Martenstein - green sense | web

Transcrição

Martenstein - green sense | web
Harald
Martenstein
trägt zum ersten Mal Uniform
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Vor zwei Wochen verschlug es mich zu diesem seltsamen Stamm.
Die Männer rragen Tag
und Nacht eine An Kriegs~tr.ac;h.t,~cibsch~~-gu.t-
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artig zu sein. Auf ihren Wunsch " ~..
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zog ich, zum ersten Mal im Leben,
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eine Uniform an. Ich bekam auch ein
Holzgewehr und ein Holzschwere
Sie nennen
sich »Ranzengarde«.
Als erster Erhnologe durfte ich an ihrem
wichtigsten
Ritual teilnehmen,
welches »Mainzer Rosenmontagszug« heiße
Früher durften bei der Ranzengarde nur Männer mitmachen, deren Bauchumfang
ein bestimmtes Maß überschritt. Nur dicke
Männer waren willkommen. Diese Vorschritt haben sie vor einiger
Zeit gelockert. Sogar bei solchen von der Außenwelt abgeschnittenen Stämmen wird alles immer liberaler, Man sieht der Garde ihre
historischen Wurzeln aber noch an. Am Sammelplatz meiner Einheit stellte ich mich auf und fragte, was ich tun solle. Ein Gardist
sagte: »Wenn die anderen -Helau- rufen, rufst du auch -Helau-.
Wenn die anderen rennen, rennst auch du. Wenn die anderen etwas
trinken, trinke auch etwas. Es ist nicht schwierig.«
I Während des Zuges liefen Frauen durch unsere Reihen, sogenannj_ te Marketenderinnen,
sie rrugen Weinflaschen und Metallbecher.
I sie gaben den Gardisten unaufhörlich Wein. Die Gardisten riefen
»Helaul Helau!« und tranken. Wenn eine Frau versuchte, die Straße zu überqueren, umringten sie sofort acht oder zwölf dicke Gardisten, tanzten um sie herum und riefen: »Küsschen, Küsschen'«
Die Frau musste, um freigelassen zu werden, jeden Gardisten küssen, wozu manch eine nur zögernd bereit war. In der Menge standen viele Japaner. Ein Gardist liebte es, alle Japanerinnen zu küssen,
ich glaube, mit Zunge, die Japanergruppen
kicherten dann verlegen und schüttelten sich vor Entsetzen, solch ein Verhalten ist in
der japanischen Kultur nicht vorgesehen, sie haben keinen Code
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dafür. Es gab auch !
Musikkapellen
undWagen, auf denen alte, kranke oder besonders dicke Gardisten gefahren wurden. 7\.ile Wagen 1
wurden von Pferden gezogen .
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»Unsere Pferde hören in ihrem Stall
wochenlang über Lautsprecher Karnevalsmusik und Helaurufe und Polizeisirenen«, sagte j
mein Nachbar, »damit sie beim Umzug nicht nervös werden und
durchgehen. Diese Pferde sind gegen die Fastnacht abgestumpft,
aber wenn man ihnen aus Versehen ein Weihnachtslied vorspielt,
gehen sie durch.«
Es gebe Garden, bei denen die Pferde Beruhigungsspritzen
bekommen, solche Pferde werden nach einer Weile drogensüchtig, aber
die Ranzengarde sei nicht so. »Falls du feine Pinkel suchst«, sagte
mein Nachbar, »so etwas findest du bei der Prinzengarde.« Dort
hätten sie keine Pferde, keinen Humor, keine Kultur. Prinzengarde
und Ranzengarde seien Wasser und Feuer.
Nun zog der Gardist seine Brieftasche hervor. »Wir brauchen Waffenscheine.« Tatsächlich besaß der Gardist eine »Sondergenehmigung zum Führen von Hieb- und Stoßwaffen«. Ich war erstaunt
und sagte, dass man mit einem Spielzeugschwert meiner Ansicht
nach keinen Schaden anrichten könne. Der Gardist zuckte die
Achseln. »Vielleicht eine Schikane der Prinzengarde. Komm, ich
zeige dir den Generalfeldmarschall.«
Ihr HäupdingJohannes
Gerster gehört, wie die Moderatorin Petra Gerster und der Ex-Arbeitsamts-Chef Florian Gersrer, zur Gersterfamilie, die in Mainz einen
ähnlichen Rang besitzt wie die Kennedys in Amerika. Der Häuptling sagte, fast als Erstes: »Wir sind volkstümlich! Die Prinzengarde
ist elitär,« Nach dem Zug wollte ich in ein Lokal, das wegen Überfüllung geschlossen war.
Als der Wirt meine Uniform sah, schloss er die Tür auf und umarmte mich, das Schild gelte nur für die Prinzengarde.
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»Ein Gardist liebte es, alle
Japanerinnen zu küssen, ich glaube, mit Zunge«
ZEIT MAGAZIN
Illustration Heiko Windisch -
Zu hören unter www.zeit.delaudio
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