Nr. 30, Januar - DS

Transcrição

Nr. 30, Januar - DS
Nr. 30 / Jan. 1999
ISSN 1430-0427
Ausstellung
„Leben mit Down-Syndrom”
Ergotherapie
Die weltweite DS-Bewegung
Berichte über die DS-Woche '98
Radfahren lernen
E D I T O R I A L
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ein neues Jahr hat angefangen und es ist noch
nicht zu spät, Ihnen allen die besten Wünsche
für 1999 zu übermitteln.
Wir haben jetzt voller Energie die Arbeit im neu
gegründeten Deutschen Down-Syndrom InfoCenter aufgenommen. Mit dieser im gesamten
deutschsprachigen Raum einmaligen Einrichtung wurde für
Eltern, Fachleute und Interessierte eine zentrale Anlaufstelle
geschaffen, die es jetzt gilt, aufzubauen und mit Leben zu füllen.
Für mich persönlich bedeutet dies auch eine große Veränderung.
Nach zehn Jahren ehrenamtlicher Arbeit als Vorsitzende des
Vereins bin ich nun hauptamtlich als Geschäftsführerin tätig und
habe im DS-InfoCenter meinen Arbeitsplatz. Die Redaktion der
Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom gehört nach wie vor zu
meinen Aufgaben. Über das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter
lesen Sie mehr auf Seite 3.
In dieser Ausgabe finden Sie u.a. einen Bericht über unsere Zehnjahresfeier mit zwei der dort gehaltenen Vorträge sowie verschiedene Artikel zum Thema Förderung und Therapie, Buchbesprechungen, Berichte über die DS-Woche und Meinungen zu
Benettons Werbekampagne.
Für die nächste Ausgabe sammele ich Erfahrungsberichte. Bitte
schreiben Sie über Ihre Erlebnisse mit Ihrem Kind: schöne,
heitere oder auch traurige, über ihre Erfahrungen mit Therapien
und medizinischen Behandlungen, Geschichten über Integration,
die Entwicklung Ihres Kindes, auch wenn sie nicht so positiv verläuft. Themen genug. Vergessen Sie nicht, Fotos mitzuschicken.
Noch ein Wort zum DS-Netzwerk. Die Selbsthilfegruppe entschied
sich im letzten Sommer, aus dem DS-Netzwerk auszutreten. Nicht
weil wir die Ziele des Netzwerkes nicht unterstützen, sondern
weil wir unsere Arbeit unabhängig weiterführen möchten. Die Bedingungen dazu waren innerhalb des Netzwerkes nicht gegeben.
Und noch schnell am Rande: Vor zehn Jahren genau erschien die
erste Nummer von Leben mit Down-Syndrom! Jetzt sind wir bei
Nummer 30!
Herzlich Ihre
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
1
I N H A L T
Aktuelles
Deutsches Down-Syndrom InfoCenter ................................................................ 3
Ausstellung Leben mit Down-Syndrom ............................................................... 4
Festakt, DS-Preis ................................................................................................. 6
Integration
Entwicklungsperspektiven .................................................................................. 7
Integration von Menschen mit Down-Syndrom ................................................ 12
Stell dich in die Mitte ........................................................................................ 18
Bücher
Neuerscheinungen ............................................................................................ 21
Kinderbücher etc. .............................................................................................. 23
Ausland
Die weltweite DS-Bewegung ............................................................................. 24
Therapie
Ergotherapie, was ist das? ................................................................................ 30
Carina in der Ergotherapie ............................................................................... 32
Förderung
Die Schere klafft immer weiter auseinander ..................................................... 34
Sauberkeitserziehung ........................................................................................ 39
Frühförderung auf dem Prüfstand .................................................................... 40
Werbung
Umstrittene Werbekampagne von Benetton ..................................................... 42
Auch ausländische
DS-Plakate wurden in der
Ausstellung „Leben mit
Down-Syndrom“ gezeigt
Kulturelles
Postmodernes aus Russland .............................................................................. 46
Willibald Lassenberger ..................................................................................... 47
Recht
Erben ................................................................................................................ 48
Down-Syndrom-Woche
Beispiele von Aktionen ...................................................................................... 50
Freizeit
Spiel- und Lernmaterialien ............................................................................... 54
Leserpost ......................................................................................................... 56
Veranstaltungen .............................................................................................. 58
Bestellungen / Vorschau / Impressum .............................................................. 59
2
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Titelbild: Marcel Terwesten
Foto Rückseite: Zeichnung
von Willibald Lassenberger
AKTUELLES
Deutsches Down-Syndrom
InfoCenter
I
m Dezember 1998 hat das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter seine Arbeit aufgenommen. Diese im gesamten deutschsprachigen Raum einmalige Einrichtung ist als zentrale Anlaufstelle für Eltern von Kindern mit
Down-Syndrom gedacht, die sich zu Fragen rund um das Thema Down-Syndrom informieren möchten. Fachleute,
angehende Fachleute und Interessierte
können sich ebenfalls an das InfoCenter
wenden.
Im InfoCenter sind neben der Redaktion der Fachzeitschrift Leben mit
Down-Syndrom auch eine Videothek und
eine Bibliothek untergebracht, die außer mit fachbezogenen Büchern und
Filmen auch mit Zeitschriften und Broschüren aus dem In- und Ausland, Diplomarbeiten zum Thema Down-Syndrom usw. aufwarten.
Träger dieser neuen Einrichtung ist
die Selbsthilfegruppe für Menschen mit
Down-Syndrom und ihre Freunde e.V.
mit Sitz in Erlangen. Dieser Verein ist
seit zehn Jahren Motor hinter der DownSyndrom-Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland. Er hat u.a.
zahlreiche Broschüren, ein Kinderbuch
und einen Videofilm zum Thema Down-
Syndrom veröffentlicht und ist überdies
der Herausgeber dieser Zeitschrift.
Sowohl die Medien als auch die Öffentlichkeit zeigen sich an dem Projekt
sehr interessiert, in verschiedenen Zeitungen sowie im Fernsehen und Radio
wurde schon über das InfoCenter berichtet. Die feierliche Eröffnung findet
voraussichtlich Ende Januar 1999 statt.
Appell an die Leser
Einen Appell möchten wir hier an unsere Leser richten. Um Anfragen nach
Informationen rund um das Down-Syndrom kompetent behandeln zu können,
sammeln wir Erfahrungen, Tipps,
Adressen, ja alles, was irgend wie für
andere eine Hilfe sein kann. Unterstützen Sie uns dabei, möglichst viele Daten
zu sammeln, damit andere Eltern davon
profitieren und ihren Kindern mit DownSyndrom helfen können. Schicken Sie
uns „Wissenswertes“, so können wir
eine Datenbank anlegen, die uns allen
nützen kann.
Der Maiausgabe der Zeitschrift werden wir ein kleines Prospekt über das
Deutsche Down-Syndrom InfoCenter
beilegen, dem Sie weitere Informationen entnehmen können.
Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
Hammerhöhe 3
91207 Lauf a. d. Pegnitz
Tel. 09123 / 98 21 21
Fax: 09123 / 98 21 22
E-Mail: [email protected]
Öffnungszeiten:
Mo, Mi, Do, Fr von 8.30 Uhr bis 13.00 Uhr
Di von 8.30 Uhr bis 17.00 Uhr
Bibliothek
Öffnungszeiten werden noch bekannt gegeben
Sonderausgabe in
neuem Outfit
„Diagnose Down-Syndrom, was
nun?“ ab Februar 1999 erhältlich
M
ärz 1996 erschien das Heft Diagnose Down-Syndrom, was nun?,
eine Sonderausgabe von Leben mit
Down-Syndrom. Das Heft sollte eine Hilfe
sein für neu betroffene Eltern.
In diesem Heft wurden Artikel zusammengefasst, die für Eltern kleinerer
Kinder mit Down-Syndrom wichtig sind,
weil sie sich hauptsächlich mit Themen
wie Krankengymnastik, Frühförderung
oder Sauberkeitserziehung u.ä. befassen. Es gibt Beiträge über Geschwisterthematik, Sprachentwicklung oder Kindergarten, aufgelockert wurden die
Fachbeiträge mit Erfahrungsberichten
aus der Alltagspraxis.
Diagnose Down-Syndrom, was nun?
war von Anfang an ein sehr beliebtes
Heft und wir haben in den letzten Jahren verschiedene Neuauflagen gemacht.
Jetzt war es an der Zeit, das Layout
zu verändern, das Heft auch optisch an
die neue Zeitschrift anzupassen. Das
haben wir getan und gleichzeitig natürlich auch inhaltlich einiges geändert und
auf den letzten Stand gebracht. Einige
Artikel wurden überarbeitet, einige ersetzt durch neuere. Ganz neu dazu kamen Beiträge über z.B. die PörnbacherTherapie, über „Trinken und Essen lernen“ oder die Gebärdensprache.
Wir glauben, dass es uns gelungen
ist, auch bei der neuen Ausgabe wieder
eine gute Mischung aus Fachartikeln
und Berichten aus der Praxis zusammengestellt haben, das Ganze mit vielen Fotos, die die Lebensfreude unserer
Kinder mit Down-Syndrom illustrieren.
Finanzielle Tipps haben wir nicht
mit aufgenommen. Wir bereiten derzeit
jedoch zum Thema Finanzen Informationen vor, die dann dem Sonderheft
beigelegt oder auch einzeln angefordert
werden können.
Die neue Sonderausgabe hat 72 Seiten, ist schöner und noch informativer!
Bestellungen beim Deutschen DownSyndrom InfoCenter.
Sprechstunden:
nach Vereinbarung
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
3
AKTUELLES
Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“
A
usgezeichnet, sehr interessant. So
etwas müssen sie überall zeigen!
Rundherum positiv waren die Reaktionen der Ausstellungsbesucher.
Die Süddeutsche Zeitung kommentierte: „Die Ausstellung zeichnet anhand
von zahlreichen Texttafeln, Illustrationen und Büchern, Plakaten und Farbfotografien ein ausgesprochen lebendiges
Bild von der Geschichte, Verbreitung
und gesellschaftlichen Akzeptanz.“
Die Ausstellung zeigt in drei Bereichen geschichtliche und genetische Daten zum Down-Syndrom, macht deutlich, wie durch medizinische, therapeutische und integrative Maßnahmen die
Lebensqualität von Menschen mit DownSyndrom verbessert wurde und weiter
verbessert werden kann. Down-Syndrom hat viele Gesichter und das Problem ist nicht, wie der Mensch mit DownSyndrom aussieht, sondern wie er gesehen wird – auch das vermittelt die Ausstellung in einem eigenen Bereich, in
dem mit vielen Fotos u.a. Lebensläufe
von drei jungen Menschen mit DownSyndrom gezeigt werden.
Ein vierter Bereich ist der Arbeit der
Selbsthilfegruppe gewidmet.
Berührungsängste
Eine Ausstellung, die Einstellungen verändert! So
lautet der Titel eines Artikels über die Ausstellung
„Leben mit Down-Syndrom“ in der „Süddeutschen“.
Genau das wollten wir auch erreichen. Und
nachdem unsere Präsentation einen Monat lang in
der Erlanger Universitätsbibliothek zu sehen war,
können wir sagen, das haben wir geschafft. Wir
sind sicher, dass diejenigen, die sich hier informiert haben, Kindern mit Down-Syndrom anders
begegnen werden. Das schließen wir auch aus den
Bemerkungen und den vielen Gesprächen, die wir
während der Ausstellung mit den Besuchern
hatten.
4
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
„Seit zwei Wochen nehme ich mir vor,
reinzuschauen, ich habe mich stets nicht
getraut“, erzählt uns eine junge Studentin der Pharmazie. „Heute habe ich mir
ein Herz gefasst.“ Auf unsere verwunderte Nachfrage meinte die junge Frau,
sie habe extreme Berührungsängste bei
diesem Thema, warum, das wüsste sie
selbst nicht. Und dann geht sie von
Texttafel zu Texttafel, liest alles genau,
macht sich Notizen und stellt Fragen.
Fast zwei Stunden ist sie da, schaut sich
auch noch das Video an, und als sie
geht, bedankt sie sich herzlich: „Nun
war ich zwar nicht oben (in der Unibibliothek), habe hier heute aber mindestens genauso viel gelernt. Ich bin so
froh, dass ich gekommen bin!“
Und wo sollen die behindert sein?
Viele Erlanger Schulklassen besuchen
die Ausstellung aus allgemeinem Interesse und weil das Thema Behinderung
in den Lehrplänen verschiedener Schu-
AKTUELLES
len auftaucht. Dankbar greifen Lehrer
die Einladung auf, denn es ist kein Leichtes, Schüler über das Leben von und mit
behinderten Menschen aufzuklären.
Ausstellung und Video eignen sich prima für einen Einstieg in das Thema. In
der Schule wird noch tagelang immer
wieder darüber geredet. Eine Lehrerin
erzählte, dass eine Fünftklässerin zu ihr
sagte: „Ich weiß nicht, die Kinder sind
doch auch wie wir, warum sagt man, die
sind behindert, das ist kein schönes
Wort!“
Impressionen
Ein vierjähriges Mädchen zeigt auf eine
Puppe mit Down-Syndrom und fragt:
„Ist das eine chinesische Puppe?“ Warum glaubst du das? „Na ja, weil die
Augen so sind.“
Das Madonnenbild von Andrea
Mantegna, das wir in der Ausstellung
zeigen, hat viele Bewunderer und verursacht auch immer wieder einen AhaEffekt. Das gab es also damals auch
schon?
Die Grafiken mit den Zellteilungen,
mit dem Karyogramm und dem Chromosom 21 werden genauestens studiert
und mancher gibt zu, er hätte das alles
nicht gewusst.
Einige zieht es zu den alten Büchern
(Leihgaben der Unibibliothek), die wir
in einer Vitrine zeigen. Da kann man
u.a. den Text von Neumann lesen, der
1899 in der Berliner klinischen Wochenschrift veröffentlicht wurde. Oder
auch wie Benda 1962 einen Artikel
verfasst für The Lancet, in dem er sich
damals schon fragt: „Mongolisme or
Down’s-Syndrome?“ und klarlegt, wie
verkehrt der Name Mongolismus eigentlich ist.
Aus einer geschichtlichen Übersicht
über das Leben von Menschen mit DownSyndrom in Deutschland von 1920 bis
heute gewinnen die Besucher schnell
die Erkenntnis, dass die Lebenserwartung sich drastisch erhöht hat. (Es
herrscht immer noch das Klischee: „Die
leben doch nicht lang.“)
Texte und ein Foto von Dr. Down
bewirken hoffentlich, dass man sich nun
endlich den Namen Down-Syndrom
merken kann. Auch kann man nachlesen, was genau ein Syndrom ist.
Down-Syndrom gibt es überall auf
der Welt: Fotos u.a.von japanischen und
farbigen Kindern oder von einem
Südseemädchen zeigen das. Und natürlich gehören in diesen Bereich unsere
schönen Down-Syndrom-Poster aus anderen Ländern.
„Aber viel Arbeit ist es schon, ein
Kind mit Down-Syndrom großzuziehen“,
meinen einige Besucher, wenn man so
sieht, wie man da üben und fördern
muss. Stimmt, aber wenn das Kind dadurch Fortschritte macht, wird man für
die Mühe reichlich belohnt.
Dinge, die „man“ so über DownSyndrom weiß, die aber nicht so pauschal stimmen, können wir richtig stellen: „Sind es wirklich solch liebe, anhängliche Kinder? Sie sind doch alle
musikalisch, aber Lesen und Schreiben
können sie nicht lernen, oder?“
Man stellt erstaunt fest: „Die können
ja Ski fahren lernen und arbeiten manchmal in normalen Jobs? Wohnen sogar
schon selbständig? Das hätte ich nie
erwartet.“
Und wenn dann zwei junge Menschen die Ausstellung verlassen mit den
Worten: „Da versteht man eigentlich
gar nicht mehr, weshalb diese Kinder
abgetrieben werden“, dann weiß man,
dass die Botschaft angekommen ist.
Ausstellung zum Ausleihen
Nächste Station der Informationsschau
ist das Gesundheitsstudio in Nürnberg.
Die Ausstellung ist gegen eine Leihgebühr plus Transport- und Betreuungskosten bei der Selbsthilfegruppe auszuleihen. Informationen dazu im Deutschen Down-Syndrom InfoCenter.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
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AKTUELLES
10 Jahre Selbsthilfegruppe Erlangen
A
m 17. Oktober 1998 feierte die
Selbsthilfegruppe für Menschen
mit Down-Syndrom und ihre Freunde
e.V. ihr zehnjähriges Bestehen mit einem Festakt im Kollegienhaus der Universität Erlangen.
Prof. Gotthard Jasper, Rektor der
Friedrich-Alexander-Universität, und
Dr. Siegfried Balleis, Oberbürgermeister der Stadt Erlangen, lobten in ihren
Grußworten das große Engagement der
Erlanger Selbsthilfegruppe.
Anschließend referierte Prof. Dr.
Singer, Kardiologe der Universitätsklinik
Erlangen, über „Medizinische Aspekte
der Herzfehlerbehandlung bei Kindern
mit Down-Syndrom“. Er stellte u.a. Ergebnisse einiger neuer Studien, die an
der Universitätsklinik durchgeführt wurden, vor. In einer unserer nächsten Ausgaben werden wir über diese Studien
zur Herzfehlerbehandlung berichten.
Prof. Dr. Etta Wilken von der Universität Hannover ging in ihrem Vortrag
ein auf verschiedenste Aspekte der Integration bei Menschen mit Down-Syndrom. Ihr Referat finden Sie auf den
nächsten Seiten.
Prof. Dr. Werner Dittmann, der an
die Universität Rostock Sonderpädagogik lehrt, stellte mit seinem Referat
die Entwicklungsperspektiven bei Kindern mit Down-Syndrom in den Mittelpunkt. Auch er hat uns erfreulicherweise seinen Text für die Zeitschrift zur
Verfügung gestellt (siehe Seite 7).
Am Schluss des Vormittags fand die
feierliche Übergabe des Down-SyndromPreises statt. Frau Cora Halder konnte
den Preis in diesem Jahr an Dr. Wolfgang Storm aus Paderborn überreichen
(siehe Artikel auf dieser Seite).
Anschließend waren alle Gäste eingeladen zu einem kalten Buffet im Foyer
der Universitätsbibliothek und es bestand Gelegenheit, die Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“ zu besuchen.
6
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Übergabe des DownSyndrom-Preises an
Dr. Wolfgang Storm
Down-Syndrom-Preis an
Dr. Wolfgang Storm
Zum zweiten Male wurde der DownSyndrom-Preis, der von der Zeitschrift
Leben mit Down-Syndrom gestiftet wurde, überreicht, in diesem Jahr an Dr.
Wolfgang Storm, Leitender Arzt der Kinderklinik des St. Vincenz Krankenhauses in Paderborn und der Ambulanz zur
medizinischen Betreuung von Kindern
mit Down-Syndrom. Schon1985 hat diese DS-Ambulanz, eine einmalige Einrichtung in Deutschland, in Paderborn
ihre Arbeit aufgenommen. Modell dabei
standen die amerikanischen Preventive
Medicine Clinics.
Wolfgang Storm, selbst Vater eines
15-jährigen Sohnes mit Down-Syndrom,
brachte aus den USA auch die Idee der
speziellen Vorsorgeuntersuchungen für
Kinder, Jugendliche und Erwachsene
mit Down-Syndrom mit, bearbeitete diese und machte sie hier in Deutschland
Eltern und Ärzten zugänglich.
Als Autor vieler Artikel zu spezifischen Themen bezüglich des Down-Syndroms tat sich Dr. Storm hervor. Vor
allem in der Fachzeitschrift der Kinderarzt erschienen seine Aufsätze, in denen er u.a. auch immer wieder für das
uneingeschränkte Lebensrecht und eine
bessere Lebensqualität von Menschen
mit Down-Syndrom plädierte.
1995 erschien das Buch Das Down-Syndrom – medizinische Betreuung vom
Kindes- bis Erwachsenenalter in der
Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft,
ein Fachbuch für ärztliche Kollegen, in
dem Erkenntnisse der internationalen
Literatur, aus Vorträgen, Seminaren und
Kongressen wiedergegeben werden.
Aber auch persönliche Erfahrungen aus
Untersuchungen mit hunderten Patienten mit Down-Syndrom, die während
der letzten Jahre in die Ambulanz nach
Paderborn kamen, konnten einfließen.
Es ist erfreulich für viele Familien
und speziell natürlich für die Kinder
selbst, dass Dr. Storm bei alltäglichen
Problemen, wie z.B. Infektionen, auch
die Möglichkeit „alternativer“ Methoden in Erwägung zieht. In seinem neuen
Buch, das im Dezember 1998 erschienen ist, werden die Erfahrungen der
letzten Jahre bei dem Einsatz homöopathischer Medikamente beschrieben.
Für sein Engagement, bessere gesundheitliche Bedingungen für Menschen mit Down-Syndrom zu schaffen,
die eine wesentliche Voraussetzung für
eine bessere Lebensqualität bedeuten,
wurde Wolfgang Storm nun zum diesjährigen Träger des Down-SyndromPreises gewählt.
INTEGRATION
Entwicklungsperspektiven bei
Kindern mit Down-Syndrom
Werner Dittmann
Prof. Dr. Werner Dittmann zeichnete in seinem Vortrag
anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Selbsthilfegruppe Schritt für Schritt den Weg nach, den Menschen
mit Down-Syndrom und deren Eltern gehen mussten,
um den heutigen Standard zu erreichen.
Darüber hinaus zeigte er Perspektiven für die Zukunft
auf.
1. Einleitung
Vor 170 Jahren wurde der Pharmazeut
und Mediziner John Langdon Haydon
DOWN geboren. Nach ihm benennen
wir die Menschen, derentwegen Sie,
sehr verehrte Eltern, vor zehn Jahren
die Elternselbsthilfegruppe gründeten
und heute das zehnjährige Jubiläum
feiern. Zu diesem Jubiläum möchte ich
Ihnen ganz herzlich gratulieren.
Fast selbstverständlich nehmen wir
als Außenstehende, als professionelle
Anwälte von Menschen mit Down-Syndrom oder als unmittelbar betroffene
Eltern Ihre Leistungen und Ihre Aktivitäten für Menschen mit Down-Syndrom
und deren Familien dankbar in Anspruch. Diese Selbstverständlichkeit –
wobei dies im positiven Sinne gemeint
ist – konnte jedoch erst Platz greifen,
nachdem viele altvordere Generationen
von Menschen mit Down-Syndrom und
deren Eltern zwangsläufig einen widrigen und manchmal auch lebensbedrohenden Weg Schritt für Schritt gehen
mussten, um den heutigen Standard zu
erreichen und zu positiven Perspektiven für kommende Generationen zu
kommen.
Diese Entwicklungsgeschichte möchte ich zum einen bis zur Gegenwart in
groben Zügen, versuchen nachzuzeichnen und zum anderen daraus einige
zukünftige Entwicklungsperspektiven
ableiten.
2. Kurzer geschichtlicher Rückblick
2.1 Erster Paradigmawechsel:
Von der Pflege und Erziehung im
Heim zur Beschulung in Sonderschulen und zum Leben im familiären
Wohnumfeld (Serviceparadigma)
Langdon Down hat erstmals 1866 diese
besondere Gruppe von Menschen im
Asylum for Idiots at Earlswood in Surrey
(GB), einem Heim, in dem er über Jahre
wirkte, aus der Gesamtgruppe der
Oligophrenen und der Kretins abgehoben und differenziert charakterisiert
(wobei Sie mir bitte nachsehen mögen,
wenn ich weitere mögliche Erstbeschreiber, die jedoch ein anderes Zuordnungssystem zugrunde legten, nicht
erwähne).
Als Folge einer Fehlinterpretation,
die auf einer unkritischen Beobachtung
der inneren Augenlidfalte, der sog. Epikanthusfalte basierte, und auf dem Hintergrund des damaligen Standes der
Wissenschaft über die Vererbung, ordnete Down fälschlicherweise diese Menschen der mongolischen Population zu.
Für ihn war es daher naheliegend, diese
oligophrenen Menschen als mongoloide
Form der Idiotie zu charakterisieren.
Daraus entwickelte sich später der Gattungsbegriff „Mongolismus“ mit allen
jenen – wie wir heute wissen – vorwiegend negativen Zuschreibungen. Insbesondere wurde das uniforme homogene
Verhalten im kognitiven, sozialen und
emotionalen Bereich hervorgehoben
was in der Formulierung Homburgers
(1926) zum Ausdruck kommt: „Wer ei-
nen einzigen wohl ausgeprägten Fall
dieser Art gesehen hat, wird in Zukunft
die Diagnose auch in den weniger ausgeprägten Fällen auf den ersten Blick
stellen.“
Leider finden sich auch heute immer
noch an verschiedenen Orten und in
gesellschaftlichen Kreisen unüberlegte,
undifferenzierte Zuschreibungen und
pauschalierende Aussagen, die nicht
mehr dem aktuellen Kenntnisstand entsprechen und die daher nicht mehr zu
vertreten sind.
Wie wir heute wissen, waren es die
Strukturen der Heime, die Pflege und
die Betreuung der Menschen in diesen
Anstalten, die zwangsläufig zu solchen
homogenen Persönlichkeiten, zu einem
uniformen Verhalten mit begrenzten
kognitiven Leistungen, mit stereotypen
Bewegungsmustern, mit rigiden Kommunikationsformen führten. In der Folge ergaben sich negative Einstellungen
der Gesellschaft gegenüber diesen sog.
Mongoloiden.
Was besonders gravierend zählt, ist
die Tatsache, dass ihnen teilweise bis in
unsere jüngste Gegenwart hinein der
Stempel des „nicht voll Mensch geworden sein“ aufgedrückt wurde (Crookshank, Engler, Wunderlich e.a.)
Zwangssterilisationen, beginnend in
der „eugenic movement“ in den USA in
den 20er und 30er Jahren und die T-14Aktionen (Euthanasiemaßnahme) in der
NS-Zeit in Deutschland waren Folgen
dieser gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesse.
Die bedeutsame medizinisch-genetische
Entdeckung der dem Down-Syndrom
zugrunde liegenden Chromosomopathie
durch die Franzosen LeJeune, Gautier
und Turpin im Jahre 1959 führte zunächst nicht zu einer Veränderung der
homogenen Sicht bei den Interventionen gegenüber Menschen mit DownSyndrom. Eher wirkte sie noch verstärkend in diese Richtung, denn man glaubte ja den Beweis für das Gleichsein in
der chromosomalen Ausstattung gefunden zu haben.
Noch 1977 lesen wir bei Wunderlich
(S. 44), dass der „neue Phänotyp ...
unterschiedlich stark die intrafamiliäre
Verwandtschaft (verschleiert) und stattdessen zu einer verblüffenden extrafamiliären Ähnlichkeit aller mongoloiden Menschen führt, die auch über
konstitutionelle, kulturelle und rassi-
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
7
INTEGRATION
sche Schranken hinwegreicht“. Bei
Tolksdorf (1994, 14) finden wir in ihrem für Eltern geschriebenen Leitfaden
folgenden Satz: „Das Erscheinungsbild
des Morbus Down ... wird bestimmt
durch eine charakteristische Kombination unterschiedlicher Merkmale, die
zusammen mit dem Verhalten dieser in
ihrer geistigen Entwicklung gestörten
Menschen den Gesamtaspekt und Gesamteindruck ausmacht.“
Zu einer Änderung der Perspektive,
und damit zu einem ersten Paradigmawechsel führte glücklicherweise die von
Bank-Mikkelsen zur Diskussion gestellte praktische Philosophie der Normalisierung Ende der 50er und Anfang der
60er Jahre, die dann von Nirje und
Wolfensberger in den darauffolgenden
beiden Jahrzehnten spezifiziert und ausdifferenziert wurde.
Erstmals wurde mit dieser Normalisierungsidee Menschen mit einer geistigen Behinderung und so auch Menschen mit Down-Syndrom zuerkannt,
dass sie ein Recht auf eine Gestaltung
ihres eigenen Lebens haben und Fremdbestimmung so weit wie möglich zu
reduzieren ist. Zu diesem Anspruch gehört z.B. das Recht, den Tages-, Wochen- und Jahresablauf und die Partnerbeziehungen so gestalten zu können wie
du und ich, normal respektiert zu werden und entsprechende wirtschaftliche
Standards zur Verfügung zu haben.
Als logische Konsequenz aus der Forderung nach einer normalisierten Lebensführung resultierte dann das
Deinstitutionalisierungsprinzip. Dieses
Prinzip besagt, dass Menschen mit Behinderungen – wenn immer möglich –
außerhalb von geschlossenen Anstalten
und Heimen unterzubringen sind. Normalisierung und Deinstitutionalisierung
bedeuten folgerichtig auch, Menschen
mit Down-Syndrom in Schulen von wissenschaftlich qualifizierten Lehrern/innen unterrichten zu lassen.
Entsprechend den schulpädagogischen Vorstellungen über ein differenziert gegliedertes Schulsystem in den
60er Jahren und auf dem Hintergrund
von vorliegenden Erfahrungswerten aus
der Vergangenheit, aber auch aus anderen Ländern, wie z.B. den Niederlanden
und Skandinavien, lag es nahe, für Menschen mit geistiger Behinderung eigenständige Schulen, in relativer Isolation
und getrennt von anderen Schülern,
einzurichten. Die dahinter sich verber-
8
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
gende Absicht war bei diesem Konzept
damals durchaus berechtigt.
„Wenn man den Geistesschwachen
zur Gemeinschaft erziehen will, so muss
man ihn zuerst einmal aus der Gemeinschaft herausnehmen, in der er sich
befindet, herausnehmen insbesondere
aus der Normalschule. Erst wenn man
die Möglichkeit hat, sich ganz allein mit
ihm zu befassen und so weit unten anzufangen, wie dies für ihn nun einmal
notwendig ist, kann man ihn mit der
Zeit dazu bringen, dass er den Zugang
findet zu einem für ihn vorbereiteten
Platz in der Gemeinschaft. Gerade um
der Erziehung zur Gemeinschaft willen
ist Sonderschulung notwendig“ (MOOR
1969, 173).
Der Paradigmawechsel von der
Heim- und Anstaltsbetreuung zur Beschulung in öffentlichen Sonderschulen
mit einem eigenständigen Curriculum
wurde, kaum war er richtig etabliert,
kritisch hinterfragt und bald in Frage
gestellt, obwohl gerade dieser erste
Paradigmawechsel mit seinen spezifischen Serviceleistungen für die Menschen mit geistiger Behinderung in den
70er Jahren zentral dafür verantwortlich zeichnete, auch Menschen mit
Down-Syndrom zu einer grundlegenden Verbesserung ihrer aktuellen und
zukünftigen Lebensführungsmöglichkeiten zu erziehen.
Gerade die Sonderschulen und die
Maßnahmen der Frühintervention waren es, die dank ihrer systematischen
Förderung mit speziell abgestimmten
Programmen belegen konnten, welche
Kompetenzen sich bei Menschen mit
Down-Syndrom entwickeln lassen.
Für mich sind daher die Frühfördereinrichtungen und die Sonderschulen
jene Wegbereiter für die heute feststellbaren Kompetenzen bei Menschen mit
Down-Syndrom, die zu einer substanziellen Verbesserung ihrer Lebensqualität beitrugen. Daher haben sowohl die
behinderten Menschen als auch deren
Eltern diesen Institutionen viel zu verdanken. Wir haben u.a. den Mitarbeitern/innen in diesen Einrichtungen Respekt zu zollen für die dort nach wie vor
geleistete Arbeit und für die Sensibilisierung von Politikern, von Repräsentanten der öffentlichen Verwaltungen
und von weiten Teilen der Bevölkerung
gegenüber den Problemen, die Menschen mit Down-Syndrom und deren
Familien haben.
2.2 Zweiter Paradigmawechsel:
Von der Beschulung in Sonderschulen zur Forderung nach
Integration
Der zweite sich abzeichnende Paradigmawechsel lässt sich mit dem Ende der
70er Jahre aus der Neuen Welt zu uns
auf den alten Kontinent herübergetragenen Gedankengut des Public Law
PL 94 – 142 festmachen.
Ausgangspunkt dieses „public law“
waren primär nicht die Menschen mit
Behinderungen, sondern politische Forderungen nach Antidiskrimination von
Minoritäten in Schulen in den USA.
Engagierte Eltern von Kindern mit Behinderungen schlossen sich dieser Antidiskriminationsbewegung an und forderten ebenfalls für ihre Kinder die
Beschulung im „mainstream“ (Hauptstrom) der allgemeinen Beschulung und
damit in der sog. „least restrictive environment“, d.h. in der am wenigsten
begrenzenden Umgebung.
„Mainstreaming“ wurde und wird
dabei oft fälschlicherweise gleichgesetzt
mit einer automatisch zu erfolgenden
Integration in das allgemeinbildende
Schulwesen. Die Inhalte des PL 94 – 142
zielen aber in eine etwas andere Richtung. Es soll dem Menschen mit einer
Behinderung und damit auch dem Menschen mit Down-Syndrom eine individuell zugeschnittene Beschulungskonzeption zur Optimierung seiner persönlichen Qualitäten in der für ihn jeweils
am wenigsten begrenzenden Umgebung
angeboten werden.
Mit diesem Public Law war endgültig der Durchbruch gelungen, Menschen
mit Down-Syndrom inter- und intraindividuell heterogen zu betrachten und
sie auf diesem Hintergrund nicht mehr
aus gesellschaftlichen Bezügen auszugrenzen. Sie werden nun als Individuen
mit ihren Stärken und Schwächen, mit
Kompetenzen und mit Fähigkeiten bewertet, für die jeweils ein individuelles
Erziehungs- und Förderprogramm (IEP)
zu formulieren ist. Dieses Public Law PL
94 – 142 war für viele Eltern in Deutschland der Ausgangspunkt, dafür einzutreten, dass ihr Kind nicht mehr in Sonderschulen unterrichtet wird, sondern
an einem Curriculum in der allgemeinen Regelschule partizipiert.
Deshalb wird heute – als neues Extrem im Vergleich zur Institutionalisierung – von manchen Eltern und von
INTEGRATION
manchen Professionellen die Auflösung
der Sonderschulen gefordert, mit dem
Argument, die Schule zur individuellen
Lebensbewältigung habe sich als Sackgasse der Entwicklung mit einem „dead
end“, wie die Amerikaner ihre Sackgassen bezeichnen, erwiesen.
2.3 Dritter Paradigmawechsel:
Von der Forderung nach Integration
zur Idee der „Full Inclusion“ und
zum „Support-Konzept“
Aber auch diese Konzeption ist schon
wieder unter einer Vorbehaltsklausel
zu sehen, wenn wir erneut den Blick
über den Atlantik wagen.
Für die Gesamtentwicklung von Menschen mit Down-Syndrom, wie wir es
heute sehen, ist weniger von Bedeutung, sich für die eine oder andere formale Örtlichkeit der Beschulung zu entscheiden, seien dies nun Sonderklassen
oder Regelklassen. Es ist vielmehr von
Bedeutung, ihre Gesamtentwicklung und
insbesondere ihre Entwicklung von
Lernkompetenzen zur Bewältigung von
Alltagshandlungen in der Kommune
(Beveridge 1996) zu fördern und sie auf
eine aktuelle und zukünftige, so weit
wie möglich unabhängige, Lebensführung vorzubereiten. Schulen, ob Sonder- oder sog. Regelschulen, werden für
Menschen mit Down-Syndrom nach diesem Paradigma erst dann zu qualitativ
bedeutsamen Orten, wenn es diesen gelingt, ihre Förderintentionen so auf die
speziellen und umfassenden Lernbedürfnisse der Menschen mit Down- Syndrom in der Lebenspraxis abzustimmen, dass Lebensrealität erfolgreich und
so weit wie möglich selbst bestimmt
gelebt werden kann.
Solche und ähnliche Überlegungen
waren dann auch entscheidend, dass es
zum dritten Paradigmawechsel kam,
nämlich zur Forderung nach einer full
inclusion und der damit einhergehenden support-Forderung.
Das aktuelle Paradigma der full
inclusion und des supports bedeutet,
dass Menschen mit Down-Syndrom voll,
d.h. in ihrem gesamten Lebensvollzug
in dem für sie bedeutsamen Lebensumfeld der Kommune und in das Sozialsystem einzubinden sind. Unabhängig
von ihren Fähigkeiten haben sie ein
Recht wie alle Menschen, in den gleichen Lebensräumen zu leben.
Die zentrale Frage orientiert sich al-
Prof. Dr. Werner Dittmann
so heute und in der Zukunft daran,
welche Aufgaben unsere Mitbürger und
Mitbürgerinnen mit Down-Syndrom in
unserer Gesellschaft zu bewältigen haben und welche Fähigkeiten wir hierfür
gemeinsam entwickeln können.
Full inclusion und supports bedeuten, dass beim Prozess des Erwerbs von
Fähigkeiten und Kompetenzen in den
bestehenden Handlungsfeldern folgerichtig nicht mehr nach den individuellen Defiziten und Behinderungsschweregraden, wie dies in der Vergangenheit
der Fall war, gefragt wird. Vielmehr ist
in Erfahrung zu bringen, welche Unterstützungen (supports) dem Einzelnen
bei der Bewältigung von Aufgaben und
Handlungsfunktionen zukommen müssen, welche technischen Hilfsmittel zu
gewähren und welche sozialen und praktischen Arrangements zu organisieren
sind, um ein erfolgreiches und so weit
wie möglich autonomes, selbst bestimmtes Leben in der Kommune, in der
Wohnung, am Arbeitsplatz, im Freizeitbereich oder in der Partnerschaft zu
führen.
Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Down-Syndrom brauchen daher
in den verschiedenen Lebensaltersabschnitten kompetente Eltern, Frühberater/innen, Kindergärtner/innen,
Lehrer/innen, Lebensbegleiter/innen,
Lebens- und Job-Coaches, die als Assistenten fungieren. Diese übernehmen
die Funktion der Aufbereitung der für
den Menschen mit Down-Syndrom rele-
vanten Aufgaben an den jeweils lebensbedeutsamen Lernorten, dort, wo diese
Leistungen auch in der Realität eingefordert werden und nicht in irgend welchen künstlichen Örtlichkeiten.
Zu dieser Aufbereitung gehört folgerichtig auch, die elementaren Fähigkeiten der Menschen mit Down-Syndrom,
wie z.B. ihre Gedächtnisleistungen, ihre
Transfer- und Lernleistungen zu analysieren.
Dieser Entwicklungsansatz, als
Elementarisierung beschrieben, ist,
ebenso wie die nachfolgend aufzuzeigenden Konzepte, von grundlegender
Bedeutung für die Optimierung der individuellen Leistungsfähigkeit. Aus Zeitgründen muss ich mir jedoch Überlegungen zu dieser Elementarisierung versagen.
Entwicklungsperspektiven
Wie lässt sich dieses anspruchsvolle Ziel
der full inclusion und der supports erreichen? Auf drei Inhaltsbereiche möchte ich eingehen, die meiner Meinung
nach zukünftig für eine förderliche Entwicklung von Menschen mit Down-Syndrom von Bedeutung sein werden.
Diese beziehen sich
1. auf die unmittelbar betroffenen
Menschen mit Down-Syndrom selbst
2. auf die mittelbar Betroffenen, die
Eltern und die in die Erziehung
involvierten Fachkräfte/Assistenten
und
3. auf die Gesellschaft.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
9
INTEGRATION
3. 1. Inhaltsbereich: Menschen mit
Down-Syndrom
Um „full included“ und selbst bestimmt
leben zu können, sind möglichst vielfältige Handlungen, Fähigkeiten und Funktionen eigenständig zu erwerben, denn
Selbstbestimmung ist eine Grundlage
menschlichen Wohlbefindens.
Deshalb hat dieser Lernprozess der
Selbstbestimmung und damit die Eigenentscheidung schon im frühen Kindergartenalter einzusetzen. Bereits hier ist
den Kindern in pädagogisch verantworteten Verhaltenskorridoren die Chance
zu bieten, sich für die eine oder andere
Alternative zu entscheiden. So ist es in
diesem Lebensalter bereits notwendig,
in kleinen Einheiten Selbstbestimmung
zu erlernen.
Im Schulalter, insbesondere im späteren Schulalter ist dann das von Falvey
et al. (1997, 145 ff.) aufbereitete Konzept der MAPs (Making Action Plans)
besonders geeignet, Menschen mit
Down-Syndrom Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Bei diesem Konzept werden Menschen mit Down-Syndrom selbst, ihre
Familien und andere Personen in die
aktuellen und zukünftigen Planungen
aktiv eingebunden. Die Menschen mit
Down-Syndrom entwickeln ihre Vorstellungen über ihre Gegenwart und Zukunft, sie artikulieren ihre Bedürfnisse
und Wünsche. Alle Beteiligten wirken
bei der Entwicklung des kollektiven
Plans mit, um so so weit wie möglich
den Vorstellungen der Menschen mit
Down Syndrom unter Beachtung der
sozio-kulturellen Realitäten zu entsprechen. Menschen mit Down-Syndrom gestalten mit ihren Kompetenzen also beim
MAPs-Konzept ihre Lebensplanung
selbst mit. Sie übernehmen eine aktive
Rolle, bringen ihre eigene Verantwortung ein und artikulieren ihre Ziele, ob
es um Freizeit, um Wohnen oder um
partnerschaftliche Beziehungen geht.
Wünschenswert ist, dass sie dann als
Erwachsene so weit wie möglich ein
Leben führen können, das nur bedingt
einer Unterstützung von außen bedarf.
MAPs sind, so meine ich, hervorragende Zugangswege, um jedem einzelnen
Menschen mit Down-Syndrom selbstgestaltete Lebensplanungen zu eröffnen.
Dieses Konzept kommt, wie erst jetzt
wieder Burack et. al. (1998) feststellen,
den Menschen mit Down-Syndrom nahe,
denn gerade im Bereich der Sozialkompetenz entwickeln sie höhere Qualifikationen. Um jedoch Missverständnissen
bei diesem Programm vorzubeugen,
möchte ich darauf hinweisen, dass auch
bei Menschen mit Down-Syndrom eine
große Bandbreite an Leistungsfähigkeiten vorliegt. So gibt es Menschen mit
Down-Syndrom mit nur wenig Bedarf
an Außenunterstützung, aber auch Menschen mit Down-Syndrom mit einem
durchgehenden hohen Unterstützungsbedarf. Somit sind Selbstbestimmungsmöglichkeiten und Planungen über
MAPs sehr unterschiedlich, je nach Individuum zu realisieren.
3. 2. Inhaltsbereich: Die mittelbar
Betroffenen
Um dieses Selbstbestimmungskonzept
anbieten zu können, bedarf es kompetenter, verständnisvoller Bezugspersonen. Verständnisvolle Bezugspersonen,
seien dies Eltern oder Professionelle,
ergeben sich nicht kraft Amtes oder
kraft einer Rollenzuschreibung, sondern
es sind vielmehr solche Kompetenzen
aufzubauen und auszudifferenzieren.
Dies ist auch der Hintergrund, dass die
neuen, aktuellen Ansätze innerhalb der
Frühförderung sich verstärkt primär den
Eltern zuwenden. Ziel ist dabei, Eltern
so früh wie möglich in eine stressent-
lastete Begegnung mit ihrem Kind zu
führen. Nach übereinstimmenden Forschungsresultaten scheint dies erforderlich, denn die Geburt eines Kindes
mit Down-Syndrom ist nach wie vor ein
nicht normatives, sondern ein erwartungskonträres Ereignis, und in der
Regel nicht antizipierbar. Intrafamiliäre
Stress-Situationen verändern die Familienhomöostase und blockieren oder
begrenzen die „natürlichen“ zwischenmenschlichen Zugangswege der Eltern
zum Kind mit Down-Syndrom.
Eltern benötigen deshalb gesellschaftliche, professionelle, familiäremotionale und gegebenenfalls auch
materielle Unterstützungen (supports),
um mit ihrer neuen unerwarteten und
irreversiblen Lebenssituation sich auseinander setzen zu können. Je früher es
daher gelingt, Eltern zum Aufbau von
Copingstrategien (Bewältigungsstrategien) zu führen, um so eher sind sie
auch in der Lage, ihrem Kind die notwendigen strukturierten Entwicklungsstimuli zum Aufbau von Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu bieten und sie
auf dem Weg zur full inclusion zu begleiten.
Hier haben Sie, sehr verehrte Gründungsmitglieder der Elternselbsthilfegruppe, insgesamt einen wesentlichen
Beitrag für viele Eltern geleistet. In dieser Selbsthilfegruppe haben Eltern die
Möglichkeit, in anderer Art zu kommunizieren als mit Professionellen. Dies
dürfte mit zu einer emotionalen Stabilisierung beitragen.
Nicht nur Eltern haben solche Erziehungs- und Entwicklungsperspektiven zu antizipieren, sondern auch die
Erzieher, Lehrer, Job- und LebensCoaches, kurz alle jene Verantwortlichen, die Menschen mit Down-Syndrom
auf dem Weg zur vollen Einbindung (full
inclusion) in die Gesellschaft begleiten.
Reale Lebenssituation II
Fähigkeiten III
outcomes I
Umgebungsbedingungen
(capabilities)
(functioning)
(environment)
Verarbeitungsprozess
erwünschtes, erwartetes
kulturelle Determinanten
Problem erkennen,
soziales Verhalten zur
Medien, Örtlichkeiten
Beziehungen erfassen
Bewältigung von Aufgaben
Strukturen kombinieren
10
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
INTEGRATION
Sie haben auf ihrem Erfahrungshintergrund Anregungen zu geben, Alternativen aufzuzeigen, Abwägungen zu veranlassen, damit die vom Menschen mit
Down-Syndrom getroffenen Entscheidungen auch in eine positive Umsetzung einmünden können. Die Assistenten haben, wie ich die Gruppe der
Professionellen unter einem Sammelbegriff zusammenfassen darf, drei spezielle Aufgaben, wie sich dies aus dem
nachfolgenden Schaubild ergibt:
(I): Die Assistenten brauchen konzeptionelle Kompetenzen, um langfristig
den zukünftigen Bildungskorridor zu
strukturieren und zu organisieren. Sie
haben festzulegen, welche Leistungserwartungen und Funktionen, welche
„outcomes“ aktuell und langfristig erforderlich sind, um so weit wie möglich
autonom innerhalb unseres gesellschaftlichen Ganzen leben zu können.
(II): Die Assistenten haben die realen
Lebenssituationen, die Umgebungsbedingungen (environment) und die Handlungen, die zur aktuellen Lebensbewältigung erforderlich sind, zu analysieren, sei dies im Familien-, Wohnoder Arbeitsbereich.
(III): Die Gruppe der Assistenten hat die
Menschen mit Down-Syndrom differenziert zu beobachten, bezüglich kognitiver oder motorischer Kompetenzen, sozialer oder kommunikativer aufzubereiten.
Aus der Interdependenz dieser drei
Bereiche ergeben sich dann folgerichtig
die Maßnahmen zur Gestaltung der
supports – wie dies in den jüngsten
Ausführungen der American Association
on Mental Retardation AAMR (1992)
niedergelegt ist:
Environment
(Umgebungsbedingungen)
Capabilities
(Fähigkeiten)
Interaktion
functioning
(outcomes)
Supports
3. 3 Inhaltsbereich: Die
Gesellschaft
Um Menschen wirklich an jenen realen
Orten lernen lassen zu können, wo sie
später leben, müssen zukünftig weitere
positive Veränderungen der gesellschaftlichen Einstellungen erfolgen, um zu
einer noch höheren Akzeptanz von Menschen mit Down-Syndrom zu kommen.
Menschen mit Down-Syndrom dürfen
nicht mehr länger ein ausgegrenzter
Teil der Gesellschaft sein. Es darf für sie
keine negative Mittelpunktstellung mehr
geben, die durch Angst, Neugier, Ablehnung, Schuldzuweisung charakterisiert
ist. Menschen mit Down-Syndrom brauchen vielmehr die soziale Unterstützung
in der Gesellschaft. Dies ist nur möglich,
wenn die Mitglieder der Gesellschaft
sich noch mehr für die Probleme von
Menschen in Randpositionen öffnen und
das Verschiedensein als einen normalen Teil des gesellschaftlichen Ganzen
ansehen.
4. Zusammenfassung
Abschließend darf ich die wesentlichen
Ergebnisse kurz zusammenfassen.
Ich versuchte, Ihnen drei Paradigmawechsel in der Erziehung und Bildung
von Menschen mit Down-Syndrom im
historischen Abriß zu skizzieren.
Beim Durchschreiten von verschiedenen Stufen, vom Institutionsparadigma über das Serviceparadigma bis zum
full-inclusion-Paradigma konnten zunehmend verbesserte Möglichkeiten an
Ausdifferenzierung und Entwicklung
von Kompetenzen bei Menschen mit
Down-Syndrom aufgezeigt werden.
Um diese Entwicklung fortführen zu
können, sind den Menschen mit DownSyndrom Selbstbestimmungsmöglichkeiten anzubieten, beginnend nach der
Geburt und im frühen Kindergartenalter über das Konzept der MAPs im
Schulalter bis zum Wohnen und Leben
außerhalb der Familie in eigenständigen Wohneinheiten im Erwachsenenalter.
Wir, ob als Professionelle oder als
Eltern, haben die uns anvertrauten Menschen auf diesem Weg zu begleiten und
zu befähigen, um ihre Kompetenzen
auszudifferenzieren. Hierfür haben wir
uns zunächst selbst zu qualifizieren, um
damit den Boden zu bereiten, unserem
Gegenüber die verantwortete Offenheit
zur Selbstbestimmung und Autonomie
zu gewähren.
Kompetenzen tragen zur Anerkennung
der Menschen mit Down-Syndrom in
unserer Gesellschaft bei, derer jeder
Mensch, ob behindert oder nicht behindert, lebenslang bedarf. Vorhandene
Kompetenzen eröffnen gleichzeitig auch
Entfaltungsfreiräume, in denen der Einzelne weitgehend autonom sich einbringen und darin agieren kann.
Dieses Ziel ist aus meiner Perspektive für Menschen mit Down-Syndrom
zukünftig noch konsequenter auszudifferenzieren und damit als eine Entwicklungsaufgabe für die kommenden Jahre
zu sehen.
Literatur
BEIRNE-SMITH, M. et al. (Eds): Mental
Retardation. New Jersey 1998
BEVERIDGE, M.: School integration for
Down’s syndrome children: Policies, problems
and processes. In: Rondal, J. A. et al.
(Eds): Down’s Syndrome. Psychological,
Psychobiological and Socio-Educational
Perspectives. London 1996, 207-218
BURACK, et al. (Eds): Handbook of Mental
Retardation. Cambridge 1998
DITTMANN, W.: Vom »Mongolismus« zu
Menschen mit »Down«-Syndrom.
In: Klöpfer, S. (Hrsg.).Sonderpädagogik
praktisch. Reutlingen 1997, 173-185
FALVEY, M. et al.: Inclusive Educational
Schooling. In: Pueschel, S. M. & Sustrová, M.
(Eds): Adolescents with Down Syndrome. Baltimore, London 1997, 145-160
HOMBURGER, A.: Vorlesungen über die
Psychopathologie des Kindesalters. 9.
Vorlesung. Berlin 1926
MOOR, P.: Heilpädagogik. Bern,
Stuttgart 1969
TOLKSDORF, M.: Das Down-Syndrom.
Ein Leitfaden für Eltern.
Stuttgart, Jena, N.Y. 1994
WUNDERLICH, C.: Das mongoloide Kind.
Stuttgart 1977
Anschrift:
Prof. Dr. Werner Dittmann
Universität Rostock
Institut für Sonder- und Heilpädagogik
August-Bebel-Straße 28
18051 Rostock
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
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INTEGRATION
Integration von Menschen
mit Down-Syndrom
Etta Wilken
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre
Freunde am 17. Oktober 1998 in der Universität in
Erlangen hielt Frau Prof. Etta Wilken folgenden Vortrag,
in dem sie auf Integrationsmöglichkeiten von Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen eingeht und darauf
hinweist, dass auch die betroffenen Familien nicht das
Gefühl bekommen, ausgegrenzt zu sein.
Z
um zehnjährigen Jubiläum der
Selbsthilfegruppe für Menschen mit
Down-Syndrom und ihre Freunde – und
zu den Freunden gehören ja alle hier
Anwesenden – möchte ich ganz herzlich gratulieren und mich für die Einladung bedanken.
Wenn ich heute über Integrationsmöglichkeiten sprechen soll, beziehe
ich mich dabei auf ein Ziel, das die
Arbeit der Selbsthilfegruppe von Beginn an geprägt und ihre regionale Arbeit sowie ihre überregionalen Aktionen und Publikationen wesentlich bestimmt hat.
Das bezieht sich auf die Unterstützung neu betroffener Familien, damit
Eltern sich nicht allein gelassen fühlen,
bezieht sich auf Hinweise über frühe
Fördermöglichkeiten der Kinder mit
Down-Syndrom, damit diese ihr individuelles Entwicklungspotential optimal
entfalten können, auf Informationen
über Möglichkeiten der integrativen Förderung im Kindergarten und in der Schule, zunehmend auch auf den Arbeits-,
Freizeit- und Wohnbereich. Ganz wesentlich dabei ist auch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit.
Kann man dem überhaupt noch etwas hinzufügen? Ist nicht mittlerweile
hinreichend bekannt, wie Integration
zu erfolgen hat, was dazu nötig ist,
blockiert nicht allein der in fast allen
Bundesländern bestehende finanzielle
Vorbehalt eine weitere Entwicklung?
So neu Integration auch in manchen Bundesländern ist – in Bayern hat
12
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
der Landtag erst im Mai dieses Jahres
beschlossen, das Prinzip der Lernzielgleichheit aufzugeben und damit das
gemeinsame Lernen unterschiedlich
befähigter Kinder zu ermöglichen – liegen doch vielfältige Erfahrungen aus
den Ländern vor, die seit 15 und mehr
Jahren integrativen Unterricht haben.
Auch die Erkenntnisse aus dem Ausland können weitere wichtige Informationen geben. Darüber hinaus ist es interessant, die Berichte von Kindern aus
Integrationsklassen zur Kenntnis zu
nehmen und die Erfahrungen von jungen Erwachsenen, die eine solche Schulzeit erlebt haben. Integration kann
durchaus nur eine organisatorische
Maßnahme sein, ohne dass der Einzelne sich integriert fühlt, andererseits kann
innerhalb besonderer Gruppen Zugehörigkeit erfahren werden, was subjektiv als Integriertsein erlebt wird. Erst
unter Berücksichtigung der jeweiligen
individuellen Bedürfnisse kann gesagt
werden, wie und unter welchen Bedingungen Integration für das einzelne Kind
am günstigsten zu gestalten ist. Der zunehmend inflationäre Gebrauch des
Integrationsbegriffs macht eine differenzierte Beschreibung nötig, was jeweils darunter verstanden wird.
Inclusion statt Integration
In der neueren Diskussion spricht man
deshalb zunehmend von Teilnahme bzw.
inclusion statt von Integration, um deutlich zu machen, dass es nicht um eine
spezielle Maßnahme der Eingliederung
zuvor ausgesonderter Menschen geht,
z.B. nur um die institutionelle Förderung im Regelsystem von Kindergarten
und Schule, sondern um eine prozessuale differenzierte Beschreibung, was
in verschiedenem Lebensalter und unter verschiedenen Lebensbedingungen
individuell Einbeziehung bzw. inclusion
bedeutet.
Teilnahme hat einen subjektiven
Aspekt – jemand, der an einer bestimmten Aktivität teilnehmen möchte, einen
sozialen Aspekt – die anderen Teilnehmer, die diese Einbeziehung ermöglichen, und einen objektiven Aspekt – das
Gemeinsame, das diese Gruppe miteinander verbindet. Denn natürlich will
niemand von uns immer und überall
einbezogen sein. Teilnahme ist interessengeleitet und zielorientiert.
Integration in dieser erweiterten Bedeutung soll deshalb bezogen werden
auf eine den Lebenslauf begleitende,
systemisch orientierte Hilfe, die nach
dem Prinzip der Normalisierung, der
Selbstbestimmung und des Empowerment für Menschen mit Down-Syndrom
die individuell mögliche und sinnvolle
Teilnahme an altersgemäßen Erfahrungen, sozialen Kontakten und normalen
Lebensformen unterstützt. Das soll an
einigen Bereichen aufgezeigt werden.
Gefühl von Ausgegrenztsein, schon
direkt nach der Geburt
Nach der Geburt eines Kindes mit DownSyndrom empfinden viele Eltern
schmerzlich, dass sie ausgeschlossen
sind von der normalen Freude, Eltern
eines Kindes geworden zu sein. Glückwünsche werden meistens vorenthalten und können oft auch schwer akzeptiert werden. In dem Film „So wie du
bist“, der von der Selbsthilfegruppe erstellt worden ist, beschreibt eine Mutter
das Ausgegrenztsein auf der Entbindungsstation als eine traumatische Erfahrung. Sie sagt: „Alle haben ihre Kinder (ins Wöchnerinnenzimmer) gebracht
bekommen – nur ich nicht, ich stand
allein da.“ In ähnlicher Weise wird von
vielen Eltern beschrieben, dass die erste Phase nach der Geburt ihres Kindes
mit DS geprägt war vom Gefühl der
Trauer, der Ohnmacht und der Isolierung. Angemessene Erstinformation
durch entsprechende Fortbildung der
Fachleute, durch angebotene Beratung
von gleich betroffenen Eltern oder über
schriftliche Informationen bedeuten ge-
INTEGRATION
rade in dieser schwierigen ersten Zeit
für die Eltern wichtige Hilfen zu ihrer
eigenen Integration. (In der letzten Woche bewerteten in einem Seminar für
Eltern, die in den vergangenen beiden
Jahren ein Baby mit Down-Syndrom
bekommen haben, von den 31 Eltern 20
die ihnen gegebene Erstinformation als
positiv. Das ist gegenüber der Situation
noch vor einigen Jahren ein erfreulicher Fortschritt.)
Eltern sind auf die ihnen plötzlich
durch die Geburt eines Kindes mit DownSyndrom zufallende Aufgabe nicht vorbereitet. Vielfältige Fragen und Sorgen
beschäftigen sie und erst allmählich
gelingt eine Neuorientierung, die dann
vielleicht auch ermöglicht, das Leben
mit dem behinderten Kind nicht nur als
eine besondere Aufgabe zu sehen, sondern durchaus auch als eine Bereicherung. Damit eine solche Neubewertung
und Neuorientierung möglich wird, ist
es wichtig, die Familie zu unterstützen.
Hilfen für Familien
Jede Familie ist anders und muss für
sich einen Weg finden, wie sie die nötigen Veränderungen in ihren Lebensalltag einbezieht, und sie braucht Hilfen, wie sie unter den erschwerten Bedingungen das Zusammenleben gestalten kann. Im sozialen Umfeld müssen
deshalb Maßnahmen ergriffen werden,
die dazu führen, dass Familien mit einem behinderten Kind sich nicht ausgegrenzt, sondern einbezogen erleben. Eltern, die sich ausgeschlossen fühlen von
normalen familiären Aktivitäten, die
durch die besonderen Aufgaben bei fehlender Unterstützung oft tatsächlich
nicht an normalen Lebens- und Freizeitgestaltungen teilnehmen können,
wird es schwer fallen, ihr Kind zu integrieren und altersentsprechende Angebote für Babys und Kleinkinder wahrzunehmen. Integration beginnt deshalb
mit der Einbeziehung der Familien in
die normalen Alltags- und Festtagsaktivitäten in der Verwandtschaft, im
Freundeskreis, in der Nachbarschaft und
in der Gemeinde.
Integration im Frühbereich bezieht
sich aber auch auf den Umgang mit dem
Kind in der Familie. Wenn Eltern akzeptieren, dass ihr Kind seine besondere Entwicklung nimmt, können sie seine
individuellen Möglichkeiten viel besser
erkennen und unterstützen. Frühförderung und frühe Therapien werden
Prof. Dr. Etta Wilken
dadurch frei von Leistungsdruck sowohl
für das Kind wie für die Eltern. Das Ziel
von Hilfen ist dann nicht mehr eine
Anpassung an normale Entwicklung mit
allen zur Verfügung stehenden Mitteln
und Maßnahmen, sondern die Gestaltung von kind- und familiengemäßen
Bedingungen für eine optimale Förderung. Alltagsintegrierte Hilfen ermöglichen dem Kind, den Bedeutungsbezug
seines Handelns und die eigenen Kompetenzen zu erfahren und zu erweitern.
Die Effektivität von Frühfördermaßnahmen beruht – wie wir heute wissen
– ganz wesentlich darauf, inwieweit sie
helfen, zur Normalisierung der kindlichen Lebenssituation beizutragen und
normorientierte Therapiedominanz zu
vermeiden. Damit wird auch deutlich,
dass eine Integration des kleinen Kindes sich sowohl auf die Eltern bezieht,
die sich aufgenommen fühlen mit ihrer
besonderen Aufgabe, als auch auf das
Kind, das sich angenommen erlebt und
das Therapie alltagsintegriert erfährt
und nicht als isolierende Maßnahme.
Being different and joining in –
Integration von Vorschulkindern
Die meisten Kinder gehen etwa im Alter
von drei bis vier Jahren in einen Kindergarten. Auch für Kinder mit Down-Syndrom wird in diesem Alter die Erfahrung wichtig, mit anderen zusammen
zu spielen und sich als Mitglied einer
Gruppe zu erleben. Allerdings wird in
diesem Alter auch zunehmend deutlich,
wie unterschiedlich sich Kinder mit
Down-Syndrom entwickeln und entsprechend haben sie einen unterschiedlichen individuellen Förderbedarf. Es ist
darum für das einzelne Kind zu überlegen, welche institutionellen und personellen Bedingungen nötig sind, damit es
wirklich Mitglied in seiner Gruppe ist
und sich integriert fühlt. Deshalb ist zu
beschreiben, was für das jeweilige Kind
die am wenigsten einschränkende Umgebung (LRE: Least Restrictive Environment) bedeutet. Es sollte dagegen nicht
Ziel sein, alle Kinder mit Down-Syndrom einfach in bestehende Regelkindergärten zu integrieren und einseitige Anpassungsleistungen allein vom
Kind zu erwarten. Auch wenn im Einzelfall eine solche Eingliederung sinnvoll und erfolgreich sein kann, ist langfristig doch zu bedenken, welche Veränderungen zur Einbeziehung von Kindern mit Behinderung im Kindergarten
nötig sind, um stärker beeinträchtigte
Kinder mit Down-Syndrom nicht von
vornherein vom gemeinsamen Spielen
und Lernen auszuschließen, weil sie
diese erwarteten Anpassungsleistungen
nicht erbringen können. Andererseits
dürfen sich die geforderten besonderen
Bedingungen nicht zu eng an optimalen
Standards orientieren, die so hoch angesetzt sind, dass dann aus finanziellen
Gründen eine gewünschte Integration
nicht möglich wird. Auch sollten wir,
trotz bestehender spezieller Förderbedürfnisse, nicht vor allem die Beein-
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
13
INTEGRATION
Integration im
Kindergarten
trächtigungen betonen, sondern eher
auf die Gemeinsamkeiten von behinderten und nicht behinderten Kindern
sehen, auf Interessen und Bedürfnisse,
die für das Kindergartenalter typisch
sind. Gerade das Kind mit Down-Syndrom erfährt durch die verschiedenen
Aktivitäten in der Gruppe, durch das
gemeinsame Spielen und Lernen vielfältige Anregungen. Das Vorbild der
anderen Kinder kann im sozialen Bereich und in der Selbständigkeit die
Kompetenzen des Kindes erweitern und
auch das Bewegungsverhalten der anderen Kinder motiviert zum Nachmachen und Mitmachen. Besonders für die
sprachliche Entwicklung wirken sich
viele typische Kindergartenspiele und
die normale Kommunikation mit den
anderen Kindern günstig aus. Allerdings
werden dabei auch immer wieder die
Unterschiede deutlich. „Being different
and joining in“ bedeutet auch, Verschiedenheit zu akzeptieren und nicht zu
verdrängen. Das verlangt Offenheit gegenüber Fragen und Anmerkungen der
Kinder, wenn sie sich mit Behinderung
auseinander setzen. Es ist deshalb sinnvoll, sich zu überlegen, wie man auf
einige typische Fragen antworten will.
Dazu gehört auch die Überlegung, ob
wir Kindergartenkindern schon den
Begriff Down-Syndrom vermitteln wollen.
Ich denke schon, denn damit können
14
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
wir ihnen besser als mit ungenauen
Bezeichnungen bestimmte Auffälligkeiten erklären. So wollten z.B. in einem
Kindergarten die anderen Kinder wissen, warum Jonas so eine große Zunge
hat. Gefragt wurde auch, warum Meike
so schlecht spricht. In einem Kindergarten wurde festgestellt, dass Christine
ein bisschen so aussieht wie ein chinesisches Mädchen in der Gruppe. Auch
einige Kinder mit Down-Syndrom beginnen in diesem Alter, sich mit ihrem
Aussehen zu beschäftigen. So zeigte ein
Junge auf das Poster „Down-Syndrom
hat viele Gesichter“ und tippte auf alle
blonden Kinder ohne Brille und sagte:
„Martin, Martin, noch mehr Martin.“
Sollte man ihm dann nicht sagen: „Ja,
toll, dass du das siehst! Das sind alles
Kinder mit Down-Syndrom, genau wie du!“
Integration im Vorschulalter ist nicht
auf die institutionelle Förderung zu beschränken, sondern hat das Ziel, Kindern mit Down-Syndrom altersgemäße
Erfahrungen zu ermöglichen in der Familie, in der Nachbarschaft, bei zufälligen Begegnungen in Geschäften, im Bus,
auf dem Spielplatz und unter Berücksichtigung der individuellen besonderen Bedürfnisse im Kindergarten. Dazu
gehört auch auf der Grundlage einer
liebevollen Akzeptanz ihrer Persönlichkeit angemessene Unterstützung bei beginnender Auseinandersetzung mit einzelnen Merkmalen des Down-Syndroms.
Integration ist mehr als Anpassung,
mehr als „just fitting in“
Für die schulische Integration behinderter Schüler wird zunehmend die
Bedeutung einer kindorientierten Erziehung und Bildung im Gegensatz zu
einer systemorientierten Klassifizierung
bei bestehendem sonderpädagogischem
Förderbedarf betont.
Im Helios-II-Bericht der Europäischen Gemeinschaft wird gefordert, dass
Integration in der Schule mehr sein muss
als Anpassung, nicht nur „just fitting
in“, und dass es nötig ist, die individuellen Unterschiede zu respektieren und
so nicht nur eine soziale Akzeptanz zu
ermöglichen, sondern die maximale
Entwicklung des individuellen Potentials. Dafür wird eine flexible Annäherung von spezieller Pädagogik, kooperativen und unterstützenden Maßnahmen bis zu voller Eingliederung (inclusion) für wichtig erachtet.
In der Salamanca-Resolution der
Unesco (1994) wurde von 92 Repräsentanten nationaler Regierungen u.a. festgestellt, „– dass jedes Kind einzigartige
Merkmale, Interessen, Fähigkeiten und
Lernbedürfnisse hat, – dass das Erziehungssystem so gestaltet werden sollte,
dass es die große Reichweite dieser Unterschiede und Bedürfnisse berücksichtigt, – dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen Zugang zu allgemeinen Schulen haben müssen, die im Rahmen einer
INTEGRATION
kindzentrierten Pädagogik diese besonderen Bedürfnisse erfüllen müssen.“
Integration als Sparmodell ist nicht
der richtige Weg
Integration behinderter Menschen war
immer ein Ziel der Sonderpädagogik,
jetzt wird aber betont, dass durch entsprechend gestaltete und erfahrene Gemeinsamkeit Integration von Anfang an
gelebt werden soll. Als erforderliche Bedingungen auf diesem Weg ist eine Pädagogik in der allgemeinen Schule zu
fordern, die gemeinsames und zieldifferentes Lernen ermöglicht und so
die individuellen Förderbedürfnisse
behinderter und nicht behinderter Kinder berücksichtigt. Wenn in Niedersachsen – wie nach einer Erklärung aus dem
Kultusministerium vom Mittwoch dieser Woche (14.10.98) – die schulische
Integration zügig weiter ausgebaut werden soll, ist dies eine notwendige politische Vorgabe. Damit aber Integration
wirklich gelingt, sind die nötigen, vor
allem personellen Bedingungen zu schaffen (d.h. nicht unbedingt die optimalen,
aber Integration als Sparmodell gefährdet die erforderlichen sonderpädagogischen Hilfen und kann dann sogar
„beweisen“, wie problematisch Integrationsmaßnahmen sind). Zudem sollten Pädagogen in den Regelschulen un-
terstützt werden, um die erforderlichen
Veränderungen der pädagogischen Arbeit auch leisten zu können.
Kinder mit Down-Syndrom im Schulalter zeigen eine große heterogene Lernund Leistungsfähigkeit, die eine individuelle und nicht primär syndromspezifische Entscheidung über die geeignete Schulform nötig macht. Auch
mögliche zusätzliche Beeinträchtigungen wie Schwerhörigkeit oder bestimmte gesundheitliche oder orthopädische
Probleme und der sich daraus ergebende spezielle Förderbedarf sind dabei zu
berücksichtigen und können eine Aufnahme in eine entsprechende Sonderschule begründen. Für manche Kinder
mit Down-Syndrom kann bei entsprechend günstiger Gesamtentwicklung die
Förder- bzw. Lernbehindertenschule
eine durchaus geeignete Schulform sein.
Selbst bei spezifischer zusätzlicher
Förderbedürftigkeit und abweichender
Lernfähigkeit können für ein Kind mit
Down-Syndrom auch an diesen Schulen
durchaus geeignete Bedingungen geschaffen werden. So besucht ein Mädchen mit Down-Syndrom jetzt die 2.
Klasse einer Schule für Lernhilfe mit
insgesamt acht Schülern. Das Mädchen
erhält im gemeinsamen Unterricht fünf
Stunden spezielle Unterstützung durch
eine Heilpädagogin. Unter diesen Be-
dingungen kann sie ihren Fähigkeiten
entsprechend in dieser für sie am wenigsten einschränkenden Umgebung gemeinsam mit anderen Kindern lernen.
Als eine wichtige Voraussetzung für
eine integrative Förderung werden im
Helios-Bericht die Beschreibung der individuellen Förderbedürfnisse und die
erforderlichen besonderen Bedingungen angesehen. Aus dem individuellen
Entwicklungsplan (I.E.P.) wird dann der
individuelle Erziehungsweg (I.E.R.
Individualized Educational Route) abgeleitet. Diese an den individuellen Fähigkeiten orientierte Förderung ist aber
nicht an Integrationsklassen oder an eine
andere bestimmte Schulform gebunden.
Viele Kinder mit Down-Syndrom
besuchen eine Sonderschule für geistig
Behinderte. Eltern können auch diese
Schule für ihr Kind akzeptieren, wenn
dort alle Kinder differenzierte Lernangebote erhalten, die sich an ihren individuellen Fähigkeiten orientieren und
in einem entsprechenden individualisierten Curriculum deutlich werden –
und wenn nicht eine vorwiegende Ausrichtung an sog. lebenspraktischen Tätigkeiten erfolgt. Kinder mit Down-Syndrom können dann auch in Sonderschulen sich optimal entfalten, wirkliche Freundschaft erleben und sich in
ihrer Gruppe integriert fühlen.
Integration
in der Schule
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
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INTEGRATION
Folgenden Brief schrieb eine Mitschülerin einem erkrankten Mädchen mit
Down-Syndrom:
Liebe Martina,
jeden Tag warte ich, bist du im Bus?
Schade, wieder nicht. Noch immer
krank. Komm bloß bald wieder. Alle
vermissen dich. Du fehlst mir. Gute Gesundheit.
Deine Leonie
Wenn schon keine Integration,
wenigstens Kooperation anstreben
In der pädagogischen Arbeit ist gerade
für Schulen zur individuellen Lebensbewältigung wichtig, durch Partnerschaften mit Regelschulen, durch gemeinsame Projekte und durch Kooperation gemeinsames Lernen und gemeinsame Erfahrungen von behinderten und
nicht behinderten Kindern zu unterstützen und weiter zu entwickeln. Vielfältige interessante Projekte machen
Mut, auch diesen Weg zu mehr Integration mitzubedenken.
Neben diesen verschiedenen gestuften Angeboten zur Förderung von Gemeinsamkeit zwischen Schülern verschiedener Schulformen kommt besonders dem integrativen Unterricht Bedeutung zu. Erforderlich ist dafür nicht
nur ein spezielles pädagogisches Konzept, sondern es sind auch die personellen und sachlichen Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Integration ohne
hinreichende Ausstattung birgt die Gefahr, dass Kinder mit Down-Syndrom
zwar aufgenommen werden, aber nicht
die nötigen individuellen Hilfen erhalten, um zieldifferent, aber auch gemeinsam mit den anderen Kindern lernen zu
können und sich integriert zu fühlen.
(Wenn einer Integrationsklasse nur zwei
Stunden sonderpädagogischer Förderung für einen Jungen mit Down-Syndrom zur Verfügung gestellt werden, ist
das eindeutig zu wenig!)
Gemeinsamkeit und individuelle
Verschiedenheit
Grundlage der pädagogischen Arbeit in
Integrationsklassen ist aber nicht die
Betonung der nötigen abweichenden
Lernbedingungen, sondern die Gestaltung gemeinsamer Lernsituationen für
alle Kinder. Ausgehend von einer allgemeinen basalen Pädagogik, die ein kindgemäßes Lernen in heterogenen Gruppen ermöglicht, können auch die individuell nötigen Hilfen für die behinderten
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Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Integration
in der Freizeit
Kinder einbezogen werden. Durch eine
entsprechende Strukturierung der individuellen und allgemeinen Lerninhalte
und Lernziele kann auf die aktuellen
Interessen der Schüler sowie auf ihre
jeweiligen Lernstände und Leistungsmöglichkeiten eingegangen werden. Die
für Kinder mit Down-Syndrom wichtigen besonderen Lernziele im kognitiven, sozialen und sprachlichen Bereich
sind so im gemeinsamen Lernen projektintegriert zu realisieren.
Das Ziel dieser Pädagogik ist jedoch
nicht eine oberflächliche Anpassung der
behinderten Schüler an unreflektierte
Standards der Regelpädagogik. Vielmehr sollen Schüler trotz unterschiedlicher Lernfähigkeiten ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend gemeinsam lernen. Dabei sollen die Leistungen
des einzelnen Schülers in ihrer subjektiven Bedeutsamkeit und nicht klassennormbezogen gesehen und gewertet
werden. Das ermöglicht Kindern mit
Down-Syndrom, auch bei abweichender Leistung sich als gleichwertig zu
erleben.
So freut sich Jelena in der letzten
Ausgabe der Zeitschrift Leben mit DownSyndrom über ihre Klasse und schreibt:
„Die Kinder haben erzählt, dass es schön
ist, mit mir zu leben. Ich hab mich sehr
gefreut, als ich das zu hören bekam. Ich
war ein bisschen gerührt, weil alle so
nette Sachen über mich gesagt haben.
Danach habe ich erklärt, was DownSyndrom ist.“
Dagegen empört sich der 14-jährige
Tobias: „Immer mach ich was anderes,
im Rechnen, im Schreiben, im Lesen.
Englisch mach ich auch nicht mehr mit.
Sport macht auch keinen Spaß mehr.
Mir stinkt das. Mir stinkt das DownSyndrom.“
Integrativer Unterricht bedeutet eine
pädagogisch konsequente Akzeptanz
sowohl von individueller Verschiedenheit als auch von kindgemäßen Gemeinsamkeiten. Der so gestaltete gemeinsame Unterricht kann sich dann sehr positiv für die Entwicklung von Kindern
mit Down-Syndrom auswirken. Die natürlichen Kommunikationssituationen
in gemeinsamen Handlungen, im Gesprächskreis, in den Projekten und das
gute sprachliche Vorbild bieten den Kindern vielfältige Anregungen. Auch werden ihnen in diesem Unterricht vielfältige Themen angeboten, z.B. aus Politik,
Geschichte, Religion, Biologie, die ihnen in der Sonderschule oft nicht zugetraut werden, überhaupt zu verstehen.
INTEGRATION
Enorme Streubreite in der
Leistungsfähigkeit
Gerade in Integrationsklassen wird aber
auch die große Heterogenität in der
Lern- und Leistungsfähigkeit von Kindern mit Down-Syndrom sehr deutlich.
Eine erste Auswertung unserer Erhebung zu aktuellen Leistungen von Kindern mit Down-Syndrom im Schulalter
ergibt, dass die Entwicklung sich insgesamt günstiger darstellt als vor 20 Jahren und dass bei einigen Kindern früher
nicht für möglich erachtete Fähigkeiten
festgestellt werden konnten. Aber auch
die Streubreite innerhalb der Gruppe
hat zugenommen. Einige Kinder mit
Down-Syndrom weisen erhebliche zusätzliche Beeinträchtigungen auf und
sind dadurch in ihrer Entwicklung sehr
eingeschränkt, andere dagegen sind gesund und können ihre Fähigkeiten optimal entfalten. Es zeigte sich auch, dass
herausragende Leistungen nicht so sehr
von der Schulform, sondern von adäquaten pädagogischen Angeboten abhängig waren. Trotzdem wurden beeindruckende Einzelleistungen häufiger bei
integrativer Beschulung beschrieben.
Offenbar entsprechen die differenzierte
Förderung und das anregungsreiche
Lernklima in Integrationsklassen besonders gut den intra- und interindividuellen
Leistungsunterschieden von Kindern mit
Down-Syndrom.
Integration in der Freizeit
Integration darf aber nicht verengt werden auf den schulischen Bereich. Gerade in der Freizeit, in Jugend- und Sportgruppen sind Möglichkeiten für gemeinsame Erfahrungen zu ermöglichen. Vor
einer Woche erlebte ich in der Schwimmhalle eine Gruppe sechs- bis neunjähriger Kinder, die, nachdem sie ihr Seepferdchen gemacht hatten, nun einen
Aufbaukurs besuchten. Darunter war
auch ein ca. achtjähriger Junge mit
Down-Syndrom. Alle Kinder sollten zuerst zwei Bahnen schwimmen. Als dann
die ersten Schwimmer dem Jungen bereits entgegenkamen, kehrte er um und
kam so im Mittelfeld im Ziel an. Ein Kind
protestierte, aber ein anderes antwortete darauf: „Der darf das. Der ist behindert. Being different and joining in –
auch das kann Integration sein.
den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Lebensformen zu ermöglichen,
die ihren individuellen Interessen und
Fähigkeiten entsprechen. Welche Arbeit geeignet ist und welche Veränderungen und personellen und sächlichen
Unterstützungen erforderlich sind, welche Wohnform für den Einzelnen richtig ist, wie die Freizeitgestaltung gefördert werden kann, ist individuell und
nicht mehr primär syndromspezifisch
zu beantworten. Aber all das sind wichtige Fragen, die geklärt werden müssen, um den Einzelnen zu befähigen,
ein möglichst selbstbestimmtes Leben
führen zu können. Integration ist dann
nicht eine bestimmte Maßnahme, sondern bedeutet Teilhabe an altersgemäßen Aktivitäten und Lebensformen.
Wenn eine junge Frau mit Down-Syndrom in einem Brief berichtet, dass sie
jetzt jeden Tag früh zu ihrer Arbeit in
einer Großküche fährt, erzählt, wie sie
mit ihrem Freund sich trifft, ihre Freizeit mit ihm verbringt, manchmal mit
ihm zum Tanzen in die Werkstatt fährt
oder auch ins Theater geht, dann ist das
eine Lebensgestaltung, die ihren Fähigkeiten und Interessen entspricht. Das
ist für mich dann Integration, Teilhabe
an altersgemäßen Lebensformen.
Wenn Akzeptanz gespürt wird und
eigene Kompetenzen erlebt werden, können Erwachsene mit Down-Syndrom
sich integriert fühlen und Mitglied in
der Gemeinschaft sein. Dazu kann dann
auch gehören, zu einem Vortrag zu gehen und sich Gedanken über das Gehörte zu machen. Dies ist dazu ein schönes
Beispiel:
Eine schöne Geschichte über China
und Buddha
Mutti und ich waren in der alten Försterei gewesen und haben beide gemeinsam interessant zugehört. Und der schöne Saal in der alten Försterei war auch
sehr voll und es ging bis halb zwölf Uhr.
Und der Buddha regierte das ganze
Land und wurde von der Bevölkerung
angebetet und man kann es auch glauben oder nicht. Und die Bevölkerung
sieht bei ihren schönen Gesichtern und
ihren Schlitzaugen sehr schön gelb wie
die schöne Sonne oder wie der Mond
und die Sterne aus.
Ich sehe zwar auch nicht gerade
gelb aus und dafür habe ich die schönen
Schlitzaugen und ich bin aber kein Buddha. Buddhismus ist die Lehre und er
war auch ein Pfarrer und er predigte
auch seinen Leuten seine Moral.
Und er ruhte in sich und so ähnlich
wie ich und das ist auch gut.
Eine Geschichte von Hermine Fraas, einer 42-jährigen Frau mit Down-Syndrom.
Wir sind in den letzten Jahren auf
diesem Weg ein großes Stück voran
gekommen. Die Erlanger Selbsthilfegruppe hat dazu wesentlich beigetragen. Für den weiteren Weg zu noch
mehr Integration wünsche ich viel Kraft,
Durchsetzungsvermögen und Glück bei
der Realisierung neuer Ideen und Projekte.
Etta Wilken ist Professorin
für Sonderpädagogik an der
Universität Hannover
Integration
am Arbeitsplatz
Leben wie ein Erwachsener
Mit zunehmendem Alter wird es nötig,
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
17
INTEGRATION
„Stell dich in die Mitte”
Roland Weiß
Seit 1996 ist der 3. Dezember der „Internationale Tag
der Behinderten“. Es ist ein Versuch, in einer Gesellschaft, die sich vor allem im Arbeitsleben und in der
Werbung am schönen, gesunden, leistungsstarken
Körper und Geist orientiert, das Augenmerk auf jene
Menschen zu richten, die gerade durch diese gesellschaftliche Fixierung bedroht sind, in Vergessenheit zu
geraten. Es ist auch eine Warnung, einem falschen
gesellschaftlichen Ideal zu huldigen.
Selbstverständlich bietet dieser Tag auch die
Möglichkeit, allen zu danken, die Menschen mit
Behinderungen in kirchlichen und öffentlichen
Einrichtungen begleiten oder ihnen im privaten Leben
menschenwürdig und respektvoll begegnen.
Dieser Tag muss vor allem Ansporn sein, die vielfach
schon begonnenen Integrations- und Kooperationsbemühungen von Menschen mit und ohne Behinderungen tatkräftig fortzuführen.
Roland Weiß unterrichtet katholische Religion an einer Schule
zur individuellen Lernförderung
in München und an einer Förderschule für sehbehinderte Schülerinnen und Schüler in Unterschleißheim.
Darüber hinaus arbeitet er als
Honorarkraft im Referat Sonderpädagogik des Deutschen Katecheten-Vereins e.V. München.
18
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
S
tell dich in die Mitte! So lautet
die Aufforderung Jesu in der Synagoge von Kapharnaum. Möglicherweise von der Mehrheit der Synagogenbesucher unbemerkt, sitzt ein Mann in
der Menge. Er kommt der Aufforderung
nach und erhebt sich. Alle, die ihn noch
nicht wahrgenommen haben, sehen ihn
jetzt. Er tritt heraus und steht jetzt in
der Mitte, wird der Mittelpunkt des
gottesdienstlichen Geschehens, der ursprünglich die Heilige Schrift ist. „Strecke deine Hand aus!“ Spätestens jetzt
erfassen alle die Situation des Mannes.
Er hat eine kranke Hand. Ungeachtet
des Sabbatgebotes heilt Jesus diesen
Mann am Sabbat, in der Synagoge, vor
den Augen derer, die danach den
Beschluss fassen, ihn zu töten. Die Fragen nach Apophthegmata (Wundergeschichte als Aufhänger für Jesusaussagen) oder eigentlicher Wundergeschichte, nach Durchbrechung von
Naturgesetzen oder Nachweis für die
angebrochene Heilszeit, diese und andere theologische Fragestellungen sollen an dieser Stelle außer Acht gelassen
werden.
Das Bild allein wirkt: „Stell dich in
die Mitte!“ Mit dieser Mitte ist mehr
gemeint als nur eine Ortsbezeichnung!
Jesus stellt den Mann in seine Mitte, und
damit nicht nur in die Mitte des gottesdienstlichen Geschehens, sondern in die
Mitte Gottes selbst. Mit dieser Geste
wird das Uranliegen Jesu, ja das Uranliegen Gottes aufgedeckt. Es ist eine
zeichenhafte Verdeutlichung dessen,
was Jesus in der vorausgegangenen
Szene gesagt hat, dass der Sabbat für
den Menschen da sei, und nicht umgekehrt! Wer ist dieser Mensch, der da
aufgefordert wird? Er hat eine „gelähmte“, in anderen Übersetzungen heißt es
eine „verdorrte“ Hand. Es ist ein Mensch,
der eine Hand nicht benutzen kann und
mit dieser Behinderung leben muss. Es
ist ein Mensch mit einer Behinderung.
Inspirieren statt fixieren
Es gibt zahlreiche Bilder, in denen Jesus den „Riss im Dasein von Menschen“
(Fischer) wahrnimmt und Konsequenzen für sein und unser Handeln daraus
zieht. Kann uns dieses Bild in unserem
Umgang mit den Menschen mit Behinderungen inspirieren? Dieses Bild kann
ein provokativer Anstoß, ein treibender
und schmerzender Stachel für unser
INTEGRATION
gemeinde- und religionspädagogisches
sowie pastoraltheologisches Handeln
sein, weil wir häufig darauf fixiert sind,
die angesprochene Minderheit möglichst
frühzeitig in Sonderbereiche einzuteilen und ihnen eigene Lebens- und Arbeitsfelder zu schaffen, in denen wir sie
aufgehoben wissen, sie aber gleichzeitig damit unserem Alltagsbewusstsein
entziehen, weil wir selbst im Umgang
mit diesen Menschen oftmals unsicher
sind und als Noch-nicht-Behinderte
durch sie mit der Möglichkeit eigener
Behinderung konfrontiert werden.
Sehen statt übersehen
Im Alltagsbewusstsein sind Menschen
mit Behinderungen so gut wie nicht
vorhanden – vielfach auch nicht im Bereich unserer Pfarrgemeinden. In manchen Fällen gerade dort am wenigsten.
Die Erstkommunion in der Pfarrei ist
nur für Kinder, die nicht aus dem gewohnten und üblichen Rahmen fallen.
Die Firmung wird in der Pfarrei nur den
Jugendlichen gespendet, die auf die
Haupt-, die Realschule oder das Gymnasium gehen. Schülerinnen und Schüler, die „individuelle Lernförderung“ erhalten, werden häufig nicht für die Firmung erfasst, da sie auf eine Förderbzw. Sonderschule gehen, die meist nicht
im Bereich der eigenen Pfarrgemeinde
liegt. Schülerinnen und Schüler, die auf
eine Förderschule für „individuelle Lebensgestaltung“ gehen, die sog. geistig
behinderten Jugendlichen, werden
ebenfalls eigens gefirmt. Begründet wird
dies mit einem gesonderten und auf
diese Menschen hin orientierten Eingehen. Das ist sicherlich gut gemeint, hat
aber auch einen Haken. Die Menschen
werden aus unserem Alltagsgeschehen
herausgehoben und somit auch aus
unserem Alltagsbewusstsein.
Ist es zumutbar, bei der Erstkommunionfeier in der Gemeinde beispielsweise einem Kind die heilige Eucharistie in Breiform mit einem Löffel zu
reichen? Wir mögen zustimmen oder
ablehnen. Wir mögen mit der Unzumutbarkeit für die anderen Erstkommunionkinder oder für die Gemeinde
oder mit der Unzumutbarkeit dem betroffenen Kind und seinen Eltern gegenüber argumentieren oder mit dem Argument des Zurschaustellens von Leid
eine solche Kommunionspendung innerhalb des Gemeindegottesdienstes
ablehnen. Wie verhält es sich aber dann
mit der in der Taufe begonnenen Eingliederung in die kirchliche Gemeinschaft? Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen sieht man
in der eigenen Pfarrei nicht. Und weil
man sie nicht sieht, existieren sie nicht.
Trugschluss! Man sieht sie nicht, weil
man ihnen eigene Lebens-, Lern-,
Arbeits- und Wohnbereiche und häufig
auch Glaubens-, Bet- und Sakramentenbereiche geschaffen hat. Sie tauchen
in den Behindertenheimen oder -werkstätten auf, aber kaum in unserem Gottesdienst und Gemeindeleben. Sie leben
am Rande der Pfarrei und werden dort
speziell versorgt.
Kommunikation statt Isolation
Wenn diesen Menschen, die in speziellen Einrichtungen leben, „kein Zugang
zu Gottesdiensten und Festen einer Gemeinde ermöglicht wird“, so der Beschluss „Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich“ der
Würzburger Synode, „unterbleiben
wichtige Kontakte, durch die Isolation
möglichst natürlich überwunden werden könnte“. (Bildungsbereich 3.) Die
Gefahr der Isolation von Menschen mit
Behinderungen ist immer gegeben, und
ihr müssen wir entgegentreten. Wer
ihnen einen Zugang ermöglichen will,
darf sich heute nicht mehr in passiven
Äußerungen („Wir sind offen“, „Behinderte können jederzeit zu uns kommen“,
„Behinderte haben die Möglichkeit bei
uns ...“) erschöpfen. Wir müssen aktiv
auf sie zugehen, sie ansprechen und
auffordern: „Komm!“, „Komm zu uns!“,
„Komm in unsere Mitte!“
In unseren Pfarrgemeinden gibt es
unzählige Sachausschüsse, die sich bestimmten Bereichen widmen: Jugend,
Erwachsenenbildung, Liturgie, Kranke,
Neuzugezogene, etc. Wie steht es mit
einem Sachausschuss für Menschen mit
Behinderungen? Gerade hier könnten
Menschen dazu beitragen, das „gut gemeinte fürsorgliche Oben aufzugeben
und in ein Miteinander einzutreten“
(Kriechbaum), die Isolation von Menschen mit Behinderungen vielleicht nicht
gerade aufzuheben, aber doch zumindest zu überbrücken, diese Menschen
nicht als „Objekte kirchlicher Mildtätigkeit“ zu sehen, sondern als „Glieder
einer Gemeinde mit Platz und Funktion
im Gottesdienst und in den Aktivitäten
einer Gemeinde“. (Bildungsbereich 3.1)
Warum gibt es solche Sachausschüsse
nicht bzw. so selten? Gibt es scheinbar
oder tatsächlich keine Menschen mit
Behinderungen in der eigenen Pfarrei?
Oder sind es zu wenige, sodass sich der
Einsatz nicht lohnt?
Gerade in der momentanen Wirtschaftslage scheint auch die Kirche in
der Gefahr zu stehen, ihre schwächsten
Glieder zu übersehen. Bleibt zu hoffen,
dass die Aussage der Würzburger Synode – trotz kritischer Finanzlage der
Kirche – noch Gültigkeit besitzt, wenn
damals gesagt wurde, dass schon Überlegungen, ob personelle, institutionelle
und finanzielle Aufwendungen für Menschen mit Behinderungen lohnend seien, dem christlichen Verständnis vom
Menschen widersprächen. (Bildungsbereich 3.)
Hin und wieder sehen wir Menschen
mit Behinderungen und erinnern uns.
Aber in den meisten Fällen stehen sie
häufig am Rande oder gar außerhalb
unseres Blickfeldes, am Rande unseres
Alltagsgeschehens und damit am Rande
unseres Alltagsbewusstseins. Und gerade das ist das Gefährlichste. Wenn diese
Menschen aus unserem Bewusstsein
verschwinden, dann werden wir ihnen
gegenüber taub, blind, stumm und lahm.
Reflexion statt Stigmatisation
Manchmal werden Versuche unternommen, Menschen mit Behinderungen in
unser Bewusststein zu rücken: Woche
für das Leben, Paralympics oder Internationaler Tag der Behinderten. Gut,
dass es so etwas gibt – und gleichzeitig
bedauernswert. Im Grunde ist es erbärmlich, dass solche Tage oder Veranstaltungen überhaupt notwendig sind.
Es ist ein Armutszeugnis, dass immer
noch der Blick für Menschen mit Behinderungen geschärft werden muss. Es
beginnt schon bei der Formulierung:
Behinderte – behinderte Menschen –
Menschen mit Behinderungen! Worin
liegt da der Unterschied? In den ersten
beiden Fällen steht die Behinderung im
Vordergrund; im letzteren ausdrücklich
der Mensch! Der Mensch, der etwas
weniger gut oder unter Umständen etwas gar nicht kann, was ich kann, der
aber gegebenenfalls auch etwas besser
kann.
Sehr schnell geraten Menschen in
die Aussagegewalt von anderen Menschen, die nicht sehen, was ist, sondern
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
19
INTEGRATION
die sehen, was nicht ist. Aber: Menschen mit Behinderungen sind keine
defizitären Mängelwesen! Und dennoch:
Irgend wie wird der Unterschied, die
„wahrgenommene Differenz“ (Fischer)
immer herausgehoben.
„Mein Sohn“, „ein Jugendlicher“,
„Schülerinnen und Schüler“ – so redet
man auf der einen Seite. Auf der anderen Seite heißt es: „Mein behinderter
Sohn“! „Ein behinderter Jugendlicher“!
„Behinderte Schülerinnen und Schüler“!
Der Mensch mit Behinderung wird oft
aufgrund seiner und über seine Behinderung definiert und vielfach dadurch
mit einem Stigma gegenüber Menschen
ohne Behinderung versehen. Niemand
käme auf den Gedanken, „mein nicht
behinderter Sohn“ zu sagen, ganz einfach deshalb, weil Menschen ohne Behinderung – meist völlig unreflektiert –
als Norm gesehen und kurzerhand als
„normale Menschen“ bezeichnet werden.
Andrea, in die Mitte gestellt –
Erstkommunion in der Pfarrgemeinde
Toleranz statt Normierung
Norm kommt aus dem Lateinischen und
bedeutet Richtschnur. Wofür? Die äußerliche Makellosigkeit, die uns beispielsweise tagtäglich in der Werbung
und in den Schönheitsmagazinen unterschwellig als Richtschnur, als Norm
vor Augen gestellt wird, tut den Versuchen, Menschen mit Behinderungen als
ebenbürtige und „normale“ Menschen
zu betrachten, einen enormen Abbruch.
Aber nicht nur ihnen, sondern jedem
Menschen, der dieser Norm und eben
dieser äußerlichen Makellosigkeit nicht
entspricht. Wir mögen weit entfernt sein
(oder auch nicht), von einer Behinderungsart getroffen zu werden, krankheitsbedingter Haarausfall, eine Hautkrankheit oder eine entstellende Unfallnarbe im Gesicht können auch uns stigmatisieren, uns aus der Norm und der
Normalität werfen und uns exponieren.
Auf der einen Seite sehen wir Behinderung als „Inbegriff des Schweren und
des Leides schlechthin, auf der anderen
Seite kennen wir Momente der Verharmlosung, Neutralisierung und Überhöhung“ (Fischer). Bedauern oder Bewundern hilft nicht, weder denen, über
die wir reden, noch uns selbst. Was
letzten Endes gefragt ist, lässt sich ganz
einfach formulieren: Toleranz! Menschen zuzulassen – auch gedanklich,
die sich durch irgend etwas von mir
20
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
oder von einer scheinbar allgemein gültigen Norm unterscheiden. Das kann
eine Behinderungsart sein, es genügt
aber oft auch schon die Kleidung, die
Sprache, der Haarschnitt.
Normalisierung statt Abgrenzung
Menschen mit Behinderung (aber auch
Menschen, die anders sind als wir) als
ebenbürtige und gleichwertige Menschen zu sehen, kann nur gelingen, wenn
wir es schaffen, uns frei zu machen von
apodiktischen, eindeutigen, unmissverständlichen, normativen Vorstellungen
und dogmatischen Normierungen und
einem Ego-Zentrismus, der nur die
„wahrgenommene Differenz“ erkennt.
Wenn man schon von Norm spricht,
dann sollte man von der „Normalisierung der Menschen mit Behinderungen“ sprechen, die sich darin äußert,
dass wir sie als alltägliche Gegebenheit
neben unzähligen anderen alltäglichen
Gegebenheiten betrachten. Es genügt
nicht, sie zum Mittelpunkt sozialer und
karitativer Einrichtungen und Betreuung zu machen, sondern sie in unsere
Mitte zu stellen, auch in die Mitte unseres gottesdienstlichen Geschehens, und
sie hereinzuholen in unser Gemeinde-
leben. Sie müssen mit und unter uns
leben, und „Glieder einer Gemeinde mit
Platz und Funktion im Gottesdienst und
in den Aktivitäten einer Gemeinde“ sein!
Hilfsmittel in öffentlichen Einrichtungen und im Straßenverkehr sind notwendig und undiskutiert einzurichten,
aber der schwierigste Weg wird doch
der bleiben, die eigenen Normen und
Normvorstellung zu hinterfragen und
seine eigenen Grenzen zu Menschen
mit Behinderungen in einem mühevollen Prozess fließend und transparent
werden zu lassen, sodass Grenzüberschreitungen leichter möglich werden,
denn eine Grenze wird es in den meisten Fällen immer geben.
BÜCHER
Das neue Buch von Wolfgang Storm:
„Homöopathische Behandlung von
behinderten Kindern am Beispiel des
Down-Syndroms“
Barbara Oberwalleney
Homöopathische Behandlung von
behinderten Kindern am Beispiel
des Down-Syndroms
Autor: Wolfgang Storm
Verlag: Sonntag Verlag
ISBN 3-87758-175-7
Preis: 48,00 DM
Dr. med Wolfgang Storm ist leitender
Arzt in der Kinderklinik des St.-VincenzKrankenhauses in Paderborn, der eine
Down-Syndrom-Ambulanz angegliedert
ist (siehe auch Seite 6).
Schon der Titel des neuen Buches von
Wolfgang Storm macht neugierig – der
Inhalt des mit schönen Fotos illustrierten Bandes überrascht, da es mehr bietet, als von einem homöopathischen
Fachbuch erwartet wird.
Einen beträchtlichen Teil des Buches nutzt der Autor zur allgemeinen
Information über das Down-Syndrom –
zu Recht! Wie schon in früheren Publikationen in der medizinischen Fachliteratur räumt er auf mit stereotypen Vorurteilen und negativer Etikettierung. Die
Notwendigkeit und Form einer einfühlsamen Beratung nach der Geburt eines
Kindes mit Down-Syndrom wird ebenso
beschrieben wie die Bedeutung des
Stillens. Ernährungsberatung, Ansätze
der Förderung und allgemeine medizinische Vorsorgeprogramme und Behandlungsmethoden aus der Schulmedizin folgen.
Homöopathie also nur am Rande?
Keineswegs! Der homöopathisch tätige
Arzt sollte – und wird – immer ganzheitlich denken. Es gehört zum Wesen der
klassischen Homöopathie, den ganzen
Menschen mit seinen geistigen, emotionalen und körperlichen Symptomen zu
behandeln. Bestimmte medizinische
Diagnosen bleiben vom Autor ausdrück-
lich der Schulmedizin vorbehalten. Neben Vermittlung von Basiswissen zur
Homöopathie einschließlich Anamneseerhebung, Symptomen und Modalitäten werden Hierarchisierung (Wertung)
der Symptome und Repertorisieren (zur
Arzneimittelfindung) erklärt. Fallbeispiele aus den alltäglichen Problemen
von Kindern mit Down-Syndrom (u.a.
Infektionsanfälligkeit, Verstopfung,
Haut- oder Verhaltensprobleme) werden dargestellt, jedoch unter ganzheitlichem Aspekt. Sie werden nicht mehr
damit abgetan: „Das gehört zum DownSyndrom“ … Allerdings müssen fachunkundige Eltern davor gewarnt werden, das Buch als „Rezeptbuch“ für Alltags- oder Verhaltensprobleme nutzen
zu wollen. Dieses muss dem erfahrenen
Homöopathen vorbehalten bleiben.
In der klassischen Homöopathie nach
Hahnemann gibt es nicht ein Mittel für
ein einzelnes Problem, sondern das
Mittel, das auf den Gesamtzustand des
Patienten passt. Homöopathische Komplexmittel, d.h. Mischpräparate in niedriger Potenzierung, wie sie auch bei
Naturheilverfahren üblich sind, werden
nicht dargestellt. Sie gehören nicht zur
klassischen Homöopathie.
Ebenso bleiben Akutmittel in Niedrigpotenz, die als Globuli oder Tropfen
in manchen Hausapotheken stehen, unerwähnt. Deren Einsatzmöglichkeit im
Alltag von Kindern mit und ohne DownSyndrom wurde bisher auch nicht bestritten.
Storm schildert Fallbeispiele auf der
Grundlage der klassischen Homöopathie, d.h. Verabfolgung von Konstitutionsmitteln in hoher oder höchster Potenzierung. Diese zielen auf das menschliche Wesen in seiner Gesamtheit und
sollen seine Selbstheilungskräfte entfalten. Von namhaften Autoren der ho-
möopathischen Fachliteratur wurde dies
für Kinder mit Down-Syndrom meist in
Frage gestellt, vielleicht wurde es wegen des Klischees vom „Fehlen der Individualität von Kindern mit Down-Syndrom“ auch nicht angedacht! Mit diesem Vorurteil aufgeräumt zu haben,
ohne Wunderheilung zu versprechen,
ist eine zentrale Aussage des Buches.
Ein Fachbuch, das Mut macht, die
Homöopathie als „komplementäre Medizin“ zur Verbesserung der Lebensqualität von Kindern mit Down-Syndrom einzusetzen.
Dr. Barbara Oberwalleney
Schriftenreihe zum Thema
selbstbestimmtes Leben
Bei bifos e.V. ist eine Schriftenreihe
zum Thema selbstbestimmtes Leben
erschienen, die verschiedene interessante Titel aufweist: „Bioethik contra Menschenwürde“ und „Gleichstellung behinderter Menschen mit
Assistentbedarf“ sind zwei davon.
Informationen bei: bifos e.V.,
Bildungs- und Forschungsinstitut
zum selbstbestimmten Leben Behinderter,
Jordanstraße 5, 34117 Kassel
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
21
BÜCHER
Unser Kind hat
Down-Syndrom
Ein erstes Lesebuch mit
Informationen für Eltern, für ihre
Angehörigen und Freunde
Eine schöne neue Publikation zum Thema Down-Syndrom wurde von einigen
Eltern von Kindern mit Down-Syndrom
aus Berlin zusammengestellt.
Dass die Texte aus den Federn von
betroffenen Eltern stammen, merkt man
beim Lesen sofort, die Liebe zu ihren
Kindern kann man spüren. Dieses Lesebuch, bestückt mit vielen schönen Fotos
und in einem frischen, modernen Design gestaltet, ist wirklich eine Bereicherung auf dem Down-Syndrom-Infomarkt, und eine schöne Ergänzung zu
bestehenden Publikationen (wie Das
Baby mit Down-Syndrom und Diagnose
Down-Syndrom, Was nun?).
Noch lange gibt es nicht genug Informationsmaterialien zum Thema DownSyndrom und die wenigen Broschüren
und Hefte, die es gibt, finden oft nicht
einmal den Weg zu allen Eltern. Da
diese neue Broschüre von der Lebenshilfe herausgegeben wurde, ist die Möglichkeit der Verbreitung groß. Schon
über die Frühförderstellen kann sie neu
betroffene Eltern relativ schnell erreichen.
Geschichten und Erfahrungen aus
Familien, in denen ein Kind mit DownSyndrom lebt und die wir als betroffene
Eltern so oder ähnlich kennen. Eine
gelungene Mischung aus Tipps für den
Alltag, für das Leben als Familie, aus
Hinweisen auf Fördermöglichkeiten,
Kontaktadressen und Literaturangaben.
Bestellen kann man diese Broschüre
beim:
Lebenshilfe Verlag, Bundeszentrale
Raiffeisenstraße 18
35043 Marburg
Preis DM 9,– plus DM 3,– Porto
Papiermodell: DNA
Vielleicht finden Sie oder Ihre Teenagerkinder es spannend, mal eine DNADoppelhelix zusammenzubauen. Es
kann ja sein, dass durch das Kind mit
Down-Syndrom in der Familie das Interesse an Genetik geweckt worden ist.
Außerdem vermittelt das Minibuch
gute Informationen zu Chromosomen,
Zellteilung usw.
Reihe Spektrum der Wissenschaft
Papiermodelle: DNA
Preis: 16,80 DM
Aus dem Klappentext:
Eines der spannendsten Forschungsgebiete ist die molekulare Genetik: alles,
was sich rund um das Molekül des Lebens, die DNA, tut. Fast täglich gibt es in
den Medien Berichte über neue Forschungsergebnisse, die mit DNA im
Zusammenhang stehen – von moder-
Pressestimmen
Psychologie Heute:
Der Laie hat nach dem Studium des
Bandes das Gefühl, ein – zumindest
theoretischer – Experte zu sein. „Echten“ Experten bietet das Buch einen
umfassenden Überblick über den neuesten Forschungsstand und weit darüber
hinaus … – über innovative Ideen in
diesem speziellen Bereich der Behindertenförderung und -pädagogik.Ein mit
viel Liebe und Sachkenntnis zusammengestellter Tagungsband, der allen am
Thema Interessierten wärmstens empfohlen werden kann.
Zusammen:
„Neue Perspektiven für
Menschen mit Down-Syndrom“
Preis 40,00 DM
Bestellungen:
Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
Hammerhöhe 3
91207 Lauf
Tel. 09123 / 98 21 21
Fax 09123 / 98 21 22
22
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
nen therapeutischen Methoden, neuen
Verfahren in der Umwelttechnik bis hin
zu genmanipulierten Lebensmitteln und
geklonten Schafen.
Mit einfachen Mitteln veranschaulicht dieses Heft die Grundlagen; Papier, Schere und Kleber sind dabei die
Hilfsmittel. Enthalten sind mehrere Papiermodelle zum Zusammenbauen und
ein Minibuch. Hier findet man alle Hintergrundinformationen und einen verständlichen Einstieg in das Thema. Es
macht Spaß, diese Modelle zu bauen,
und beim Basteln lassen sich die molekulargenetischen Konzepte im wahrsten
Sinne des Wortes „begreifen“.
Das Buch macht Eltern Mut und stärkt
ihnen den Rücken. Es hilft ihnen, die
Behinderung ihres Kindes besser verstehen und akzeptieren zu lernen. Dem
Buch gelingt es, die Aufbruchstimmung
in der Diskussion rund um das Thema
Down-Syndrom spürbar zu machen,
ohne jedoch Illusionen zu erzeugen oder
falsche Hoffnungen zu wecken. Den
Herausgebern ist es geglückt, ein Buch
zusammenzustellen, das Familien mit
einem behinderten Kind durch die verschiedenen Entwicklungs- und Förderphasen unterstützend begleitet.
BÜCHER
Als die Steine noch
Vögel waren
Jedes Tier hat seine Individualität und
die soll geachtet werden.
Die Erzählung macht deutlich, wie
verkehrt es ist, gleiche Lernziele für alle
festzulegen, und zeigt, was dabei rauskommt, wenn man dies trotzdem versucht, nämlich bescheidene Mittelmäßigkeit und viel Frust für alle!
Autor: Marjaleena Lembcke
Verlag: Nagel & Kimche AG, Zürich
ISBN 3-312-00816-6
Preis: 22,80 DM
Aus dem Inhalt
V
om Down-Syndrom ist keine Rede
in dem Buch von Marjaleena
Lembcke „Als die Steine noch Vögel
waren“. Dafür erzählt es um so mehr
vom kleinen Pekka, seiner finnischen
Familie und den vielen Besonderheiten,
denen alle Beteiligten im Zusammenhang mit dem kleinen Kerl begegnen.
Die Besonderheiten beginnen damit,
dass Pekka nach seiner Geburt nicht mit
der Mutter nach Hause darf. Stattdessen muß er zwei lange Jahren im
„Kinderschloss“ verbringen. Gemeint ist
damit das Kinderkrankenhaus von Helsinki. Als er dann endlich zu Hause sein
darf, zieht er es vor, auf dem Fußboden
zu robben und seinen Mund fest zu
verschließen, obwohl er im Kinderschloss schon laufen und ein wenig sprechen gelernt hatte. Es dauert eine ganze
Weile, bis er sich an seine neue Umwelt,
die Geschwister, die Mutter, den Vater
und die Großmutter gewöhnt.
Alle lernen bald, dass Pekka in vielerlei Hinsicht ein besonderes Kind ist.
Seine Sprache, sein Verhalten, seine
ganze Art und Weise rufen immer wieder Erstaunen und Schmunzeln hervor
bei den Menschen, die ihn erleben. Vor
allem liebt er die ganze Welt, alle und
alles, was ihm begegnet. „Aber am meisten liebe ich die Vögel und die Steine,
weil sie einmal Vögel waren“, wie er
selbst meint.
Doch wie alles auf der Welt hat auch
Pekkas Besonderheit eine andere Seite,
diejenige, die ihn auffallen lässt, die
Menschen verunsichert, die Rätsel aufgibt. So geht er denn auch nicht lange
zur Schule, sodass die Mutter sich besorgt fragt, was aus so einem Kind denn
werden solle. Die Großmutter weiß darauf eine bezeichnende Antwort: „Das
wird sich bestimmt noch zeigen.“ Und
setzt hinzu: „Erst mal scheint er nur zu
unserer Freude auf der Welt zu sein.“
Mit außerordentlicher Einfühlsamkeit versteht es Marjaleena Lembcke,
das Wesen des kleinen Pekka mit seiner
Besonderheit nachzuzeichnen. Sie schil-
dert anschaulich die Freuden des Alltags seiner finnischen Großfamilie. Sie
erzählt ebenso von den Schwierigkeiten
und Problemen, die sich im Zusammenleben mit Pekka ergeben, sei es dass er
viele kleine und große Unglücksfälle
geradezu magisch auf sich zu ziehen
scheint, bis zur geplanten Auswanderung der Familie nach Kanada, zu der
es dann doch nicht kommt, was natürlich auch mit Pekka zu tun hat.
Das Buch macht nachdenklich und
zugleich hoffnungsfroh. Es rührt die
Seele an, ohne sentimental im falsch
verstandenen Sinne zu sein. Es erscheint
mir ebenso besonders wie Pekka besonders ist.
Als Pekka nach vielen Jahren stirbt,
lässt seine Familie in seinen Grabstein
das Wort „Näkemiin“ eingravieren. Das
bedeutet „Auf Wiedersehen“. Es wäre
zu wünschen, dass viele Menschen Pekka
in den Zeilen von Marjaleena wiedersehen.
Ulrich Schmidt, Wyk auf Föhr
Wenn die Ziege
schwimmen lernt
„Es gab eine Zeit, da gingen alle Tiere in
die Schule. Und alle lernten schwimmen, fliegen, rennen und klettern. Wirklich alle?“
Die Ente z.B. ist zwar anfangs super
im Schwimmen, den Baumstamm hochzuklettern schafft sie aber nicht, egal
wie sie sich abmüht. Der Elefant ist
beim Rennen noch ganz gut, die Flugversuche bringen ihm jedoch zum Verzweifeln; keinen Zentimeter kann er
sich vom Boden abheben. Der Fisch versagt beim Klettern, die Ziege beim
Schwimmen, die Raupe weigert sind zu
fliegen und fliegt von der Schule, die Ameise trägt zwar schwere Brocken, dies
ist aber im Lehrplan nicht vorgesehen.
Nach einem Jahr, alle Tiere hatten
nur noch Dreien und Fünfen im Zeugnis, geben die Lehrer auf und reisen ab.
Die Schüler wussten erst gar nicht, was
sie tun sollten. Dann aber schwammen
Ente und Fisch um die Wette, Elefant
und Pferd rannten über die Wiese, die
Ziege und die Raupe fraßen saftige Blätter und die Ameise (Problemschülerin,
Fall für die Sonderschule) baute einen
schönen, großen Ameisenhaufen. Und
jeder machte seine Sache richtig gut!
Ein amüsantes Bilderbuch mit einem tieferen Sinn. Besonders geeignet
als Geschenk für alle diejenigen, die
lernzieldifferentes Lernen ablehnen.
Autor: Nele Moost,
Illustrationen: Pieter Kunstreich
Verlag: Wolfgang Mann Verlag
ISBN 3-926740-59-0
Preis: 19,80 DM
D
ie Geschichte ist bekannt. Jeder,
der sich mit dem Thema schulische
Integration befasst, trifft über kurz oder
lang auf diese tierische Integrationsgeschichte. Es geht in der Geschichte
darum, klarzumachen, dass nicht alle
Tiere gleich sind, dass alle Tiere unterschiedliche Fähigkeiten haben und unterschiedliche Dinge lernen müssen,
damit sie im Leben bestehen können.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
23
AUSLAND
Die weltweite Down-Syndrom-Bewegung
Juan Perera
Übersetzung: Cora Halder
Prof. Juan Perera ist der Präsident des Asturia Centre an der Universität der
Balearen in Palma de Mallorca. Diesen Aufsatz, in dem Perera Richtlinien für die
weltweite Arbeit mit Menschen mit Down-Syndrom aufstellt, schickte er DownSyndrom-Vereinen in vielen Ländern zu, mit der Bitte, ihn zu übersetzen und in den
jeweiligen Zeitschriften zu veröffentlichen. Juan Perera hat Ziele und Arbeitsweisen
von vielen Organisationen verglichen und versucht, einen gemeinsamen Weg
aufzuzeigen.
Schlüssel zur
weltweiten DownSyndrom-Bewegung
Wenn wir zurückblicken auf die Geschichte der weltweiten Down-SyndromBewegung, haben wir den Eindruck,
dass während der letzten zehn Jahre
dieses Jahrhunderts es das Ziel war,
diese unabhängige Bewegung in den
ersten Ländern dieser Welt zu festigen,
öffentliche Anerkennung und Unterstützung zu erlangen, die repräsentative
Art dieser Bewegung herauszustellen
und solidere und bessere Organisationsformen zu finden. Die Familien, die
Fachleute und die Menschen mit DownSyndrom, die in diesen Vereinen und
Gruppen zusammenarbeiten, versuchen
Einstellungen zu ändern, Vorurteile
abzubauen und die Bedürfnisse von
Menschen mit Down-Syndrom effizient
zu vertreten. Dies ist im Grunde das
Einzige, was uns wirklich wichtig ist.
Können wir von einer Philosophie
unserer Bewegung sprechen? Hat die
Mehrheit der Organisationen, die sich
für Menschen mit Down-Syndrom einsetzen, Ideen und gute Arbeitsweisen
gemeinsam? Haben wir ein deutliches
Bild vor Augen, wie wir in das 21. Jahrhundert gehen werden?
Um diese Fragen zu beantworten,
möchte ich den Kongressteilnehmern
und den Leitern der DS-Organisationen
weltweit einige Vorschläge und Ideen,
24
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
die ich nach der intensiven Studie von
Satzungen und Richtlinien von mehr als
40 aktiven DS-Vereinen aus der ganzen
Welt zusammengestellt habe, zur Berücksichtigung vorlegen.
Philosophie der
weltweiten DownSyndrom-Bewegung:
Basisprinzipien
1. Das Prinzip, dass die Fähigkeiten von
Personen mit Down-Syndrom Vorrang
haben vor ihren Einschränkungen oder
ihrem Anderssein, ist eine grundlegende Voraussetzung. Die Menschenwürde
von Personen mit Down-Syndrom sollte
geachtet werden.
2. Als eine Folge der Erklärung für Menschenrechte, ein Dokument der Vereinten Nationen, und des „Welt Aktionsprogramms für Menschen mit einem
Handicap“ wurde festgelegt, dass das
Prinzip der gleichen Rechte für Menschen mit und ohne Behinderung bedeutet, dass die Bedürfnisse aller Individuen den gleichen Stellenwert haben,
dass diese Bedürfnisse die Basis bilden
müssen für soziales Handeln und dass
alle Ressourcen so eingesetzt werden
müssen, dass sie gleiche Rechte für alle
sichern.
3. Unsere Organisationen vertreten die
Meinung, dass Gleichberechtigung in
Fragen der Gesundheit, Bildung, Arbeit, sozialen Versorgung, Kultur und
Freizeit nur dann möglich ist, wenn
Personen mit Down-Syndrom einen Anspruch haben auf reguläre öffentliche
Dienstleistungen. Es darf auch kein qualitativer Unterschied bestehen zwischen
ihrer Behandlung und der der übrigen
Bevölkerung.
4. Vorsorge-, Gesundheits-, Bildungs-,
Arbeits- und ähnliche Programme müssen den spezifischen Bedürfnissen von
Personen mit Down-Syndrom angepasst
sein. Fachleute, die auf einer individuellen Basis mit dem behinderten Menschen arbeiten, sollen ihre Hilfen jedoch in regulären Dienstleistungszentren anbieten.
5. Normalisierung und Einbeziehung
(inclusion) in allen Lebensbereichen und
zu jeder Zeit sind das Ziel. Nur ausnahmsweise, wenn eine Integration
nicht möglich ist, wegen der besonderen Komplexität der Behinderung z.B.,
sollten für diesen Menschen mit DownSyndrom, in Absprache und mit Erlaubnis seiner Familie, Versorgung und Förderung in einer Sondereinrichtung stattfinden.
6. Besondere Aufmerksamkeit muss der
Lebensqualität von Personen mit DownSyndrom geschenkt werden. Erstens
muss man ihren Bedürfnissen und Er-
AUSLAND
wartungen gerecht werden, zweitens
müssen sie ihre Fähigkeiten entwickeln
können und drittens müssen sie alle
ihre Rechte genießen können. Fast alle
Down-Syndrom-Organisationen weltweit appellieren in der einen oder anderen Form an diesen Begriff „Lebensqualität“.
7. Der Kampf um die Gleichstellung ist
unter dem Aspekt der Solidarität zu
sehen, und unter Berücksichtigung der
Verschiedenheit in einer offenen und
multikulturellen Gesellschaft, die durch
diese Vielfalt bereichert wird. Personen
mit Down-Syndrom selbst sollen daran
aktiv teilnehmen.
8. Von führenden Personen innerhalb
der Down-Syndrom-Vereine wird erwartet, dass sie loyal zusammenarbeiten und sich gemeinsam mit anderen
Organisationen für die Rechte der behinderten Menschen einsetzen, ohne
dass daraus ein Kompetenzgerangel
oder Konfrontationen entstehen, allerdings unter Beibehaltung der eigenen
Identität.
Diese Prinzipien, zusammengestellt
aus Statuten und Satzungen vieler DownSyndrom-Organisationen aus aller Welt,
könnten, wenn sie in eine logische Rei-
henfolge gebracht würden, sehr wohl
ein gutes, weltweit gültiges Gerüst bilden für die Down-Syndrom-Arbeit.
Obwohl Prinzipien und Ideen wichtig sind, Erfahrungen und bewährte
Arbeitsweisen sind es ebenso. Was diese anbelangt, ist es viel schwieriger
zusammenzufassen, was in den verschiedenen Organisationen weltweit
getan wird, weil dabei viele Aspekte
eine Rolle spielen, u.a. der Entwicklungsstandard des jeweiligen Landes,
die sozialen Gewohnheiten, Bräuche,
ethische Prinzipien und Möglichkeiten
der Zusammenarbeit mit Regierungsstellen.
Bewährte Arbeitsweisen
Wir können jedoch versuchen, einige
allgemein gültige, gut bewährte Arbeitsweisen darzulegen. Ausgehend von dem
Prinzip, dass jeder Mensch mit DownSyndrom das Recht auf individuelle und
spezifische Hilfe hat, ist die Botschaft
unserer Organisationen: seine Bedürfnisse zu ermitteln, sie den zuständigen
öffentlichen Stellen zu vermitteln und
dafür Sorge zu tragen, dass man diesen
Bedürfnissen gerecht wird. Es muss
also effiziente und angepasste Unterstützung von den zuständigen Behörden
gefordert werden, notfalls müssen spezielle, qualitativ hochwertige Dienstleistungen neu eingerichtet werden. (Sie
müssen genau so funktionieren wie wenn
Firmen ihre Kunden bedienen, nach dem
Motto: Der Kunde ist König!)
Dienstleistungen für behinderte Menschen dürfen kein Gewinngeschäft sein.
Prioritäten
Es ist nicht einfach, die Prioritäten unserer Organisationen herauszuarbeiten.
Trotzdem möchte ich, mit großem Respekt für das, was sonst überall gemacht
wird, Ihnen eine Auflistung der Prioritäten vorstellen, die unsere Organisationen in ihren Programmen festgeschrieben haben. Wir sind uns bewusst, dass
es nicht so etwas gibt wie die Methode
oder das System für alle, und das, was
hier gut funktioniert, woanders nicht
notwendigerweise auch gelingen muss.
Erstens ist es uns besonders wichtig,
das Down-Syndrom hervorzuheben. Dies
ist der größte Unterschied zwischen unserer Bewegung und anderen Organisationen, die sich ganz allgemein für Menschen mit einer geistigen Behinderung
einsetzen. Weitere Prioritäten sind:
Down-Syndrom in Mexiko
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
25
AUSLAND
Schule für alle
Schule muss den Bedürfnissen aller
Schüler gerecht werden, ob sie nun ein
Handicap haben oder nicht. Schulen
müssen mit den notwendigen Finanzen
und mit dem notwendigen Personal unterstützt werden. Auch die Lehrerausbildung muss verändert und den Lehrplänen angepasst werden.
Integration fördern
Kinder und Jugendliche im Schulalter,
die in Integrationsklassen aufgenommen werden, jedoch nicht genügend
Förderstunden von der Schulbehörde
genehmigt bekommen, benötigen unsere spezielle Aufmerksamkeit.
Arbeit
Berufsausbildung muss vorbereiten auf
die Arbeit und das Leben. Die Regierung muss Arbeitsstellen schaffen in
einer normalen Arbeitsumgebung. Denn
Arbeit bedeutet eine größere Autonomie und Anerkennung.
Unterstützung der Familien
Von Anfang an sollte die Familie, als
erste natürliche integrative Umgebung
für die Person mit Down-Syndrom, die
richtigen Informationen und Unterstützung erhalten, damit sie ihre Situation
akzeptieren und sich effektiv um die
Erziehung kümmern kann.
Down-Syndrom in Singapur
Prävention
Dies beinhaltet frühe Diagnose und genetische Beratung. Gute Informationen
können Eltern dabei helfen, eine verantwortungsbewusste Entscheidung zu treffen und besser vorbereitet zu sein, ein
Kind mit Down-Syndrom zu akzeptieren.
Eintreten für gleiche Rechte
Die DS-Organisationen müssen sicherstellen, dass gleiche Rechte gelten für
alle Bürger, und sich gegen Gewalt an
Menschen mit Down-Syndrom wehren.
Ausbildung von Fachleuten
Eine fundierte Ausbildung von Fachleute ist essenziell für Menschen mit DownSyndrom, damit sie fachkundige medizinische und pädagogische Unterstüt-
26
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
zung bekommen, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist.
Gesundheitliche Probleme
Eine gute Gesundheit ist die Basis für
die mentale Entwicklung, für eine bessere Lebensqualität und eine höhere
Lebenserwartung. Medizinische Probleme müssen diagnostiziert und möglichst
schnell behandelt werden.
Sorge um die schwerst behinderten
Menschen
Es gibt auch Menschen mit Down-Syndrom, die schwerst mehrfachbehindert
sind, deren Chancen auf Besserung, auf
Möglichkeit der Anpassung an ihre Umgebung und auf eine gelungene Integration in der Gesellschaft sehr gering sind
und die auf Dauer für ihre Familien eine
große Last darstellen können. Ihnen
muss dann in speziellen Zentren geholfen werden. Dabei muss sichergestellt
sein, dass diese Einrichtungen trotz alledem den höchst möglichen Standard
der Normalisierung zu erreichen versuchen.
Frühe Hilfen
Wegen der Plastizität des Gehirns ist es
von grundlegender Bedeutung, dass in
den ersten Lebensjahren spezielle Förderprogramme verwendet werden. Kinder, die in den Genuss dieser frühen
Hilfen kamen, konnten ihre kognitiven
Fähigkeiten besser entwickeln.
Die Rolle der Erwachsenen und
Selbstbestimmung
Eine Erziehung nach den Prinzipien der
Normalisierung und Integration, die
darauf gerichtet ist, das Potential der
Einzelnen zu entfalten, führt zu einem
großen Maß an Selbständigkeit als Er-
AUSLAND
wachsener. Dies beinhaltet auch das
Recht auf Selbstbestimmung und vereinfacht ebenfalls die Integration in einer Arbeitssituation, in einer Partnerschaft, in ein weitgehend unabhängiges
Leben. Eine solche Erziehung ist die
beste Voraussetzung, später auch allein
zurechtzukommen.
Verbraucherfreundliche Hilfen
Hilfen für Menschen mit Down-Syndrom
und ihre Familien müssen wohnortnah
sein, sodass schneller und besser auf
individuelle Bedürfnisse eingegangen
werden kann.
Sensibilisierung, Image und
Promotion
Die Organisationen müssen sicherstellen, dass ein positives Bild von Menschen mit Down-Syndrom in der Gesellschaft verbreitet wird, unter dem Aspekt,
dass Verschiedenartigheit eine Bereicherung ist für das Ganze.
Down-Syndrom in Japan
Unterstützung für die Forschung
und die Anwendung neuer
Technologien
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf
dem Gebiet der Medizin und in anderen
Bereichen, die für Menschen mit DownSyndrom nützlich sind, müssen verbreitet werden, sodass die Hilfen stets dem
letzten wissenschaftlichen Stand entsprechen.
Vormundschaft
Durch Unterstützung von Vormundschaftsstellen sollen behinderte Menschen die notwendige und korrekte Unterstützung bekommen, wenn die Familie dazu nicht mehr in der Lage ist.
Freizeitangebote und
Freizeitgestaltung
Ein angemessenes Freizeitangebot für
Menschen mit Down-Syndrom soll angestrebt werden, damit die soziale Integration und die persönliche Selbständigkeit verbessert und ihnen das Vergnügen und die Freude von Freizeitbeschäftigungen vermittelt werden.
Perspektiven für die
Zukunft
Wenn wir wirklich Zukunftsperspektiven für Menschen mit Down-Syndrom
schaffen wollen, müssen unsere Organisationen sich der verschiedenen Herausforderungen, denen wir uns gegenübergestellt sehen, bewusst sein. Was
sind diese Herausforderungen?
Effektivität
Unsere Organisationen müssen ihre Ziele klar vor Augen haben und versuchen,
diese zu erreichen. Gute Vorhaben allein sind nicht genug. Wenn es unser
Ziel ist, dass wir eine bessere Lebensqualität für Menschen mit Down-Syndrom erreichen möchten, müssen wir
unsere Arbeit ständig überprüfen. Wenn
wir soziale und politische Bedingungen
verändern wollen, müssen wir effektiv
arbeiten und optimale Zusammenarbeit von der Gesellschaft einfordern.
Wir müssen überprüfen, ob wir mit
unserem Einsatz tatsächlich an verbesserter Lebensqualität für Menschen mit
Down-Syndrom arbeiten. Wir dürfen
uns nur von diesem Ziel leiten lassen.
Spezialisierung
Heutzutage streitet niemand mehr ab,
dass Down-Syndrom etwas Eigenständiges ist. Es gibt weltweit unzählige
Publikationen, die die spezifischen Aspekte von Down-Syndrom beschreiben,
Aspekte, die nicht bei anderen mentalen Behinderungen auftreten (oder nicht
im gleichen Maß) und die dadurch das
Syndrom von anderen Beeinträchtigungen abgrenzen. Die molukuläre Struktur des Chromosoms 21 zeigt eine Reihe
genetischer Besonderheiten auf, die bei
Menschen mit Down-Syndrom lebenslang eine Reihe von Auffälligkeiten im
Gehirn und im Nervensystem verursachen. Diese beeinflussen wiederum ihr
Lernen und Verhalten. Je mehr wir über
diese speziellen Aspekte wissen, desto
besser werden wir in der Lage sein,
therapeutische und erzieherische Maßnahmen zu treffen, die dann zielgerichtet und effektiv zur Rehabilitation eingesetzt werden können.
Unabhängigkeit unserer DownSyndrom-Organisationen
Die nächste Herausforderung ist eine
direkte Folge der vorhergehenden, und
zwar die Unabhängigkeit unserer DownSyndrom-Organisationen bei völliger
Anerkennung der Organisationen, die
sich um geistig behinderte Menschen
ganz allgemein kümmern. Die Wissenschaft heute zeigt, dass man eine mentale Retardation nicht nur von einer
Seite angehen kann, weil es zu viele
unterschiedliche Symptome beinhaltet,
sowohl aus Sicht der Neuropathologie
wie aus der der Neuropsychologie. Die
Organisationen, die sich für geistig behinderte Menschen im allgemeinen Sinne einsetzen, haben nicht die richtigen
Antworten gefunden für die Bedürfnisse von Personen mit Down-Syndrom.
Deshalb suchen weltweit Familien bei
den Down-Syndrom-Organisationen
nach fortschrittlicheren und aktuelleren Lösungen.
Es gibt noch einen anderen wichtigen
Grund für eine eigenständige Bewegung,
und das ist der hohe Anteil in der Population: ungefähr fünf Millionen Personen mit Down-Syndrom leben auf unserer Erde. Ist diese hohe Zahl nicht Grund
genug, um eine eigene Organisation und
Infrastruktur zu haben, ohne abhängig
von anderen zu sein?
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
27
AUSLAND
Lassen Sie es mich noch einmal klar
herausstellen: Wie ich schon vorher
erwähnte, bedeutet Unabhängigkeit
nicht Konfrontation, es bedeutet auch
nicht, dass es keine Gemeinsamkeiten
gibt mit den anderen Organisationen,
die sich für geistig behinderte Menschen einsetzen, noch dass es keine
Möglichkeiten gäbe, in gewissen Bereichen zusammenzuarbeiten.
Koordination aller Anstrengungen
Allzu oft kommen Probleme auf zwischen Eltern und Fachleuten, zwischen
Down-Syndrom-Vereinen und Servicecentern, von denen sie abhängig sind,
durch politische, offizielle und persönliche Interessen. Unsere Organisationen müssen dafür kämpfen, über persönliche Interessen und berufliche
Konflikte, über politische oder religiöse Ideen oder welche Stolpersteine auch
immer, erhaben zu sein und diese zu
trennen von dem, was wirklich gilt,
nämlich die Arbeit an unserem Ziel,
eine bessere Lebensqualität für Menschen mit Down-Syndrom zu schaffen.
Down-Syndrom in Südafrika
Die Koordination aller Anstrengungen
kann dann erreicht werden, wenn Eltern, Fachleute und Menschen mit DownSyndrom selbst zusammenarbeiten ohne
persönliche Interessen und Machtkämpfe.
Konsolidierung
Unsere lokalen Gruppen, die regionalen
oder nationalen Vereine und unsere internationale Liga müssen intern so stabil
sein, dass sie auch demokratischen Veränderungen standhalten. Allzuoft stehen
die gleichen Personen zehn Jahre oder
länger an der Spitze einer Organisation.
Dies ist nicht richtig. Die Arbeit – wie
hervorragend diese auch sein mag – darf
nicht personengebunden sein. Hört die
Person auf, folgt das Drama. Wir werden
alle gebraucht, aber niemand sollte glauben, dass er unersetzlich sei. Die Organisationen müssen dafür Sorge tragen, dass
ihre Stabilität und ihre Kontinuität gesichert sind, während die Menschen in den
führenden Positionen sich abwechseln:
manchmal sind es mehr die Eltern,
manchmal die Fachleute, wer eben besser fähig ist, bestimmte Dinge zu organisieren, und immer sind die Personen mit
Down-Syndrom selbst mit einzubeziehen. Sie werden immer mehr eine führende Rolle spielen und ihre eigenen
Fürsprecher und Anwälte sein wollen.
Down-Syndrom
in Spanien
Zusammenarbeit
Die Down-Syndrom-Organisationen dürfen sich nicht isolieren. Die Komplexität
der Gesellschaft verlangt heutzutage die
gemeinsame Intervention von verschiedenartigen Gruppen. Während wir einerseits unsere Identität bewahren sollten, sollten wir andererseits uns bemühen, Möglichkeiten zu suchen und zu
finden für eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen, die sich für die
gleichen Ziele einsetzen. Wir müssen Gemeinsamkeiten finden, statt Dinge herauszustellen, die uns trennen. Gemeinsam können wir mehr erreichen. Zusammenarbeit und Koordination mit Vereinen in ähnlichen Bereichen ist, meiner
Meinung nach, eine moralische Verpflichtung. Wir sollten uns auch freuen über
die Erfolge der anderen, wenn jemand
eine neue Publikation herausbringt, Gelder für Forschung bekommt oder eine
größere soziale Anerkennung erreicht.
Diese Zusammenarbeit muss auch
ausgedehnt werden auf Regierungsstellen. Wir sollten uns nicht gegenseitig als
28
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Feinde betrachten, sondern als Partner.
Wir müssen so weit kommen, dass wir
alle einsehen, dass Konfrontation oder
Feindseligkeit nicht die einzigen Wege
einer Beziehung sein müssen. Wir müssen bereit sein, Vereinbarungen zu treffen. Unsere Organisationen sollen mit
der Behörde zusammenarbeiten, um bestimmte Dienstleistungen zu etablieren.
Manchmal werden auch die Vereine bestimmte Angebote übernehmen, und ersetzen so die behördlichen Stellen.
Wahrscheinlich können wir da manches besser und auch billiger organisieren. Es ist jedoch notwendig, dass es
geltende Absprachen gibt, die unabhängig von einer bestimmten politischen
Richtung oder von bestimmten Personen sind.
AUSLAND
Transparenz
Wenn wir Unterstützung erwarten von
Gruppen, Behörden, Firmen oder von
den Medien, müssen wir auch versuchen, Transparenz zu zeigen.
Transparenz in unserer Ideologie und
in unseren Zielen, Transparenz bei unserer Botschaft und unserem Vorhaben. Transparenz in unserer Organisationsstruktur, in unseren Abhängigkeiten, Beziehungen oder Verpflichtungen.
Und vor allem Transparenz bei unserer
Finanzierung und unserem wirtschaftlichen Management. Transparenz steht
in diesem Fall gleichzeitig für Vertrauen
und Glaubwürdigkeit. Wir dürfen nie
Zweifel an den ehrlichen Absichten unserer Arbeit aufkommen lassen. Dies ist
wichtig, wenn wir mit öffentlichen Geldern arbeiten, aber genauso, wenn wir
mit Spendengeldern von privaten Personen arbeiten.
Ungehorsam
Mit diesem Begriff möchte ich an die
Notwendigkeit appellieren, dass unsere
Organisationen viel Zeit, viele Gedanken und viele Anstrengungen investieren müssen in das was man eine spezielle Kultur unserer weltweiten Bewegung nennen könnte.
Ich glaube, dass das Schaffen von
Zukunftsperspektiven für Menschen mit
Down-Syndrom – zum größten Teil –
von der Fähigkeit, unser Grundanliegen,
unverkennbar und deutlich zu artikulieren, abhängig ist.
Unser Ziel ist es, dass Menschen mit
Down-Syndrom nicht diskriminiert wer
den. Dass sie das Recht haben, in der
Gesellschaft zu leben, in einer Gesellschaft, die gerade durch ihre Vielfalt so
reich ist. Zu oft akzeptieren wir Mitleid,
Wohltätigkeit oder Ausnahmen, während sich unser Kampf und unser Ungehorsam auf die im Gesetz verankerten Grundrechte berufen sollten. Leider
werden in verschiedenen Teilen dieser
Welt diese Grundrechte den Menschen
mit Down-Syndrom immer noch verweigert.
Schlusswort
Ich weiß, wie schwierig diese Herausforderungen sind. Und ich bin mir sehr
wohl bewusst, dass es in den Entwicklungsländern zunächst allein um das
Überleben geht und um die Forderungen nach ganz elementären Rechten.
Trotzdem scheint es mir von großer
Bedeutung zu sein, dass wir klar den
Weg sehen, den wir gehen müssen, um
unser Ziel zu erreichen und dass die
Länder, in denen Vorsorge und Förderung von Menschen mit Down-Syndrom
noch sehr rar sind, mit der uneingeschränkten Hilfe der Länder rechnen
können, in denen diese Bereiche schon
besser organisiert sind.
Ich hoffe, dass wir gemeinsam in der
Lage sein werden, eine bessere Zukunft
für alle Menschen mit Down-Syndrom
zu schaffen.
Und ich hoffe, dass alle diese Träume im 21. Jahrhundert in Erfüllung
gehen.
Down-Syndrom in Kanada
Down-Syndrom in Australien
Dieses Poster wurde 1998
während der Down-Syndrome
Awareness-Week in New SouthWales, Australien allen Gynäkologen und Kinderärzten zugeschickt.
Die DSA fordert damit diejenigen
Ärzte auf, die als Erste das
Down-Syndrom beim Baby
feststellen und die Diagnose
mitteilen müssen, Eltern Mut
zu machen und positive
Perspektiven aufzuzeigen.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
29
THERAPIE
A
Ergotherapie
Viele Kinder mit Down-Syndrom bekommen Ergotherapie. Häufig wird diese Therapie sogar von
Frühförderstellen angeboten oder die Eltern besuchen
mit ihren Kindern eine private Praxis für Ergotherapie.
Was ist Ergotherapie? Wo kommt die Therapie her?
Was sind die Ziele, Aufgaben und Arbeitsgebiete?
Wie funktioniert diese Therapie und wie kann sie für
Kinder mit Down-Syndrom eine Hilfe sein?
Schon wieder eine Therapie!
In diesem Artikel möchten wir informieren über Ergotherapie, eine
Therapieform, die immer noch etwas unbekannt ist, ohne jedoch zu
suggerieren, dass alle Kinder eine
solche Förderung brauchen.
Förderideen oder Therapien, die
wir in Leben mit Down-Syndrom
vorstellen, sollen Eltern nicht unter
Druck setzen oder das Gefühl vermitteln, dass alles von ihnen aufgegriffen werden muss.
Unsere Artikel sollen lediglich
dazu dienen, zu informieren, was
so auf dem „Fördermarkt“ alles angeboten wird, damit Eltern Bescheid
wissen. Ob und was sie schließlich
mit ihrem Kind machen wollen, ist
gänzlich den Eltern überlassen. Oft
ergibt sich das Thema von allein,
wenn es nämlich im nächsten Umkreis keine Pörnbacher-Therapeutin gibt oder weil nirgendwo in der
Nähe Therapeutisches Reiten angeboten wird.
30
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Es gibt keine Therapie, die auf alle
Kinder mit Down-Syndrom den gleichen positiven Effekt hat. Eine Therapie wirkt sich bei jedem Kind anders aus.
So müssen Eltern sich wohl oder
übel selbst auf den Weg machen, um
nach einer geeigneten Förderung ihres Kindes zu suchen. Dann kann es
hilfreich sein, wenigstens mal etwas
über die verschiedenen Möglichkeiten gelesen zu haben.
nfang dieses Jahrhunderts bemühte man sich in Boston (USA) erstmals, psychisch Kranke mit einer gewissen Systematik zu „beschäftigen“.
Schnell wurde klar, dass man dazu Fachkräfte benötigte. Ein Lehrgang für Ergotherapie wurde am sozialmedizinischen
Institut entwickelt. In Boston startete
1908 der erste offizielle Ausbildungsgang für „Occupational Therapy“.
In Deutschland begann Simon 1922
damit, „arbeitsmäßige Tätigkeit“ unter
therapeutischen Gesichtspunkten einzuführen. Auch hier wurde zunächst
nur der psychisch Kranke berücksichtigt.
Viele Verwundete brauchten Ende
des 2. Weltkrieges Rehabilitationsmaßnahmen. Aus Großbritannien und den
USA kam Hilfe für Deutschland: „Occupational Therapists“ wurden vom Britischen Roten Kreuz nach Deutschland
geschickt. In Bad Pyrmont bildeten sie
1947 bis 1949 in Kurzlehrgängen Beschäftigungstherapeuten aus. 1953 begann im Annastift, Hannover, die erste
Schule für Beschäftigungstherapie. Inzwischen gibt es fast 90 Schulen.
Was ist Ergotherapie?
Ergotherapeuten gehören der Gruppe
der Medizinalfachberufe an, ähnlich wie
Krankengymnasten und Logopäden.
Ergotherapie (Beschäftigungs- und
Arbeitstherapie) hat zum Ziel, nicht vorhandene oder verloren gegangene körperliche, psychische oder kognitive
Funktionen wieder herzustellen oder zu
fördern, so dass die Betroffenen die
größtmögliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit in ihrem Alltags- oder Berufsleben erreichen können.
Ergotherapeuten arbeiten aus diesem Grunde nach einem handlungsund alltagsorientierten Konzept. Sie beziehen handwerkliche und gestalterische Prozesse sowie lebenspraktische
Aktivitäten gezielt als therapeutische
Maßnahmen ein.
Die Patienten sollen im therapeutischen Prozess eigenständig handelnd
ihre sozialen und lebenspraktischen
Kompetenzen wiedergewinnen und erweitern. Der Therapeut unterstützt sie
dabei und hilft ihnen, bei auftretenden
Schwierigkeiten individuelle Lösungen
zu finden.
Ergotherapeuten betrachten also
nicht nur die Symptome des Patienten,
sie sehen vielmehr den ganzen Men-
THERAPIE
schen als Teil seines sozialen Umfeldes.
Zum fachspezifischen und medizinischen Wissen in der Ausbildung gehören daher auch sozialwissenschaftliche
Grundlagen.
Ergotherapie wird vom Arzt verordnet und gilt als Heilmittel gemäß § 124
Abs. 1 SGB V.
Arbeitsgebiete
Ergotherapeuten können in sehr verschiedenen Bereichen tätig werden:
in Kliniken und Krankenhäusern
der Fachrichtungen Orthopädie, Unfallheilkunde, Innere Medizin, Rheumatologie, Neurologie, Geriatrie,
Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychosomatik
in Einrichtungen für behinderte
Kinder, wie Sonderschulen, Kindergärten, Heime und Frühbehandlungszentren
in geriatrischen Einrichtungen wie
Alten- und Pflegeheimen und Tageskliniken
Ergotherapie in der Pädiatrie
Die Arbeitstherapie
in Einrichtungen der sozialen, medizinischen und beruflichen Rehabilitation und in Werkstätten für Behinderte
Wer wird ergotherapeutisch behandelt?
Kinder und Jugendliche mit
körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklungsrückständen
Die arbeitstherapeutischen Maßnahmen
in der Ergotherapie beziehen reale Arbeitsbedingungen in den Behandlungsprozess ein.
im sog. Mobilen Dienst und in
Sozialstationen
Störungen (oder Ausfällen) des
Bewegungsapparates
in der eigenen Praxis
Störungen der Aufnahme und
Verarbeitung von Sinnesreizen
Es gehört auch zu den Aufgaben von
Ergotherapeuten, Patienten und deren
Angehörige zu beraten. Dabei geht es
um Fragen der beruflichen Eingliederung, der Integration in Familie und
Schule, der persönlichen Selbständigkeit, der Veränderung häuslicher Wohnverhältnisse und andere.
Diese unterschiedlichen Einsatzgebiete sowie die Behandlung von Kindern, Erwachsenen und alten Menschen
erfordern differenzierte Behandlungsverfahren. Bei jeder Erkrankungsform
steht ein anderes Verfahren im Vordergrund. Meist müssen mehrere Verfahren ausgewählt und miteinander kombiniert werden.
Zwei Arbeitsbereiche des Ergotherapeuten möchten wir hier vorstellen, weil
diese auch Kinder und Erwachsene
(Arbeitstherapie) mit Down-Syndrom
betreffen: Ergotherapie in der Pädiatrie
und im Arbeitsbereich.
Verhaltensstörungen in Form von
übermäßiger Angst, Aggression,
Abwehr, Passivität oder Hyperaktivität
Welche Ziele verfolgt die Ergotherapie?
größtmögliche Selbständigkeit im
Alltag, in der Schule und im weiteren
Umfeld
Arbeitstherapeutisch behandelt werden Menschen, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen
Erkrankung in ihren Arbeitsfähigkeiten
beeinträchtigt sind, sodass sie einer beruflichen Tätigkeit nicht oder nur eingeschränkt nachgehen können.
Was beinhaltet die Arbeitstherapie?
Erproben und Feststellen der
Arbeitsfähigkeiten und -fertigkeiten
Erhaltung und Förderung von
Arbeitsfähigkeiten
Entwicklung und Verbesserung der
Motorik, Koordination, Wahrnehmung und Kommunikation
Beratung über Wieder-/Eingliederungsmöglichkeiten in das Arbeitsleben
Vermeidung von Folgeschäden und
Entwicklungsverzögerungen
individuelle Beratung und Betreuung
an der Arbeitsstelle und Arbeitsplatzanpassung
Was beinhaltet die Ergotherapie?
Training von altersrelevanten und
entwicklungsfördernden Handlungen
handwerkliche, spielerische Tätigkeiten, gestalterisch-musische
Prozesse
Beratung der Angehörigen und
anderer Bezugspersonen
Dieser Text ist (mit freundlicher Genehmigung) der Informationsschrift des
Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten (Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten) e.V. entnommen.
Postfach 2208, 76303 Karlsbad.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
31
THERAPIE
Carina in der Ergotherapie
Astrid Berthold
Die ergotherapeutische Arbeit, speziell mit Kindern,
erlebe ich als spannend und abwechslungsreich.
Jedes Kind, das in die Ergotherapie kommt, gibt mir die
Möglichkeit, an ihm zu lernen, denn unsere Kinder sind
unser Spiegel.
Mit der Beschreibung einer Therapieeinheit mit Carina
möchte ich ein Bild aus der Praxis der Ergotherapie
vermitteln.
Einleitung
Die neunjährige Carina besucht eine
integrative Montessorischule und wird
innerhalb der Schule von mir ergotherapeutisch betreut. Im folgenden
Bericht werde ich die Inhalte der Behandlungseinheit beschreiben und im
Anschluss daran meine Ziele für diese
Stunde aufzeigen.
Behandlungsablauf
Für diese Therapieeinheit hatte ich die
Buchstaben aus dem Puzzle herausgenommen und am Ende des Raums unter
einem großen Schwungtuch versteckt.
Carinas Aufgabe war es, über ein Schaukelbrett zu gehen oder zu krabbeln. Das
hatte ich Carina überlassen. Sie entschied sich fürs Krabbeln, da sie sich
beim Gehen über das Schaukelbrett noch
unsicher fühlt.
Im Anschluss an das Schaukelbrett
musste sie durch einen Kriechtunnel
krabbeln, in den ich verschiedene Materialien (Sandsäckchen, stacheliche Matte usw.) gelegt hatte, zu dem Schwungtuch, einen von mir vorher genannten
Buchstaben heraussuchen und mit diesem wieder zurückkrabbeln.
Danach sollte sie sich bäuchlings auf
eine quadratische Brettschaukel (fixiert
an einem Haken) legen und ein Tier,
dessen Name mit dem entsprechenden
Buchstaben beginnt, nennen.
Dann wurde der Buchstabe in die
Puzzlematte unter der Schaukel eingefügt. Als die ganze Matte mit Buchstaben ergänzt war, durfte (sollte) Carina
sie mit Rasierschaum besprühen und
diesen auf der Matte mit ihren Händen
verteilen.
32
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Zum Schluss der Therapieeinheit reinigten wir gemeinsam die Matten.
Carina entfernte noch den Rasierschaum, der sich an der Schaukel befand.
Therapeutische Zielsetzung für
diese Stunde
Förderung der Grobmotorik durch
die Aufrichtung entgegen der
Schwerkraft, korrekter Handstütz
beim Krabbeln und in der Schaukel,
Tonusaufbau im Bereich der Nackenmuskulatur, der Arme und der
Finger (es fällt Carina schwer, ihren
Kopf in Bauchlage zu heben und zu
halten, auf Grund nicht vollständig
integrierter Restreflexe).
Im Tunnel und unter dem Schwungtuch erlebte Carina durch die Enge
und Begrenztheit eine klarere,
deutlichere Körperwahrnehmung.
Die diversen Materialien innerhalb
des Tunnels, die Enge im Tunnel
und unter dem Schwungtuch sowie
das Verteilen des Rasierschaums
fördern Carinas taktile Wahrnehmung sowie die Feinmotorik.
Förderung der Merkfähigkeit. Carina
muss sich trotz der vielen Reize
(Schaukelbrett, Kriechtunnel, taktile
Reize) den von mir anfangs genannten Buchstaben merken.
Eine Steigerung der Integration
beider Gehirnhälften erreichte ich
THERAPIE
durch kreuzkoordinierte Bewegung
beim Krabbeln und das Überkreuzen
der Körpermitte auf der Schaukel.
Übungen auf dem Schaukelbrett, im
Tunnel und auf der Schaukel dienen
auch als Gleichgewichtsübungen für
Carina.
Das Buchstaben- und Wortverständnis durch Sehen, Begreifen und
Einfügen der Buchstaben in die
Puzzlematten lässt sich durch diese
Übung verbessern.
Durch das Finden eines Tieres mit
dem entsprechenden Buchstaben am
Anfang des Wortes werden Carinas
kognitive Leistungsfähigkeit und
ihre Sprache angeregt.
Einen besseren Bezug zur Raumlage
der Buchstaben erhält Carina beim
Einfügen in die entsprechende
Matte.
Durch das Schaukeln wird das vestibuläre System von Carina zusätzlich
mit Informationen versorgt und
zudem ihre Konzentration gesteigert.
Durch das anschließende Reinigen
der Matten und der Schaukel erfährt
Carina klare Grenzen (Anfang–Ende)
und Konsequenzen.
Nachwort
Bei vielen Kindern, die in unsere Praxis
kommen, liegt aus welchem Grund auch
immer eine Integrationsstörung vor,
weshalb sich gleichzeitige Defizite in
verschiedenen Bereichen zeigen. Unsere Aufgabe ist es, mittels einer ausführlichen Diagnostik diese Defizite am Kind
zu erkennen und auf spielerischem Wege
zu vermindern oder aufzuheben.
Dies erfolgt in unserer Praxis über
das Einbringen von „Bewegungsparcours“ in Kombination mit feinmotorischen und kognitiven Übungen. Dabei
wird genauestens beobachtet, wie sich
das Kind bewegt, seine Bewegungen
plant und koordiniert.
Durch die spielerische Gestaltung der
Behandlungseinheiten helfen wir den
Kindern über ihre „Grenzen“ hinweg
und die Kinder erlangen mehr Spass an
der Bewegung und eine Steigerung des
Selbstwertgefühls.
Je nach Kind und Störungsbild ist es
jedoch auch angezeigt, klare Strukturen
und Grenzen zu setzen.
Carina in Aktion.
Ganz schön anstrengend,
so ein Bewegungsparcours.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
33
FÖRDERUNG
Die Schere klafft immer weiter auseinander!
Von den kleinsten Stützrädern bis
zum schönsten Alurad
Marian de Graaf-Posthumus und Erik de Graaf
Übersetzung: Cora Halder
Der Titel erinnert den Leser an das, was oft über die
Entwicklung unserer Kinder mit Down-Syndrom behauptet wird: Sie geraten immer mehr ins Hintertreffen.
Aber gerade das ist in dieser Geschichte nicht gemeint!
Genau das Entgegengesetzte möchten wir hier beschreiben. Nämlich wie ein Kind mit Down-Syndrom seine
Eltern und viele andere Kinder immer mehr hinter sich
lässt, wenn es zum Beispiel ums Radfahren geht. Das
gibt es auch!
Dieser „Fiets“bericht aus Down+Up, der Zeitschrift der
holländischen Stichting Down Syndroom, hat mir gut
gefallen, er ist positiv und Mut machend und ein
Beispiel für den Slogan, den man in den Niederlanden
oft hört, wenn es um die Grenzen der Lernfähigkeit von
Personen mit Down-Syndrom geht: „Sag nie nie!“
W
ir haben alle erfahren, wie
nach der Geburt eines Babys
mit Down-Syndrom Verwandte, Freunde und Nachbarn bei ihren ersten Besuchen sich Mühe geben, einige nette Dinge zu sagen, um die neuen Eltern ein
wenig aufzumuntern. Und wie wir alle
wissen, ist das nicht so leicht, denn man
kann nicht einfach sagen: „Kopf hoch,
das gibt sich wieder!“, denn Down-Syndrom bleibt. Die tröstenden Worte sind
dann meistens stereotype Bemerkungen wie „Sie sind so lieb und anhänglich“ oder Ähnliches. In unserem Fall,
vor mehr als 14 Jahren, wurde uns auch
erzählt, was „sie“ alles konnten: „Ich
kenne einen, dem haben sie sogar das
Radfahren beigebracht!“ Und gerade das
Fahrradfahren schien uns doch eigentlich das Wenigste, was wir erwarten
konnten. Wir dachten im Stillen: „Wart
nur, wir werden euch schon zeigen, was
der von uns alles kann.“
Bei der Chromosomenuntersuchung
im Institut für Anthropogenetica in Amsterdam erklärte uns der Arzt dort, dass
man ihnen eventuell ein gewisses Maß
an Selbständigkeit beibringen könnte.
Im günstigsten Fall sogar so viel, dass
sie sich in einer beschützenden Umgebung einigermaßen zurechtfinden könnten. Marian sagte damals zu diesem
Arzt, dass sie eigentlich schon davon
ausging, ihrem Sohn die nötige Selbständigkeit beibringen zu können. Was
Marian dann wohl unter Selbständigkeit verstand? Sie antwortete: „Na, dass
er allein, mit einem Rucksack auf dem
Rücken, per Autostopp nach Nepal fährt,
zum Beispiel.“ Der Arzt wurde ganz
blass und sagte: „Machen Sie sich bitte
keine Illusionen, er wird noch nicht
einmal je allein mit einem Bus fahren
können!“
Hypotonie kontra Fahrradkultur
In unserer Familie gehörte es bis dahin
zur Lebenskultur, an den Wochenenden lange Spaziergänge oder Radtouren zu machen. Während der ersten
Jahre mit David haben wir häufig daran
gezweifelt, ob wir jemals wieder in die
Berge gehen könnten und ob er je das
Radfahren lernen würde. Dazu kommt,
dass David ein ziemlich „schlaffes“,
34
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
FÖRDERUNG
hypotones Kind war (und noch immer
ist). Aber wir hatten das Bedürfnis,
unsere Freizeitkultur auf unser Kind zu
übertragen, wie eine Art Erbe, und wir
hatten immer eine positive Erwartungshaltung, dass er es doch einmal schaffen würde. Deshalb haben wir gerade
im Bereich der Grobmotorik, wo deutlich Davids Schwächen liegen, von Anfang an sehr viel mit ihm geübt. Während seiner ganzen Entwicklung erlebten wir, wie die Hypotonie ihm immer
wieder bei der Eroberung seiner Umwelt Probleme bereitete. Zum Beispiel
hat es sehr lange gedauert, bis er endlich mit viel Mühe laufen lernte.
kam. Aber das war wohl auch nicht der
Grund. Dann haben wir sogar einmal
mit ganz breiten Gummistreifen seine
Füße fest an den Pedalen angebunden.
Nichts half!
Bis er, zu unserer größten Verwunderung, es wohl auf einem viel größeren
Dreirad von einem anderen Kind versuchte. Der Unterschied lag in der Ergonomie. Bei dem größeren Dreirad musste
er mehr direkt nach unten treten und
dazu konnte unser Sohn mehr Kraft
aufbringen, oder besser gerade genügend Kraft aufbringen.
Versuch einmal selbst, wie viel Anstrengung es kostet, wenn man halb
nach hinten lehnend mit hochgehobenen Beinen und Füßen irgend wo direkt
vor sich in der Mitte Kraft ausüben
muss. Als wir das endlich so um Davids
vierten Geburtstag realisierten, kam die
nächste Phase. Wir kauften für David
das allerkleinste Kinderrad mit Stützrädern und mit Pedalen, die direkt unter
dem Sattel angebracht waren (Fahrrad
Nr. 2). Und damit radelte er praktisch
sofort los, trotz der massiven, schweren
Reifen und des superharten Sattels! Aber
das störte ihn nicht, weil er ja damals
noch Windeln trug. Als die Windeln
abgelegt wurden, wollte er nicht mehr
auf dem Sattel sitzen!
Ein richtiges Mountainbike
Fahrrad Nr. 1
Rad fahren lernen
In diesem Artikel möchten wir hauptsächlich über das Radfahren berichten.
Als David drei Jahre wurde, kauften
wir, weil das für uns das Selbstverständlichste war, das allerkleinste Dreirad, das schätzungsweise eine Lebensdauer von einigen Jahren hatte (Fahrrad Nr. 1)
Unser Sohn benutzte dieses Dreirad
vielmehr als eine Art Laufhilfe. Endlos
haben wir seine Füße auf die Pedale
gesetzt und ihn geschoben, immer wieder mündliche Anweisungen gegeben.
Außerdem ließen wir es ihm immer
wieder von anderen Kindern vormachen. Wir haben sogar Holzklötze an
den Pedalen befestigt, weil wir dachten,
dass er vielleicht doch nicht gut hin
Nach ungefähr einem Jahr und einigen
Paaren abgefahrener Stützräder kauften wir das kleinste Mountainbike, das
wir finden konnten (Fahrrad Nr. 3) Bei
Kindern mit wenig Muskelkraft, wie dies
häufig bei Kindern mit Down-Syndrom
der Fall ist, ist es natürlich wesentlich,
dass man nie zu große oder zu schwere
Materialien anbietet (auch nicht wie in
unserem Fall bei einem Fahrrad), nach
dem Motto, da hat er dann viele Jahre
was davon. Dies ist zwar ein urholländisches Prinzip, aber man läuft stark
Gefahr, dass das Kind einfach aufgibt,
bevor es den Schritt zum selbständigen
Radeln überhaupt geschafft hat. Wir
sind wieder landauf und landab geradelt, jetzt auf Luftreifen, und haben dabei mehrere Paare Stützräder abgefahren. Das viele Radfahren war praktisch,
weil David dabei auch die Verkehrsregeln und links und rechts zu unterscheiden lernte. Aber jedes Mal, wenn wir die
Stützräder ein wenig höher stellten, natürlich ohne dass er das sah, kam sein
Fahrrad Nr. 2
Kommentar: „Kaputt!“ und das Rad
wurde demonstrativ in eine Ecke gestellt. Insgesamt schien die Situation
ziemlich hoffnungslos und wir diskutierten regelmäßig, ob David nicht doch
lieber auf einem großen Dreirad fahren
sollte.
So wurde uns allmählich während
dieser Jahre klar, dass an der Bemerkung, damals nach Davids Geburt: „Ich
kenne einen, dem haben sie sogar das
Radeln beigebracht“, doch mehr Wahres dran war, als wir damals glauben
wollten.
Fahrrad Nr. 3, mit Stützrädern
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
35
FÖRDERUNG
Endlich ohne Stützräder
Als David sieben Jahre geworden war
und immer noch nicht ohne Stützräder
fahren konnte, entschieden wir uns als
letztes Mittel, es noch einmal mit einer
alternativen Aufgabenanalyse zu probieren. Wie konnten wir den für David
enormen Schritt weg von den Stützrädchen zum Selbstfahren auf nur zwei
Rädern bewältigen? Wir beschlossen,
zu einem großen, aber meist sehr leeren
Spielplatz zu gehen, wo es Schaukeln,
eine Rutsche und eine Wippe gab. Das
Gras dort war überall schön weich, das
zeigten wir David auch. Wir montierten
ganz offiziell die Stützräder von seinem
Rad ab und sagten: „So, jetzt werden
wir hier üben, denn immer wenn Kinder so groß sind, dass sie mit den Füßen
auf den Boden kommen, werden die
Stützräder abmontiert. Das macht man
bei allen Kindern, also auch bei dir. Du
darfst zur Schaukel, aber du musst
hinradeln. Mama bleibt bei dir und hält
dich fest.“ Den ganzen Nachmittag sind
wir gerannt und geradelt, von der Schaukel zur Wippe, von der Wippe zur Rutsche, usw. Anfangs lehnte er sich absichtlich ganz schief, um zu kontrollieren, ob wir ihn wohl auffangen würden.
Aber das wurde bald weniger. Nach
diesem Mittag wussten wir, dass wir
physisch in der Lage waren, jeden Tag
die Strecke zur und von der Schule
neben ihm herzurennen (die Strecke,
die er jetzt schon täglich alleine zurücklegte, mit Stützrädern). Wir entschieden uns, die Stützräder nicht mehr an
das Rad zu montieren und seine täglichen Fahrten zur Schule als Übungstouren anzusehen. Und schließlich radelte er dann innerhalb einer Woche
ohne weitere Hilfe!
Jetzt musste noch eine Lösung gefunden werden für das schwierige Anfahren und Bremsen. Wenn er einmal
durch uns aufs Rad gebracht war, fuhr
er wie ein Besessener los, als ob er
einfach aus unserem Leben verschwinden wollte. Wenigstens sah das für uns
Eltern so aus, wenn wir ihn in rasendem
Tempo über den Radweg auf der Heide
verschwinden sahen, in Richtung einer
viel befahrenen Autostraße. Da musste
man dann als Eltern schon auch durchstarten, um ihn noch gerade rechtzeitig
vor der Kreuzung einzuholen und abzubremsen.Den Rekord hält Erik, der
an einem Wochenende zwölf Kilometer
hinter David her trabte.
36
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Fahrrad Nr. 3
ohne Stützräder
Endlich gelang ihm das Anhalten, einfach indem er aufhörte zu treten und
dann die Füße am Boden entlang schleifte. Aufsteigen und Losfahren kosteten
noch viel Mühe, aber indem wir seinen
„besten“ Fuß immer wieder auf das
Pedal stellten, das oben war, konnte er
sich nach einer weiteren Phase selbst in
Schwung bringen.
Lange Radtouren
Im Winter darauf machten wir unsere
erste echte Radtour zu einem Nachbardorf. Es war ein windstiller, aber kalter
Tag. Schon damals etablierte sich ein
bestimmtes Muster, nämlich dass David
alleine vorne fuhr („Darf vorne!“) und
wir beiden dicht dahinter. Als Belohnung und zum Aufwärmen bekam er in
einem Esshaus (das Wort Restaurant
war damals noch viel zu schwer für ihn)
etwas zu trinken und ein Stück Apfelkuchen. Das kam gut an. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir ihm lange Strecken fahren lassen, wenn es am Schluss
ein Stück Apfelkuchen oder Ähnliches
gab. Wir mussten anfangs unsere Radtouren sehr sorgfältig planen, genau so
wie man eine größere Segeltour vorbereitet. Nur ein bisschen Gegenwind, und
David schaffte es nicht. Wir mussten
versuchen, den Wind optimal für uns zu
nutzen. Mit einer guten lokalen Wettervorhersage und einer Karte suchten wir
vorab genau, wie wir unsere Route festlegen konnten: Gegen den Wind auf
einer Waldstrecke, geschützt durch die
Bäume, und dann auf offener Strecke
zurück zum Ausgangspunkt mit dem
Wind im Rücken. Außerdem liebte David es, über kurvige Waldwege zu fahren, verlor aber seine Motivation auf
langen geraden Strecken, die so typisch
für flurbereinigte Gebiete sind. Auch
machten wir viele Touren nur in eine
Richtung mit dem Wind im Rücken und
fuhren dann mit der Bahn zurück nach
Hause. Nicht ganz, denn die letzten zehn
Kilometer müssen wir immer radeln, so
weit sind wir vom nächsten Bahnhof
entfernt.
Inzwischen schaffte David regelmäßig Touren von bis zum 60 Kilometern
am Tag, manchmal an einem langen
Oster- oder Pfingstwochenende noch
mehr. Das viele Trainieren hat dazu
geführt, dass er, was radeln anbelangt,
seinen Mitschülern überlegen war. Nicht
dass die das nicht auch gekonnt hätten.
Mit viel weniger Übung hätten sie natürlich das Gleiche oder mehr geschafft als
dieser Junge mit Down-Syndrom. Aber
wie beim Sport können die guten Leistungen nur von denjenigen gebracht
werden, die sich dafür einsetzen. Und
natürlich braucht es auch eine Portion
Begabung. Aber wer möchte behaupten, dass ein Kind mit Down-Syndrom
nicht begabt wäre? Und Begabung oder
nicht, ohne Übung erreicht man sowieso nichts!
Nicht nötig zu sagen, dass David
insgesamt enorme Strecken auf seinem
Rad zurücklegte und so auch viel Erfahrung im Verkehr machte. Wir konnten
ganz auf sein Verhalten vertrauen. Er
hatte auch keine Mühe mit Ampeln,
„schlafenden Polizisten“ usw.
FÖRDERUNG
Mit einem Radcomputer
Als David acht Jahre alt war, war das
Mountainbike wirklich viel zu klein geworden. So kauften wir ihm im August
1992 das nächste Fahrrad. Fiets Nr. 4
war wieder ein „normales“ Rad, jetzt
eines mit 20-Zoll-Reifen und immer noch
mit einer Rücktrittbremse. Wir trauten
uns immer noch nicht, ihm ein Rad mit
Handbremsen zu geben, weil wir befürchteten, dass er damit in Notsituationen nicht rechtzeitig bremsen würde.
Er kannte sich nun mal mit einer Rücktrittbremse aus. Es war eine große
Umstellung für David, und es brauchte
einige Überredungskünste unsererseits,
bis er auf das neue Rad stieg. Aber dann
war er schon bald von den Vorteilen
überzeugt. Für dieses Rad kauften wir
ihm einen einfachen Radcomputer. Darauf konnte er ablesen, wie schnell er
fuhr und das fand er toll. Und als wir das
Gefühl hatten, dass er zu langsam radelte, fragten wir David: „Wie viel fährst
du?“ Wenn er dann antwortete: „Neun“,
sagten wir: „Du musst lernen, mindestens zwölf zu fahren.“ Und dann gab er
sich wieder einige hundert Meter lang
Mühe. Jedes Mal wenn er wieder tausend Kilometer geschafft hatte, durfte
er das in der Schule zeigen, da glänzte
er dann vor Stolz.
Österreich
Schon seit vielen Jahren verbringen wir
unsere Sommerferien in Österreich. Einmal hatten wir Fahrrad Nr. 3 (das
Mountainbike) schon mitgenommen in
Fahrrad Nr. 4
unserem Wohnwagen. David war dann
schon hier und da kurze Strecken geradelt, während wir hinterher joggten.
1995, David war gerade elf, entschlossen wir uns, nicht nur Davids Rad mitzunehmen, sondern auch Eriks Rad.
Das war ein Leichtgewicht-Exemplar.
Marian hatte immer schon ein schweres, altes Rad, das war nichts zum Mitnehmen, sie würde sich in Österreich
um ein Mietrad kümmern. Das haben
wir dann auch so gemacht und das
Ganze wurde aus zwei Gründen zu einem enormen Erfolg. Erstens entdeckten wir selbst die tollen Möglichkeiten
von Österreich als Radland und zweitens waren wir sehr überrascht und
erfreut über Davids Leistungen im hügeligen Gelände. Im nächsten Jahr radelte er sogar verschiedene, nicht allzu
lange Steigungen hoch (13 %!). Ohne
Gangschaltung!
Handbremsen und Gangschaltung
Also entschieden wir uns, noch einmal
die Spargroschen zusammenzulegen,
und kauften im September 1996 Fahrrad Nr. 5, das war ein sehr schweres,
aber deshalb billiges Rad mit Handbremsen, einer Gangschaltung mit sechs Gängen und 24-Zoll-Rädern. Noch immer
waren wir sehr in Sorge wegen der
Handbremsen, besonders bei dem Gedanken an die langen Abfahrten in Österreich.
Aber wir hatten zuerst einen Winter
Zeit zum Üben. Wir kauften zu seiner
Sicherheit damals auch gleich einen
Fahrradhelm, obwohl wir befürchteten,
dass er den nicht würde tragen wollen.
Aber in der Praxis war es anders. Schon
gleich am nächsten Morgen behielt er
den Helm sogar den ganzen Vormittag
in der Schule auf, so stolz war er darauf!
Danach ist er von sich aus nie mehr
ohne Helm geradelt.
Und auch die Umstellung auf Handbremsen bedeutete kein größeres Problem. Schwieriger war es mit den verschiedenen Gängen. Tatsächlich funktionierte dies leider auch nicht so leicht.
Es war kein Rapid-Fire-System, mit zwei
Schaltern, sondern nur mit einem einzigen, schwer zu bedienenden Schalter.
So benutzte David die ersten Tage sehr
willkürlich nur die ersten drei Gänge,
manchmal auch noch den vierten Gang.
Fünf ist für große Leute, so redete er
sich raus. Aber in Wirklichkeit hatte er
zu wenig Kraft, um den fünften Gang
einzulegen. Als er es dann endlich, mit
vielem Zureden unsererseits, gut beherrschte, war dies sehr vorteilhaft für
die Hügel in Holland und natürlich für
unsere Ferientouren in Österreich. Aber
erst im Frühjahr dieses Jahres lernte er
den sechsten Gang zu schalten.
Trotz des vielen Übens erklärte David immer wieder, dass Fahrradfahren
sein liebstes Hobby war. Als in Klasse 8
diesen Sommer die Schüler im Rahmen
eines Fotoprojektes darstellen mussten,
wie ihr liebstes Hobby aussah, schmiss
sich David von sich aus in eine tolle
Radfahrausrüstung und machte dann
in der Schule ein Foto von sich selbst
(siehe nächste Seite).
Insgesamt war also die Umstellung
auf Rad Nr. 5 wieder gut gelungen. So
wurden wieder viele tausend Kilometer
zurückgelegt. Das Problem war schon,
dass David im Durchschnitt zu langsam
radelte. So langsam sogar, dass wir
deshalb regelmäßig Angst hatten, dass
mit seiner Schilddrüsenfunktion etwas
nicht stimmte. Eine ausführliche Untersuchung, die wir im Sommer 1997
durchführen ließen, ergab aber, dass
alles in Ordnung war. Sein Fahrrad lief
einfach schwer. Das merkte man, wenn
man mit ihm zusammen von einem Hügel runterfuhr oder natürlich auch, wenn
man selbst mal auf seinem Rad fuhr. In
der 7. Klasse war er mit einem Schullager auf der Insel Ameland gewesen.
Dort hatte seine langsame Fahrweise
auch ab und zu Probleme verursacht.
Am Ende der 8. Klasse stand wieder ein
Schullager auf dem Programm und seine Lehrerin hatte große Bedenken, wie
David die Strecke von 65 Kilometern
schaffen würde. Wir versuchten während dieses Jahres, David zu trainieren,
um ihm ein Tempo von 15 bis 17 Kilometern pro Stunde anzugewöhnen, das
war das Kriterium für das Schullager.
Das gelang uns aber nur teilweise. Davids Tempo sackte unterwegs regelmäßig ab. Als die Klasse dann ins Lager
fuhr, wurden wir freundlich gebeten,
David und sein Rad doch mit dem Bus,
der auch das Gepäck der Kinder zum
Ferienbauernhof transportierte, mitzugeben. Das war nicht nur unter unserer
Würde, wir fanden es für David auch
sehr schade. Eigentlich hatte er ja schon
viel mehr Kilometer geradelt als alle
Kinder in seiner Klasse! Sein Computer
zeigte schon über 6000 Kilometer an.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
37
FÖRDERUNG
wertiges Alurad, ein ATB mit 21 Gängen
mit Grip-Shift und 26-Zoll-Rädern – Rad
Nr. 6!
Auf das neue Rad kam auch ein
neuer Computer mit noch mehr Funktionen als früher. Das Rad passte sofort
prima, das Schalten und Bremsen klappte wunderbar. Und siehe da, diesen
Sommer machte David den Megaschritt
in seiner Entwicklung, was das Radfahren anbelangt und worauf man als Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom
so intensiv hofft, und der aber allzu oft
nie genommen wird. Vom einen Tag auf
den anderen verschob sich seine Geschwindigkeit nach oben, bis weit über
die 20 Kilometer pro Stunde.
Jetzt klafft die Schere!
Fahrrad Nr. 5
David hat sich hier mit
Selbstauslöser fotografiert:
„Mein liebstes Hobby“ hieß
das Thema!
Außerdem wussten wir schon, dass dieses Schullager das letzte gemeinsame
Erlebnis sein würde in der integrierten
Klassengemeinschaft. Deshalb entschieden wir, selbst mitzufahren und falls
nötig etwas langsamer hinterherzukommen. Aber zum Glück – sowohl auf
der Hin- wie auf der Rückfahrt ging alles
prima und brauchte David keine Hilfe.
Verkehrsexamen
Am Ende der 8. Klasse nahm David
noch teil an dem Verkehrsexamen. Leider hatte er große Mühe mit dem schriftlichen Teil. Wir haben in einer früheren
Ausgabe von Down+Up die Art und
Weise, wie dieser Text zusammengestellt ist, schon mal kritisiert. Obwohl es
eine spezielle Version für Kinder mit
Lernproblemen gibt, ist diese absolut
ungeeignet für Kinder mit einer so eingeschränkten Sprachentwicklung wie
unser David sie hat.
Er erreichte 24 Punkte (es hätten 26
sein sollen), nicht etwa weil er die
Vekehrsregeln nicht kannte – auch dank
spezieller Computerprogramme hatte er
die gut gelernt –, sondern weil er die Art
der Fragen nicht verstand. Den praktischen Teil des Tests schaffte David aber
schon.
38
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Allein unterwegs
Weil David inzwischen ein routinierter
Verkehrsteilnehmer geworden war, weil
wir den Vorteil haben, in einer ruhigen
Gegend von Holland zu wohnen, und
weil David über ein vorzügliches Orientierungsgefühl verfügt, konnten wir ihn
nun auch allein auf Tour schicken. Das
schien uns auch eine wichtige Vorbereitung auf sein Leben später, das doch so
selbständig wie möglich sein sollte. So
übten wir die Strecke nach Nijenveen,
wo er zum Schwimmtraining hingeht.
Kurz vor den Sommerferien fand er es
ganz normal, dort allein hinzufahren (7
Kilometer) und auch wieder ohne Problem nach Hause zu kommen. Ich gebe ja
zu, Nijenveen ist nicht Nepal, aber der
Anfang ist gemacht und das Fahrradfahren ist schwieriger als Autostoppen!
Alurad mit 21 Gängen
Weil David jetzt in der 8. Klasse schon
14 Jahre geworden war, war es sein
letztes Jahr in der Grundschule. Und
weil er vom nächsten Schuljahr an jeden Tag in die Kleinstadt Meppel fahren
musste, die neun Kilometer weiter
weg liegt, tauschten wir in den Sommerferien in Österreich sein schwer laufendes Rad ein für ein qualitativ hoch-
Und was für uns total unerwartet kam
… bei unseren Radtouren fährt uns unser Sohn davon und müssen wir uns
immer mächtiger anstrengen, nicht zu
weit ins Hintertreffen zu geraten! So
klafft die Schere also immer weiter auseinander! Wie hatten wir je an der Funktion seiner Schilddrüse zweifeln können?
Und nicht nur das. Auf den langen
Steigungen in Österreich mussten wir
uns sehr viel Mühe geben, ihm zu folgen. Und als wir dann keuchend neben
ihm radelten, redete er immer noch wie
ein Wasserfall ohne irgend welche Atemprobleme. Und auch sofort nach einer
kleinen Pause auf längeren Touren, als
wir allmählich unsere Beine spürten,
stieg David wieder munter auf und radelte fröhlich davon.
Die Moral
Diese Geschichte ist keine Werbegeschichte über David de Graaf. Nein,
sie hat eine klare Aussage. Aus der
vorhergehenden Geschichte ist Ihnen
hoffentlich klar geworden, dass das erreichte Resultat doch wohl das allerletzte ist, das wir anfangs erwartet hatten.
Deshalb möchten wir noch mal beto
nen, wie wichtig es ist, dass Eltern schon
früh anfangen, mit ihrem Kind das Radfahren zu üben, wenn sie nämlich selbst
noch fit genug sind hinterherzutraben
und das Kind noch nicht zu schwer, um
es festzuhalten oder zu stützen. Und
kaufe gut passende Räder, nicht zu große, keine zu schweren Modelle. Dann
wird man später die enorme Freude
erleben, zu wissen, dass sein Kind ein
sicherer Verkehrsteilnehmer ist, mit
FÖRDERUNG
dem man herrliche Radtouren machen
kann.
sich auch überlegen, wie groß die Verletzungsgefahr ist, wenn das gleiche Kind
mal vom Pferd fällt.
Fahrrad, Delphin oder Pferd
Und dann noch etwas: Immer wieder
hört man über therapeutisches Reiten
oder Schwimmen mit Delphinen und
ähnliche Aktivitäten, die Menschen mit
Behinderung aktivieren und ihr Selbstbild verbessern sollen. Wir sind davon
überzeugt, dass man das Gleiche genauso erreichen kann mit einem Fahrrad. Weiter muss es doch auch jedem
klar sein, dass für das tägliche Leben in
den Niederlanden der Umgang mit einem Rad und ein sicheres Verhalten im
Verkehr von sehr viel mehr Nutzen ist
als das Aufbauen einer Beziehung zu
einem Delphin oder einem Pferd. Und
wenn Sie sich Sorgen machen über die
Risiken für den Radfahrer mit DownSyndrom im Verkehr, dann sollten Sie
Schlusswort
Inzwischen hat David uns klipp und klar
mitgeteilt, dass er nicht mehr begleitet
werden will auf seiner täglichen Fahrt
zur Schule, neun Kilometer weiter. Er
will allein zur Schule fahren. Und weshalb nicht? Er kennt die verschiedenen
Wege, die zur Schule führen, in- und
auswendig. Er kennt die Verkehrsregeln, er beherrscht sein Rad. Also werden wir auch diesen Schritt probieren.
Es verursacht zwar bei uns so ein flaues
Gefühl im Magen. Aber die Frage sei
gestellt, ob dieses Besorgtsein so viel
anders ist als die für ein Kind ohne
Down-Syndrom.
Fahrrad Nr. 6
Sauberkeitserziehung
Wer erzieht eigentlich wen?
Mirjam und Sarah sind zweieiige Zwillinge und im Juli 1997 geboren. Sarah
hat das Down-Syndrom, Miriam nicht.
In ihren ersten Lebensmonaten war
Sarah einige Male im Krankenhaus (Lungenentzündung mit Atemstillstand,
Pseudokrupp), bis im Februar 1998 eine
(angeborene) Dünndarmstenose entdeckt und operiert worden war. Bis
dahin und noch einige Zeit danach litt
sie unter Verstopfung und musste des
Öfteren mithilfe eines flexiblen Fieberthermometers zur Darmentleerung gebracht werden. Von Anfang an hat Sarah sich mit einer vollen Windel sehr
unwohl gefühlt und sich grundsätzlich
geweigert, etwas zu essen oder zu trinken, ehe die Windel nicht erneuert worden war.
Als Sarah 15 Monate alt war, fiel uns
auf, dass mit einem Mal die Windel
ständig trocken war, wenn sie gewechselt werden sollte, Sarah jedoch nach
Öffnen der Windel sofort auf den Wickeltisch pullerte. Nach viertägiger,
gleichartiger Prozedur glaubten wir
nicht mehr an einen Zufall und kauften
ein Töpfchen. Auf dieses wurde Sarah
zunächst morgens und nachmittags nach
dem Schlafen gesetzt. Sie fand es äußerst spannend und spaßig, dass Mama
vor ihr hockte, sie anschaute und selbst
angestrengt „Pressgeräusche“ von sich
gab. Sie ahmte nicht nur die Geräusche
nach, sondern strengte dabei auch die
Bauchmuskulatur an. Jeder flüssige oder
feste „Erfolg“ wurde von den anwesenden Familienmitgliedern bestaunt und
beklatscht. Während der darauf folgenden zwei Wochen haben wir Sarah dann
vor jedem Windelwechsel aufs Töpfchen gesetzt. Dies war sozusagen die
Trainingsphase, in der Sarah es lernte,
ihre Blasen- und Darmentleerung zu
kontrollieren. Das Problem für sie und
uns war, wie sie sich bemerkbar machen kann, wenn sie „mal muss“. Sarah
hat dieses Problem so gelöst, dass sie
unruhig wird und „Pressgeräusche“ ähnlich einem „a-a“ von sich gibt.
Mittlerweile ist die Windel tagsüber
zu 75 % trocken. Ausnahmen sind vor
allem fieberhafte Infekte, wo es natürlich nicht klappt, oder wenn keiner
Sarahs Signale mitbekommt.
Sarah scheint durch die Vorgeschichte mit Verstopfung, „Abführmittel“, Fieberthermometer und der Dünndarmste-
nose ein gutes Gefühl für diesen Teil
ihres Körpers bekommen zu haben. Ihre
Zwillingsschwester Miriam fühlt sich dagegen mit voller Windel pudelwohl und
setzt sich nur voll bekleidet aufs Töpfchen. Dabei fordern wir von den Zwillingen angesichts des Alters keine Sauberkeit ein. Unsere älteren Kinder waren erst viel später sauber. Sarah scheint
vielmehr von uns zu fordern, dass wir
sie dabei unterstützen, ohne Windel
auszukommen. Alle Schritte gingen von
ihr aus. Wir haben lediglich versucht,
die Zeichen zu deuten und umzusetzen.
Vielleicht sucht sie auch ein Erfolgserlebnis vor ihrer Schwester, die im Gegensatz zu ihr schon laufen und alleine
essen kann.
Auf jeden Fall sollte Sarah allen Eltern Mut machen mit der Erkenntnis,
dass auch ein behindertes Kind zu Leistungen fähig ist, die selbst ohne DownSyndrom nicht unbedingt erwartet werden können.
Martina Bindel und
Dr. Alexander Schütz, Berlin
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
39
FÖRDERUNG
Frühförderung auf dem Prüfstand
Wie sehen Eltern heute das Angebot der Frühförderung?
Vor einigen Wochen wurde
von den Teilnehmern der
Down-Syndrom-Liste im
Internet das Thema
Frühförderung diskutiert.
Viele Eltern zeigten sich
sehr unzufrieden mit dem,
was die Frühförderung
ihnen und ihrem Kind
bietet.
Waren das besonders
schwierige Eltern, die an
allem etwas zu nörgeln
haben, oder eher gut
aufgeklärte Eltern, die
wissen, was sie für ihr
Kind wollen und was es
heute für Möglichkeiten
gibt?
Das bedeutet nicht, dass
man sagen kann, dass
Frühförderung, so wie sie
heute angeboten wird,
pauschal von allen Eltern
abgelehnt wird. Unsere
kleine Studie ergab auch
Positives.
Trotzdem lässt sich klar
erkennen, dass viele
Eltern sich heute etwas
anderes wünschen. Sie
fordern u.a. mehr
Kompetenz, mehr
Transparenz und mehr
Qualitätskontrolle.
40
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Meinungen aus
dem Internet
Eine kritische Auseinandersetzung
„Frühförderung (FF) ist meilenweit davon entfernt von dem, was wir einmal
erwartet haben.“
„Wir hatten die Erwartung, dass wir
eine gemeinsame Bestandsaufnahme
machen würden und uns überlegen, in
welchen Bereichen und wie wir unseren
Sohn optimal anregen könnten. Es kam
hingegen eine Frau mit ein paar
Rasselchen in der Tasche, die sie dann
betätigte, solange sein Interesse anhielt.
Von ihrer Seite keine Spur Interesse
daran, ob er gestillt wurde, wo er gewickelt wurde, schlief oder was immer
einem da einfallen könnte.“
„Das bedeutet aber, dass an systematischer Förderung außer unseren eigenen Bemühungen eigentlich nur die
Krankengymnastik stattfindet. Das erscheint uns aber sehr wenig an fachlicher Unterstützung: Natürlich ist unsere Aktivität als Eltern am wichtigsten,
aber oft finde ich uns so allein gelassen.“
„Allerdings gibt es da (über die FF)
nichts Positives zu sagen, ich dachte
nur, es liegt vielleicht an meinen hohen
Anforderungen, aber es scheint mir doch
ein Problem zu sein, dass wir nicht
alleine haben.“
„Wir sind sehr unzufrieden mit unserer
FF, da M. im Wesentlichen mit einem
einfallslosen Konglomerat von Spielanregungen überhäuft wird. Letzte Woche
wurde sie innerhalb einer Stunde mit
acht verschiedenen Spielzeugen malträtiert (vom Kriechtunnel bis zur Rasselkugel), zusätzlich noch zwei von unseren eigenen Sachen. Das heißt, M. hatte
im Schnitt sechs Minuten Zeit, sich mit
einer Sache zu beschäftigen!“
„Verschlimmernd kommt noch hinzu,
dass die Heilpädagogin uns als Eltern
nicht nur nicht auf neue Ideen bringt,
sondern Dinge, die wir uns erarbeiten,
noch abtut. So geschehen mit der Gebärdensprache, mit der sie sich offensichtlich nicht beschäftigt hat, trotzdem
aber den Kommentar abgeben musste,
M. solle ja sprechen lernen und sie würde so eher faul werden (wir wissen,
dass genau das Gegenteil richtig ist).
Vom frühen Lesenlernen werden wir
erst gar nicht berichten.“
„Das Geld (ca. 140,– DM/h) wäre sicherlich besser angelegt, wenn wir stattdessen zehn Stunden in der Woche eine
Haushaltshilfe engagieren würden und
dadurch mehr Zeit für unsere Tochter
hätten.“
Umfrage
zum Thema
Frühförderung
Im März 1997 verschickten wir an die
Mitglieder der Selbsthilfegruppe einen
Fragebogen zum Thema Frühförderung
mit 22 Fragen. Anlass war eine Einladung der Lebenshilfe an die SHG, bei
dem Forum „Frühförderung auf dem
Prüfstand“ im November an einer Diskussionsrunde teilzunehmen, in der Eltern aus ihrer Sicht schildern sollten,
wie sie sich die FF von heute vorstellen.
Wir bekamen 70 ausgefüllte Bögen
zurück, bei manchen waren zusätzlich
verschiedene Seiten beigelegt, auf denen Eltern (Mütter) darlegten, was ihnen zum Thema FF noch einfiel, nachdem sie alle Fragen beantwortet hatten.
Außer nach allgemeinen Fakten
(Wann bekam ihr Kind die erste FFStunde, wie oft, wie lange, ob zu Hause
oder in der FF-Stelle, welche Angebote
außerdem: Logopädie, Krankengymnastik, Ergotherapie, Schwimmen etc.?)
wurde gefragt, ob nach einem bestimmten FF-Programm gearbeitet wurde, wie
die Förderstunde aufgebaut ist, ob das
Kind Spass hat, ob die Pädagogin kompetente Auskunft geben kann in DSFragen, wie zufrieden die Eltern sind,
FÖRDERUNG
Frühförderung
– ein bisschen dies und ein
bisschen das oder gezielt fördern
nach einem Programm?
ob unterstützt wird bei der Suche nach
einem Kindergartenplatz, was ihnen
nicht gefällt, was besser oder anders
sein sollte usw.
Ungefähr 40 % der Eltern sind zufrieden mit der FF, die ihr Kind bekommt, 10 % davon heben extra hervor,
dass sie sogar äußerst zufrieden sind,
und alle ihre Bedürfnisse und die des
Kindes berücksichtigt werden.
Weshalb sind Eltern unzufrieden?
60 % der Eltern sind nicht ganz oder gar
nicht zufrieden. Eine oft erwähnte Kritik ist, dass die Förderstunden häufig
ausfallen, wobei dies öfter passiert durch
Krankheit, Fortbildung, Personalknappheit seitens der FF als wegen Krankheit
des Kindes. Viele Eltern wünschen sich,
dass die verlorenen Stunden, wenn sie
durch die FF entstanden sind, nachgeholt werden können.
Sehr enttäuschend ist es für Eltern
festzustellen, dass das Personal der FFstellen nicht genügend über Down-Syndrom informiert ist, sich nicht über neue
Methoden, wie z.B. Gebärdensprache
oder Frühes Lesenlernen, auskennt,
obwohl dies schon längst anerkannte
Förderansätze sind, und Eltern dabei
nicht unterstützen können oder wollen.
Ein sehr großes Anliegen von vielen
Eltern ist jedoch, dass mehr systematisch mit dem Kind gearbeitet wird, even-
tuell nach einem Programm. Sie möchten für die Förderung ihres Kindes einen roten Faden haben, an dem sie sich
„entlang hangeln“ können, gerade auch
weil die FF urlaubs- oder krankheitsbedingt öfter ausfällt. Sie möchten, dass
gemeinsam die Ziele festgelegt werden,
die man mit dem Kind als Nächstes
erreichen will, dass daran gemeinsam
gearbeitet wird und dass immer wieder
geprüft wird, ob das Kind Fortschritte
macht, ob der Weg, die Methode die
richtige ist.
Eltern erwähnen öfter den berühmten „Korb“ der Frühförderpädagogin,
in den alles Mögliche an Spielsachen
gepackt ist, die dem Kind der Reihe
nach angeboten werden, ohne dass den
Eltern der Sinn mancher Spiele klar ist.
Da wünschen sie sich mehr Erklärungen, mehr Transparenz.
Bedauerlich ist die Tatsache, dass
oft seitens der FF wenig Verständnis
gezeigt wird, wenn Eltern für ihr Kind
einen integrativen Kindergartenplatz
anstreben, und deshalb Eltern dabei
auch nicht unterstützen. Viele Eltern
erwähnen, wie unangenehm ihnen die
einseitige Beratung in Richtung Sonderschule für geistig Behinderte ist. Auch
hier fordern sie mehr Sensibilität für ihr
Anliegen der Integration.
Interessant ist es zu wissen, dass die
70 Antworten sich auf 32 verschiedene
Frühförderstellen bezogen.
Positive Resonanz
Gelegentlich gibt es aber auch eine sehr
positive Resonanz. Eine Mutter schrieb:
„Wir haben von Anfang an einen sehr
guten Kontakt zur FF-Stelle und sind
immer optimal betreut worden. Sowohl
unser Anliegen, mit unserem Kind über
die Gebärdensprache die Sprachentwicklung zu fördern, wurde aufgegriffen, als auch unser Wunsch nach einem
Integrationsplatz im Kindergarten voll
unterstützt. Das Angebot der FF-Stelle
ist sehr vielfältig und an einem Austausch über die neuesten Entwicklungen auf dem Down-Syndrom-Gebiet
besteht immer Interesse!“
Ende November 1998 hat in Erlangen das Forum „Frühförderung auf
dem Prüfstand“ stattgefunden. 100
Fachleute, die im Frühförderbereich
arbeiten, nahmen daran teil. In Vorträgen und Diskussionsrunden wurde eine Bestandsaufnahme gemacht
und über den zukünftigen Weg der
FF nachgedacht.
Da zu der Zeit schon Redaktionsschluss war, werden wir Ergebnisse
dieses Forums über „Frühförderung
2000“ in einer der nächsten Ausgaben von Leben mit Down-Syndrom
veröffentlichen.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
41
WERBUNG
Umstrittene Werbekampagne von Benetton
Nützlich für die Integration unserer Kinder?
Cora Halder
Endlich hat sich eine große Modefirma
getraut, in ihrer Werbekampagne Kinder
mit einer Behinderung zu zeigen. Schon
oft haben wir deshalb Firmen
angeschrieben, jedoch immer negative
Antworten bekommen, mit der
Begründung, das würde den Verkauf
gefährden, oder man möchte das den
„armen“ Behinderten nicht antun, dieser
Fotostress! Oder weil man ja nicht auf
der Mitleidswelle reiten oder auf die
Tränendrüse drücken möchte. Ob wir das
tatsächlich wollen, den Menschen mit
Behinderung so ins Licht zu rücken und
ob das der betroffene Personenkreis
eigentlich selbst auch wolle? Ausreden
genug.
D
a half es bis jetzt auch nicht, dass
wir auf die Situation in den USA
hinwiesen, wo Werbekampagnen, in denen Menschen mit einem Handicap gezeigt werden, schon längst zur „Normalität“ gehören. Sowohl in TV-Spots wie
in Mode- oder Spielzeugkatalogen sieht
man Menschen mit Behinderungen. Natürlich geschah das auch nicht von selbst.
Nur mit Druck und Kaufboykotts einer
starken Lobby, nämlich der Eltern, Familien und Freunde der Menschen mit
einem Handicap, immerhin der größten
Minoritätengruppe in den USA. In
Deutschland war die Zeit für dieses
Anliegen offenbar noch nicht reif.
Vor einigen Jahren war ich freudig
überrascht, als ich in einem Spielzeugkatalog der Firma Toys R Us ein Mädchen mit Down-Syndrom entdeckte, einfach so, ganz selbstverständlich zwischen Hunderten von anderen Abbil42
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
dungen von Kindern ohne Down-Syndrom. Auf meine begeisterte Reaktion
bei der Hauptgeschäftsstelle von Toys R
Us in Deutschland reagierte man ganz
erstaunt, sie seien dafür gar nicht verantwortlich, die ganze Werbung kommt
komplett aus den USA. Schade!
Und letztes Jahr kam der neue Katalog von Hess Natur. Eine schöne Geschichte zum Auftakt bei der Kindermode. Hess unterstützt das Projekt eines integrativen Zirkus bei Hamburg,
alle Aufnahmen seien in diesem Zirkus,
in dem behinderte und nicht behinderte
Kinder zusammen trainieren und auftreten, gemacht. Aha! Endlich greift ein
Modemacher das Thema Integration auf
und man blättert gespannt, auf der Suche nach Kindern mit einer Behinderung. Trugschluss, Kinder chinesischer
und afrikanischer Abstammung ja, aber
ein Kind mit Down-Syndrom oder im
Rollstuhl? Nichts da. Schade! Und wie
reagiert Herr Hess auf meinen enttäuschten Brief? Gar nicht. Erst wenn eine gute Kundin nachfragt, wo denn die Antwort bleibt, schließlich sei das auch ihr
Anliegen, ruft mich eine Dame an und
nennt nach und nach die schon bekannten, oben erwähnten Argumente. Verspricht jedoch, am Thema dran zu bleiben.
Und jetzt kommt Benetton und macht
alles gut, verändert mit einem Rundumschlag die ganze Werbelandschaft? Oder
nicht? Was hat die Werbekampagne
„die sonnenblumen“ bewirkt? Ist das,
was wir uns vorgestellt haben, nämlich
auch durch die Werbung etwas für die
Integration von Menschen mit einer
Behinderung zu tun, damit erreicht?
Verschiedene Leserbriefe haben wir zu
dem Thema zugeschickt bekommen, eine
kleine Auswahl drucken wir hier ab.
WERBUNG
Superschön
… Übrigens habe ich mir einen Stapel
„Sonnenblumen“-Kataloge von Benetton
besorgt. Ich finde ihn superschön. Sehr,
sehr schöne Bilder und für einen Modekatalog eine äußerst ungewöhnliche
Aufmachung. Ich bin begeistert. Unabhängig davon was die Firma damit bezweckt, finde ich, das ist ein Stück Integration und in keiner Weise unwürdig
oder reißerisch. Ganz im Gegenteil. Für
die sonst wesentlich provokanteren
Benetton-Aktionen ist der Katalog sehr
einfühlsam gestaltet.
Dass in Versandhauskatalogen Menschen mit Behinderung dargestellt werden sollten, finde ich schon lange wünschenswert, und hier ist der Beweis,
dass man das auf sympathische, originelle und auch ästhetische Weise verwirklichen kann. Oder werden etwa
Produkte, die nicht von den üblichen
Models präsentiert werden, weniger
gekauft?
Manche Menschen sind vielleicht von
solchen Bildern schockiert. Weil sie sie
nicht gewohnt sind, weil die meisten
Menschen mit dem Begriff „Behinderung“ nichts Positives verbinden, weil
sie keinen Kontakt haben mit Menschen
mit einer Behinderung. Deshalb finde
ich Integration so wichtig. Damit es zur
Gewohnheit wird, Behinderungen zu
sehen, damit es zur Gewohnheit wird,
vor der Behinderung den Menschen zu
sehen. Vor der Geburt unserer Tochter
wäre ich wahrscheinlich schockiert gewesen, aber ich bin es jetzt schon gewöhnt und deshalb kann ich gleich das
Lachen, die Liebe, die Fröhlichkeit und
die Mode sehen, ja fast schon eine heile,
schöne Werbewelt – ein Stück Normalität!
Sieglinde Morawetz, Augsburg
Klasse!
Ich habe mir heute (aufgrund des Sternberichts) den neuen Benetton-Katalog
besorgt. Man ist von denen ja einiges an
provokanter Werbung gewohnt, aber
zu dem Katalog kann ich wirklich nur
sagen: Klasse!
Ich höre zwar auch schon wieder die
Stimmen derer, die das Ganze verurteilen (ob das die sind, die sonst immer
monieren, dass Behinderte in unserer
Gesellschaft versteckt werden?), kann
selbst aber nur Positives in dieser Aktion sehen: Behinderte werden (mit ex-
zellenten Fotos) normal dargestellt, als
normaler Teil unseres Lebens. Und Behinderung ist eben nicht nur geprägt
durch Schmerz, Trauer, Unglück, die
Bilder sagen genau das Gegenteil (wobei das sogar eher der Wahrheit entspricht als die normalen Werbebilder,
die uns täglich um die Ohren – pardon
Augen gehauen werden.
Mit Behinderten Geld verdienen – so
einer der vorweggenommenen Vorwürfe im Sternbericht. Na und? Es wird
doch auch sonst dauernd Normalität
gefordert. Dann können Behinderte auch
in der Werbung gezeigt werden. Und
Models verdienen halt Geld und man
verdient an ihnen. „Normaaahl“, wie
man im Ruhrpott zu sagen pflegt.
Behinderte gehören zu uns (jedenfalls statistisch und realistisch gesehen
mehr als diese gut gebauten, makellosen, mit Top-Gebissen ausgestatteten
idealgewichtigen Supermodels, die uns
die Werbung ansonsten bietet.
Aus dem Internet, Bernd
Schnell, Radevormwald
Prima, sehr schön, aber …
Die Fotos (insbesondere die Coverbilder) sind größtenteils sehr positiv
ansprechend und strahlen zumeist
eine fröhlich-liebevolle Atmosphäre
aus.
Alles sind bildlich individuelle
„Charakterdarstellungen“.
Der einleitende Text von S. Tamaro
spricht an, zeigt Bemühen um
Sensibilität.
Benetton wird seinem Firmenanspruch „united colors“ originell in
mehrfacher Hinsicht gerecht: visuell
und gedanklich werden hier auch
verschiedene bunte Lebensweisen,
Lebenssituationen bzw. Lebensentwürfe vorgestellt, ohne dabei
ständig den Firmennamen ins Spiel
zu bringen (vom Standpunkt der
Firmenwerbephilosophie sehr
geschickt gemacht, diese Verknüpfung!).
Der Katalog gibt gleichzeitig eine
Realität und eine „künstliche, besondere, heile Wirklichkeit wieder,
denn es gibt die hierin abgebildeten
Menschen und diese konkrete
Einrichtung, auch wenn sie sicher
nicht immer so fröhlich aussehen
und auch ihre Lebenssituation und
ihre Lebensumstände leider (manch-
mal mag man vielleicht auch denken
Gott sei Dank) nicht mit denen der
Durchschnittsbevölkerung vergleichbar sind; auch hierin gleicht der
Katalog übrigens sonstigen Modekatalogen auf sehr „ambivalentnormale Weise …
Positiv bewerte ich auch, dass
Benetton überhaupt sich auf diese
Begegnung eingelassen hat, denn sie
wird bei allen Beteiligten nachwirken, davon bin ich überzeugt.
Bei sehr genauem Lesen der Texte
und Betrachten der Bilder werden
viele Nuancen sichtbar, die einerseits Mut machen, andererseits auch
traurig machen oder zumindest
nach weiteren Bedingungszusammenhängen fragen lassen können.
Der Katalog vermittelt insofern auch
„Normalität“, indem er alles andere
als eindeutig zu bewerten ist … und
(nicht nur Insider solcher Themen)
zur Diskussion herausfordert, und
das empfinde ich auch als einen
eigenen Gewinn.
Jetzt zum „Aber“ (was mir persönlich
fehlt, wo ich darüber innerlich stolpere
bzw. was mir nicht so gefällt):
Es wird zumeist ausführlich über die
weiteren Lebenshintergründe,
Interessen usw. der Menschen ohne
sogenannte Behinderungen gesprochen, von den anderen jungen
Menschen mit Behinderungen werden zumeist lediglich Name und
Alter erwähnt.
Vielleicht hätte man auch noch ein
wenig mehr, nicht nur im Text,
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
43
WERBUNG
sondern auch in Bildsituationen
herausstellen können, wo die
Bewohner von St. Valetin als selbst
bestimmende Akteure ihrer Entwicklung und ihres Lebens sichtbar
sind.
Manche Fotos wirken von daher
eher wie ästhetisch ansprechende
Arrangements, dadurch aber
zugleich auch wieder auf beklemmende Weise „normal“, denn wie oft
werden auch sonst in Katalogen etc.
Fotos arrangiert …
Auch wenn es nicht die originäre
Aufgabe einer Bekleidungsfirma ist,
gesellschaftspolitische Reflexionen
anzustellen, wenn sie aber durch
diese Art des Kataloges sich doch
auf dieses Feld begibt, dann hätte
ich mir noch mehr Informationshintergrund zum HPZ St. Valetin
gewünscht sowie auch einige
differenzierte Gedanken zu den
Themenbereichen Integration sowie
Sondereinrichtungen und warum
Benetton sich gerade jetzt hiermit
befasst.
Trotz allem: ich finde es gut, dass
Benetton diesen Katalog gemacht hat.
Ich kenne in meinem Umkreis viele Menschen, die den Katalog sehr ansprechend finden und die darüber ins Nachdenken gekommen sind. Ich wünschte
mir, dass die an diesen Aufnahmen beteiligten Menschen irgend wie miteinander in Verbindung blieben.
Clarissa von Ohnesorg, Darmstadt
„… ihnen geht’s dort gut und mir
geht’s nichts an“
Gern möchte ich eine Rückmeldung zum
Benetton-Katalog „die sonnenblumen“
geben, da diese Werbung doch bei mir
und meinem Umfeld so kontroverse Reaktionen ausgelöst hat.
Zuerst sah ich das Plakat auf dem
Flughafen: ein entzückendes Kind mit
Down-Syndrom macht Werbung für
Benetton-Klamotten – super! Das haben
wir uns schon immer gewünscht, endlich!
Später hielt ich das Prospekt „die
sonnenblumen“ in der Hand und habe
es hoffnungsvoll und begeistert aufgeblättert: nette Bilder, eine tolle Sache …
aber je weiter ich kam, desto unzufriedener wurde ich, was soll das, was ist
das: doch wohl keine Werbung für
Benetton-Klamotten? Ausschließlich
behinderte Kinder, die alle aus einem
Heim kommen und an den Seiten keinerlei Hinweis auf Art, Größe oder Preis
der Kleidung, stattdessen mehr oder
weniger seichte Kommentare der Betreuer, Zivis, Ordensschwestern, Eltern.
Viele meiner Freunde (keine betroffenen Eltern) konnten meinen Missmut
nicht teilen, sie führten mir die ästhetischen, ansprechenden Fotos vor Augen
und fanden den Katalog einfach schön.
Also gut, dann betrachten wir das
als Kunst. Kunst will ja provozieren,
Leute zwingen hinzuschauen, wo sie
lieber wegsehen möchten. Aber ist es
uns, unseren Kindern, unserem Anspruch dienlich? Ich antworte mit einem klaren „Nein“.
Wenn Otto Normalverbraucher, der
nichts an seiner heilen Welt kratzen
lassen will, das Prospekt in die Hand
nimmt, wird er viele fröhliche Kinder
und Jugendliche in ihrem Umfeld, ihrer
heilen Welt sehen. Wird vielleicht noch
ein paar passende Kommentare an der
Seite lesen (z.B. „die Probleme wurden
immer größer … die gesunden Kinder
haben sich weiterentwickelt und sie nicht
… seit sie in diesem Institut ist, ist unser
Leben etwas erleichtert“ oder „Hier gibt
es eine soziale Struktur … in der sie
verstanden werden, sich wohl fühlen
und glücklich sind … wollen unsere
normale Welt aufzwingen, in der sie
sich nicht zurechtfinden können“ und
vieles mehr in diese Richtung) und befriedigt das Prospekt in der Papiertonne
entsorgen – prima, sie sind dort, es geht
ihnen gut und ihm geht’s nichts an.
Ich bin dafür, dass die Selbsthilfegruppe einen Brief an den Fotographen
Oliviero Toscani und Benetton schreibt,
seine gelungenen Fotos lobt, aber auch
die Probleme, die wir damit haben, aufzeigt und den Wunsch nach einem richtigen Benetton-Katalog (d.h. in dem es
auch wirklich um die Kleidung geht!)
äußert, in dem nicht behinderte und
behinderte Menschen nebeneinander
und gemeinsam werben, der das normale Miteinander zum Ausdruck bringt!
Ein Potential aus hübschen Fotomodellen können wir ja aus unseren Reihen sicher rekrutieren und anbieten,
oder?
Birgit Bolay, Schwalbach /Ts
Vielleicht ist das ein Anfang?
Den Benetton-Katalog finde ich so übel
gar nicht. Klar, schöner wäre es, wenn
Behinderte und nicht Behinderte gemeinsam als Mannequins aufgetreten
wären, ganz selbstverständlich, ohne
dass es groß ein Thema ist. Aber vielleicht ist das ein Anfang?
Die Kinder werden nicht vorgeführt,
denke ich. Sie geben sich ganz natürlich, so wie sie sind. Und dagegen kann
man nichts sagen.
Christa Gast, Königswinter
44
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
WERBUNG
Behinderung so hat, dadurch natürlich
nicht verändert wird.
Der Katalog scheint uns außerdem
für die Firma selbst nicht unbedingt von
Vorteil zu sein, weil die Kleider nicht
attraktiv gezeigt werden. Aber das ist
das Problem von Benetton.
Erik und Marian de Graaf,
Niederlande
DS-Plakat im Benetton-Laden?
Nein danke!
Mit Tabuthema in die Schlagzeilen
Ich hätte nichts dagegen, wenn meine
Tochter mit Down-Syndrom z.B. in einem Werbeprospekt eines Brillenherstellers abgebildet würde, weil ihr ein
bestimmtes Gestell besonders gut steht.
Das wäre für mich Normalität, weil ihre
Behinderung dabei ohne Bedeutung
wäre. Die im Benetton-Prospekt abgebildeten Kinder und jungen Erwachsenen sind wegen ihrer Behinderung fotografiert worden und der Katalog erweckt den Eindruck, man brauche nur
das Benetton-Outfit, um anerkanntes
Mitglied der Gesellschaft zu sein.
Solange behinderte Menschen nach
dem neuesten Schrei gekleidet und versonnen lächelnd in Erscheinung treten,
ist es für jeden einfach, behindertenfreundlich oder gar integrativ zu denken. Aber wenn einem dann im Urlaub
ein behinderter Mensch unartikuliert
oder sabbernd begegnet, ist es mit der
Toleranz vorbei und man schreit nach
Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreude. Das ist Realität.
Um es auf den Punkt zu bringen:
Benetton hat es wieder einmal geschafft,
mit einem Tabuthema in die Schlagzeilen und in aller Munde zu kommen.
Dabei geht es der Firma nicht um die
Randgruppe selbst, sondern einzig und
allein um Profit und Werbewirksamkeit. Dazu sollten uns unsere behinderten Kinder zu schade sein.
Ulrike Conrad-Kirschnereit, Remscheid
Kommentar aus den Niederlanden:
Darauf hat keiner von uns gewartet!
Down + Up, die Zeitschrift der niederländischen Stichtung Down’s Syndroom,
schreibt u.a. folgendes: „Wir verstehen
Benetton nicht. Die Fotos, die gezeigt
werden, wurden alle in einer großen
Sondereinrichtung in Deutschland aufgenommen und vermitteln ein Bild der
Behindertenfürsorge, so wie die vor Jahren war, komplett mit Ordensschwestern. Die Kinder sind äußerst stereotyp
hingestellt, in unattraktiven Posen hingesetzt, übertrieben anhänglich und
musikalisch.
Als Firma, die bestimmte Produkte
verkaufen möchte, wirbt man doch mit
Models, die eine besondere Ausstrahlung haben, und sorgt man dafür, dass
die Produkte möglichst vorteilhaft präsentiert werden. Das hat Benetton nicht
getan und sich noch nicht einmal die
Mühe gemacht, ihren Modellen Kleider
anzuziehen, die passen. Ärmel und Hosenbeine sind unordentlich aufgekrempelt, sodass die kurzen Arme und Beine
erst recht auffallen.
Nebst einigen wirklich netten Aufnahmen gibt es welche, die total unscharf sind, der Grund ist für uns unverständlich, oder welche, wovon wir gar
nicht verstehen, weshalb gerade die ausgewählt worden sind. Auch die Texte
entsprießen dem gleichen Geist. Darauf
hat keiner von uns gewartet!
Insgesamt glauben wir jedoch, dass
die Benetton-Aktion, trotz der altmodischen Bilder und trotz vieler Stereotypen in den Texten, vielleicht doch ein
wenig der Emanzipation der behinderten Menschen nützen kann, obwohl das
schon bestehende Bild, das „man“ von
Dass es der Firma tatsächlich nicht um
die Randgruppe behinderter Menschen
geht, erfuhr Edith Reich in Erlangen.
Sie war mit Plakaten zu der Ausstellung
„Leben mit Down-Syndrom“ unterwegs,
mit dem Auftrag, sie überall in der Innenstadt anzubringen. Wer so etwas
mal gemacht hat, weiß, welch eine mühselige und frustrierende Arbeit das sein
kann. „Nein, tut mir leid, da kann ja
jeder kommen!“
Unweit der Universitätsbibliothek,
wo die Ausstellung untergebracht ist, ist
ein Benetton-Geschäft. Nun, wenn nicht
dort, wo soll man dann die Dinge noch
hinhängen? Seit dem Katalog und den
Plakaten weiß jeder: Benetton hat behinderte Kinder gern. Benetton macht
da was! Schon sicher, wieder ein Plakat
unterbringen zu können, steuerte Edith
schnurstracks den Laden an.
Die junge Verkäuferin war überfordert. „Nein, sie dürfe nichts aufhängen“, aber immerhin fragt sie telefonisch bei der Geschäftsleitung in München an. Da heißt es, dass in den nächsten Tagen jemand von der Geschäftsleitung vorbeikäme, das Plakat begutachten und dann entscheiden würde.
Also abwarten. Bei wiederholtem Kontrollgang wurde das Plakat nicht gesichtet, bei Nachfrage einige Tage später hieß es dann, die Geschäftsleitung
habe es abgelehnt. Begründung: unbekannt!
Natürlich passiert einem das auch in
anderen Geschäften, aber von Benetton
hätte man gerade jetzt, wo die Firma
noch mitten in ihrer sonnenblumenKampagne steckt, eine andere Reaktion
erwartet. Da muss man einfach Frau
Conrad beipflichten, die ganze Kampagne dient nur dem Zweck, dass
Benetton wieder in die Schlagzeilen gerät und daraus Profit schlägt, für sich!
Oder wurde das Plakat abgelehnt, weil
die beiden Personen mit Down-Syndrom
darauf keine Benetton-Kleider tragen?
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
45
KUNST
Cast in Images – in Bildern gegossen
Szenen aus dem Neuen Testament in fotografischer Bearbeitung
durch den Künstler Rauf Mamedov
Ein einmaliges Gemeinschaftsprojekt von vier
russischen Künstlern
wurde kürzlich in den
Niederlanden zum ersten
Male der Öffentlichkeit
vorgestellt. In der Galerie
Ilja Zakirova in Heusden
konnte man von September bis November diese
besondere Ausstellung bewundern.
Es betrifft eine fotografische Bearbeitung von
neutestamentlichen Szenen, bei denen Menschen
mit Down-Syndrom die
Akteure sind.
46
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Frau Zakirova entdeckte die zwölf Fotos
im Format 80 mal 60 Zentimeter in
Moskau und holte sie in ihre Galerie in
den Niederlanden.
Bei diesem besonderen Projekt wurden in postmoderner Art Theater, Fotografie, Kunstgeschichte, Theologie und
Computertechnik kombiniert, um sieben Szenen aus dem Neuen Testament
in Fotos zu verbildlichen.
Mit einer hervorragenden Fototechnik ist es den Künstlern gelungen,
die dramatischen Szenen wiederzugeben. Vier der sieben Szenen sind so
genau wie möglich einigen berühmten
Gemälden nachempfunden. Das größte
Werk betrifft ein Polyptychon, der das
Letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci
darstellt (siehe Foto oben für einen Ausschnitt davon); es folgt das Diptychon
mit der Annunciatie von Jan van Eyck,
wie man es kennt von seinem Altar in
Gent, der Verrat des Judas, ein Gemälde
des italienischen Künstlers der Frührenaissance, Giotto, und ein Ecce Homo
aus dem 19. Jahrhundert von dem russischen Maler Nicolai Ge.
Die drei anderen Bilder sind Szenen,
die zwar in der gleichen Atmosphäre
wie die oben genannten gestaltet sind,
die aber dem Geist des Regisseurs und
Initiators des Projekts, Rauf Mamedov,
entstammen. So hat er eine Epiphanie
(Gotteserscheinung), eine Geburtszene
und das Wachen im Garten Gethsemane
in Szene gesetzt.
Das Projekt kam zustande durch eine
sehr enge Zusammenarbeit zwischen
dem Regisseur Mamedov, Designer
Jevgeni Semsenov, Fotograf Dmitri
Preobragensky und Computerdesigner
Dmitri Krainov. Sie haben ein Jahr lang
intensiv zusammengearbeitet. Jede Figur wurde einzeln fotografiert, wobei
der Regisseur während der Fotosessions
als Mitspieler die gewünschte Emotion
bei den Darstellern hervorzurufen versuchte. Mit Hilfe des Computers wurden
die Fotos digital zu der richtigen Konstellation komponiert.
Mit diesem besonderen Werk sprengt
der russische Künstler den Rahmen seiner eigenen kulturellen Identität. Durch
Benutzung weltberühmter Szenen in
Verbindung mit Personen, die das DownSyndrom haben, erreicht er diese Allgemeingültigkeit. Zugleich spiegeln diese
Bilder den postmodernen Charakter unserer Kultur wider. Indem er die Kunstgeschichte als seine einzige Quelle benutzt, ist dasjenige, was er dem Kunstwerk hinzufügt, die Reflexion darauf
mit den Mitteln des späten 20. Jahrhunderts. Das gibt dem Werk einen heutigen und allgemeingültigen humanistischen Wert.
(Text übernommen aus der zu der Ausstellung gehörenden Broschüre)
KUNST
Willibald Lassenberger –
ein Künstler aus Kärnten
Max Kläger
W
illibald Lassenberger wurde
1952 geboren und wuchs in einer Landarbeiterfamilie in Unterkärnten
auf. Nachdem Down-Syndrom diagnostiziert worden war, verbrachte er einige Jahre in verschiedenen Heimen, ohne
dabei in eine Schule zu gehen. Im Jahre
1973, also in seinem 21. Lebensjahr,
fand er Aufnahme und Arbeit im Heim
und in der Werkstatt der Evangelischen
Stiftung de La Tour in Treffen bei Villach, Kärnten. Dort fand er Betreuer,
die nach einigen Jahren seine zeichnerische Begabung erkannten und förderten. Seit 1980 begleitet und analysiert
Prof. Dr. Kläger von der Pädagogischen
Hochschule Heidelberg seinen Lebensweg und seine künstlerische Entwicklung.
Seine Malereien und Zeichnungen,
deren Qualität sich im Laufe der Jahre
stetig steigerte, wurden in vielen Einzelund Gruppenausstellungen im In- und
Ausland gezeigt. Auch Verkaufserfolge
stellten sich bald ein. Im Jahre 1993
gestaltete er ein religiöses Auftragswerk
für den Andachtsraum eines Seniorenheimes in Langenau bei Ulm.
Ein erster Höhepunkt seiner Karriere als Künstler zeigte sich darin, dass
eines seiner Bilder in den Grundbestand
des Museums für Naive und Außenseiterkunst in Zwolle, Niederlande, aufgenommen wurde und ihm gleichzeitig
– zusammen mit dem ebenfalls hoch
begabten Down-Syndrom-Künstler Tobias Jessberger aus Bochum – eine Einzelausstellung gewidmet wurde.
Die Fähigkeit, bildnerische Probleme, die während des Malens auftreten,
zu lösen, hat mit Sicherheit auch dazu
beigetragen, dass Willibald Lassenbergers Lebensqualität sichtbar zugenommen hat. Er hat sich in einen musischen
Menschen verwandelt, dessen Sprechwilligkeit und KommunikationsbedürfBilderzyklus für die Kapelle
im Seniorenheim „Sonnenhof“
in Langenau bei Ulm
Übergabe der Verleihungsurkunde
und des Verdienstkreuzes des Landes
Kärnten an Willibald Lassenberger
nis enorm zugenommen haben. Obschon
bei einem gewissen Prozentsatz der
Menschen mit Down-Syndrom im vierten Lebensjahrzehnt ein Niedergang der
Fähigkeiten eintreten kann, ist dies bei
Willibald Lassenberger bisher noch nicht
der Fall, wenngleich die Zahl der erstellten Werke sich gemindert hat.
Ein zweiter Höhepunkt im Leben
des Willibald Lassenberger hat sich im
August 1998 ereignet, als ihm das Ehrenzeichen (Verdienstkreuz) des Bundeslandes Kärnten in einer eindrucksvollen öffentlichen Zeremonie von der
Ministerin für Soziales verliehen wurde. Somit hat das künstlerische Lebenswerk des Willibald Lassenberger eine
dreifache Bestätigung und Anerkennung
gefunden:
1. durch eine wissenschaftliche Veröffentlichung in Form eines Buches, das
sich ausschließlich mit seinem Werk
beschäftigt (siehe Literaturliste)
2. durch die Aufnahme eines seiner
Bilder in den Grundbestand des international bekannten Museums in Zwolle,
Niederlande
3. durch die Verleihung des Verdienstordens hat sich auch die staatliche Anerkennung seines künstlerischenWerkes
eingestellt.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
47
KULTURELLES
Buch zum Thema
Die Vielfalt der Bilder
Kunstwerke
entwicklungsbehinderter Menschen
Hrsg. Max Kläger
Verlag Konrad Wittwer GmbH, 1993
Preis: DM 39,80
ISBN 3-87919-242-1
Aus dem Klappentext:
„Kunstsachverständige aus Europa und
Übersee stellen Kunstwerke entwicklungsbehinderter Menschen vor. Auf
unkonventionelle Art, unter Nutzung
einer vorwiegend phänomenologischen
Betrachtungsweise, werden die Bedeutungen und Symbolgehalte dieser Bilder in den Werken selbst gefunden. So
kann der kunstinteressierte Leser an
der Schönheit und den Bedeutungs-
inhalten dieser Malereien, Zeichnungen und Collagen teilhaben.
Die Vielfalt der Bilder – es werden
insgesamt 34 Werke von 21 behinderten Künstlern in farbigen Abbildungen
gezeigt – entspricht einer Vielfalt der
Betrachtungsweisen. Die Bildanalysen
der 15 Sachverständigen aus sieben Ländern vermitteln dem Leser einen Eindruck vom breiten Spektrum kunstkritischer Begriffsweisen. Solche multinationalen Betrachtungen, die vornehmlich auf den ästhetischen Wert der Bildgestaltung zielen, sind neuartig und
gleichzeitig richtungweisend für eine
zeitgemäße, Grenzen überschreitende
Einschätzung ästhetischer Kreativität
bei entwicklungsbehinderten Menschen.
Dieses Buch wendet sich an alle diejenigen, die am Leben mit behinderten
Menschen Anteil haben, Fachleute und
Laien, Betroffene und Angehörige.“
Krampus-Maske
Ölkreide auf Papier, 1998
Literatur zum Werk Willibald Lassenbergers
Kläger, M. „Two Case Studies of Artistically
Gifted Down Syndrome Persons“. Visual Arts
Research, vol 22, 2, 1996, S. 35-46
Arnheim, R. „Artistry and Retardation“. The
Split and the Structure. Berkely University of
California Press 1996, S. 126-132
Kläger, M. (Hrsg.). Die Vielfalt der Bilder.
Stuttgart: Witwer 1993
Kläger, M. Krampus – Die Bilderwelt des
Willibald Lassenberger. Baltmannsweiler:
Schneider 1992
Kläger, M. „Geistig behinderte Menschen als
künstlerisch Tätige“. Höss (Hrsg.): Künstler
aus Stetten. Stuttgart: Witwer 1987, S. 20-38
Kläger, M. „Die Kunst Willibald
Lassenbergers“. Geistige Behinderung,
1986, S. 50-58
Videofilme der Landesbildstelle Baden
Rastatter Str. 25, 76199 Karlsruhe
Serie: Willibald Lassenberger – ein downsyndromer Künstler aus Kärnten,
Nr. 4261770 - Nr. 421773
Dem behinderten Kind
Vermögen vererben
Barbara Brauck
Fürs Kind vorsorgen. Das ist besonders für Eltern von
Kindern mit Down-Syndrom wichtig. Wir legen Wert
darauf, dass unsere behinderten Kinder nach dem Tod
der Eltern nicht mittellos dastehen, sondern in den
vollständigen Genuss ihres Erbes kommen. Doch steht
dem das deutsche Erbrecht zunächst entgegen.
Zumindest bei Behinderten, die in Einrichtungen leben
und arbeiten, die vom Sozialhilfeträger unterstützt
werden, beispielsweise in betreuten Wohnungen und in
Werkstätten für Behinderte.
Was können Eltern machen?
In diesen oben erwähnten Fällen hat
erst einmal der Sozialhilfeträger Zugriff
auf das ererbte Vermögen. Dabei kann
er nicht nur die aktuell erbrachten Leistungen in Rechnung stellen, sondern
das plötzlich vermögende Kind auch für
z.B. darlehensweise gewährte Leistungen zur Kasse bitten, die vor dem Tod
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Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
der Eltern erbracht wurden. Der
Sozialhilfeträger leitet die Erbschaftsansprüche des Kindes auf sich über. Der
rechtliche Grund dafür ist einfach: Sozialhilfe steht nur dem zu, der sich selbst
nicht helfen kann, d.h., sie wird nachrangig gewährt. Vorrangig muss der
Bedürftige sein eigenes Vermögen einsetzen. Davon ausgenommen ist nur
RECHT
der Kern des Privatbesitzes: z.B. ein
angemessenes Hausgrundstück und kleineres Barvermögen.
So kommt es, dass Behinderte die
Kosten für ihre Betreuung unter Einsatz
ihres Vermögens zumindest teilweise
selbst tragen müssen. Für das Kind, das
erbt, kann das bedeuten: Sein Vermögen geht verloren, ohne dass das Kind
daraus „finanzielle Vorteile“ ziehen
kann. Denn die Leistungen der Sozialhilfe hätte es auch bei völliger Vermögenslosigkeit erhalten. Unter Umständen bleibt für Wünsche und Bedürfnisse, die über das Maß der Sozialhilfe
hinausgehen, vom Erbe nichts übrig.
Als die Eltern noch lebten, verfügten sie
über Geld für besondere Ausgaben. Das
Kind hat solche Möglichkeiten manchmal nicht mehr. Es geht ihm also letztlich finanziell schlechter als vorher,
obwohl es geerbt hat. Eltern, die ihr
Testament planen, empfinden das als
ungerecht.
Doch kann dem Sozialhilfeträger der
Zugriff auf das Vermögen verwehrt werden, wenn die Eltern geschickte testamentarische Verfügungen treffen. Solche Verfügungen wurden vor einiger
Zeit von einigen Juristen als sittenwidrig angesehen, da die Verfügungen nur
zu dem Zweck erstellt würden, den
Sozialhilfeträger zu hintergehen. Doch
hat der Bundesgerichtshof solche Verfügungen grundsätzlich als zulässig angesehen. Schließlich bestehe die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers
nicht erst seit dem Tod der Eltern, sondern bereits vor dem Erbfall. Zudem
stehe der Sozialhilfeträger nach dem
Tod der Eltern nicht schlechter da als
vorher, da er auch vorher nicht auf das
Vermögen zugreifen konnte.
Wie lässt sich verhindern, dass das
behinderte Kind nach dem Tod der Eltern mittellos dasteht? Der Zugriff des
Sozialhilfeträgers auf das Vermögen
lässt sich durch ein geschicktes Testament zumindest abmildern, in einigen
Fällen sogar ganz vermeiden. Auch eine
Übertragung von Vermögen oder eine
Schenkung an Geschwister des behinderten Kindes kann ein Ausweg sein.
Testamentsgestaltung
Die Eltern können testamentarische
Regelungen treffen, die von der gesetzlichen Erbfolge abweichen. Eine Möglichkeit ist die genaue Teilungsanordnung. Darin schreiben die Eltern
fest, welche Teile des Vermögens die
einzelnen Erben erhalten sollen. Das
kann so formuliert werden, dass das
behinderte Kind nur Werte erbt, auf die
der Sozialhilfeträger keinen Zugriff nehmen darf. Das sind beispielsweise ein
Hausgrundstück, das vom Erben bewohnt wird, oder Bausparvermögen für
behinderungsbedingten Wohnbedarf.
Ebenso können alle Gegenstände, die
für die Erwerbstätigkeit unentbehrlich
sind, ohne Risiko vererbt werden. Bei
dieser Lösung ist darauf zu achten, dass
der Wert des Vermögens, das dem behinderten Kind zugeschrieben wird,
mindestens der Höhe des Pflichtteils
entsprechen muss. Der Pflichtteil entspricht dem halben gesetzlichen Erbteil.
Eine weitere Möglichkeit ist es, das
behinderte Kind als Vorerben einzusetzen. Eine andere Person, möglicherweise Schwester oder Bruder, wird dann
als Nacherbe eingesetzt. Das behinderte Kind bleibt bis zu seinem Tod (Vor-)
Erbe der Eltern. Nach seinem Tod erhält der Nacherbe das Vermögen. Ein
Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das
Erbe würde auch das Vermögen des
Nacherben beschneiden. Und das ist
nicht zulässig.
Der Nacherbe gilt nicht als Erbe des
behinderten Kindes, sondern als Erbe
der Eltern. Deshalb kann auch der Nacherbe vom Sozialhilfeträger nicht zur
Kasse gebeten werden. Schließlich erbt
er nicht das Vermögen des behinderten
Kindes – und damit mögliche Regressansprüche –, sondern das Vermögen
der Eltern, wenn auch über einen Umweg.
Ganz ohne Tücken ist auch diese
Lösung nicht. Der Sozialhilfeträger darf
nämlich bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit des behinderten Kindes auch
das Vermögen berücksichtigen, das der
Nacherbschaft unterliegt. Dem kann
man aber aus dem Weg gehen, indem
das Kind als nicht befreiter Vorerbe
eingesetzt wird. Dadurch wird die
Verfügungsbefugnis des Kindes über das
Vermögen beschränkt, und der Sozialhilfeträger darf das Vorerbe-Vermögen
nicht berücksichtigen.
Bei der Vorerbe/Nacherbe-Konstruktion sollte zusätzlich ein Testamentsvollstrecker eingesetzt werden, der das
Vermögen verwaltet. Nur er und nicht
der Vorerbe hat Zugriff auf das Vermögen. Er ist allerdings verpflichtet, im
Interesse des Erben zu handeln. Da das
Vermögen, das der Testamentsvollstreckung unterliegt, von möglichen
Gläubigern nicht im Wege der Zwangsvollstreckung verwertet werden kann,
hat auch der Sozialhilfeträger keinen
Zugriff. Eine Einschränkung bilden nur
die sogenannten Früchte des vererbten
Vermögens, beispielsweise Zinsen und
Mieteinnahmen. Die Einsetzung eines
Testamentsvollstreckers ist auch deshalb sinnvoll, weil das behinderte Kind
oftmals zur eigenen Vermögensverwaltung nicht in der Lage ist. Diese Aufgabe
wird dann vom Testamentsvollstrecker
übernommen.
Um Nachteile zu vermeiden, ist es
daher sinnvoll, frühzeitig geeignete Regelungen zu treffen.
Barbara Brauck, Rechtsanwältin, ist
selbst Mutter eines Sohnes mit DownSyndrom (1 Jahr) und lebt in Nürnberg.
Sie befasst sich u.a. mit Erbrecht, insbesondere für Behinderte und ihre Angehörigen.
Literaturtipp zum Thema
Titel:
Testamente zugunsten von
Menschen mit geistiger
Behinderung
Autoren:
Renate Heinz-Grimm, Christoph
Krampe, Bodo Pieroth
Bericht über ein fachlich hochrangig besetztes Kolloquium zur Frage,
wie Eltern ihre Testamente gestalten können, um ihren behinderten
Kindern eine möglichst optimale Absicherung zu gewährleisten.
Aktualisierter Anhang mit neuem
Urteil, verbesserten Testamentsentwürfen, Literaturauswahl und
Register.
3. aktualisierte Auflage 1997,
DIN A5, 256 Seiten
ISBN 3-88617-201-5
Preis DM 39,50
Bestelladresse: Bundesvereinigung
Lebenshilfe, Raiffeisenstraße 18,
35043 Marburg
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
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DS-WOCHE
Deutsche Down-Syndrom-Woche 1998
In der ersten Oktober-Woche 1998 fand wieder bundesweit die Aktion rund um das Down-Syndrom statt.
Aus den vielen Bestellungen für Info-Material zur DSWoche können wir ja schließen, dass es wieder überall
in Deutschland Aktionen gab. Trotzdem bekamen wir
nicht so viele Reaktionen wie im letzten Jahr. Es
scheint, dass so mancher vergessen hat, uns davon zu
berichten. Das lässt sich aber zu jeder Zeit nachholen!
Auch wenn wir nicht alles in Leben mit Down-Syndrom
veröffentlichen können, in unserem Archiv im neuen
DS-InfoCenter wird alles gesammelt und geordnet. Es
ist wichtig, dort eine große Informationssammlung zum
Thema Down-Syndrom zu haben, damit sich Besucher,
dazu gehören natürlich auch Journalisten, ein Bild vom
„Down-Syndrom heute“ machen können.
Schicken Sie uns Fotos von Ihrem Infostand und Kopien
von Artikeln, die in Ihrer Zeitung erschienen sind.
Besonders gute Ideen können durch die Zeitschrift
verbreitet und so bei der nächsten Aktion auch von
anderen aufgegriffen werden.
V
erschiedene Gruppen organisierten ein ganzes Wochenprogramm
mit Vorträgen, Ausstellungen oder Theatervorstellungen. In manchen Städten
gab es am Sonntagmorgen eine Filmmatinee mit dem Film „Am Achten Tag“
oder einen Gottesdienst unter dem Motto „Ein Geschenk Gottes in einer besonderen Verpackung“.
Gut gefiel uns eine Idee aus Bensheim
und Herrenberg, wo während der DownSyndrom-Woche eine ganze Serie Artikel in der Tageszeitung erschien. Jeden
Tag wurde zu einem anderen Thema
geschrieben: das Porträt eines Teenagers, ein Interview mit einem Kinderarzt, ein Bericht über eine Ausstellung
mit Bildern von Menschen mit DownSyndrom oder über die Arbeit der Frühförderung.
Eine kleine Auswahl aus den Berichten zur Deutschen Down-Syndrom-Woche finden Sie auf diesen Seiten.
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Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
In vier Blocks von je zehn Minuten hatten wir die Gelegenheit, über DownSyndrom zu informieren. In den Sendepausen konnten uns Zuhörer im Studio
anrufen. Die Sendung hören im Schnitt
80.000 Zuhörer/innen.
Am 7. Oktober 1998 erschien ein
ausführlicher, dreispaltiger Artikel
„Menschen mit Down-Syndrom wollen
akzeptiert werden“ in der „Main Post“,
die immerhin 520.000 Leser/innen erreicht.
Am 8. Oktober nochmals ein Interview durch Radio Charivari, am 10.
Oktober dann unser Infostand in der
Würzburger Fußgängerzone, leider
machte das Wetter da nicht mit.
In der Oktoberausgabe der Würzburger Eltern- und Kind-Zeitschrift
„MamaMia“ wurde ganzseitig über
Down-Syndrom berichtet und auf der
Kinderbuchseite das Buch „Sei nett zu
Eddie“ besprochen.
Zu guter Letzt wurden wir am 22.Oktober 1998 noch ins Regionalfernsehen
„TV Touring“ eingeladen und 15 Minuten live zur besten Abendzeit interviewt.
Auch Tamara war dabei, die medienwirksam die Kameras für sich einnahm,
während Andrea und ich Infos zum
Down-Syndrom gaben und mehr Integration forderten.
Wolfgang Trosbach
Würzburg
Unsere Würzburger Down-SyndromWoche stand vor allem unter dem Motto, lokale Medienöffentlichkeit für DownSyndrom und unsere – für die Größe von
Würzburg sehr kleine – Selbsthilfegruppe zu gewinnen. Nach der Woche können wir sagen: Wir sind perplex ob der
Ausbeute. Wir hätten nicht erwartet,
dass es so einfach ist, in die regionalen
Medien zu kommen.
Erfolg bei den regionalen Medien
Frau Andrea Kiesekamp, Mutter der
dreieinhalbjährigen Tamara mit DownSyndrom, hatte ganz gezielt von allen
lokalen Medien nur die Ansprechpartner für „Soziales“ angefaxt und um Interviews /Artikel im Rahmen der DownSyndrom-Woche gebeten.
Zuerst reagierte der regionale Rundfunksender Charivari und lud Andrea
und mich am 28. September ins Studio.
Bensheim
In der Bensheimer Lokalzeitung erschien
eine ganze Serie über das Down-Syndrom. Ein Artikel „Helen Steinmann hat
ein Chromosom mehr“ erzählt ausführlich und sehr positiv über das Leben der
vierjährigen Helen und ihrer Familie.
Zusätzlich noch eine Seite Wissenswertes, die der Journalist nicht selbst zusammengestellt hat, sondern fix und
fertig aus dem Internet holte. Keine
schlechte Idee, denn auf der InternetHomepage des Arbeitskreises DownSyndrom e.V. aus Kirchlinteln finden
sich selbstverständlich stets aktuelle
Infos. So ist die Gefahr gebannt, dass bei
der Wiedergabe von wichtigen Daten
etwas danebengeht!
Andrea Steinmann
DS-WOCHE
Hoyerswerda
Das Programm der Aktionswoche „Für
Menschen mit Down-Syndrom“ in Hoyerswerda kann als Beispiel dienen, wie
man auf die Woche aufmerksam machen kann. Folgende Ankündigung wurde verschickt:
Wir wollen über das Leben mit DownSyndrom informieren und um Verständnis und Akzeptanz werben. Wir versuchen, mit vielen Mitmenschen ein gutes
Gespräch zu führen.
Wir bitten die Redaktion der
Lausitzer Rundschau, den Wochenkurier und Hoy-TV um Veröffentlichung von Text- und Filmmaterial
zum Down-Syndrom.
Wir freuen uns über Buchlesungen
der Bibliotheken aus Büchern, die
von betroffenen Familien berichten.
Wir werben für Teilnehmer und sind
selbst aktive Diskussionspartner.
Wir laden Schulklassen zu uns ein
oder sind selbst Gast in Schulen, um
über Down-Syndrom und die Rolle
der Geschwister der betroffenen
Menschen zu sprechen.
Wir zeigen den Videofilm „Leben
so normal wie möglich“ und leihen
gerne auch Bücher zum Thema aus.
Wir kopieren unseren Info-Text
und geben ihn an viele Menschen
weiter.
Wir sprechen mit Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl und fordern
dazu auf, für behinderte Menschen
ganz persönlich aktiv zu werden.
Wir laden Gäste zu unseren
kleinen Veranstaltungen ein, damit
sie einmal Menschen mit DownSyndrom erleben können.
Wir zeigen immer Geduld mit
unseren Mitmenschen! Wer weiß,
welche Einstellung wir Behinderten
gegenüber hätten, wenn wir nicht
selbst betroffen wären?
Unser Bemühen wird in der
Zukunft Früchte tragen.
Theresia Bialas
Königswinter und Karlsruhe
Enttäuschte Berichte kamen von zwei
Müttern, einmal aus Königswinter und
einmal aus Karlsruhe. In Königswinter
war eingeladen worden zu einer Vorlesestunde in einer Bibliothek. Frau Gast
hatte das Buch Albin Jonathan in den
Mittelpunkt gestellt. Leider kamen nur
Fotoschau über Maximilian in Bubenreuth
sehr wenige Kinder. Immerhin berichtete die Presse über die Veranstaltung.
Zu einem Filmabend mit „Am Achten
Tag“ hatte Frau Heitmann in den Integrationskindergarten, in dem sie arbeitet, eingeladen, und obwohl es ein großer Kindergarten ist mit über 100 Kindern, kamen an diesem Abend nur zwei
Personen! Enttäuschend stellt sie fest:
„Na ja, so war das bei uns!“
Bubenreuth
Dies bedeutet nicht, dass Einzelkämpfer nichts erreichen. Frau Striese aus
Bubenreuth, in der Nähe von Erlangen,
hat jetzt schon zum zweiten Mal eine
kleine Fotoschau über ihren Sohn Maximilian organisiert. Dieses Mal gab es
sogar zwei Ausstellungsorte. Einmal
konnte man in der Sparkasse am Ort die
Ausstellung „Maximilian und seine Bubenreuther Freunde“ bewundern. Zeitgleich wurde im evangelischen Gemeindezentrum die Fotosammlung „Ein Kind
in unserer Gemeinde wächst heran“ gezeigt.
Hochtaunus-Kreis
Eine sehr positive Erfahrung machte
die Selbsthilfegruppe im Hochtaunus.
Gut vorbereitet wurde die Filmvorführung von „Am Achten Tag“ zu einer
erfolgreichen Veranstaltung.
Aus dem Bericht von Sabine Hirte
und Christina Vest: „… Das von uns
gemietete Kino in Friedrichsdorf/
Köppern durften wir in unserem Sinne
in einen Ort der Begegnung verwan-
deln. Es gab viele schöne Fotos von
unseren Kindern zu bewundern. Die
Gemälde von Eva Sommerfeld, einer
jungen Frau mit Down-Syndrom,
schmückten die Wände; Sekt, Saft und
Knabbereien für ein anschließendes
Zusammensein standen bereit.
Was wir dann aber, trotz aller guten
Vorarbeit, nicht zu hoffen gewagt hatten, trat ein: Die Anzahl der Gäste
sprengte fast die räumlichen Möglichkeiten. Wir waren völlig überwältigt von
der unerwartet großen Zahl von Menschen (ca. 200), die unserer Einladung
gefolgt waren. Der Film tat sein Übriges. Die Zuschauer ließen sich darauf
ein, einen Menschen mit Down-Syndrom zu erleben, seine Fähigkeiten und
seine Nöte zu spüren. Die anschließenden Gespräche machten deutlich, dass
nicht nur Betroffenheit vorherrschte,
sondern auch ein gewisses Verständnis
für die Lebenswirklichkeit eines Menschen mit geistiger Behinderung transportiert worden war.
Wir alle konnten erfahren, dass neue
Sichtweisen, ein veränderter Blickwinkel gewachsen sind, die in Zukunft in
der Begegnung und Auseinandersetzung
weiterwirken werden. Für uns als Gruppe bleibt das sichere Gefühl, aufgeschlossene Menschen erreicht zu haben, und
dem Ziel, unseren Kindern und damit
allen Menschen mit besonderen Bedürfnissen den Weg zu bereiten, wieder ein
kleines Stück näher gekommen zu sein.“
Sabine Hirte und Christina Vest
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
51
DS–WOCHE
Friedrichshafen
Frau Bianka Mosch vom Förderverein
Down-Syndrom e.V. organisierte auch
dieses Jahr wieder Verschiedenes zur
Down-Syndrom-Woche.
So waren z.B. einige Mütter mit ihren Kindern mit Down-Syndrom zu Gast
in einem Gymnasium in Friedrichshafen. Schüler der 13. Klasse bekamen so
die Gelegenheit, den betroffenen Eltern
Fragen über das Down-Syndrom zu stellen und gleichzeitig die Kinder „live“ zu
erleben.
Das Thema war von den Lehrern
vorbereitet, der Besuch eine schöne Ergänzung zum theoretischen Wissen, das
sich meistens beschränkt auf Fakten
über das Zustandekommen der Trisomie
21. Frau Mosch hat auch einer Volksschule und einer Hauptschule ähnliche
Besuche abgestattet. Einfach ist eine
solche Veranstaltung nicht und es
braucht eine gute Vorbereitung in Absprache mit den Lehrern, damit der
Besuch für alle sinnvoll und für niemand unangenehm ist.
Nicht gelungen war es, eine KinderModenschau zu organisieren mit der
Firma Benetton: Kinder mit Down-Syndrom präsentieren Benetton-Kleider,
wie in der Kampagne „die sonnenblumen“. Das machte Benetton nicht mit!
Eine Ballonfahrt über den Bodensee
(die der Förderverein gespendet bekam)
war der Hauptgewinn bei einem Preisausschreiben. Und ein so verlockender
Preis zieht natürlich viele Menschen an.
Die Fragen waren leicht zu beantworten, vor allem nachdem man sich am
Informationsstand ein bisschen umgeschaut hatte.
Eine Zusatzfrage, die bei der Verlosung der Gewinne nicht mitzählte, war
aber für die Organisatorinnen besonders bezeichnend: Was fällt Ihnen spontan zu Down-Syndrom ein?, fragte man
die Passanten. Die Antworten waren
zum Teil schockierend und lieferten dem
Förderverein in Friedrichshafen Gründe genug, mit der Aufklärungsarbeit
weiterzumachen und sich auch 1999
wieder an der Down-Syndrom-Woche
zu beteiligen.
Bianka Mosch
Herrenberg
Ein ausführlicher Bericht kam aus Herrenberg. Dort bot die alljährlich stattfindende Herbstschau, wo sich alle namhaften Geschäfte und Unternehmen aus
Herrenberg und Umgebung präsentie52
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Viel Betrieb am Informationsstand in Aschaffenburg
ren und man sich eines großen Besucheransturms sicher sein kann, der
DS-Gruppe eine gute Möglichkeit, sich
mit einem Infostand zu präsentieren.
Stellwände mit Infos und vielen Fotos,
Poster, Bücher und Zeitschriften zum
Thema und die DS-Puppen weckten
Neugier bei den Besuchern. So gab es
viele interessante Gespräche. Die Puppen waren umstritten, es gab auch Leute, die die Fotos von den Kindern abstoßend fanden und sich nicht auf Gespräche einließen, aber damit muss man
wohl leben. Im Großen und Ganzen war
es eine gute Resonanz.
In drei Büchereien und einigen Buchhandlungen waren Büchertische zu dem
Thema Down-Syndrom aufgestellt. 60
Poster Down-Syndrom hat viele Gesichter wurden in und um Herrenberg aufgehängt, in der Lokalzeitung Gäubote
erschien sechs Tage lang eine Artikelserie über das Down-Syndrom
Einige Pfarrer der Kirchengemeinden konnten wir für unser Anliegen
begeistern, und so fanden vom 24. September bis 11. Oktober 1998 einige Gottesdienste zu dem Thema statt. Betroffene Mütter haben sich an der Gestaltung des Gottesdienstes beteiligt und
einige Texte aus Leben mit Down-Syndrom fanden Verwendung.
Am Anfang der Woche wurde eine
Ausstellung in der Herrenberger VHS
eröffnet: 40 Bilder von Künstlern mit
Down-Syndrom konnte man dort zwei
Wochen lang bewundern.
Einiges was wir geplant hatten, kam
leider nicht zustande. Die Vorführung
des Films „Am Achten Tag“ scheiterte
am Vorführgerät, für einen Vortrag in
der VHS konnten wir nicht genug Leute
aktivieren und von den Schulen kam auf
unser Angebot, bei der Unterrichtsgestaltung zu dem Themen Biologie,
Ethik, Religion und Gemeinschaftskunde mitzuwirken, überhaupt keine Resonanz. Später stellte sich heraus, dass
unser Schreiben bei der Schulleitung
hängengeblieben war, die Lehrer, die
durchaus interessiert gewesen wären,
hätten gar nicht davon erfahren. Nun
wissen wir, dass wir das nächste Mal
direkt mit den Lehrern Kontakt aufnehmen müssen.
Mein Resümee zu unserer Woche:
Ich denke, wir haben einiges auf die
Beine gestellt. Es wirkt in Herrenberg
nach. Im nächsten Jahr werden wir uns
bestimmt wieder beteiligen.
Ute Hänsel
DS–WOCHE
Aschaffenburg
In Aschaffenburg veranstaltete der Gesprächskreis Down-Syndrom, gemeinsam mit der dortigen Lebenshilfe, einen
Informationsstand in der Fußgängerzone von Aschaffenburg.
Neben umfangreichem Informationsmaterial und der Ausstellung von
vielfältigem Bild- und Textmaterial zum
Down-Syndrom sowie zum Thema Recht
auf Leben und Integration hatten die
zahlreichen Besucher die Gelegenheit
zu einem persönlichen Gespräch mit
Eltern von einem Kind mit Down-Syndrom. Aufgrund der Fernsehaufnahmen
von TV-Touring konnten wir auch die
überregionale Öffentlichkeit auf unsere
Anliegen aufmerksam machen.
Schwerpunkte unserer Öffentlichkeitsarbeit waren:
Begriffserläuterung Down-Syndrom, einschließlich historische
Abhandlung und Erläuterung der
Notwendigkeit der Vermeidung von
sog. „M-Wörtern“. Slogan: „Viele
Leute sagen leider immer noch …“
„Down-Syndrom hat viele Gesichter“, d.h. keine stereotype Beschreibungen oder Darstellungen von
Menschen mit Down-Syndrom.
Das Bewusstsein zu vermitteln,
dass Krankheit und Behinderung
jeden von uns treffen kann (Texte
von Richard von Weizsäcker).
Das Thema Anderssein/Toleranz
speziell für Kids mit dem Lied „So
wie Du bist“ von Rolf Zuckowski.
Zu vermitteln, dass wo es keine
Aussonderung gibt, es keine Forderung nach Integration braucht.
Sonja Schumann
Wichtiger Termin
Deutsche
Down-SyndromWoche 1999
3. bis 10. Oktober
1999
Freising
Schon lange vor der DS-Woche bekamen wir das Programm der Freisinger
Elterninitiative Down-Syndrom zugeschickt. Diese Elterngruppe organisierte zusammen mit der Lebenshilfe einige
Veranstaltungen, die große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregten.
Einerseits gab es zwei Informationsabende zum Thema Down-Syndrom:
Dr. med. Reinhart Herterich,
Oberarzt am Kinderkrankenhaus in
Landshut, hielt einen Vortrag über
Erstversorgung, Herzfehler und
Förderung bei Kindern mit DownSyndrom.
Diskussionsabend über Integration
im Regelkindergarten, wobei ein
Film gezeigt wurde über eine
gelungene Einzelintegration in
einem Regelkindergarten im Landkreis Freising.
Die Presse berichtete ausführlich
über diese beide Veranstaltungen. Der
Höhepunkt der DS-Woche war jedoch
die Aufführung des Theaterstücks
„Medea – der tödliche Wettbewerb“ vom
Theater Ramba Zamba.
Ramba Zamba in der Freisinger
DS-Woche
Zusammen mit der Freisinger Lebenshilfe, die ihr 30-jähriges Bestehen feierte, hat die Elterninitiative die Theatercompagnie Ramba Zamba aus Berlin
eingeladen. Diese Theatergruppe der
Berliner Kunstwerkstatt „Sonnenuhr“
gastierte mit ihrer Eigeninszenierung
des griechischen Sagenstoffes Medea.
Die Freisinger Tagespresse kommen
tierte: „Erlebt man Aufführungen dieser Schauspieltruppe, die sich der flüchtigen Kunst, der Darstellung mit Leib,
Seele und verblüffender Professionalität widmet, dann zieht dem Betrachter
dieses glückliche Erkenntnisgefühl
durch die Brust, es hat sich doch einiges
verändert seit der Zeit, als Menschen
mit Down-Syndrom noch Mongoloide
waren. Ramba Zamba räumt auf mit
vielen Vorurteilen, beweist das Gegenteil. Wäre da nicht die manchmal schwer
verständliche Aussprache einiger Schauspieler, man vergäße nach kurzer Zeit,
dass dort oben auf der Bühne behinderte Menschen stehen. Doch Ramba Zamba
hat ohnehin mehr zu bieten als Sprachtheater. In der modern und hoch professionell inszenierten Aufführung, die in
anderthalb Jahren von der Truppe durch
improvisatorische Arbeit eigenständig
entwickelt wurde, nehmen Bewegung,
Tanz und Musik eine zentrale Rolle ein.
Am beeindruckendsten aber ist die Qualität der Bilder, die Ramba Zamba auf
der Bühne komponieren. Im intensiven
Zusammenspiel aus Licht, Bühnenbild
und Darstellungskunst entstehen traumhaft eindringliche Urbilder, die dem Betrachter im Gedächtnis verbleiben.“
Dorothea Smetan, Sprecherin der
Elterninitiative, berichtete von der Begeisterung des Publikums und von dem
Staunen bei vielen Theaterbesuchern,
dass „diese Leistungen überhaupt möglich seien“.
Fest steht, dass dieser Theaterabend
dazu beigetragen hat, das Image von
Menschen mit Down-Syndrom zu verbessern.
Dorothea Smetan
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
53
FREIZEIT
Spielen und Lernen
Tipps für Spielzeug und Lernmaterialien
Die Redaktion erhält öfter
von Eltern und Therapeuten Tips für Spielzeug,
Lernmaterial etc. Wir
möchten solche Ideen und
Anregungen regelmäßig in
Leben mit Down-Syndrom
weitergeben. Vielleicht
finden Sie gerade so ein
Spiel, das für Ihr Kind
hilfreich oder sinnvoll
wäre, oder es wird ein
Spielzeug vorgestellt, nach
dem Sie schon länger auf
der Suche sind.
Vielleicht haben Sie gute
Erfahrungen mit einem
Spiel gemacht und möchten dies gern weiterempfehlen? Vielleicht gibt es
ein auch selbst erfundenes
gebasteltes Material, das
Ihrem Kind geholfen hat?
Wenn Sie also ein (Spiel)Steinchen zu dieser Rubrik
beitragen können, würden
wir uns freuen. Ein Foto
oder das Prospekt vom
jeweiligen Material und
natürlich von Ihrem Sohn
oder Ihrer Tochter beim
Spielen sind auch wichtig!
54
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Einige Beispiele des Moritz-Multi-Set:
Oben: Baby-Fit Unten: Moritz-Wippe
Oben: Lauflernwagen
Unten: Sitz mit Tisch
Moritz-Multi-Set
Ob zum Spielen, Schaukeln, Sitzen oder
zum Erklimmen höherer Ziele – im
Moritz-Multi-Set steckt alles drin!“
Informationen und Produktbeschreibung bei: Heimess GmbH & Co. KG
71665 Vaihingen / Enz
Tel. 0 70 42 / 95 23-0
Fax 0 70 42 / 95 23-23
Ein Spieltip von Familie Beckmann aus
Bielefeld.
Die Anregung zu einem Lauflernwagen haben wir in Leben mit DownSyndrom gefunden. Auf der Suche nach
einem passenden Modell fanden wir
dieses Spiel- und Kindermöbel, Kostenpunkt ca. 350 bis 400 DM. Vielleicht
eine Anregung für andere Eltern?
Aus dem Prospekt der Firma
Heimess: „Moritz-Multi-Set, das universelle Spiel- und Mehrzweckmöbel aus
hochwertigen Multiplex-Holzplatten.
Diese Neuigkeit lässt keine Wünsche im
Kinderzimmer offen. Mit seinen geringen Maßen von 70 x 62 x 54 cm und den
einfachen Verschraubungen kann es
vom Baby-Fit-Spieltrainer über die farbenfrohe Moritz-Wippe zu vielen prak
tischen Funktionen umgebaut werden.
Fünf in einer Reihe
Marie-Luise Stindt aus München bekam
von der Therapeutin ihrer Tochter das
Spiel „Fünf in einer Reihe“ ausgeliehen.
Julia Stindt war sofort hoch begeistert.
Das Spiel wird mit einem Würfel gespielt, der maximal drei Punkte anzeigt,
dadurch können z.B. Vorschulkindern
auch erste Mengenbegriffe näher gebracht werden.
FREIZEIT
Ein Känguru möchte verreisen und muss
sich entscheiden, was alles in den Koffer gepackt wird. Jeder Spieler erhält
eine Bildtafel, auf der die Gepäckstücke
abgebildet sind. Er muss nun würfeln
und dann darf das Känguru die entsprechende Zahl hüpfen, und zwar auf einen
Gegenstand, den es noch in den Koffer
packen will. Nun darf das „eingepackte“
Gepäckstück mit einem roten Chip abgedeckt werden.
Ziel des Spieles ist es, auf seiner
Bildtafel eine horizontale oder vertikale
Reihe von fünf roten Plättchen zu haben.
Das Spiel ist gedacht für zwei bis vier
Kinder von fünf bis zehn Jahren, wobei
größere Kinder in die entgegengesetzte
Richtung hüpfen können, d.h., es kann
sich jeder eine Taktik ausdenken.
„Fünf in einer Reihe“ ist ein Spiel
aus dem Ravensburger Spieleverlag und
kostet 24,95 DM.
Fädeln
Wer kennt nicht die Nähkarten in den
verschiedensten Versionen? Bevor das
Kind mit einer solchen Karte etwas anfangen kann, muss es über eine sehr
gute Feinmotorik verfügen, muss die
Augen-Handkoordination gut funktionieren, Ausdauer und Konzentration
sind ebenfalls wichtige Voraussetzungen für diese diffizile Arbeit.
Aber es gibt eine Vorstufe zu den
Nähkarten. So besitzen wir z.B. einen
Holzstab mit Löchern, wodurch man
eine Schnur oder einen dicken Faden
fädeln kann, eventuell mit Hilfe einer
Holznadel. Noch lustiger sind durchlöcherten Holztiere.
Rein und raus mit dem Faden. Ein
Geschicklichkeitsspiel, mit dem sich kleine Kinder lange beschäftigen können.
Die Holztiere fand ich in dem Katalog
von JAKO-O. Sie sind ca. 18 x 14 cm
hoch und 2 cm dick und werden geliefert mit einer Schnur mit Holzspitze.
Preis 14,90 DM.
Und wenn Sie kein Fädelspiel brauchen, finden Sie in dem Katalog sicher
etwas anderes.
JAKO-O GmbH
Werner-von-Siemens-Straße 23
96476 Rodach
Tel. 0 18 05 / 24 68 10
Fax 0 18 05 / 92 96 75 00
Malt Ihr Kind
gerne aus?
Lesen lernen mit
Hand und Fuß
Die meisten Kinder lieben es, wenigstens in einer bestimmten Phase, Bilder
auszumalen, auch wenn die meisten
Eltern dies als nicht sehr kreativ ansehen. Dazu kommt, dass fast alle Ausmalbücher wirklich sehr geschmacklos,
einfältig oder in einem billigen Comicstil gestaltet sind.
Wenn ausmalen, dann vielleicht in
den kleinen, hübschen Malbüchern aus
dem Siebert Verlag. Man hat die Wahl
aus mindestens 60 Themen aus der
Tier- und Pflanzenwelt. So gibt es u.a.
folgende Titel: Singvögel, Haustiere,
Käfer, Feldfrüchte, Gemüse im Garten,
Löwe und Tiere seiner Heimat oder Wiesenblumen.
Die „Lehrreichen Malbücher“ von
Siebert sind im DIN-A5-Format, haben
jeweils zwanzig Seiten. Links immer
das schon bunte Bild als Beispiel mit
einer kleinen Beschreibung zum jeweiligen Tier, Baum usw., rechts das gleiche Bild zum Ausmalen.
Viele Kinder bemühen sich, beim
Ausmalen wirklich genauestens zu arbeiten, „weil es eben Spaß macht, die
Vögel, die Fische, die Blumen oder das
Gemüse so anzumalen, wie sie wirklich
sind“, erklärte mir ein kleines Mädchen.
Mit älteren Kindern kann man außerdem die Texte lesen und sie als kleine Abschreibeübung benutzen.
Auch der Preis dieser Malbücher ist
akzeptabel, er liegt unter 5,– DM. Erhältlich in der Buchhandlung, häufig
auch in Schreibwarengeschäften.
Für Eltern, die vielleicht gerne zusätzlich zu dem, was in der Schule an Leseübungen gemacht wird, mit ihrem Kind
zu Hause etwas üben möchten oder die
Übungsmaterial suchen, weil in der
Schule nichts oder zu wenig diesbezüglich gearbeitet wird, wären die Bergerdorfer Kopiervorlagen, insgesamt drei
Mappen mit umfangreichem Material,
eine Möglichkeit.
Auch wenn das Kind nach einer Frühlesemethode schon ganzheitlich viele
Wörter lesen kann, kommt irgend wann
der Moment, dass es sich mit den einzelnen Buchstaben beschäftigen wird, und
lernt damit allmählich zu arbeiten. Hier
können diese Kopiervorlagen gute Dienste leisten. Zu jedem Buchstaben gibt es
eine Anzahl Arbeitsblätter: zum Nachfahren, zum Heraussuchen, zum Ordnen, Kombinieren, kleine Lottospiele,
Würfelspiele etc. Hilfreich können beim
Lesenlernen auch die Klappkarten mit
den Lautgebärden sein.
Die Mappen sind zwar nicht so billig,
aber man kann sie gut gemeinsam mit
anderen Familien bestellen und jeder
kann seinen Teil herauskopieren.
Nicht nur zum Lesenlernen gibt es
Kopiervorlagen.
Am besten fordern Sie den Gesamtkatalog von Bergerdorfer an, in dem
außer dem Material zum „Lesenlernen
mit Hand und Fuß“ noch viele andere
Lernspiele und auch Softwareprogramme vorgestellt werden.
Lehrreiche Malbücher,
Siebert Verlag
ISBN 3-8089-3527-8
Verlag Sigrid Persen
Postfach 260
21637 Horneburg
Tel. 041 / 63 81 40 40
Fax 041 / 63 81 40 50
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
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LESERPOST
Auch in der DDR wurde um die
Rechte der Behinderten gekämpft!
Wieder ein Heft Leben mit Down-Syndrom eingetroffen! Begonnene Lektüre
lege ich zur Seite und lese in der neuen
Ausgabe. Jede Seite bringt Einsichten.
Auch für das Zusammenleben mit der
43-jährigen Tochter sind Anregungen
von Nutzen. Bis zu den Leserbriefen
habe ich es geschafft. Da muss ich einhalten und mich zu Wort melden.
Eine Familie zieht von München nach
Schwerin und ist erfreut und überrascht,
dass dort Geigenunterricht für ihre Tochter Laura (Down-Syndrom) möglich ist.
Und dann erschreckt mich ein Satz:
„Hier durften Behinderte Jahrzehnte
nicht auf die Straße.“ Dieser Satz muss
ein Versehen sein.
Vor 1963 nahmen sich kirchliche
Einrichtungen in der DDR behinderter
Kinder, auch Kinder mit Down-Syndrom, an. Seit 1969 gab es das Gesetz
„Bildung für alle“ in der DDR. Hilfsschulen (jetzt Schulen für Lernbehinderte),
Tagesstätten (jetzt Schulen für geistig
Behinderte), Geschützte Werkstätten
(Träger Gesundheitswesen), Geschützte Betriebsabteilungen in Volkseigenen
Betrieben wurden gegründet.
Alle diese Kinder und Jugendlichen
wurden nicht, wie heute möglich – erfreulicherweise – gefahren, sondern liefen oder benutzten öffentliche Verkehrsmittel. Und das soll es in Schwerin nicht
gegeben haben?
Das wäre nicht der DDR anzulasten,
sondern den betroffenen Menschen, die
sich nicht für die Realisierung des Gesetzes engagiert haben. Von allein ist
allerdings nichts passiert. Man musste
den Dienststellen auf die Pelle rücken
und Verpflichtungen einfordern. Aber
von allein passiert heute auch nichts.
In unserem Kreis haben wir sogar
die Frühförderung durchgesetzt. Mitten
im Neubaugebiet wurden Wohnungen
angemietet und umgerüstet. Erst nach
der Wende gab es Beschwerden von
Anwohnern. Die geistig und mehrfach
behinderten Kinder der Tagesstätte und
Wohnstätte lebten und leben mitten in
der Stadt. Ein pensionierter Arzt hatte
1970 seine Praxisvilla zur Verfügung
gestellt. Die Schwerbehinderten zogen
ein und machten und machen mit ihren
Betreuern täglich Spaziergänge mitten
in der Stadt. Und auch das neue Wohnhaus der Lebenshilfe wird in der Stadt
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Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
gebaut. Der Bauplatz war schon zu DDRZeiten zum Bau eines Wohnhauses für
Behinderte vorgesehen. Der Neubau
verzögerte sich nach der Wende. Eine
Nachbarin klagte, allerdings ohne Erfolg.
Musikunterricht in der Musikschule? Das gab es auch. Hermine bekam ab
1962 mehrere Jahre Klavierunterricht
in der staatlichen Musikschule. Sie lernte die Noten, spielte viele kleine Musikstücke und Volkslieder und wurde einfühlsam betreut.
Es ist mir klar, dass in den alten
Bundesländern die Förderung Behinderter schneller und flächendeckender
möglich war. Die Lebenshilfe hat schließlich 40-jähriges Bestehen. Aber auch in
der DDR wurde für die Rechte der Behinderten gekämpft und vieles erkämpft,
nachzulesen auch in „Leben mit Hermine“, meinem Lebensbericht.
Christine Fraas, Ilmenau
(Anm. der Red.: Frau Christine Fraas ist
die Autorin des Buches „Leben mit Hermine“, in dem sie das Zusammenleben
mit allen Schwierigkeiten, aber vor allem mit den vielen Freuden mit ihrer
Tochter Hermine beschreibt, die 1955
geboren wurde. Eine Besprechung dieses lesenswerten Buches veröffentlichten wir in der Septemberausgabe 1996
Nr. 23 von Leben mit Down-Syndrom.)
Weihnachtskarten mit Joana
Seit Joanas Geburt stellen wir jedes
Jahr von ihr und später auch ihrer
Schwester eine Weihnachtskarte her und
verschicken diese an alle Freunde und
Verwandten. Jedes Jahr ist das neue
Motiv ein gut gehütetes Geheimnis und
wird mit Spannung von allen erwartet.
Da Sie immer so schöne positive Aufnahmen in Ihrer Zeitung haben, wollte
ich fragen, ob Sie eventuell einmal Interesse an unseren Fotos haben. Alle
Bilder wurden von Joanas Opa gemacht,
der Berufsfotograf und Joanas größter
Fan überhaupt ist und viele tolle Bilder
aus ihrem Alltag hat.
Susann Zschau, Darmstadt
(Anm. der Red.: Leider gibt es im Dezember keine Ausgabe von Leben mit
Down-Syndrom; deshalb jetzt doch noch
ein Weihnachtsmotiv mit Joana und
ihrer Schwester. Ein bisschen spät, aber
das nächste Weihnachtsfest kommt bestimmt und als Idee zum Weitergeben
ist dann auf jeden Fall rechtzeitig gesorgt.)
LESERPOST
Leben mit Down-Syndrom, ein
Lichtblick!
… an dieser Stelle möchte ich mich für
den Buchtip „Kinder mit Down-Syndrom
lernen lesen“ bedanken. Das ist ein tolles Buch, mit dem Aaron, unser zweijähriger Sohn, später „spielend“ lesen
lernen wird – und der kleine Bruder
wahrscheinlich gleich mit! Auch unsere
Frühförderfrau war sofort angetan und
hat das Buch direkt für die Frühförderstelle mitbestellt.
Ihre Zeitschrift gefällt mir sehr gut,
weil die Informationen und die Berichterstattung so vielseitig sind und ein Niveau haben, das wir im Umgang mit
nicht betroffenen Profis bisher immer
noch vermissen. Besonders gut gefällt
mir das Selbstbewusstsein, das aus Ihren Artikeln spricht. Für uns war und ist
es sehr ermutigend zu wissen, dass auch
andere Eltern, Angehörige, Freunde von
Menschen mit Down-Syndrom sich nicht
als Randgruppe, sondern als Teil einer
vielfältigen Gesamtheit und einer komplexen Realität sehen und diesen Platz
auch fordern. Als mir nach der Geburt
meines Sohnes Ihre Zeitschrift gezeigt
wurde, war ich von dem Horrorszenario,
das sich mir durch die Bücher, die ich
im Krankenhaus (wohlmeinend?) über
Down-Syndrom erhalten hatte, aufgedrängt hat, doch etwas befreiter. Es
handelte sich um Literatur, die teils
veraltet war und auf statistischen Erhebungen über Heimpopulationen beruhte (mit entsprechender Bebilderung) und
zum anderen Bücher über Förderung,
die mich an Dressurprogramme erinnerten und die ich seelenlos nennen
möchte. Durch diese Literatur wurde
uns das Gefühl vermittelt, dass unser
weiteres Leben eine endlose Reihe von
Übungsstunden sein würde oder wir
andernfalls mit Versäumnissen in Form
schlimmster Behinderung zu rechnen
hätten.
Leben mit Down-Syndrom war ein
Lichtblick in dieser Phase der Auseinandersetzung, ein von unserer Kinderärztin dringend empfohlenes Buch ist
direkt in der Bücherkiste für den Keller
verschwunden (sehr entlastend!). Die
Persönlichkeit unseres Sohnes bestätigt
uns die Richtigkeit dieser Entscheidung
jeden Tag, er zeigte bisher immer, wenn
er bereit ist, den nächsten Entwicklungsschritt zu tun, und er sucht dann nach
entsprechenden Anregungen, die zu diesem Zeitpunkt auch erst auf fruchtba-
ren Boden fallen. Dieser Aspekt der
eigenen Motivation wird in der gängigen Literatur meist außer Acht gelassen, bzw. es wird wohl davon ausgegangen, dass Kinder mit Down-Syndrom
gänzlich ohne Motivation, Neugier und
Interesse an ihrer Umwelt sind. Die
Vermittlung dieses Bildes setzt neue
Eltern unter einen permanenten Druck,
ja nichts zu versäumen und jede gemeinsame Minute mit ihrem Kind unter
dem Förderaspekt zu sehen. Das ist der
Beziehung allerdings alles andere als
förderlich.
Wir sind froh, Menschen getroffen
zu haben, die uns unterstützen, und wir
sind dankbar für das vorhandene Netz
von Hilfen, die uns zugute kommen.
Diese Hilfen sind maßgeblich durch die
Initiativen von betroffenen Eltern entstanden, und auch wir wollen in diesem
Sinne aktiv unseren Beitrag leisten.
Familie Beckmann, Bielefeld
Epilepsie
Grüße von der Nordsee
Wer hat Erfahrung mit
anthroposophischen Einrichtungen?
Seit neun Monaten lebt mit uns unser
kleiner Jonathan mit Down-Syndrom.
Er ist ein lieber kleiner Mensch und wir
haben durch ihn schon eine Menge erfahren und kennen gelernt, u.a. die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom. Wir
finden Ihre Zeitschrift sehr gut und sie
hat mit dazu beigetragen, manche unserer Anfangsschwierigkeiten erklären
und bestehen zu helfen.
Ulrich Schmidt, Wyk a.F.
Kontakte und
Informationen
gesucht
Tomatis-Therapie
Wir ziehen für unsere 13-jährige Tochter die Tomatis-Therapie in Erwägung.
Wer hat Erfahrung – gute oder schlechte – damit?
Jessy und Erich Eng
Am Haarberg 1
D-52080 Aachen
Tel. 0241 / 16 68 91
Unser Sohn – elf Jahre alt – leidet seit
vielen Jahren unter An- und Ausfällen.
Er reißt die Arme nach oben und zittert,
verharrt bis ca. 200 Mal am Tag. EEGUntersuchungen waren alle in Ordnung.
Es wurden keine epileptischen Anfälle
nachgewiesen.
Nachts robbt er durchs Bett, und es
läuft Flüssigkeit aus dem Mund (vermuten wir). Das Kopfkissen muss fast täglich neu bezogen werden. Früh ist er
geschafft. Ob ein Zusammenhang mit
de Anfällen besteht, wissen wir nicht.
Bis jetzt konnte uns niemand über seine
Anfälle aufklären und uns weiterhelfen.
Wir wurden als überbesorgte Eltern
abgestempelt.
Wer kann uns helfen, wer hat ähnliche Erfahrungen gemacht? Wir würden
uns sehr freuen.
Frau Brigitte Schlegel
Stadtring 28
09120 Elstra
Tel. 035793 / 54 07
Nicht nur besuchen Kinder mit DownSyndrom häufig anthroposophische
Schulen, auch Erwachsene mit DownSyndrom arbeiten in anthroposophischen Werkstätten, wohnen in Dorfgemeinschaften oder auf Bauernhöfen. Wir
suchen für die Zeitschrift und um Informationen an interessierte Eltern weitergeben zu können, Erfahrungsberichte zu diesem Thema.
Briefe bitte an die Redaktion.
Hyperaktivität und Wahrnehmungsstörungen bei Kindern mit DownSyndrom
Nicht selten treten bei Kindern mit
Down-Syndrom Wahrnehmungsstörungen auf, auch wird ab und zu über
eine Hyperaktivität berichtet. Leider liegen uns zu dieser Thematik wenig Informationen vor. So können wir Eltern,
die bei uns diesbezüglich anfragen, nicht
viel weiter helfen. Es wäre hilfreich,
wenn Eltern, die in diesem Bereich Erfahrungen haben, u.a. auch vielleicht
mit dem Medikament Ritanil, uns Informationen zukommen lassen könnten.
Dankbar wären wir über Berichte
für die Zeitschrift, um diese Problematik und eventuelle Hilfen bekannter zu
machen.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
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VERANSTALTUNGEN
4. Europäischer
Down-SyndromKongress in Malta
10. bis 13. März 1999
Seminare mit
Prof. Etta Wilken
In den ersten Jahren
Independent living, von Dr. Siegfried Pueschel, USA
The rights of persons with DownSyndrom, von Leena Matikka aus
Finnland.
In den späteren Jahren
Congenital heart diseases in persons with Down-Syndrom, von
Victor Grech, Malta
Language, von Sue Buckley, GB
Sexuality, von Prof. Ben Sacks, GB
In verschiedenen Symposien kommen
folgende Themen zur Sprache:
Early intervention
Genetics, health & medical issues
school and community
ICT in education
Building relations
Community and home based
services.
Natürlich gibt es Präsentationen von
Menschen mit Down-Syndrom, wissenschaftliche Posterpräsentationen und
das übliche Rahmenprogramm mit Rezeption, Kunst- und Musikdarbietungen
aus Malta und ein Galadinner.
Für diejenigen, die schon am Sonntag vorher anreisen, gibt es ein Angebot
mit verschiedenen Ausflügen zu den
Sehenswürdigkeiten von Malta.
Ein „all-inclusive Conference Packet“
kostet pro Person Lm 190 (Einzelzimmer) oder Lm 155 (Zweibettzimmer).
Die Preise sind in Maltekischen Pfund
angegeben; 1 Lm ist ca. 2,75 $US.
Interessierte Eltern und Fachleute
können die Unterlagen zum Kongress
anfordern beim Deutschen Down-Syndrom InfoCenter.
Tel. 09123 / 98 21 21
Fax 09123 / 98 21 22
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Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
Workshop für Eltern und Fachleute
Referentin: Cora Halder
Informationen für Eltern von Kindern
mit Down-Syndrom im Säuglings- und
Kleinkindalter.
Im Seminar werden Grundinformationen über das Down-Syndrom vermittelt und praktische Erziehungs- und
Fördermöglichkeiten für Kleinkinder
und Säuglinge aufgezeigt. Es wird über
Aufgaben der Frühförderung, Möglichkeiten der Sprach- und Bewegungsförderung sowie der Sauberkeitserziehung informiert.
Zielgruppe: Eltern von Säuglingen
und Kleinkindern mit Down-Syndrom
bis zu drei Jahren.
Termin: 15.04 – 17.04.1999
Ort: Marburg – Cappel
Seminar Nr. 99034 – 50
Anmeldung: bis 15.02.1999
Der vierte europäische Down-SyndromKongress wird im März 1999 organisiert von der maltekischer Down-Syndrome Association. Der Kongress findet
statt im New Dolmen Hotel, dem großen
Kongresshotel auf der Insel Malta.
Auf dem Programm stehen folgende
Vorträge:
Breaking the News, von Ken Jupp,
USA
Frühes Lesenlernen
Informationen und Austausch von und
mit Jugendlichen mit geistiger Behinderung und ihren Eltern und Angehörigen
Der Übergang von der Kindheit ins
Jugendalter bringt neue Fragen zur Zukunftsgestaltung und zu Lebensentwürfen mit sich. Im Familienseminar besteht die Gelegenheit, sich sowohl in
eigenen Arbeitsgruppen als auch gemeinsam darüber auszutauschen, welche Vorstellungen beiderseits bestehen,
wenn es um Freundschaft, Partnerschaft, Freizeitgestaltung, Wohnen und
Arbeit geht.
Zielgruppe: Jugendliche mit geistiger Behinderung von 14 bis 18 Jahren,
ihre Eltern und Angehörigen.
Termin: 28.10 – 30.10.1999
Ort: auf Anfrage
Seminar Nr. 99035 –50
Anmeldung: bis 28.07.1999
Anmeldungen für beide Seminare bei:
Bundesvereinigung Lebenshilfe
Raiffeisenstraße 18
35043 Marburg
Tel. 06421 / 491-0
Fax 06421 / 491-167
An verschiedenen Orten finden in den
nächsten Monaten Workshops zum Thema „Frühes Lesenlernen“ statt.
Inhalt des Workshops
Die Sprachentwicklung bei Kindern mit
Down-Syndrom ist in der Regel verzögert. Um ihre Sprachentwicklung schon
von klein an positiv zu beeinflussen, den
Kindern beim Sprechenlernen zu helfen, kann man verschiedene Methoden
anwenden. In vielen Ländern wird dazu
die Methode des frühen Lesenlernens
eingesetzt. Kindern mit Down-Syndrom
wird dadurch zu einer früheren und
besseren Spontansprache verholfen.
Außerdem lernen auf diese Weise viele
Kinder das Lesen ganz nebenbei.
Im Workshop werden die Hintergründe über die Besonderheiten in der
Sprachentwicklung bei Down-Syndrom
aufgezeigt und eine Einführung in die
Frühlesemethode (nach Macquarie) gegeben. Mit Videobildern und Materialien wird die Methode verdeutlicht.
Termine
Folgende Workshops sind geplant. Erkundigen Sie sich jeweils beim Veranstalter nach dem genauen Ort, Zeit usw.
Workshop in Augsburg
Datum: Samstag, 27. Februar 1999
Informationen und Anmeldung
Familie Morawetz, Augsburg
Tel. 0821 / 229 16 06
Fax 0821 / 229 16 07
Workshop im Raum Donauried
Datum: Samstag, 27. März 1999
Informationen und Anmeldung:
Frau Mehl, Reimlingen
Tel. 09081 / 8 81 13
Workshop in Kassel
Datum: Samstag, 17. April 1999
Informationen und Anmeldung:
Frau Ahrens
Tel. 05605 / 47 46
Workshop in Pforzheim
Datum: Samstag, 24. April 1999
Informationen und Anmeldung:
Frau Elke Krieg, Keltern
Tel. 07236 / 12 78
Folgende Informationsmaterialien sind bei der Selbsthilfegruppe
für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde erhältlich:
Videofilm „So wie Du bist“, VHS, 35 Min.
DM
40,–
Kinderbuch „Albin Jonathan – unser Bruder
mit Down-Syndrom“, 36 Seiten, 48 Farbfotos,
gebunden, für Kinder ab 4 Jahre
DM
30,–
Broschüre „Das Baby mit Down-Syndrom“, 16 S.
DM
5,–
Broschüre „Das Kind mit Down-Syndrom im
Regelkindergarten“, 12 Seiten
DM
5,–
Broschüre „Herzfehler bei Kindern mit
Down-Syndrom“, 36 Seiten
DM
5,–
Sonderheft „Diagnose Down-Syndrom, was nun?“
Themen für den Anfang, 56 Seiten
DM
15,–
Format A2
*DM
5,–
Format A3
DM
3,–
DM
15,–
Format A1
DM
50,–
Format A2
DM
30,–
Format A3
DM
25,–
Impressum
Herausgeber:
Selbsthilfegruppe für Menschen mit
Down-Syndrom und ihre Freunde e.V.
Erlangen
Redaktion:
Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
Hammerhöhe 3
91207 Lauf / Pegnitz
Tel.: 09123 / 98 21 21
Fax: 09123 / 98 21 22
http://members.aol.com/LebenMitDS/home.html
E-Mail: [email protected]
Repros und Druck:
Fahner Druck GmbH
Nürnberger Straße 19
91207 Lauf an der Pegnitz
Poster „Down-Syndrom hat viele Gesichter“
Postkarte „Down-Syndrom hat viele Gesichter“
und „Down-Syndrom – na und!“ (jeweils 10 St.)
Posterserie „Down-Syndrom – Na und?“
jeweils 5 Poster mit verschiedenen Motiven
* Es passen bis zu 10 Poster in eine Rolle bei gleich bleibendem Porto
+ Porto nach Gewicht und Bestimmungsland
Bestellungen schriftlich an:
Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
Hammerhöhe 3, 91207 Lauf / Pegnitz
Fax 09123 / 98 21 22
Erscheinungsweise:
Dreimal jährlich, zum 30. Januar, 30. Mai
und 30. September
Die Zeitschrift ist gegen eine Spende bei der
Selbsthilfegruppe erhältlich.
Bestelladresse:
Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
Tel.: 09123 / 98 21 21
Fax: 09123 / 98 21 22
Beiträge sind urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur
mit Genehmigung der Redaktion und
Quellenangabe gestattet. Meinungen,
die in Artikeln und Zuschriften geäußert
werden, stimmen nicht immer mit der
Meinung der Redaktion überein.
Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen und
Manuskripte redaktionell zu bearbeiten.
ISSN 1430 - 0427
Zahlungsmodalitäten Ausland: nur mit Euroscheck / in bar eingeschrieben
Vorschau
für die nächste Ausgabe (Mai 1999) von Leben mit Down-Syndrom sind geplant:
… Frühförderung
… lernen und leben in anthroposophischen Einrichtungen
… Erfahrungsberichte, Geschichten, Gedichte
… Europäischer DS-Kongress in Malta
Wer Artikel zu wichtigen und interessanten
Themen beitragen kann, wird von der Redaktion
dazu ermutigt, diese einzuschicken.
Garantie zur Veröffentlichung kann nicht gegeben
werden. Einsendeschluss für die nächsten Ausgaben von Leben mit Down-Syndrom: 28. Februar
1999, 30. Juni 1999.
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
59
Dreimal jährlich erscheint die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom,
in der auf ca. 50 Seiten Informationen über das Down-Syndrom
weitergegeben werden.
Die Themen umfassen Förderungsmöglichkeiten, Sprachentwicklung, medizinische Probleme, Integration, Ethik u.a. Wir geben
die neuesten Erkenntnisse aus der Down-Syndrom-Forschung
aus dem In- und Ausland wieder. Außerdem werden neue Bücher
vorgestellt, gute Spielsachen oder Kinderbücher besprochen
sowie über Kongresse und Tagungen informiert. Vervollständigt
wird diese informative Zeitschrift durch Erfahrungsberichte von
Eltern.
Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfegruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9
des Körperschaftsteuergesetzes beim FA Erlangen anerkannt.
Ja, ich möchte Ihre Arbeit mit einer Spende von .......... DM unterstützen
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Unser Kind mit DS ist am ...............………...........…….. geboren und heißt ……………………………..…….........……….
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BLZ ……………………………………..............………...........
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Ausland
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Postanweisung oder im Kuvert per Einschreiben.
Datum ……………………………… Unterschrift ……………………………………………………..................................…....
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des Körperschaftssteuergesetzes beim FA Erlangen anerkannt. Bei Spenden über DM 100,– erhalten Sie automatisch eine
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Bitte ausgefülltes Formular auch bei Überweisung/Scheck unbedingt zurückschicken an:
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60
Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999
„Militärkapelle im Spital
an der Drau”
Ölkreide auf Papier, 1996
Willibald Lassenberger
http://members.aol.com/LebenMitDS/home.html