Begriff).
3. Die Syntaktik beschreibt das Zeichen selbst, bzw. dessen formale Mittel.
4. Die Pragmatik beschreibt die Absicht, mit der Zeichen verwendet
werden.
2. Von der Schrift zum Bild
15
Sigmatik
Die Sigmatik untersucht das Verhältnis zwischen den Zeichen und den von
ihnen repräsentierten Objekten. Dieses Verhältnis dient der Klassifizierung
des Zeichens selbst, es kann hierbei auf 3 verschiedenen Arten mit einem
Objekt in Beziehung stehen. Diese werden in den Abbildungen 2.7, 2.8 und
2.9 dargestellt.
1. Das Zeichen als Ikon weist ähnliche äußerere Merkmale wie das
bezeichnete Objekts auf. Durch die wiedererkennbare Analogie wird
so beim Rezipienten des Bildes das gleiche (oder zumindest ein sich
ähnelndes) Wahrnehmungsmodell ausgelöst wie beim Betrachten des
Objekts selbst. Ein Ikon ist also im Wesentlichen ein Abbild des Objekts, wie z.B. ein Foto.
2. Das Zeichen als Symbol hat keinerlei optische Ähnlichkeit mit dem
Bezeichneten selbst. Deshalb ist es Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Kommunikation, dass die Bedeutung des Zeichens für Sender
und für Empfänger die selbe ist. Im Gegensatz zum Ikon sind Symbole besonders für die Darstellung abstrakter Sachverhalte geeignet,
wie z.B. ein Verbot, das durch die Kombination der Farbe Rot mit der
Form eines durchgestrichenen Kreisringes signalisiert wird.
3. Das Zeichen als Index verwendet wiederum ein Ikon oder Symbol,
um auf das bezeichnete Objekt zu verweisen. Diese Relation kann sowohl räumlicher (z.B. das Piktogramm einer Glocke auf einem Schalter)
als auch zeitlicher Natur (z.B. die Zeiger einer Uhr) sein.
Abbildung
2.7:
Zeichen als Ikon.
Abbildung
2.8:
Zeichen als Symbol.
Abbildung
2.9:
Zeichen als Index.
Eine optische Ähnlichkeit zwischen Zeichen und Bezeichnetem erhöht
zweifelsfrei die Verständlichkeit, indem es diese unabhängig von kulturellen
oder sprachlichen Unterschieden macht. Es muss aber nicht zwingend formal
an das Objekt erinnern. Eine Bedeutung kann sich auch dadurch ergeben,
2. Von der Schrift zum Bild
16
dass sie bei Sender und Empfänger durch dasselbe Motiv ausgedrückt werden kann – sprich, dass das Zeichenrepertoire bei beiden zumindest teilweise
deckungsgleich ist. Verkehrsschilder sind ein gutes Beispiel für die Konventionsabhängigkeit von Zeichen in Form von Symbolen, da sie erst gelernt
werden müssen, um verstanden werden zu können. Ein Beispiel hierfür befindet sich in Abbildung 2.10.
Abbildung 2.10: Beispiel für ein ein Zeichen, das sowohl als Ikon (ikonisches
Piktogramm einer Kuh), Symbol (Dreieck mit rotem Rand, stellvertretend
für „Achtung“) als auch als Index (Schild ist an einer bestimmten Stelle positioniert) dient.
Ikonizität und Abstraktionsgrad
Wird ein Zeichen als Ikon eingesetzt, so gibt es zwei wichtige Eigenschaften
für dieses: Die Ikonizität und ihr Gegenstück, der Abstraktionsgrad. Es gelten
hierfür folgende Regeln:
• Die Ikonizität eines Zeichens steigt – bzw. der Abstraktionsgrad eines Zeichens sinkt – mit zunehmender Ähnlichkeit zum tatsächlichen
Objekt. Je eindeutiger und wiedererkennbarer ein Zeichen ist bzw. je
mehr sich Ikon und Objekt ähneln, desto höher ist demnach dessen
Ikonizität. Im Umkehrschluss bedeutet das:
• Die Ikonizität eines Zeichens sinkt – bzw. der Abstraktionsgrad eines
Zeichens steigt – mit zunehmender Anzahl von Interpretationsmöglichkeiten. Je mehr der Bezug des Zeichens zum Objekt von der Konvention
abhängig ist, desto geringer ist demnach dessen Ikonizität.
Man kann also behaupten: Je konkreter bzw. abbildender ein Zeichen also
ist, desto höher ist seine Ikonizität – sie ist ein wesentlicher Indikator für die
Verständlichkeit von Zeichen im Allgemeinen. Ein Beispiel ist in Abbildung
2.11 zu finden.
2. Von der Schrift zum Bild
17
Abbildung 2.11: Veranschaulichung der Begriffe Ikonizität und Abstraktionsgrad am Beispiel verschiedener Abbilder von Josef Stalin.
Vereinbartes Zeichenrepertoire
Der Abstraktionsgrad spielt natürlich nicht nur für Zeichen, die als Ikon
eingesetzt werden, eine Rolle. Wie erwähnt ist für den kommunikativ erfolgreichen Einsatz von symbolhaften Zeichen ein gewisses Maß an Übereinstimmung der Zeichenrepertoires von Ersteller und Betrachter notwendig.
Beispiele für verschiedene bildliche Zeichen und deren Einordnung bezüglich
Abstraktionsgrad und dem nötigen Umfang des deckungsgleichen Zeichenrepertoires befinden sich in Abbildung 2.12.
Abbildung 2.12: Einordnung verschiedener Bildzeichen anhand ihres Abstraktionsgrads und der zum eindeutigen Verständnis vorausgesetzten Größe
des vereinbarten Zeichenrepertoires.
2. Von der Schrift zum Bild
18
Semantik
Die Semantik untersucht die Relationen zwischen den Zeichen und deren
Bedeutung (bzw. den Begriff, den das Zeichen hervorruft) und ist deshalb
auch als die Theorie der Bedeutung von Zeichen bekannt. Das Deuten eines
Zeichens wird dabei auch von Wissen, Kultur, sozialen und gesellschaftlichen
Umständen beeinflusst – anders formuliert ist die eigentliche Bedeutung also
vom Kontext abhängig. Zwei Beispiele für semantische Mehrdeutigkeit werden in den Abbildungen 2.13 und 2.13 dargestellt. Weiters wird etwa die
Geste des Kopfschüttelns in Bulgarien, Sri Lanka und Nordgriechenland als
Bejahung bzw. Befürwortung gedeutet – ganz im Gegensatz zum Rest der
Welt.
Abbildung 2.13: Beispiel
für semantische Mehrdeutigkeit: Das Piktogramm eines
Blitzes kann ohne einen Kontext sowohl als Symbol für
„Elektrizität“, als auch als
das für „Konflikt“ interpretiert
werden.
Abbildung 2.14: Beispiel
für semantische Mehrdeutigkeit: Das Piktogramm kann
ohne einen Kontext sowohl als
Symbol für „Weiblichkeit“, als
auch als das „meteorologische
Symbol für den Planeten Venus“ interpretiert werden.
Syntaktik
Die Syntaktik (auch als Syntax bekannt) beschäftigt sich mit den Relationen
zwischen einzelnen Zeichen, genauer gesagt mit deren äußeren Eigenschaften. Auch der Aspekt der Gültigkeit einer Zusammensetzung von mehreren
Zeichen (Zeichen-Kombinatorik ) wird untersucht. Hinsichtlich der formalen Mittel steht eine breite Palette an Möglichkeiten zur Gestaltung von
Zeichen zur Verfügung (siehe Tabelle 2.1).
Bei der Gestaltung von Zeichen ist zu beachten, dass die Wahl der formalen Mitteln vorrangig zur Gewährleistung einer möglichst eindeutigen und
unmissverständlichen Kommunikation getroffen werden sollte. Zu komplexe
Konstrukte laufen oftmals Gefahr, durch die Vielzahl an optischen Elementen an Zeichenhaftigkeit zu verlieren und zum Ikon zu werden. Der Einsatz
unnötiger Details sollte auch zu Gunsten der Interpretationsdauer vermieden werden. Entwirft man ein ganzes Zeichensystem, so ist es vorteilhaft, die
2. Von der Schrift zum Bild
Qualität
Form
Helligkeit
Farbe
Quantität
Dimension
Begrenzung
Qualität
Quantität
Relation
Verwirklichung
Qualität
Quantität
Relation
Verwirklichung
19
rund – eckig, unregelmäßig – regelmäßig,
asymmetrisch – symmetrisch
groß, klein
Punkt, Linie, Fläche, Körper, Raum
Leer -, Voll -, Füllform, offene/geschlossene
Form, Konturschärfe
Helligkeitsgrade, Konsistenz
große Menge, kleine Menge
Kontrast, Ähnlichkeit, Skala
Pigmentmischung, visuelle Mischung, Reflexion, Absorption, Transparenz
Farbton, Farbhelligkeit, Farbsättigung
große Menge, kleine Menge
komplementär, simultan, sukzessiv, hell –
dunkel, bunt – unbunt
additiv (RGB), subtraktiv (CMYK), Reflexion, Absorption, Transparenz
Tabelle 2.1: Formale Mittel für die Zeichengestaltung
enthaltenen Einzelelemente mit den selben optischen Grundeigenschaften zu
versehen. Dies gewährleistet eine visuelle Geschlossenheit, die es einerseits
dem Betrachter ermöglicht, überhaupt ein System zu erkennen, und andererseits eine Kombination dessen Komponenten erlaubt. Ein Beispiel für die
Zeichen-Kombinatorik befindet sich in Abbildung 2.15.
Abbildung 2.15: Beispiel der funktionierenden Kombination zweier formell
ähnlicher Zeichen.
Pragmatik
Die Pragmatik untersucht die Beziehung zwischen den Zeichen und den Absichten dessen Senders bzw. den Interpretationsmöglichkeiten dessen Empfängers. Auf der Seite des ersteren kann man die Absicht oder den Zweck
eines Zeichens folgendermaßen kategorisieren:
2. Von der Schrift zum Bild
20
• Die indikative Absicht beeinflusst lediglich das Denken des Empfängers. Es informiert ihn über eine Gegebenheit, lässt ihm aber selbst und
komplett frei über sein Handeln entscheiden (Beispiel siehe Abbildung
2.16).
• Die imperative Absicht beeinflusst den Willen des Empfängers und
hat den Zweck, ihn in seiner Handlungsweise beeinflussen (Beispiel
siehe Abbildung 2.17).
• Die suggestive Absicht beeinflusst die Gefühle des Empfängers und
beeinflusst ihn idealerweise lediglich unterbewusst zu einer Änderung
seiner Verhaltensweise (Beispiel siehe Abbildung 2.18).
Abbildung 2.16:
Beispiel für indikative Absicht:
Das Zeichen informiert über eine
Parkmöglichkeit,
ob der Betrachter
diese auch nutzt
bleibt ihm selbst
überlassen.
Abbildung 2.17:
Beispiel für imperative Absicht: Das
Zeichen zeigt an,
dass das Fischen an
diesem Ort untersagt ist. Der Betrachter soll in seinem Handeln beeinflusst werden.
Abbildung
2.18:
Beispiel für suggestive Absicht: Das
Zeichen sorgt ruft
den Gedankenan die
gesundheitsschädliche
Wirkung des Rauchens
auf und beeinflusst
so die Gefühle des
Betrachters.
Auf der Empfängerseite kann man drei verschiedene Interpretationsgrade unterscheiden (Beispiele siehe Abbildungen 2.19, 2.20 und 2.21):
• Die offene Interpretation ist nicht eindeutig, eine Nachricht kann also nicht unmissverständlich kommuniziert werden. Ungleiche Zeichenrepertoires auf Sender- und Empfängerseite oder ein falscher Kontext
können hierfür verantwortlich sein.
• Eine eindeutige Interpretation ist möglich, wenn das Umfeld eines Zeichens einen eindeutigen Bezug zu dessen Bedeutung herstellt.
Im Falle von visuellen Zeichen gilt es demnach, den Ort, die Stelle,
die Größe, die Richtung, die Beleuchtung (usw.) dieses Zeichens so zu
wählen, dass es unmissverständlich verstanden werden kann.
2. Von der Schrift zum Bild
Abbildung 2.19: Beispiel für
eine offene Interpretation: Ohne weitere Informationen kann
das Rauchen sowohl nur am
Tisch oder im Bereich des gesamten Lokals verboten sein.
21
Abbildung 2.20: Beispiel für
eine eindeutige Interpretation:
Das Rauchen ist im örtlich klar
abgegrenzten Innenraum des
Flugzeugs nicht gestattet.
• Als vollständige Interpretation im System bezeichnet man den
Vorgang des Verstehens eines Zeichens im Zusammenhang mit anderen Zeichen des selben Systems. So ergibt sich eine in geschlossene,
systematisierte Bildsprache.
Abbildung 2.21: Beispiel für eine vollständige Interpretation im System:
Die Symbole Otto Neuraths lassen sich klar in ein in sich geschlossenes Piktogrammsystem einordnen.
Kapitel 3
Das Bild als Informationsträger
3.1
Einleitung
In diesem Kapitel wird die die Etablierung des Bildmediums in der gesellschaftlichen Praxis behandelt. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf Bildern,
die zur Vermittlung von Wissen, also zu didaktischen Zwecken, eingesetzt
werden. Das Kapitel ist deshalb so umfangreich, weil ein Großteil der Prinzipien, die für diese Art von statischen Bildern gelten, auch für das Bewegtbild
gültig sind. Besonders im Hinblick auf den Einsatz von Piktogrammen und
Diagrammen aller Art ist dies zweifellos der Fall, da sie bei Motion Graphics
aufgrund ihrer kommunikativen Effizienz genauso gezielt eingesetzt werden
wie in statischen Bildern.
Außerdem soll der Versuch unternommen werden, die mit der Änderung
des Leitmediums einer Kultur einhergehende Umstellung der Denkweise der
sich darin befindlichen Menschen aufzuzeigen, da eine solche Umstellung
zweifelsohne auch in der Gegenwart in Form einer immer stärkeren Präsenz
von Bewegtbildern in Kombination mit den Möglichkeiten der vernetzten,
digitalisierten Form der Informationsbewahrung stattfindet.
3.2
Theorien zu Bild und Text
Inwiefern sich die Schrift und das Bild in der Vergangenheit als Techniken der
Überlieferungssicherung etablierten, wurde im vorigen Kapitel erläutert. Für
das Verständnis der Rolle von Bildern in der modernen Kommunikation ist es
essenziell, einige theoretische Eigenschaften dieser beiden Ausdrucksformen
– auch im Verhältnis zueinander – aufzuzeigen.
3.2.1
Bild-Theorien
Generell werden Bilder dafür gebraucht, um Gegenstände oder Sachverhalte
darzustellen. Dies bedeutet folglich, dass sowohl konkrete (ikonische) Abbil22
3. Das Bild als Informationsträger
23
der der sichtbaren Realität – etwa in Form von von Fotografien – als auch
abstrakte (nicht-ikonische) bzw. nicht unmittelbar sichtbare (hyperrealistische) Verhältnisse und Gedankengänge – wie z.B. Ideen oder Wünsche, aber
auch Röntgenbilder – in Form von Bildern festgehalten werden können.
Bilder sind visuelle Zeichen, die auf ein Medium der materiellen Realisation angewiesen ist. Erst in Form von bedrucktem Papier, einem Fernsehbild oder Pigmenten auf einer Leinwand werden sie wahrnehmbar. Im Zuge
des Wahrnehmungsprozesses wird zuerst eine grobe inhaltliche Orientierung1
vorgenommen, die weiters beeinflusst, welche Strukturen des visuellen Feldes
genauer betrachtet werden. Die gewonnenen Informationen werden dann mit
bestehenden (bzw. angelernten) Gedächtnisstrukturen verglichen, indem versucht wird, markante (bzw. im ersten Schritt als als beachtenswert erklärte)
Merkmale des Bilds mit dem Repertoire an visuellen Erfahrungen zu verknüpfen.
Wird beim Betrachten dieser Bilder das Dargestellte (wieder-)erkannt,
werden trotz der teils notwendigen „Unterschiede“ 2 des Bilds zum gezeigten
Objekt die selben Gedankenbilder hervorgerufen. Weiß der Betrachter aber
nicht, wer oder was abgebildet wird, muss er entweder eine Erklärung verlagen oder spekulieren. Bei letzterem wird versucht, an Bekanntes anzuknüpfen: Kulturspezifisches und individuell angeeignetes Wissen wird aktiviert,
um die Bedeutung des Bilds zu erahnen. In beiden Fällen zeichnen sich Bilder
aber durch eine Eigenschaft aus, die aus den erwähnten Unterschieden zum
Dargestellten resultiert: Sie vermitteln eine gewisse Perspektive, bzw. eine
der unendlich vielen Arten der Betrachtung gewisser Dinge oder Umstände.
Damit ist nicht vorrangig eine perspektivische Raumillusion (wie etwa bei
einem Foto) gemeint, auch durch das Aufzeigen bestimmter Anschauungen
gelten Bilder weitgehend als authentisch.
Lässt man den emotionale Wirkung außen vor und betrachtet den tatsächlichen Informationsgehalt, so sind Bilder auch häufig (z.B. in der Werbung) mit einer Vielzahl an redundanten Elementen versehen. Diese können
zwar rein der optischen Attraktivität dienen, die „Details“ erwecken aber
gleichermaßen auch und den Eindruck von Qualität – und damit auch den
einer authentischen und wohldurchdachten Aussage.
Versucht man, mit Bildern etwas unspezifischeres als das bisher genannte,
wie etwa „Tier“ oder „Gefahr“, auszudrücken, ist eine Reduktion der Informationselemente notwendig. Die bezeichneten Gegenstände können entweder
auf markante optische Merkmale reduziert abgebildet werden (Ikone), aber
auch ihre Wirkung aus kulturellen Traditionen beziehen (Symbole).
1
Diese grobe Orientierung dauert beim stehenden Bild etwa 0,3 Sekunden.
Zwei- statt Dreidimensionalität, Farbveränderungen, Größenunterschiede, Perspektivenverzerrungen, usw.
2
3. Das Bild als Informationsträger
3.2.2
24
Bild-Text-Theorien
Appellfunktion vs. Eindeutigkeit
Bilder erregen schnell Aufmerksamkeit, sie besitzen also eine Signalfunktion.
Besonders bei Zeitungen wird oftmals ein solcher Zweck erfüllt, über ein Bild
(in den meisten Fällen ein Foto) kann ein schneller Einstieg in einen schriftlich behandelten Sachverhalt gewährleistet werden. Die rein über optische
Eindrücke vermittelten Informationenen sind in diesem Fall selten eindeutig, was einen gewissen Erklärungsbedarf notwendig macht. Dieser wird meist
mittels einer Bildunterschrift gestillt. Ein Foto von dunkelhäutigen Kindern,
die Gewehratrappen aus Holz mit sich tragen kann ohne weitere Informationen sowohl als spielhafte Situation in einer afrikanischen Siedlung als auch als
Schnappschuss eines Camps, das Kinder zu Soldaten ausbildet, interpretiert
werden. In beiden Fällen hat die Abbildung für sich eine Appellfunktion,
an der gemessen sie der Sprache eindeutig überlegen ist – dies zeigt zum
Beispiel die Tatsache, dass sich beim Lesen einer Zeitschrift 60-90 Prozent
der Leser mit Bildern, aber nur 10-20 Prozent mit den angebotenen Texten
beschäftigen. Im Hinblick auf den Grad der organisatorischen Komplexität
und besonders in Sachen präziser Ausdruckskraft ist das Bild der Sprache
aber unterlegen, da Bilder wie erwähnt ohne sprachliche Unterstützung selten eindeutig interpretiert werden können. Ihr hoher Reizwert entsteht also
besonders durch Attraktivität und Emotionalität.
Erinnerung
Es gibt verschiedene Theorien darüber, warum es für Menschen leichter ist,
sich an Bilder als an sprachliche Konstrukte zu erinnern. Eine davon macht
die Menge an visuellen Reizen dafür verantwortlich, da diese vom Gehirn
viel einfacher gespeichert werden können als sprachliche Zeichen. Eine andere
besagt, dass ein Bild von einem (wörtlich) bezeichenbaren Gegenstand einmal
in visueller Form, und ein weiteres mal als interpretierten verbalen Sinngehalt
im menschlichen Gehirn abgelegt wird, und diese Redundanz – im Vergleich
zur reinen Sprache, welche nur ein mal gespeichert wird – zu einer insgesamt
höheren Menge an Erinnerungen führt.
Informationsdarstellung
Treten Bild und Text gemeinsam auf, so gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, wie die kommunizierten Informationen zueinander in Beziehung
stehen. Sie können entweder redundant (in Bild und Text) oder komplementär (in Bild oder Text) dargestellt werden. Ersteres sorgt im Vergleich für
eine genauere Auseinandersetzung mit der Materie, zweiteres führt aufgrund
der bereits erwähnten Redundanz zu einer effektiveren Speicherung im Hirn.
Unabhängig von dieser Kategorisierung ist ein wichtiges Kriterium für den
3. Das Bild als Informationsträger
25
Erfolg der Kombination von Bild und Text aber, dass die hervorgehenden
Informationen insgesamt zu einem passenden semantischen Gedankenbild
zusammengefügt werden können. Dies ist nicht der Fall, wenn Diskrepanzen
zwischen sprachlichen und bildlichen Information existieren. Sie machen es
dem Interpretierenden schwer oder gar unmöglich, in Gedanken eine korrekte
Repräsentation zusammenzufügen.
Visuelle Klischees
Zu Wörterbüchern auf sprachlicher Seite analoge Gegenstücke für Bilder
(Bilderlexika u.ä.) können nur bedingt existieren. Dies resultiert aus einer
unendlich großen Menge an Situationen, Anschauungen oder Abbildungen,
denen wir in der realen Welt begegnen – und welche niemals vollständig und
präzise durch Bilder abgedeckt werden können. Die Sprache beschränkt sich
auf einen (nicht unbedingt überschaubaren, aber endlichen) Wortschatz und
ist mit dessen Hilfe fähig, alle erdenklichen Situationen zu beschreiben. Im
Vergleich dazu wirkt die Vorstellung eines Katalog an gebrauchsfertigen, an
jede Situation angepassten Bildern beinahe absurd.
Dennoch wurden Versuche unternommen, das für das Verständnis von
Bildern notwendige kulturspezifische Wissen als Sammlung von visuellen
Klischees zusammenzufassen und zu dokumentieren. Zum Beispiel versucht
das Anfang der 1980er erschienene Dictionary of Graphic Images 3 , alphabetisch angeordneten Begriffen Bilder zuzuordnen, die für die bereits erwähnte
und für das Verständnis von Bildern notwendige Anknüpfung an Bekanntes
(siehe Abschnitt 3.2.1) besonders geeignet sind – ein Beispiel hierfür ist in
Abbildung 3.1 dargestellt. Ein hoher Wiedererkennungswert bei einer großen
Menge an Rezipienten kann nur dann gewährleistet werden, wenn möglichst
geläufige Bildzeichen verwendet werden. Aufgrund dieser notwendigen Geläufigkeit und der damit verbundenen (Über-)Beanspruchung des Bildes in
der Vergangenheit kann man von visuellen Klischees sprechen.
Sofern man bei Bildern, die einem bestimmten Begriff zugeordnet sind,
den Versuch unternimmt, für das Verständnis dieses Begriffes irrelevante optische Elemente zu entfernen – bzw. sich auf das wesentliche zu beschränken – so ergeben sich jedoch neue Möglichkeiten für eine Art Enzyklopädie
von bildlichen Pendants zu Begrifflichkeiten. Ein Beispiel für eine gelungene
Sammlung dieser Art ist das im Abschnitt 3.4.4 auf Seite 32 genauer erklärte
ISOTYPE oder das in Abschnitt 4.3.4 auf Seite 72 erwähnte PICOL-System.
3
Siehe [75].
3. Das Bild als Informationsträger
26
Abbildung 3.1: Beispiel für visuelle Klischees anhand des Begriffs „Pirat“,
entnommen aus dem Dictionary of Graphics Images von 1980.
3.3
3.3.1
Klassifizierung von Bildzeichen
Klassifizierung anhand der Darstellungsart
Diese Art der Klassifizierung beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie
Bilder Inhalte darstellen – diese selber spielen hierbei keine vorrangige Rolle.
Im Vordergrund steht also die Oberfläche.
Einordnung nach Kapitzki
Der deutsche Grafikdesigner Herbert W. Kapitzki unterscheidet insgesamt
acht verschiedene allgemeine Typen von Bildzeichen, die Definitionen der
einzelnen Kategorien stammen aus [1, S. 11].
1. Ikonogramm: Abbilddarstellung. Ein ikonisches Zeichen, das als Abbilddarstellung die Übereinstimmumgsmerkmale zwischen Zeichen und
dem Bezeichneten hervorhebt.
2. Piktogramm: Bilddarstellung, Isotype. Ein ikonisches Zeichen, das
komplexe Sachverhalte nicht durch Worte oder Laute, sondern durch
visuelle Bedeutungskomplexe darstellt.
3. Kartogramm: Eine topografische Darstellung mit Funktionskomplexen (Statistiken etc.) und ikonischen Sachverhalten, zum Beispiel eine
Landkarte oder ein Hausgrundriss.
4. Diagramm: Eine topografische Darstellung mit Funktionskomplexen
(Statistiken etc.) und ikonischen Sachverhalten, zum Beispiel eine Landkarte oder ein Hausgrundriss.
3. Das Bild als Informationsträger
27
5. Ideogramm: Begriffsdarstellung. Entspricht dem Zeichen als Symbol,
das unabhängig von formaler Übereinstimmung in einer Beziehung zum
Referenten steht.
6. Logogramm: Schriftähnliche Begriffsdarstellung. Ein visuellsprachliches Zeichen für einen Referenten ohne Berücksichtigung der lautsprachlichen Dimension.
7. Typogramm: Typendarstellung. Ein Zeichen, auch ein zusammengesetztes Zeichen, aus dem Schriftrepertoire, zum Beispiel aus dem
Alphabet.
8. Phonogramm: Lautdarstellung. Ein Zeichen, das durch sprachliche
oder andere Laute als Signal Verwendung findet, zum Beispiel ein Pfeifton.
Abbildung 3.2: Beispiele für die Einordnung von Bildzeichen nach Herbert
W. Kapitzki, von links nach rechts: Ikonogramm, Piktogramm, Kartogramm,
Diagramm, Ideogramm, Logogramm, Typogramm und Phonogramm.
Einordnung nach Alesandrini
Kathryn Alesandrini unterscheidet Bildzeichen hauptsächlich anhand des
sigmatischen Charakters4 , also anhand des Verhältnisses zwischen dem Zeichen und dem repräsentierte Objekt bzw. Konzept. Laut dieser Definition
gibt es drei verschiedene Typen (vgl. [2]):
1. Representational Graphics zeichnen sich durch eine hohe Ikonizität
aus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nur Fotografien oder detailreiche Gemälde (aufgrund dem hohen Maß an optischer Ähnlichkeit zum
Dargestellten) in diese Kategorie fallen, auch fällt etwa ein Strichmännchen, welches eine Person repräsentiert, in diese Kategorie (vergleichbar
mit einem Zeichen als Ikon).
2. Analogical Graphics haben zwar eine Ähnlichkeit mit bestimmten
Objekten, diese funktioniern aber lediglich als Analogiebild des Konzeptes, das eigentlich dargestellt werden soll. Sie besitzen daher einen
symbolhaften Charakter (vergleichbar mit einem Zeichen als Symbol ).
4
Siehe Abschnitt 2.4.3 auf Seite 15.
3. Das Bild als Informationsträger
28
3. Arbitrary Graphics besitzen keinerlei optische Ähnlichkeit mit dem
Dargestellten, da es sich beim diesem ausschließlich um Verhältnisse
und logische Bezüge innerhalb gedanklicher Konzepten handelt, für
welche kein unmittelbar sichbares Pendant in der realen Umgebung
existiert. Beispiele hierfür wären etwa Diagramme oder Mind-Maps.
Einordnung nach Schnotz
Laut Wolfgang Schnotz kann man grob zwischen zwei Arten von Bildern
unterscheiden (vgl. [81]):
1. Realistische Bilder zeichnen sich eine große Ähnlichkeit mit dem
was sie darstellen, man kann sie daher mit Representational Graphics
vergleichen.
2. Logische Bilder dienen der Darstellung von Relationen und Zusammenhängen bei bestimmten Sachverhalten, man kann sie daher am
ehesten mit Arbitrary Graphics vergleichen.
3.3.2
Klassifizierung anhand der Funktion
Die in diesem Abschnitt beschriebenen Standpunkte sehen Bilder hauptsächlich in dem Kontext der Erkenntnis- bzw. Wissensvermittlung, bzw. untersuchen, wie und inwieweit der transportierte Inhalt dem Beobachter zugänglich
gemacht wird und diesem im Gedächtnis zu bleiben vermag. Hierbei wird
von einer Bild-Text-Kombination ausgegangen, in der Bilder also gewisse
Funktionen im Bezug zum Text erfüllen.
Einordnung nach Duchastel
Philippe C. Duchastel differenziert Bilder anhand von drei Funktionen (vgl.
[17]):
1. Attentionale Funktion: Das Bild trägt dazu bei, dass der Lerner
sich dem Inhalt zuwendet.
2. Erklärende Funktion: Das Bild unterstützt das Verstehen des Inhalts.
3. Einprägende Funktion: Das Bild unterstützt das längerfristige Behalten des Inhalts.
Einordnung nach Levin, Anglin und Carney
Joel R. Levin, Gary J. Anglin und Russell N. Carney unterscheiden Bilder
über die Zuordnung von fünf Funktionen (vgl. [49]):
3. Das Bild als Informationsträger
29
1. Dekorierende Funktion: Das Bild vermittelt keine für einen Erkenntnisgewinn relevante Informationen.
2. Darstellende Funktion: Das Bild stellt etwas dar, das rein textuell
nur schwierig zu beschreiben wären.
3. Interpretierende Funktion: Das Bild macht schwierige Texte leichter verständlich (etwa durch die Darstellung des Kontextes) und gibt
dem Betrachter eine Interpretationsgrundlage.
4. Organisierende Funktion: Das Bild verdeutlicht Struktur und Zusammenhänge von Textinhalten.
5. Transformierende Funktion: Das Bild stellt eine Art „Eselsbrücke“
dar und dient sozusagen als Merkhilfe.
3.4
Der Wiener Kreis
Der Wiener Kreis wird in dieser Arbeit behandelt, da er für die Etablierung von Bildern als Wissensträger eine ausgesprochen wichtige Rolle spielt.
Die Errungenschaften der Arbeitsgruppe – allem voran das ISOTYPE –
wurden aufgrund ihres kommunikativen Wertes in vielen Bereichen des täglichen Lebens erfolgreich eingesetzt und prägen die Disziplin der grafischen
Informationsaufbereitung noch heute wesentlich mit. Deshalb wird in diesem
Abschnitt sowohl die Vorgeschichte und die Ideologie des Wiener Kreises, als
auch die Auswirkungen des Schaffens auf die Gesellschaft behandelt.
3.4.1
Vorgeschichte: Das Bildmedium im Aufschwung
Wenn Text von Bildern verdrängt werden, dann erleben, erkennen und werten wir die Welt und uns selber anders als vorher:
nicht mehr eindimensional, linear, prozessual, historisch, sondern
zweidimensional, als Fläche, als Kontext, als Szene. (Vilém Flusser, [27])
Das Verhältnis von Bild und Text hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Für jüngere Medien gilt dabei allgemein, dass (im Vergleich zu älteren
Medien) der Bildanteil höher ist, bzw. der Text in den Hintergrund tritt.
Außerdem ist das Bild hierbei eher fähig, den Text ersetzen – nicht zuletzt
durch ein damit einhergehendes Maß an Konkretion, das durch Sprache nicht
(oder zumindest nicht so einfach) erreicht werden kann. Im Laufe der letzten Jahrhunderte fand (und findet) also eine Art Verdrängung von Texten
durch Bilder statt, die auch unsere Wahrnehmung maßgeblich veränderte.
Gründe für die rasante Verbreitung der Bildmedien in den letzten beiden
Jahrhunderten sind sowohl technischer als auch gesellschaftlicher Natur.
3. Das Bild als Informationsträger
30
Auf technischer Seite gilt die Fotografie als erster wichtiger Schritt
der Ersetzung der händischen Arbeit eines Malers durch eine automatische
Aufnahme und Wiedergabe von Farb- und Helligkeitswerten. Man kann hierbei von einem reproduktiven Charakter sprechen, da die Wirklichkeit „treu“
wiedergegeben wird. Diesen Charakter weisen auch bildgebende Verfahren
wie etwa Röntgen in der Medizin oder der Einsatz von Fehlfarben in der
Astrologie auf. All diese Errungenschaften ermöglichen eine Bewahrung der
komplexen Wirklichkeit im Sinne eines vereinfachten Modells, und die immer einfacher werdende Reproduzierbarkeit ermöglichte eine Verbreitung der
Bilder unter den Menschen.
Auf gesellschaftlicher Seite konnte in den 1920er-Jahren beobachtet
werden, wie die Schrift immer mehr vom Buch in den öffentlichen Raum
bewegt wurde. Dies manifestierte sich speziell in Form von Reklamen, die in
Form einer Art „Bilderschrift“ nach und nach den kommunikativen Raum restrukturierten und sowohl das Straßenbild als auch das der Zeitungen veränderten. Der Begriff Straßenbild wird hier bewusst verwendet, da das „bildhafte“ auch in Form von Typografie transportiert werden kann. Generell spricht
die Ästhetik des Konkreten, die damals in Form von Fotografien und Filmen
etwas völlig Neuartiges darstellte, die Sinne weitaus unmittelbarer an als die
Sprache, deren Interpretation im Regelfall um einiges anspruchsvoller ist.
Durch dieses Ansprechen der äußeren Sinne angesprochen wird automatisch
auch eine kommunikative Öffnung gebildet. Für die Gesellschaft bedeutet
diese Wende nichts geringeres als eine Bewusstseinsverschiebung, da sich die
Wahrnehmungsgewohnheiten der Menschen mit den Medien ändern, die sie
umgeben.
3.4.2
Entstehung und Leitmotive
In den 1920er-Jahren entstand der Wiener Kreis – eine Gruppe Intellektueller, die es sich zum Auftrag machte, eine Einheitswissenschaft zu etablieren. Diese sollte Erkenntnisse von Forschern aller möglichen Wissenschaftsdisziplinen unter einem gemeinsamen formalen System vereinen und sie damit so weit wie möglich von kulturellen Umständen der Rezipienten (wie
etwa Sprache und Vorbildung) unabhängig machen. Der Grund für die Entstehung dieses Kollektivs war eine noch nie gesehene Präsenz audiovisueller
Medien in Kombination mit den politischen Wirrnissen und sozialen Missständen dieser Zeit. Da letztere maßgeblich aus der mangelnden Umsetzung
von wissenschaftlichen Leistungen in die gesellschaftliche Praxis rührten, galt
es, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
Ein wichtiges Mitglied des Wiener Kreises war Otto Neurath, der sich
nach seinem Studium in Wien u.a. für die Volksbildung einsetzte. Wie seine
3. Das Bild als Informationsträger
31
Mitstreiter war auch er Vertreter des logischen Empirismus 5 und kämpfte für
eine wissenschaftliche Weltauffassung und einer Aufklärung der Gesellschaft
in einer Industriekultur. Zur Verbesserung der Lebensumstände6 seiner sozial
benachteiligten Mitbürger waren zwei Voraussetzungen von Bedeutung (vgl.
[59], S. 24):
1. Die sozialen Umstände lassen sich durch den Einsatz wissenschaftlicher
Methoden verbessern.
2. Mit dem 20. Jahrhundert ist ein visuelles Zeitalter angebrochen. Die
kommunikativen Mittel gehören deshalb reformiert, was bedeutet dass
die Wissenschaft ihre Sprache überdenken und das Bilderverbot einer
Aufklärung der Gelehrten durch die Entwicklung neuer Formen überwunden werden muss.
Diese Prämissen veranschaulichen Mittel und Zweck der Bemühungen
Neuraths bzw. des Wiener Kreises: Mit Hilfe des Einsatzes von Bildern und
der Entfaltung der damit einhergehenden (und in vorigen Abschnitten erwähnten) Vorteile gegenüber der Schrift sollen wissenschaftliche Erkenntnisse dem arbeitenden Proletariat zugänglich gemacht werden, das weder über
genügend Zeit noch ausreichende Bildung verfügt, um sich Wissen in Form
von anspruchsvoller Lektüre anzueignen. Neurath berief sich auf das demokratische Recht auf Information und hielt es im Sinne des gesellschaftlichen
Gemeinwohls für unabdingbar, die Massen über Themen wie Säuglingssterblichkeit, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und andere für diese relevante Themen aufzuklären.
Wie seine Vorgänger wusste er, dass Wissen nur Veränderung bewirken
kann, wenn es die Zielgruppe auch wirklich erreicht. Das Ziel, eine möglichst
breite Masse auf dem schnellsten und unkompliziertesten Wege über Sachverhalte aufzuklären und sich dafür besonders die Appellwirkung von Reklameplakaten zu Nutze zu machen, bringt damit die Thematik der Popularisierung des Wissens auf: Da dieser Prozess maßgeblich von den Interessen
und Gewohnheiten der Adressaten bestimmt ist, bedient sich Neurath neueren und immer populärer werdenden Medien (wie eben den Bildern und
dem Film) und institutionalisierte die Wissensverbreitung in Form von Sozialmuseen, wie etwa dem Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, das seit
1924 in Wien zu finden ist. Es ist Teil der Umsetzung des Konzepts von
5
Laut dieser Position können Erkenntnisse nur dann auch wirklich als solche bezeichnet
werden, wenn sie auf naturwissenschaftliche Beobachtungen reduzierbar sind. In Zeiten der
Entwicklung der Naturwissenschaften (besonders der Physik) stellte dies ein Kontrapunkt
zur bisher dominierenden Metaphysik in der traditionellen Philosophie dar, deren Thesen
nach der Auffassung der Mitglieder des Wiener Kreises spekulativ waren und sich nicht
rational rechtfertigen ließen.
6
Hierzu zählte Neurath alle Faktoren, von denen die „Stimmung“ eines Menschen abhängt, wie z.B. Kleidung, Nahrung, Wohnungssituation, Lebenserwartung, zur Verfügung
stehende finanzielle Mittel, usw.
3. Das Bild als Informationsträger
32
Museen der Zukunft, im Rahmen dessen sich Neurath auch die technische
Reproduzierbarkeit seiner Werke zunutze machte und die Grafiken in Form
von Wanderausstellungen in die Wiener Gemeindebezirke brachte. Immerhin sollten auch Anbehörige niedrigerer Bildungsschichten motiviert werden,
sich mit den aufbereiteten Erkenntnissen auseinanderzusetzen – es galt also
eine gewisse Schwellenangst zu überwinden.
3.4.3
Neuraths Bildersprache
Neurath setzte auf ein gewisses Maß an Dechiffrierung: Dies bedeutete, jegliche Fehlinterpretation auf der Empfängerseite auszuschließen und Zufälligkeiten möglichst zu vermeiden. Daher war von Anfang an eine einheitliche Gestaltung der bildlichen Mittel notwendig, da erstens die Benutzung
verschiedener Bilder zur Darstellung des selben Sachverhalts den Beschauer
verwirren würde, und diese zweitens eine Kombination bzw. Komposition
verschiedener Bildzeichen (im Sinne einer vollständigen Interpretation im
System, siehe Abschnitt 2.4.3 auf Seite 19) überhaupt erst ermöglicht. Dieses Zusammenfügen der Bilder war deshalb so wichtig, da es Neurath wie
eingangs erwähnt wichtig war, Vorgänge und Erkenntnisse nicht nur aufzuzeigen, sondern diese vor allem in Relation zueinander zu setzen.
Aus der Motivation heraus, Aufklärung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene durch den sinnvollen Einsatz neue Ausdrucksformen zu betreiben, entwickelten Neurath und seine Kollegen7 also ein System von Bildzeichen mit piktogrammhaften Charakter, deren Einsatz es ermöglichen sollte, weitgehend
ohne erklärenden Text auszukommen und somit eine Unabhängigkeit von
den Sprachgewohnheiten der Rezipienten zu ermöglichen.
3.4.4
ISOTYPE / Piktogramme
Auf Basis dieser von Neurath und seinen Mitarbeitern entwickelten Bildersprache entstand durch Systematisierung letztlich das „International System
Of Typographic Picture Education“ – kurz: ISOTYPE (Beispiele siehe
Abbildung 3.3). Neurath selbst definiert den Begriff folgendermaßen:
ISOTYPE ist eine moderne Bildersprache, die durch Verbindung von gewissen Symbolen Tatsachen darstellt. Sie wurde als
Hilfssprache für die Verbreitung technischen, gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Wissens geschaffen. (Otto Neurath, [58, S.
342])
7
Der Designer Gerd Arntz machte durch reduktionistische Darstellung und klaren Stil
Neuraths Bildersprache gleichermaßen einzigartig wie erfolgreich. Marie Reidemeister widmete sich der Transformation, die zur Veranschaulichung von Zusammenhängen notwendig
war. Erwin Bernarth sorgte für die Zusammenstellung der Mengenbilder, die dann an den
Drucker Josef Scheer weitergegeben wurden und weiters als Schautafeln von Neuraths
Berater Josef Frank mittels eines durchdachten Konzepts räumlich angeordnet wurden.
3. Das Bild als Informationsträger
33
Abbildung 3.3: Beispiele für Piktogramme des ISOTYPE.
ISOTYPE konkretisiert also Bildzeichen, während es sich bei Schriftzeichen um abstrakte Darstellungsformen handelt. Diese systematisierten
Darstellungsformen können als Piktogramme bezeichnet werden. Diese als
Einzelelemente des Systems weisen im Idealfall folgende Eigenschaften auf:
• Internationale Verständlichkeit: Die Zeichen sollen unabhängig
von Kultur und Vorbildung verstanden werden können.
• Sprachunabhängigkeit: Durch den Verzicht auf Text sollen die Zeichen unabhängig von der Sprache der Rezipienten verstanden werden
können.
• Ikonizität / Stilisiertheit: Eine äußere Ähnlichkeit mit dem abgebildeten Gegenstand ist vorteilhaft, sofern diese möglich ist. Unabhängig
davon ob dies der Fall ist oder ein gedankliches Konzept dargestellt
werden soll, müssen die Zeichen sich in ihrer Komplexität auf das wesentlichste beschränken, aber dennoch markante Eigenschaften des Abzubildenden darstellen.
• Eindeutigkeit: Eine Bedeutung soll von nicht mehr als einem einzigen
Zeichen repräsentiert werden.
• Systemzugehörigkeit: Die Zeichen eines Systems sollen sich allesamt
eines ähnlichen visuellen Stils bedienen, um den Wiederkennungswert
zu erhöhen und den Rezipienten eine Eingliederung in ein System leichter zu ermöglichen. Ziel ist die im Abschnitt 2.4.3 auf Seite 19 erwähnte
vollständige Interpretation im System.
Diesen Regeln entsprechend verhält es sich mit der Definition Neuraths
eines Piktogramms, er beschreibt es als ein Element eines Systems von absoluter Geltung. Diese Geltungskraft ist der größte Vorteil des systematischen
3. Das Bild als Informationsträger
34
Einsatzes der Bildzeichen in der Praxis: Betrachtet man Piktogramme als
Beispiel für visuelle Zeichen, ist das Verständnis dieser Form des Zeichens
im Idealfall weder maßgeblich von der Vorbildung des Rezipienten abhängig
noch mit zeitlichem Aufwand verbunden. In Kombination mit der Möglichkeit, auch komplexe Sachverhalte mit dieser Form der Bildzeichen darzustellen, ergibt sich für sie ein breites Spektrum an sinnvollen Einsatzgebieten.
Dies erklärt, warum Piktogramme der Schrift in der praktischen Kommunikation vorgezogen werden, und warum sie sich besonders an öffentlichen
Orten wie Bahnhöfen oder Flughäfen oder im Straßenverkehr großer Beliebheit erfreuen: Allesamt sind dies Orte, an denen Informationen möglichst
schnell und effizient kommuniziert werden müssen.
Die Zeichen müssen so weit wie möglich für sich selber, ohne Hilfe von Worten, klar sein, d.h. sie müssen „sprechende Zeichen“ sein. Sie müssen voneinander verschieden sein, so dass kein
Zweifel über ihren richtigen Namen besteht, wenn man sie wiedersieht. Sie müssen so einfach sein, dass man sie nebeneinander
wie Buchstaben aufreihen kann. Die Zeichen müssen von solcher
Form sein, dass es den Beschauer nicht ermüdet, wenn er Reihen
desselben Zeichens sieht. (Otto Neurath, [58, S. 365])
3.5
3.5.1
Informationsdesign
Einleitung
Allgemeines
Fakt ist, dass es sich in der Zeit des Wiener Kreises um eine Zeit der Neukonstruktion der Gesellschaft und der Denkmuster der sich darin befindlichen
Menschen handelt, in der neue Medien für eine veränderte Wahrnehmung
und damit ein neues Weltbild sorgten. Die Wechselwirkung aus dem Drang
der Wissenschafter und Designer, die Gesellschaft über für sie relevante Themen zu informieren und den technischen Innovationen, die eine immer bessere
und schneller Reproduzierbarkeit der Resultate ermöglichten sorgte für eine
neuartige Definition des Begriffs Design: Die Erscheinungsformen resultieren hierbei fast ausschließlich aus den Funktionen, die es im Hinblick auf die
eindeutige Kommunikation einer Bedeutung zu erfüllen gilt. Dieser kollektive Gedanke steht im Gegensatz zur heutigen, weit verbreiteten Auffassung
von Design als Möglichkeit des individuellen Ausdrucks – vorrangig war damals die Weiterentwicklung des wissenschaftlichen Denkens in die Richtung,
aktuelle Fragen der Zeit zu beantworten.
Die Resultate der Bemühungen Otto Neuraths und seiner Mitarbeiter, Informationen und Mengenbilder anhand bildstatistischer Methoden und dem
gezielten Einsatz von ISOTYPE aufzubereiten, können aufgrund ihrer Funktion dem Informationsdesign zugeordnet werden. Es handelt sich hierbei
3. Das Bild als Informationsträger
35
um die Aufbereitung von Information in Form von Bildern, deren Zweck es
ist, den Rezipienten durch den konkreten Weg der grafischen Repräsentation
schnell und einfach zugänglich zu machen. Wichtig in diesem Kommunikationsprozess ist hierbei das eigene Zutun des Betrachters, bzw. dass dieser im
Stande ist, sich zur behandelten Thematik eine eigene Meinung zu machen.
Dieser indikative Ansatz der so genannten Infographics steht im krassen
Gegensatz zu der angestrebten suggestiven Wirkung von Werbung oder gar
Propaganda in Bildform und ist von diesen klar abzugrenzen.
Begriffsbestimmung
Die Bemühungen und Resultate des Wiener Kreises und dessen Vorgeschichte lassen bereits grob erahnen, wobei es sich bei Informationsdesign handelt.
Eine eindeutige Definition ist aber schwierig, da eigentlich jede Art der Aufbereitung und Präsentation von Informationen, die von der Form der Sprache
abweicht, dieser Kategorie zugewiesen werden kann. Dennoch befinden sich
im folgenden einige Definitionen des Begriffs Informationsdesign.
Information design is the transfer of complex data to, for the
most part, two-dimensional visual representations that aim at
communicating, documenting, and preserving knowledge. It deals
with making entire sets of facts and their interrelations comprehensible, with the objective of creating transparency and eliminating uncertainty. (Gerlinde Schuller, [69])
Information design is about the clear and effective presentation of information. It involves a multi- and interdisciplinary approach to communication, combining skills from graphic design,
technical and non-technical authoring, psychology, communication theory, and cultural studies. (Frank Thissen, [78])
Thissens Definition deutet auf die Interdisziplinarität hin, die das Informationsdesign auszeichnet. Allein die von Otto Neurath so vorbildlich
durchgeführte Selektion von Daten und deren Reduktion auf das wesentliche
ist schon ein Teil des Informationsdesigns, der wohldurchdacht sein muss,
damit er den anderen Teilen des Entstehungsprozesses gerecht wird. Dass
die Ersteller von Infographics verschiedene Disziplinen beherrschen müssen,
wird auch bei Terry Irwins Definition aufgezeigt:
Information designers are very special people who must master all of the skills and talents of a designer; combine them with
the rigor and problem-solvinig ability of a scientist or mathematician; and bring the curiosity, research skills, and doggedness of
a scholar to their work. (Terry Irwin, [40])
3. Das Bild als Informationsträger
36
Geschichte
Informationsdesign existierte natürlich schon vor der Zeit der Wiener Moderne, so ist etwa das Abbilden von geografischen Daten in Form von Kartografien der erste bekannten Vorreiter auf diesem Gebiet. Die ersten Karten (datiert auf etwa 1300 v. Chr.) waren noch sehr simpel und im Hinblick auf die
Größe des abgebildeten Areals stark begrenzt, wurden aber nach und nach
mit mehr Informationen angereichert und ermöglichten mit der Geographia
(datiert auf etwa 150 n. Chr., siehe Abbildung 3.4) erstmals eine Aufzeichnung der Geografie des gesamten Planeten. Ein weiterer Vorreiter Neuraths
ist der schottische Ingenieur William Playfair, der fest davon überzeugt war,
dass die Aufbereitung von Daten in grafischer Form leichter verständlich ist
als das geschrieben Wort. Dies äußerte sich in seinem 1786 erschienenen Buch
The Commerical and Political Atlas, das sich erstmals heute so allgegenwärtiger grafischer Elemente wie Balken- und Tortendiagrammen bediente und
seinen Author damit zum Vorreiter im Informationsdesign macht. Kurze Zeit
Abbildung 3.4: Ptolemys Karte aus Geographia vniversalis aus dem Jahre
1540 – die Originalzeichnungen gingen im Laufe der Zeit verloren.
nachdem Neuraths ISOTYPE entwickelt wurde, prägte der aus der ehemaligen Tschechoslowakei stammende Ladislav Sutnar die Weiterentwicklung
von Infographics wesentlich mit. Sein Stil ähnelte dem von Neurath, er setzte sowohl Bildzeichen wie Piktogramme, als auch typografische Elemente
wie etwa Klammern und Pfeile ein. Sein methodischer Ansatz zur Strukturierung von Inhalten prägt das Informationsdesign bis heute: Durch den
gezielten Einsatz von geometrischen Formen schaffte er es, die Aufmerksamkeit des Betrachters von einem Informationslevel zum nächsten zu befördern
(Beispiel siehe Abbildung 3.5). Die Gebrüder Charles und Ray Eames gelten
als weitere Vorreiter in Sachen Informationsdesign und führten mit der 1961
konzeptionierten und im später im kalifornischen Museum of Science and Industry gezeigten Ausstellung Mathematica: A World of Numbers and Beyond
(siehe Abbildung 3.6) den Gedanken Otto Neuraths weiter: Die Ausstellung
3. Das Bild als Informationsträger
37
Abbildung 3.5: Skizze (li.) und fertiges Design (re.) von Ladislav Sutnar
im Auftrag der Firma Vera.
zeigte komplexe mathematische Konzepte in noch nie gesehener grafischer
und interaktiver Form. Ziel war, zu zeigen, dass Mathematik auch Spaß machen kann – so wurde beispielsweise in der Probability Machine durch das
Drücken eines Knopfes ein Mechanismus ausgelöst, der 30.000 Plastikbälle
durch ein Raster fallen ließ und somit eine Gauß’sche Kurve entstehen ließ8 .
Die Gebrüder Eames erschufen auch einige revolutionäre Filme, da sich dieses Kapitel aber vordergründig auf statische Infographics beschränkt, wird
erst in Abschnitt 4.3.2 auf Seite 68 auf diese eingegangen.
Mit der zunehmenden Verbreitung von Computern in den 1960ern nahm
auch die digitale Domäne des Informationsdesigns an Bedeutung zu. Hierbei
gilt Muriel Cooper als Schlüsselperson, sie legte in den 1970ern den Grundstein für den so genannten Visible Language Workshop, in dem sich Designer, Computerprogrammierer und -wissenschaftler mit der Beziehung zwischen Grafikdesign und Technologie auseinandersetzen. Im Hinblick auf die
Organisation von Information im digitalen Raum wurden neue Maßstäbe
gesetzt, natürlich spielte auch Interaktivität eine bedeutende Rolle bei der
Forschungsarbeit am Media Lab des MIT (Massachusetts Institute of Technology), das 1978 mit Cooper als Leitfigur ins Leben gerufen wurde. Obwohl Computer schon seit über 50 Jahren die Möglichkeiten besitzen, über
Telefonleitungen miteinander zu kommunizieren, wurde das Konzept des Internet erst 1989 von Tim Berners-Lee für das schweizer CERN 9 -Institut
entwickelt. 1993 entwickelte Marc Andreessen, ein Student der University of
Illinois, den ersten Browser der auch Bilddateien anzeigen konnte: Mosaic. Wenn man bedenkt, dass diese Entwicklung erst knapp 20 Jahre in der
Vergangenheit liegt, wirkt es schon beinahe beängstigend, wie sehr die Weiterentwicklungen im World Wide Web unsere Lebensweisen seit dem geprägt
haben und es voraussichtlich noch einige Zeit tun werden. Denn abgesehen
8
Unter der Adresse http://www.youtube.com/watch?v=AUSKTk9ENzg ist ein Beispiel für die Funktionsweise der Probabilty Machine zu finden.
9
Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire, bzw. Europäische Organisation für
Kernforschung.
3. Das Bild als Informationsträger
38
Abbildung 3.6: Ausschnitt aus The History Wall der Ausstellung Mathematica: A World of Numbers and Beyond des kalifornischen Museum of
Science and Industry 1961.
von etwa Veränderungen im Geschäftswesen oder einer völlig neuen (digitalen) Art zu kommunizieren oder Einkäufe zu tätigen ist auch der Zugang
zu und der Umgang mit Informationen neuartig – ganz zu schweigen von
den technischen Möglichkeiten der digitalen Domäne, die sich Vorreiter wie
Otto Neurath noch nicht im Traum hätten vorstellen können. Mehr zur Thematik des Internet im Bezug auf das Informationsdesign, im Speziellen auf
animierte Infographics, findet man in Kapitel 5 ab Seite 81.
3.5.2
Anwendungsgebiete und Klassifizierung
So umfangreich wie die Definitionen von Informationsdesign sind auch dessen Anwendungsbereiche. Bekannte Vertreter von Infographics wären etwa
Timelines, (Ablauf -)Diagramme, Beschilderungen, Symbole und Icons, Karten, 3D-Modelle, Storyboards, technische Illustrationen, Museumsausstellungen, Websites, Animationen 10 oder interaktive Installationen – man findet
Infographics also praktisch in jedem Bereich des Lebens. Eine Klassifizierung
anhand dieses riesigen Spektrums an Einsatzgebiete macht nur bedingt Sinn,
es existieren aber andere Kriterien, die für eine solche Einordnung und Unterscheidung geeigneter sind. Diese Kriterien sind die Informationsdichte
10
Animationen werden nicht in diesem Kapitel nur sehr oberflächlich behandelt, eine
ausführlichere Beschreibung von animierten Infographics befindet sich in Kapitel 4 ab
Seite 51.
3. Das Bild als Informationsträger
39
– also wie viel Informationen sich im Dargebotenen befindet – und die Publikumsgröße – also die Anzahl an Personen, für die das Resultat des Informationsdesign gedacht ist. Verschiedene Beispiele und deren Einordnung
werden in Abbildung 3.7 dargestellt.
Abbildung 3.7: Beispiele der Klassifizierung verschiedener Bereiche des
Informationsdesigns anhand Informationsdichte und Publikumsgröße.
3.5.3
Lernstile
Bedeutend für eine erfolgreiche und den kommunikativen Ansprüchen gerecht
werdende Gestaltung von Infographics (und weiters auch für Animationen,
die der Wissensvermittlung dienen) ist ein gewisses Verständnis um die Art
und Weise, inwieweit Rezipienten überhaupt fähig sind, solche visuellen Zeichen zu verarbeiten. Das weit verbreitete Dunn and Dunn Learning-Style
Model ist zwar nicht auf solche Bildzeichen beschränkt, dennoch ist ein allgemeines Wissen über die verschiedenen Typen von Lernern vorteilhaft für
die Disziplin des Informationsdesigns. Laut dem Modell kann man Lernende
in drei verschiedene Kategorien einordnen11 :
11
Man vergleiche hierbei das Dunn and Dunn Learning-Style Model mit der in Abschnitt
2.4.2 auf Seite 13 ähnlich vorgenommenen Kategorisierung von Zeichen im Allgemeinen.
3. Das Bild als Informationsträger
40
1. Visuell: Visuelle Lerner bevorzugen Bilder und merken sich visuell aufbereitete Informationen dementsprechend besser als Sprachkonstrukte.
Neben statischen Bildzeichen wie Diagrammen, Zeitreihen usw. gilt
dies natürlich auch für Bewegtbilder.
2. Verbal/Auditiv: Verbale bzw. auditive Lerner bevorzugen das geschriebene oder gesprochene Wort um Informationen zu speichern.
Konträr zu den visuellen Lernern denken sie daher eher in sprachlichen Konstrukten.
3. Taktil: Taktile Lerner eignen sich Wissen in Form von Experimenten
bzw. des aktiven Beschäftigens mit der Materie an, sie lernen quasi
„spielerisch“ durch taktile Erlebnisse.
Betrachtet man Infographics als spezielle Art von Wissensvermittlung,
so sind diese demnach am ehesten für visuelle Lerner geeignet. Einen besonderen Fall stellt die animierte Form von Infographics (mehr dazu im folgenden Kapitel) dar, da diese zwar vorrangig visuelle Lerntypen anspricht,
aber durch die beigefügten sprachlichen Konstrukte in Form von Typografie
und/oder gesprochenem Wort auch verbale Lerner bedient. Sind diese Animationen weiters mit Interaktivität versehen (wie etwa in Lernprogrammen
am Computer), so werden auch taktile Lerner angesprochen. Generell ist die
Informationsvermittlung umso erfolgreicher, je mehr Lernwege dabei benutzt
werden, da nicht nur ein größerer Personenkreis Zugang zum dargebotenen
Wissen erhält, sondern durch die oft entstehende Redundanz der Informationen diese auch besser abgespeichert werden können. Die Berücksichtigung
der verschiedenen vorgestellten Lerntypen – und sei es nur anhand durch
Auswahl eines geeigneten Mediums – ist also vorteilhaft für eine erfolgreiche
Kommunikation.
Generell gibt es verschiedene Theorien über die Funktionsweise des kognitiven Systems des Menschen, die auch im Hinblick auf die erwähnte Kombination von Möglichkeiten der medialen Informationsaufbereitungs. Mehr zu
dieser Thematik – besonders in Berücksichtigung von Animationen, also der
im Gegensatz zu Infographics nicht statischen Darstellung von Informationen
– befindet sich in Abschnitt 5.3 ab Seite 91.
3.5.4
Gestaltungsprinzipien
Schlichtheit
Bereits zu Zeiten der soziologischen Grafik, die sich ihren Weg in die Sozialmuseen des Wiens des 20. Jahrhunderts bahnte, entwickelten sich aus
den Anforderungen an diese darin vorkommenden Bildelemente12 bestimmte
Gestaltungsziele: Reinheit, Klarheit und Funktionalität. Im Sinne einer
12
Siehe Abschnitt 3.4.4 auf Seite 32.
3. Das Bild als Informationsträger
41
eindeutigen Kommunikation wurde auf jegliche Verzierung – wie sie noch
Jahrhundert davor etwa in Form von Ornamenten üblich war – verzichtet
und der Fokus statt dessen auf klare und „schnörkellose“ Formen gesetzt.
Diese angestrebte Eindeutigkeit in der formellen Gestaltung rührt aus einem
reduktionistischen Prinzip, das nicht erst in der Transformation von Wissen
in Bildform geschieht, sondern schon bei der Aufbereitung der dargebotenen
Informationen: Bereits zu diesem Zeitpunkt ist Auswahl, Strukturierung
und Reduktion der darzustellenden Erkenntnisse entscheidend für die erfolgreiche Kommunikation.
Strukturierung von Daten: Die Millersche Zahl
Für eine optimale Aufbereitung der von einer Infografik dargestellten Daten
ist es von Bedeutung, einige elementare Dinge über die Funktionsweise des
Gedächtnisses der Betrachter zu wissen. Der Psychologieprofessor George A.
Miller etwa entdeckte in den 1950er-Jahren, dass das Gehirn Informationen
in kleinen Einheiten (sog. Chunks) verarbeitet und die meisten Menschen nur
sieben Informationseinheiten im Kurzzeitgedächtnis behalten können.
Nur in seltenen Ausnahmefällen können auch maximal neun dieser Einheiten kurzfristig behalten werden, darum legte Miller sich auf die Schreibweise
„7 ± 2“ fest. Diese Erkenntnis wird in der Praxis etwa bei amerikanischen
Telefonnummern angewandt, in diesem Fall wird die tatsächlich zu wählenden Ziffernfolge „5417543010“ in drei Einheiten geteilt, in dieser Schreibweise
lautet die Telefonnummer dann „(541) 754-3010“ und ist bei weitem einfacher im Gedächtnis zu behalten als die vorherige, in zehn gleiche Einheiten
eingeteilte bloße Ziffernfolge.
Einzelelemente im Zusammenspiel
Bernd Weidenmann unterscheidet bei der Gestaltung von informierenden
Bildern zwischen zwei Möglichkeiten der notwendigen bildhaften Codierung13 :
• Darstellungscodes stellen bestimmte Inhalte in Form von so genannten visuellen Argumenten dar. Diese können wiederum in Abbilder
und logische Bilder unterteilt werden – während sich Abbilder die unmittelbare Beobachbarkeit des Darzustellenden zu Nutze machen indem sie markante optische Eigenschaften adäquat wiedergeben, werden
Sachverhalte bei logischen Bildern auf abstrakte bzw. symbolhafte Art
und Weise dargestellt. Der Zweck des Einsatzes von Darstellungscodes
ist also die angemessene Visualisierung eines Arguments.
• Steuerungscodes versuchen, die Rezeption des Beobachters zu beeinflussen indem sie eine gewisse Ordnung in der Komposition aus einzelnen Bildelementen herstellen. Diese kann entweder explizit, also durch
13
Siehe [81].
3. Das Bild als Informationsträger
42
den zusätzlichen Einsatz von grafischen Zeichen (z.B. Pfeile oder Hervorhebungen), oder implizit, also durch eine Abweichung von der als
Norm betrachteten Darstellungsform (z.B. Variation von Größe oder
Detailreichtum), geschehen. Der Zweck des Einsatzes von Steuerungscodes ist also die Steuerung der Extraktion eines Arguments.
Unabhängig von ihrem konkreten praktischen Einsatz in einer Infografik
betrachtet ist die Wahl der angemessenen Darstellungsform einzelner Begrifflichkeiten für das Verständnis dieser natürlich essenziell. Doch was Anfang des 20. Jahrhunderts noch so revolutionär erschien, gilt mittlerweile als
Grundvoraussetzung für den sinnvollen Einsatz von Informationsdesign: Erst
die Herstellung einer Relation zwischen den verschiedenen Einzelelementen
macht es möglich, komplexe Sachverhalte bildhaft zu veranschaulichen und
diese Elemente in eine nachvollziehbare Ordnung einzugliedern. Diese Tatsache, also dass das Ganze mehr als nur die Summe seiner Bestandteile ist,
wurde von den Gestaltungspsychologen Kurt Koffka, Wolfgang Köhler und
Max Wertheimer in den 1930er-Jahren in einer Reihe von Regeln zusammengefasst, die gemeinsam als Prinzipien der Wahrnehmung bekannt
sind. Im folgenden werden einige dieser Regeln erläutert, Beispiele sind in
den Abbildungen 3.8 und 3.8 dargestellt.
• Das Gesetz der Nähe besagt, dass nahe beieinander liegende Objekte
als eine zusammengehörige Gruppe gesehen werden, deren Bestandteile
demnach deshalb gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen und eine Einheit
bilden.
• Das Gesetz der Ähnlichkeit besagt, dass ähnlich aussehende Objekte14 als zusammengehörig betrachtet werden.
• Das Gesetz der Geschlossenheit besagt, dass man dazu eignet,
Figuren und Objekte als geschlossen wahrzunehmen, obwohl sie es
nicht sind. Dies erfolgt durch eine unterbewusste Vervollständigung
der wahrgenommen visuellen Formen.
• Das Gesetz der Einfachheit besagt, dass Figuren stehts in einer
möglichst simplen und damit einprägsamen Weise interpretiert werden.
• Das Gesetz der guten Fortsetzung besagt, dass wir im Fall zweier sich treffenden Linien davon ausgehen, dass sich diese schneiden,
anstatt nur einen gemeinsamen Berührungspunkt aufzuweisen.
• Laut der Figur-Grund-Beziehung unterscheidet man bei der Betrachtung einer Fläche immer zwischen Vorder- und Hintergrund. Der
14
Die formellen Attribute, durch die die Ähnlichkeit zu Stande kommt, werden in Abschnitt 2.4.3 auf Seite 18 aufgelistet.
3. Das Bild als Informationsträger
43
Vordergrund ist die wahrgenommene Figur, der Hintergrund quasi der
Rest der zur Verfügung stehenden Fläche. Aber auch wenn beispielsweise ein Objekt kleiner als das andere dargestellt wird ist es wahrscheinlich, dass das kleinere der Objekte durch die Annahme einer
perspektivischen Illusion als Hintergrundelement betrachtet wird.
Abbildung 3.8: Links: Das Gesetz der Nähe sorgt dafür, dass wir eher die
eingerahmen horizontalen als die vertikalen Punktreihen als zusammgenhörig erkennen. Mitte: Das Gesetz der Ähnlichkeit lässt uns die Objekte in 2
Gruppen (dunkle Kreise, helle Quadrate) einteilen. Rechts: Durch das Gesetz der Geschlossenheit sehen wir 2 Quadrate, obwohl diese keine vollständig
durchgängigen Begrenzungen aufweisen.
Abbildung 3.9: Links: Das Gesetz der Einfachheit lässt uns eher zwei übereinanderliegende Quadrate als acht ringförmig angeordnete Dreiecke sehen.
Mitte: Das Gesetz der guten Fortsetzung besagt, dass wir eher die Liniensegmente a und b, bzw. c und d als jeweils durchgängige Linie erkennen, die
sich im Punkt x kreuzt, und nicht etwa a und c bzw. d und b als Linien,
die sich in Punkt x berühren. Rechts: Die Figur-Grund-Beziehung lässt uns
(als wichtig erkannte) Vordergrundelemente – in diesem Fall das schwarze
Quadrat – von (als unwichtig erkannten) Hintergrund unterscheiden.
3.5.5
Beispiel: Disk Space
In diesem Abschnitt sollen anhand eines Beispiels einige der in diesem Kapitel beschriebenen Theorien, Prinzipien und Überlegungen zum Thema Infographics aufgezeigt werden. Hierfür dient die Grafik Disk Space von Section
3. Das Bild als Informationsträger
44
Design. Es zeigt die historische Entwicklung portabler Speichermedien und
markante Eigenschaften wie etwa den verfügbaren Speicherplatz oder die
Datendurchsatzrate. Außerdem werden wichtige Meilensteine in der Computergeschichte, die sich auf die behandelte Thematik auswirken, ebenfalls
dargestellt.
Im Hinblick auf Publikumsgröße und Informationsdichte15 könnte man
die Grafik am ehesten in das rechte obere Viertel der auf Seite 39 dargestellten Abbildung 3.7 einordnen – sie weist also eine eher hohe Informationsdichte auf, die einem speziellen Publikum (EDV-Interessierte) vermittelt
werden soll.
Klassifiziert man die eingesetzten bildlichen Zeichen anhand ihrer Darstellungsart, so werden laut Kapitzkis Einordnung16 Ikonogramme für die
im unteren Bildteil dargestellten Typen von Speichermedien und Diagramme (speziell in Form von so genannten Dataspheres) für die Darstellung der
chronologischen Abläufe verwendet. Nach Alesandrini17 würde es sich also
bei ersteren um representational graphics, bei zweiteren um arbitrary graphics handeln.
Hinsichtlich der Gestaltungsprinzipien für Infographics18 ist anzumerken,
dass die Gestaltungsziele (Reinheit, Klarheit und Funktionalität) durch eine klare Strukturierung der aufbereiteten Daten und der Einordnung dieser
in die benutzte Diagrammart erreicht werden. Das einzige rein dekorativ
wirkende Element ist der graue Hintergrund bzw. dessen besonders an der
Rändern abgegriffener Look. Betrachtet man die bildhafte Codierung laut
Weidenmann, so können beinahe alle vorkommenden Elemente den Darstellungscodes zugewiesen werden. Eindeutig als explizite Steuerungscodes
beschreibbare Inhalte sind nicht vorhanden, als implizite Steuerungscodes
könnte man etwa die chronologische Anordnung der Entwicklungen im Uhrzeigersinn identifizieren.
3.6
Instrumentalisierung von Bildern
Es liegt auf der Hand, dass Bilder beim Betrachter bestimmte Reaktionen
hervorrufen sollen, bzw. dass die bildhafte Darstellung im Allgemeinen gewisse Ziele verfolgt. Ein für diese Arbeit wichtiger Bereich ist der in den
vorigen Abschnitten dieses Kapitels behandelte Wissens- bzw. Erkenntnisgewinn, in diesem Bereich sind Bilder bereits fest in didaktischen Konzepte eingebunden und etabliert. Das Spektrum der bildlichen Mittel ist jedoch riesig und reicht von fotografischen Abbildungen der Wirklichkeit über
15
Siehe
Siehe
17
Siehe
18
Siehe
16
Abschnitt
Abschnitt
Abschnitt
Abschnitt
3.5.2
3.3.1
3.3.1
3.5.4
auf
auf
auf
auf
Seite
Seite
Seite
Seite
3.5.2.
26.
27.
40.
3. Das Bild als Informationsträger
45
Abbildung 3.10: Infographic Disk Space von Section Design aus dem Jahre
2009.
Techniken zur Visualisierungen von für das menschliche Auge nicht unmittelbar sichtbaren Sachverhalten19 bis hin zur Verdichtung punktuellen Wissens durch kartografischen Abbildungen oder der bildhaften Darstellung rein
abstrakter Gegebenheiten wie etwa der Machtverhältnisse in einem Staats19
Siehe Abschnitt 2.3.1 ab Seite 7.
3. Das Bild als Informationsträger
46
gefüge. Betrachtet man etwa die Möglichkeiten des Einsatzes von Farben, so
zeigen sich klare Unterschiede hinsichtlich Intention und Bedeutungsvielfalt:
Während diese etwa bei künstlerischen Werken dem Zweck dienen, Emotionen auszulösen, will die Werbung mittels Farbe meist die Suggestionskraft
von Bildern nutzen, um eine Kaufentscheidung beim Betrachter zu bewirken.
Fakt ist, dass alles Sichtbare eine Oberfläche darstellt, die zur Gestaltung
auffordert. Das Vermitteln von Anschauungen ist fest mit diesem Prozess
verbunden und lässt sich beinahe unmöglich vermeiden – wie auch im Bezug
auf Sprache in Abschnitt 2.3.3 auf Seite 11 erwähnt wurde, beeinflusst jede
gestalterische Entscheidung das entstehende Resultat und eröffnet demnach
auch andere Interpretationsspielräume.
Wie bereits in Abschnitt 3.2.2 auf Seite 24 erwähnt, besitzen Bilder eine
Appellfunktion, die eine schnelle Verarbeitung der dargestellten Sachverhalte ermöglicht. Problematisch ist, wenn die Bilder durch konstant zunehmende Präsenz ungeprüft konsumiert werden: Dies resultiert nicht zuletzt
aus der Tatsache, dass eine Bildkompetenz, also die kritische Auseinandersetzung mit Bildmedien, an Schulen kaum gelehrt wird. Dadurch werden
Bilder oft unterschätzt, was im schlimmsten Fall nur einen oberflächlichen
und unreflektierten Umgang mit ihnen ermöglicht. Da sie vom Betrachter
trotz allem interpretiert werden müssen, kann eine Fehlinterpretationen nicht
ausgeschlossen werden. Diese kann daher rühren, dass ein zu vermittelnder
Inhalt auf der Seite des Bildschaffenden nicht ideal für die Darstellung als
Bild aufbereitet worden ist und der Sender deshalb seine Botschaft nicht wie
gewünscht kommunizieren konnte. Aber auch die willkürliche Manipulation und die Instrumentalisierung von Bildmedien geht seit jeher von Statten,
beispielsweise machten und machen sich Propaganda-, Werbe-, Mode-, Filmund Musikindustrie den Identifikationswert von Bildern und deren Massenwirksamkeit zu Nutze.
Die Massen können nur in Bildern denken und lassen sich nur
durch Bilder beeinflussen. Nur diese schrecken oder verführen sie
und werden zu Ursachen ihrer Taten. (Gustave LeBon, [73, S.
14])
Die Instrumentalisierung von Bildern erfolgt immer durch Manipulation
des bildlichen Inhalts zum Zweck des Transports einer bestimmten Aussage
oder Einstellung. Das wichtigste am Resultat ist lediglich die Glaubwürdigkeit – sind die Bilder nicht überzeugend, so kann natürlich auch keine
Beeinflussung der Denkweise des Betrachters erreicht werden. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass mit in den letzten Dekaden stattgefundenen
zunehmenden Digitalisierung, der damit einhergehenden Reproduzierbarkeit und immer einfacher zu bedienenden Programmen zur Bildbearbeitung
im Vergleich zu der Zeit davor zwar sowohl die manipulativen Möglichkeiten, aber natürlich auch das Wissen der Menschen um diese Möglichkeiten
zugenommen hat.
3. Das Bild als Informationsträger
3.6.1
47
Erschaffung neuer Weltbilder
Wie erwähnt ist mit der Abbildung von Wissen und Erkenntnissen in Bildform der Prozess des Aufbereitung und Umstrukturierung von Informationen
verbunden, welcher das Ergebnis und damit das im Gedächtnis des Beobachters geschaffenen Gedankenbild maßgeblich beeinflussen kann. Dies ist allgemein bei Gegebenheiten, die mit dem Auge nicht unmittelbar beobachtbar
sind, der Fall – im Speziellen bei der Verdichtung punktuellen Wissens in
Form von Kartografien ist seit ihrer Existenz eine Wechselwirkung zwischen diesen selbst und Weltbildern in den Köpfen der Menschen auszumachen. Die Realität wird allein schon durch Wahl des Ausschnitts der abgebildeten Region und die notwendige Reduktion auf das Wesentliche nicht
objektiv und mit allen Details abgebildet, sondern lediglich in unseren Gedanken konstruiert. Beispielsweise befindet sich auf vielen Karten aus dem
13. Jahrhundert die Stadt Jerusalem im Mittelpunkt – allein hierdurch wird
weit mehr als nur die geografische Lage der Stadt vermittelt. Generell spielen (natürlich neben der erwähnten Wahl des Bildausschnitts) zwei Faktoren
im Zusammenhang zwischen Karten und Weltbildern eine wichtige Rolle:
Farben und Verzerrungen.
Zum Einsatz von Farben ist anzumerken, dass besonders die Farbe Rot
eine spezielle Rolle in frühen Kartografien des 13. Jahrhunderts besetzte:
Jene Orte, die in der christlichen Heilsgeschichte von Relevanz waren, wurden hauptsächlich mit dieser Farbe gekennzeichnet. Auch Gold wurde für die
Hervorhebung der Heiligen Stätten verwendet, Blau galt anfangs ausschließlich als Farbe der christlichen Göttlichkeit. Erst im 16. Jahrhundert fand im
Zuge der Renaissance eine Vereinheitlichung der Farbsymbolik statt, die die
christliche Bedeutung nach und nach verschwinden lassen sollte: Das Meer
wurde blau, das Land bräunlich-grün koloriert. Dies bedeutet aber nicht, dass
Farben nicht dennoch symbolhaft eingesetzt wurden – dies zeichnet sich beispielsweise an der Imperial Federation Map of the World (siehe Abbildung
3.11) ab. Auch die in Abbildung 3.12 gezeigte Weltkarte von Sandór Radó
macht sich die suggestive Wirkung der Farbe Rot zunutze, er bediente sich
außerdem der Verzerrung des Gitternetzes der Längen- und Breitengrade,
um die Sowjetunion so bedrohlich darzustellen, wie der Antikommunist sie
empfand.
3.6.2
Manipulation von Fotografien
Am häufigsten erfolgt die Instrumentalisierung von Bildern heutzutage durch
die Technik der Fotomanipulation. Hierbei macht man sich den abbildendenden und damit authentisch wirkenden Charakter von Fotografien in Kombination mit ihrer Appellwirkung zu Nutze. Man muss auch an dieser Stelle
anmerken, dass die virtuelle Manipulation am Computer die letzten Barrieren der analogen Retusche überwunden hat, und sich dies auch auf die
3. Das Bild als Informationsträger
48
Abbildung 3.11: Die 1886 in London angefertigte Imperial Federation Map
of the World zeigt London als Mittelpunkt der Welt und benutzt die Farbe
Rot, um die britischen Kolonien auf dieser Karte besonders hervorzuheben.
Abbildung 3.12: Die 1919 von Sandór Radó erstellte Karte Die proletarische Großmacht - Die Sowjetunion, die sich sowohl der farblichen Hervorhebung, als auch einer Verzerrung bedient, um die Sowjetunion so bedrohlich
wirken zu lassen, wie Radó sie empfand.
Häufigkeit der praktischen Anwendung ausgewirkt hat: Praktisch kein Bild,
das man etwa auf Titelseiten von Magazinen findet, ist unbearbeitet bzw.
tatsächlich „echt“. So werden etwa Models auf Titelseiten von Modemagazinen zu beinahe surreal gut aussehenden Wesen, die man auf diese Art und
Weise niemals in der Realität antreffen könnte.
Die Fälschung von Bildern war aber natürlich schon vor dem Einsatz von
3. Das Bild als Informationsträger
49
Computern ein gängiges Prinzip – besonders zu politischen Zwecken steht die
Bildmanipulation seit der Existenz von Bildern selbst an der Tagesordnung.
Ein Beispiel hierfür befindet sich in Abbildung 3.13.
Die Aussage, die mit der Manipulation transportieren werden soll, kann
aber auch auf subtilere Art und Weise beeinflusst werden. So ist es – wie
beispielhaft in Abbildung 3.14 dargestellt – auch durch die bloße Veränderung des Bildausschnitts möglich, eine komplett andere Wirkung beim
Betrachter zu erzielen.
Weiters ist die Bildcollage als Technik zur Bildmanipulation zu nennen.
Hierbei muss besonders auf die Abstimmung der einzelnen Bildelemente und
deren Anordnung geachtet werden, da jede (bewusst oder unbewusst) wahrgenommene Unstimmigkeit in der Komposition zu Lasten der Glaubhaftigkeit des Bildes geht. Ein Beispiel einer Bildcollage aus jüngerer Vergangenheit
wird in Abbildung 3.15 dargestellt.
Abbildung 3.13: Ein Beispiel für analoge Fotomanipulation aus politischen
Zwecken: Die späteren Regimegegner Kamenew und Trotzki wurden aus dem
1920 entstandenen Originalfoto mit Lenin (li.) entfernt.
3. Das Bild als Informationsträger
Abbildung 3.14: Beispiel für die Mehrzahl an möglichen Interpretationsmöglichkeiten, die sich aus der Wahl des Bildausschnitts ergeben können:
Ein von amerikanischen Soldaten umgebener irakischer Soldat im Irak-Krieg
2003.
Abbildung 3.15: Beispiel für die verloren gehende Glaubhaftigkeit durch
grobe Mängel bei einer von der Firma BP im Jahr 2010 erstellten Bildcollage.
50
Kapitel 4
Motion Graphics
4.1
Einleitung
Dieses Kapitel widmet sich zuerst dem Versuch der Begriffsbestimmung bzw.
Abgrenzung des Begriffs Motion Graphics. Anschließend wird die Geschichte der Animation behandelt (siehe Abschnitt 4.2 ab Seite 53), bis dann ab
Abschnitt 4.3 (ab Seite 68) auf das eigentliche Kernthema dieser Arbeit eingegangen wird – nämlich dem Einsatz von Motion Graphics speziell zum
Zweck der Informationsvermittlung. Hierbei sei besonders auf die in Abschnitt 4.3.4 (ab Seite 72) vorgestellten Beispiele verwiesen, anhand denen
die in dieser Arbeit bis zu diesem Kapitel behandelten Prinzipien und Theorien der visuellen Kommunikation erläutert werden.
An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass einige für Motion Graphics als
Wissensvermittler ebenfalls bedeutende Themen nicht im letzten Abschnitt
dieses Kapitels, sondern erst in Kapitel 5 ab Seite 81 behandelt werden.
4.1.1
Begriffsbestimmung
Es existiert keine wirklich offizielle Definition des Begriffs Motion Graphics.
Generell handelt es sich um grafische Elemente, die eine Bewegungsillusion beim Betrachter hervorrufen und in den meisten Fällen auch akustisch
untermalt sind. Obwohl Motion Graphics weitläufig in die Kategorie der elektronischen Medien eingeordnet werden, gelten auch die im Abschnitt 4.2 beschriebenen Gerätschaften zur Erzeugung einer Bewegungsillusion, wie z.B.
das Thaumatrop, Zoetrop oder Praxinoskop, als Motion Graphics.
Laut MoGraphWiki 1 handelt es sich dabei um kurze Sequenzen von zeitbasierten, visuellen Medien, welche die Sprache von Film und Grafikdesign
kombinieren. Diese Kombination kann über die Einbindung verschiedener
1
MoGraphWiki ist eine Website ähnlich Wikipedia, die sich ausschließlich
mit Motion Graphics beschäftigt. Zu finden ist die Seite unter der Adresse
http://www.mographwiki.net/.
51
4. Motion Graphics
52
Elemente wie etwa 2D- und 3D-Animation, Video, Film, Typographie, Illustration, Fotografie und Musik bewerkstelligt werden. Das Spektrum dieser
Domäne reicht demnach von subtilem Einsatz animierter grafischer Elemente bis hin zu aufwändigen, mit Spezialeffekten versehenen Kombinationen
verschiedenster Stilmittel. Eine direkte Übersetzung des Begriffs würde die
Bezeichnung Grafikdesign in Bewegung nahelegen, hinsichtlich der Breite des
genannten Spektrums einsetzbarer Elemente würde der Terminus dieses aber
bei weitem nicht abdecken, außerdem wäre nach dieser Definition auch ein
rotierendes Logo vor einem Supermarkt ein Beispiel für Motion Design.
Da sich eine eindeutige Begriffsbestimmung als schwierig erweist, wird im
folgenden versucht, Motion Graphics anhand typischer Merkmalen zu klassifizieren. Matt Frantz definiert in seiner 2003 erschienen Publikation Changing
Over Time: The Future of Motion Graphics 2 drei markante Charakteristika,
durch die sich die schwer eindeutig definierbaren Animationen auszeichnen:
1. Motion Graphics sind per Definition zweidimensional, Dreidimensionalität kann lediglich als Illusion im Kopf des Betrachters entstehen. Das
bedeutet, dass sie zwar eine bestimmte Höhe und Breite, aber keine
physische Tiefe besitzen.
2. Hinsichtlich der Interaktivität stellt man fest, dass sie zwar auch in interaktiven Medien eingesetzt werden, der Betrachter aber im Regelfall
keinerlei Kontrolle über deren Verlauf besitzt.
3. Weiters müssen sie sich – entgegen der Vermutung, die durch Deutung
der Bezeichnung „Motion Graphics“ naheliegt – nicht zwingend bewegen. Beispielsweise könnte auch eine Animation, deren Elemente ihre
Position nicht verändern, aber über den zeitlichen Verlauf die Farben
wechseln, in die Kategorie Motion Graphics eingeordnet werden.
Neben diesen Attributen zeichnen sie sich durch ihre oftmals nicht über
wenige Minuten hinausgehende Spieldauer aus, welche hauptsächlich aus der
Aufmerksamkeitsspanne der Betrachter resultiert.
4.1.2
Abgrenzungen
Abgrenzung zum Bild
Da es sich bei Motion Graphics um zeitbasierte Medien handelt, liegt auf
der Hand, dass diese sich im Vergleich zu Bildern besser zur Veranschaulichung zeitlicher Abläufe eignen. Natürlich müssen Bilder nicht immer eine Augenblicks-Wirklichkeit festhalten, sie können auch eine kinematische
Wirklichkeit zeigen. Dies ist allerdings nur in Form der erwähnten Bildfolgen
(wie z.B. Comics) oder anhand auf einem Einzelbild dargestellten Bahnen
2
Siehe [30].
4. Motion Graphics
53
von Bewegungen (wie etwa durch explizite Steuerungscodes 3 ) möglich. In diesem Zusammenhang ist auch der unterschiedliche Zeitaufwand zur Auswertung (bzw. der Interpretationsaufwand ) von Motion Graphics und Bildern
erwähnenswert. Erstere sind im Idealfal so konzipiert, dass sie quasi „in Echtzeit“ interpretiert werden können, um eine erfolgreiche Kommunikation über
die gesamte Spieldauer zu ermöglichen, während zweitere durchaus längere
Zeit zur Auswertung in Anspruch nehmen können.
Abgrenzung zum (Spiel-)Film
Wie in Abschnitt 4.2 noch genauer erläutert wird, wurden die ersten Motion Graphics für Spielfilme produziert, um Informationen (in diesem Fall
die Namen der Mitwirkenden in Form von so genannten Openern) optisch
ansprechend darzustellen, welche mit ausschließlich fotografischen bzw. filmischen Mitteln in dieser Form nicht oder nur sehr bedingt festgehalten werden
konnten (und können). Filme können also Motion Graphics, und Motion Graphics filmische Bestandteile enthalten. Neben den erwähnten Openern können sie auch zu narrativen Zwecken eingesetzt werden, ein Beispiele hierfür
wäre etwa im Film Stranger Than Fiction (siehe Abbildung 4.1) auffindbar.
Ein wichtiges Abgrenzungskriterium ist die Spieldauer: Während Filme im
klassischen Sinn meist länger als eine Stunde4 dauern, sind Motion Graphics
im Regelfall nur einige Minuten lang.
Abgrenzung zu Visual Effects
Als Visual Effects bezeichnet man Elemente in Filmen, die in der Postproduktion (also nach dem Vorgang des Filmens) hinzugefügt werden (Beispiel
siehe Abbildung 4.2). Sofern in Filmen eingesetzt, trifft diese Eigenschaft
natürlich auch auf Motion Graphics zu. Ein wesentliches Abgrenzungskriterium ist aber der Anspruch an Realismus, den Visual Effects stellen, um
eine glaubhafte Illusion bei den Zuschauern zu ermöglichen. Dieser Anspruch
ist bei Motion Graphics meist nicht vorhanden, da sie eher mit Grafikdesign
verwandt sind und aus diesem Grund andere Zwecke erfüllen.
4.2
Geschichte
In diesem Abschnitt werden die Ursprünge von Motion Graphics behandelt.
Eingangs werden die technische Errungenschaften geklärt, die es im Laufe
der Zeit überhaupt erst möglich gemacht haben, letztendlich mit dem zeitbasierten Medium Film zu arbeiten. Anschließend wird der Fokus von der
3
Siehe Abschnitt 3.5.4 auf Seite 41.
Der Begriff Spielfilmlänge steht allgemein für eine zeitliche Dauer von mindestens 90
Minuten.
4
4. Motion Graphics
54
Abbildung 4.1: Stills aus dem Film Stranger Than Fiction (Columbia Pictures, 2006), in dem Motion Graphics sowohl als narratives Element (Bildreihe oben) als auch für die Credits (Bildreihe unten) einsetzen.
Abbildung 4.2: Beispiel für Visual Effects anhand des Films Alice im Wunderland (Walt Disney Pictures, 2010).
technischen Seite auf das konkrete Schaffen bzw. die Werke einiger bedeutender Künstler gesetzt, die eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet von Motion
Graphics spielten. Der letzte Abschnitt5 widmet sich dann dem Einfluss von
Computern und der zunehmenden Digitalisierung, die seit den 1960er-Jahren
von statten gegangen ist.
An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass in diesem Abschnitt nicht
das komplette Spektrum an Einsatzgebieten von Motion Graphics behandelt
wird, sondern nur die für die Entstehung des Bewegtbilds als Informationsträger und Wissensvermittler relevanten Bereiche. Einsatzgebiete wie etwa
Broadcast Design, Network Branding, Werbung oder DVD-Authoring werden
nicht behandelt.
5
Siehe Abschnitt 4.2.5 auf Seite 66
4. Motion Graphics
4.2.1
55
Frühe optische Erfindungen
Panathenäische Preisamphoren
Bereits lange bevor sich das Bewegtbild, wie wir es heute in Form von Filmen und Animationen kennen, etablieren konnte, besaß der Mensch bereits
einen Sinn für Bewegung, den sich in bestimmten Formen manifestierte. Eine
solche Bewegung wird etwa auf den ca. 500 v. Chr. datierten Panathenäischen Preisamphoren (siehe Abbildung 4.3) durch mehrere Abbildungen der
selben sich in Bewegung befindlichen Lebewesen vermittelt. Der Betrachter
versucht instinktiv, die auf statischen Bildern fehlenden zeitlichen Abläufe
durch das Herstellen von Zusammenhängen zwischen einzelnen Bildern zu
verstehen. Ein anderes Beispiel hierfür wären etwa Fotoerzählungen und Comicstrips, bei deren Betrachtung durch das sequentielle Interpretieren von
Bild- (und auch Text-)Informationen eine kinematische Wirklichkeit erzeugt
will – ein Bild kommentiert also das vergangene bzw. folgende.
Laterna Magica
Die ersten Erfindungen, die man als animierte Unterhaltung bezeichnen
könnte, wurden bereits im 17. Jahrhundert entwickelt. Die Laterna Magica
(siehe Abbildung 4.4) etwa machte es erstmals möglich, dynamische bildliche Inhalte auf eine Wand zu projizieren. Dies wurde durch eine in der
Gerätschaft befindliche Lichtquelle, die durch bemalte oder mit Fotografien
versehene Glasplatten auf eine Projektionsfläche leuchtet, ermöglicht – ein
Prinzip, das bis heute eingesetzt wird (z.B. in Dia- oder Filmprojektoren).
Durch Wechseln und Bewegen der Laternbilder konnte so die Illusion einer
fortlaufenden Bewegung erschaffen werden.
Die Laterna Magica wurde beispielsweise bei Aufführungen von Goethe’s
Faust eingesetzt: Auf der Bühne projizierte man (statische) Bilder auf (sich
bewegenden) künstlichen Nebel, dadurch entstand ebenfalls der Eindruck
von Bewegung.
Abbildung 4.3: Panathenäische
Preisamphore, ca. 500 v. Chr.
Abbildung 4.4: Laterna
Magica, erfunden um 1670.
4. Motion Graphics
56
Thaumatrop
Eine Vorrichtung, die sich die Trägheit des Auges6 zu Nutze macht, wurde
in den 1820er-Jahren unter dem Namen Thaumatrop (siehe Abbildung 4.5)
bekannt. Hierbei handelt es sich um eine beidseitig bebilderte Papierscheibe,
an deren Seiten zwei Fäden befestigt waren. Nimmt man die Schnüre in die
Hand und dreht man die Papierscheibe schnell um die sich ergebende Achse,
so entsteht die Illusion, dass die Motive beider Seiten übereinander gelegt
werden.
Abbildung 4.5: Thaumatrop, erfunden 1826.
Phenakistoskop, Zoetrop und Praxinoskop
Einige Jahre später wurde das Phenakistoskop 7 (siehe Abbildung 4.6 links)
erfunden. Es besteht im Wesentlichen aus einer rotierbaren Scheibe, auf deren Außenring kreisförmig („tortenstückartig“) Zeichnungen angebracht sind,
welche wiederum durch Schlitzen unterteilt werden. Steht der Betrachter vor
einem Spiegel und dreht die Scheibe, so offenbart sich bei einem Blick durch
die Schlitze auf die Scheibe im Spiegel eine Bewegungsillusion.
Eine Variante des Phenakistoskops, die keinen Spiegel für die Betrachtung benötigt, ist das Zoetrop (siehe Abbildung 4.6 mitte). Hierbei wird ein
nach oben offener Zylinder rotiert, in dem sich wie beim Vorgänger Einzelbilder eines Bewegungsablaufs befinden, die durch Schlitze betrachtet werden.
Das Zoetrop wurde ebenfalls weiterentwickelt und bald vom daraus entstandenen Praxinoskop (siehe Abbildung 4.6 rechts) ersetzt. Dieses benutzt
keine Schlitze, um die Bilder durch diese zu betrachten, sondern Spiegel,
die auf der Außenseite eines eigenen Zylinder angebracht sind, welcher sich
6
Diese Eigenschaft des menschlichen Auges sorgt dafür, dass mehrere schnell aufeinander folgende Einzelbilder als zusammenhängende Sequenz gesehen werden. Grund hierfür
ist die Tatsache, dass die Netzhaut im Auge jedes wahrgenommene Bild für einen kurzen
Moment festhält.
7
1832 wurde die Gerätschaft unabhängig voneinander von zwei Personen entwickelt:
Der Belgier Joseph Antoine Ferdinand Plateau nannte sein Schaffenswerk Phenakistoskop,
der Österreicher Simon Ritter von Stampfer bezeichnete es als Stroboskop.
4. Motion Graphics
57
selbst im Praxinoskop befindet. Dieses Prinzip ermöglicht eine Vermeidung
von Dunkelpausen zwischen den Einzelbildern und dadurch eine bessere Bildqualität. Auch diese Erfindung wurde weiter ausgebaut: So war es durch den
Einsatz von längeren Papierrollen (anstatt von 8 oder 12 sich in einer Endlosschleife befindlichen Bilder in der ursprünglichen Variante) möglich, bei
weitem längere Vorführungen durchzuführen. In Kombination mit einem Projektionsgerät entstand das Optische Theater (bzw. Théâtre Optique), welches
sich für einige Jahre größter Beliebtheit erfreute.
Abbildung 4.6: Links: Scheibe eines Phenakistoskops, erfunden 1832. Mitte:
Zoetrop, erfunden 1834. Rechts: Praxinoskop, erfunden 1877.
Zoopraxiskop
Ende der 1860er-Jahre wurde der Fotograf Eadward Muybridge damit beauftragt, der Behauptung nachzugehen, dass die Bewegungsabläufe von Pferden8 nicht dem entsprachen was die Mehrheit der Menschen glaubten. Es
galt zu beweisen, dass es während des Laufens eine Phase gibt, in der das
Tier mit keinem Bein den Boden berührt („Flugphase“). Da dies nicht durch
Beobachtung mit freiem Auge bewerkstelligt werden konnte, sollte die Fotografie Abhilfe schaffen: So entstanden nach und nach die berühmten Fotoserien9 von Muybridge, allem voran The Horse in Motion (siehe Abbildung
4.7 links). Die Studien sind nach wie vor eine große Hilfe für das Verständnis
von Bewegung.
Da sich die Bilderreihen größter Beliebtheit erfreuten, erfand Muybridge
das Zoopraxiskop (siehe Abbildung 4.7 rechts), um seine Erkenntisse einem
größeren Publikum vorführen zu können. Die Gerätschaft, deren Funktionsweise sich durch das Durchleuchten von sich drehenden, bemalten Scheiben
8
Pferde genossen in dieser Zeit ein hohes gesellschaftliches Ansehen, da sie sowohl als
Verkehrs- und Transportmittel im alltäglichen Gebrauch als auch für die Kriegsführung
unabdingbar waren.
9
Es entstanden insgesamt über 100.000 detaillierte Bewegungsstudien von Tieren und
Menschen.
4. Motion Graphics
58
bzw. der Projektion der darauf befindlichen Einzelbilder auf eine Fläche auszeichnet, gilt als Vorläufer von Film- bzw. Diaprojektoren.
Abbildung 4.7: Links: The Horse In Motion von Edward Muybridge.
Rechts: Zoopraxiskop, erfunden 1879.
Kinematograph
Der Kinematograph (siehe Abbildung 4.8 links) der Gebrüder Auguste und
Louis Lumière ist der erste Apparat in der Geschichte des Films, der es
bis zur Massenproduktion schaffte. Mit seiner Hilfe konnten Filme der Öffentlichkeit erstmals auf großen Leinwände präsentiert werden. Eine Besonderheit der Gerätschaft war, dass sie sowohl für Aufnahme- als auch für
Wiedergabe- und Vervielfältigungszwecke benutzt werden konnte. Vorteilhaft (besonders im Vergleich zum damals konkurrierenden Guckkasten) war,
dass durch die Technik der Projektion eine hohe Zahl an Zuschauern pro
Vorführung möglich war. Weiters handelte es sich um ein tragbares Gerät,
das eine flexible und ortsungebundene Arbeitsweise der Filmschaffenden ermöglichte.
Der erste mit dem Kinematographen gedrehte Film entstand im März
1985 und ist unter dem Namen La Sortie Des Usines Lumière (Arbeiter verlassen die Lumière-Werke, siehe Abbildung 4.8 rechts) bekannt. Noch im
selben Monat wurde der Film der sogenannten Gesellschaft für die Förderung der nationalen Industrie in Paris vorgeführt – unter Ausschluss der
Öffentlichkeit. Diese sollte erst ein paar Monate später an den Ergebnissen
der technischen Errungenschaft teilhaben: Der 28. Dezember 1895 sollte
als die Geburtsstunde des Kinos in die Geschichte eingehen. An diesem
Tag zeigten die Gebrüder Lumière zehn ihrer Filme öffentlich im Grand Café
in Paris.
4.2.2
Die ersten Animationen
Neben diesen mit Hilfe einer frühen Ausführung einer Kamera aufgenommenen Filmen entstand auch das Konzept von Zeichnungen, die sich auf der
(Kino-)Leinwand bewegen sollten. Die Urprünge dieser liegen in den meist in
Zeitungen und Magazinen abgebildeten (häufig politischen) Karikaturen und
Comic Strips – der erste animierter Film der Geschichte wurde im Jahre 1906
4. Motion Graphics
59
Abbildung 4.8: Links: Kinematograph, patentiert am 14. Februar 1895.
Rechts: Still aus Arbeiter verlassen die Lumière-Werke von 1985.
vom Zeitungs-Cartoonisten J. Stuart Blackton erstellt. Der Kurzfilm mit dem
Titel Humorous Phases of Funny Faces (siehe Abbildung 4.9) hauchte durch
die schnelle Aneinanderreihung von 20 Bildern pro Sekunde den auf eine
Tafel gezeichneten Charakteren Leben ein. Kurze Zeit darauf entstand Fantasmagorie von Emile Cohl, das Werk gilt als erste voll animierte Animation
– das bedeutet, jedes Bild wurde komplett aufs Neue gezeichnet.
Abbildung 4.9: Stills aus Humorous Phases of Funny Faces von J. Stuart
Blackton aus dem Jahre 1906.
Dieses Prinzip machte sich auch der Cartoonist Windows McCay zu Nutze, er gilt ebenfalls als Pionier auf dem Gebiet der Animation. Nach einigen
animierten Cartoons wie etwa Little Nemo in Slumberland (1911) oder How
a Mosquito Operates (1912) führte sein Kurzfilm Gertie the Dinosaur (siehe Abbildung 4.10), den er in Bühnenauftritte einband, im Jahre 1914 zu
nachhaltigem kommerziellen Erfolg. Durch die schnelle zeitliche Abfolge zusammengehöriger Bilder erschaffte McKay die Illusion der Dinosaurierdame
Gertie, mit der er bei seinen Performances interagierte: So warf er ihr etwa Früchte zu oder verschwand am Endes des Films gleichzeitig mit Gertie
hinter die Leinwand.
Wie erwähnt wurden die in diesen Animationen benutzten Einzelbilder
wurden allesamt Bild für Bild neu gezeichnet, erst im Jahr der Veröffentlichung begann die Cel Animation, sich nach und nach bei Filmschaffenden
4. Motion Graphics
60
Abbildung 4.10: Stills aus Gertie the Dinosaur von Windsor McKay aus
dem Jahre 1914.
durchzusetzen: Diese Technik ermöglichte eine Aufteilung von Vorder- und
Hintergrundelementen (also den Charakteren und den Landschaften/Räumlichkeiten in denen sie sich befinden) durch den Einsatz von transparenten
Zelluliod-Folien, die übereinander gelegt werden könnten, um so ein Einzelbild der Animation zu erhalten. Weiters wurde das Rotoskopie-Verfahren
von Max Fleischer im Jahre 1917 patentiert, in diesem werden Animationen (klassischerweise Frame für Frame) mit gefilmtem Material als Vorlage
erstellt – dadurch wirken die Bewegungablaufe sehr natürlich.
Einer der erste animierte Cartooncharaktere, der es auf die Kinoleinwand
schaffte und sich auch nachhaltig durch großen Erfolg auszeichnete, war eine
später10 als Felix the Cat bekannte Cartoonkatze. Der von Pat Sullivan und
Otto Mesmer erschaffene Stummfilm Feline Follies (siehe Abbildung 4.11)
zeugte von den neuen Möglichkeiten, Zuschauern sympathische Lebewesen
zu präsentieren, das eigentlich nur als Illusion in ihren Köpfen existieren. Da
diese durchaus bereit waren, für die Vorführungen zu bezahlen, entwickelten
sich schon bald größere Animationsstudios.
Abbildung 4.11: Stills aus Pat Sullivans und Otto Mesmer s Kurzfilm Feline
Follies von 1919.
10
Die Figur trug nicht von Beginn an den Namen Felix, außerdem wurde sie erst nach
den ersten paar Filmen einer visuellen Überarbeitung unterzogen, die sie zu dem machte,
was heute als Felix the Cat bekannt ist.
4. Motion Graphics
61
Nachdem der Animator Walt Disney durch seine Erstlingswerke Little
Red Riding Hood und Four Musicians of Bremen (beide 1922 erschienen)
auf sich aufmerksam machte, gründete er mit seinem Bruder Roy Disney im
Jahre 1923 die Disney Studios in Los Angeles. Einige Filme11 später gelang
der Durchbruch mit einem der bekanntesten Cartoon-Charaktere überhaupt:
Mickey Mouse. Die an Felix the Cat erinnernde Figur erlangte u.a. in den
1928 erschienenen Filmen Plane Crazy und Steamboat Willie (siehe 4.12)
große Berühmtheit.
Abbildung 4.12: Stills aus Steamboat Willie der Disney Studios von 1919.
Die etwa zur selben Zeit wie die Disney Studios gegründeten Fleischer
Studios der Gebrüder Max, Dave, Joe und Lou Fleischer waren für erstere
eine ernstzunehmende Konkurrenz. Sie erschufen im Laufe der Zeit nicht nur
klassische Charaktere wie Koko the Clown, Betty Boop, Popeye oder Superman, sondern auch die erste animierte Dokumentation in der Geschichte des
Films – den mit etwa einer Stunde Laufzeit ausgesprochen umfangreichen
Film The Einstein Theory of Relativity 12 aus dem Jahre 1923.
4.2.3
Experimentelle Animation
Gleichzeitig mit dem konkreten, mit einer Handlung und darin eingebetteten
Schauspielern bzw. Cartoonfiguren versehenen Film der Jahrhundertwende
entstand eine Gegenbewegung, die sich klar von genannten Charakteristika
des klassischen Films dieser Zeit abgrenzte – die Bewegung des so genannten absoluten Films, auf den in diesem Abschnitt kurz eingegangen werden
soll. Das Abstrakte und Irrationale wurde thematisiert, und mit dem Aufkommen und der zunehmenden Bedeutung des Mediums Film fingen viele
Künstler an, mit zeitbasierten Medien zu experimentieren. Im Gegensatz zu
den für die Massen und aus kommerziellen Gründen produzierten Mainstreamfilmen, bei denen zwar meist die Namen der Schauspieler, nicht aber die
11
Zuerst wurde eine Serie mit dem Namen Alice in Cartoonland geschaffen, später wurde
der Character Oswald the Lucky Rabbit mit Kurzfilmen wie Trolley Troubles (1927) und
Poor Papa bekannt.
12
Siehe auch [25].
4. Motion Graphics
62
der Regisseure geläufig waren, entstanden die ersten experimentellen Animation aus persönlichen Motiven der Künstler, die das Medium Film als
individuelle Ausdrucksform betrachteten. Generell kann man den absoluten
Film der 1920er-Jahre als eine Reaktion bzw. einen Versuch der Verarbeitung der herrschenden chaotischen Zustände, die durch einen Weltkrieg und
die zunehmendende Industrialisierung hervorgerufen wurden. Es ist heutzutage – bzw. im Zeitalter des Computers – schwer vorstellbar, wie groß der
Aufwand der Filmschaffenden war, bis ihre avantgardistischen Experimente
es letztlich auf die Leinwand schafften. Die Spektrum an Umsetzungsmöglichkeiten reiche von der Cut-Out-Technik, dem Pinscreen-Verfahren oder
dem Bemalen und Zerkratzen von Filmmaterial bis hin zu Experimenten
mit Oszilloskopen, Vaseline, Klebeband und Rasierklingen.
Bevor nun einige Beispiele für den absoluten Film genannt werden, erscheint es an dieser Stelle vorteilhaft, zwei Grundbegriffe der visuellen
Sprache zu erläutern:
1. Als visuelle Form bezeichnet man eine zeitunabhängige räumliche
Anordnung bestimmter Elemente. Bei diesen Basiselementen kann es
sich um einen Punkt, eine Linie, eine Fläche oder ein Volumen handeln. Jedes Element weist sieben Basisattribute auf: Die Art der Form,
sowie deren Größe, Orientierung (bzw. Rotation), Position, Farbe und
Textur. Durch die Kombination der Basiselemente und dem Versehen
mit genannten Attributen können theoretisch unendlich viele visuelle
Formen entstehen13 .
2. Eine visuelle Formation erweitert die visuelle Form um eine temporale Dimension. Sie ist also zeitabhängig, was bedeutet, dass sich die
Elemente der visuellen Form bzw. deren Attribute – sich im Laufe der
Zeit ändern (können).
Besonders Maler sahen in den Anfängen der experimentellen Animation
das große Potenzial des Einbringens einer zeitlichen Dimension in ihre Kunst.
Dieser Drang manifestierte sich etwa im 1923 erschienenen Animationsfilm
Symphonie Diagonale (siehe Abbildung 4.13) des schwedischen Musikers und
Malers Viking Eggeling, der jegliche Art von Repräsentation zu vermeiden
versuchte und sich statt dessen der Erschaffung bewegter Bilder widmet, die
den Rhythmus der Musik transportieren sollen. Ähnlich abstrakt war der
Ansatz des deutschen Dadaisten und Filmemacher Hans Richter in seiner
Animation Rhythm 23 (siehe Abbildung 4.14), in der er sich auf noch simplere Formen als Eggeling beschränkte. Auch der deutsche Maler Walter Rutt13
Eine Anmerkung für die in diesem Abschnitt behandelten experimentellen Animation
und das Filmtiteldesign, dessen Geschichte im Abschnitt danach erläutert wird: Je reduzierter und simpler die visuelle Form, desto einfacher ist es, die in Abschnitt 3.5.4 auf
Seite 41 erläuterten Prinzipien der Wahrnehmung zu erkennen.
4. Motion Graphics
63
mann erkundete in seinen Werken Lichtspiel Opus I-IV das Zusammenspiel
geometrischer Formen.
Abbildung 4.13: Stills aus Symphonie Diagonale von Viking Eggeling von
1923.
Abbildung 4.14: Stills aus Rhythm 23 von Hans Richter von 1923.
Als weitere bedeutende Experimentalfilme dieser Zeit sind etwa Anémic
Cinéma (1926) von Marcel Duchamp, Spook Sport von Mary Ellen Bute und
Norman McLaren (1939) oder Komposition in Blau von Oskar Fischinger
(1939). Bei den bisher genannten Werken handelt es sich ausschließlich um
Kurzfilme, deren Länge zehn Minuten nicht übersteigt. Die 1926 erschienene
Cut-Out-Animation The Adventures of Prince Achmed von Lotte Reiniger
konnte sich aufgrund der Dauer von mehr als einer Stunde als die erste
Animation in Spielfilmlänge etablieren.
4.2.4
Filmtiteldesign
Die Filmtitel und Zwischeneinblendungen der ersten Stummfilme, wie etwa in Abbildung 4.12 auf Seite 61 dargestellt, gelten als die Vorreiter des
Filmtiteldesigns. Sie zeichnen sich durch den geschickten Einsatz typografischer Mittel zur Erzeugung von Emotionen aus, so wurden beispielsweise
große, zerschlissene Letter für Horrorfilme benutzt, während für den Einsatz
in Romantikfilmen elegante Handschriften bevorzugt wurden.
Da sich die ersten Filmtitel – natürlich neben dem notwendigen Einsatz
von Typografie für die Kommunikation der Informationen über die Mitwir-
4. Motion Graphics
64
kenden des Films – dem Experimentieren mit visuellen Formationen widmeten, kann man das frühe Filmtiteldesign der 1950er-Jahre als experimentelles
Filmschaffen im Umfeld kommerzieller Kinofilme betrachten. Die Pioniere
dieser Disziplin hatten also große kreative Spielräume, dadurch wurden einzigartige und auch für das Motion Design bedeutende Opener geschaffen.
Gelungene Werke waren mit einem eigenen, wiedererkennbaren Charakter
versehen und demnach mehr als nur eine Auflistung der Mitwirkenden – oftmals handelte es sich um eine Art Vorspann des eigentlichen Spielfilms, die
sogar fähig waren dessen Story noch zu erweitern.
Saul Bass
Der wahrscheinlich bedeutendste Vorreiter auf dem Gebiet des Filmtiteldesigns ist der 1920 in New York geborene Saul Bass, der für Regisseure
wie Alfred Hitchcock, Martin Scorsese, Stanley Kubric und Otto Preminger
arbeitete. Seine bekannten Titelsequenzen für Premingers Man With the Golden Arm (siehe Abbildung 4.15) und Anatomy of a Murder (siehe Abbildung
4.16) konnten als eine Art Film im Film betrachtet werden und brachten den
Stil der experimentellen Animation wieder zurück auf die Leinwand. Auch
der Opener von Hitchcock’s Vertigo (siehe Abbildung 4.17) gilt als Aushängeschild für die Arbeit von Saul Bass und als Paradebeispiel dafür, wie
gelungenes Filmtiteldesign die Stimmung eines Films schon von der ersten
Minute an transportieren kann.
Abbildung 4.15: Stills aus dem Opener von The Man with the Golden Arm
von 1955.
Abbildung 4.16: Stills aus dem Opener von Anatomy of a Murder von
1959.
4. Motion Graphics
65
Abbildung 4.17: Stills aus dem Opener von Vertigo von 1958.
Pablo Ferro
Der Filmemacher Pablo Ferro ist (neben Saul Bass) zweifelsohne ein Filmtiteldesigner, der die Disziplin wesentlich mitgeprägt hat. Er zeichnet sich
für die Opener zahlreicher Klassiker wie etwa Dr. Strangelove von 1964 (siehe Abbildung 4.18) oder A Clockwork Orange von 1971 (siehe Abbildung
4.19) verantwortlich. Ferros Experimente mit Stilelementen wie Jumpcuts,
handgezeichneten Animationen und Schriftbildern, extremen Close-Ups und
Split-Screens nahmen starken Einfluss auf den Look verschiedenster Animationen – besonders der Einsatz von schnellen Schnitten spiegelte sich später
im so genannten MTV-Stil wieder.
Abbildung 4.18: Stills aus dem Opener von Dr. Strangelove von 1964.
Abbildung 4.19: Stills aus dem Opener von A Clockwork Orange von 1971.
Kyle Cooper
Der stark von Saul Bass und Kyle Cooper beeinflusste Grafikdesigner Kyle
Cooper veränderte die Disziplin des Filmtiteldesigns in den 1990er-Jahren
stark, indem er klassische Methoden mit digitalen Prozessen kombinierte.
4. Motion Graphics
66
Im seiner Laufbahn hat er mehr als 100 Titelsequenzen für Filme und Fernsehsendungen erstellt, allein diese Tatsache dient als gute Gelegenheit, einen
Vergleich zwischen den „Urgesteinen“ des Filmtiteldesigns und den neueren
Vetretern dieser Branche zu ziehen. Dass er stark von Saul Bass beeinflusst
wurde, macht sich besonders in der Titelsequenz des 1998 erschienenen Films
Sphere (siehe Abbildung 4.21) bemerkbar – gewisse Ähnlichkeiten zur Titelsequenz von Vertigo sind unverkennbar, aber besonders im Hinblick auf die
Komplexität der Typografie und deren Einsatz im Zusammenspiel mit den
Hintergründen merkt man sofort, dass sich die technische Möglichkeiten im
Laufe der dazwischen liegenden 30 Jahre massiv erweitert haben. Dies ermöglichte eine weitaus schnellere und kreativ unlimitiertere Arbeitsweise als
in Zeiten von Bass.
Coopers mit Abstand berühmtestes Werk ist der Opener von David Finchers Se7en aus dem Jahre 1995 (siehe Abbildung 4.20) – durch seinen Einsatz von schnellen Schnitten, zwischen denen Szenen aus dem Schaffen eines
Mörders zu sehen sind, gelingt die Synergie zwischen dem Vorspann und dem
Film selbst so gut wie wenigen zuvor.
Abbildung 4.20: Stills aus dem Opener von Se7en von 1995.
Abbildung 4.21: Stills aus dem Film Sphere von 1998.
4.2.5
Einfluss des Computers
Technology just frees us to realize what we can imagine. It’s
like being given the power to do magic. (Robert Abel, [44])
Frühe Computergrafik
Seit dem Beginn der Digitalisierung in den 1960ern nahmen Fortschritte in
der digitalen Technologie wesentlichen Einfluss auf Animationskünstler. John
Whitney ist als Vorreiter auf diesem Gebiet in die Geschichte eingegangen. Er
4. Motion Graphics
67
experimentierte unter anderem mit einem von ihm Cam Machine getauften
analogen Computer, den er zuvor aus der Zielvorrichtung von Kriegsgeräten
zur Luftabwehr gebaut hat. Weiters führte sein Schaffen zum erstmaligen
Einsatz von Computergrafik in der Geschichte des Feature Films, nämlich in
Westworld von 1973, in dem das Bild in ein Mosaik aus Pixeln verwandelt
wird14 .
Abbildung 4.22: Stills aus dem Film Westworld von 1973.
Ein weiterer von den Möglichkeiten der Computer begeisterter Filmemacher ist Stan Vanderbeek. Er beschäftigte neben analogen Verfahren in
der Filmproduktion wie der Collage oder handgezeichneten Animation auch
mit computergenerierten Grafiken, die er unter anderem mit der Beflix Programmiersprache zur Produktion von rasterbasierten Animationen erstellte. Vanderbreek ist bekannt für seine digitalen Mosaikbilder, die bei
näherer Betrachtung ihre hohe Komplexität anhand dem Einsatz vieler einzelner Objekte, und bei Betrachtung aus der Distanz ein wiedererkennbares
Bild zeigen.
Auch Robert Abel, der bereits mit Saul Bass zusammenarbeiten durfte,
beschäftigte sich mit Computergrafik und eröffnete 1971 mit seinem Freund
Con Pederson das Studio Robert Abel & Associates, das u.a. für die computergenerierten Effekte in Disneys 1982 erschienenen Klassiker Tron (siehe
Abbildung 4.23) verantwortlich war.
Abbildung 4.23: Stills aus dem Film Tron von 1982.
Erweiterte Möglichkeiten
Als die ersten Animationssequenzen entstanden, die man weitgehend als Motion Graphics bezeichnen kann, waren die Produktionskosten dafür so hoch
dass sie beinahe ausschließlich für Titelsequenzen von Filmen und Fernsehserien hergestellt wurden. Hierbei ist anzumerken, dass es sich bei den Se14
Dieser Effekt ist auch unter der Bezeichnung Pixelation bekannt.
4. Motion Graphics
68
quenzen im Broadcastbereich bis zu der den 1980er-Jahren (bzw. bis zur
zunehmenden Verbreitung des Kabelfensehens) um nicht viel mehr als einfache, bewegte Logos gehandelt hat. Mit der zunehmenden Popularität des
Fernsehens stieg auch der Bedarf an animierten Grafiken, besonders mit dem
Aufkommen des Senders MTV. Generell war es für alle außer den drei großen
amerikanischen Hauptsendern15 von Bedeutung, sich mittels Motion Graphics von dem generalisierten Look derer zu distanzieren und sich damit im
Markt zu positionieren.
Die Umstellung von analogen auf digitalen Workflow erfolgte, nachdem
Computer in den 1990er fähig wurden, Videobearbeitung durchzuführen. Anfangs kosteten Computer, mit denen Motion Graphics produziert werden
konnte, mindestens 30.000 US-Dollar – dies machte es dem Großteil der Motion Designer praktisch unmöglich, an privaten anstatt kommerziellen Projekten zu arbeiten. Durch die zunehmenden technischen Möglichkeiten, die
noch dazu immer erschwinglicher wurden, änderte sich dies aber im Laufe
der Zeit. Mittlerweile ist es für jeden Designer, der im Besitz eines Computers ist und geeigneten Programmen zur Verfügung hat, möglich, Motion
Graphics zu produzieren.
4.3
4.3.1
Motion Graphics als Wissensvermittler
Einleitung
In diesem Abschnitt soll die bisher recht generell erläuterte Thematik von
Motion Graphics etwas eingeengt werden, besonders im Hinblick auf den
Zweck, den die Animation zu verfolgen versucht. Bevor dies aber in Abschnitt
4.3.3 ab Seite 70 vorgenommen wird ist es sinnvoll, im folgenden kurz auf
bedeutende Vorreiter auf diesem Gebiet bzw. deren Philosophie einzugehen.
4.3.2
Charles und Ray Eames
Die Gebrüder Eames wurden bereits kurz in Abschnitt 3.5.1 auf Seite 36
im Hinblick auf ihre Vorreiterrolle in Sachen Informationsdesign erwähnt,
sie waren aber ebenso in Bereichen wie Architektur, Möbeldesign, Literatur, Fotografie und auch Film tätig – von letzteren entstanden insgesamt
mehr als 100 Werke. In jeder Disziplin zeichneten sie sich durch ihr innovatives und stets elegantes Design aus, was ihnen unter anderem Konzerne wie
IBM oder Polaroid als Auftraggeber bescherte. Außerdem verstanden sie es
so gut wie nur wenige ihrer Zeit, eigentlich trockene Sachthemen in Form
von lebhaften und lehrreichen Filme zu behandeln. Ein Beispiel für diese
Gratwanderung zwischen Entertainment und Wissensvermittlung ist SX-70
15
Diese Hauptsender bestanden aus der American Broadcasting Company (ABC ), dem
Columbia Broadcasting System (CVS ) und der National Broadcasting Company (NBC ).
4. Motion Graphics
69
(siehe Abbildung 4.24) von 1972, der zwar als Promotionfilm für die Polaroid SX-70 -Kamera produziert wurde, aber sich dennoch mit Themen wie der
Funktionsweise der eingebauten Spiegel oder Transistoren auseinandersetzt.
Abbildung 4.24: Stills aus SX-70 von 1972.
Da nur ein Teil der filmischen Werke der Gebrüder Eames überhaupt mit
animierten grafischen Elementen versehen ist, gilt es zu klären, warum sie
dennoch in diesem Kapitel aufscheinen. Grund hierfür ist weniger die technische Herangehensweise als die Philosophie von Charles und Ray Eames,
welche – kohärent zu ihrem multitalentierten Schaffen – besagt, dass das
Medium Film lediglich als Werkzeug für den Transport einer Idee fungiert. Man kann also behaupten, dass das erfolgreiche Kommunizieren dieser
Idee von höchster Priorität war, diese selbst wird durch Informationen repräsentiert.
Kein Film der Gebrüder lässt diese Philosophie so gut erkennen wie Powers of Ten (siehe Abbildung 4.25) von 1977, der Untertitel A Rough Sketch
for a Proposed Film Dealing with the Powers of Ten and the Relative Size
of Things in the Universe lässt die Thematik erahnen, die der Film behandelt: Größendimensionen, die mit dem Faktor 10 zueinander in Beziehung stehen. Um diese zu vermittlen, wird jede Zehnerpotenz – von einem
Meter aufsteigend auf 1025 , dann wieder absteigend auf 10−16 Meter – mit
einem Quadrat gekennzeichnet, das die Seitenlängen der aktuellen Zehnerpotenz aufweist. Mit einer durchgängigen Kamerafahrt wird dann jedes dieser
Rechtecke in Relation zueinander gezeigt und die Größenverhältnisse währenddessen durch einen Sprecher genauer beschrieben.
Diese Erkundung von Mikro- und Makrokosmos – und vor allem das Aufzeigen der Größenverhältnisse zueinander – wurde in solch leicht verständlicher und dennoch hochinteressanter Art und Weise noch nie durchgeführt,
aufgrund dessen sei an dieser Stelle auf Abschnitt 2.3.1 auf Seite 7 verwiesen.
Zweifelsohne dient auch Power of Ten der Horizonterweiterung des Publikums, mit dem wesentlichen Unterschied, dass diese für ein Massenpublikum
aufbereitet wurde und nicht ausschließlich der Wissenschaft vorbehalten war.
Diese Massentauglichkeit schafft einige spezielle Anforderungen, die im folgenden Abschnitt näher definiert werden.
4. Motion Graphics
70
Abbildung 4.25: Stills aus Powers of Ten von 1977.
4.3.3
Eingrenzung der Thematik
Das breite Spektrum an Einsatzmöglichkeiten, das sich aus dem Versuch einer Begriffsbestimmung des Terminus Motion Graphics 16 ergibt, soll in diesem Abschnitt etwas eingegrenzt werden. Dies wird im Folgenden durch das
Festlegen bestimmter Kriterien versucht, die Animationen erfüllen sollten,
um als „Wissensvermittler“ in dem Sinn durchzugehen, der in dieser Arbeit
das Kernthema bildet. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass diese
Art der Animation aufgrund eines narrativen Charakters und dem oftmaligen Vorhandensein eines Sprechertexts auch als Visual Essay bezeichnet
werden kann.
Generell handelt es sich bei den hier beschriebenen Animationen um eine
Abfolge von Bildern, wobei jedes Bild ein gewisses Maß an Veränderung zum
vorangegangenen aufweist. Laut Richard E. Meyer 17 gibt es verschiedene
Gründe, warum Animationen als Informationsvermittler eingesetzt werden:
1. Wenn der Sachverhalt nicht in räumlicher oder zeitlicher Realität beobachtet werden kann.
2. Wenn der Sachverhalt für das menschliche Auge nicht sichtbar ist.
3. Wenn eine Vorführung des Sachverhalts in Lernumgebungen aus praktischen Gründen nicht möglich ist.
Obwohl gewisse Gemeinsamkeiten bestehen, sind Visual Essays daher
klar von Videos zu unterscheiden, da zweitere Bewegungsabbildungen von
realen Objekten darstellen. Oberflächlich formuliert handelt es sich bei der
16
17
Siehe Abschnitt 4.1.1 ab Seite 51.
Siehe [53].
4. Motion Graphics
71
zu definierenden Subkategorie von Animation um eine Mischform aus Information Design und Motion Graphics18 .
Eines der wichtigsten Kriterien für die hier behandelte Kategorie von
Motion Graphics ist freilich der Zweck den sie verfolgen, nämlich die Kommunikation von Informationen. Zu behaupten, dass auch hochstilisierte und
aufwändig gestaltete Werbefilme – die eher als das Gegenteil von Wissensvermittlung wirken – eigentlich bestimmte Informationen vermitteln, wäre
natürlich korrekt, deshalb gilt der Nutzen als weiteres Kriterium: Dieser
soll zum größtmöglichen Teil beim Betrachter der Animation liegen, indem
dieser durch das Wissen um die aufbereiteten Themen profitiert – und nicht
etwa suggestiv zu einer Kaufentscheidung bewegt oder imperativ zu gewissen
Handlungen gezwungen wird. Im Hinblick auf die Pragmatik von Zeichen19
sollte also dementsprechend eine indikative Absicht angestrebt werden, da
man ja nur informieren und nicht (wie eben bei imperativer oder suggestiver
Absicht) den Willen oder die Gefühle des Betrachters beeinflussen möchte.
Auch dessen Einschätzung im Hinblick auf die Objektivität der dargebotenen Informationen ist von Bedeutung, da diese in direktem Verhältnis mit
der Glaubhaftigkeit dieser steht. Anders formuliert: Der Betrachter darf nicht
glauben, dass man „ihm etwas vorsetzen“ möchte – damit sind Image- oder
Werbefilme bzw. jegliche Form von aufgrund wirtschaftlicher Interessen instrumentalisierter Motion Graphics von vornherein ausgeschlossen.
Ein weiteres Kriterium ist die adäquate Aufbereitung der zu vermittelnden Informationen in Form der in Abschnitt 3.5.4 auf Seite 41 definierten Darstellungs- und Steuerungscodes. Wo immer es möglich ist, sollen
für erstere schnell verständliche und (zumindest im gegebenen Kontext) eindeutige Zeichen verwendet werden, um bestimmte Entitäten bzw. „Rollen“
in der Animation zu repräsentieren – es bieten sich also beispielsweise die im
Abschnitt 3.4.4 ab Seite 32 näher erläuterten Piktogramme an, oder – allgemeiner formuliert – auf das zur Wiedererkennung wesentlichste reduzierte
Bildzeichen. Diese schnelle und effektive Kommunikation sollte natürlich
auch für die dargestellten Zusammenhänge zwischen diesen Entitäten – also
für die Steuerungscodes – gewährleistet sein.
Reicht der Einsatz dieser bildlichen Mittel nicht aus, um eine Thematik auf ausreichend umfangreiche Art und Weise zu vermitteln, so werden
zusätzlich typografische Elemente (in Form des geschriebenen Wortes)
und/oder auditive Elemente (in Form des gesprochenen Wortes) eingesetzt – mehr hierzu findet man in Abschnitt 5.3.3 auf Seite 94.
18
Die genauen Unterschiede zwischen der statischen und der animierten Variante der
Wissensvermittlung werden in Abschnitt 5.3.2 ab Seite 92 geanuer behandelt.
19
Siehe Abschnitt 2.4.3 auf Seite 19.
4. Motion Graphics
4.3.4
72
Beispiele
In diesem Abschnitt soll versucht werden, das Spektrum und den Stand von
Motion Graphics als Wissensvermittler anhand einiger Beispiele aufzuzeigen.
Einige markante Eigenschaften, Funktionsweisen und mögliche Absichten der
vorgestellten Animationen werden aufgezeigt, vor allem soll der enge Zusammenhang mit den in Kapitel 3 vorgestellten Theorien über den Einsatz und
die Wahrnehmung von bildlichen Zeichen aufgezeigt werden. Die Beispiele sind als Videodateien auf der dieser Arbeit beiliegenden CD verfügbar,
genauere Angaben befinden sich in Anhang A auf Seite 104.
Melih Bilgil – History of the Internet
Abbildung 4.26: Stills aus History of the Internet von Melih Bilgil aus dem
Jahr 2009.
Die im Jahr 2009 entstandene Animation History of the Internet des
Designers Melih Bilgil ist ein Musterbeispiel für die Definition von Motion Graphics als Wissensvermittler als eine Kombination von Motion- und
Informationsdesign. Die in Abschnitt 3.5.4 auf Seite 40 definierten Gestaltungsprinzipien von statischen Infographics werden hier auf sehr direktem
Weg im Bewegtbild umgesetzt. Wie der Name vermuten lässt, beschäftigt
sich das Visual Essay mit der Geschichte des Internets bzw. den markanten
technischen Errungenschaften und deren Auswirkungen auf die Computerund Netzwerktechnologie. Hierbei gibt es einige für die effektive Informationsaufbereitung in Form des Bewegtbilds relevante Vorgehensweisen, die
sich gut anhand von History of the Internet aufzeigen lassen:
• Einsatz von Piktogrammen: Das Visual Essay benutzt die Piktogramme des PICOL-Systems20 , um einzelne darzustellende Entitäten
20
Das Akronym PICOL steht für Pictorial Communication Language. Hierbei handelt es
sich um ein Projekt, das sich der Standardisierung von Bildzeichen mit piktogrammhaften
Charakter in Form eines Zeichensystems für die elektronische Kommunikation widmet.
4. Motion Graphics
73
wie etwa Benutzer oder Computer darzustellen. Aufgrund der Schlichheit sind visuelle Formen bzw. Formationen21 einfach auszumachen,
auch die Prinzipien der Wahrnehmungen22 können schnell als solche erkannt werden. Ihre praktische Anwendung erkennt man in Abbildung
4.26 etwa in Form des Gesetzes der Ähnlichkeit (oben in der Mitte)
oder des Gesetzes der Geschlossenheit.
• Weitgehender Verzicht auf dekorative Elemente: Ein Blick auf
die in Abbildung 4.26 dargestellten Stills zeigt sofort, dass weitgehend
auf rein dekorative Elemente – sowohl in Form der eingesetzten Bildzeichen, als auch des Farbschemas – verzichtet wurde und der Fokus
eindeutig auf der Schlichtheit und der damit verbundenen kommunikativen Effektivität und Eindeutigkeit liegt.
• Möglichst objektiv vermittelter Inhalt: Diese im vorigen Punkt
erwähnte Schlichtheit ist nicht nur formell, sondern auch auf inhaltlicher Ebene klar im Konzept von History of the Internet verankert.
Jegliche Form von Emotionalität oder Vermittlung eines Standpunktes wird vermieden – wobei man an dieser Stelle auch erwähnen muss
dass sich die behandelte Thematik gut für eine solch objektive und unausgeschmückte Erzählweise eignet, da sie sich vordergründig auf den
chronologischen Ablauf und die Auswirkungen bestimmter technischer
Errungenschaften bezieht bzw. sehr wenig Personenbezug (und damit
einhergehende Emotionalität) aufweist.
Smart Bubble Society – Health Care Overhaul
Abbildung 4.27: Stills aus John Green’s Thought Bubble: Health Care Overhaul der Smart Bubble Society aus dem Jahr 2009.
21
22
Siehe Abschnitt 4.2.3 auf Seite 61.
Siehe Abschnitt 3.5.4 auf Seite 41.
4. Motion Graphics
74
Smart Bubble Society ist eine kanadisches Motion Design Studio, das
unabhängig und gemeinnützig tätig ist und es sich zur Aufgabe gemacht
hat, meist kritische Gedanken (so genannte Thought Bubbles) zu aktuellen
Themen in Form von Animationen aufzubereiten. Diese Gedanken stammen
hierbei nicht von den Mitarbeitern selbst sondern von Leuten, die sie diesen
zum Beispiel per E-Mail zukommen lassen. Sie können also theoretisch von
jedem eingereicht werden, sofern sie gewissen Kritierien entsprechen werden
sie in Form eines Visual Essays aufbereitet.
So geschehen ist das mit Gedanken des US-amerikanischen Schriftstellers
John Green, der seit 2007 mit seinem Bruder Hank Green einen erfolgreichen
Videoblog auf YouTube betreibt. 2009 veröffentlichte er ein Video23 , in dem
er der YouTube-Community seine Ansichten über den aktuellen Stand des
amerikanischen Gesundheitssystems mitteilt. Greens schnelle und emotionale Erzählweise, kombiniert mit ein paar wirklich interessanten Gedanken
und Vergleichen, bilden den Grundstein für die Thought Bubble, die quasi
um diesen auditiven Teil des Originalvideos herum entstanden ist und diesen als Sprechertext benutzt. Die Eigenschaften der Animation (Stills siehe
Abbildung 4.27) lassen sich auf folgende Punkte zusammenfassen:
• Einsatz von ikonischen Bildzeichen: Es werden auch hier wiederkehrende grafische Elemente für die Veranschaulichung der einzelnen
vorkommenden Rollen und Institutionen verwendet, diese beschränken
sich aber nicht ausschließlich auf Elemente, die im Stil von Piktogrammen auf das allerwesentlichste reduziert wurden. Es kommen auch visuell ausgeschmücktere Bildzeichen zum Einsatz – ein Beispiel hierfür
wäre etwa das in Abbildung 4.27 links unten dargestellte Krankenhaus
in der linken Bildhälfte.
• Der Einsatz einer simplen Methapher für das Aufzeigen von Eigenschaften eines komplexen Sachverhalts: Ein auf einer Messe als weltgrößter Eber vorgestelltes Schwein, das so übergewichtig ist dass es
nicht mehr fähig ist zu laufen – und ironischerweise den Namen Walkin’ Tall trägt – wird mit dem amerikanischen Gesundheitssystem verglichen, das sich ebenfalls durch seine Größe auszeichnet (siehe Abbildung 4.27 oben in der Mitte). Es werden drei Möglichkeiten zur weiteren Vorgehensweise betrachtet: Entweder das übergewichtige Schwein
wird umgebracht, auf eine Diät gesetzt oder einfach weiter gefüttert
wie bisher. Der erste Fall würde bedeuten, die in Amerika weit verbreiteten privaten Versicherungen durch größere staatliche Institutionen
zu ergänzen (bzw. zu ersetzen). In zweiterem würden die privaten Versicherungen mit Non-Profit-Organisationen konkurrieren, im drittem
Fall würde alles so weitergehen wie bisher.
23
Das Video mit dem Titel Heal Care Overhaul Summarized via Massive Pig ist auf
http://www.youtube.com/watch?v=7Z_RVl-ph3s zu finden.
4. Motion Graphics
75
• Der Einsatz von multimodalen24 Repräsentationen zum Hervorheben besonders wichtiger Aussagen: Teile des Sprechertexts, die als
besonders relevant betrachtet werden, werden nicht nur in Form des gesprochenen Worts, sondern zusätzlich auch in Form des geschriebenen
Worts dargestellt. Ein Beispiel ist das in Abbildung 4.27 rechts unten
dargestellte Ende der folgenden Aussage: „We don’t believe that health
care is a privilege, we believe that it is a right. And if it is a right, like
life, liberty, and the pursuit of happiness, it is the responsibility of a
government to protect that right.“
• Der Einsatz von impliziten Steuercodes25 zum Aufzeigen bestimmter Verhältnisse zwischen einzelnen, gleichzeitig dargestellten Entitäten: Durch die etwa in Abbildung 4.27 (unten in der Mitte) durchgeführte Hervorhebung von privaten Versicherungen (rote Hintergrundfarbe, Bildzeichen ist wesentlich größer dargestellt) werden diese sowohl
in den Vordergrund gerückt, als auch die Emotionalität der getroffenen
Aussage verstärkt.
• Emotionale Präsentation: Besonders im Vergleich zur eingangs vorgestellten History of the Internet wirkt Health Care Overhaul sehr
emotionsgeladen. Dies rührt sicherlich von der zu Grunde liegenden
Audiospur des Originalvideos von John Green, die allein schon sehr
zackig und gefühlsbeladen wirkt, macht sich aber in der Folge auch
beim Einsatz der ständig leicht wackelnden Kamera, dem Tempo der
Animation und beim Sound Design bemerkbar.
• Der Darstellung von Zusatzinformationen, die zwar weder eine unmittelbare grafische Repräsentation des Sprechertexts darstellt noch
überhaupt während dem Betrachten der Animation erfasst werden
kann26 . Solche sind etwa in Abbildung 4.27 links unten (weißer Text auf
grünem Hintergrund) dargestellt. Aufgrund der Tatsache, dass dieser
Informationsblock schon in Green’s Originalvideo vorhanden ist, lässt
sich nicht eindeutig sagen, ob er nicht allein aus Gründen der Vollständigkeit im Visual Essay aufscheint. Dennoch sind solche Zusatzinformationen ein interessantes Phänomen, da sie meist erst durch aktives
Eingreifen des Betrachters – in diesem Fall durch das Pausieren der
Animation – vollständig wahrgenommen und verstanden werden können, da durch die Vergänglichkeit des Dargestellten bei Animationen
schlicht und ergreifend die Zeit nicht ausreicht, um solche Informationen zu verarbeiten.
24
Für eine Beschreibung des Begriffs „multimodal“ siehe Abschnitt 5.3.3 auf Seite 93.
Siehe Abschnitt 3.5.4 auf Seite 41.
26
Mehr zu den begrenzten menschlichen Aufnahmekapazitäten befindet sich in Abschnitt 5.3.3 auf Seite 94
25
4. Motion Graphics
76
Im Hinblick auf den letzten der genannten Punkte ist anzumerken, dass
die Smart Bubble Society im Allgemeinen und Health Care Overhaul im Speziellen einen sehr starken Internetbezug aufweisen. Dies geht allein schon
aus dem Ursprung der visualisierten Gedanken hervor: Das Studio meint in
einem Blogeintrag27 , dass die behandelte Thematik an sich zwar schon gesellschaftlich relevant ist, aber erst durch die über 700.000 Views, die John
Green’s Originalvideo innerhalb von zwei Wochen auf YouTube erreichte,
wurde die Entscheidung gefällt, sie mittels Motion Graphics aufzubereiten.
Grund für die letztliche Entstehung ist also die Überlegung, dass wenn viele
Internet-User sich für die Thematik interessieren und darüber recherchieren,
auch ein (ausschließlich) über das Internet publiziertes Visual Essay sinnvoll
sei. Dieses kann dann durchaus mit den im letzten Punkt erwähnten Zusatzinformationen, deren Nutzung ein Eingreifen des Betrachters erfordern,
kombiniert werden – man geht ja schließlich davon aus, dass die Betrachter
zum Zeitpunkt der Wiedergabe jederzeit dazu fähig ist, im Videoplayer auf
ihrem Computer auf Pause zu drücken.
Jonathan Jarvis – The Crisis of Credit Visualized
Abbildung 4.28: Stills aus The Crisis of Credit Visualized von Jonathan
Jarvis aus dem Jahr 2008.
Das Visual Essay The Crisis of Credit Visualized (Stills siehe Abbildung
4.28) wurde 2008 vom amerikanischen Designer Jonathan Jarvis erschaffen.
Ziel der Animation ist es, einen so komplexen Sachverhalt wie die Finanzkrise – bzw. die Geschehnisse, die zu dieser Krise führten – anschaulich zu
visualisieren und dem Zuschauer so innerhalb weniger Minuten begreifbar zu
machen. Dieses Leitmotiv zieht sich per Definition durch die in diesem Kapitel vorgestellten Motion Graphics als Wissensvermittler, Jonathan Jarvis
27
Dieser ist unter der Adresse http://thoughtbubble.org/current-issues/john-greensthought-bubble auffindbar.
4. Motion Graphics
77
definiert diese Aufgabe mit einer besonders prägnanten Phrase: „From Complexity To Clarity“. So groß und einflussreich der globalisierte Finanzsektor
innerhalb der letzten Jahrzehnte geworden ist, so kompliziert und uneinsichtig erscheinen auch die Vorgänge darin. Da sich solch desaströse Ereignisse
wie der Finanzkrise sich aber auf die gesamte Gesellschaft auswirken, ist
es für diese natürlich von großer Bedeutung, darüber Bescheid zu wissen.
Jarvis’ Einstellung erinnert an die Motive von Otto Neurath und seinen
Mitarbeitern innerhalb des Wiener Kreises28 – auch sie wollten langfristig
die Lebensumstände der Mitglieder der Gesellschaft verbessern, indem diese
über den aktuellen Stand der Dinge aufklärten. Im folgenden werden andere
markante Charakteristika von The Crisis of Credit Visualized erläutert:
• Einsatz von Piktogrammen: Generell ist die Animation – abgesehen
vom Farbschema – dem Stil von History of the Internet sehr ähnlich,
da es sich bei den primär mit Piktogrammen dargestellten vorkommenden Entitäten aber weniger um technische Gerätschaften als um
Institutionen und Personengruppen handelt, kann nicht auf die standardisierten Bildzeichen des PICOL-Systems zurückgegriffen werden –
Jarvis musste zur Darstellung des Sachverhalts also eine neue Bildsprache erfinden. Ein Auszug aus dieser ist in Abbildung 4.29 dargestellt,
aufgrund des geringen formellen Spielraums der aus den Einsatzgebieten von solchen Piktogrammen resultiert ähnelt dieses System stark
an das in Abschnitt 3.4.4 auf Seite 32 vorgestellte ISOTYPE. Diese
Ähnlichkeit darf natürlich keinesfalls als Mangel an Kreativität des
Designers verstanden werden, ganz im Gegenteil: Die im Hinblick auf
das Bild-Verstehen notwendige Anknüpfung an Bekanntes wird dem
Betrachter durch den Einsatz von bewährten Bildzeichen erheblich erleichtert, das ISOTYPE wird also „nur“ um Piktogramme aus jüngerer
Zeit erweitert. So steht beispielsweise der in Abbildung 4.29 dargestellte Wolkenkratzer (erste Reihe, sechstes Zeichen von links) für eine
große, mächtige Organisation – eine Entität, für deren piktogrammhafte Visualisierung in den Zeiten des Wiener Kreises noch keine so große
Notwendigkeit bestand.
• Einsatz von Händen bzw. Handgesten zur Darstellung von Handlungen ganzer Institutionen: Wie in Abbildung 4.28 im linken und rechten Bild der oberen Reihe dargestellt, werden Interessensvertretungen
jeglicher Art – die in Form von Gebäuden mit einem zur Funktion dieser
Interessensvertretung passenden Look dargestellt werden – mit Händen
versehen, die verschiedene Gesten ausführen und so auch mit anderen
Objekten interagieren können. Dadurch werden die Handlungs- und
Ausdrucksmöglichkeiten einzelner Rollen erheblich erweitert.
28
Siehe Abschnitt 3.4 auf Seite 29.
4. Motion Graphics
78
• Wiedererkennbares Farbschema: Vermutlich rührt das markante
Farbschema aus der Tatsache, dass Grün in Amerika als die Farbe
des Geldes bekannt ist, u.a. sind die Ein-Dollar-Scheine in Grüntönen
bedruckt. Dieser kulturelle Kontext in Verbindung mit der Tatsache,
dass die Finanzkrise ja zuerst in Amerika stattfand, ehe sie sich global
ausweitete, verleiht dem in Grün gehaltenen Farbschema mehr als einen
rein dekorativen Zweck. Außerdem weist die Animation aufgrund des
Schemas einen hohen Wiedererkennungswert auf.
• Explizite Steuerungscodes zum Herstellen von Beziehungen zwischen Institutionen: Besonders um Geld- und Informationsflüsse darzustellen, werden explizite Steuerungscodes29 wie etwa Verbindungslinien
und Pfeile (siehe Abbildung 4.28 unten in der Mitte bzw. unten rechts)
benutzt. Anzumerken ist hierbei, dass solche Verbindungen natürlich
nur hergestellt werden müssen, wenn sich mehrere solcher Rollen im
Bild befinden – um den Überblick zu behalten und diese Relationen
genauer zu erklären, sind solche Zusammenstellungen demnach meist
für einen längeren Zeitraum sichtbar.
Abbildung 4.29: Auszug des von Jonathan Jarvis für seine Visualisierungen
entworfenen Piktogrammsystem.
Alexander Lehmann – Du bist Terrorist
Das als Abschlussarbeit im Fach Virtual Design von Alexander Lehmann kreierte Visual Essay Du bist Terrorist hat in nicht nur in seiner unmittelbaren
Zielgruppe (der deutschsprachigen Internet-User) Wellen geschlagen. Konzipiert und umgesetzt wurde es als eine Art Persiflage der 2005 erschienene
Werbekampagne mit den Namen Du bist Deutschland, in der zu positiver
Stimmung und mehr Tatendrang eines jeden deutschen Staatsbürgers zur
Verbesserung der Lebensumstände in seinem Land aufgerufen wurde. Dies
29
Siehe Abschnitt 3.5.4 auf Seite 41.
4. Motion Graphics
79
Abbildung 4.30: Stills aus Du bist Terrorist von Alexander Lehmann aus
dem Jahr 2009.
fasste Lehmann dahingehend auf, dass er 2009 einige Fakten zur Lage der Nation im Hinblick auf staatliche Überwachungsmaßnahmen und Netzpolitik in
seiner Animation Du bist Terrorist in einer Art und Weise aufbereitet, die die
Situation äußerst kritisch beleuchtet. So wird besonders auf die damals gängige Vorratsdatenspeicherung30 und den damit verbundenen Möglichkeiten
zum Ausspionieren jedes beliebigen deutschen Staatsbürgers hingewiesen.
Begründet wurde der Beschluss des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung
ursprünglich durch die Notwendigkeit der Terrorbekämpfung in Deutschland
– auch in der Animation wird darauf hingewiesen, dass bis dato noch nie ein
international geplanter Terroranschlag in Deutschland vorgefallen ist. Wesentlich ist die Tatsache, dass durch solche (und weitere im Visual Essay
aufgezählte) Überwachungsmaßnahmen sämtliche Bürger unter Generalverdacht gestellt werden und deren Recht auf Privatsphäre massiv gefährdet ist.
Die Reaktion der Werbeagentur, die eins für die höchst medienpräsenten Du
bist Deutschland -Kampagne verantwortlich war, ließ nicht lange auf sich warten: Prompt wurde Lehmann abgemahnt, mit Verweis auf das Markenrecht
seien jegliche Bezüge zur urspünglichen Kampagne zu entfernen – inklusive
der Bezeichnung Du bist Terrorist. Nach einem klärenden Telefongespräch
zwischen dem Chef der Agentur und Lehmann wurde allerdings beschlossen,
dass dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten sei und keinerlei rechtliche
Schritte eingeleitet werden.
Nun aber zu den markanten Eigenschaften des Visual Essays:
• Emotionalität: Letztlich lässt sich der faktische Inhalt von Du bist
Terrorist auf die Tatsache beschränken, dass das relativ schnell begreifbare Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen wurde und
30
Das so genannte Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung
und anderer verdeckter Ermisslungsmaßnahmen sowieo zur Umsetzung der Richtlinie
2006/24/EG sah die Speicherung aller Telefon- und Internetdaten für ein halbes Jahr
vor und war von Anfang 2008 bis März 2010 in Deutschland gültig.
4. Motion Graphics
80
damals dementsprechend im Einsatz war. Die erzählte Geschichte thematisiert aber nicht unmittelbar diesen nachweisbaren Beschluss, sondern die theoretischen Möglichkeiten, die dieses Gesetz liefert, um die
Staatsbürger – um deren Sicherheit es den Beschließenden ursprünglich ja gegangen ist – auszuspionieren und sie damit in ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu berauben. Verbunden mit der beinahe unheimlich beruhigenden Stimme des Sprechers, der diese Möglichkeiten
gelassen präsentiert, und der stimmungstechnisch ähnlichen Fahrstuhlmusik wirkt das Szenario eines möglichen Überwachungsstaats äußerst
beunruhigend.
• Anknüpfung an Bekanntes: Der für die Popularität der Animation
sicher größte Vorteil ist die Persiflage auf eine so bekannte Werbekampagne wie Du bist Deutschland. Jeder Betrachter, der auch nur
oberflächlich mit der Ursprungskampagne vertraut ist – also praktisch
jeder deutsche Staatsbürger, der im Zeitraum der medialen Präsenz
der Werbung fernsah, Zeitung las, Werbeplakate sah oder Radio hörte – erkennt den Bezug darauf, das misfällt den Herstellern natürlich
und sorgte nach Lehmanns Veröffentlichung ihrer forschen Reaktion
für Schlagzeilen. Diese sorgten dann wiederum für einen höheren Bekanntheitsgrad der Animation.
• Vermitteln einer Anschauung: Ganz klar findet bei Du bist Terrorist eine Instrumentalisierung des Filmmediums statt – auch wenn
diese eine aus Sicht der Gesellschaft positive Wirkung erzeugen will.
Der Versuch, Vorteile der genannten Überwachungsmaßnahmen aufzuzeigen, wird gar nicht erst unternommen, und wirkliche Beweise für
ihren Missbrauch gibt es nicht, obwohl sie beispielhaft (etwa bei der
Passage mit dem Verfälschen von Daten auf Rechnern von Privatpersonen durch staatliche Behörden) sehr konkret ausgeführt sind. Von
wirklich objektiver Berichterstattung kann hier also keinesfalls die Rede sein, vielmehr erscheint hier ein Vergleich mit der von Sandór Radó erstellten Karte Die Proletarische Großmacht – Die Sowjetunion 31
sinnvoll. Das Ziel, durch die Darstellung einer subjektiv empfundenen
Bedrohung eine suggestive Wirkung beim Betrachter zu erzielen, wurde sowohl vor einigen Jahrzehnten von Radó in Bildform, als auch 2009
von Lehmann in Form einer Animation angestrebt.
31
Siehe Abbildung 3.12 auf Seite 48.
Kapitel 5
Fragestellung und Analyse
5.1
Einleitung
In diesem Kapitel werden drei Hypothesen im Bezug auf die Thematik der
Wissensvermittlung in Form von Motion Graphics aufgestellt. Die erste davon beschäftigt sich mit der allgemeinen Notwendigkeit solcher Visual
Essays, bzw. deren Rolle in der heutigen (Informations-)Gesellschaft.
In Abschnitt 5.3 ab Seite 91 sollen anschließend Unterschiede von statischem und bewegtem Bild aufgezeigt werden – letzten Endes geht es um
die Frage der Überlegenheit, also ob Motion Graphics sich im Vergleich zu
statischen Darstellungen besser eignen, um Sachverhalte darzustellen und zu
kommunizieren.
Die letzte Hypothese (siehe Abschnitt 5.4 ab Seite 96) beschäftigt sich
mit der Thematik der Redundanz anhand der Rolle von dekorativen Elementen in Informationsvisualisierungen und stellt hierbei zwei sehr konträre
Ansichtsweisen gegenüber. Letztlich soll aufgezeigt werden, dass solche „Ausschmückungen“, die seit der Zeit des Wiener Kreises als redundant und unwichtig – ja fast sogar als störend – betrachtet werden, dennoch so eingesetzt
werden können, um die Kommunikation bestimmter Inhalte zu erleichtern.
5.2
Hypothese 1: Notwendigkeit
Die Visualisierung der Vorgänge in unserer komplexen Welt ist essenziell für
die Weltanschauung der darin lebenden Informationsgesellschaft.
5.2.1
Erklärung der Fragestellung
1. Mit „Visualisierung“ ist jegliche Art der Transformation von Zahlen,
Fakten und Zusammenhängen in grafische Veranschaulichungen gemeint. Es kann sich hierbei also sowohl um statische Infographics als
81
5. Fragestellung und Analyse
82
auch um Animationen handeln, bedeutend ist die Aufbereitung und
Strukturierung der zu Grunde liegenden Daten.
2. Mit „unserer komplexen Umgebung“ ist die Welt gemeint, die wir Menschen bevölkern. Damit sind nicht nur konkrete, optisch erfassbare Gegebenheiten und Zusammenhänge gemeint; durch die zunehmende Vernetzung und Virtualisierung unserer Tätigkeiten in einer globalisierten
Welt entsteht eine Unmenge an Daten, die allesamt gewisse Indizien
darstellen, mit deren Hilfe gewisse Aussagen über unsere Existenz getroffen werden können.
3. Mit „Weltanschauung“ sind gedankliche Modelle gemeint, die den Grundstein für die Ansichten und Meinungen der Menschen bilden. Solche
Weltanschauungen können grundsätzlich von jeder Art von Impulsen
stammen, die das Gehirn zur Konstruktion eines mentalen Modells anregt – folglich auch von solchen, die nicht aus den im ersten Punkt
definierten Visualisierungen hervorgehen.
4. Mit „Informationsgesellschaft“ ist die in unseren Breitengraden vorherrschende Gesellschaftsform gemeint, in der der Leitsatz Wissen ist
Macht von so hoher Gültigkeit ist wie noch nie zuvor. Viele Mitglieder dieser Gesellschaft sind in der Branche der Informationstechnologie
(kurz: IT ) tätig, und generell ist gute Bildung ein wichtiger Faktor für
die Lebensumstände.
Zur Informationsgesellschaft
Allem voran soll hier der Versuch unternommen werden, die eigentliche Zielgruppe von Motion Graphics als Wissensvermittler – also im Wesentlichen
die Mitglieder der Informationsgesellschaft – etwas genauer zu charakterisieren. Für diese gibt es eine Vielzahl verschiedenartiger Definitionen, die den
Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen würden. Fasst man etwa die Definitionen des britischen Soziologen Frank Webster 1 zusammen, so kristallisieren
sich einige markante Eigenschaften dieser Gesellschaftsform heraus:
• Telekommunikation und Computertechnologie sind in dieser Gesellschaftsform von hoher Bedeutung und wirken sich dementsprechen auf
sie aus.
• Die Vernetzung – also die Informationstechnologie – bildet die Infrastruktur dieser Gesellschaft und bestimmt ihr soziales Gefüge.
• Der Arbeitsmarkt hat sich durch das Informationszeitalter stark verändert: Die Industriearbeit wurde sozusagen von der Wissensarbeit
abgelöst.
1
Siehe [80].
5. Fragestellung und Analyse
83
• Der Anstieg der verfügbaren Menge an Informationen im Alltagsleben
durch (Massen-)Medien führt sowohl gesellschaftliche als auch kulturelle Konsequenzen mit sich.
Manuel Castells 2 erkennt weiters eine komplexe Wechselwirkung zwischen politischen Ideen, kulturellen Rahmenbedingungen sowie ökonomischen und sozialen Strukturen auf der einen Seite und den zum jeweiligen
Zeitpunkt verfügbaren Technologien auf der anderen Seite, die zur Bildung
unserer heutigen Informationsgesellschaft geführt hat.
5.2.2
Von Komplexität zu Klarheit
Informationsüberfluss
Fest steht, dass der Wandel vom Industrie- zum Informationszeitalter die
Welt in der wir leben um einiges komplexer werden hat lassen und sich
dies mit der zunehmenen Virtualisierung unseres Daseins wohl auch nicht so
schnell ändern wird.
Nicht nur wenn man sich die Größe und Präsenz der (Massen-)Medien
oder die umfassenden Möglichkeiten zur Internet-Recherche vor Augen hält
merkt man, dass sich die Menschen in einem Zeitalter des Informationsüberflusses befinden. Diese Informationen sind selten für Menschen angepasst, die
nicht Experten auf dem betreffenden Gebiet sind – dies kann jeder bestätigen, der sich als Laie schon einmal mit Gesetzestexten oder Vertragsklauseln
auseinander gesetzt hat. Betrachtet man beispielhaft die Rechtsvorschrift für
das Österreichische Datenschutzgesetz 2000 in der Fassung vom 31. Dezember 20103 , so erkennt man aber sowohl den Umfang an Daten als auch die
hergestellten Relationen zwischen den vorkommenden Einzelteilen in Form
der Referenzierung auf andere Paragraphen und Absätze. Anders formuliert
sind die Informationen zwar vorhanden, aber nur sehr schwer lesbar – und
damit auch nur schwer verständlich. Es bedarf also einem Maß an Aufbereitung dieser Informationen, um sie überhaupt zu vermittelbarem Wissen zu
formen.
Mit dieser zunehmenden Komplexität haben sich seit dem Aufkommen
von Computern und besonders im darauf folgenden digitalen Zeitalter aber
auch die technischen Möglichkeiten ständig weiterentwickelt: Wie in Abschnitt 4.2.5 auf Seite 67 erwähnt, hat sich der Aufwand, Motion Graphics zu
produzieren, im Laufe der Jahre sowohl in finanzieller als auch in organisatorischer Hinsicht massiv verringert. Doch nicht nur die Umsetzung hat sich
vereinfacht, auch die Möglichkeiten zur Recherche und Informationsbeschaffung mit immer größeren Mengen an digitalisierten Informationen, die meist
bequem per Internet abrufbar sind, haben sich mittlerweile stark erweitert.
2
Siehe [10].
Die Rechtsvorschrift ist im Internet unter der Adresse http://www.ris.bka.gv.at/
GeltendeFassung.wxe?Abfrage=bundesnormen&Gesetzesnummer=10001597 einsehbar.
3
5. Fragestellung und Analyse
84
New Mediators
Der Überfluss und die meist nur schwer verständliche Aufbereitung von Informationen ist auch im Finanzsektor anzutreffen. Hier finden mittlerweile
Vorgänge statt, die eine solche Komplexität aufweisen dass es für Außenstehende schon fast unmöglich ist sie zu begreifen. Vor kurzer Zeit kollabierte
dieses System, was sich aber zum Großteil negativ auf genau diese Außenstehenden (und in weiterer Folge auf die gesamte Weltwirtschaft) auswirkte.
Die entscheidende Frage – die sich wohl auch Otto Neurath in der Zeit des
Wiener Kreises4 stellte – lautet also, ob es denn überhaupt möglich ist, aus
einer Krise zu lernen, wenn nur ein minimaler Anteil der Bevölkerung weiß,
wie es zu dieser gekommen ist.
Jonathan Jarvis, der im Rahmen dieser Arbeit bereits im Zusammenhang
mit dem Visual Essay The Crisis of Credit Visualized 5 erwähnt wurde, hatte
mit seinem Werk offensichtlich das Ziel, solch komplexe Vorgänge durch eine
leicht verständliche Aufbereitung einer breiten Masse zugänglich zu machen.
Er definierte auf einer seiner Websites6 die Rolle des New Mediators:
New Mediators are practitioners who combine methods from
design, journalism, and narrative analysis. The result is designed
transparency – information that is not only made available, but
accessible, relevant and beautiful. (Jonathan Jarvis)
Ein solcher New Mediator muss also sowohl journalistische Qualitäten
aufweisen, indem er ein bestimmtes Thema findet und darüber recherchiert,
als auch fähig sein, die Thematik narrativ zu gestalten und in Form einer
Animation zu behandeln. Dies bedeutet also, dass die in im Bezug auf statische Infographics von Frank Thissen erwähnte Interdisziplinarität7 nochmals erweitert wird: So sind neben der für die Erstellung von Infographics
notwendigen Recherche, Selektion und Reduktion von Daten sowie deren designtechnisch gelungener grafischer Aufbereitung auch das für die Erstellung
eines Visual Essays notwendige Aufbereiten der Daten in narrativer Form
und die letztliche Erstellung einer dynamischen, mit Sprechertext versehenen
und vor allem im kommunikativen Aspekt erfolgreichen Animation von Bedeutung. Durch diese Vielzahl an Fähigkeiten, die zur Erstellung von Motion
Graphics zur Wissensvermittlung benötigt werden, ist es natürlich ratsam,
die durchzuführenden Tätigkeiten auf mehrere Personen zu verteilen – dennoch handelt es sich bei drei der vier in dieser Arbeit vorgestellten Beispiele8
(alle außer Health Care Overhaul ) um jeweils eine einzige Person, die für
4
Siehe 3.4 auf Seite 29.
Siehe Abschnitt 4.3.4 auf Seite 76.
6
Die Website ist unter der Adresse http://www.newmediators.com/ zu finden.
7
Siehe Abschnitt 3.5.1 auf Seite 35.
8
Siehe Abschnitt 4.3.4 auf Seite 72.
5
5. Fragestellung und Analyse
85
den Großteil der Umsetzung der Animation verantwortlich war. Diese Tatsache ist ein gutes Beispiel für das Ausmaß des technologischen Fortschritts,
der sich in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat: Lässt man die Konzeption
und die zu Grunde liegenden Überlegungen außen vor und betrachtet rein
den zeitlichen und technischen Aufwand, mit dem die tatsächliche Umsetzung eines Visual Essays verbunden ist, so beträgt dieser selbst im Vergleich
zu den ersten (statischen) Infographics nur einen Bruchteil.
5.2.3
Beispiele
Ob nun gewollt oder nicht, jede Transformation von Daten und Fakten in
visuelle Form führt schon in der Phase der Auswahl, Strukturierung und
Aufbereitung – bzw. der damit verbundenen Selektion und Reduktion – von
Daten eine gewisse Subjektivierung einer objektiven (weil zahlenmäßig erfassbaren) Sichtweise auf die Materie mit sich. Diese zieht sich natürlich
durch den gesamten Erstellungsprozess, so kann auch die Art und Weise der
visuellen Aufbereitung von bereits strukturierten Daten das beim Betrachter
hervorgerufene mentale Modell wesentlich beeinflussen.
Um im Zuge dieser Arbeit ein letztes mal aufzuzeigen, wie sehr die visuelle Aufbereitung von Daten und Fakten die Anschauung von Betrachtern
beeinflussen kann, sollen im folgenden ein Beispiel aus der Kartografie und
eines aus dem Bereich der Animation untersucht werden. Zum einen handelt es sich um die kartografische Darstellung der Wahlergebnisse der USamerikanischen Präsidentenwahl des Jahres 2008 zwischen Barack Obama
und John McCain, zum anderen um die Veranschaulichung der tragenden
Bedeutung eines funktionierenden Bildungssystems für zukünftige Generationen – ebenfalls am Beispiel Amerika.
Amerikanische Präsidentenwahl 2008: Obama vs. McCain
Bevor näher auf das Beispiel der Visualisierung von Wahlergebnissen des
Jahres 2008 eingegangen wird, ist es nötig, ein wenig weiter auszuholen9 . Bis
zu den Wahlen zwischen George W. Bush und Al Gore im Jahre 2000 existierten keine fixen Farben für Republikanische bzw. Demokratische Partei,
bis dahin wurden sie weitgehend willkürlich von den Medien für ihre Berichterstattung festgelegt. Meist handelte es sich dabei jedoch um die Farben Rot
und Blau, erst bei den Berichten über die Wahl im Jahr 2000 einigte man sich
erstmals auf eine einheitliche Zuordnung, um die Wahlergebnisse zu visualisieren. So wurde den Demokraten die Farbe Blau, den Republikanern
die Farbe Rot zugeteilt (siehe Abbildung 5.1). Von diesem Zeitpunkt an
hat sich die Rede vom „roten“ und vom „blauen“ Amerika durchgesetzt, die
9
Die Schilderungen zur Etablierung des „roten“ und „blauen“ Amerika beruhen auf der
Darstellung, die in [68, S. 84-93] beschrieben wird.
5. Fragestellung und Analyse
86
vor allem durch Medienberichte10 verbreitet wurde und das Land gewissermaßen in zwei Lager spaltete: Das blaue Amerika steht für großstädtisch,
urban, hohe Bildung, säkular und hohem Anteil an Minderheiten, während
das rote Amerika das ländliche Amerika mit große Farmen, kleinen Städten, gut besuchten Kirchen, Menschen mit geringer Schulbildung und einem
niedrigen Anteil an Minderheiten symbolisierte.
Abbildung 5.1: Kartografische Darstellung der Ergebnisse der USamerikanischen Präsidentenwahl zwischen George W. Bush und Al Gore des
Jahres 2000, die das Gedankenbild vieler Amerikaner stark geprägt hat.
Betrachtet man Abbildung 5.1, so kann man den Eindruck gewinnen,
dass die roten Blöcke im Landesinneren von blauen Blöcken in Küstennähe
umklammert werden. Dementsprechend könnte – allein schon durch die rein
bildlichen Informationen, fernab jeglicher daraus resultierender Vermutungen
oder Schlussfolgerungen – der Eindruck entstehen, dass die USA ideologisch
tatsächlich in zwei Lager gespalten ist. Weiters ist die Tatsache, dass es sich
bei dieser Wahl um eine der knappsten Präsidentenwahlen in der Geschichte
der USA handelt, in genannter Abbildung keinesfalls ersichtlich. Unabhängig
vom tatsächlichen Ausgang der Wahlen – also rein auf die generelle Art
der Darstellung beschränkt – stellen sich vor allem zwei Eigenschaften der
Visualisierung als problematisch heraus:
1. Es gibt natürlich in den „blauen“ Staaten auch Wähler, die für „rot“
gestimmt haben – und umgekehrt. In der Abbildung wird dies aber in
keinster Weise berücksichtigt, vielmehr täuscht die Karte eine Homo10
Ein bekannter Bericht ist etwa der von David Brooks verfasste Artikel One Nation,
Slightly Divisible: A Report from „Red“ and „Blue“ America, den er Ende 2001 für die
Zeitschrift The Atlantic verfasste – siehe [7]. In diesem stellt Brooks u.a. folgende Frage:
Do our differences effectively split us into two nations, or are they just cracks in a stillunited whole?
5. Fragestellung und Analyse
87
genität vor, die keinesfalls der Wirklichkeit entspricht11 . Diese zeichnet
sich effektiv auch in den erwähnten Vorurteilen und Wertevorstellungen ab, die man durch diese Kolorierung der Gesamtheit – nicht nur
der Mehrheit, die für diese Einfärbung sorgte – der Bewohner eines
Bundesstaats zuordnet.
2. Selbst wenn man über die Aufteilung der Stimmen in den einzelnen
Bundesstaaten Bescheid wüsste, könnte man keinerlei Aussagen über
die Relation zwischen der Stimmenzahl in den Bundesstaaten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung treffen, da die Bevölkerungsdichte der
Staaten die Visualisierung nicht beeinflusst. So glaubt man, dass etwa
die Anzahl der Stimmen für „rot“ in Montana etwa derer für „blau“ in
Kalifornien entspricht.
Aufgrund der Unzulänglichkeiten der in Abbildung 5.1 beispielhaft dargestellten Karte zur Visualisierung der Wahlergebnisse und den daraus resultierenden Fehleinschätzungen der Betrachter wurde eine Art der kartografischen
Visualisierung entwickelt, die besser für die Darstellung solcher Gegebenheiten geeignet ist: So genannte Kartenanamorphoten (engl. Cartograms).
Bei dieser Form der Darstellung wird zumindest die zweite der vorher
erwähnten Schwachstellen der normalen kartografischen Visualisierung ausgemerzt: Mittels Verzerrungen werden einzelne Elemente nicht in ihrer tatsächlichen Größe, sondern proportional zu einem beliebigen Attribut dargestellt – dieses Attribut kann also auch die Einwohnerzahl sein. Entscheidend
ist, dass sich die relative Lage der abgebildeten Flächen zueinander (bzw. die
Topologie der Kartenzeichen) nicht von der unverzerrten Form unterscheidet.
Betrachtet man ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit, so merkt man
schnell die Vorzüge der Darstellung durch Kartenanamorphote. So werden
die Wahlergebnisse der Amerikanischen Präsidentenwahl zwischen Barack
Obama und John McCain des Jahres 2008 in Abbildung 5.2 auf herkömmliche Art und Weise – also wie in Abbildung 5.1 – und in Abbildung 5.3
in Form einer Kartenanamorphote visualisiert. Durch die Anpassung der
Größe der abgebildeten Bundesstaaten an ihre Bevölkerungsdichte
ergibt sich ein wesentlich wahrheitsgetreueres Bild der Ergebnisse, immerhin
suggeriert Abbildung 5.2 durch den höheren Anteil von Rot fälschlicherweise,
dass die Republikaner die Wahl gewonnen hätten. Weiters sei an dieser Stelle auf die beispielhaft erwähnten Bundesstaaten Montana und Kalifornien
verwiesen: Man sieht sehr deutlich, als wie falsch sich die obige Vermutung
bezüglich des mengenmäßigen Verhältnisses zwischen den Wählerstimmen
herausstellt.
11
Dies lässt sich gut am Beispiel des Bundesstaates New Mexico demonstrieren: Die
Anzahl der für die Demokraten abgegebenen Stimmen betrug hier offiziell 286.317, die
Anzahl derer für die Demokraten 286.783 – der Unterschied beträgt gerade mal 0,06
Prozent der insgesamt abgegebenen Wählerstimmen im Bundesstaat New Mexico.
5. Fragestellung und Analyse
Abbildung 5.2: Wahlergebnisse der US-Amerikanischen
Präsidentschaftswahl 2008 in
herkömmlicher kartografischer
Form.
88
Abbildung 5.3: Wahlergebnisse der US-Amerikanischen
Präsidentschaftswahl 2008 in
Form einer Kartenanamorphote.
Noch deutlicher kann man die Unterschiede zwischen klassischen Kartografien und Kartenanamorphoten demonstrieren, indem man die beispielhaft behandelten Wahlergebnisse detaillierter darstellt. In den Abbildungen
5.4 und 5.5 wird dem entsprechend eine Unterteilung der Bundesstaaten in
Countys vorgenommen, hier merkt man die Verschiedenartigkeit der Visualisierungen besonders deutlich.
Abbildung 5.4: Wahlergebnisse der US-Amerikanischen
Präsidentschaftswahl 2008 in
herkömmlicher kartografischer
Form.
Abbildung 5.5: Wahlergebnisse der US-Amerikanischen
Präsidentschaftswahl 2008 in
Form einer Kartenanamorphote.
An dieser Stelle sei auf eine Website namens Worldmapper verwiesen,
die zum Zeitpunkt der Verfassung dieser Arbeit knappe 700 Kartenanamorphote zu verschiedensten Messgrößen in verschiedensten Formaten enthält.
Die Website ist unter der Adresse http://www.worldmapper.org/ aufrufbar
und gibt detaillierte Einblicke des Zustands unserer Zivilisation im Hinblick
auf einige äußerst interessante Kriterien. Ein Teil dieser Sammlung wurde
5. Fragestellung und Analyse
89
auch in Form eines Buchs mit dem treffenden Namen The Atlas of the Real
World: Mapping the Way We Live 12 veröffentlicht.
Jr.canest – Waiting for Superman Infographic
Der als Jr.canest bekannte Motion Designer Jorge R. Canedo Estrada erstellte im Jahr 2010 eine kurze Sequenz, die als eine Art Teaser für eine
Dokumentation mit dem Namen Waiting For Superman verstanden werden
kann. Wie der Film selbst beschäftigt sich die Animation mit der tragenden
Rolle, die ein effizientes Bildungssystem für die Entwicklung einer funktionierenden Gesellschaft ist und zeigt dies am Beispiel des maroden Systems
in Amerika. Besonders wichtig scheint die Aussage, dass langfristig nur ein
gutes Bildungssystem für die Verbesserung des Zustands des Gesundheitswesen, der Wirtschaft, der Energiepolitik und der Gesellschaft – Schlagwörter
sind hier etwa Diskriminierung, Armut, Einwanderung und Arbeitslosigkeit
– sorgen kann.
So wird etwa die schlechte Platzierung des Amerikanischen Bildungssystems im internationalen Vergleich visualisiert (siehe Abbildung 5.6 links
oben). Auch andere statistische Daten werden veranschaulicht: Alle 26 Sekunden verlässt ein Schüler die High School, das ergibt 1.2 Millionen pro
Jahr (siehe Abbildung 5.6 oben in der Mitte). Bei jedem dieser Leute ist
die Wahrscheinlichkeit, im Gefängnis zu landen, 8 mal höher als bei denen,
die einen Abschluss machen. Von jedem Dollar, den eine Person mit High
School-Abschluss ausgibt, werden 40 Cent für solche Schulabbrecher ausgegeben (siehe Abbildung 5.6 rechts oben). Besonders wichtig scheint die
Aussage, dass sich mit der Verbesserung der Chancen für junge Menschen
der Effekt auf lange Sicht potenziert, da auch die Kinder von glücklichen Mitgliedern der Gesellschaft von der besseren Lage profitieren (siehe Abbildung
5.6 unten in der Mitte bzw. unten rechts).
5.2.4
Resümee
Man führe sich die im Laufe dieses Abschnitts gestellte Frage wieder vor
Augen: Ist es denn überhaupt möglich ist, aus einer Krise zu lernen, wenn
nur ein minimaler Anteil der Bevölkerung weiß, wie es zu dieser gekommen
ist? Die Antwort darauf liegt auf der Hand, es ist sogar unbedingt notwendig,
komplexe Sachverhalte so aufzubereiten, dass sie auch von Laien auf dem
behandelten Gebiet verstanden werden können – besonders wenn diese Laien
so schlimm davon betroffen sind wie von der Finanzkrise.
Der Überfluss an Daten, die mittlerweile in digitalisierter Form im Internet aufzufinden sind und von dort heruntergeladen werden können, ist
schier nicht mehr von einem einzigen Menschen, Computer oder klassischem
Speichermedium erfassbar. Es ist entscheidend, die schon so oft in dieser
12
Siehe [15].
5. Fragestellung und Analyse
90
Abbildung 5.6: Stills aus dem Visual Essay von Jr.canest, das als Teaser
für den Film Waiting for Superman aus dem Jahr 2010 verwendet wurde.
Arbeit erwähnte Auswahl, Strukturierung und Reduktion der Informationsblöcke des abrufbaren Datenstroms vorzunehmen, um diesen gleichermaßen
zu reduzieren und zu vernetzen wie für eine breitere Masse verständlich zu
machen. Jede Form von Informationsaufbereitung – sei es ein Zeitungsartikel, ein Film oder eine Infografik – dient dem Verständnis eines Sachverhalts,
der auf verschiedenste Arten und Weisen vermittelt werden kann. Je stärker
die Informationen im Verlauf der Aufbereitung reduziert sind, desto oberflächlicher wird zwar die Thematik erklärt, aber desto wahrscheinlicher wird
bei Laien auf dem behandelten Gebiet die Schwellenangst überwunden, sich
überhaupt mit einer bestimmten Materie zu beschäftigen.
Besonders bei den behandelten kartografischen Visualisierungen, die im
Zuge der Präsidentschaftswahlen in den USA angefertigt wurden, zeigt sich
neben der unmittelbaren Attraktivität eine starke suggestive Kraft, die Visualisierungen von nicht unmittelbar darstellbaren Sachverhalten auszeichnet: Die Unterscheidung eines „roten“ und eines „blaues“ Amerikas rührt im
Wesentlichen aus der nicht annähernd realitätsgetreuen aber dennoch von
den Medien publizierte Abbildung der Ergebnisse der Präsidentenwahl des
Jahres 2000. Die Objektivität solcher Darstellungen sei dahingestellt, dennoch wurde in den Köpfen vieler Amerikaner eine kognitive Karte mit roten
und blauen Farbblöcken erzeugt, die durch die politische Diskussion noch
verfestigt wurde und für eine Vielzahl an Werten, Zuschreibungen und Auffassungen steht.
Ziel solcher Visualisierungen soll ja eigentlich der gesellschaftliche Nutzen sein, besonders in der Animation von Jr.canest zeigt sich die Analogie
zur Philosophie von Otto Neurath in der Zeit des Wiener Kreises13 : Eine
Verbesserung der Lebensumstände ist langfristig nur durch Informationsaufbereitung und -vermittlung möglich. Damals versuchte Neurath die Gesell13
Siehe Abschnitt 3.4.2 auf Seite 30.
5. Fragestellung und Analyse
91
schaft damals über für sie bedeutende Themen wie Säuglingssterblichkeit,
Arbeitslosigkeit und Alkoholismus aufzuklären, heute stellt man erneut fest
dass nur eine solche Aufklärung der Gesellschaft (im Fall des Beispiels durch
eine generelle Verbesserung des Bildungssystems) eine langfristige Lösung
für die heutigen gesellschaftlichen Problemstellen, die unser aller Leben beeinflussen, darstellen kann. Die Animation zeichnet sich zwar nicht durch
eine hohe Informationsdichte aus, vermittelt aber sehr wohl einen Standpunkt, der durch die objektive Darstellung statistischer Daten an Glaubhaftigkeit gewinnt. Hält man sich diese Daten in narrativer Form einer mit
Sprechertext (und damit einer Geschichte) versehenen Animation vor Augen,
so merkt man, wie wichtig ein funktionierendes Bildungssystem für zukünftige Generationen ist – und besonders, wie falsch das kurzfristige Denken
vieler Politiker, die auch in unseren Breitengraden das Bildungssystem nach
und nach abbauen um Ausgaben zu senken, aus dieser vernünftig wirkenden
Perspektive erscheint.
5.3
Hypothese 2: Überlegenheit
Motion Graphics sind hinsichtlich ihrer Effektivität klassischeren Formen der
Wissensvermittlung überlegen.
5.3.1
Erklärung der Fragestellung
Zunächst gilt es, die in der Fragestellung vorkommenden Begriffe genauer zu
bestimmen:
1. Mit „Motion Graphics“ sind die in Abschnitt 4.3.3 auf Seite 70 definierten Motion Graphics als Wissensvermittler gemeint, die bestimmte
Kritierien zu erfüllen haben um als solche bezeichnet werden zu können. Es handelt sich also ausschließlich um Bewegtbildsequenzen, die
ähnlich den in Abschnitt 4.3.4 auf Seite 72 vorgestellten Beispielen
funktionieren.
2. Mit „klassischeren Formen der Wissensvermittlung“ sind alle Medien
gemeint, die im Laufe der Geschichte zur Bewahrung und zur Vermittlung von Information gedient haben und/oder diesem Zweck noch immer dienen, also etwa Bücher, Zeitungen oder (Fach-)Magazine. Konkret kann dies also jegliche Form multimedialer Repräsentation sein,
die keine temporäre Dimension aufweist und in der ein Zusammenspiel
zwischen Bild und Text14 stattfindet.
3. Mit „Effektivität“ wird versucht, das Ausmaß der Fähigkeit der in
Punkt 2 beschriebenen Medien im Hinblick auf die schnelle und einfache Kommunikation (bzw. Wissensvermittlung) aufzustellen. Obwohl
14
Siehe Abschnitt 3.2 auf Seite 22
5. Fragestellung und Analyse
92
es nur schwer möglich ist, „Gelerntes“ oder „Verstandenes“ – bzw. eben
die Effektivität des eigentlichen Lernvorgangs – zahlenmäßig zu erfassen, ergibt sich dieser Wert aus dem Umfang und der Komplexität des
zu vermittelnden Sachverhalts und dem Zeitraum, innerhalb welchem
dieser Sachverhalt verstanden wird.
Laut [39] kann der Mensch grundsätzlich besser durch Animationen als
statischen Darstellungen lernen, da die sinnliche Erfassung und gedankliche
Verarbeitung beweglicher Objekte die evolutionär ältere (und damit gewohntere) Art der Informationsverarbeitung darstellt. Inwieweit diese Behauptungen als korrekt bezeichnet werden kann, soll in diesem Abschnitt überprüft
werden. Fakt ist jedoch, dass die Verarbeitung von statischen und dynamischen Inhalten auf unterschiedliche Art und Weise erfolgt.
5.3.2
Vergleich mit statischen Grafiken
Wie am Beginn des Kapitels 3 auf Seite 22 angemerkt, können viele Prinzipien, die bei der Erstellung von Infographics zum kommunikativen Erfolg
führen, auch auf Motion Graphics, die der Wissensvermittlung dienen sollen,
angewandt werden. So ist etwa die Benutzung von kommunikativ effektiven
Bildzeichen auch bei der animierten Variante vorteilhaft.
Betrachtet man das mit Sicherheit bedeutendste Unterscheidungsmerkmal – nämlich die temporale Dimension – so ergibt sich natürlich auch ein
anderer Umgang mit der Darstellung zeitlicher Abläufe. Während bei den
statischen Infographics alle darzustellenden Informationen auf einer Fläche
mit einer bestimmten Größe Platz finden müssen, können bei der BewegtbildVariante kleinere Informationsblöcke über die Spieldauer verteilt werden.
Dies macht beispielsweise die Berücksichtigung der Miller’schen Zahl15 leichter möglich, als dies bei statischen Grafiken der Fall wäre. Diese Anordnung
auf der Zeitachse, bzw. die daraus resultierende zeitlich beschränkte Sichtbarkeit von Informationen, bindet den Zuseher strikt an die vorgenommene
Reihenfolge, in der diese kommuniziert werden. Aus dieser zeitlichen Gebundenheit resultiert aber auch der Nachteil, dass der Betrachter die Reihenfolge, in der er die dargebotenen Informationen konsumiert, nicht selbst
bestimmen kann. Man kann also behaupten, dass der Zuseher bei animierten Grafiken strikter an Steuerungscodes gebunden ist, da diese den Ablauf
des Dargebotenen maßgeblich beeinflussen. Es liegt auf der Hand, dass das
Vorhandensein einer temporalen Dimension beim Bewegtbild eine gewisse
Flüchtigkeit der dargebotenen Informationen mit sich bringt, die ebenfalls
ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal darstellt: Während die bildlichen
Inhalte bei statischen Infographics für beliebige Zeit verfügbar sind und bei
Bedarf wiederholt betrachtet werden können, ist dies bei Animationen nur
15
Siehe Abschnitt 3.5.4 auf Seite 41.
5. Fragestellung und Analyse
93
bedingt – sprich, über den Zeitraum, in dem die bildlichen Informationen
sichbar sind – der Fall.
Ein wesentlicher Vorteil von Motion Graphics gegenüber statischen Abbildungen ist auch die Möglichkeit zum vermehrten Einsatz von multiplen
Repräsentationen gewisser Inhalte, die im Wesentlichen aus dem Vorhandensein einer Tonspur resultiert. Dies bedeutet, dass ein Sachverhalt sowohl
visuell als auch auditiv dargestellt werden kann – eine derartige Redundanz
wurde bereits in Abschnitt 3.2.2 auf Seite 24 im Hinblick auf die effektivere
Bildung eines mentalen Modells bei Bildern im Vergleich zu Texten erwähnt.
Diese so genannte Multikodalität wird im folgenden Abschnitt genauer behandelt.
5.3.3
Kognitive Verarbeitung multimedialer Inhalte
Um mehr Einblick in den Vergleich zwischen der Wahrnehmung von statischen und animierten Bild- und Textinhalten zu erlangen, ist es zunächst
nötig, etwas weiter auszuholen und den Begriff Multimedia genauer zu definieren. Joachim Hasebrook definiert diesen folgendermaßen:
Multimedia kann in psychologischen Begriffen definiert werden als eine vom Lernenden unmittelbar beeinflussbare Computeranwendung, die Informationen durch mehrere Symbolsystem,
d.h. bildlich-analog oder sprachlich-sequentiell, vermittelt und
dabei verschiedene Sinne anspricht. (Joachim Hasebrook, [34, S.
361])
Kernpunkt der Aussage ist die Verwendung von verschiedenen Symbolsystemen, aus der das Ansprechen mehrerer Sinne resultiert – dies ist
ganz im Sinne der Berücksichtigung der drei verschiedenen Lerntypen16 und
bringt dementsprechende kommunikative Vorteile mit sich.
Betrachtet man dieser Definition entsprechende Inhalte im Zusammenspiel mit dem Betrachter, so zeichnet sich auch hier der Grundgedanke der
Semiotik17 in der Entstehung eines Gedankenbilds auf Basis eines abgebildeten Inhaltes ab: Im Bezug auf das menschliche kognitive System wird
ersteres als interne Repräsentation – da innerhalb des kognitiven Systems
– und zweiteres als externe Repräsentation – da außerhalb des kognitiven
Systems – bezeichnet. Weiters unterscheidet man im Bezug auf die externe
Repräsentation drei Ebenen18 :
16
Siehe Abschnitt 3.5.3 auf Seite 39.
Siehe Abschnitt 2.4.1 auf Seite 13.
18
Siehe [52].
17
5. Fragestellung und Analyse
94
1. Die technische Ebene besteht aus den Zeichenträgern – also Geräten
und Technologien, die für die Präsentation der multimedialen Inhalte
notwendig sind (z.B. Netzwerken und Computern) – sie wird auch als
multimediale Dimension bezeichnet.
2. Die semiotische Ebene besteht aus den Zeichenarten – also den Darstellungsformaten, die für die Kommunikation von Inhalten benutzt
werden(z.B. Bilder, Texte und Ton). Werden mehrere Darstellungsformate kombiniert, wird sie auch als multikodalen Dimension bezeichnet.
3. Die sensorische Ebene bezeichnet die Zeichenrezeption – also die
Sinnesmodalitäten, die angesprochen werden (z.b. visuell oder auditiv).
Werden mehrere Sinne angesprochen, wird sie auch als multimodale
Dimension bezeichnet.
Bei der in dieser Arbeit beschriebenen Art von Motion Graphics handelt es sich also zum Großteil um multikodale, multimodale Animationen.
Die technische und semiotische Ebene wurden in vorangehenden Kapiteln
dieser Arbeit bereits behandelt, im folgenden wird die sensorische Ebene –
besonders der Vergleich von visuellen und verbalen Inhalten – untersucht.
Sensorische Ebene: visuelle und auditive Elemente
In der Einleitung dieses Abschnitts wurde bereits erwähnt, dass die Fähigkeit
der Nutzung mehrerer „Kanäle“ einen wesentlicher Vorteil von animierten gegenüber statischen Inhalten darstellt. Konkret bedeutet dies, dass bei einer
rein visuellen Darbietung natürlich auch nur der visuelle Teil vom Betrachter
verarbeitet werden kann, während bei der audiovisuellen Darbietung zusätzlich auch der auditive Teil die Wahrnehmung und das daraus entstehende
Gedankenbild beeinflusst. Diese Tatsache zeigt sich besonders in der Kombination von bildlichen und sprachlichen Inhalten: Geht man nun davon aus,
dass dem Betrachter für beide dieser angesprochenen Sinnesmodalitäten nur
begrenzte Aufnahmekapazitäten zur Verfügung stehen, so kann bei rein visuellen Darbietungen von Bild und Text ein so genannter Split-AttentionEffekt19 entstehen, der zu einer Überlastung des für den visuellen Teil zuständigen Sinneskanals führen kann. Dieser Überlastung kann jedoch entgegengewirkt werden, so ist es möglich, das Auge des Betrachters zu entlasten,
indem Text auditiv anstatt visuell – also in Form des gesprochenen anstatt
des geschriebenen Worts – präsentiert wird. Man spricht hierbei vom Modalitätseffekt20 Die unterschiedliche Beanspruchung der Sinneskanäle wird
in Abbildung 5.7 dargestellt.
19
20
Siehe [29, S. 17].
Siehe [29, S. 18].
5. Fragestellung und Analyse
95
Abbildung 5.7: Split-Attention- und Modalitätseffekt bei visuellen und audiovisuellen Darbietungen.
Im Hinblick auf die eingangs erwähnte Flüchtigkeit von Informationen
sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass diese auch für auditive Elemente
besonders bedeutend ist, da solche nicht einmal im Falle der Pausierung der
Animation für längere Zeit wahrgenommen werden können.
5.3.4
Resümee
Man kann nicht pauschalisieren, ob sich die dynamische Aufbereitung besser
für die Kommunikation von Wissen eignet als die statische Variante – es
hängt zu einem großen Teil von der Thematik und der Art und Weise ab,
wie diese dem Betrachter vermittelt werden soll.
Man führe sich die in Abbildung 3.7 auf Seite 39 vorgenommene Einteilung der Bereiche des Information Design (anhand Informationsdichte und
Publikumsgröße) vor Augen: Sofern der Informationsbeschaffer von einer
großen Menge an Informationen nur wenige tatsächlich benötigt (wie etwa
bei einem Telefonbuch, oder bei einem Research-Portal), so ist natürlich eine
Darstellung, die den Betrachter nicht in einen festgelegten zeitlichen Ablauf
der Informationswahrnehmung zwingt, vorzuziehen.21 Das Zuordnen einer
zeitlichen Abfolge lässt dem Betrachter keine Möglichkeit, eigene Abläufe
und Assoziationsfolgen zu kreieren, sondern bindet ihn an eine vorgegebene, fortschreitende Erzählweise, in der die Informationen aufbereitet sind.
Mentale Modelle gelten in der Regel als dynamisch, das bedeutet, dass sie
nicht nur die einzelnen Bestandteile von Sachverhalten, sondern auch die
Interaktion unter ihnen enthalten. Da dynamische Darstellungen durch ihre
zeitliche Gebundenheit besser (als statische Darstellungen) in der Lage sind,
Prozesse und Abläufe zu präsentieren, beinhalten sie im Umkehrschluss also
21
Es stellt sich bei genannten Beispielen die Frage, ob diese überhaupt (für einen sinnvollen Zweck) in Form von Motion Graphics aufbereitet werden können – diese Extreme
sollen lediglich helfen, die bedeutende Thematik der Vergänglichkeit von dargestellten
Informationen bei Motion Graphics zu verstehen.
5. Fragestellung und Analyse
96
schon viele Bestandteile, die für die Bildung eines mentalen Modells benötigt
werden. Diese explizite „Entlastung“ des Betrachters kann zwar zu tieferem
Verständnis des erklärten Sachverhalts führen, aber auch dafür sorgen dass
er sich weniger intensiv mit der Materie beschäftigt, weil ihm ein Großteil
der Konstruktion eines eigenen Gedankenbilds bereits abgenommen wurde –
Richard E. Mayer nennt dies die Illusion von Verständnis 22 .
Eine mögliche Schlussfolgerung aus dieser Art gedanklicher Unterstützung, die die dynamische Aufbereitung für den Rezipienten mit sich bringt,
ist auch die Tatsache, dass mit Hilfe der Mehrzahl an angesprochenen Sinnen auch mehr zum mentalen Modell beigetragen wird – was Animationen zweifelsfrei emotionaler wirken lässt als statische Darstellungen. Diese
Emotionalität wird etwa in der in Abschnitt 4.3.4 auf Seite 78 vorgestellten
Animation Du bist Terrorist klar ersichtlich und ruft offensichtlich die vom
Motion Designer gewünschte Wirkung hervor. Man kann sich sicher sein,
dass eine Persiflage in Form eines statischen Bilds keine so große Wirkung
gezeigt hätte.
5.4
Hypothese 3: Redundanz
Für die erfolgreiche Kommunikation von Daten und Sachverhalten sind für
das Verständnis der Thematik redundante visuelle Elemente dennoch sinnvoll.
5.4.1
Erklärung der Fragestellung
Zunächst gilt es, die in der Fragestellung vorkommenden Begriffe genauer zu
bestimmen:
1. Mit „erfolgreiche Kommunikation“ ist die Fähigkeit einer Visualisierung
im Hinblick auf die Vermittlung eines Sachverhalts – etwa in Form der
Aufbereitung statistischer Daten in Form eines Diagramms – gemeint.
Wie erfolgreich die Kommunikation funktioniert, lässt sich durch zwei
wichtige Faktoren bestimmen: Zum einen ist dies die Genauigkeit, mit
der der Betrachter die dargestellten Daten interpretiert, zum anderen die Nachhaltigkeit, also wie lange sich Betrachter den vermittelten
Sachverhalt merken können.
2. Mit „Daten und Sachverhalten“ ist die Gesamtheit des Spektrums an
Informationen, die sich für eine Visualisierung eignen, gemeint. Es kann
sich grundsätzlich um beliebige Themen handeln, aufgrund der besseren Messbarkeit liegt der Fokus aber eher auf der Aufbereitung statistischer Daten in Form von Infographics als dem Darstellen von Prozessen
in Form von Visual Essays.
22
Siehe [53].
5. Fragestellung und Analyse
97
3. Mit „für das Verständnis der Thematik redundante visuelle Elemente“
sind Verzierungen, Ausschmückungen und Verschönerungen jeglicher
Art gemeint, die keinerlei Daten oder Sachverhalte visualisieren, sondern auf den ersten Blick lediglich die in Abschnitt 3.3.2 auf Seite 28
erwähnte dekorierende Funktion erfüllen.
5.4.2
Chart Junk vs. Minimalismus
Zunächst soll der Versuch unternommen werden, den in der Erklärung der
Fragestellung letztgenannten Terminus näher zu definieren. Der im Zusammenhang mit Informationsdesign (und dabei speziell mit Diagrammen jeglicher Art) geläufiger Begriff des Chart Junk wird gemeinhin folgendermaßen
definiert:
Chartjunk refers to all visual elements in charts and graphs
that are not necessary to comprehend the information represented on the graph, or that distract the viewer from this information. (Edward R. Tufte, [77])
Bei Chart Junk handelt es sich sozusagen um für das Verständnis des erklärten Sachverhaltes überflüssig befundene visuelle Elemente jeglicher Art.
In diesem Zusammenhang wird oft auch von der Data-Ink-Ratio gesprochen:
Diese gibt das Verhältnis zwischen der Tinte, die ausschließlich zur Datendarstellung verwendet wird, und der Gesamtmenge an Tinte zum Erstellen
der Infografik an. Demnach zeichnen sich unausgeschmückte bzw. auf das
Wesentlichste reduzierte Grafiken durch eine hohe Data-Ink-Ratio aus. Aus
einer minimalistischen Perspektive, wie sie etwa Edward R. Tufte einnahm,
galt es, eine möglichst hohe Data-Ink-Ratio anzustreben, bzw. Chart Junk
zu vermeiden. Dieser Einstellung zufolge ist letzteres nicht nur überflüssig
für das Verständnis einer Visualisierung von Daten, sondern sogar schädlich,
da sie den Betrachter von den relevaten visuellen Elementen ablenken und
damit Verständnisprobleme hervorrufen.
Dieser minimalistischen Ansatz, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts offensichtlich auch von Otto Neurath und seinen Mitarbeitern verfolgt
wurde, wird in der Realität aber eher selten eingesetzt, da mit der maximalen Reduktion von visuell ansprechenden Bildelementen natürlich auch die
Attraktivität verloren geht, die in Zeiten des Informationsüberflusses23 aber
als wichtiger Faktor gilt, um Betrachter zu einer Auseinandersetzung mit
bestimmten Themen zu führen. Konträr zur Ansicht von Tufte ist besonders
die des britischen Designers Nigel Holmes, der bereits für Zeitschriften wie
das Time Magazin oder den New York Times arbeitete – laut ihm müssen Grafiken so aufbereitet werden, dass sie das Interesse des potenziellen
Betrachters schon beim bloßen Überfliegen wecken.
23
Siehe Abschnitt 5.2.2 auf Seite 83.
5. Fragestellung und Analyse
98
Ein Beispiel für die Verschiedenartigkeit der Resultate aus diesen beiden
Standpunkten, obwohl diesen die selben Daten zu Grunde liegen, befindet
sich in Abbildung 5.8.
Abbildung 5.8: Minimalistische (links) und visuell ausgeschmückte (rechts)
Visualisierung des selben Datensatzes.
5.4.3
Studie zur Thematik
Aufgrund von nur mangelnden und uneindeutigen vorhandenen Erkenntnissen über die Sinnhaftigkeit von dekorativen visuellen Elementen wurde
im Jahr 2010 eine Studie durchgeführt24 , in der 19 Personen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren teilnahmen. Eine Reihe von Diagrammen war jeweis
in einer minimalistischen und einer ausgeschmückten Variante vorhanden
(ähnlich wie in Abbildung 5.8 dargestellt), jeder Teilnehmer bekam im Zuge der Untersuchung aber nur eine dieser beiden Varianten zu sehen. Durch
Eye-Tracking, also der Aufzeichnung der Blickrichtungen der Teilnehmer zu
bestimmten Zeitpunkten, konnten weitere Rückschlüsse über die Wahrnehmung der Infografiken gemacht werden.
Interpretationsgenauigkeit
Um Aussagen über die Interpretationsgenauigkeit treffen zu können, wurden
die Teilnehmer zunächst während der Betrachtung der Diagramme zu vier
Eigenschaften der Visualisierungen befragt:
1. Thema: Worum geht es bei der Visualisierung?
2. Werte: Was sind die angezeigten Kategorien und Werte?
3. Trend: Welche Tendenzen zeichnen sich ab?25
4. Aussage: Versucht der Autor, eine Nachricht zu vermitteln?
24
25
Siehe [S. 4-8] [3].
Diese Frage wurde bei Tortendiagrammen nicht gestellt.
5. Fragestellung und Analyse
99
Die Studie hatte zum Ergebnis, dass es für das unmittelbare Verständnis
der Visualisierungen weitgehend egal ist, ob man nun minimalistische oder
ausgeschmückte Grafiken betrachtet. Die Annahme von Edward R. Tufte,
dass Chart Junk gar störend für die Wahrnehmung bzw. kognitive Extraktion der den Visualisierungen zu Grunde liegenden Daten ist, kann also widerlegt werden. Im Hinblick auf die unmittelbare Beschreibbarkeit einer kommunizierten Aussage (Punkt 4) ist die visuell aufwändigere Variante sogar
erfolgreicher als die reduzierte.
Kurzfristige Erinnerungsfähigkeit
Um die kurzfristige Einprägsamkeit zu ermitteln, wurde nach obiger Befragung während der Betrachtung ein fünfminütiges Spiel mit den Teilnehmern
gespielt, um visuelle und sprachliche Erinnerungen an die Visualisierungen
aus dem Kurzzeitgedächtnis zu löschen. Danach folgte die Aufforderung,
möglichst viele Informationen im Bezug auf die vier gestellten Fragen zu
Thema, Werten, Trends und Aussagen der Visualisierungen preiszugeben.
Zum Ergebnis der Studie ist anzumerken, dass bezüglich der kurzfristigen Erinnerungsfähigkeit kein allzu großer Unterschied zwischen den beiden
Herangehensweisen der Visualisierung nachzuweisen ist, die ausgeschmückte
Variante jedoch in allen vier vorgestellten Punkten die andere übertrifft, am
markantesten ist der Unterschied aber (wie auch bei der vorher behandelten
Interpretationsgenauigkeit) sich dies im Hinblick auf die Aussage (Punkt 4).
Langfristige Erinnerungsfähigkeit
Zur Ermittlung der Nachhaltigkeit der Informationsbewahrung, also der Fähigkeit, sich nach einem längereren Zeitraum noch an die dargestellten Informationen erinnern zu können, wurde den Probanden erzählt, die Studie wäre
in zwei voneinander unabhängige Phasen aufgeteilt, die zwei bis drei Wochen
auseinander liegen. Dass die zweite Phase einen Test zur Ermittlung der
langfristigen Erinnerungsfähigkeit darstellte, wussten die Teilnehmer vorher
nicht – durch diese Maßnahme wurde unterbunden, dass Teilnehmer absichtlich versuchen, besser in diesem Punkt abzuschneiden.
In diesem Punkt machen sich die größten Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen zur Visualisierung statistischer Daten bemerkbar: So ist in
allen der vier genannten Punkte eine markante Verbesserung der langfristigen Erinnerungsfähigkeit zu beobachten, wenn die Data-Ink-Ratio nicht
zwangsweise hoch gehalten wurde bzw. „verzierte“ Infographics gezeigt wurden.
Subjektives Empfinden
Neben den genannten Ergebnissen, die allesamt aus den Testergebnissen der
Studie stammen, gibt es noch solche, die rein auf das subjektive Empfinden
5. Fragestellung und Analyse
100
der Teilnehmer zurückzuführen sind. Die Testpersonen wurden dazu aufgefordert, im Hinblick auf diese Eigenschaften eine bevorzugte Art der Visualisierung auszuwählen – im Ergebnis dieser Befragung fällt auf, dass bei allen
dieser Kriterien die visuell aufwändiger gestaltete im Vorteil gegenüber der
reduzierten Variante ist. Die folgende Auflistung der Eigenschaften ist absteigend nach dem Ausmaß dieses empfundenen Vorteils sortiert26 : Einfach
merkbar (18:1), attraktiv (17:2), schnell merkbar (17:2), angenehm (16:3),
Details einfach merkbar (16:3), schnell beschreibbar (14:5), genau merkbar
(13:6), einfach beschreibbar (12:7), genau beschreibbar (10:9) und generell
bevorzugt (10:9).
5.4.4
Dekorative Elemente im Bewegtbild
Durch die im Zuge dieser Arbeit bereits mehrfach erwähnten Unterschieden zwischen statischen und animierten Infographics ergibt sich natürlich
auch ein anderer Umgang mit redundanten Elementen. Allem voran ist diese Redundanz nicht wie bei statischen Infographics auf visuelle Elemente
beschränkt, sondern kann auch auf auditiver Ebene stattfinden.
Betrachtet man Visual Essays aus den sehr unterschiedlichen Blickwinkeln von Edward R. Tufte und Nigel Holmes, so stehen sich wiederum die
Ansätze des Minimalismus und der Attraktivität gegenüber. Am besten kann
man diese Kontrapunkte an den in Abschnitt 4.3.4 ab Seite 72 vorgestellten Beispielen demonstrieren: Während History of the Internet sowohl in
visueller als auch auditiver Hinsicht ausgeprochen reduziert wirkt, kann man
bei Health Care Overhaul in beiden Sinnesebenen einen wesentlich größere
Menge an dekorativen Elementen erkennen.
Betrachtet man das Umfeld, in dem die vorgestellten Visual Essays sich
behaupten müssen, so ergeben sich schnell gute Gründe für den Einsatz von
dekorativen Elementen, allem voran ist hierbei der Wiedererkennungswert zu nennen. Hierbei ist anzumerken, dass History of the Internet eine
Art Sonderfall darstellt: Durch die Tatsache, dass es nur sehr wenige Animationen gibt, die so entschieden auf Verzierung jeglicher Art verzichten,
entsteht auch hier eigentlich ein Wiedererkennungswert. Führt man sich den
in Abschnitt 4.3.3 ab Seite 70 vorgestellten Zweck von Motion Graphics als
Wissensvermittler vor Augen, so ist dieser Faktor besonders wichtig: Er dient
nicht nur dem Wiedererkennen der Animation an sich, sondern automatisch
auch der gedanklichen Auseinandersetzung mit der behandelten Materie.
Dass auch die Attraktivität ein bedeutendes Resultat aus dem Einsatz
dekorierender Elemente bei der Aufbereitung von Daten und Sachverhalten
ist, liegt auf der Hand. Dies bedeutet natürlich nicht, dass das Fehlen solcher Elementen zwangsweise zu einer geringeren Attraktivität führt – man
26
Die Zahlen in den Klammern bedeuten jeweils die Menge an Personen, die diese Eigenschaft den visuell aufwändiger gestalteten Visualisierungen (links vom Doppelpunkt)
bzw. den reduzierten Darstellungen (rechts vom Doppelpunkt) zuordnen.
5. Fragestellung und Analyse
101
betrachte nur beispielhaft die in Abschnitt 5.2.3 auf Seite 89 vorgestellte Animation von Jr.canest. Fakt ist zweifelsfrei, dass eine überlegte und ansprechende Aufbereitung förderlich für ein angenehmes Betrachten von Visual
Essays ist.
An dieser Stelle ist aber auch anzumerken, dass besonders die Interpretationsgenauigkeit durch die Vergänglichkeit der dargestellten Informationen beim Bewegtbild eine besonders große Rolle spielt. Es sollten also keine
bzw. keine so große Menge an Elementen einsetzt werden, die zu einer kognitiven Überladung durch die Überbeanspruchung der beiden in Abschnitt
5.3.3 auf Seite 94 beschriebenen Sinneskanäle führen könnten – die wirklich
wichtigen Informationen sollten auch als erstes wahrgenommen werden. So
dient etwa das Farbschema von The Crisis of Credit Visualized eindeutig der
Wiedererkennbarkeit, und wirkt (vorausgesetzt, man hat keine geschmackliche Abneigung gegen die Farbe Grün) attraktiv, es lenkt aber keineswegs
von den eigentlich vermittelten Informationen ab.
5.4.5
Resümee
Im Hinblick auf den Einsatz von dekorativen Elementen bemerkt man, dass
nur ein Mittelweg zwischen den beiden vorgestellten und maximal konträren
Anschauungen Sinn macht. Die Reduktion auf das Wesentlichste ist zwar
notwendig, es ist aber nicht zielführend, dies bis zum äußersten zu praktizieren ohne dabei den Betrachter und dessen Wahrnehmungsverhalten zu
berücksichtigen. Als einfaches Beispiel hierfür ist etwa die Aufteilung einer
Telefonnummer mit Berücksichtigung der Miller’schen Zahl, die in Abschnitt
3.5.4 auf Seite 41 erklärt wird: Trotz einer deutlichen Redundanz von Zeichen
ist es leichter möglich, sich an die Zahlenfolge zu erinnern.
Betrachtet man die in Abschnitt 5.2.2 auf Seite 84 erwähnte Definition
eines New Mediators laut Jonathan Jarvis, so sei hier besonders auf das letzte Wort der Begriffsbestimmung hingewiesen: beautiful. Die Informationen
sollen also nicht nur verfügbar, sondern auch attraktiv aufbereitet sein, um
die maximale kommunikative Effektivität zu erreichen, die der Wissensvermittlung in Form der Transformation von Daten in Infographics oder Visual
Essays im Sinne der Schaffungs von Klarheit über gewisse Gegebenheiten
eigentlich zustehen sollte.
Man kann also behaupten, dass dekorative Elemente (bzw. Chart Junk )
trotz der Tatsache, dass sie kein unmittelbares Resultat aus der Transformation von Zahlen und Fakten ins Visuelle darstellen, sinnvoll eingesetzt
werden können. Eine Beschränkung auf das Wesentliche kann deshalb nur
bis zu einem gewissen Grad als zielführend bezeichnet werden.
Kapitel 6
Schlusswort
Aufgrund ihrer hohen Emotionalität und der unanstrengenden Art und Weise, sich mit bestimmten Themen auseinander zu setzen, erfreuen sich Visual
Essays besonders bei der Internet-Community immer größerer Beliebtheit.
Die heutigen technischen Möglichkeiten machen sämtliche Vorgänge, die zur
Konzeption und Erstellung von Motion Graphics als Wissensvermittler nötig sind, einfacher als je zuvor: Sowohl die Recherche, als auch die Aufbereitung der Information und die Umsetzung dieser in Form einer Animation
kann theoretisch auf jedem Computer durchgeführt werden, der mit einer
Internetverbindung, genügend Leistungsfähigkeit und den notwendigen Programmen ausgestattet ist und von einem fähigen Motion Designer bedient
wird. Weiters ist durch die Vernetzung – bzw. in weiterer Folge durch die
Existenz von Videoportalen und speziellen Websites, die sich mit Informationsdesign auseinandersetzen – auch eine einfache Verbreitung solcher Animationen möglich. Das Ausmaß der gesamtgesellschaftlichen Relevanz der
Thematik, die man mittels Motion Graphics zu vermitteln versucht, beeinflusst den Bekanntheitsgrad der Animationen natürlich erheblich.
Generell werden Informationsvisualisierungen in der Praxis meist für die
Veranschaulichung abstrakter Sachverhalte eingesetzt. Man kann folglich behaupten, dass der Betrachter solcher Darstellungen bei der Konstruktion
eines mentalen Modells wesentlich mehr Denkarbeit durchzuführen hat als
würde er sich etwa ein Foto ansehen, das die Realität im Vergleich sehr konkret wiedergibt. Diese Erstellung eines Gedankenbilds wird durch das bei
Animationen übliche Ansprechen mehrerer Sinneskanäle aber wesentlich erleichtert.
Man muss anmerken, dass Motion Graphics natürlich nicht in allen erdenklichen Bereichen der statischen Darstellung überlegen sind, und sich eher
für die Darstellung von Abläufen und Prozessen als für eine große Menge an
statistischen Daten eignen – dies resultiert aus der Vergänglichkeit der dynamischen Darstellung bzw. der begrenzten Zeitdauer, für die präsentierte
Informationen sichtbar sind. Ein Telefonbuch in Form eines Visual Essays zu
102
6. Schlusswort
103
visualisiern würde nicht besonders viel Sinn machen, genauso wenig wie eine
rein verbale Bauanleitung eines IKEA-Kastens zielführend wäre.
Es kann also festgestellt werden, dass Motion Graphics aufgrund ihrer Eigenschaften im Hinblick auf die Effektivität der Kommunikation einzigartig,
aber nicht per Definition allen anderen Formen der Informationsvermittlung
überlegen sind. Müsste man eine Faustregel für den Einsatz solcher Animationen aufstellen, würde diese besagen, dass eine dynamische Darstellung
einer statischen eindeutig vorzuziehen ist, sofern sich der zu vermittelnde
Inhalt in narrativer Form aufbereiten lässt.
Anhang A
Inhalt der CD-ROM
Format: CD-ROM, Single Layer, ISO9660-Format
A.1
PDF-Dateien
Pfad: /
dm08027_mueller_da.pdf Diese Arbeit im PDF-Format
A.2
Videodateien
Pfad: /MotionGraphicsBeispiele
HistoryOfTheInternet.flv History Of The Internet von Melih Bilgil,
siehe Abschnitt 4.3.4 auf Seite 72.
HealthCareOverhaul.mp4 Health Care Overhaul von Smart Bubble
Society, siehe Abschnitt 4.3.4 auf Seite 73.
CrisisOfCredit.flv . . . . The Crisis of Credit Visualized von Jonathan
Jarvis, siehe Abschnitt 4.3.4 auf Seite 76.
DuBistTerrorist.flv . . . Du bist Terrorist von Alexander Lehmann,
siehe Abschnitt 4.3.4 auf Seite 78.
WaitingForSuperman.mp4 Waiting for Superman Infographic von
Jr.canest, siehe Abschnitt 5.2.3 auf Seite 89.
104
Literaturverzeichnis
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Kür? Hermann Schmidt, Mainz, 2005.
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Factors in Computing Systems (CHI 2010), S. 2573–2582, Atlanta, 2010.
[4] Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Computer, Internet, Multimedia - Potentiale für Schule und Unterricht, Bd. 7. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh,
2001.
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