Die zertanzten Schuhe

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Die zertanzten Schuhe
Die zertanzten Schuhe
Leseprobe
Die zertanzten Schuhe
Ein Märchen mit viel Musik
für alle ab sechs nach den Brüdern Grimm von Ueli Blum
Musik Erich A. Radke
Neubearbeitung
von Kay Link
TEXTBUCH
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Personen
DER SONNENKÖNIG
HEROLD / WACHMANN / HOFMARSCHALL
DER FRANZOSE/PRINZ 1
DIE TÖCHTER DES SONNENKÖNIGS:
IPHIGENIE, die Klügste
ISABELLA, die Schönste
ISOLDE, die Jüngste
EIN AUSGEDIENTER SOLDAT
EINE ALTE FRAU
PRINZ 2
DJ, PASSANTINNEN, PASSANTEN
5H, 4D
Musik: Klavier, Band oder Halbplayback
Uraufführung der Urfassung: 2000, Landesbühne Niedersachsen Nord
Uraufführung der Neubearbeitung: 20. November 2011, Theater der jungen Welt, Leipzig
Aufführungsmaterial: Verlag Felix Bloch Erben, Berlin
Titel-Illustration: Olga von Wahl
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Prolog
Vor dem Vorhang (bzw. im Foyer): Ein Herold.
Nr. 1 Das Lied des Ausrufers
HEROLD
Wer will‘s wagen? Hört mich an,
Der mächt'ge König lässt euch sagen:
Reich belohnt wird jedermann,
Der Unerklärtes lösen kann –
Das Rätsel von den Schuhen seiner Töchter.
Belohnt wird er mit Ruhm und Ehr,
Mit Geld und Gold und noch viel mehr:
Die jüngste Tochter, sie ist sein,
Und nach des mächt'gen Königs Tod,
Wird er der neue König sein.
Kann der Kandidat uns jedoch nicht
Des Rätsels Sinn, die Lösung sagen,
Kommt er vor ein Strafgericht –
Und sein Kopf wird abgeschlagen.
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1. BILD
Thronsaal
1. Szene
Morgendämmerung. Im Thronsaal. Der SONNENKÖNIG steht am Fenster. Sein Hofmarschall
sitzt auf einem riesigen Haufen kaputter Frauenschuhe und zählt.
Nr. 2 Das erste Lied des Königs
KÖNIG
Die Sonne gibt uns Kraft. Dauerhaft.
Die goldnen Strahlen leuchten zauberhaft,
Und haben eine Kraft, die Leben schafft.
Fabelhaft. Lebenssaft.
HOFMARSCH
Eintausend und einhundert achtundzwanzig.
KÖNIG
Logisch, ordentlich und klar ist sie,
Von grenzenloser Harmonie.
HOFMARSCH
Eintausend und einhundert neunundzwanzig.
KÖNIG
Ich bin die Sonne, Mittelpunkt der Welt. Ich frage nicht, ob das
gefällt. Es ist so.
HOFMARSCH
Eintausend und einhundert dreißig.
KÖNIG
Und war immer so.
HOFMARSCH
Eintausend und einhundert einunddreißig.
KÖNIG
Es bleibt ewig so.
HOFMARSCH
Eintausend und einhundert zweiunddreißig. Eintausend und
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einhundert dreiunddreißig. Eintausend und einhundert
Vierunddreißig.
KÖNIG
Es bleibt!
HOFMARSCH Es sind eintausend und einhundert vierunddreißig Schuhe.
KÖNIG
Eintausend und einhundert vierunddreißig Schuhe, gibt
hundertneunundachzig Tage, sind exakt genau rund 27 Wochen. Hab ich‘s
nicht gesagt – mehr als ein halbes Jahr! Ein halbes Jahr geht es bereits, dass
meine Töchter jeden Morgen aus dem Zimmer kommen und kaum geschlafen
haben.
HOFMARSCH Aber das kann nicht sein. Alle Türen sind mit mehreren massiven Schlössern
zugesperrt, und zusätzlich hab ich noch Ketten angebracht. Die Fenster sind
vergittert – Eisenstäbe!
KÖNIG
Jeden Morgen sechs kaputte Schuhe.
HOFMARSCH (defensiv) Rund ein Dutzend Wächter habe ich vor den Türen und dem Fenster
patrouillieren lassen. Ich persönlich bin die ganze Nacht lang wach geblieben,
hab die Wachen kontrolliert.
Nr. 3 Das zweite Lied des Königs
KÖNIG
Es muss sofort etwas passiern.
Es kostet Geld und kostet Kraft,
Ist skandalös und ekelhaft.
Ich fange an mich zu blamiern.
HOFMARSCH Es ist ganz ausgeschlossen, ganz und gar unmöglich, dass da heute jemand
eingedrungen oder rausgekommen ist.
KÖNIG
Ich hoffe, du hast recht.
HOFMARSCH Gewiss.
KÖNIG
Und schlimmstenfalls ist der Franzose ja noch drinnen.
HOFMARSCH Zweifelsfrei wird er uns sagen können, was die Mädchen nachts im Dunkeln
treiben, und wie es zu den kaputten Schuhen kommt.
KÖNIG
Es ist Verlass auf ihn?
HOFMARSCH Er hat 'nen guten Ruf und viel Erfahrung.
KÖNIG
Hat auch eine Stange Geld gekostet. Schon allein die Reisespesen. Müsst‘ er
nicht schon längstens hier sein?
HOFMARSCH Nur Geduld, er kommt gleich.
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KÖNIG
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Der Königin, Gott hab sie selig, hätte dieses milde Morgenlicht bestimmt
gefallen. So, ich habe Hunger.
HOFMARSCH Möchten Majestät vielleicht ihr Frühstück...
KÖNIG
Hab ich recht gehört?
HOFMARSCH Ich mein ja nur.
KÖNIG
Du weißt genau wie hier gefrühstückt wird.
HOFMARSCH Gewiss.
KÖNIG
So sag es mir.
HOFMARSCH Zusammen mit den Kindern.
KÖNIG
Und weshalb?
HOFMARSCH Es fördert den Zusammenhalt.
KÖNIG
Was noch?
HOFMARSCH Es gibt Gelegenheit, sich auszutauschen.
KÖNIG
Richtig. Und warum ist gerade das bei uns so wichtig?
HOFMARSCH Weil es keine Mutter gibt, die ihre Hände schützend über ihre Kinder hält.
KÖNIG
Na also. (seufzt) Mit unserer Königin ist auch die Lebensfreude ganz aus
meinem, unsrem Herz verschwunden. Darum sollen weiterhin, solang ich an
sie denken mag, Musik und Tanz in meinem Land verboten sein.
HOFMARSCH Sehr angebracht und ehrenwert.
KÖNIG
Das gibt’s doch nicht, die Sonne steht am Horizont, und immer noch ist hier
kein Mensch zu sehen! Weder ein Franzose, noch die Spur von meinen
Töchtern. Geh, ich mag nicht warten, hole sie!
HOFMARSCH Wie Majestät es wünschen.
Der Hofmarschall macht sich auf den Weg, um den Franzosen sowie die Prinzessinnen zu wecken.
Nr. 4 Das dritte Lied des Königs
KÖNIG
Ich weiß noch, wie es früher war,
Da war die Welt noch gut.
Um mich herum die Kinderschar:
Fröhlich, frei und frohgemut.
Doch anders ist es heut.
Es gibt nichts mehr, was mich erfreut.
Iphigenie, der Vernünftigen
Fehlt plötzlich die Vernunft.
Die schöne Isabella
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Ist auf einmal dumpf und stumpf.
Und Isolde, meine kleine Seele,
Sie macht nicht mehr, was ich befehle.
Ich hab drei Töchter, schön und nett.
Was nutzt es mir, sie sind nicht hier,
Sie sind im Bett.
Den lieben langen Tag im Bett.
Der Hofmarschall kommt zurück. In der Hand hält er drei Paar zerlöcherte Tanzschuhe.
KÖNIG
Und?
HOFMARSCH Im Grunde ist so etwas gar nicht möglich.
KÖNIG
Was denn?
HOFMARSCH Logisch ist das nicht erklärbar.
KÖNIG
Zeig sofort die Schuhe her! Schon wieder. Sakrament! Nun gut, wir haben ja
noch den Franzosen! Hole ihn! Er soll uns sagen, wo sie in der Nacht gewesen
sind.
HOFMARSCH Monsieur, entré!
2. Szene
Der Hofmarschall führt den Franzosen in den Thronsaal.
FRANZOSE
Bonjour Majesté.
HOFMARSCH Die Mädchen sind schon wieder ausgerissen, und der König möchte von dir
wissen, wo sie letzte Nacht gewesen sind! Ou sont-elles gewesen pendant la
nuit ?
FRANZOSE
Pendant la nuit?
HOFMARSCH Les Demoiselles!
FRANZOSE
Mais oui, les filles, elles sont très belles.
HOFMARSCH Er sagt, die Mädchen seien lieb und nett.
KÖNIG
Und warum waren sie dann nicht im Bett?
HOFMARSCH Er hat doch gestern sicher was gesehen? Vous-avez gesehen quelque…
FRANZOSE
Oh pardon, ich leider nichts verstehen. Je ne comprends pas.
KÖNIG
Was ist?
HOFMARSCH Nun ja - qu'est-ce les filles ont fait pendant la nuit?
FRANZOSE
Oh moi, je ne sais pas. J'ai bien dormi.
HOFMARSCH Er sagt, dass er...
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KÖNIG
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...geschlafen hat.
HOFMARSCH Genau.
KÖNIG
Dann soll er hingerichtet werden, so wie all die andern!
HOFMARSCH Er könnte es doch noch mal versuchen? Ausnahmsweise.
KÖNIG
Nein, die Regeln sind für alle gleich.
HOFMARSCH Wir werden keinen weiteren mehr finden. Seit Wochen hat sich niemand
mehr gemeldet. Alle haben Angst, dass sie den Kopf verlieren.
KÖNIG
Ach, Papperlapapp. Dann werde ich eben selbst zu meinen Untertanen
sprechen. (vorfreudig) Höchste Zeit mal wieder für eine Rede zur Lage der
Nation. Das wäre doch gelacht.
FRANZOSE
Qu’est-ce qu‘ il y a?
KÖNIG
Du hast versagt. Also wirst du jetzt bestraft. Gewiss die Strafe ist sehr hart,
doch auch der Lohn wäre nicht von schlechten Eltern gewesen. Hättest Du das
Rätsel gelöst, würde ich Dir die Hand meiner jüngsten Tochter…
FRANZOSE
Nur die ‘And?
KÖNIG
… und das Königreich geben. Doch du hast die Prüfung nicht bestanden. Jetzt
führ ihn ab und übergebe ihn den Wachen.
FRANZOSE
(der nichts verstanden hat) Enchanté Majesté.
Hofmarschall führt den Franzosen aus dem Saal.
FRANZOSE
Qu’est-ce qu‘ il y a? Moi, je ne comprends pas!
KÖNIG
(schlecht gelaunt, nimmt Mikrofon und weckt seine Töchter) Ich habe Hunger
und es satt, jeden Tag zu warten bis die Fräuleins ausgeschlafen haben!!!
AUFSTEHEN! FRÜHSTÜCK! SOFORT!
3. Szene
Die DREI KÖNIGSTÖCHTER, Iphigenie, Isabella und Isolde betreten den Thronsaal. Sie sehen müde und
übernächtigt aus. Hofmarschall tritt wieder auf.
KÖNIG
(wieder freundlich) Ich wünsch euch einen wunderschönen guten Morgen,
meine lieben Töchter.
TÖCHTER
Guten Morgen Papa.
KÖNIG
Jetzt servier‘ das Frühstück! Massenhaft Kaffee, drei ganze Kannen voll!
ISOLDE
Kann ich Kakao haben?
KÖNIG
Kaffee, sagte ich. Ihr müsst wach werden.
Der Hofmarschall schenkt Kaffee ein und serviert Brötchen, Cornflakes o.ä.
KÖNIG
Nun lasst's euch schmecken. Meine lieben Töchter, habt ihr gut geschlafen?
TÖCHTER
Ja, das haben wir.
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KÖNIG
Und was ist das? (Er zeigt die kaputten Schuhe) Ich will jetzt augenblicklich
wissen, wo ihr letzte Nacht gewesen seid! Bleib da und setz dich hin!
IPHIGENIE
Wir waren in unsrem Schlafzimmer in unsren Betten. Und was haben wir
gemacht? Geschlafen, ja, die ganze Nacht hindurch geschlafen, weiter nichts
als nur geschlafen...
Die drei Prinzessinnen schlafen ein.
KÖNIG
Weck sie auf und gib ihnen Kaffee! Ich glaub euch nicht. Isolde, setz dich
g‘rade hin! Und Isabella schau mich an, wenn Papa mit dir spricht! Hände weg
vom Kopf! Was ist mit diesen Schuhen? Warum sind sie so kaputt?
ISABELLA
Ich weiß es nicht, ich hab die ganze Nacht hindurch geschlafen. Lediglich
geschlafen, weiter nichts als nur geschlafen....
Die drei Prinzessinnen schlafen ein.
KÖNIG
Weck sie auf und gib ihnen Kaffee! Ich glaub‘ euch nicht. Ihr sagt, dass ihr die
ganze Nacht geschlafen habt, und warum seid ihr jetzt so müde? Könnt ihr mir
das vielleicht sagen? Isolde, nimm den Löffel nicht zu voll, und kaue mit
verschloss'nem Mund!
ISOLDE
Entschuldigung.
KÖNIG
Ich hab euch was gefragt und möchte eine ehrliche Antwort hören! Solange
ihr Eure Füße unter meinen Tisch steckt… Schmatz nicht, Isolde! Ich habe den
Verdacht, dass ihr tanzen geht. Das ist verboten. Klar?
Reaktion Töchter „Wissen wir nur zu gut…“
KÖNIG
Wie kommt ihr aus dem Zimmer? Isabella, sag mir, wer euch hilft! Und
Iphigenie? Dann vielleicht Isolde, du mein Zuckermäuschen?
ISOLDE
Papa...
IPHIGENIE UND ISABELLA
Nein, sie hat die ganze Nacht hindurch geschlafen. Lediglich
geschlafen, weiter nichts als nur geschlafen...
Die drei Prinzessinnen schlafen ein.
KÖNIG
Na schön, wie Ihr wollt. zum Hofmarschall Wir brauchen einen neuen
Kandidaten. Bereite die Fernseh-Ansprache vor! Und Ihr merkt Euch: Zum
allerletzten Mal bekommt Ihr heute neue Schuhe von mir. (Hofmarschall
verteilt die Schuhe) Prinzessinnen können ja schlecht in durchlöcherten,
zertanzten Schuhen herumlaufen. Doch merkt Euch, Fräuleins: Das war das
letzte Mal! (zum Hofmarschall) Bring sie auf ihr Schlafgemach!
Königlicher Tusch
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2. BILD
MARKTPLATZ
1. Szene
Mittag. Ein Soldat kommt auf einen belebten Marktplatz einer Stadt.
Nr. 5 Das erste Lied des Soldaten
SOLDAT
Soldat war ich, drei Jahr im Krieg,
Errungen so gar manchen Sieg,
Und oftmals auch verloren.
Doch kaum war ich verletzt am Bein,
Da schickten sie mich wieder heim,
Die netten Herrn Majoren.
Nun hink ich fort von Ort zu Ort
In der Hoffnung, dass ich dort
Etwas zu essen kriege.
Bettle um ein Stückchen Brot
Und nachts beklag ich meine Not,
Wenn ich im Freien liege.
Ich verrecke wie ein Hund,
Wenn ich kein Zuhause find.
Denn bald schon wird es frieren.
Hunger plagt mich; ja genau,
Ich brauche eine gute Frau.
Sonst werde ich krepieren.
SOLDAT
Gute Frau, sie können nicht 'nen kräft‘gen Mann gebrauchen, einen, der für
sie die Taschen trägt oder das Auto wäscht oder das Holz hackt?
1. FRAU
Ja, 'nen kräft‘gen schon, aber bei dir, da seh ich nur ein steifes Bein.
SOLDAT
Ich will nicht viel – drei Taler. Gut, dann zwei.
1. FRAU
Ein Halber ist schon viel zu viel.
2. FRAU
Was will er denn von Ihnen?
1. FRAU
Bei mir zu Hause holzen.
2. FRAU
Nein! Mit seinem steifen Bein?
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SOLDAT
Zum Tragen und Hacken brauch ich bloß die Arme. Und? Wie wär‘s mit Ihnen?
Können sie 'nen Mann gebrauchen?
2. FRAU
Danke nein. Hab selber einen zu verschenken. Unversehrt und kerngesund.
Ihr Mann tritt überladen mit Paketen und Einkaufstaschen auf
SOLDAT
Vielleicht etwas zu trinken, etwas Brot. Ich hab seit Tagen nichts gegessen.
MANN
Dann geh arbeiten!
SOLDAT
Gute Frau, ich...
MANN
Bist du taub? Du sollst verschwinden! Betteln ist hier streng verboten.
Der Soldat stellt sich mitten auf den Platz und fängt an zu singen. Passanten bleiben stehen, der eine
oder der andere wirft ein paar Münzen in den Becher.
Nr. 6 Das Lied vom Schlaraffenland (a capella)
SOLDAT
Kennt ihr das verwunschne Land
Es wird Schlaraffenland genannt.
Ist voll mit Kuchenbäumen.
Tauben, die gebraten sind,
Die bringt der warme Sommerwind
Wie in den kühnsten Träumen.
Menschen leben ohne Neid,
Ganz ohne Hass, Gewalt und Streit,
Nicht so wie hierzulande.
Glück, Gesundheit und Genuss
Das gibt es dort im Überfluss
In diesem Wunderlande…
SOLDAT
(schaut traurig in den noch sehr leeren Becher) Ich muss mir was zu essen
kaufen.
2. Szene
Der Soldat will eben seinen Becher vom Boden aufheben, als ein Wachmann auftaucht.
WACHMANN Bleib sofort stehen! Sag, hast du hier musiziert?
SOLDAT
Das ist doch nicht verboten.
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WACHMANN Kriegst gleich Prügel, du! Bist ein Fremder? Ja? Dann hör gut zu: Hier im Land
des Sonnenkönigs ist das Musizieren nicht erlaubt. Und auch das Tanzen ist
hier strengstens untersagt.
SOLDAT
Aha…
WACHMANN Und jetzt verschwinde! Rumsteh‘n ist hier nämlich auch verboten.
Der Soldat versucht unbemerkt den mit Geld gefüllten Becher vom Boden aufzuheben und das sich
darin befindende Geld in seine Jackentasche zu stopfen.
WACHMANN He, was hast du da? Gib her!
SOLDAT
Nur ein Becher.
WACHMANN Gehört der dir?
SOLDAT
Der stand hier auf dem Boden.
WACHMANN Geklaut, was? (nimmt den Becher dem Soldaten aus der Hand) Oho… (steckt
das Geld in seine Tasche).
He, was guckst du so? Die Kohle ist beschlagnahmt. Hier, den Becher, den
kannst du haben, schenk ich dir. Als Belohnung…
TV-Tusch, Trommelwirbel
KÖNIG spricht per Screen zu seinem Volk
Wer will‘s wagen? Hört mich an,
Ich, der König, sag‘s Euch an:
Reich belohnt wird jedermann,
der Unerklärtes lösen kann:
Das Rätsel von den Schuhen meiner Töchter.
Belohnt wird er mit Ruhm und Ehr,
Mit Geld und Gold und noch viel mehr:
Meine jüngste Tochter, sie ist sein,
Und nach des mächt'gen Königs Tod,
Wird er der neue König sein.
Kann der Kandidat uns jedoch nicht
Des Rätsels Sinn, die Lösung sagen,
Kommt er vor ein Strafgericht –
Und sein Kopf wird abgeschlagen.
Tusch, Trommelwirbel
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SOLDAT
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Was ist das mit diesen Schuhen?
WACHMANN Sind kaputt. Drei Paare. Jeden Morgen.
SOLDAT
Wer das Rätsel lösen kann, der kriegt die Hand der jüngsten Tochter und des
Königs Thron?
WACHMANN So ist es.
SOLDAT
Sicher muss man dazu vornehm sein.
WACHMANN Inzwischen kann es jeder Penner probieren.
SOLDAT
Ist die Tochter denn so hässlich, dass kein Prinz sie haben will?
WACHMANN Eine Zuckerpuppe ist sie, doch ist kein Prinz mehr übrig. Sie sind
alle tot.
SOLDAT
Tot?
WACHMANN Der Kopf ist ihnen abgeschlagen worden. Statt die Mädchen zu belauschen,
haben sie die ganze Nacht geschlafen. Sie konnten sich an nichts erinnern.
Alle, ausnahmslos.
SOLDAT
Das gibt’s doch nicht.
WACHMANN Es geht da nicht mit rechten Dingen zu. Verstehst du, was ich meine? Ich sag
dir eins, wenn dir dein Leben lieb ist, lass die Finger gleich davon.
Und jetzt hau ab! Verschwind, ich hab zu tun!
Der Wachmann patrouilliert weiter.
Nr. 7 Das zweite Lied des Soldaten
SOLDAT
Ich möchte wohl der König sein,
Besäße Gold und Edelstein
Dann müsst ich nie mehr leiden.
Und ich hätte als Gemahlin
Eine schöne Königin.
Wie würde man mich beneiden.
3. Szene
Eine uralte Frau steht ganz plötzlich neben dem Soldaten.
ALTE FRAU
Überleg nicht mehr zu lange. Mach dich auf den Weg zum Schloss.
SOLDAT
Ich? Aber, gute Frau, jeder, der‘s bis jetzt gewagt hat, ist daran
gestorben.
ALTE FRAU
Warn auch alles Idioten.
SOLDAT
Nein, die meisten waren sogar echte Prinzen, von und zu und so...
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ALTE FRAU
Sag ich doch. Ohne Kopf auf dem Schafott, da sehn sie alle gleich aus.
SOLDAT
Warum sind die eigentlich eingeschlafen?
ALTE FRAU
Sie waren selbstverliebt, gierig und viel zu siegessicher. Sie dachten bloß
daran, wie‘s ist, wenn sie dann selber König sind. Genau wie du.
SOLDAT
Ein jeder will doch König sein.
ALTE FRAU
Doch haben sie zu wenig Acht gegeben. Haben nichts gehört und nichts
gesehen. Und vom Wein getrunken. Kluge Köpfchen die Prinzessinnen.
Musikbeginn
SOLDAT
Da gibt es Wein?
Nr. 8 Das Lied der alten Frau
ALTE FRAU
Trinkst du vom süßen Wein, dann schläfst du sofort ein.
SOLDAT
Wenn ich nicht trink, das fällt doch auf.
ALTE FRAU
Du musst so tun als ob, stell Dich schlafend, tief und fest. Nur so kannst du sie
überlisten.
SOLDAT
Überlisten? Sag mir mehr.
ALTE FRAU
Zieh‘ die Tarnjacke an
an den Töchtern bleibe dran
Und kennst du das Geheimnis,
kehr sofort zurück!
SOLDAT
Was denn für ‘ne Tarnjacke?
ALTE FRAU
Bleibst du da, winkt dir ein noch viel gröss'res Glück.
SOLDAT
Ja was nun? Gehen oder bleiben? (für sich) Will die mich verarschen?
SOLDAT
Trinkst du vom süßen Wein,
dann schläfst du sofort ein.
Zieh‘ die Tarnjacke an
an den Töchtern bleibe dran
Und kennst du das Geheimnis,
kehr sofort zurück.
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Bleibst du da,
winkt dir ein noch gröss'res Glück.
Was meinst du mit dem gröss'ren Glück? Und welche Tarnjacke??
FRAU
Die wirst Du brauchen…
SOLDAT
Aber wo bekomme ich die?
FRAU
Du wirst sie zur rechten Zeit erhalten…
So wundersam die alte Frau erschienen ist, so wundersam ist sie auch wieder verschwunden.
SOLDAT
‚Zur rechten Zeit‘… Na super, was ist die ‚rechte Zeit‘? Ich bin doch schon zur
Schule ständig zu spät gekommen… Halt! Wo bist Du..?
Der Soldat fasst einen Entschluss und macht sich auf den Weg in Richtung Schloss.
Nr. 9 Das dritte Lied des Soldaten und Nachspiel
SOLDAT
Ach was!
singt
Es lässt mir einfach keine Ruh.
Nun los, ich zieh dem Schlosse zu,
Denn Mut ist ja vorhanden.
Besser als der Hungertod
Mit sattem Bauch im Morgenrot
Auf dem Schafott zu landen.
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1B) BILD
THRONSAAL
Zwischenszene (während Rückbau zum Schloss/Aufbau Töchterzimmer)
König auf Thron, Soldat, Hofmarschall
KÖNIG
Seid Ihr sicher, dass Ihr das Risiko auf Euch nehmen wollt?
SOLDAT
(denkt an seinen Hunger) Ganz sicher.
KÖNIG
(sarkastisch im Abgehen) Dann sehen wir uns also morgen früh zum
Todesurteil. Hofmarschall, geben Sie ihm etwas zu essen und zeigen Sie ihm
dann das Schlafgemach der Prinzessinnen! (kopfschüttelnd ab)
Nr. 10 Umbaumusik (instrumental)
3. BILD
SCHLAFZIMMER DER PRINZESSINNEN
1. Szene
Abends, im Schlafzimmer der Prinzessinnen. Iphigenie, Isabella, später Isolde
IPHIGENIE
Isabella, steh jetzt endlich auf!
ISABELLA
‚Verschlaf den Tag, so glänzt du in der Nacht.‘ Ich brauche meinen
Schönheitsschlaf. Wo ist Isolde?
IPHIGENIE
Unser Käfer wollte in den Garten.
ISABELLA
Sie wird Papa doch nichts sagen?
IPHIGENIE
Sie hat mir versprochen, gleich zurück zu sein.
ISABELLA
Man kann sich nicht auf sie verlassen. Und ich möchte nicht auf meinen Spaß
verzichten, nur weil sie den Mund nicht halten kann.
IPHIGENIE
Sie wird nichts sagen.
ISABELLA
Hoffentlich.
IPHIGENIE
Ich kann es kaum erwarten. Es liegt was in der Luft.
ISABELLA
Hast Du wieder von Mama geträumt?
IPHIGENIE
Nein. Heute nicht.
ISABELLA
Bist du verliebt?
IPHIGENIE
Quatsch.
ISABELLA
Was nicht ist, kann ja noch werden.
IPHIGENIE
Ja, bei dir vielleicht.
ISABELLA
Ach was.
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IPHIGENIE
Es ist ein ganz besond'rer Tag.
ISABELLA
Zumindest sind wir ungestört und müssen keinen Prinzen überlisten.
ISOLDE
(tritt auf) Da habt ihr euch getäuscht.
ISABELLA
Du hast doch Papa nichts erzählt?
ISOLDE
Was denkt ihr denn von mir? Natürlich nicht. Aber… es hat sich wieder einer
angemeldet.
ISABELLA
Woher weißt du das?
ISOLDE
Ich habe ihn gesehen.
IPHIGENIE
Wo?
ISOLDE
Die Tür zum Thronsaal, sie stand offen, Papa hat mit ihm gesprochen. Und
dann hat der gegessen, nein gefressen hat er, alles in sich reingestopft. Das ist
kein Graf, und schon gar kein Prinz, das ist ein Monstrum, ein Soldat, der hinkt
und stinkt.
IPHIGENIE
Na und?
ISOLDE
Wenn der uns auf die Schliche kommt – ich bring mich lieber um, als so ein
Ungetüm zu heiraten.
IPHIGENIE
So weit kommt es doch gar nicht.
ISABELLA
Das Ungetüm wird nicht getraut, das wird geköpft, so wie alle anderen.
ISOLDE
Der ist bestimmt nicht so wie alle andern.
ISABELLA
Hast du beim Franzosen schon gesagt.
ISOLDE
Den hab ich eben nicht verstanden.
IPHIGENIE
Zankt euch nicht! Wir haben nicht viel Zeit. Wie steht es mit dem Wein?
ISABELLA
Er sollte reichen.
IPHIGENIE
Und Schlafmittel?
ISABELLA
Wir haben noch ein Fläschchen…
ISOLDE
Können wir nicht heute Nacht zu Hause bleiben?
IPHIGENIE
Nein.
ISOLDE
Ach bitte.
IPHIGENIE
Bisher ist es immer gut gegangen, und es wird auch diesmal klappen.
ISOLDE
Isabella!
ISABELLA
Nur weil sich so ein Soldatenmonstrum in den Kopf gesetzt hat, königlich zu
werden, sollen wir auf unsren Spaß verzichten? Nein.
ISOLDE
Ihr müsst ihn ja nicht heiraten.
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2. Szene
Der Hofmarschall und der Soldat betreten den Schlafraum.
SOLDAT
Wer denkt denn gleich ans heiraten. Erst muss die Prüfung doch bestanden
sein.
HOFMARSCH (stellt die Töchter der Reihe nach vor) Prinzessin Isolde…
SOLDAT
Sind sie die Jüngste? Angenehm. Und das ist wohl der Rest unsrer Familie.
HOFMARSCH …Prinzessin Isabella und Prinzessin Iphigenie. Der ehrenwerte, junge Mann ist
neuer Kandidat. Hier ist eine Decke. Da der Stuhl.
SOLDAT
Stuhl? Und wo soll ich schlafen?
HOFMARSCH Du sollst nicht schlafen, sondern wach bleiben! Türen und Fenster werden bis
morgen früh verschlossen. Und morgen wirst Du dem König sagen, wo die
Mädchen hingegangen sind. Und wenn nicht...
SOLDAT
Ich weiß, dann wird mir der Prozess gemacht.
HOFMARSCH Noch Fragen?
SOLDAT
Keine.
HOFMARSCH Gut, dann wünsch ich eine angenehme Nacht.
Isabella steckt dem Hofmarschall Geld zu, er gibt ihr im Gegenzug heimlich ein kleines Fläschchen
SOLDAT
Gleichfalls. Keine Angst, ich werd‘ mein Bestes tun. Zum eignen Vorteil. Wie es
auch kommen mag, ich finde, es hat sich schon gelohnt. Ein solches Mahl
kriegt unsereins nicht jeden Tag.
HOFMARSCH Das hätt‘ ich fast vergessen, unser König will Beweise.
SOLDAT
Erst Beweise, dann die Hochzeitsreise. Hab verstanden.
Der Hofmarschall verlässt das Schlafgemach und befestigt die Schlösser
und eisernen Ketten vor der Türe.
3. Szene
SOLDAT
Meine Damen, spiel‘n sie Karten? Nein? Wir spielen nicht um Geld…
Schummel-Mäxchen? Monopoly? Flaschendrehen?
Eindeutig ablehnende Reaktion der Töchter
SOLDAT
Okay, dann will ich nicht mehr länger stören und lege, äh, setze mich gleich
schlafen. Gute Nacht!
Ich nehme an, die Lichter löscht dann ihr?
Keine Reaktion
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Kopieren und verbreiten nicht gestattet.
Ein Vorschlag: Sagt mir, was ihr macht, wohin ihr geht, und ich lasse euch
dafür die ganze Nacht in Ruhe… –
Gut, dann eben nicht.
Töchter verständigen sich, Isabella wird mit der Weinflasche vorgeschickt
ISABELLA
Hat der Leutnant gut gegessen? Hat man ihn auch anständig bewirtet?
SOLDAT
Leutnant? Ja, wieso denn nicht. Ich habe gut gegessen, doch, das kann man
sagen.
ISABELLA
So ein Essen macht doch sicher durstig.
IPHIGENIE
Möcht er nicht noch etwas trinken?
SOLDAT
Gerne, ja.
ISABELLA
Vielleicht ein bisschen Wein?
SOLDAT
Wein? Ach danke nein.
ISABELLA
Schmeckt gut.
SOLDAT
Den Wein, den mag ich nicht besonders.
IPHIGENIE
Er ist unvergleichlich. So was hat er ganz bestimmt noch nie getrunken.
SOLDAT
Glaub ich gerne, doch ich hab jetzt keinen Durst.
ISABELLA
Er will Soldat sein und er kann nicht mal ein Gläschen Wein vertragen.
(albernes Gelächter)
SOLDAT
Ach, vertragen kann ich eine ganze Menge.
IPHIGENIE
Wenigstens ein bisschen daran riechen?
SOLDAT
Riechen tut er gut.
IPHIGENIE
Na also. Will er nicht auch gleich versuchen?
SOLDAT
Aber nur ein halbes Glas. Versuchen ist noch lange nicht getrunken. Köstlich!
IPHIGENIE
Möchte er noch mehr?
SOLDAT
Schenk noch mal ein. Schmeckt herrlich, Isabella, danke. Und noch ein Glas. –
Und gleich noch eins... Mein Gott, mir wird ganz anders.
Nr. 11 Das Trinklied
SOLDAT
Wär ich bloß ein Millionär,
Ich käm in schönem Kleid daher,
Würd euch Geschenke bringen.
Doch bin ich nur ein armer Lump
Und kann nichts anderes tun als plump
Mein lustig‘ Liedchen singen.
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IPHIGENIE, ISABELLA UND ISOLDE
Sein lustig‘ Liedchen singen!
SOLDAT
Und wenn du reich bist, hast du Macht
Am Morgen ist das Bett gemacht –
Das könnt mir schon gefallen.
Alle wären nett zu mir.
Und jeder, bis zum Offizier
Würd mir zu Füssen fallen.
IPHIGENIE, ISABELLA UND ISOLDE
Würd ihm zu Füssen fallen!
SOLDAT
Gebt mir noch etwas Wein!
ISABELLA
Ist leider nichts mehr da.
SOLDAT
Und käm ein Habenichts daher,
Mit durst'ger Kehl, die Zunge schwer,
Ich ließ‘ die Korken knallen.
Hat man Macht ist man beliebt.
Und hat sich schnell einmal verliebt,
Jetzt kann ich nur noch lallen.
IPHIGENIE, ISABELLA UND ISOLDE:
Jetzt kann er nur noch...
Der Soldat fällt plötzlich in sich zusammen und schläft ein.
IPHIGENIE, ISABELLA UND ISOLDE
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Endlich!
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Öffnen des geheimen Kleiderschranks. Iphigenie, Isabella und Isolde ziehen sich um. Sie bereiten sich
für die kommende Nacht vor.
Nr. 12 Das Schmink- und Umziehlied der Töchter
TÖCHTER
I
Worauf warten, jetzt geht’s los
wir werden tanzen, das wird groß
ich brauch nen Fummel, super schön,
In fünf Minuten könn‘ wir gehen.
IPHIGENIE
Diese Hose ist so chic
ISABELLA
Doch dafür ist dein Po zu dick
ISOLDE
Die ist, find ich, sehr apart
ISABELLA
Na pass bloß auf, da hinten platzt `ne Naht
ISOLDE
Ist der Rock für Paps zu knapp
ISABELLA
Schneid ich gleich noch mehr von ab
ISOLDE
Ich mach mir ‘nen coolen Zopf
IPHIGENIE
Das passt doch nicht zu Deinem Eierkopf!
II
TÖCHTER
Worauf warten, jetzt geht’s los
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wir werden tanzen, das wird groß
ich brauch nen Fummel, super schön,
In fünf Minuten könn‘ wir gehen.
ISABELLA
Diese Bluse wirft ne Delle
IPHIGENIE
Siehst drin aus wie Wurst in Pelle
ISOLDE
Ist dein Teint zu blass und fahl
IPHIGENIE + ISABELLA
Nimm einfach Puder, Lipp-Gloss und Kajal!
ISABELLA
Auf die Nägel bunte Lacke
ISOLDE
Gib mal her die Leder-Jacke
IPHIGENIE
Siehst du, schön sein, ist kein Rätsel
ALLE
So wie ich mich heut aufbrezel!
III
ALLE
Worauf warten, jetzt geht’s los
wir werden tanzen, das wird groß
ich brauch nen Fummel, super schön
In fünf Minuten könn‘ wir gehen.
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IPHIGENIE
Orangenhaut und Botox-Wahn
ISOLDE
geh’n uns überhaupt nichts an
ISABELLA
Augenbrauen darfste zupfen
ALLE
auch den Pickel schnell noch wegtupfen.
ISABELLA
Manche findet sich nicht nett
IPHIGENIE
Geht zum Arzt, saugt ab das Fett
ISOLDE
Mädels, Hey, wie ich das seh‘
ALLE
Sind wir eigentlich doch ganz OK!
Der Soldat macht ein Schnarchgeräusch.
ISOLDE
Schläft er auch bestimmt?
ISABELLA
Den kriegst du selbst mit Pauken und Trompeten nicht mehr wach.
IPHIGENIE
So eingeschlafen sieht er eigentlich ganz freundlich aus.
ISOLDE
So freundlich wie ein eingeschlafener Tiger.
IPHIGENIE
Lass uns gehen!
ISABELLA
Ja.
ISOLDE
Ich weiß nicht...
ISABELLA
Du kannst ja bei ihm bleiben, ihn bewachen bis wir zurückkommen.
Iphigenie und Isabella gehen zur Bodenklappe. Isolde gibt klein bei und folgt ihnen.
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Nr. 13 Zauberspruch und Abfahrt (Finale 1)
IPHIGENIE, ISABELLA, ISOLDE
Stock, tock, tock, jetzt schiebe dich zur Seite,
Eingang in die Schattenwelt, geh auf!
Iphigenie klopft an einer Stelle dreimal auf den Boden. Es öffnet sich eine Klappe. Durch die
entstandene Öffnung steigen die Prinzessinnen eine Treppe hinunter. Der Soldat richtet sich auf und
eilt zur Bodenklappe.
SOLDAT
Tock, tock, tock, jetzt schiebe dich zur Seite,
Eingang in die Schattenwelt, geh auf!
Wiederum öffnet sich die Klappe, und der Soldat steigt den Geheimgang hinunter. Man hört ein
großes Motorrad starten und den Soldaten „Hey, halt!“ rufen bevor sich die Musik unter den Lärm des
Motorrads mischt.
PAUSE
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4. BILD
1. Szene
Motorradfahrt der Töchter. Glitzernde Neonreklame, Gebäude, schließlich Natur fliegt an ihnen
vorbei.
Nr. 14 Girls‘ Night Out
Girls’ night out, Girls night out!
Let’s run, run, run, Have fun, fun, fun
Lets Dance and shout, Ja! Heut Nacht sind wir laut!
Ich fahr den Lipstick aus
Sie fährt den Lipstick aus
mach mir die Haare schön
Macht sich die Haare wunderschön
Ich muss hier sofort raus
Sie muss hier sofort raus
Und auf die Piste geh`n
Und auf die Piste wird sie geh`n
--Girls’ night out! Girls’ night out!
Let’s run, run, run, Have fun, fun, fun
Dance and shout, Ja! Heut Nacht sind wir laut!
--Und heute geb ich Gas
Ja! Heute geb`n wir Gas
Ich fahr raus in die Nacht
Wir fahren raus heut in die Nacht
Denn heute will ich Spaß
Ja! Heute woll`n wir Spaß
Es wird heut` durchgemacht
Die ganze Nacht wird durchgemacht
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Girls’ night out! Girls’ night out!
Let’s run, run, run, Have fun, fun, fun
Lets Dance and shout, Ja! Heut Nacht sind wir laut!
---
Oh, My sweet Ro me o
Hm, my sweet Rom e o
Ich sage Oh Oh Oh
Sei doch mein sweet, sweet Rom e o
Oh, sehe ich dich an
Oh, bitte sieh‘ mich an
Und es macht bam, bam, bam
Macht mein Herz Bam, Bam, Bam, Bam, Bam
--Girls’ night out! Girls’ night out!
Let’s run, run, run, Have fun, fun, fun
Let’s Dance and shout, Ja! Heut Nacht sind wir laut!
Motor beginnt zu stottern, Fahrt verlangsamt sich. Die drei kommen schließlich auf der Landstraße
zum Stehen, ganz in der Nähe einer alten, halb-verfallenen Tankstelle mitten im Wald.
IPHIGENIE
Isabella, sagtest Du nicht, Du hättest aufgetankt?
ISABELLA
Ja, aber seither sind wir ja schon wieder drei Mal hier gewesen…
IPHIGENIE
Na ganz toll, hättest Du das nicht früher sagen können? Du warst dran mit
tanken…
ISABELLA
Und dann stinken meine Hände wieder nach Benzin, das mag mein Prinz
nicht…
IPHIGENIE
„Das mag mein Prinz nicht.“ Jetzt werden wir unsere Prinzen überhaupt nicht
sehen, weil wir nicht mehr rechtzeitig an den See kommen… (gibt ihr einen
Ersatzkanister)
Donnergrollen ist zu hören
ISABELLA
Ich soll jetzt alleine loslaufen, mitten im Wald??
IPHIGENIE
(genervt) Dann gehen wir eben alle drei…
ISOLDE
Ich möchte mich ausruhen...
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ISABELLA
Nein, sonst kommen wir zu spät.
ISOLDE
Nur kurz…
IPHIGENIE
Gut, für einen Augenblick, dann weiter.
ISABELLA
Wir müssen noch vor Mitternacht am Ufer sein, sonst sind die Boote
losgefahren.
IPHIGENIE
Das fällt Dir ja früh ein…
ISOLDE
Dauernd höre ich Geräusche. Und vorhin dieses fürchterliche Donnern.
IPHIGENIE
Ach, du hörst Gespenster.
ISOLDE
Es könnt ja sein, dass...
ISABELLA
Schlafende Soldaten donnern nicht.
ISOLDE
Ja sicher, doch man weiß ...
ISABELLA
...jetzt hör doch endlich auf!
ISOLDE
Und Papa hat gesagt, dass er sich Sorgen macht, weil wir so wenig schlafen.
ISABELLA
Papa dies und Papa das.
IPHIGENIE
Wenn er das Tanzen nicht verboten hätte, dann müssten wir nicht jede Nacht
hinaus.
ISOLDE
Nur weil er uns liebt, ist er so streng.
ISABELLA
Und nur aus Liebe sperrt er uns jeden Abend ein und lässt uns kontrollieren?
Auf diese Liebe kann ich gut verzichten.
IPHIGENIE
Alles muss nach seinem Kopf gehen, doch wie wir sind und was wir wollen
interessiert ihn nicht.
ISABELLA
Durchs Tanzen hat mein Leben einen Sinn gekriegt.
Sie entdecken die Tankstelle
ISABELLA
Na so ein Glück, eine Tankstelle!
ISOLDE
Die habe ich hier noch nie gesehen…
IPHIGENIE
(ironisch) Oh, wie gruselig, sie wird doch nicht hierhergezaubert worden sein…
(lacht)
ISABELLA
Hallo? Volltanken bitte?
ISOLDE
Ich hab‘ Angst.
Die alte Frau erscheint.
ALTE FRAU
Guten Abend, meine drei Hübschen…
ISABELLA
Guten Abend. Wir bräuchten etwas Benzin für unser Motorrad.
ALTE FRAU
Benzin gibt es hier schon seit Jahren nicht mehr…
ISABELLA
Oh nein, dann schaffen wir es nicht mehr.
IPHIGENIE
Super, das war’s also. Danke, Isabella.
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ALTE FRAU
Ich weiß, wohin ihr gehen wollt.
ISOLDE
(kühl) So? Woher wollen Sie das wissen?
ALTE FRAU
Ist ja nicht schwer zu erraten, so wie ihr ausseht. Ihr wollt ins ‚Schloss der
1000 Bälle‘.
IPHIGENIE
Woher kennen Sie das Schloss?
ALTE FRAU
Na hört mal, ich gehe ich auch gerne tanzen.
Die Schwestern schauen die Alte skeptisch „Die??“
SCHWESTERN Ah ja…
ALTE FRAU
Worauf wartet ihr noch. Nichts wie an den verzauberten See!
IPHIGENIE
Ohne Benzin können wir es nicht mehr schaffen. Die Boote legen pünktlich ab.
ALTE FRAU
Dann fahrt den Booten eben hinterher. Moment…
Die Alte verschwindet für einen Augenblick im Innern der Tankstelle. Die Schwestern warten ratlos.
Man hört von innen laute Geräusche von umkippendem Gerümpel etc. als suche sie etwas.
ALTE FRAU
(taucht wieder auf) Na also. (gibt ihnen eine Art Schwimmreifen und ein
goldenes Paddel). Damit kommt ihr zur Insel und zum ‚Schloss der 1000 Bälle‘
(murmelt eine Beschwörung)
IPHIGENIE
(skeptisch) Damit?
ALTE FRAU
Du musst es aufpusten.
Iphigenie gibt den Ring an Isabella weiter, die ihn wiederum an Isolde weitergibt.
ISOLDE
Immer ich…
IPHIGENIE
Vielen Dank.
ALTE FRAU
Halt, nicht die Straße lang. Hier entlang, dieser Weg führt Euch genau an den
See.
IPHIGENIE
Sind Sie sich da ganz sicher?
ISOLDE
Ich weiß nicht…
ALTE FRAU
Der direkte Weg ist nicht immer der schnellste…
ISABELLA
Ach was, mein Bauch sagt mir, dass das die richtige Richtung ist. (folgt dem
Rat der Alten, die anderen folgen ihr skeptisch)
ALTE FRAU
(ruft ihnen nach) Lasst es krachen, Mädels!
…
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Ein komplettes Ansichtsexemplar, Noten und eine CD erhalten Sie beim Verlag
(Musik ebenso als Halbplayback vorhanden):
Verlag Felix Bloch Erben
Hardenbergstraße 6
10623 Berlin
Tel.: +49 / (0)30 / 313 90 28
Fax.: +49 / (0)30 / 312 93 34
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Fotos der Uraufführung dieser Neufassung, Theater Junge Welt, Leipzig
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