Lustkiller Harmonie

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Lustkiller Harmonie
SERIE
Seite 12
Samstag, 4. Juni 2011
Reden wir endlich über Sex!
Leistungsdruck sorgt zunehmend für Verkehrsberuhigung in deutschen Betten – Beide wollen, sprechen nur nicht darüber
Von Constanze Kleis
A
ngeblich gehört ja das Geigespielen zu dem Schwierigsten, das ein
Mensch tun kann. Folgt man den
einschlägigen Statistiken, gibt es da allerdings noch eine weitaus größere Aufgabe:
In einer längeren Beziehung dafür zu sorgen, dass die Libido nicht dauernd wegnickt.
Immerhin legt sich die erste Leidenschaft schon nach ein paar Wochen, und
im Laufe der ersten fünf gemeinsamen
Jahre halbiert sich die
Sex-Frequenz sogar. Die
Mehrzahl der deutschen
Paare aller Altersstufen
hat dann einmal (oder
seltener) Sex pro Woche.
Und nicht wenige unterbieten deutlich auch diesen Durchschnittswert.
Ein Phänomen, dem
Experten den Namen
„Low Sexual Desire“ –
LSD – gegeben haben und das für einige
Frustrationen sorgt. Zumal man den Eindruck hat, leidenschaftliche Lust, täglich
ein Orgasmus, hemmungslose Liebesnächte seien sozusagen die DIN-Norm einer erfüllten Beziehung.
So kennt man es vom Anfang einer Liebe, so will man es gefälligst dauernd haben. Zumal einem ja von den Medien
suggeriert wird, dass es anderen Leuten da
ganz anders geht. Dass überall in Deutschland Paare noch vor dem Frühstück übereinander herfallen, die Dusche nicht nur
zur täglichen Hygiene nutzen und überhaupt immer eine Gelegenheit finden –
sogar auf der Flugzeugtoilette und in der
Bahn.
Viele Frauen und Männer würden der
Vorstellung erliegen, dass guter Sex mindestens so viel Equipment braucht wie ein
Tourneetheater und so lange währen müsse, wie Wagners Ring der Nibelungen, so
auch die Psychologen Eric Corty und
Jeany Guardani von der Penn State Erie
Universität. Es seien diese „abwegigen Stereotypen“, die aus so etwas Schönem und
letztlich ja sehr Einfachem nicht bloß eine diffizile Angelegenheit machen und
letztlich mit dazu beitragen, dass man es
einfach ganz sein lässt.
Denn wer hat schon immer Zeit und
Gelegenheit, sich erst selbst in eine perfekte Sex-Göttin zu verwandeln (fünf Kilo
abnehmen, Beine rasieren, baden, Dessous
anlegen), um danach viel Arbeit in eine
sinnliche Atmosphäre zu stecken (Kerzen,
Musik, Duftlampe, Kinder zu den Schwiegereltern, Telefon abstellen) und dann
noch den Liebsten dazu zu bringen, sich
in seinem Terminkalender „halben Tag
freinehmen – Sex!“ einzutragen. Ganz
spontan, versteht sich.
Kein Wunder, wenn laut der „Welt“ jedem 20. Mann beim Sex schon mal die
Partnerin eingeschlafen ist. Und beide Beteiligten allein bei dem Gedanken an all
das, was die einschlägige Fachliteratur als
Existenzminimum von Erfüllung beschreibt, sehr, sehr müde werden.
Da denkt man doch lieber: Morgen ist
ja auch noch ein Tag. Manchmal monateoder sogar jahrelang. Und fragt sich: Ist
unsere Beziehung
noch in Ordnung?
Lieben wir uns
noch? Müssen wir
nicht andauernd
wollen, wo es
doch alle anderen
angeblich immerzu, an den exoSerie Teil 17
tischsten
Orten
und mit rasender
Leidenschaft tun?
„Sexuelle Lust und Leidenschaft sind in
einem etwas verrückten Ausmaß zum Gütesiegel von Beziehungen geworden“, so
auch der Hamburger Sexforscher Professor Gunter Schmidt. Er und andere Experten sehen die eigentliche Gefährdung der
Liebe nicht in der Abnahme der BeischlafFrequenz, sondern in den hochgesteckten
und manchmal falschen Erwartungen an
einen Sex der mindestens „life-changing“
sein soll.
Es sei dieser Performance-Druck der zunehmend für Verkehrsberuhigung in
deutschen Betten sorge. Und für ein Phänomen, das schon der griechische Philosoph Epiktet beschrieb: Dass uns nicht die
Dinge selbst beunruhigen, sondern die
Vorstellung davon, wie die Dinge zu sein
haben, wie also unser Sexleben sein „sollte“. Nämlich so rauschhaft, wie wir es am
Anfang erleben. Gleichzeitig aber soll die
Partnerschaft innig, vertrauensvoll und
harmonisch sein.
Ein Widerspruch, der seinerseits einiges
zur Verkehrsberuhigung beiträgt, wie der
Paartherapeut Michael Mary („5 Lügen
über die Liebe“) meint. Denn wilde Leidenschaft braucht Ungewissheit, Aufregung und Fremdheit – also genau das Gegenteil von dem, was wir uns von einer
glücklichen Beziehung erhoffen: Nähe, Sicherheit und Geborgenheit.
Doch wer das eine will, der muss sich
nicht automatisch mit einem Dasein in einem erotischen Notstandsgebiet abfinden. Sex wird nicht schlechter, nur weil er
anders ist und man manchmal den „Tatort“ dem Kamasutra vorzieht.
Manche tun das allerdings schon so
Wir
verlieben Sie
Erotisches Notstandsgebiet Ehebett? Muss nicht sein – Beziehungsexperten raten: Die Sache einfach mal ganz entspannt angehen – und vor allem darüber reden.
lange nicht mehr, dass sie sich gar nicht
mehr an den letzten Sex erinnern können.
Oder – wie es die amerikanische Autorin
Emma Bombeck einmal formulierte: „Der
einzige Grund, weshalb ich mit dem Joggen anfangen würde, ist, um mich mal
wieder keuchen zu hören.“
„Josephsehe“ nennt man das Phänomen: Joseph soll mit Maria in Keuschheit
gelebt haben. Geschlechtliche Beziehungen sollen in einer Josephsehe auf das notwendige Minimum (die Zeugung von
Kindern) reduziert sein. Man kann natürlich auch so sehr zufrieden sein. Oder
man kann auch etwas tun, was sehr, sehr
nahe liegt: Man gibt dem anderen die
Schuld.
Der könnte, findet man, auch mal wieder die Initiative ergreifen; einen nach
Strich und Faden verführen. Und wissen
Sie was: Das ist eine so großartige Idee,
dass der andere Ihnen da vollkommen zu-
stimmen würde. Auch er möchte wahnsinnig gern, dass Sie die Initiative übernehmen, dass man über Sex spricht und
das Thema nicht ausklammert. Und auch
er fragt sich: „Muss ich betteln, damit sich
der andere mal wieder dazu herablässt,
mit mir zu schlafen? Das geht entschieden
gegen meine Würde als Sexobjekt!“
Kurz: Beide wollen es ganz dringend,
sie sprechen nur nicht darüber. So geben
bei einer Umfrage sowohl ein Viertel der
Frauen und immerhin ein Drittel der
Männer an, sie wünschten, sie könnten
mit ihrem Partner über den gemeinsamen
Sex reden. Diese Sprachlosigkeit zu durchbrechen ist der erste Schritt – nicht unbedingt gleich zu mehr Leidenschaft, aber
zu deren wichtigster Voraussetzung: mehr
Entspannung und der Übereinkunft, dass
man ganz dringend etwas ändern möchte.
Das ist – zugegeben – zwar nicht ganz
einfach. Aber durchaus möglich und zwar
5. „Ich wollte meine Zuneigung
zeigen“
6. „Ich war sexuell erregt und
wollte Befriedigung“
7. „Ich war scharf“
8. „Ich wollte meine Liebe zeigen“
Männer
9. „Ich wollte einen Orgasmus“
1. „Ich fühlte mich zu der Person
hingezogen“
10. „Ich wollte meine Partnerin
glücklich machen“
2. „Es fühlt sich gut an“
Frauen
3. „Ich wollte körperliches Vergnügen“
4. „Es macht Spaß“
gnügen“
3. „Es fühlt sich gut an“
4. „Ich wollte meine Zuneigung
zeigen“
5. „Ich wollte meine Liebe zeigen“
6. „Ich war sexuell erregt und
wollte Befriedigung“
7. „Ich war scharf“
8. „Es macht Spaß“
1. „Ich fühlte mich zu der Person
hingezogen“
9. „Ich habe begriffen, dass ich
verliebt bin“
2. „Ich wollte körperliches Ver-
10. „Ich war im Eifer des Gefechts“
Sollte man schon mal ein Latexhöschen
getragen haben, um als unverklemmt zu gelten?
Frage es
ag
des T
Antwort: Nein, um als unverklemmt zu gelten, kann man natürlich auch nackt zur Arbeit kommen, dem Chef mal eben beherzt
in den Schritt fassen oder sich in
der U-Bahn paaren. Gelegenheiten,
ein paar Schamgrenzen gründlich
zu überschreiten, gibt es schließlich
mehr als genug. Fragen Sie nur Tatjana Gsell oder Kader Loth. Aber
L
wieso will man eigentlich unbedingt als „unverklemmt“ gelten?
Und wem gegenüber ist man da
nachweispflichtig? Gibt es da draußen vielleicht eine VerklemmtheitsJury, die das Gütesiegel „unverklemmt“ erst dann vergibt, wenn
man mindestens drei Pornos flüssig
nacherzählen und einen „CumShot“ szenisch nachstellen kann?
Und wäre es dann nicht sowieso
nur wieder total verklemmt, das zu
tun, was andere von einem erwarten? Gänzlich unverklemmt wäre es
deshalb eigentlich, entschieden keine Latexhosen zu tragen. Oder es
doch zu tun und einfach niemandem davon zu erzählen.
Quelle: Manieren für Männer,
Constanze Kleis, Fischer Verlag
Sexualtherapeutin über die Gründe der sexuellen Unzufriedenheit
„Wenn Sie eine richtig schöne
Lustlosigkeit produzieren
wollen, dann vergleichen Sie
den heutigen Ist-Zustand mit
dem von damals“, sagt Ina Graff,
Diplom-Pädagogin, Familientherapeutin und Paar- und
Sexualberaterin bei pro familia
Ortsverband Frankfurt
(www.profamilia.de/angebotevor-ort/hessen/frankfurt-main/).
Constanze Kleis sprach mit ihr.
Mit welchen Problemen kommen
Paare üblicherweise in Ihre Beratung?
INA GRAFF: Ganz unterschiedlich. Affären kommen häufig vor,
aber auch Lustlosigkeit ist ein Thema oder dass jemand eine sexuelle
Vorliebe entwickelt, die der andere
nicht beantworten kann oder will.
Ein ganz großes Problem ist auch,
dass viele Paare, die lange zusammen sind, sich die Sexualität so
wünschen wie am Anfang der Beziehung.
Das ist natürlich ein sehr großes
Wunschdenken . . .
GRAFF: Und der direkte Weg in
die sexuelle Unzufriedenheit. Wenn
Sie eine richtig schöne Lustlosigkeit produzieren wollen – dann vergleichen Sie den heutigen Ist-Zustand mit dem von damals.
Wieso können wir eigentlich nicht
dauerhaft mit Begeisterung ständig
übereinander herfallen?
GRAFF: Da sagt die Paarforschung:
Wenn zwei zusammen kommen,
hat jeder sein sexuelles Profil. Die
Profile sind unterschiedlich, weil
jeder ja andere Erfahrungen mit
bringt. Im ersten Liebestaumel
spielt das keine Rolle. Aber irgendwann werden die Unterschiede klarer. Nun strebt das Paar aber nach
Gleichheit und Harmonie. Deshalb
werden die Unterschiede ignoriert.
Man fokussiert sich auf den kleinsten, gemeinsamen Nenner, traut
sich nicht mehr, dem anderen gegenüber einen Wunsch zu äußern,
Wenn Männer keine Lust haben
ängst sind es nicht mehr nur Frauen,
die dem Sex mit „jetzt nicht!“ oder
„ich will mir lieber noch den Spätkrimi anschauen!“ aus dem Weg gehen. Das Klischee von der weiblichen Verweigerungshaltung wird zunehmend von der gleichermaßen überraschenden, wie besonders für Frauen irritierenden Tatsache abgelöst: Dass es
immer häufiger die Männer sind, die für erotische Nullrunden im heimischen Schlafzimmer sorgen.
Experten schätzen, dass jeder zweite Mann
zeitweilig oder auch dauerhaft keine Lust
hat. Dass die Zahlen so schwanken, liegt vor
allem daran, dass Männer sich lieber eine
Ganzkörperheißwachsenthaarung unterziehen würden, als freiwillig das Thema anzusprechen, das auf der Peinlichkeitsskala für
sie noch vor Schweißfüßen und Haarausfall
rangiert (wie erst kürzlich wieder eine Umfrage unter 3500 Männern im Alter zwischen
18 und 65 Jahren im Auftrag der Pharmafirma Yamanouchi Europe ergab).
Das erschwert einiges, vor allem die für die
mit den Sexmuffeln verbandelten Frauen. Da
er sich meist nicht erklärt, tun sie das Naheliegende und nehmen die Sache persönlich.
Fragen sich: Liebt er mich eigentlich noch,
wenn er mich so gar nicht mehr oder nur
noch so selten begehrt? Hat er vielleicht eine
andere? Kann er nicht, weil er nicht will, oder
will er nicht, weil er nicht kann?
Fragen, auf die auch Experten oft keine
eindeutigen Antworten wissen. Denn Lustlosigkeit kann durchaus zu ernsthaften Potenzstörungen führen, also dazu, dass er nicht
mehr kann wie er will. Manchmal aber liegen auch einfach körperliche Ursachen vor,
Krankheiten, eine Grippe oder Bluthochdruck.
Als Faustregel gilt jedoch, dass Mediziner
erst dann von Impotenz oder sexueller Dys-
geht, das lebenslange Lieben, erfahren Sie
am Montag zum guten Schluss in der letzten Folge unserer Serie.
Da geben wir Ihnen Ihre Happy-Formel
fürs lebenslange Lieben mit auf den Weg.
Und: Nein, sie besteht nicht aus Zauberstaub und Sternenregen. Zum Glück. Was
Beziehungen gegen die üblichen Widrigkeiten imprägniert, ist nämlich durchaus
irdisch.
Und deshalb liegt es vollkommen im
Bereich des Möglichen, sich noch mit
über 80 Händchen haltend die schönsten
Liebeserklärungen zu machen. So wie der
Philosoph und Soziologe Andre Gorz, der
seiner Frau schrieb:
„Bald wirst Du 82 sein. Du bist um
sechs Zentimeter kleiner geworden, Du
wiegst nur noch 45 Kilo, und immer noch
bist Du schön, graziös und begehrenswert. Seit 58 Jahren leben wir nun zusammen, und ich liebe Dich mehr denn je.“
Lustkiller Harmonie
Warum Menschen Sex haben
Cindy M. Meston und David M.
Buss von der University of Texas in
Austin haben mal durchgezählt
und sind auf 237 psychologisch
und gesellschaftlich motivierte
Gründe gekommen. Hier die TopTen bei Männern und Frauen
ohne dass man nach Mecklenburg-Vorpommern umziehen muss, wo laut einer
Studie die Beischlaffrequenz am höchsten
ist. Es gibt Alternativen, wie Ina Graff, Sexualberaterin bei pro familia Frankfurt,
aus ihrer Beratungspraxis weiß. Dann
kann es ganz wunderbar sein, gemeinsam
nicht zu alter, sondern im Gegenteil zu
ganz neuer Form aufzulaufen. Den Sex
von seinem Podest herunter zu holen,
nicht auf den perfekten Moment zu warten, es mit dem Bewusstsein zu tun, dass
es sich genauso, wie man es tut, vollkommen richtig anfühlt und einem doch quadrategal sein kann, wie es die anderen machen und auch: wie man dabei aussieht.
Dann hätte man schon mal eine der
Hürden genommen, die einem die Langzeitliebe so in den Weg stellt. Was man
sonst noch tun kann, um sich ständig neu
zu verlieben – und zwar in den eigenen
Mann oder die eigene Frau. Wie es also
Foto: Fotolia
funktion sprechen, wenn erfolglose Erektionsversuche über einen Zeitraum von mindestens drei bis sechs Monaten bestehen, er
nicht mal beim Masturbieren mehr steif wird
und spontane Erektionen – also die legendäre Morgenlatte – ausbleiben oder höchst selten werden.
Doch diese ernste Form des Lustverlusts ist
nur die Spitze des Eisbergs. Daneben kennt
die Lustlosigkeit viele Abstufungen und mindestens ebenso viele Ursachen. Die wohl häufigste: Stress. Und die zweithäufigste: „Die
Freiheit nehm’ ich mir!“ Nämlich einfach
auch mal keine Lust haben zu müssen.
Leider billigen auch die aufgeschlossensten
Frauen ihren Männern in diesem Punkt
nicht die gleichen Freiheiten zu wie sich
selbst. Frauen erlauben es sich ja auch selbstverständlich, aus wichtigen wie nichtigen
Gründen keinen Sex zu haben.
Und vor allem: Selbst in langen Beziehun-
gen überlassen sie die Initiative für den Sex
den Männern und damit auch das Risiko, eine Abfuhr zu erhalten. Das kann einen Mann
ganz schön müde machen. Ebenso wie das
Alter. Männer wollen es nicht gern hören –
aber auch sie kommen in die Wechseljahre,
in das „Climacterium virile“. Das TestosteronNiveau im Körper ändert sich.
Dass ein 70-Jähriger nur noch halb soviel
Testosteron produziert wie ein Mittzwanziger
hat mehr Folgen als bloß einen erhöhten Absatz von Harley-Davidson-Motorräder an
Herren dieser Altersgruppe: Ängste, die der
Hollywood-Star Michael Douglas einmal so
beschrieb: „Eine Erektion ist eine mysteriöse
Sache. Immer wenn sie nachlässt, hat man
Angst, dass man sie das letzte Mal gesehen
hat.“ So teilen Männer und Frauen schlussendlich doch eigentlich dieselben Sorgen.
Nun müssen sie bloß noch anfangen, nicht
länger darüber zu schweigen.
und das kann schnell langweilig
werden.
Ist das höchste Beziehungsziel – totale
Harmonie – also Gift für den Sex?
GRAFF: Was in Beziehungen an
Werten wichtig wird, also Vertrauen, Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit, das kann sich
durchaus als Killer
für leidenschaftliche Erotik entpuppen.
Gibt es einen Notausgang aus diesem
Dilemma?
Ansprüche variieren stark. Ich kann
mich an ein Paar erinnern, das seit
dreißig Jahren verheiratet war und
seit dreißig Jahren immer sonntags
Sex hatte. Sie hatten ein glückliches
Sexualleben. Es gibt kein Allheilmittel für jeden. Das bedeutet, dass
Kreativität gefragt ist, die Lust, mal
etwas Neues auszuprobieren, den anderen zu überraschen, wenn man
das
Sexualleben
verändern möchte.
Steht da nicht zu befürchten, dass der
Gatte in haltloses
Gelächter ausbricht,
wenn man ihn plötzlich in Strapsen und
Mieder erwartet?
GRAFF: Sexualforscher sagen, es sei
eine Frage der Entscheidung.
Ein
Paar wäre demnach nicht einfach
lustlos. Es würde
GRAFF: Es ist imsich einfach dafür
mer ein Wagnis,
entscheiden, es dawenn man etwas
bei zu belassen.
ausprobiert. BesonSexualtherapeutin Ina Graff.
Umgekehrt kann
ders Frauen tun
es auch die Entsich schwer damit.
scheidung treffen, etwas dagegen zu Sie verlassen sich immer noch oft
unternehmen. Das wäre dann der darauf, dass Männer die Richtung
erste Schritt: Zu sagen, ich will die- vorgeben. Wir arbeiten ja auch mit
sen Zustand nicht mehr.
Schulklassen zum Thema SexualVermutlich sind es eher die Jüngeren, aufklärung, und wenn man die
Mädchen fragt: Wer soll die Erfahdie das Problem thematisieren?
rung haben? Dann sagen sie: Der
GRAFF: Ganz unterschiedlich. Ich Junge soll den ersten Schritt makann mich an ein Paar erinnern, chen. Aber für den Bereich der Sebeide Mitte 50, schon lange zusam- xualität gilt: Sich bewusstmachen,
men, Kinder. Als sie in die Beratung was man will, und gegebenenfalls
kamen, hatten sie sich vorgenom- ein neues Gebiet betreten, auch
men: „Dieses Jahr kümmern wir mal eine Grenze überschreiten.
uns nur um unsere Sexualität“. Die Sonst geht es ja nicht weiter.
beiden waren etwa zehn Mal da
und haben immer wieder andere Apropos: Wie geht es denn im Alter
Dinge thematisiert. Und sie haben mit dem Sex weiter?
es tatsächlich auch geschafft, eine
leidenschaftliche Sexualität in die GRAFF: In unsere Beratung kommen natürlich auch Paare über 60
Beziehung zu bringen.
mit dem Wunsch, ihre Sexualität zu
Gibt es so etwas wie goldene Regeln, verändern. Und ich kenne eine Ummit denen man die Leidenschaft hin- frage, nach der etwa ein Drittel der
term Ofen hervor lockt?
60- bis 80-jährigen Frauen in PartGRAFF: Beim Sex? Schwierig. Die nerschaften regelmäßig Sex haben.