PDF-Download - Toni´s Freilandeier

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Toni’s
Freiheit
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glein,
märz 2008
Toni’s
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Toni’s
»Nach dem Aufwachen von der Sitzstange flattern, ein paar knackige
Körner suchen, ein bissl herumscharren, ein Ei legen, schauen, was der
Hahn so treibt, dem Bauern einen schönen Tag wünschen, dann mit den
anderen Hennen tratschen, in der Mittagssonne ein Sandbad nehmen,
an der frischen Luft unter einem Baum den Nachmittag genießen
und vor dem Schlafengehen noch ein paar saftige Kräuter abzupfen.«
Darum kommt das Ei in Freiheit gleich zweimal vor.
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PS: Besonders ans Herz legen will ich Ihnen den Artikel über die Charakterzüge verschiedener Tierrassen. Wie viel Huhn steckt in Ihnen?
Toni’s
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Toni’s
„Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“
perikles (500–429 v. chr.)
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Toni’s
Manchmal sind Hühner lieber für sich alleine.
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Einmal hat ein Huhn
erzählt, dass es durch den
Wald, am Teich vorbei, über
die Felder, auf den Berg
hinauf und wieder zurück
gewandert sei. Ganz alleine.
Natürlich hat das Huhn
damals gelogen, aber rein
theoretisch wäre das durchaus
möglich gewesen. Bei uns
kann jedes Huhn tun und
lassen, was es will.
Will man über ein so großes Thema wie die Freiheit ein paar
Worte verlieren, begibt man sich unweigerlich auf gefährliches Terrain. Wenn man bedenkt, wie oft alleine in Protestliedern die Freiheit bereits beschworen und angebetet wurde. „Freedom’s just
another word for nothing left to lose“, trällerten schon Millionen
von Menschen fröhlich vor sich hin, ohne auch nur eine Minute
darüber nachzudenken, was sie denn da eigentlich singen. Länder,
Wolkenkratzer, Raumschiffe und sogar Putzmittel wurden schon
nach der Freiheit benannt. So viele Metaphern wurden bis aufs Äußerste ausgereizt. Allen voran musste die
(Taube) immer wieder
als Symbol herhalten. Genauso der
(Adler). Und auf Grund
eines literarischen Bestsellers kam sogar die Möwe zu diesen Ehren.
(Mittlerweile bietet sich mit unseren Hühnern ja schon der nächste
Vogel als Freiheitssymbol an.)
Übrig geblieben ist trotz der starken Bilder aber das leise Gefühl,
dass der Begriff der Freiheit über die Jahrzehnte zu einer hohlen Phrase
verkommen ist. Jeder hat seinen eigenen, ganz persönlichen Zugang
zu diesem Wort. Böse Zungen behaupten sogar, der Begriff Freiheit sei
zu einem „Kaugummibegriff“ verkommen: „An jedem Schlagbaum
versteht man etwas anderes darunter.“ Und so falsch ist das gar nicht.
Toni’s
Manchmal sind Hühner lieber in guter Gesellschaft.
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Um nun aber die Freiheit, wie wir sie verstehen, besser zu beleuchten,
lohnt es sich, ein wenig wissenschaftlich zu werden. Betrachten wir
das Wort einmal etymologisch, also nach seiner Herkunft:
Im Indogermanischen bedeutete das Wort „prai“ soviel wie schützen,
schonen, aber auch lieben. Aus der Grundbedeutung dieser indogermanischen Wurzel haben die Germanen schließlich den Begriff „frey“
entwickelt: er stand für jene Personen, die man liebt und daher schützt.
Das sind meist die eigenen Sippen- und Stammesgenossen, weshalb
sich daraus auch das Wort „Freunde“ ableitete. Freiheit hat im ursächlichsten Sinn also etwas mit Respekt, Wertschätzung und Gemeinschaft zu tun. Und genau darum geht es uns.
Freilandhaltung ist nicht nur eine schlaue Art, gesunde Lebensmittel
zu produzieren, sondern viel mehr: Es ist ein Gesellschaftsanspruch.
Der Hühnerbauer wird nicht nur als Lieferant, sondern als Partner
gesehen. Ebenso das Huhn. Es geht nicht um Untertänigkeit, sondern um das Eingehen auf die Bedürfnisse des anderen. Und da sich
Hühner ganz schlecht selbst artikulieren können, greift man hier auf
das Fachwissen von Experten zurück. Tausende und Abertausende
von Seiten wurden über das natürliche Verhalten von Hühnern be-
reits verfasst – in Glein hat man sie fast alle gelesen. Schließlich soll
ein Huhn in der Freilandhaltung tun dürfen, was es auch in freier
Wildbahn tun würde. Und sei es auch nur eine so scheinbar nebensächliche Angewohnheit wie das Drehen des frisch gelegten Eies –
eine instinktive Handlung, die dem Kücken ein gutes Wachstum bescheren soll. Für ein Huhn eine Selbstverständlichkeit, die ihm aber
erst einmal gewährt werden muss. Und da ein Vogel von sich aus ja
nichts verlangen kann, bestehen deshalb wir auf alle diese Dinge.
Und zwar im Namen des Huhnes.
info
„Die Freiheit des Huhnes liegt nicht darin, dass es tun kann, was es will,
sondern dass es nicht tun muss, was es nicht will.“
Frei nach Jean-Jacques Rousseau
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Freiheit ist dort, wo die Natur ist.
Toni’s
zu besuch beim gaalkönig
info
matthias sonnleitner vulgo gaalkönig
Matthias Sonnleitner ist seit 1998 einer von Toni’s Bauern. Der Hof liegt
im Gaalgraben, etwa 20 km vom Stift Seckau entfernt. Das ist ungefähr
dort, wo sich sprichwörtlich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Hier sind
es allerdings eher Rind und Henne, denn neben den 1.200 Hennen gibt es
noch 35 Kühe, Kälber und Jungtiere und den Wald. Die Geschichte des
Hofs, dessen Prunkstück ein mehrere Jahrhunderte altes königliches Jagdhaus ist, reicht zumindest bis ins 15. Jahrhundert zurück.
DER BAUER
UND DAS LIEBE VIEH
Der Städter fährt aufs Land um mit dem Bauern zu reden, wie es
ihm denn so geht mit seiner Landwirtschaft. Das hat beinahe schon
etwas Anachronistisches, denn schließlich ist bei den Bio-Waren
im Supermarkt immer ein Zettel für die Herkunftsgarantie dabei.
Die Fahrt führt von Graz in den Gaalgraben, etwa 20 km westlich
vom Stift Seckau. Bis Knittelfeld ist man ja noch auf bekanntem
Terrain, sprich auf der Autobahn. Aber spätestens hinter Seckau
wird’s entrisch. von andreas braunendal
Toni’s
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zu besuch beim gaalkönig
Glück: gemeinsam mit glücklichen Tieren
in gesunder Natur wirtschaften.
Es ist Mitte Oktober, der Schnee liegt hier irgendwie schon in der
Luft. Auf jeder Almwiese – und es gibt viele Wiesen zwischen den
endlosen Wäldern – stehen Kühe und grasen. Am Telefon hat es geheißen, einfach durch den Ort Gaal durchfahren und dann immer
weiter bis ans Ende des Grabens, der letzte Hof ist es. Dumm nur,
dass nach Gaal jeder Hof aussieht wie der letzte im Graben. Also
biege ich einmal falsch ab, zu einem dieser letzten Höfe. „Nein, da
geht’s schon noch ein paar Kilometer weiter.“
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Wenn man dann ankommt, ist der Hof der Sonnleitners vulgo Gaalkönig allerdings unverkennbar. Eigentlich ist mir der Vulgoname
Gaalkönig schon ein bissl protzig vorgekommen. Aber dann steht
man vor einem Hof, der rund um ein königliches Jagdhaus aus dem
15. Jahrhundert angelegt ist. Über dem Hauseingang prankt etwas,
das wie der verschrumpelte Kopf eines Wildschweins aussieht. Tatsächlich ist es die Trophäe eines Bären, die im Laufe der Jahrhunderte von Wind und Wetter in eine Art alpinen Schrumpfkopf verwandelt wurde. Was es nicht gibt, ist eine Glocke, also anklopfen.
Niemand reagiert. Ausprobieren, ob die Türe offen ist – ja. Kurz
überlegen, hineingehen und rufen. Zuerst meldet sich der Hund,
dann schaut Frau Sonnleitner aus der Küche: „Habens eh leicht hergfunden, oder? Kommens herein, mein Mann muss gleich da sein.“
Frau Sonnleitner knetet gerade den Teig für Bauernkrapfen. „Die
sind für heute Abend. Wir treffen uns alle in der Gemeinde und
schauen uns gemeinsam ‚We feed the world‘ an.“ Matthias Sonnleitner schaut kurz herein, sagt Grüß Gott und dass er sich nur schnell
umzieht, raus aus den Stall-Klamotten.
Der „Gaalkönig“ ist kein Bauer aus dem Romantikmuseum, sondern
ein junger, zukunftsorientierter Unternehmer mit klaren Basiswerten:
Work-Life-Balance würde man in der Stadt dazu sagen. Hier geht
es darum, im Einklang mit der Natur zu leben und auf dieser Basis
Qualität zu produzieren, die beim Konsumenten einen fairen, guten
Preis erzielt. Man merkt: Das Glück der Sonnleitners beruht nicht
nur auf Geld, sondern darauf, gemeinsam mit glücklichen Tieren in
gesunder Natur zu wirtschaften und dabei die schönen Seiten des
Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. Für die Sonnleitners bedeutet das: 1.200 Freilandhühner, 35 Stück Vieh, ein paar Katzen, ein
Hund und viel Wald.
Wir wollen über Freiheit reden und beginnen doch bei der Unfreiheit.
Globale Zusammenhänge, die Verführungen der Gentechnik, die Vorgaben der Gesetzesgeber und etliches mehr sind für Matthias Sonnleitner aber vor allem Gründe, für sich selbst einen anderen Weg zu
finden. Seine Lösung bestand schon vor Jahren darin, seinen Hof auf
nachhaltige Landwirtschaft umzustellen. Denn bei Bio sagt er, sind
die Konsumenten wieder bereit, einen gerechten Preis zu zahlen. Mehr
noch: Immer mehr Konsumenten interessieren sich wieder für das, was
sie essen und eine neue Partnerschaft zwischen Bauern und Verbrauchern kann entstehen.
Ich will wissen, wie groß das wirtschaftliche Risiko gewesen sei,
den Betrieb auf Nachhaltigkeit umzustellen und erwarte die typische
Antwort vom mutigen, risikofreudigen Unternehmer. Doch da war
kein Risiko. Im Gegenteil, es war von Beginn an klar, dass sich die
Umstellung für den Gaalkönig auch ökonomisch auszahlen würde.
„Jeder Bauer hat die Freiheit, so oder so zu wirtschaften, jeder kann
sich frei entscheiden. Ich denke, die Bauern haben sich viel zu lange
gängeln lassen“, betont einer, der sich ganz offensichtlich nicht so
leicht bevormunden lässt. Und ich frage mich insgeheim, warum andere Bauern andere Entscheidungen treffen ...
Damit das Bild vom freien, unbeugsamen Bauern nicht allzu kitschig
und idyllisch wird, gilt es jetzt einzuwenden: Der Landwirt kann
nicht auf Urlaub fahren, er muss jeden Tag um 6 Uhr früh im Stall
stehen und er muss bei „Bauer sucht Frau“ mitmachen. Letzteres
trifft auf die Sonnleitners sowieso nicht zu, aber auch die anderen
Freiheitsberaubungen lösen sich in Luft auf: „Natürlich fahren wir
regelmäßig auf Urlaub, das ist nur Einteilungssache. Schließlich gibt
es Verwandte und Freunde, man hilft sich eben gegenseitig.“ Und im
Stall sind sie einfach gerne, denn die Arbeit mit den Tieren ist Teil
des Lebens, dass sie lieben. Denn das sei, um wieder auf die Freiheit
zu kommen, das größte Glück, das alles überstrahlt:
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Das Glück, in ein Land wie Österreich hineingeboren zu werden, dann
noch diese wunderschöne Gegend, in der man leben dürfe und als
Tüpfelchen auf dem „i“ das Leben als Bauer mit den Tieren und
in der freien Natur.
Und so fährt der Städter wieder zurück. Damit er sich aufs Ankommen
in der Stadt noch freuen kann, zählt er für sich selbst auf, was er am
Leben in der Großstadt alles vermissen würde. Und er ist glücklich
darüber, dass seine gänzlich freien Entscheidungen für oder gegen
Bio-Produkte, artgerechte Tierhaltung und nachhaltiges Wirtschaften ganz offensichtlich eine Bedeutung haben, die über den eigenen
Tellerrand hinausreicht.
Toni’s
„Ich denke, nachhaltige Landwirtschaft ist eine große Chance.
Da geht schon viel in den Köpfen
vor. Dieses Bewusstsein, dass wir
letztlich immer mit der Natur
leben und nicht gegen die Natur
agieren können, muss aber noch
viel stärker werden.“
Matthias Sonnleitner
verhaltensforschung
VON HÜHNERN
& CHARAKTERSCHWEINEN
Was lange Zeit als unwissenschaftlich galt, fasziniert Verhaltensforscher zunehmend:
Auch Tiere zeigen Persönlichkeit.
Ein analytischer Blick auf feige Löwen, durchtriebene Affen und jähzornige Bären.
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verhaltensforschung
wildschwein (Sus scofra)
löwe (Panthera leo)
Charakterzug: altersweise
Charakterzug: feige
George Clooney lobte sein mittlerweile
verblichenes Hausschwein Max immer
als ganz spezielles Individuum. Die
wilden Artgenossen sind auch nicht alle
gleich. Wildschweine haben individuelle
Erfahrungen, die sich deutlich in Verhaltensmustern niederschlagen, sagt der
Wildbiologe Andreas Grauer von der
Tierärztlichen Hochschule Hannover.
Junge Bachen etwa ließen ihre Frischlinge
an einer Futterstelle verweilen und fressen. Ältere dagegen bringen den Jungen
bei, sich eine Rübe zu schnappen und sich
dann zum Fressen ins Dickicht zurückzuziehen, weil das sicherer ist. Gelegentlich
beobachtet man auch besonders vorwitzige Frischlinge, die bei Fütterungen stets
vorpreschen, während die Geschwister
vorsichtig abwarten. Generell gelte:
je älter, desto vorsichtiger.
Löwen haben ein feines Gespür dafür,
wann ihnen Gefahr droht – und verstecken sich im Zweifel lieber, als sich dem
Kampf zu stellen. Forscher simulierten
mit Löwengebrüll aus dem Kassettenrekorder Streit in einem Rudel. Jedes Mal
stürmten dieselben Tiere ohne zu zögern
auf den vermeintlichen Angreifer zu,
während andere Löwen das Geschehen
untätig aus dem Hintergrund beobachteten. Allerdings wagten auch einige der
feigen Löwen ein paar Schritte in Richtung des Gebrülls, wenn die mutigeren
Rudelmitglieder signalisierten, dass sie
Hilfe brauchten.
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Toni’s
verhaltensforschung
schimpanse (Pan troglodytes)
Charakterzug: ehrgeizig, durchtrieben
In einer Gruppe von 24 Schimpansen im
Zoo von Chester, England, machten einige
Affen die Erfahrung, dass sich Vertrauen
nicht immer auszahlt. Mehrere Tierpfleger
beobachteten unabhängig voneinander, wie
besonders durchtriebene Tiere die Gutmütigkeit anderer Schimpansen ausnutzten.
Die ehrgeizigen Individuen kamen so zum
Beispiel häufiger an besonders begehrte
Schlafplätze. Innerhalb der Schimpansengruppe verschaffte ihnen das trotz der
unlauteren Mittel gehörigen Respekt und
eine hohe Rangstellung. „Der Begriff des
Machiavellismus beschreibt dieses Verhalten
am treffendsten“, sagt Diane Dutton, die
Autorin der Studie. Sehr wahrscheinlich
zeigten auch wildlebende Schimpansen ein
solches Verhalten.
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indischer elefant (Elephas maximus)
Charakterzug: bedächtig, friedlich
Elefanten wollen vor allem eins: in Ruhe alt werden,
möglichst 50 Jahre. „Darauf richten sie ihr Verhalten
aus“, sagt Thomas Hildebrandt vom Institut für
Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Die Tiere
gehen daher selten Wagnisse ein und vermeiden
Kämpfe innerhalb der Herde. Individuen, die den
Ernst der Lage verkennen und sich unbedarft zeigen,
werden von den anderen Herdenmitgliedern zurechtgewiesen. Zurückhaltung und ein bedächtiges Wesen
sind zudem wichtig, da die Tragezeit bei Elefanten
mit 22 Monaten extrem lang ist, länger als bei
jedem anderen Säugetier.
karpfen (Cyprinus carpio)
Charakterzug: defensiv
Vor allem Fische, die in den ersten Lebenstagen über
wenig Futter und wenige Versteckmöglichkeiten verfügten, verhalten sich ein Leben lang auffällig defensiv.
Selbst wenn man sie als Jünglinge in eine besonders angenehme Umgebung setzt und sie rasch zur Größe ihrer
Artgenossen heranwachsen, die dort eine bessere Kindheit
hatten, bewegen sich die leiderprobten Karpfen deutlich
vorsichtiger durchs Leben und ordnen sich den anderen
Fischen stets bereitwillig unter.
Toni’s
verhaltensforschung
Na typisch!
Viele verschiedene Charaktere in einem Rudel sind von entscheidendem Vorteil:
Die Tiere können sich Aufgaben leichter teilen und ihren Fortbestand besser sichern.
Alfred Brehm war sich seiner Sache sicher. „Zanktüchtig und streitlustig“ sei die Waldeidechse und habe „fast ununterbrochen Händel
mit anderen ihres Geschlechts“. Das notierte der berühmte Tierforscher 1876. Über 130 Jahre später bestätigen französische Biologen
nun: Zickige Eidechsen gibt es tatsächlich. Am liebsten siedeln sie
sich weit entfernt von Artgenossen an. Drängt man ihnen Gesellschaft auf, reagieren sie ganz so wie von Brehm beschrieben.
Was der Tierforscher allerdings ignorierte: Nicht jede Eidechse ist
gleich. Einige sind geradezu gesellschaftssüchtig und suchen sich ein
Revier in engster Nachbarschaft zu ihresgleichen. Ob gesellig oder
eher schrullig – die Vorlieben zeigen sich schon kurz nach der Geburt und bleiben ein Leben lang konstant.
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Nicht nur, wer sich mit Eidechsen beschäftigt, lernt, Charakterunterschiede zwischen den Individuen einer Art zu erkennen. Zwar ist
wissenschaftlich fundierte Persönlichkeitsforschung im Tierreich eine noch junge Disziplin. Doch je mehr Tierarten die Forscher untersuchen, desto klarer zeigt sich: Unter Säugern, Vögeln, Fischen,
sogar Weichtieren wie dem Tintenfisch gibt es Mutige und Vorsichtige, Neugierige und Passive, Verträgliche und Einzelgänger. Immer
offensichtlicher werden die Parallelen zwischen menschlichen und
tierischen Charakteren. „Ein introvertierter Mensch verzieht sich auf
einer Party allein in eine Ecke, ein schüchterner Tintenfisch versteckt
sich in seiner eigenen Tintenwolke“, sagt der Psychologe Sam Gosling,
der das weltweit einzige Labor für Tierpersönlichkeit in Texas leitet.
„Ein wenige Tage alter Stichling, der sich ohne Zögern einer HechtAttrappe nähert, wird als Erwachsener versuchen, in fremde Reviere
einzudringen“, sagt der Biologe Franjo Weissing von der Universität
Groningen. Solche Vorhersagen stützen sich auf ein bekanntes Phänomen:
haushuhn (Gallus gallus domesticus)
Die Persönlichkeit eines Tieres ist Teil einer von der Evolution gut
durchdachten Lebensplanung. Mithilfe eines Computermodells untersuchte Weissing zusammen mit seinem Kollegen Max Wolf, welchen
evolutionären Vorteil es bringt, wenn eine beliebige Population sowohl
aus mutigen als auch aus schüchternen Tieren besteht. „Zuerst scheinen
die Mutigen einen Überlebensvorteil zu haben, weil sie neue Nahrungsquellen und Lebensräume finden“, sagt Wolf. Doch ein derart offensives Verhalten fordert Räuber geradezu heraus. Zurückhaltende Exemplare gehen zwar weniger Risiken ein, verpassen dadurch aber
vielleicht die Chance ihres Lebens auf gute Nahrungsquellen oder Sexualpartner. Wie also sieht die optimale Strategie aus? Die Antwort
ist simpel. Wenn verschiedene Charaktertypen zusammentreffen,
kann eine Gruppe auf lange Sicht eher überleben. Die Mutigen vergeuden kaum Zeit mit der Suche nach optimalem Lebensraum oder
Nahrung. Sie leben für den Moment und verteidigen ihre Interessen
ohne Rücksicht auf Verluste. Diese Individuen pflanzen sich früh fort.
Dann haben sie ihre biologische Funktion erfüllt, und meist währt
ihr Leben danach nicht mehr besonders lange.
Schüchterne Artgenossen können sich eine derart kurzfristige Planung nicht erlauben. Sie bekommen schlechtere Nahrung, und daher
dauert es länger, bis sie genug Energiereserven gesammelt haben,
um einen Teil davon in die Fortpflanzung zu investieren. Bis dahin
gilt es, Gefahren aus dem Weg zu gehen. „Wer noch etwas vom
Leben erwartet und viel zu verlieren hat, sollte Risiken meiden“, sagt
Wolf. Die gemischte Strategie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass
sich jedes Tier der Gruppe irgendwann fortpflanzt. In den Rocky
Mountains setzen Mufflons um, was die Biologen errechnet haben.
Eine Feldstudie hat gezeigt, dass mutige Schafe dort früher Nachwuchs
bekommen als ihre zögerlicheren Herdenmitglieder.
Charakterzug: abergläubisch, ängstlich
Während wir Menschen 3-mal auf Holz klopfen,
haben auch Hühner ihre ganz eigene Vorgangsweise, um das Glück des guten Eies zu beschwören.
Wer jemals gesehen hat, welche Rituale die Hennen
vollführen, bevor sie ein Ei legen, wird verstehen,
wie einzigartig jede Henne – und damit auch jedes
Ei ist: nach dem Legen wird es liebevoll auf ein
zurechtgezupftes Nest aus Einstreu gebettet und
vorsichtig mit dem Schnabel einige Male gedreht.
So viel Liebe – und etwas Magie – schmeckt man
dann auch in jedem Ei. Alles in allem eine runde
Sache – wäre da nur nicht die Angst vor dem
Fuchs, bei der jeglicher Aberglaube versagt – in
diesem Fall verzieht sich das ängstliche Huhn doch
lieber auf die sichere Sitzstange und verlässt sich
darauf, hoch oben nicht gesehen zu werden. *)
Einige Charakterzüge sind zu so genannten Verhaltenssyndromen
gekoppelt. Kohlmeisen, die neue Gegenstände in ihrer Umgebung besonders neugierig untersuchen, attackieren Artgenossen häufiger
und treten Fressfeinden unerschrockener entgegen. Entscheidungen
treffen sie deutlich schneller als schüchterne Vögel. Die Kühnheit lässt
sich physiologisch messen. Neugierige und aggressive Individuen
haben mehr Testosteron im Blut, dafür weniger des Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Unterliegen die Kämpfernaturen einem Artgenossen,
steigen Blutdruck und Adrenalinspiegel stärker an als bei einem zaghaften Tier.
Text: Katrin Blawat, Süddeutsche Zeitung 09/2007 / Fotos: Andrew Zuckerman „SV Bilderdienst“,
*)
mit Ausnahme von *)
Toni’s
verhaltensforschung
info
noch mehr tiere
„Wild Animals“ von
Andrew Zuckerman,
Knesebeck Verlag
giraffe (Giraffa camelopardalis)
Charakterzug: friedliebend, dumm
„Giraffen besetzen eine Nahrungsnische,
die sie mit niemandem teilen müssen“, sagt
Thomas Hildebrandt vom Institut für Zoound Wildtierforschung in Berlin. Aggressivität
ist den Paarhufern daher meist fremd. Nur
wenn Mütter ihr Junges verteidigen oder zwei
Bullen um eine brünstige Kuh kämpfen, fl iegen
die Hufe und knallen die langen Hälse aneinander. Nach menschlichen Gesichtspunkten
sind Giraffen ziemlich dumm. „Um in der
Natur zu überleben, müssen Giraffen keine
großen kognitiven Leistungen erbringen“, sagt
Thomas Hildebrandt. Das bekommt zu spüren,
wer die Tiere trainieren will. Alle Übungen
müssen immer nach dem gleichen Schema
ablaufen. „Man kann nicht erkennen, dass
Giraffen bei einer Aufgabe schnell begreifen,
worum es geht“, sagt der Berliner Tierarzt.
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zwergplumpori (Nycticebus pygmaeus)
Charakterzug: konzentriert
Plumploris springen nie, sondern steigen wie
in Zeitlupe in Baumkronen umher, wenn sie
Nahrung suchen. Aufgrund dieser extrem langsamen Bewegung sind die Zwergplumporis für ihre
Feinde nahezu unsichtbar. Wenn die 20 Zentimeter langen Primaten bedächtig von Baumkrone zu
Baumkrone klettern, hat das also wenig mit Faulheit oder Trägheit zu tun. Plumploris sind in Wirklichkeit schlau, weil sie ihre Welt ganz konzentriert
und ruhig erkunden, ohne aufzufallen.
Toni’s
slow food
SLOW FOOD
ODER DIE FREIHEIT DES
GENIESSENS.
Warum wir unsere
Freiheit als Konsumenten
fast schon verloren
haben, wie wir sie uns
zurückholen können
und was Slow Food
dazu beiträgt.
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Z
u Weihnachten wäre eine Topinambur-Cremesuppe am Menüplan gestanden. Leider habe ich Topinambur
in Graz in keinem einzigen Supermarkt bekommen. Dort wusste auch niemand, was
Topinambur eigentlich ist. Topinambur ist
nichts Exotisches: Die Knollen bildende
Pflanze war im 17. und 18. Jahrhundert in
Europa sehr beliebt. Sie wurde bloß von der
ertragreicheren Kartoffel verdrängt.
Topinambur ist ein Beispiel dafür, wie in unserer Esskultur Vielfalt verloren geht. Masse
und Einfalt verdrängen Klasse und Vielfalt.
In Österreich werden rund 90 % aller Lebensmittel in Supermärkten gekauft. Es liegt
in der Natur von Handelsketten, dass sie nur
Waren anbieten, die von vielen Menschen
nachgefragt werden. Ihr Angebot repräsentiert damit den Durchschnittsgeschmack
und abseits dieses Durchschnitts bleibt immer weniger übrig.
Ist es ein Problem, wenn wir uns alle nur
noch von Fertigmenüs und im Labor designten
Lebensmitteln ernähren? Ja, denn Essen bedeutet nicht nur Ernährung, Essen ist ein Kulturgut. Wir verlieren zunehmend unsere über
Jahrhunderte hoch entwickelte Geschmackskultur und bekommen stattdessen Einheitsgeschmack serviert.
Dieser Verlust an Vielfalt ist auch
ein Verlust an Freiheit.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken,
wurde Slow Food gegründet. Slow Food versucht durch Informationsarbeit, Verkostungen, Geschmacksschulungen und Veranstaltungen bei Erwachsenen und Kindern das
Bewusstsein für Qualität, Aroma, Duft und
Geschmack von originalen Produkten zu
schärfen und so die Vielfalt des Genießens zu
retten. Dabei setzt man nicht auf den mahnenden Zeigefi nger, sondern auf Lebensfreude
Toni’s
– kein Wunder, denn Slow Food wurde in
Italien gegründet. Slow Food-Mitglieder wissen, dass ihre wichtigste Stärke darin besteht,
als Konsumenten die Nachfrage nach dem
Besonderen aufrechtzuerhalten. Statt schnell
im Supermarkt einzukaufen und dann lange
vor dem Fernseher zu sitzen, wird das Einkaufen zur lustvollen Freizeitgestaltung.
Man besucht Lebensmittelhandwerker, mit
denen man sich stundenlang über das Genießen unterhalten kann, forscht nach raren
Spezialitäten und zelebriert das Essen in bedächtiger Langsamkeit.
Slow Food-Mitglieder sind bewusste Konsumenten, die ihren Genuss nicht einfach
in Hauben bemessen. Bio, Gentechnikfreiheit und Tiergerechtigkeit sind der Genusskultur à la Slow Food ebenso wichtig wie
der unverfälschte Geschmack jeder Region.
Es ist also nur logisch, dass Slow Food Styria
auch Toni’s Freilandeier empfiehlt.
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Slow Food Styria empfiehlt Toni’s Freilandeier – unter anderem deshalb, weil uns auch
Raritäten wie Babette am Herzen liegen: besondere Eier, die einen Beitrag zur Vielfalt, zur
Genusskultur und zur Erhaltung alter Rassen leisten. Denn Babette beweist, dass es auch
bei Hühnereiern einen Variantenreichtum gibt, den man bewahren sollte.
info
babette – feine bio-eier in etwas anderer schale siehe auch Seite 29
info
slow food – internationale bewegung
zur wahrung des rechts auf genuss
Slow Food wurde 1988 anlässlich der Eröffnung des ersten Fast Food
Restaurants in Rom gegründet. Heute zählt Slow Food 80.000 Mitglieder
in über 100 Ländern, betreibt eine eigene Universität und verfügt über
einen Sitz in der FAO, der Ernährungsorganisation der UNO. Mehr über
Slow Food gibt es unter www.slowfoodaustria.at und www.slowfood.com
Vor langer, langer Zeit fanden Missionare in Südamerika Hühner, die
Eier mit grüner, blauer, dunkelbrauner, manchmal auch rosafarbener
Schale legten. Sie brachten einige Hühner nach England, wo sie mit alten
englischen Hühnerrassen gekreuzt wurden. Und jetzt haben wir sie für uns
entdeckt: Die Grünleger oder Schwarzleger (Toni nennt sie „Babette“)
legen zwar weniger Eier, aber wir lieben sie genauso wie jedes andere
Huhn auch. Sie sind besonders kräftig und lebhaft, und sie legen Eier mit
einer hellgrünen oder kakaobraun gesprenkelten Schale und einem etwas
größeren Dotter mit kräftiger, gelber Färbung. Deshalb sind sie besonders
feine Frühstückseier und hervorragend zum Kuchenbacken geeignet.
Toni’s
20
Toni’s
FREIRAUM
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Toni’s
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Toni’s
Szenen aus einem Gespräch zwischen einem Markenentwickler,
einem Hühnerbauern und einem Intendanten.
EIN STÜCK
VON DER
FREIHEIT.
aufgezeichnet von tobias federsel
Wisst ihr, wann ich das
erste Mal Freiheit empfunden habe? Als sie
mir fast genommen wurde! Für jeden ist
Freiheit selbstverständlich.
Aber damals, als ich meine Hühner ins
Freie gelassen habe, obwohl noch die behördliche Stallpflicht gegolten hat, da wurde mir ja sogar Gefängnis angedroht. Und
wenn du Vorkehrungen triffst, schon die
Koffer packst, schon Anweisungen gibst,
wer die Geschäftsleitung übernimmt, dann
weißt du, was Freiheit ist.
TONI HUBMANN:
Ja, man muss die Freiheit meistens erst vermissen, um sie zu erkennen. Ich war noch vor der Wende eine
Zeit lang in Moskau. Dort haben damals
strengste Regeln geherrscht! Und ich habe
die Freiheit, die ich hier eigentlich immer
schon hatte, erst verstanden, als ich aus
Moskau wieder zurückgekommen bin! Man
vergisst Freiheit leider und muss sie immer
wieder neu entdecken. Wobei ich mich erinnern kann, dass ich hier auch nicht immer
jede Freiheit hatte: meine Mutter hat einmal
MICHAEL SCHILHAN:
Toni’s
gemeint, ich darf nicht mit dem Plastiksackerl von einem bestimmten Supermarkt
einfach so zum anderen gehen. Das gehört
sich nicht.
FRANZ HIRSCHMUGL: Hm, die Freiheit ist
eben oft stark bestimmt durch die Abhängigkeit von Konventionen. Die Überwindung der Peinlichkeit – das kann schon Freiheit bedeuten. So etwas wie: Ich stelle mich
vor 1.000 Leute und halte eine Stunde lang
ein Referat. Damit nehme ich mir die Freiheit,
meine Versagensangst zu überwinden, oder?
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ein stück von der freiheit
michael schilhan
Geboren 1964. Aufgewachsen im
Mürztal. Theater- und Opernregisseur, mehrere Studienaufenthalte in Moskau, Lehraufträge in
Osaka und Taipeh, international
ausgezeichnet und nun Intendant
des bekannten Grazer Jugendtheaters Next Liberty.
toni hubmann
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Guter Punkt! Ich war früher
Schauspieler. Sieben Jahre lang. Und ich bin
daran gescheitert, dass mich der Text eingeschränkt hat. Ich habe das einfach nicht
gepackt! Jetzt bin ich seit 15 Jahren Regisseur. Eine freie Rede halten, kann ich zwar.
Aber Protokolle machen mich noch immer
narrisch.
HUBMANN: Weil Protokolle Konventionen
sind?
SCHILHAN:
Genau!
Ein Geschichte aus meiner Jugend: Meine
Eltern hatten eine Tankstelle mit einer Jukebox. Und einmal zu Allerheiligen haben so
ein paar junge Leute bei uns dann mal eine
Platte aufgelegt und getanzt. Für meine Eltern ist eine Welt zusammengebrochen. Wie
kann man zu Allerheiligen tanzen? Versteht
ihr? Überwindung von Konventionen – das
ist Freiheit.
HUBMANN: Mut ist also ein wichtiger Bestandteil von Freiheit.
SCHILHAN:
Das Überwinden von Barrieren, Konventionen und Abhängigkeiten
braucht immer Mut. Aber wisst ihr, was erschütternd ist? Wir erziehen unsere Kinder
gar nicht mehr zum mutigen Widerstand,
sondern zu einer ... na ja, man kann eigentlich fast schon sagen, zu einer postmodernen
Beliebigkeit. Aber das ist ja auch kein
Wunder! Denn wer seine Kinder widerständig erzieht, läuft früher oder später ja
Gefahr, dass er selbst Ziel des Widerstandes
wird. Und wer will das schon? Schon Aristoteles hat gesagt: „Wer die Sicherheit der
Freiheit vorzieht, ist zurecht ein Sklave.“
HIRSCHMUGL:
Mit anderen Worten: Umso
mehr Sicherheit du dir gibst, desto mehr
Freiheit nimmst du dir.
HIRSCHMUGL: Was meint ihr: Woher
kommt denn die Energie, für Freiheit zu
kämpfen?
SCHILHAN: Ich würde sagen, die entwickelt man schon in der Kindheit.
SCHILHAN:
Toni’s
Geboren 1957, Studium in Wien
und Konfrontation mit Wiener
Künstlern, schließlich Abbruch des
Studiums und Umorientierung der
elterlichen Landwirtschaft hin zur
artgerechten Nutztierhaltung. Erst
mit Schafmilchjoghurt, dann mit
Freilandeiern.
franz hirschmugl
Geboren 1960, 10 Jahre bei der
Kleinen Zeitung, Gründer der
Agentur „Peter & Der Hirsch“,
schließlich Besinnung auf den
Gedanken „die Marke als emotionale Ausformung von Strategie“
und Gründung des Instituts für
Markenentwicklung in Graz.
ein stück von der freiheit
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Ich kann dir da nur beipflichten. Mein Großvater war ein Patriarch. Der
hat seine Söhne ordentlich zugerichtet. Ich
habe mir damals gesagt: so nicht! Nicht bei
mir. Wobei mir jetzt auffällt – ich hab mich
eigentlich nur um meine eigene Freiheit gekümmert ... Die der anderen war da für mich
kein Thema. Hm, ich glaube ja, das ist eine
Luxusfrage – die allgemeine Freiheit. Wenn
meine Bedürfnisse einmal befriedigt sind,
dann kann ich darüber nachdenken, wie
es zum Beispiel den Tieren geht. Wenn ich
aber große Bedenken habe, selbst überhaupt
genug eigenes Essen zu bekommen, dann ist
mir die Freiheit der anderen wahrscheinlich
egal. Also, je existenzieller deine Bedingungen sind, desto weniger hast du Wertschätzung gegenüber anderen Menschen
oder Tieren ...
HIRSCHMUGL: Grosses Veto! Ich glaube,
dass wir in einer absoluten BeliebigkeitsÄra leben. Es ist uns so etwas von egal, wie
es dem anderen geht! Ich glaube, dass die
HUBMANN:
Menschen keine echte Solidarität mit deinen
Freilandhühnern spüren, sondern ihre Eier
essen, weil sie denken, dass es gesund für
sie ist. Ich glaube also, dass gerade Toni´s
Freilandeier im Grunde einen großen Eigennutzen für die Menschen haben – weil
„Am Hohen Atlas, eineinhalb Meter Schnee und im
Haus wird mit den acht
Hühnern Tee getrunken, als
ob sie Familienmitglieder
wären.“
sie einfach gutes Essen haben wollen. Ich
war in Gegenden, wo die Leute wirklich
arm sind. Zum Beispiel in Marokko. Und
überraschenderweise bringen die Menschen
aber gerade dort ihren Tieren eine unglaublich große Wertschätzung entgegen! Am
Toni’s
Hohen Atlas, eineinhalb Meter Schnee und
im Haus wird mit den acht Hühnern Tee
getrunken, als ob sie Familienmitglieder wären. Und wie ist das bei uns? Bis jetzt – über
Jahrhunderte hin – war der Gedanke immer:
„Hoffentlich geht’s der nächsten Generation
besser.“ Wir sind die erste Generation, die
sagt: „Hoffentlich geht’s der nächsten Generation nicht schlechter.“ Das ist doch ein
unglaubliches Zeichen von Dekadenz und
beweist, dass der Kampf für das Wohl anderer nicht mit dem Luxus kommt.
Na Moment, ich bin seit 20
Jahren in diesem Geschäft und habe schon
genug interessante Menschen kennen gelernt, die sich sehr wohl um das Wohl anderer Gedanken machen. Aber ja, natürlich
gibt es auch die Selbstdarsteller, die jede
Gelegenheit nutzen, um in der Zeitung zu
stehen.
HIRSCHMUGL: Wir leben halt in einer Mediokratie. Und Abhängigkeit von den Medien ist heute wahrscheinlich der größte
HUBMANN:
ein stück von der freiheit
26
Freiheitsentzug in unserer Gesellschaft. Die
Hubmanns, die Zotters, die Stauds – das
sind einfach Menschen und Unternehmen,
die nicht korrupt sind. Und diese Unabhängigkeit von den Medien – das klingt
vielleicht esoterisch – überträgt sich auch
auf das Produkt. Das sind dann „freie“ Produkte. Politische Aussagen passieren heutzutage nicht mehr, ohne dass man darüber
nachgedacht hat, wie ich damit landen
könnte. Würden so Unternehmen wie deines
nicht erfolgreich sein und zeigen, dass dieser
Weg der Unabhängigkeit auch heutzutage
noch möglich ist, würde ich mir Sorgen um
meine Kinder machen. In gewisser Weise
bist du daher ein Hoffnungsschimmer für
die Menschheit, Toni!
HUBMANN: Wobei ich bei Fototerminen
schon auch drauf schau, dass ich geschnäuzt
bin. Das ist mir schon wichtig.
HIRSCHMUGL: Ja, aber du bist im Inhalt
nicht veränderbar. Und das ist das Besondere!
Natürlich kann auch in einer Mediokratie
jeder so sein wie er will. Ich könnte jetzt
auch aufstehen und gehen und sagen: „Mir
ist das zu blöd mit euch.“ Aber die Abhängigkeit von dem, was andere dann über einen
sagen, ist die schwere Hypothek unserer
Zeit.
SCHILHAN: Freiheit braucht also Mut, aber
noch etwas Wichtiges: Zeit! Ich hatte mal
einen Auftrag für ein Stück. Eine einzige
Aufführung. Und der Auftraggeber wollte
wissen, wie lang das Stück ist und wie viel
die einzelnen Schauspieler in der Stunde verdienen. Er wollte doch tatsächlich ein Theaterstück nach Zeit berechnen.
„Die Abhängigkeit von
dem, was andere dann über
einen sagen, ist die schwere
Hypothek unserer Zeit.“
Na, wenn wir unsere Hühner
nach Arbeitszeit bezahlen würden, wäre das
praktisch: fünf Minuten Arbeit am Tag.
HIRSCHMUGL: Die Folge wäre sicher eine
Hühnergewerkschaft, die sich dagegen auflehnt.
HUBMANN: Du, im Grunde haben wir ja
eine Hühnergewerkschaft. Von den Wissenschaftlern haben wir vor Jahren schon genau erklärt bekommen, was ein Huhn in der
Natur so braucht. Ein Nest zum Beispiel.
Und warum? Ein Hendl legt das Ei in ein
Nest und dort wird es dann herumgerollt.
Ganz einfach, damit das Kücken gut wachsen kann. Was ein Huhn also unbedingt
braucht, ist die Möglichkeit, das Ei drehen
zu können! Sonst wird es ganz nervös. Na
und deshalb schauen wird eben drauf, dass
HUBMANN:
Toni’s
es alle diese Dinge machen kann. Würden
wir nur die staatlichen Vorgaben erfüllen,
wäre das dramatisch. Also sind wir sozusagen unsere eigene Hühnergewerkschaft. Wir
erfüllen die Grundbedürfnisse der Hühner.
Und geben ihnen damit ein Stück Freiheit.
HIRSCHMUGL: Beim Menschen, glaube
ich, ist die Freiheit kein Grundbedürfnis,
sondern eher eine Grundsehnsucht. Und
zwar eine, die schwer zu befriedigen ist,
weil das ja Arbeit bedeutet. Ein typisch österreichischer Zugang ist, ständig von der
Sehnsucht zu reden, aber ja nichts beizutragen, dass sie jemals erfüllt wird. Da fällt mir
dieser jüdische Witz ein. Von dem Mann,
der in der Lotterie gewinnen will und dazu
den Himmelsvater anbetet. Nach 40 Jahren
geht der Himmel am Freitagabend auf und
der Himmelsvater sagt: „Gib mir doch wenigstens eine Chance: Kauf dir ein Los.“ Ich
glaube, dass viele Menschen sich kein Los
kaufen auf dem Weg zur Freiheit.
SCHILHAN: Freiheit braucht also noch
mehr als Mut und Zeit: Freiheit braucht einen Willen!
HIRSCHMUGL: ... einen Willen, Dinge zu
ändern! Sie anders zu machen!
SCHILHAN: Es gibt ja so viele Bereiche im
Leben, die man mit Freiheit füllen könnte!
HUBMANN: Apropos füllen: Habt Ihr
Hunger?
27
Toni’s
Henne Classic
28
Haushuhn. Weltberühmt in Österreich.
Toni’s
Babette I.
29
Ziemlich selten. Legt Eier mit besonderer Schalenfarbe und feinem Geschmack.
Toni’s
mehr auf Seite 19
soziologie
AUS PRINZIP FREI
Österreichs berühmtester Soziologe Roland Girtler lebt die Freiheit,
die viele meinen. Und er macht nicht einmal ein großes Geheimnis
daraus, wie man das schafft.
30
Wenn man einen älteren Herrn fragt, was Freiheit ist, sprudeln die
Lebensweisheiten in der Regel nur so aus ihm heraus. Stellen Sie sich
vor, wie das erst bei Roland Girtler, dem wortgewaltigen Spezialisten
für Randkulturen und erfolgreichen Buchautor ist. Er hat selbst beschlossen, alt zu sein. Mit fünfzig. Und das nur aus einem Grund:
genauso war es damals: Da musste man kämpfen, geheim rauchen,
über die Mauer steigen für ein Mädel. Heutzutage ist praktisch alles
erlaubt. Es fehlt an Grenzen, an Disziplin. Und deshalb fällt es den
Menschen auch so schwer, sich frei zu fühlen.“
„Ich wollte frei sein.“
Lektion zwei: Disziplin.
„Die Leute wollen immer jung bleiben, da fängt die Unfreiheit schon
an“, sagt der originelle Wissenschaftler. Freilich, sein Weg zum Vagabunden, zum Lohnschreiber, Nachdenker, Beobachter und Intellektuellen begann schon viel früher. Mit acht eigentlich. „Damals hab
ich die Sirene zu Hause in Spital am Pyhrn eingeschaltet. Die Feuerwehr
marschierte in voller Ausrüstung auf und mein Vater hat mir so eine
gewaltige Watschn verpasst, dass ich gewusst hab: Das mach ich
nie wieder.“
Roland Girtler steht im Wohnzimmer des Elternhauses, blickt einer
an der Decke hängenden Wildererfigur ins Auge und wirft die Bälle
durch die Luft. Zuerst drei. „Das kann fast jeder.“ Dann vier. „Das
können nur mehr sehr wenige.“ Er selbst habe Monate gebraucht, um
das Jonglieren zu beherrschen. Der erste Ball kollert über den Fußboden. Beim zweiten Versuch geht’s schon dahin. „Ich fahr mit dem
Radl auf einen Berg, den Hengspass zum Beispiel. Dort steh ich dann
und werfe die Bälle dreißig Minuten lang. Das ist auch Freiheit. Oder,
was sagn Sie dazu?“ „Was sagn Sie dazu“, sagt Girtler oft. Aber es
klingt weniger wie ein Tick, als nach ehrlichem Interesse. Es ist ihm
nicht egal, was andere denken. Worte sind wie seine Spielbälle. Er jongliert mit ihnen. Versucht sie einzufangen, loszulassen. Er hört zu.
Die erste Lektion auf dem Weg zur Freiheit: Regeln. Klare Regeln.
Girtler ist heute 66 Jahre alt. Er wuchs als Sohn eines LandärzteEhepaars in Oberösterreich auf. Am Fuße des Schwarzenberges,
gleich hinter dem Bosruck. Er sitzt im Wohnzimmer seines Elternhauses. Vor sich eine Tasse Tee mit Milch. Er spricht schnell, als versuche er jeden einzelnen Gedanken einzufangen. Dazwischen läutet
immer wieder das Handy mit der Titelmelodie von „Ghostbusters“.
Er sagt: „Man hört von hier die Pyhrnautobahn kaum. Dafür aber
die Lawinen im Winter. Das gefällt mir.“ Die Sommermonate verbringt er immer noch daheim. Umgeben von Geschichten über Bauernaufstände, Wildererlegenden und viel Pioniergeist.
Er erinnert sich: Seine Familie genoss in der Gegend hohes Ansehen,
„Ärzte waren etwas Besonderes am Land“. Für die Kinder war das
trotzdem kein Freibrief. „Wehe, wenn wir nicht gegrüßt haben.“ Keine
Frage, dass früher vieles schwieriger war. „Andererseits ist nur eine Gesellschaft, in der alles verboten ist, wirklich interessant. Und
Girtler ist nicht nur bekannt für seine Bücher und seine Abenteuer
bei Gaunern, Hooligans und Straßenkindern. Er ist auch bekannt für
seine Gedanken. „Und die sind ständig in Bewegung, weil ich mich
selbst immer in Bewegung halte.“ Sein Denksport ist Rad fahren. Erst
kürzlich kehrte er von einem Vortrag in Nürnberg zurück. „Ich bin
mit dem Radl hingefahren und zurück über den Bodensee. Einmal im
Jahr fahr ich 14 Stunden durch, 220 Kilometer von Spital nach Wien.“
Er war Anfang dreißig, als er begonnen hat, sich herauszufordern.
„Als die Kinder keine Wochenendausflüge mehr machen wollten,
hab ich mich für Kletterkurse angemeldet, ein Eistraining absolviert.
Da habe ich gelernt, was passiert, wenn man in eine Gletscherspalte
stürzt, wir mussten sogar absichtlich abstürzen.“
Die dritte Lektion: Überwindung.
Toni’s
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info
kurzbiografie roland girtler
1941 in Wien geboren. Studierte ab 1967 Ethnologie, Urgeschichte, Philosophie und Soziologie. 1979 habilitierte er sich an der Universität Wien.
Anfang der 70er Jahre betrieb er Feldforschung in Indien, beschäftigte sich mit zahlreichen Randgruppen (Dirnen, Sandler, Ganoven), erforschte die
Kultur der Bergbauern, Schmuggler, Polizisten, der Landler in Siebenbürgen, der Landärzte, Klosterschüler und Wilderer. Der originelle Forscher
wurde außerdem bekannt durch seine 10 Gebote der Feldforschung.
Toni’s
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Zu Hause in Spital am Pyhrn.
Toni’s
Mir ist mein Büro egal. Aber meine Freiheit nicht.
„Der Körper und der Geist, diese beiden müssen gesund sein, sonst
wird das mit der Freiheit nie etwas.“ Dennoch versteht Girtler das
„Gesundheit“-Wünschen der Leute eigentlich nicht. „Denn warum
wünscht man sich Gesundheit, wenn etwas andres viel wichtiger ist?“
„Das Wichtigste im ganzen Leben ist
nämlich eigentlich das Glück und nicht
die Gesundheit. Auf der Titanic waren
sie auch alle gesund und sind gestorben.
Sie hätten mehr Glück gebraucht.“
Also Punkt vier: das Glück.
Girtler beruft sich auf den griechischen Gott Kairos, den Gott des
günstigen Augenblicks („Der wacht über unser Haus“), und erzählt:
Der Verkehrsunfall im Jahr 1966 gehöre zu seinen Schlüsselerlebnissen. Er habe ihn geprägt, sein Leben bestimmt. „Nach einem Zusammenstoß mit einem Mercedes bin ich 31 Meter durch die Luft
geflogen. Ohne Helm. Ich landete quasi direkt im Wiener AKH.“
Dritte Klasse mit 25 anderen im Saal. Das Schicksal spann weiter seine Fäden: „Neben mir lag der Chef der Wiener Bordelle, der Gürtel
Ederl, und der hat einer Krankenschwester angedroht, wenn sie nicht
netter zu mir wird, riskiert er einen Fuchzehner.“ Fünfzehn Jahre
Gefängnis für einen Schlag auf den Kopf mit der Urinflasche. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Der Beginn seiner Karriere.
Nur wegen dieses Erlebnisses brach Girtler das Jusstudium kurz
vor dem Ende ab und wurde Ethnologe, Spezialist für Randgruppen
und die Sprache der Gauner. Das machte ihn schlagartig berühmt.
Seit damals, also mehr als 30 Jahren, war er eigenen Angaben zufolge in keiner Bank mehr. „Nicht aus Hochmut, sondern weil ich meinen Forschungen folgte, mit allen Sinnen. Ich war gemeinsam mit
meiner Frau bei Huren zum Abendessen eingeladen, bin mit PolizeiFunkstreifen mitgefahren und hab bei den Sandlern gelebt. Ich hatte
das Glück des günstigen Augenblicks, ohne dem gar nichts funktioniert. Schon gar nicht das Erlangen von Freiheit.“
Lektion fünf: Bestimmung.
Wie überall im Leben müsse man auch als Völkerkundler und Soziologe gewissermaßen Glücksritter sein, wolle man es zu etwas bringen. „Aber es ist ein gewaltiger Blödsinn, wenn einer sagt, es gehe
nichts, da gebe es keine Perspektiven in der Forschung. Ich hab eine
Kollegin, die hat Urgeschichte studiert. Ich meine, Urgeschichte.
Heute ist sie bei Siemens ein hohes Viech. Und warum? Weil sie gearbeitet hat. Und zwar sehr hart. Auch ich habe in meinem Leben viele
langweilige Aufsätze geschrieben, aber ich habe zum Glück schnell
erkannt, dass man sich durchbeißen muss. Man muss zu den Menschen, um wirklich etwas zu erfahren. Ich mag die kleinen Leute,
da lernt man am meisten. Das kostet aber auch viel Mühe. Ich habe
mein Studium in Wien selber fi nanziert, indem ich Gemüse für die
Naschmarkt-Standler ausgeführt habe. Und dadurch habe ich viele
Obdachlose kennen gelernt. Ich war dadurch der erste, der erkannte,
dass es sich dabei um eine eigene Kultur handelte. Heute laden sie
mich sogar ins Bundeskriminalamt nach Wiesbaden ein, damit ich
den Beamten etwas von der Seele der Schmuggler berichte, von Randkulturen und Ausgestoßenen. Aber mein Wissen habe ich nicht, weil
ich viel aus dem Fenster schaue. Ich habe gearbeitet. Ich arbeite immer.“
Fazit: „In den Tag hineinleben, dem Müßiggang frönen, das geht
nicht. Man muss an seinem Geist arbeiten – an seinem Körper. An
allem. Wer das nicht tut, der wird die Freiheit nicht erlangen. Die
innere schon gar nicht.“
Der sechste Schritt zur Freiheit: Arbeit.
Und doch gibt Girtler zu, dass auch der einsamste Weg zur Freiheit
nicht allein zu bewältigen ist. „Nein“, sagt er, „alleine wäre das nicht
gegangen. Meine Berühmtheit, über die ich im Übrigen immer noch
ziemlich staune – die verdanke ich vor allem meiner Frau.“
Das bringt ihn noch auf eine finale Idee: „Jeder auf der Uni könnte ein
schönes Leben führen. Die wenigsten tun es. Warum? Weil sie wie die
meisten Menschen ein gebrochenes Verhältnis zur Zeit haben. Sie
wissen nicht mehr, was wirklich wichtig ist und glauben deshalb, es
mangle ihnen an Zeit, mit dem Effekt, noch weniger davon zu haben.“
Girtler war stets Zuhörer, Zuseher, „ein kleiner Schreiberling“ wie er
feststellt. Spontan sagt er: „Ich habe mich nie vorgedrängt, war nie
Studentensprecher oder so etwas. Ich war immer ein kleiner Fisch.“
Er lacht. „Kleiner Fisch ist gut. Ich weiß auch nicht, wie ich darauf
komme, aber ein großer Fisch war ich ja sicher nie. Was ich damit
eigentlich sagen will, ist: Allein schafft man nichts. Man braucht immer Menschen, die einem nahe sind. Es kommt allerdings auch darauf an, ob man die wirklich wichtigen Momente erkennt.“ Die Zeichen der Zeit. Seine Frau hat er bei einem Krampuskränzchen kennen
gelernt. „Ohne sie bin ich nichts“, betont er noch einmal. Trotzdem
könne er sich eines nicht vorstellen: „Dass ich eines Tages ganz zu
Hause bleiben werde. Ich halte nämlich nichts von der Pension.
Vor einiger Zeit fragten mich die Kollegen, wann ich in Rente gehe.
Sie wollten mein Büro. Am nächsten Tag steckte ich einen Zettel an
die Tür. Meine Sprechstunden fi nden ab sofort im Cafe Landmann
statt. Manche meiner Vorlesungen auch.
Mir ist mein Büro egal. Aber meine Freiheit nicht.“
Toni’s
33
34
Die Idee: Mode, an deren Schönheit man sich erst gewöhnen muss.
Toni’s
mode
EIN EI
GLEICHT DEM
ANDEREN
Und was ein Wiener Modelabel dagegen tut.
35
Eine der größten Freiheiten, die sich die vier Wiener Jakob Lena
Knebl, Karin Krapfenbauer, Markus Hausleitner und Martin Sulzbacher bisher genommen haben, ist sicherlich der Name ihres Modelabels. Hört man ihn zum ersten Mal, so muss man unweigerlich an
einen Scherz denken: „house of the very island’s royal club division
middlesex klassenkampf, but the question is: where are u, now?“
Zunächst wird ein Thema ausgewählt. Eine Atmosphäre. Das kann
durch Musik genauso inspiriert sein wie durch Arbeiten von anderen
Designern. Oft studieren die vier einfach Arbeiten von Avantgardisten wie beispielsweise Yamamoto und lassen sich auf diese Weise an
neue Ufer spülen. Schließlich entstehen aus einem Pool von gemeinsamen Inspirationsquellen Ideen, die dann fragmentarisch zusammengetragen werden. Das ist der eigentliche Startschuss.
Und tatsächlich. Zu Beginn war es ein Scherz. Auf der Suche nach
einem passenden Namen für ihr neues Modelabel haben die vier zunächst einmal versucht, zusammenzufassen, was ihnen wichtig ist.
Jeder durfte sagen, was er mit dem neuen Namen ausdrücken wollte.
Der Plan war, sich anschließend auf die reduzierte Form von allen
diesen Wünschen zu einigen. Dieser Plan ist gleich einmal gehörig
danebengegangen. Man konnte sich nicht einigen und benannte sich
zum Spaß einmal nach allem, was auf dem Zettel stand. Einerseits
nicht sehr klug. Aber andererseits bahnbrechend. Denn die Entstehung dieses ungewöhnlichen Namens war gleichzeitig auch so etwas
wie der Prototyp für die Arbeitsweise, in der in den folgenden Jahren
Mode entstehen sollte.
Von da an wird gefeilscht. Diskutiert. Man hinterfragt die Arbeit
des anderen und verwirft im selben Moment die eigenen Ideen. Ein
anderer fängt sie auf und verändert sie, um sie dann wieder erneut
ins Gespräch zu bringen. „Wir raufen uns einfach zusammen“, sagt
Jakob Lena Knebl dazu. Dabei blitzen seine Augen auf. „Jede Idee
durchläuft diese Streitphase über mehrere Stufen und wird dadurch
geschärft.“ Klingt einleuchtend. Aber wo ist da die Freiheit des Einzelnen? „Unsere Lösungen sind immer ein Kompromiss. Aber mit
Menschen, die man mag, findet man gerne Kompromisse,“ wirft
Markus Hausleitner ein.
Und wenn einem die Idee des anderen partout nicht gefällt? „Umso besser“, so Jakob Lena Knebl, „denn genau das ist der Kern unserer Arbeit: Wir verschieben Schönheit! Schönheit ist ein Konstrukt.
Was zuerst grässlich ist, gefällt dir dann plötzlich. An der Schönheit
kann man am besten sehen, wie konstruiert wir sind.“
„Design ist geschmäcklerisch“, ist man überzeugt.
Dem trägt auch der kreative Ablauf im Team Rechnung:
Toni’s
36
„Lach der eigenen Phobie ins Gesicht.“
„house of the (...)“ haben das Ziel, Aversionen aufzubrechen. Man
setzt sich mit dem vermeintlich Hässlichen auseinander, um es so lieben zu lernen. Der eigene Geschmack auf dem ewigen Prüfstand. Ein
Prozess, der einerseits kein Ende kennt, da das Verhasste, nachdem
es zum Geliebten wird, ja wieder an Sinn verliert. „Andererseits“,
meint Markus Hausleitner, „erlaubt es diese Art der Inspiration aber
auch, Dinge wieder abzuschließen. Geschmack kommt und geht. Es
sind viele Stufen in einem ewigen Prozess. Und jede Stufe für sich
hat einen Anfang und ein Ende. Ich kann mich erinnern, einmal eine
Hardcore-Techno-Kollektion gemacht zu haben. Ich habe mich reingehört und reingesteigert in den Quatsch. Bis ich es mochte. Dann
habe ich das beendet.“
Bei „house of the (...)“ lässt man sich oft von Musik inspirieren. Nur
derzeit sei es schwierig, gibt man zu verstehen. Es gäbe zwar viel
Neues, aber nichts Bewegendes. Bei den letzten Arbeiten ging es daher um Handwerkklischees. Die Kollektion trug einen tschechischen
Titel, den noch immer keiner der vier richtig aussprechen kann. Aber
wozu auch. Mode trägt man, man spricht sie nicht. Übersetzt hieß
die Kollektion „Butterbrot, Tomate und der Hut“ – angeblich. Aber
das weiß keiner so genau. Jedenfalls war dieser Titel genau jene „Ver-
dichtung von Inspirationen“, für die das Label steht. Für Markus
Hausleitner war die Quelle seiner Ideen ein abgeschlagenes Häferl
aus Krumau. Es ging ja angeblich um Kafka. Mehr oder weniger.
Aber auch da ist man sich nicht so sicher.
Lässt man sich von Küchenutensilien und elektronischen Rhythmen
inspirieren, scheint künstlerische Freiheit greifbar zu sein, doch wie
sieht es aus, wenn man sich durch Arbeiten von Kollegen beflügeln
lässt? Wie frei ist man im Kopf, wenn man von der Mode anderer
wegarbeitet? Die Antwort kommt zwar zögerlich, aber umso überzeugter: „Die Euphorie, die deine Inspirationsquelle in dir auslöst,
wächst ja in dein neues Werk mit hinein. Deine persönliche und einzigartige Emotion wird Teil der neuen Arbeit und das macht diese
dann wieder einzigartig.“ Den Vorwurf, Plagiate zu erzeugen, muss
sich „house of the (...)“ aber sowieso nicht anhören. Die Methode,
Grenzen zu studieren, um sie dann konsequent aufzulösen, schafft
unweigerlich Neues. Schon allein durch die ungewöhnlichen Schnittkonstruktionen. Linien werden einfach aufgelöst. Klassische Merkmale beinhart verschoben. Gerade das ist eine der wesentlichsten
Techniken – schließlich lautet doch das gemeinsam defi nierte Ziel,
Mode für den Transgender-Liebhaber zu entwerfen.
Toni’s
mode
Lerne die Regeln, um sie zu brechen.
Ein altes, aber gutes Motto.
„Am meisten Einengung in unserer Arbeit empfi nden wir übrigens
nicht beim Entwerfen, sondern bei der Auswahl der Materialien.“
Man legt Wert auf organische Stoffe, die fair produziert werden.
Leider steckt die Modeindustrie in diesem Bereich noch in den
Kinderschuhen. Eine ganze Branche von Vordenkern hat es nicht
geschafft, einen ökologischen oder zumindest humanistischen Mindeststandard festzulegen. Für „house of the (...)“ ist das Prinzip des
Fair Trade jedenfalls ein Grundprinzip. Man produziert vorwiegend
in Wien und da in enger Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem
Verein Wiener Volkshilfe oder sozialprojekte.com. Natürlich macht
es die Mode nicht billiger, aber dafür umso wertvoller.
„Wirtschaftlichkeit ist überhaupt ein heikles Thema“, erzählt Jakob
Lena Knebl. Mit der absoluten Freiheit ist es da schnell vorüber.
Schnell produzieren, günstig produzieren. Und wer größere Labels
beliefern will, der muss sich auch noch den Mund verbieten lassen.
Für „house of the (...)“ gilt daher auch hier: Trotz oder gerade wegen der Reglementierungen, die diese Branche mit sich bringt, liegt
der Spaß ja hauptsächlich im Brechen oder zumindest Unterwandern
dieser Regeln. Gerade in Zeiten wie heute. Mode ist mittlerweile ein
Ausdruck eines Status. Die Experimentierfreude ist verloren gegangen. In den Achtzigern waren die, die anders sind, die Helden. Freaks
waren das Besondere. Heutzutage will man sehr erkennbare Mode
tragen. Marken, Material, Stil – Konformität ist das neue Statussymbol. Jung rebelliert nicht mehr. Dazu Jakob Lena Knebl: „Sieht
man sich Musikvideos von früher an – die Sänger von damals würden
heutzutage nicht mal mehr hinter der Bühne arbeiten dürfen.“
Was die weibliche Emanzipation seit über
hundert Jahren mühsam zu erkämpfen
versucht, will „house of the (...)“ nun mit
einem Schlag erreichen: Es soll keinen
Unterschied zwischen Mann und Frau
mehr geben.
info
house of the very island’s royal club division middlesex klassenkampf, but the question is: where are u, now?
Kontakt: Markus Hausleitner, [email protected], www.houseofthe.com / Erhältlich bei Park, Mondscheingasse 20, 1070 Wien, www.park.co.at
Toni’s
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38
Die tägliche Aufgabe. Wer den schönsten Wurm hat, hat gewonnen.
Toni’s
DIE KRAFT DER FREIHEIT
im Toni’s Freilandei
Vitamin A
Folsäure
Weil das Ei ein Fruchtbarkeitssymbol ist,
enthält es natürlich auch viel Folsäure, die
am Anfang einer Schwangerschaft besonders
wichtig ist. Folsäure ist für die gesunde Entwicklung des embryonalen Nervensystems
und des Gehirns unerlässlich. Bereits ein Ei
deckt den Tagesbedarf bis zu 26 %.
Vitamin A ist besonders gut für unsere
Augen – vielleicht fi nden ja deshalb sogar
blinde Hühner ab und zu ein Korn. Es ist
im Freilandei in noch größerer Menge als
in jedem anderen Ei enthalten, vor allem
im Dotter. Nur frische Leber enthält
noch mehr davon. Zusätzlich stärkt
Vitamin A auch das Immunsystem und
trägt zur Zellgeneration bei.
Vitamin E
Vitamin E fördert die Vitalität,
verbessert die Durchblutung, schützt
vor Herzinfarkten und verlangsamt
den Alterungsprozess. Damit sind
Freilandeier, die besonders wertvolle
Vitamin-E-Lieferanten sind, ein ganz
natürlicher Jungbrunnen.
Anti-Stress-Hormone
Vitamin D
Das beste Mittel gegen Stress sind
Anti-Stress-Hormone, die unser
Körper selbst bildet, und zwar aus
Eiweiß. Deshalb wirken Eier als
ideales Mittel gegen Stress, und das
sogar vorbeugend.
Vitamin D braucht der Körper, um
Kalzium und Phosphor aufnehmen zu
können. Damit ist es die Grundlage
zur Erhaltung und zum Aufbau von
Zähnen und Knochen.
Mit der Sommersonne kann unsere
Haut Vitamin D bilden, im Winter
helfen uns die besten Eier unter der
Sonne weiter, denn ein Ei deckt
rund 30 % des Tagesbedarfs.
Omega-3-Fettsäuren
Ungesättigte Fettsäuren wie Omega-3Fettsäuren sind lebensnotwendig für Gehirn, Nervensystem und Stoffwechsel. In
Freilandeiern sind deutlich mehr davon
enthalten als in anderen Eiern, das beweist
auch eine Studie des Instituts für Ernährungswissenschaften der Uni Wien. Der
Grund liegt darin, dass sich die Hennen
die nötigen Zutaten aus verschiedenen
Kräutern und Gräsern holen.
Zink
Als Spurenelement stärkt Zink das Immun–
system, steigert die geistige Leistungsfähigkeit
ebenso wie die Liebeskraft und wirkt als
Erkältungsmittel.
Lecithin
Proteine
Eine besondere Fettverbindung und
echte Gehirnnahrung. Das Wort leitet
sich übrigens aus dem altgriechischen
Namen für Eidotter ab. Wir brauchen
Lecithin als elementaren Baustein der
Zellmembranen und des Nervengewebes. Der Eidotter zählt zu den wertvollsten, natürlichen Lecithinquellen.
Das deutsche Wort für Protein ist natürlich nicht umsonst
Eiweiß, denn ein Ei deckt rund 15 % unseres täglichen Proteinbedarfs ab und versorgt uns zusätzlich mit Eiweißbausteinen, den essenziellen Aminosäuren. Allerdings liefert der
Eidotter noch mehr Proteine als das Eiweiß.
Eine ausreichende Versorgung mit hochwertigem Eiweiß
und essenziellen Aminosäuren ist eine wichtige Basis für ein
leistungsstarkes Immunsystem. Wird man doch einmal krank,
braucht der Körper noch mehr Proteine, um geschädigte
Zellen wieder aufzubauen. Und um körpereigene Proteine zu
produzieren, brauchen wir das Spurenelement Schwefel –
auch dafür ist das Ei ein wichtiger Lieferant.
Toni’s
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Toni’s Handels GmbH
Glein 14
A-8720 Knittelfeld
T +43(0) 3512 / 85 7 25
F +43(0) 3512 / 85 7 25-4
E [email protected]
www.tonis.at
Mit Rücksicht auf bessere Lesbarkeit wird
davon abgesehen, Personenbezeichnungen
grundsätzlich in männlicher und weiblicher
Form zu verwenden.
konzeption & gestaltung moodley brand identity, www.moodley.at / fotografie Albert Handler (S 1, 2–11, 19, 22–27, 31–32, 36, 38, 40), Croce&Wir (S 28, 29), Andrew Zuckerman „SV Bilderdienst“ (S 12–15, 17), Georg Petermichl (S 34, 37 / Models: Erika, Derek),
Chris Zenz (S 39) / illustration Bernd Kienreich (S 20) / text Tobias Federsel (S 5–7, 22–26, 34–37), Andreas Braunendal (S 8–11, 18–20, 39), Katrin Blawat, Süddeutsche Zeitung 09/2007 (S 12–17) / druck Ueberreuter Print und Digimedia GmbH