Kirchenmusik am Salzburger Dom in den ersten Jahrzehnten

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Kirchenmusik am Salzburger Dom in den ersten Jahrzehnten
Eva Neumayr
unter Mitarbeit von Lars E. Laubhold
Kirchenmusik am Salzburger Dom
in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts
Die ersten vier Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts werden in der Salzburger Musik‑
geschichte gemeinhin als eine Zeit des musikalischen Niedergangs bewertet.1 Wäh‑
rend man dieser Einschätzung einen gewissen Wahrheitsgehalt nicht absprechen
kann, war doch mit der Auflösung der Hofmusikkapelle und der Abwanderung
vieler Musiker die Epoche der höfisch geprägten Musik zu Ende gegangen, so
wurde andererseits infolge dieser Wertung die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts
nicht nur negativ eingeschätzt, sondern fast gar nicht musikgeschichtlich betrachtet.
Im Zuge der wissenschaftlichen Erfassung der Materialien des Salzburger Dom‑
musikarchivs2 sind wir in diesem Zusammenhang immer wieder auf Fragen gesto‑
ßen, die auf eine gewisse Diskrepanz zwischen der (negativen) Einschätzung und
den doch vorhandenen, gar nicht so geringen musikalischen Aktivitäten in Salz‑
burg am Anfang des 19. Jahrhunderts schließen lassen.
Gerade die ursprünglich von Michael Haydn initiierten Aufführungen der großen
Werke Joseph Haydns, insbesondere der Schöpfung3 (1800, 1801, 18104 …) aber
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Vgl. Ernst Hintermaier, Die Salzburger Hofkapelle von 1700 bis 1806. Organisation und
Personal, Diss. Universität Salzburg 1972, S. XI: „Salzburgs Musikleben erreichte damals
seinen tiefsten Punkt, der kaum mehr unterboten werden konnte. Erst durch die Gründung
des Dommusikverein und Mozarteum im Jahre 1841 kam wieder frisches Leben in die
nach und nach verkümmerte Musikstadt Salzburg.“
Die hier dargestellten Ergebnisse wurden im Rahmen zweier vom österreichischen Fonds
für Wissenschaft und Forschung geförderten Projekte (P 20309 und P 23195) zur Erfor‑
schung des Musikrepertoires der Salzburger Dommusik im 18. Jahrhundert, die unter an‑
derem die Katalogisierung der musikalischen Bestände des Salzburger Dommusikarchivs
in der Datenbank des internationalen Quellenlexikons der Musik (Répertoire International
des Sources Musicales, abrufbar unter http://opac.rism.info/) umfassen, unter der Projekt‑
leitung von Ernst Hintermaier erarbeitet.
Vgl. Lars E. Laubhold / Eva Neumayr, „… was mein Bruder in seinen Chören mit der
Ewigkeit treibt…“ Quellen zur frühen Rezeption von Joseph Haydns Schöpfung in Salzburg, in: Haydn-Studien 10 (2010), Heft 1, S. 55−70.
Libretto: A‑Sca 6426, am Titelblatt der Anlass der Aufführung: „Aufgeführt zur Namens‑
feyer Sr. Majestät des Königs von Bayern, Unseres allergnädigsten Landesvaters, Maximi‑
lian Joseph“.
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auch der Jahreszeiten (18025, 18076) und der Letzten Worte des Erlösers am Kreuz
(1802, 18137) deuten auf beträchtliche musikalische Aktivitäten8 hin, die auch
nach dem Ende der Hofmusikkapelle weitergeführt wurden. Von der Aufführung
der Jahreszeiten 1807 in der Aula der Universität berichtet der Abt von St. Peter,
Dominikus Hagenauer, in seinem Tagebuch: „Es waren beylich 100 Musikanten
und bis 2000 Zuhörer“.9 Weder die Zahl der Musiker noch die Publikumszahlen
belegen eine „nach und nach verkümmerte Musikstadt“.10
Auch das Requiem W. A. Mozarts, der Schöpfung als eines der Leitwerke der
Epoche vergleichbar, erfreute sich ab der ersten Aufführung in Salzburg am 14.
November 180111 steigender Beliebtheit.12 Neben den bereits von uns beschriebe‑
nen Aufführungen 1801 (St. Peter), 1806 (M. Haydn, Universitätskirche), 1809
(Triendl, St. Peter), 1826 (für Nissen, Universitätskirche) und 1842 (für Cons‑
tanze Nissen)13 wurde es auch am 17. Februar 1816 bei der in Salzburg abge‑
haltenen „Todtenfeier“ für die in Venedig jung verstorbene Salzburger Sängerin
Elisabeth Neukomm, die Schwester des Komponisten Sigismund Neukomm auf‑
geführt, worüber der Rezensent des Augsburger Unterhaltungsblatt, für Gebildete jeden Standes berichtet:
Das mit 70 bis 80 Individuen besetzte Orchester bestand größtentheils aus
Dilettanten, und die Präzision, mit welcher das Ganze ausgeführet wurde,
übertraf meine Erwartung, besonders überraschte mich das so richtige Gefühl
des Zeitmaßes, in dem alle Stücke genommen wurden, und worin bekanntlich
die Wirkung Mozartscher Musik so sehr bedinget ist. In meiner Phantasie sah
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Libretto: A‑Sca 14626.
Libretto: A‑Sca 13536.
Libretto: A‑Sca 6427.
Diese Aufzählung ist keineswegs als vollständig zu betrachten.
„Die Ackademicker führten zu Ehren Ihres Recktors den 26ten in dem großen Ackade‑
mischen Saal die von dem berühmten Kapellmeister Joseph Haiden in Musick gesetzten
4 Jahreszeiten auf. Es waren beylich 100 Musickanten, und bis 2000 Zuhörer, es dauerte
von ½ 7 Uhr Abends bis gegen 10 Uhr. Der Anfang wurde mit einem Applause auf dem
Recktor, den der Kloster Organist Sebastian Oellinger ein Musick gesetzt hat, gemacht.
Alles erhielt lauten und vollen Beyfall.“ Vgl. Abt Dominikus Hagenauer (1746–1811) von
St. Peter in Salzburg. Tagebücher 1786–1810, hg. v. d. Historischen Sektion der Bayeri‑
schen Benediktinerabtei, bearb. und komm. von Adolf Hahnl / Hannelore Angermüller /
Rudolph Angermüller, St. Ottilien: Eos 2009, S. 1175.
Vgl. Zitat in Anm. 1.
Vgl. Eva Neumayr / Lars E. Laubhold, Quellen zur Rezeption des Requiems von W. A.
Mozart in Salzburg im frühen 19. Jahrhundert, in: Mozart-Jahrbuch 2009/10, Kassel:
Bärenreiter 2011, S. 187–209.
Während die genannten Werke Joseph Haydns in großen Konzerten zur Aufführung ka‑
men, wurde das Requiem Mozarts in Salzburg vor allem in liturgischem Kontext gespielt.
Kaiserlich-königlich privilegirte Salzburger Zeitung, Nr. 50 vom 11. März 1824, S. 198.
ich Mozarts Geist über seinen Mitbürgern schweben, und die Heimgegangene freundlich begrüssen.14
An der Domkirche scheint sich die Vorliebe des 19. Jahrhunderts für groß besetzte
Werke immer wieder – und trotz der angeblich eingeschränkten Möglichkeiten –
durchgesetzt zu haben. Davon zeugen Luigi Gattis Requiem in C, das 1812 bei
den Exequien für Erzbischof Hieronymus Colloredo aufgeführt wurde, aber auch
die Kompositionen des Domorganisten Joseph Höß (1778–1831). Er steuerte in
den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts eine Messe (1824)15, ein Requiem (1826)16
und eine Litanei (1827)17 zum Repertoire der Dommusik bei, die sich alle durch
ihre großen Bläserbesetzungen (2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – alles
doppelt besetzt –, 2 Trompeten, 2 Hörner, 3 Posaunen und Pauke) auszeichnen.
Die Frage stellt sich, welche Musiker für Veranstaltungen dieser Größe herangezo‑
gen wurden. Waren es die oben erwähnten Dilettanten? Waren es Studenten – oder
stand in Salzburg auch nach der Auflösung der Hofmusikkapelle immer noch eine
zweite Garde von professionellen oder semi-professionellen Musikern zur Verfü‑
gung, mit denen solche Aufführungen möglich waren? Wenn es diese Musiker gab,
so werden sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem im Umfeld ver‑
schiedener Salzburger Kirchen, insbesondere des Salzburger Doms zu suchen sein.
1.Der Dom als Metropolitankirche: Von der Hofmusikkapelle zur
Dommusik
Bis zur Auflösung der Hofmusikkapelle im Jahr 1807 war es selbstverständlich,
dass diese auch an der Metropolitankirche musizierte. Über die Musiker der Hof‑
musikkapelle sind wir insbesondere durch die Arbeiten Ernst Hintermaiers18 gut
informiert. Es wird hier deshalb eine Übersicht genügen.
Wenn die Hofmusikkapelle an der Metropolitankirche des Salzburger Erzbistums
auftrat, musizierten mehrere Musikergruppen, die dem fürsterzbischöflichen Hof,
der Metropolitankirche oder der Stadt Salzburg zuzuordnen waren. Dem Hof
zugeordnet waren das Orchester der Hofmusikkapelle, die (stets männlichen)
14
Unterhaltungsblatt für Gebildete jeden Standes 1 (1816), Heft 29, S. 116.
„In Festum Portiunculae. / Missa / Solemnis. / a. / Piu Instrumenti. / Del Signore Giuseppe
Höss. / Domorganist in Salzburg. / Anno 1824. / den 1ten August: / producirt. / in der Uni‑
versitaets / Kirche“, A‑Sd A 1161.
16 „Requiem. / a. / Piu Instrumenti / Del Signore Giuseppe Höss. / Dom Organist in Salzburg /
Anno 1826. / Componirt. / den 3ten October verfertigt“, A‑Sd A 1187.
17 „Litaniae solennis. / de Venerabili sacramento. / a / piu Instrumenti. / Composto di Gi‑
useppe Höß. Organ: / a Metropolitania a Salisburgo. / Anno 1827. den 17ten December“,
A‑Sd A 1162.
18 Hintermaier, Salzburger Hofkapelle (wie Anm. 1), passim.
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Vokalsolisten19 und die Hoftrompeter und Pauker, die im Dom nur bei sehr feier‑
lichen Anlässen musizierten. Die Sopran- und Alt-Soli sowie Chorstimmen wur‑
den von den Kapellknaben gesungen, die am Kapellhaus eigens dafür ausgebildet
worden waren, da Frauenstimmen am Dom im 18. und bis zur Mitte des 19. Jahr‑
hunderts nicht erlaubt waren. Die Tenor- und Bassstimmen im Chor wurden von
zwölf geistlichen Domchorvikaren und acht Domchoralisten übernommen, aus
denen sich der Domchor zusammensetzte, der unter der Leitung des Domchorre‑
genten stand. Sowohl Kapellknaben als auch Domchor waren musikalische Insti‑
tutionen, die nur in der Kirchenmusik Verwendung fanden und somit der Kathe‑
dralkirche zuzuordnen sind.
Aber auch städtische Musiker trugen zur Kirchenmusik in der Metropolitankir‑
che bei: Zur Besetzung gehörten drei Posaunisten, die die Chorstimmen colla parte
begleiteten. Sie kamen aus den Reihen der „Thurner“, die von der Stadt Salzburg
unterhalten wurden und unter der Leitung des „Thurnermeisters“ etwa auch für
Tanzmusik in der Stadt zuständig waren.
Mit der Auflösung der Hofmusikkapelle in den Jahren 1806 und 1807 wurden die
vorher von Kurfürst Ferdinand aus Passau und Eichstätt übernommenen Musi‑
ker an ihren neuen Landesherrn, den Kurfürsten von Bayern zurückgestellt. Zwei
Hofmusiker folgten Ferdinand nach Würzburg, einige Musiker mit überdurch‑
schnittlichem Können wurden an der Hofmusikkapelle in Wien angestellt. In Salz‑
burg war es die Dommusik, welche die Aufgaben der Hofmusikkapelle am Dom
übernahm. Domkapellmeister blieb zunächst, bis zu seinem Tod 1817, Luigi Gatti
(1740–1817), der gerade im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in komposito‑
rischer Hinsicht große Aktivität entfaltete: Neben einigen kirchenmusikalischen
Werken, unter anderem dem großen Requiem in C20 (um 1807), schuf er meh‑
rere musikdramatische Werke, wie das Oratorium Abels Tod (1806), La Grotta
di Merlino (1808), eine große Oper anlässlich der Vermählung Kaisers Franz II./I.
mit Maria Ludovika Beatrix von Modena (1787–1816) und das szenische Orato‑
rium Il Trionfo di Gedeone (1808).
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Frauenstimmen waren im Salzburger Dom erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts, als ein ge‑
mischtstimmiger Kirchenchor gegründet wurde, vertreten. Vorher wurden sowohl Soli wie
auch hohe Chorstimmen von Kastraten, Falsettisten und vor allem den Kapellknaben ge‑
sungen. Vgl. Carena Sangl, Der Cäcilianismus in Salzburg unter Erzbischof Johannes Kardinal Katschthaler, Sinzig: Studio Verlag 2005 (Kirchenmusikalische Studien 8), S. 259.
20 Vgl. Eva Neumayr, Die Requiemvertonungen Luigi Gattis, in: Keine Chance für Mozart.
Fürsterzbischof Hieronymus Colloredo und sein letzter Hofkapellmeister Luigi Gatti,
Symposiumsbericht, hg. v. Eva Neumayr / Lars E. Laubhold / Ernst Hintermaier, unter
Mitarbeit von Alessandro Lattanzi, Lucca: LIM 2012 (Veröffentlichungen zur Salzburger
Musikgeschichte 10; zugleich: Musicologica Transalpina 2; zugleich: Schriftenreihe des
Archivs der Erzdiözese Salzburg 11), im Druck, passim.
Ein Orchester wurde aus den in Salzburg verbliebenen Mitgliedern der Hofmu‑
sikkapelle unter Kapellmeister Luigi Gatti und zahlreichen neu aufgenommenen
Musikern, die die nach Wien berufenen oder nach Würzburg abgewanderten Mit‑
glieder der Hofmusikkapelle ersetzen mussten, zusammengestellt. Wie aus einem
Bericht Luigi Gattis „in betreff der Aufnahme einiger brauchbarer Individuen zur
Herstellung einer vollständigen Musik für den Domchor“21 hervorgeht, wurden
von Gatti Lorenz Bergmaier (1773–1845)22 als Tenorist und als Ersatz für den zur
Hofmusikkapelle nach Wien gegangenen Franz Joseph Otter in der Violine, Bene‑
dikt Hacker (1769–1829)23, Georg Hodspodsky, Ferdinand Blumlachner24 und
Christoph Kunrad25 für die Violine, Richter und Weninger26 als Trompeter vorge‑
schlagen. Oboisten, 3. Trompeter und 2. Fagott sollten, Gattis Vorschlag zufolge,
je nach Bedarf „zugekauft“ werden.27
Leider sind unsere Kenntnisse über die Musiker am Dom in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts noch recht lückenhaft. Ein interessantes Dokument ist in die‑
sem Zusammenhang eine Rechnung über die Aufführung eines Requiems, ver‑
mutlich des Requiems in C von Luigi Gatti bei den Exequien für Fürsterzbischof
Hieronymus Colloredo 1812. In dieser „IV. Designation / über den Sr Hochfürstl.
Gnaden T. H.H. Erzbischof Hieronymus / zur höchsten Ratification vorgeleg‑
ten Exequien- / Konten“28 werden die Musiker, die mitwirkten, nämlich nament‑
lich aufgeführt.
Von der ehemaligen Hofmusikkapelle waren um 1812 noch folgende Musiker
tätig: Kapellmeister Luigi Gatti (1740–1817), unter den Sängern Felix Hofstät‑
ter (1744–1814) als Tenorist, Matthias Schitra (um 1750–1824) als Bassist und
Joseph Anton Bründl, der zwar 1782 die Hofmusikkapelle verlassen hatte um die
Chorregentenstelle in Hallein anzunehmen, hier aber wohl als Tenorist zurück‑
geholt wurde. Von den Streichern der Hofmusikkapelle musizierten an den Violi‑
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Monika Gehmacher, Luigi Gatti. Sein Leben und seine Oratorien. Mit thematischem Katalog des Gesamtschaffens, Diss. Universität Wien 1959, S. 54–57.
Lässt sich ab 1841 als Violinist des Dommusikverein und Mozarteum nachweisen. Vgl.
Rudolph Angermüller, Das „Denkbuch des Dom Musik Vereines und Mozarteums zu
Salzburg“, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 134 (1994),
S. 439–584: 552.
Musiker, Komponist und Verleger in Salzburg, vgl. Salzburger Mozart-Lexikon, red. von
Gerhard Ammerer / Rudolph Angermüller unter Mitarbeit von Andrea Blöchl-Köstner,
Bad Honnef: Bock 2005, S. 148f.
Die Lebensdaten beider sind bis dato unbekannt.
Domchoralist und Stadtpfarrsänger, gestorben 1817.
Vornamen unbekannt.
Gehmacher, Luigi Gatti (wie Anm. 21), S. 57.
Archiv der Erzdiözese Salzburg, Hieronymus Colloredo, Akten 1/7/11.
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Abb. 1a–c: Rechnung über die Ausgaben für die Musik bei den
Exequien für Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo 1812 mit der
namentlichen Anführung zahlreicher mitwirkender Musiker und Sänger
(Archiv der Erzdiözese Salzburg, Akten Hieronymus Colloredo 1/7/11)
nen Andreas Pinzger29 (1740–1817) und Kajetan Anton Julian Biber von Bibern30
(1744–1816), am Violoncello Joseph Joachim Fuetsch (1766–1852) und als Vio‑
lonist Franz de Paula Joseph Weindl (um 1743–1812). Von den Bläsern waren die
Hornisten Joseph Michael Mayer (um 1751 – nach 1812) – trotzdem dieser 1807
wegen seiner Fähigkeiten aus Wien zur „k.k. Kammer Harmonie“ nach Wien ein‑
berufen worden war, dieser Einladung aber offenbar nicht Folge geleistet hatte –
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Hintermaier, Salzburger Hofkapelle (wie Anm. 1), S. 319–321.
Hintermaier, Salzburger Hofkapelle (wie Anm. 1), S. 27–29.
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Abb. 1b und 1c
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und der zweite Hornist Jakob Kutschera (1749–1813) geblieben, von denen Bene‑
dikt Pillwein 1821 schrieb:
Von den angenehmen Stunden, welche Mayer und Gutschera vielen ausgesuchten Gesellschaften auf Bergen, Wasser= und Berg= Fahrten etc. durch
den melodischen Klang ihrer Blasinstrumente verschafften, hört man zu Salzburg wohl nicht selten mit der sehnsuchtsvollsten Rückerinnerung sprechen. 31
Ferner nahm Domorganist Gottlieb Milder (1763–1817), der ebenfalls ab 1794
als Domstiftsorganist Mitglied der Hofmusikkapelle war, an der Aufführung teil.
Unter den anderen aufgelisteten Musikern sind viele bisher unbekannt, es finden
sich aber auch einige, von denen wir wissen, dass sie für das Musikleben Salz‑
burgs im 19. Jahrhundert nicht unwichtig waren, z.B. der Stadtpfarr- und zweite
Domorganist Andreas Brunmayr (1762–1815), der Musiker, Komponist, Verleger
und Kopist Benedikt Hacker (1769–1829)32 und der spätere Militärkapellmeister,
Komponist und Dirigent Johann Evangelist Schlier (1792–1873).
Über die Zeit nach dem Tod Luigi Gattis 1817 sind wir durch einen ausführli‑
chen Briefwechsel zwischen der k.k. Finanzdirektion und der Domkustodie33 infor‑
miert. Die musikalische Leitung der Dommusik übernahm zunächst Hofbassist
Matthias Schitra (1750–1824). Nach dessen Tod 1824 wurde Gattis Freund und
Nachlassverwalter Joachim Fuetsch (1766–1852) bis zu seiner Pensionierung und
der Gründung des Dommusikverein und Mozarteum 1841 Leiter der Dommusik.
Er war zunächst vor allem mit der Inventur der Dommusikalien und -instrumente
beschäftigt gewesen, die nach Gattis Tod von den Behörden angeordnet worden
war und 1822 in der Erstellung der neuen Kataloge34 durch Fuetsch resultierte.
Da Fuetsch wahrscheinlich bis Ende der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts Zugang
zum Nachlass Luigi Gattis35 und offenbar auch zu Quellen zum Werk Michael
Haydns hatte, bereicherte er den Bestand der Dommusik mit zahlreichen Abschrif‑
ten von Werken dieser Komponisten und dürfte ihre Werke auch immer wieder in
der Liturgie zur Aufführung gebracht haben.
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Benedikt Pillwein, Biographische Schilderungen oder Lexikon Salzburgischer theils verstorbener theils lebender Künstler, auch solcher, welche Kunstwerke für Salzburg lieferten
etc., Salzburg: Mayr’sche Buchhandlung 1821, S. 145.
Vgl. Anm. 23.
Archiv der Erzdiözese Salzburg, Dommusikverein und Mozarteum, Akten 20/27.
MUSICALIS in ECCLESIA METROPOLITANA conscriptus 13 Julij anno MCCCXXII
[eingefügt:] ab Joachim Fuetsch Choridirigente. Archiv der Erzdiözese Salzburg, 2 hand‑
schriftliche Exemplare, o. Sign.
Vgl. Eva Neumayr / Lars E. Laubhold, Luigi Gatti and the Collection of Salzburg Sources
in the Library of the Conservatorio „Luigi Cherubini“ in Florence, in: La musica a Mantova e a Salisburgo nel secondo Settecento, Tagungsbericht Mantua, 9.–10. Oktober 2010,
hg. v. Alessandro Lattanzi, Lucca: LIM 2013 (Musica Transalpina 1), im Druck.
Dem beginnenden Aufschwung Salzburgs als Musikstadt im Zeichen der MozartVerehrung verdanken wir eine Schilderung eines musikalisch gestalteten Gottes‑
dienstes, wie er in der Ära Fuetsch im Salzburger Dom stattfand. Vincent Novello
schildert in seinem Tagebuch den Gottesdienst vom Dienstag, dem 16. Juli 1829
um 9 Uhr im Salzburger Dom:
Der Gottesdienst begann mit der Prozession, wobei das Sakrament unter
einem Baldachin getragen wurde, umgeben von Priestern, die eine gregorianische Hymne sangen. Ein schöner Effekt wurde dadurch erzielt, daß die Chorsänger dann und wann innehielten, ehe sie ihre feierlichen Strophen wieder
begannen. Es wurde nur von Männerstimmen ohne jede Begleitung gesungen.
Das Orchester war auf der Galerie rechter Hand aufgestellt, die nahe dem
Altar von einem der Pfeiler getragen wird, auf denen die Kuppel ruht. Es
bestand aus zwei ersten, einer zweiten Geige, Viola und Baß (kein Cello),
drei Posaunen (Alt, Tenor und Baß) und der Orgel. […]
[…]. Der Organist war ein unauffälliger, beachtenswerter Spieler. Er begleitete
die Stimmen sorgfältig und leitete jeden Satz der Messe mit ein paar Akkorden ein, um die Tonart anzugeben. Vor dem Evangelium spielte er ein kleines Zwischenspiel in fugiertem Stil auf ein angenehmes Thema. Es war so gut
verarbeitet und so regelmäßig und symmetrisch in der Anlage, daß, wenn es
eine Improvisation war, es ihm sehr zur Ehre gereichte.
Der Chor bestand aus sechs bis acht Stimmen mit einem Dirigenten, aber sie
waren nicht sehr wirkungsvoll, denn sie wurden vom Orchester übertönt,
das durchaus zu laut spielte, besonders an den leisen Stellen, die Delikatesse
verlangten. Die besten Spieler waren die drei Posaunisten, die einen schönen
Ton hatten und viel zu dem allgemeinen Effekt beitrugen. Der nächstbeste
war der Kontrabassist. […]36
Man musizierte also ganz nach Art des 18. Jahrhunderts auf den Emporen: Die
Kapellknaben, der Domchor mit Domchorvikaren und Domchoralisten, das Orches‑
ter und Domorganist Joseph Höß spielten vermutlich unter der Leitung von Joa‑
chim Fuetsch. Dass von Vokalsolisten oder anderen Bläsern als den Posaunisten
in dieser Schilderung nicht berichtet wird, ergibt sich aus der Tatsache, dass das
Fest der Commemoratio Beatae Mariae Virginis de Monte Carmelo, das an die‑
sem Tag begangen wurde, ein sogenanntes „Festum Canonicum“ war, bei dem,
wie sich der letzte Hofkapellmeister Luigi Gatti im Ordo Festivitatum37 vermut‑
lich bei seinem Dienstantritt notiert hatte, „cum semi-orchestra“ musiziert wurde.
36
Nerina Medici di Marignano / Rosemary Hughes (Hg.), Eine Wallfahrt zu Mozart: die
Reisetagebücher von Vincent und Mary Novello aus dem Jahre 1829, Übertragung ins
Deutsche von Ernst Roth, Bonn: Boosey und Hawkes 1959, S. 96.
37 Salzburger Landesarchiv, Reg. IX/185, fol. 76r−77v.
37
38
Zahlreiche Abschriften von Werken Michael Haydns und Luigi Gattis, die der neue
Domkapellmeister Joachim Fuetsch in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts für
sein Ensemble anfertigte (mit Rechnungen belegbar38), und die typischerweise in
Chorstimmen in zwei- bis dreifacher Ausfertigung, gegebenenfalls Solostimmen,
erste und zweite Violine in doppelter Ausfertigung, Violone, zwei Orgelstimmen,
die Stimme für den Dirigenten, Fagott, drei Posaunen, zwei Hörner oder Trom‑
peten (manchmal auswechselbar) und Pauke bestanden, belegen, dass die Ord‑
nung zur musikalischen Ausgestaltung der Feste, wie sie im 18. Jahrhundert gegol‑
ten hatte, mindestens bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts weiter gepflegt wurde.
2.Der Dom als Stadtpfarrkirche: Die Stadtpfarrmusikanten oder
Totensinger
Der Dom war aber nicht nur Metropolitankirche, sondern seit 163539 auch Stadt‑
pfarrkirche, und auch dieser war eine institutionalisierte Gruppe von Musikern
zugeordnet: die Stadtpfarrmusikanten oder „Todtensinger“, die den Stadtpfarrde‑
chanten und dem Stadtpfarrverwalter unterstanden. Diese Musiker werden in der
Literatur immer wieder erwähnt. Heinz Wolfgang Hamann geht in seinem Arti‑
kel über Franz Jacob Freystädtler gar davon aus, „daß ‚Totensinger‘ ein spezielles
Salzburger Synonym für eine bestimmte Spezies von Musikern war“40, was kaum
den Tatsachen entsprechen dürfte. Obwohl die wissenschaftliche Aufarbeitung der
Stadtpfarr- und Totensänger erst am Beginn steht, kann man davon ausgehen, dass
es Stadtpfarrmusiker in kleinen und größeren Städten, vermutlich nebenberuflich
wirkende „Totensinger“ aber auch in zahlreichen kleineren Gemeinden Salzburgs,
aber auch Österreichs und Bayerns gegeben haben dürfte.
Die Salzburger Stadtpfarrmusikanten41 wurden Ende des 16. Jahrhunderts von
Fürsterzbischof Wolf-Dietrich von Raitenau vielleicht gegründet, wahrscheinlich
aber eher neu organisiert. Wolf-Dietrich hob 1589 die Dotierung der Stadtpfarre
(die damals noch der heutigen Franziskanerkirche zugeordnet war) an und ver‑
fügte, dass von den Einkünften drei Priester, ein Organist, ein Kantor, vier Cho‑
38
Archiv der Erzdiözese Salzburg, Dommusikverein und Mozarteum, Akten 20/27.
Christian Greinz, Die fürsterzbischöfliche Kurie und das Stadtdekanat zu Salzburg, Salz‑
burg: Verlag des fürsterzbischöflichen Konsistoriums 1929, S. 169. Das Datum darf nicht
mit dem Entstehungsdatum der Stadtmusikanten verwechselt werden. Diese dürften schon
an der Franziskanerkirche bestanden haben, denn Erzbischof Wolf Dietrich ordnet 1589
an, dass von den Einkünften der Stadtpfarre drei Priester, aber auch ein Organist, ein Kan‑
tor, vier Choralisten und der Mesner erhalten werden sollen. Vgl. Greinz, S. 170.
40 Heinz Wolfgang Hamann, Johann Jakob Freystädtler. „Totensinger“ und „Stadt-PfarrChorregent“ in Salzburg, in: Mozart-Jahrbuch 1993, S. 41–51: 41.
41 Ein ausführlicher Artikel über die Stadtpfarrmusikanten und ihre Geschichte wird von der
Verfasserin vorbereitet.
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ralisten und der Mesner erhalten werden sollen.42 Statuten von 1739 bestäti‑
gen diese Organisation der Stadtpfarrmusikanten, die bis zu deren Auflösung im
19. Jahrhundert gültig war.
[S. 2]STATUTA / Primo. / Zumahlen die Kürchen-Music einzig / Zur Verehrung des Lob- und Ehr Gottes zu auf / erpauung, und andacht der anvesenten, und also zum / Seele Trost der Verstorbenen eingeführt worden, als / sollen die gesambte Statt Pfahr =Musici, nemblich die / Vier Singer, und organist
vor allem Ihrer Dienst und Fleis / dahin anordnen, daß obig=guett: und heilige Zill und Ende / bey Ihrer Music erraicht werde, dahero sollen sie sich /
fleissig in Cantu figurali, et Chorali exerciren / Zu dennen diensten iedes mahl
Niechter, und Angestammbt / erscheinen, auf den Chor sich modest, fridsamb,
ohne ge / schwäz, oder gezangg sich aufführen, und ihren Cantus / mit Eyfer,
und aufmerksambkeit abwarthen43.
Während die Statuten nur die Kirchen St. Andrä und St. Sebastian nennen, welche
die Stadtpfarrmusikanten zu betreuen hatten44, können wir aufgrund eines Streites
mit den Domchoralisten um die Litaneien45 an der Kirche St. Johannes am Imberg
für das 19. Jahrhundert auch diese Kirche dem Wirkungsbereich der Stadtpfarr‑
musikanten zuweisen. Auf den Musikmaterialien der Stadtpfarre wird in Auffüh‑
rungsvermerken auch noch die Bürgerspitalskirche genannt46. Der Organist Joseph
Sandmayr, der für die Witwe des 1802 verstorbenen Organisten Johann Evange‑
list Widmann den Dienst von 1802 bis Ende 1804 versah, behauptet gar, dass er
als Organist einen noch wesentlich weiteren Wirkungskreis hatte. Er schreibt am
9. Mai 1803 an das Konsistorium:
42
Vgl. Greinz, Die fürsterzbischöfliche Kurie (wie Anm. 39), S. 170.
Archiv der Erzdiözese Salzburg, Stadtpfarre, Akten 5/25/17.
44 „Solle der ältiste aus denen Vier Statt= Pfarr Singeren, wann Er anderst von denen Zwey
Herren Caplännen hierzu tauglich erachtet würdt, von denselben zu einen Chor-Regenten
aufgestöllt, auch nach Ihren Guetachten, nach erheischung der Umbständt verendert könn
werden, welcher Chor-Regens dann die Kürchen musicalien, und Instrumenta bewahren,
auch solche bey denen Gottsdiensten hergeben, und vorlegen, dann auch bey aller music
den Tact geben mues: nit minder solle dieser Chorregens sowoll zu St: Sebastian, als zu St.
Andre zu denen Kürchen Instrumenten, und musicalien, wie auch der organist zu beeden
Orglen, ihre besondere Schlüssl, dan der Erstere yber besagte Kürchen Instrumenta, und
musicalien ein ordentlich=beschribenes Inventarium habe, damit auf iedes mahlige beliben
der Herrn StattCaplänen nachgesechen möge werden, ob alle zur ermelter Kürchen gehö‑
rige Sachen verhandten seyen. Ist auch bey Straff, oder Verlust der Chor-Regentens Stöll
verbotten, aus gemelten Kürchen anderst wohin das mindiste von denen Kürchen Instru‑
menten, und musicalien zu vertragen, oder zu verleichen.“ Archiv der Erzdiözese Salzburg,
Stadtpfarre, Akten 5/25/17, S. 7f.
45 Archiv der Erzdiözese Salzburg, Dompfarre, Akten 5/25/14.
46 Vgl. A‑Sd A 1773.
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Dieser Dienst lohnet ihren Verseher aber sehr karglich, 120 jährliches fixum,
wie mir gesagt wird, und einige Gulden zufälliges Einkommen sind alles was
solcher einbringet, und hiefür hat es die Obliegenheit nicht nur in allen Kirchen der Stadt, in welchen nicht schon eine eigener Choro bestehet, sondern
auch ausser des Stadtrings so eine Stunde herum die Orgel zu spielen: Also
wie auch die Witterung seyn mag hinaus zu gehen.47
Folgende Stadtpfarrmusiker lassen sich in den Konsistorialakten vom Ende des
18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen:
Stadtpfarrsänger
Johann Jacob Freystädtler48
Paul Arzböck49
Sebastian Ettlinger
Franz de Paul Weindl
Domchoralisten50
Christoph Kunrad
Johann Baptist Weindl51
Franz Kunrad
Sigmund Kunrad
Anton Schiesser
Paul Eigner [Aigner]
47
48
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Wirkungszeit
1758–1787
1780–1831
1786–1834
23. August 1780 – 1812
1787–1796
?–1817
1796 provisorisch, ca. 1801 fix – 1839
provisorisch ab 1821, fix 1831 – 1838
1834–1838 (gestorben 14. März 1838)
7. Mai 1838 – 1841, tritt 1. Oktober 1841
in den Dommusikverein und Mozarteum
ein, gestorben 1. Januar 187552
1838–1841, tritt 1. Oktober in den
Dommusik­verein und Mozarteum ein,
gestorben 30. August 187453
Archiv der Erzdiözese Salzburg, Dompfarre, Akten 5/25/15: Schreiben von Joseph Sand‑
mayr an das Konsistorium vom 9. Mai 1803. Sandmayr wurde nicht zum Stadtpfarrorga‑
nisten ernannt, sondern von Andreas Brunmayr abgelöst, der sich entschlossen hatte, die
Witwe des Vorgängers, Johann Evangelist Widmann zu heiraten. Sandmayr wurde Anfang
1805 Organist in Kufstein.
1781/82 auch Sänger in St. Peter, vgl. Franz Liessem, Die Musik des Klosters St. Peter in
Salzburg im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts unter Leitung des Musikinspektors P.
Marian Kaserer, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens
und seiner Zweige 101 (1990), Heft 3/4, S. 379–424: 409.
1781/82 auch Sänger in St. Peter, vgl. ebenda.
Nachdem Franz de Paula Joseph Weindl 1787 zum Stadtpfarr-Chorregenten aufgestiegen
war, übernahmen die Domchoralisten seine Stelle als Stadtpfarr-Sänger gegen „Aufteilung
der Accidentien“ wechselweise. Vgl. Archiv der Erzdiözese Salzburg, Stadtpfarre, Akten
5/25/14.
1791/92 offenbar Sängerknabe in St. Peter, vgl. Liessem, Die Musik des Klosters St. Peter
(wie Anm. 48), S. 421f.
Vgl. Rudolph Angermüller, Künstlerisches Personal des „Dom-Musik-Verein und Mozarteum“ 1841–1880 und der Dommusik von 1880–1926, in: Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum 24 (1976), DoppelHeft 3/4, S. 3–31: 19.
Ebenda.
Lorenz Jäger
[1838?]–1841, tritt 1. Oktober 1841 in
den Dommusikverein und Mozarteum
ein, gestorben 25. Februar 185754
Stadtpfarr-Chorregenten
Johann Jacob Freystädtler
Franz de Paula Weindl
Johann Baptist Weindl
Anton Schiesser [?]
Wirkungszeit
ca. 1776 – 1787
Juli 1787 – 7. September 1812
1812 – November 1839
1839–1841 [Bestellung nicht gesichert55]
Stadtpfarrorganisten
Franz Xaver Weissauer56 (gest. 1797)
Johann Evangelist Widmann57 (gest. 1802)
Joseph Sandmayr (1779 – nach 1819)
Andreas Brunmayr (1762–1815)
Wirkungszeit
1771–1797
1797–1802
für die Witwe Joh. Ev. Widmanns 1802 –
Januar 1805 (ohne Bestellung), wurde
danach Stadtpfarrorganist in Kufstein58
1805–1815
Im Vergleich mit den (in Salzburg ebenfalls niemals üppig entlohnten) Musikern
der Hofmusikkapelle verdienten die Stadtpfarrmusiker schon im 18. Jahrhundert
wenig. In den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts wurden ihre Verdienste indes
durch die Reformen Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredos – die für den
Salzburger Dom als Stadtpfarrkirche sehr wohl galten – noch einmal empfindlich
geschmälert, z.B. durch das Verbot des Gesanges bei den Totenämtern59 und durch
54
55
56
57
58
59
Ebenda.
Eine formelle Bestellung ist bei Anton Schiesser nicht nachzuweisen, er nennt sich aller‑
dings auf einem Umschlagtitel „Chorregent“ (A‑Sd A 1736), bei anderer Gelegenheit, am
16. Dezember 1840, wieder „St[adt] Pf[arr] Sänger“ (A‑Sd A 1707).
Franz Xaver Weissauer war einer der Lehrer Sigismund Neukomms (1778–1858), wie ein
Requiem, das Neukomm seinen Lehrern Weissauer, Michael und Joseph Haydn widmet,
zeigt: „MISSA / PRO DEFUNCTIS / MANIBUS / PARENTUM PRAECEPTORUMQUE
SUORUM / MICH. ET IOS. HAYDN / NEC NON / F. X. WEISSAUER / D. D. D. / AB
EQUITE / SIGISM. NEUKOMM. / LIPSIAE / SUMTIBUS C. F. PETERS.“ Berlin, HansSommer-Archiv, Sign. Mus. pr. Neukomm 1.
Vorher Organist in St. Peter, vgl. Liessem, Die Musik des Klosters St. Peter (wie Anm. 48),
S. 410.
Vgl. Hintermaier, Salzburger Hofkapelle (wie Anm. 1), S. 369.
„Da nunmehr der deutsche Gesang allgemein eingeführt ist: so solle – um jedem Vorwand
zur Vereitlung der besten Absicht vorzubeugen – bei denen Seelenämtern, in was immer für
einer Kirche, den Dom ausgenommen, selbe gehalten werden mögen, durchgehends keine
andere Vokal oder Instrumental-Musik weder um Bezahlung, noch gratis statt haben, und
der Gebrauch anderer als Stadtpfarrs-Musikanten in jenen Kirchen verbothen seyn, welche
bisher von diesen versehen worden sind. Bey der Seelenmesse wird aber ohnehin keiner
Musik Plaz gegeben.“ Judas Thaddäus Zauner, Auszug der wichtigsten Hochfürstl. Salzburgischen Landesgesetze zum gemeinnützigen Gebrauch nach alphabetischer Ordnung
[…], Salzburg: Joh. Jos. Mayers seel. Erbinn Buchhandlung 1785, Stolordung, S. 259f.
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die Abschaffung zahlreicher Kirchendienste im Zusammenhang mit Bruderschaf‑
ten und Stiftungen. Nicht nur die Stadtpfarrmusikanten waren betroffen, sondern
auch die ebenfalls in der Stadtpfarrmusik beschäftigten Thurner, die offenbar für
die instrumentale Begleitung zuständig waren, wie dem folgenden Brief des Salz‑
burger Thurnermeisters Sebastian Vogt vom Oktober 1787 zu entnehmen ist:
[…] da nun schon bey der ersten Abschaffung solcher Instrumenten nur allein
der Violon und die Posaunen erlaubt wurden, weil diese zur Singmusik gar
anständig, und nicht eitel, galant, und andachtswidrig, oder zerstreuend sind,
so habe ich auf meine Kosten von Herrn Haydn60 erwähnte Posaunen und
Violon zu dem Kirchen-Gesängen setzen lassen, und bitte deßhalben, daß
selbe auch in der neuen bevorstehenden Verordnung därfen beybehalten werden. In Erwägung daß ich ohne Sie bey der immer anwachsenden Theurung
zu Erhaltung meiner vielen Leute, mit äußerster Bemühung, und möglichster
Bestrebung nicht genugsamer Einkünfte aufzutreiben wüsste.61
Zahlreiche Stadtpfarrmusikanten gingen aus diesen Gründen noch anderen beruf‑
lichen Tätigkeiten nach: Sie waren zugleich Hofmusiker oder Dommusiker (Franz
de Paula Joseph Weindl, Johann Baptist Weindl), unterrichteten Klavier (Johann
Evangelist Widmann, Andreas Brunmayr) oder vermieteten Zimmer an Schüler
und Studenten (Paul Arzböck).
Das Repertoire der Stadtpfarrmusikanten im 19. Jahrhundert lässt sich insofern
eingrenzen, als die beiden Chorregenten Franz de Paula Joseph und Johann Bap‑
tist Weindl sehr viele Materialien selbst kopierten. Diese ca. 150 im Archiv der
Erzdiözese Salzburg erhaltenen Materialien dürften einen großen Teil des Reper‑
toires der Stadtpfarrmusikanten vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Ende
der Stadtpfarrmusikanten um 1840 ausmachen.62 Dem Bestand zuzuweisen sind
zahlreiche Vertonungen deutscher Texte, darunter zwölf deutsche und zwei latei‑
nische Messen (W. A. Mozarts Orgelsolomesse KV 25963 und Michael Haydns
Missa St. Nicolai Tolentini MH 15464), zwei deutsche und zwei lateinische Ves‑
pern, 18 Litaneien und 63 geistliche Lieder, darunter zahlreiche Bearbeitungen
60
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Johann Michael Haydn (1737–1806). 1787 war Haydn noch Hofkonzertmeister in der
Salzburger Hofmusikkapelle.
Archiv der Erzdiözese Salzburg, Dompfarre, Akten 5/24/14.
Das gesamte Repertoire ist vermutlich größer, unter anderem, weil ein Teil der Musikalien
Johann Baptist Weindls nach seinem Tod von der Witwe an den Dommusikverein und
Mozarteum verkauft wurde und daher in diesem erst teilweise katalogisierten Bestand, der
zwischen dem Archiv der Erzdiözese Salzburg und der Bibliothek der Stiftung Mozarteum
geteilt ist, aufbewahrt wird.
A‑Sd A 1152.
A‑Sd A 1273.
aus dem Salzburger Kirchengesangbuch, aber auch Kompositionen von Michael
Haydn und den in der Stadtpfarrmusik tätigen Musikern Andreas Brunmayr,
Johann Sandmayr, Johann Evangelist Widmann und Johann Baptist Weindl oder
von in St. Peter tätigen Musikern wie Philipp Schmelz. Neben einigen Kompositi‑
onen für die Advent- und Weihnachtszeit von Johann Baptist Weindl und Andreas
Brunmayr befinden sich auch eine frühe Abschrift von Franz Xaver Grubers Stille
Nacht! Heilige Nacht! und eine Neukomposition des gleichen Textes von Joseph
Matthias Kracher (1752–1835) in der Sammlung. Auch ein Weihnachtslied, das
bisher Franz Xaver Gruber zugewiesen wurde65, ist in diesem Bestand unter dem
Namen P[ater] W[erigand] Rettensteiners (1751–1822) überliefert.
Die typische Besetzung der Kompositionen für die Stadtpfarrmusik im 19. Jahr‑
hundert besteht aus zwei Sopranen oder Sopran und Alt, einem Bass, Orgel, Vio‑
lone, oft kamen zwei Violinen und Bläser (Klarinetten, Hörner, Trompeten…) dazu.
Erstaunlicherweise findet sich keine einzige Komposition für Männerquartett. Da
die Stadtpfarrsängerstellen ausschließlich mit Männern besetzt waren, gibt die Beset‑
zung der hohen Stimmen einige Rätsel auf. Hierfür bleiben drei Möglichkeiten:
• Knaben: Dass im 18. Jahrhundert Diskantisten, also Knaben engagiert wur‑
den, ist belegt66 und auch für das 19. Jahrhundert zu vermuten.
• Dass Frauen zum Singen herangezogen worden wären, ist in St. Sebastian, St.
Andrä oder der Bürgerspitalskirche nicht unwahrscheinlich, für den Dom ist es
allerdings auszuschließen. Das Angebot des Stadtpfarrorganisten Franz Xaver
Weissauer 1796, „seine Tochter mit den Pfarrsängern singen zu lassen“67, wird
jedenfalls in der weiteren Korrespondenz zwischen Stadtpfarre und Konsisto‑
rium weder erwähnt noch kommentiert.
• Falsettisten: Als sich Sebastian Ettlinger (ehemaliger Kapellknabe, Militär-Kla‑
rinettist und damaliger Sänger an der Franziskanerkirche) am 13. Januar 1786
um die Stelle eines Stadtpfarrsängers bewarb – er bekam die Stelle und hatte sie
bis zu seinem Tod 1834 inne – gab er an: „Singt er nicht nur allhier den Tenor
sondern auch den Discant und Alt und läst sich auch auf der Geige gebrau‑
chen, so er in Kapellhause erlernet“. Angestellt wurde er dann, nach einem
Vorsingen vor einer Kommission, der noch Joseph Nikolaus Meissner, Jacob
65
Thomas Hochradner, Franz Xaver Gruber (1787–1863). Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke, Bad Reichenhall: Comes 1989 (Veröffentlichungen zur
Salzburger Musikgeschichte 1), Nr. 148.
66 Vgl. Specification. / Was ieder Statt=Pfarr Musicus von deren / vorfallendten Gottes Diensten, auch waß / jeder Instrumentist hat aus dem Jahre 1766 von der Hand des späteren
Stadtpfarrchorregenten Johann Jacob Freystädtler († 1787), die Hamann zur Gänze pu‑
bliziert, fälschlicherweise aber als nur für St. Sebastian gültig erachtet. Siehe Hamann,
Johann Jakob Freystädtler (wie Anm. 40), S. 48–51.
67 Archiv der Erzdiözese Salzburg, Dompfarre, Akten 5/25/14.
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Freystädtler und Franz de Paula Weindl angehörten, weil er „II. ein Paß singt,
wie es erfordert wird“68. Die Grenzen der stimmlichen Fächer wurden damals
offensichtlich noch nicht so streng ausgelegt wie heute, es liegt also durchaus
im Bereich des Möglichen, dass Sänger der Stadtpfarrmusik auch falsettierten.
Anscheinend wurden die Stadtpfarrmusikanten in den ersten Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts auch bei großen Besetzungen nicht zur Dommusik herangezo‑
gen. In der Rechnung für die Exequien Colloredos sind jedenfalls keine Stadtmu‑
siker erwähnt, mit Ausnahme Andreas Brunmayrs, Christof Kunrads und Franz
Joseph und Johann Baptist Weindls, die aber alle gleichzeitig Mitglieder der Dom‑
musik waren. Ob das am Standesbewusstsein der Musiker der Dommusik lag, die
sich ja von der Hofmusikkapelle ableitete, oder daran, dass die Stadtpfarrmusi‑
kanten mehrere Kirchen zu betreuen hatten, ist nicht mehr zu eruieren. Die Tren‑
nung zwischen Dommusik und Stadtpfarrmusik wurde erst 1841 mit der Grün‑
dung des Dommusikvereins und Mozarteum, der mit der musikalischen Betreuung
der verschiedenen Salzburger Kirchen die Organisation der Stadtpfarrmusikanten
übernahm und weiterführte, aufgehoben.69
68
Archiv der Erzdiözese Salzburg, Dompfarre, Akten 5/25/14: „Den 9te d. M. wurde der am
18ten April d. j. zur besetzung des erledigten Stadtpfarrmusikantendienstes hochgnädig
anbefohlene Concurs in beyseyn des Stadtpfarrverwalters und Domstadtkaplans gehalten,
wozu, um die Mitwerber richtiger zu beurtheilen, Freiystädtler und Weindl, beide wirk‑
liche Stadtpfarrmusikanten beruffen und Herr Meisner Hochfürstl. Hofvirtuos erbetten
wurde. Dabey erschienen gar nicht Franz Zellhofer, Ignatz Oberreiter, Rupert Wagner,
Johann Lerchner /:Dieser ist von hier ganz abwesend:/ und Edmund Griesbacher, weil sie,
ob sie gleich übrigens Competenten waren, die vorhin Bekanntgemachte Bedingnisse nicht
eingehen wollten. Johann Schmidhuber aber, Joseph Hibler, Vital Seelos, Rupert Pohl,
Aloys Blumauer und Sebastian Ettlinger stelten sich bei der Prüffung, und aus allen diesen
zeichnete sich nach dem Urtheile der vorbemelten Musikverständigen sowohl durch die
Güte der Stimme als auch und besonders durch die Genauigkeit im Treffen […] Sebastian
Ettlinger dermaliger Musikant bey den PP. Franziskanern aus.“
69 „§ 59. Die gegenwärtig beym Dome oder bey den drey Stadtpfarren angestellten Chora‑
listen, Musiker und Kapellknaben behalten, bis eine förmliche Regulirung des Cadre der
Dommusik eingeführt werden kann, alle ihre bisherigen Bezüge […]. § 60. Diejenigen aus
den bereits angestellten Choralisten und Musikern, welche tauglich befunden werden, zu
den übrigen Zwecken verwendet zu werden, erhalten für ihre diesfällige Verwendung Zu‑
lagen […].“ Vgl. Angermüller, Denkbuch (wie Anm. 22), S. 449.