Nr. 30, Januar - DS
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Nr. 30, Januar - DS
Nr. 30 / Jan. 1999 ISSN 1430-0427 Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom” Ergotherapie Die weltweite DS-Bewegung Berichte über die DS-Woche '98 Radfahren lernen E D I T O R I A L Liebe Leserinnen, liebe Leser, ein neues Jahr hat angefangen und es ist noch nicht zu spät, Ihnen allen die besten Wünsche für 1999 zu übermitteln. Wir haben jetzt voller Energie die Arbeit im neu gegründeten Deutschen Down-Syndrom InfoCenter aufgenommen. Mit dieser im gesamten deutschsprachigen Raum einmaligen Einrichtung wurde für Eltern, Fachleute und Interessierte eine zentrale Anlaufstelle geschaffen, die es jetzt gilt, aufzubauen und mit Leben zu füllen. Für mich persönlich bedeutet dies auch eine große Veränderung. Nach zehn Jahren ehrenamtlicher Arbeit als Vorsitzende des Vereins bin ich nun hauptamtlich als Geschäftsführerin tätig und habe im DS-InfoCenter meinen Arbeitsplatz. Die Redaktion der Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom gehört nach wie vor zu meinen Aufgaben. Über das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter lesen Sie mehr auf Seite 3. In dieser Ausgabe finden Sie u.a. einen Bericht über unsere Zehnjahresfeier mit zwei der dort gehaltenen Vorträge sowie verschiedene Artikel zum Thema Förderung und Therapie, Buchbesprechungen, Berichte über die DS-Woche und Meinungen zu Benettons Werbekampagne. Für die nächste Ausgabe sammele ich Erfahrungsberichte. Bitte schreiben Sie über Ihre Erlebnisse mit Ihrem Kind: schöne, heitere oder auch traurige, über ihre Erfahrungen mit Therapien und medizinischen Behandlungen, Geschichten über Integration, die Entwicklung Ihres Kindes, auch wenn sie nicht so positiv verläuft. Themen genug. Vergessen Sie nicht, Fotos mitzuschicken. Noch ein Wort zum DS-Netzwerk. Die Selbsthilfegruppe entschied sich im letzten Sommer, aus dem DS-Netzwerk auszutreten. Nicht weil wir die Ziele des Netzwerkes nicht unterstützen, sondern weil wir unsere Arbeit unabhängig weiterführen möchten. Die Bedingungen dazu waren innerhalb des Netzwerkes nicht gegeben. Und noch schnell am Rande: Vor zehn Jahren genau erschien die erste Nummer von Leben mit Down-Syndrom! Jetzt sind wir bei Nummer 30! Herzlich Ihre Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 1 I N H A L T Aktuelles Deutsches Down-Syndrom InfoCenter ................................................................ 3 Ausstellung Leben mit Down-Syndrom ............................................................... 4 Festakt, DS-Preis ................................................................................................. 6 Integration Entwicklungsperspektiven .................................................................................. 7 Integration von Menschen mit Down-Syndrom ................................................ 12 Stell dich in die Mitte ........................................................................................ 18 Bücher Neuerscheinungen ............................................................................................ 21 Kinderbücher etc. .............................................................................................. 23 Ausland Die weltweite DS-Bewegung ............................................................................. 24 Therapie Ergotherapie, was ist das? ................................................................................ 30 Carina in der Ergotherapie ............................................................................... 32 Förderung Die Schere klafft immer weiter auseinander ..................................................... 34 Sauberkeitserziehung ........................................................................................ 39 Frühförderung auf dem Prüfstand .................................................................... 40 Werbung Umstrittene Werbekampagne von Benetton ..................................................... 42 Auch ausländische DS-Plakate wurden in der Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“ gezeigt Kulturelles Postmodernes aus Russland .............................................................................. 46 Willibald Lassenberger ..................................................................................... 47 Recht Erben ................................................................................................................ 48 Down-Syndrom-Woche Beispiele von Aktionen ...................................................................................... 50 Freizeit Spiel- und Lernmaterialien ............................................................................... 54 Leserpost ......................................................................................................... 56 Veranstaltungen .............................................................................................. 58 Bestellungen / Vorschau / Impressum .............................................................. 59 2 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Titelbild: Marcel Terwesten Foto Rückseite: Zeichnung von Willibald Lassenberger AKTUELLES Deutsches Down-Syndrom InfoCenter I m Dezember 1998 hat das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter seine Arbeit aufgenommen. Diese im gesamten deutschsprachigen Raum einmalige Einrichtung ist als zentrale Anlaufstelle für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom gedacht, die sich zu Fragen rund um das Thema Down-Syndrom informieren möchten. Fachleute, angehende Fachleute und Interessierte können sich ebenfalls an das InfoCenter wenden. Im InfoCenter sind neben der Redaktion der Fachzeitschrift Leben mit Down-Syndrom auch eine Videothek und eine Bibliothek untergebracht, die außer mit fachbezogenen Büchern und Filmen auch mit Zeitschriften und Broschüren aus dem In- und Ausland, Diplomarbeiten zum Thema Down-Syndrom usw. aufwarten. Träger dieser neuen Einrichtung ist die Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde e.V. mit Sitz in Erlangen. Dieser Verein ist seit zehn Jahren Motor hinter der DownSyndrom-Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland. Er hat u.a. zahlreiche Broschüren, ein Kinderbuch und einen Videofilm zum Thema Down- Syndrom veröffentlicht und ist überdies der Herausgeber dieser Zeitschrift. Sowohl die Medien als auch die Öffentlichkeit zeigen sich an dem Projekt sehr interessiert, in verschiedenen Zeitungen sowie im Fernsehen und Radio wurde schon über das InfoCenter berichtet. Die feierliche Eröffnung findet voraussichtlich Ende Januar 1999 statt. Appell an die Leser Einen Appell möchten wir hier an unsere Leser richten. Um Anfragen nach Informationen rund um das Down-Syndrom kompetent behandeln zu können, sammeln wir Erfahrungen, Tipps, Adressen, ja alles, was irgend wie für andere eine Hilfe sein kann. Unterstützen Sie uns dabei, möglichst viele Daten zu sammeln, damit andere Eltern davon profitieren und ihren Kindern mit DownSyndrom helfen können. Schicken Sie uns „Wissenswertes“, so können wir eine Datenbank anlegen, die uns allen nützen kann. Der Maiausgabe der Zeitschrift werden wir ein kleines Prospekt über das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter beilegen, dem Sie weitere Informationen entnehmen können. Deutsches Down-Syndrom InfoCenter Hammerhöhe 3 91207 Lauf a. d. Pegnitz Tel. 09123 / 98 21 21 Fax: 09123 / 98 21 22 E-Mail: [email protected] Öffnungszeiten: Mo, Mi, Do, Fr von 8.30 Uhr bis 13.00 Uhr Di von 8.30 Uhr bis 17.00 Uhr Bibliothek Öffnungszeiten werden noch bekannt gegeben Sonderausgabe in neuem Outfit „Diagnose Down-Syndrom, was nun?“ ab Februar 1999 erhältlich M ärz 1996 erschien das Heft Diagnose Down-Syndrom, was nun?, eine Sonderausgabe von Leben mit Down-Syndrom. Das Heft sollte eine Hilfe sein für neu betroffene Eltern. In diesem Heft wurden Artikel zusammengefasst, die für Eltern kleinerer Kinder mit Down-Syndrom wichtig sind, weil sie sich hauptsächlich mit Themen wie Krankengymnastik, Frühförderung oder Sauberkeitserziehung u.ä. befassen. Es gibt Beiträge über Geschwisterthematik, Sprachentwicklung oder Kindergarten, aufgelockert wurden die Fachbeiträge mit Erfahrungsberichten aus der Alltagspraxis. Diagnose Down-Syndrom, was nun? war von Anfang an ein sehr beliebtes Heft und wir haben in den letzten Jahren verschiedene Neuauflagen gemacht. Jetzt war es an der Zeit, das Layout zu verändern, das Heft auch optisch an die neue Zeitschrift anzupassen. Das haben wir getan und gleichzeitig natürlich auch inhaltlich einiges geändert und auf den letzten Stand gebracht. Einige Artikel wurden überarbeitet, einige ersetzt durch neuere. Ganz neu dazu kamen Beiträge über z.B. die PörnbacherTherapie, über „Trinken und Essen lernen“ oder die Gebärdensprache. Wir glauben, dass es uns gelungen ist, auch bei der neuen Ausgabe wieder eine gute Mischung aus Fachartikeln und Berichten aus der Praxis zusammengestellt haben, das Ganze mit vielen Fotos, die die Lebensfreude unserer Kinder mit Down-Syndrom illustrieren. Finanzielle Tipps haben wir nicht mit aufgenommen. Wir bereiten derzeit jedoch zum Thema Finanzen Informationen vor, die dann dem Sonderheft beigelegt oder auch einzeln angefordert werden können. Die neue Sonderausgabe hat 72 Seiten, ist schöner und noch informativer! Bestellungen beim Deutschen DownSyndrom InfoCenter. Sprechstunden: nach Vereinbarung Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 3 AKTUELLES Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“ A usgezeichnet, sehr interessant. So etwas müssen sie überall zeigen! Rundherum positiv waren die Reaktionen der Ausstellungsbesucher. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte: „Die Ausstellung zeichnet anhand von zahlreichen Texttafeln, Illustrationen und Büchern, Plakaten und Farbfotografien ein ausgesprochen lebendiges Bild von der Geschichte, Verbreitung und gesellschaftlichen Akzeptanz.“ Die Ausstellung zeigt in drei Bereichen geschichtliche und genetische Daten zum Down-Syndrom, macht deutlich, wie durch medizinische, therapeutische und integrative Maßnahmen die Lebensqualität von Menschen mit DownSyndrom verbessert wurde und weiter verbessert werden kann. Down-Syndrom hat viele Gesichter und das Problem ist nicht, wie der Mensch mit DownSyndrom aussieht, sondern wie er gesehen wird – auch das vermittelt die Ausstellung in einem eigenen Bereich, in dem mit vielen Fotos u.a. Lebensläufe von drei jungen Menschen mit DownSyndrom gezeigt werden. Ein vierter Bereich ist der Arbeit der Selbsthilfegruppe gewidmet. Berührungsängste Eine Ausstellung, die Einstellungen verändert! So lautet der Titel eines Artikels über die Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“ in der „Süddeutschen“. Genau das wollten wir auch erreichen. Und nachdem unsere Präsentation einen Monat lang in der Erlanger Universitätsbibliothek zu sehen war, können wir sagen, das haben wir geschafft. Wir sind sicher, dass diejenigen, die sich hier informiert haben, Kindern mit Down-Syndrom anders begegnen werden. Das schließen wir auch aus den Bemerkungen und den vielen Gesprächen, die wir während der Ausstellung mit den Besuchern hatten. 4 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 „Seit zwei Wochen nehme ich mir vor, reinzuschauen, ich habe mich stets nicht getraut“, erzählt uns eine junge Studentin der Pharmazie. „Heute habe ich mir ein Herz gefasst.“ Auf unsere verwunderte Nachfrage meinte die junge Frau, sie habe extreme Berührungsängste bei diesem Thema, warum, das wüsste sie selbst nicht. Und dann geht sie von Texttafel zu Texttafel, liest alles genau, macht sich Notizen und stellt Fragen. Fast zwei Stunden ist sie da, schaut sich auch noch das Video an, und als sie geht, bedankt sie sich herzlich: „Nun war ich zwar nicht oben (in der Unibibliothek), habe hier heute aber mindestens genauso viel gelernt. Ich bin so froh, dass ich gekommen bin!“ Und wo sollen die behindert sein? Viele Erlanger Schulklassen besuchen die Ausstellung aus allgemeinem Interesse und weil das Thema Behinderung in den Lehrplänen verschiedener Schu- AKTUELLES len auftaucht. Dankbar greifen Lehrer die Einladung auf, denn es ist kein Leichtes, Schüler über das Leben von und mit behinderten Menschen aufzuklären. Ausstellung und Video eignen sich prima für einen Einstieg in das Thema. In der Schule wird noch tagelang immer wieder darüber geredet. Eine Lehrerin erzählte, dass eine Fünftklässerin zu ihr sagte: „Ich weiß nicht, die Kinder sind doch auch wie wir, warum sagt man, die sind behindert, das ist kein schönes Wort!“ Impressionen Ein vierjähriges Mädchen zeigt auf eine Puppe mit Down-Syndrom und fragt: „Ist das eine chinesische Puppe?“ Warum glaubst du das? „Na ja, weil die Augen so sind.“ Das Madonnenbild von Andrea Mantegna, das wir in der Ausstellung zeigen, hat viele Bewunderer und verursacht auch immer wieder einen AhaEffekt. Das gab es also damals auch schon? Die Grafiken mit den Zellteilungen, mit dem Karyogramm und dem Chromosom 21 werden genauestens studiert und mancher gibt zu, er hätte das alles nicht gewusst. Einige zieht es zu den alten Büchern (Leihgaben der Unibibliothek), die wir in einer Vitrine zeigen. Da kann man u.a. den Text von Neumann lesen, der 1899 in der Berliner klinischen Wochenschrift veröffentlicht wurde. Oder auch wie Benda 1962 einen Artikel verfasst für The Lancet, in dem er sich damals schon fragt: „Mongolisme or Down’s-Syndrome?“ und klarlegt, wie verkehrt der Name Mongolismus eigentlich ist. Aus einer geschichtlichen Übersicht über das Leben von Menschen mit DownSyndrom in Deutschland von 1920 bis heute gewinnen die Besucher schnell die Erkenntnis, dass die Lebenserwartung sich drastisch erhöht hat. (Es herrscht immer noch das Klischee: „Die leben doch nicht lang.“) Texte und ein Foto von Dr. Down bewirken hoffentlich, dass man sich nun endlich den Namen Down-Syndrom merken kann. Auch kann man nachlesen, was genau ein Syndrom ist. Down-Syndrom gibt es überall auf der Welt: Fotos u.a.von japanischen und farbigen Kindern oder von einem Südseemädchen zeigen das. Und natürlich gehören in diesen Bereich unsere schönen Down-Syndrom-Poster aus anderen Ländern. „Aber viel Arbeit ist es schon, ein Kind mit Down-Syndrom großzuziehen“, meinen einige Besucher, wenn man so sieht, wie man da üben und fördern muss. Stimmt, aber wenn das Kind dadurch Fortschritte macht, wird man für die Mühe reichlich belohnt. Dinge, die „man“ so über DownSyndrom weiß, die aber nicht so pauschal stimmen, können wir richtig stellen: „Sind es wirklich solch liebe, anhängliche Kinder? Sie sind doch alle musikalisch, aber Lesen und Schreiben können sie nicht lernen, oder?“ Man stellt erstaunt fest: „Die können ja Ski fahren lernen und arbeiten manchmal in normalen Jobs? Wohnen sogar schon selbständig? Das hätte ich nie erwartet.“ Und wenn dann zwei junge Menschen die Ausstellung verlassen mit den Worten: „Da versteht man eigentlich gar nicht mehr, weshalb diese Kinder abgetrieben werden“, dann weiß man, dass die Botschaft angekommen ist. Ausstellung zum Ausleihen Nächste Station der Informationsschau ist das Gesundheitsstudio in Nürnberg. Die Ausstellung ist gegen eine Leihgebühr plus Transport- und Betreuungskosten bei der Selbsthilfegruppe auszuleihen. Informationen dazu im Deutschen Down-Syndrom InfoCenter. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 5 AKTUELLES 10 Jahre Selbsthilfegruppe Erlangen A m 17. Oktober 1998 feierte die Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde e.V. ihr zehnjähriges Bestehen mit einem Festakt im Kollegienhaus der Universität Erlangen. Prof. Gotthard Jasper, Rektor der Friedrich-Alexander-Universität, und Dr. Siegfried Balleis, Oberbürgermeister der Stadt Erlangen, lobten in ihren Grußworten das große Engagement der Erlanger Selbsthilfegruppe. Anschließend referierte Prof. Dr. Singer, Kardiologe der Universitätsklinik Erlangen, über „Medizinische Aspekte der Herzfehlerbehandlung bei Kindern mit Down-Syndrom“. Er stellte u.a. Ergebnisse einiger neuer Studien, die an der Universitätsklinik durchgeführt wurden, vor. In einer unserer nächsten Ausgaben werden wir über diese Studien zur Herzfehlerbehandlung berichten. Prof. Dr. Etta Wilken von der Universität Hannover ging in ihrem Vortrag ein auf verschiedenste Aspekte der Integration bei Menschen mit Down-Syndrom. Ihr Referat finden Sie auf den nächsten Seiten. Prof. Dr. Werner Dittmann, der an die Universität Rostock Sonderpädagogik lehrt, stellte mit seinem Referat die Entwicklungsperspektiven bei Kindern mit Down-Syndrom in den Mittelpunkt. Auch er hat uns erfreulicherweise seinen Text für die Zeitschrift zur Verfügung gestellt (siehe Seite 7). Am Schluss des Vormittags fand die feierliche Übergabe des Down-SyndromPreises statt. Frau Cora Halder konnte den Preis in diesem Jahr an Dr. Wolfgang Storm aus Paderborn überreichen (siehe Artikel auf dieser Seite). Anschließend waren alle Gäste eingeladen zu einem kalten Buffet im Foyer der Universitätsbibliothek und es bestand Gelegenheit, die Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“ zu besuchen. 6 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Übergabe des DownSyndrom-Preises an Dr. Wolfgang Storm Down-Syndrom-Preis an Dr. Wolfgang Storm Zum zweiten Male wurde der DownSyndrom-Preis, der von der Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom gestiftet wurde, überreicht, in diesem Jahr an Dr. Wolfgang Storm, Leitender Arzt der Kinderklinik des St. Vincenz Krankenhauses in Paderborn und der Ambulanz zur medizinischen Betreuung von Kindern mit Down-Syndrom. Schon1985 hat diese DS-Ambulanz, eine einmalige Einrichtung in Deutschland, in Paderborn ihre Arbeit aufgenommen. Modell dabei standen die amerikanischen Preventive Medicine Clinics. Wolfgang Storm, selbst Vater eines 15-jährigen Sohnes mit Down-Syndrom, brachte aus den USA auch die Idee der speziellen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Down-Syndrom mit, bearbeitete diese und machte sie hier in Deutschland Eltern und Ärzten zugänglich. Als Autor vieler Artikel zu spezifischen Themen bezüglich des Down-Syndroms tat sich Dr. Storm hervor. Vor allem in der Fachzeitschrift der Kinderarzt erschienen seine Aufsätze, in denen er u.a. auch immer wieder für das uneingeschränkte Lebensrecht und eine bessere Lebensqualität von Menschen mit Down-Syndrom plädierte. 1995 erschien das Buch Das Down-Syndrom – medizinische Betreuung vom Kindes- bis Erwachsenenalter in der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft, ein Fachbuch für ärztliche Kollegen, in dem Erkenntnisse der internationalen Literatur, aus Vorträgen, Seminaren und Kongressen wiedergegeben werden. Aber auch persönliche Erfahrungen aus Untersuchungen mit hunderten Patienten mit Down-Syndrom, die während der letzten Jahre in die Ambulanz nach Paderborn kamen, konnten einfließen. Es ist erfreulich für viele Familien und speziell natürlich für die Kinder selbst, dass Dr. Storm bei alltäglichen Problemen, wie z.B. Infektionen, auch die Möglichkeit „alternativer“ Methoden in Erwägung zieht. In seinem neuen Buch, das im Dezember 1998 erschienen ist, werden die Erfahrungen der letzten Jahre bei dem Einsatz homöopathischer Medikamente beschrieben. Für sein Engagement, bessere gesundheitliche Bedingungen für Menschen mit Down-Syndrom zu schaffen, die eine wesentliche Voraussetzung für eine bessere Lebensqualität bedeuten, wurde Wolfgang Storm nun zum diesjährigen Träger des Down-SyndromPreises gewählt. INTEGRATION Entwicklungsperspektiven bei Kindern mit Down-Syndrom Werner Dittmann Prof. Dr. Werner Dittmann zeichnete in seinem Vortrag anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Selbsthilfegruppe Schritt für Schritt den Weg nach, den Menschen mit Down-Syndrom und deren Eltern gehen mussten, um den heutigen Standard zu erreichen. Darüber hinaus zeigte er Perspektiven für die Zukunft auf. 1. Einleitung Vor 170 Jahren wurde der Pharmazeut und Mediziner John Langdon Haydon DOWN geboren. Nach ihm benennen wir die Menschen, derentwegen Sie, sehr verehrte Eltern, vor zehn Jahren die Elternselbsthilfegruppe gründeten und heute das zehnjährige Jubiläum feiern. Zu diesem Jubiläum möchte ich Ihnen ganz herzlich gratulieren. Fast selbstverständlich nehmen wir als Außenstehende, als professionelle Anwälte von Menschen mit Down-Syndrom oder als unmittelbar betroffene Eltern Ihre Leistungen und Ihre Aktivitäten für Menschen mit Down-Syndrom und deren Familien dankbar in Anspruch. Diese Selbstverständlichkeit – wobei dies im positiven Sinne gemeint ist – konnte jedoch erst Platz greifen, nachdem viele altvordere Generationen von Menschen mit Down-Syndrom und deren Eltern zwangsläufig einen widrigen und manchmal auch lebensbedrohenden Weg Schritt für Schritt gehen mussten, um den heutigen Standard zu erreichen und zu positiven Perspektiven für kommende Generationen zu kommen. Diese Entwicklungsgeschichte möchte ich zum einen bis zur Gegenwart in groben Zügen, versuchen nachzuzeichnen und zum anderen daraus einige zukünftige Entwicklungsperspektiven ableiten. 2. Kurzer geschichtlicher Rückblick 2.1 Erster Paradigmawechsel: Von der Pflege und Erziehung im Heim zur Beschulung in Sonderschulen und zum Leben im familiären Wohnumfeld (Serviceparadigma) Langdon Down hat erstmals 1866 diese besondere Gruppe von Menschen im Asylum for Idiots at Earlswood in Surrey (GB), einem Heim, in dem er über Jahre wirkte, aus der Gesamtgruppe der Oligophrenen und der Kretins abgehoben und differenziert charakterisiert (wobei Sie mir bitte nachsehen mögen, wenn ich weitere mögliche Erstbeschreiber, die jedoch ein anderes Zuordnungssystem zugrunde legten, nicht erwähne). Als Folge einer Fehlinterpretation, die auf einer unkritischen Beobachtung der inneren Augenlidfalte, der sog. Epikanthusfalte basierte, und auf dem Hintergrund des damaligen Standes der Wissenschaft über die Vererbung, ordnete Down fälschlicherweise diese Menschen der mongolischen Population zu. Für ihn war es daher naheliegend, diese oligophrenen Menschen als mongoloide Form der Idiotie zu charakterisieren. Daraus entwickelte sich später der Gattungsbegriff „Mongolismus“ mit allen jenen – wie wir heute wissen – vorwiegend negativen Zuschreibungen. Insbesondere wurde das uniforme homogene Verhalten im kognitiven, sozialen und emotionalen Bereich hervorgehoben was in der Formulierung Homburgers (1926) zum Ausdruck kommt: „Wer ei- nen einzigen wohl ausgeprägten Fall dieser Art gesehen hat, wird in Zukunft die Diagnose auch in den weniger ausgeprägten Fällen auf den ersten Blick stellen.“ Leider finden sich auch heute immer noch an verschiedenen Orten und in gesellschaftlichen Kreisen unüberlegte, undifferenzierte Zuschreibungen und pauschalierende Aussagen, die nicht mehr dem aktuellen Kenntnisstand entsprechen und die daher nicht mehr zu vertreten sind. Wie wir heute wissen, waren es die Strukturen der Heime, die Pflege und die Betreuung der Menschen in diesen Anstalten, die zwangsläufig zu solchen homogenen Persönlichkeiten, zu einem uniformen Verhalten mit begrenzten kognitiven Leistungen, mit stereotypen Bewegungsmustern, mit rigiden Kommunikationsformen führten. In der Folge ergaben sich negative Einstellungen der Gesellschaft gegenüber diesen sog. Mongoloiden. Was besonders gravierend zählt, ist die Tatsache, dass ihnen teilweise bis in unsere jüngste Gegenwart hinein der Stempel des „nicht voll Mensch geworden sein“ aufgedrückt wurde (Crookshank, Engler, Wunderlich e.a.) Zwangssterilisationen, beginnend in der „eugenic movement“ in den USA in den 20er und 30er Jahren und die T-14Aktionen (Euthanasiemaßnahme) in der NS-Zeit in Deutschland waren Folgen dieser gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesse. Die bedeutsame medizinisch-genetische Entdeckung der dem Down-Syndrom zugrunde liegenden Chromosomopathie durch die Franzosen LeJeune, Gautier und Turpin im Jahre 1959 führte zunächst nicht zu einer Veränderung der homogenen Sicht bei den Interventionen gegenüber Menschen mit DownSyndrom. Eher wirkte sie noch verstärkend in diese Richtung, denn man glaubte ja den Beweis für das Gleichsein in der chromosomalen Ausstattung gefunden zu haben. Noch 1977 lesen wir bei Wunderlich (S. 44), dass der „neue Phänotyp ... unterschiedlich stark die intrafamiliäre Verwandtschaft (verschleiert) und stattdessen zu einer verblüffenden extrafamiliären Ähnlichkeit aller mongoloiden Menschen führt, die auch über konstitutionelle, kulturelle und rassi- Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 7 INTEGRATION sche Schranken hinwegreicht“. Bei Tolksdorf (1994, 14) finden wir in ihrem für Eltern geschriebenen Leitfaden folgenden Satz: „Das Erscheinungsbild des Morbus Down ... wird bestimmt durch eine charakteristische Kombination unterschiedlicher Merkmale, die zusammen mit dem Verhalten dieser in ihrer geistigen Entwicklung gestörten Menschen den Gesamtaspekt und Gesamteindruck ausmacht.“ Zu einer Änderung der Perspektive, und damit zu einem ersten Paradigmawechsel führte glücklicherweise die von Bank-Mikkelsen zur Diskussion gestellte praktische Philosophie der Normalisierung Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre, die dann von Nirje und Wolfensberger in den darauffolgenden beiden Jahrzehnten spezifiziert und ausdifferenziert wurde. Erstmals wurde mit dieser Normalisierungsidee Menschen mit einer geistigen Behinderung und so auch Menschen mit Down-Syndrom zuerkannt, dass sie ein Recht auf eine Gestaltung ihres eigenen Lebens haben und Fremdbestimmung so weit wie möglich zu reduzieren ist. Zu diesem Anspruch gehört z.B. das Recht, den Tages-, Wochen- und Jahresablauf und die Partnerbeziehungen so gestalten zu können wie du und ich, normal respektiert zu werden und entsprechende wirtschaftliche Standards zur Verfügung zu haben. Als logische Konsequenz aus der Forderung nach einer normalisierten Lebensführung resultierte dann das Deinstitutionalisierungsprinzip. Dieses Prinzip besagt, dass Menschen mit Behinderungen – wenn immer möglich – außerhalb von geschlossenen Anstalten und Heimen unterzubringen sind. Normalisierung und Deinstitutionalisierung bedeuten folgerichtig auch, Menschen mit Down-Syndrom in Schulen von wissenschaftlich qualifizierten Lehrern/innen unterrichten zu lassen. Entsprechend den schulpädagogischen Vorstellungen über ein differenziert gegliedertes Schulsystem in den 60er Jahren und auf dem Hintergrund von vorliegenden Erfahrungswerten aus der Vergangenheit, aber auch aus anderen Ländern, wie z.B. den Niederlanden und Skandinavien, lag es nahe, für Menschen mit geistiger Behinderung eigenständige Schulen, in relativer Isolation und getrennt von anderen Schülern, einzurichten. Die dahinter sich verber- 8 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 gende Absicht war bei diesem Konzept damals durchaus berechtigt. „Wenn man den Geistesschwachen zur Gemeinschaft erziehen will, so muss man ihn zuerst einmal aus der Gemeinschaft herausnehmen, in der er sich befindet, herausnehmen insbesondere aus der Normalschule. Erst wenn man die Möglichkeit hat, sich ganz allein mit ihm zu befassen und so weit unten anzufangen, wie dies für ihn nun einmal notwendig ist, kann man ihn mit der Zeit dazu bringen, dass er den Zugang findet zu einem für ihn vorbereiteten Platz in der Gemeinschaft. Gerade um der Erziehung zur Gemeinschaft willen ist Sonderschulung notwendig“ (MOOR 1969, 173). Der Paradigmawechsel von der Heim- und Anstaltsbetreuung zur Beschulung in öffentlichen Sonderschulen mit einem eigenständigen Curriculum wurde, kaum war er richtig etabliert, kritisch hinterfragt und bald in Frage gestellt, obwohl gerade dieser erste Paradigmawechsel mit seinen spezifischen Serviceleistungen für die Menschen mit geistiger Behinderung in den 70er Jahren zentral dafür verantwortlich zeichnete, auch Menschen mit Down-Syndrom zu einer grundlegenden Verbesserung ihrer aktuellen und zukünftigen Lebensführungsmöglichkeiten zu erziehen. Gerade die Sonderschulen und die Maßnahmen der Frühintervention waren es, die dank ihrer systematischen Förderung mit speziell abgestimmten Programmen belegen konnten, welche Kompetenzen sich bei Menschen mit Down-Syndrom entwickeln lassen. Für mich sind daher die Frühfördereinrichtungen und die Sonderschulen jene Wegbereiter für die heute feststellbaren Kompetenzen bei Menschen mit Down-Syndrom, die zu einer substanziellen Verbesserung ihrer Lebensqualität beitrugen. Daher haben sowohl die behinderten Menschen als auch deren Eltern diesen Institutionen viel zu verdanken. Wir haben u.a. den Mitarbeitern/innen in diesen Einrichtungen Respekt zu zollen für die dort nach wie vor geleistete Arbeit und für die Sensibilisierung von Politikern, von Repräsentanten der öffentlichen Verwaltungen und von weiten Teilen der Bevölkerung gegenüber den Problemen, die Menschen mit Down-Syndrom und deren Familien haben. 2.2 Zweiter Paradigmawechsel: Von der Beschulung in Sonderschulen zur Forderung nach Integration Der zweite sich abzeichnende Paradigmawechsel lässt sich mit dem Ende der 70er Jahre aus der Neuen Welt zu uns auf den alten Kontinent herübergetragenen Gedankengut des Public Law PL 94 – 142 festmachen. Ausgangspunkt dieses „public law“ waren primär nicht die Menschen mit Behinderungen, sondern politische Forderungen nach Antidiskrimination von Minoritäten in Schulen in den USA. Engagierte Eltern von Kindern mit Behinderungen schlossen sich dieser Antidiskriminationsbewegung an und forderten ebenfalls für ihre Kinder die Beschulung im „mainstream“ (Hauptstrom) der allgemeinen Beschulung und damit in der sog. „least restrictive environment“, d.h. in der am wenigsten begrenzenden Umgebung. „Mainstreaming“ wurde und wird dabei oft fälschlicherweise gleichgesetzt mit einer automatisch zu erfolgenden Integration in das allgemeinbildende Schulwesen. Die Inhalte des PL 94 – 142 zielen aber in eine etwas andere Richtung. Es soll dem Menschen mit einer Behinderung und damit auch dem Menschen mit Down-Syndrom eine individuell zugeschnittene Beschulungskonzeption zur Optimierung seiner persönlichen Qualitäten in der für ihn jeweils am wenigsten begrenzenden Umgebung angeboten werden. Mit diesem Public Law war endgültig der Durchbruch gelungen, Menschen mit Down-Syndrom inter- und intraindividuell heterogen zu betrachten und sie auf diesem Hintergrund nicht mehr aus gesellschaftlichen Bezügen auszugrenzen. Sie werden nun als Individuen mit ihren Stärken und Schwächen, mit Kompetenzen und mit Fähigkeiten bewertet, für die jeweils ein individuelles Erziehungs- und Förderprogramm (IEP) zu formulieren ist. Dieses Public Law PL 94 – 142 war für viele Eltern in Deutschland der Ausgangspunkt, dafür einzutreten, dass ihr Kind nicht mehr in Sonderschulen unterrichtet wird, sondern an einem Curriculum in der allgemeinen Regelschule partizipiert. Deshalb wird heute – als neues Extrem im Vergleich zur Institutionalisierung – von manchen Eltern und von INTEGRATION manchen Professionellen die Auflösung der Sonderschulen gefordert, mit dem Argument, die Schule zur individuellen Lebensbewältigung habe sich als Sackgasse der Entwicklung mit einem „dead end“, wie die Amerikaner ihre Sackgassen bezeichnen, erwiesen. 2.3 Dritter Paradigmawechsel: Von der Forderung nach Integration zur Idee der „Full Inclusion“ und zum „Support-Konzept“ Aber auch diese Konzeption ist schon wieder unter einer Vorbehaltsklausel zu sehen, wenn wir erneut den Blick über den Atlantik wagen. Für die Gesamtentwicklung von Menschen mit Down-Syndrom, wie wir es heute sehen, ist weniger von Bedeutung, sich für die eine oder andere formale Örtlichkeit der Beschulung zu entscheiden, seien dies nun Sonderklassen oder Regelklassen. Es ist vielmehr von Bedeutung, ihre Gesamtentwicklung und insbesondere ihre Entwicklung von Lernkompetenzen zur Bewältigung von Alltagshandlungen in der Kommune (Beveridge 1996) zu fördern und sie auf eine aktuelle und zukünftige, so weit wie möglich unabhängige, Lebensführung vorzubereiten. Schulen, ob Sonder- oder sog. Regelschulen, werden für Menschen mit Down-Syndrom nach diesem Paradigma erst dann zu qualitativ bedeutsamen Orten, wenn es diesen gelingt, ihre Förderintentionen so auf die speziellen und umfassenden Lernbedürfnisse der Menschen mit Down- Syndrom in der Lebenspraxis abzustimmen, dass Lebensrealität erfolgreich und so weit wie möglich selbst bestimmt gelebt werden kann. Solche und ähnliche Überlegungen waren dann auch entscheidend, dass es zum dritten Paradigmawechsel kam, nämlich zur Forderung nach einer full inclusion und der damit einhergehenden support-Forderung. Das aktuelle Paradigma der full inclusion und des supports bedeutet, dass Menschen mit Down-Syndrom voll, d.h. in ihrem gesamten Lebensvollzug in dem für sie bedeutsamen Lebensumfeld der Kommune und in das Sozialsystem einzubinden sind. Unabhängig von ihren Fähigkeiten haben sie ein Recht wie alle Menschen, in den gleichen Lebensräumen zu leben. Die zentrale Frage orientiert sich al- Prof. Dr. Werner Dittmann so heute und in der Zukunft daran, welche Aufgaben unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen mit Down-Syndrom in unserer Gesellschaft zu bewältigen haben und welche Fähigkeiten wir hierfür gemeinsam entwickeln können. Full inclusion und supports bedeuten, dass beim Prozess des Erwerbs von Fähigkeiten und Kompetenzen in den bestehenden Handlungsfeldern folgerichtig nicht mehr nach den individuellen Defiziten und Behinderungsschweregraden, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, gefragt wird. Vielmehr ist in Erfahrung zu bringen, welche Unterstützungen (supports) dem Einzelnen bei der Bewältigung von Aufgaben und Handlungsfunktionen zukommen müssen, welche technischen Hilfsmittel zu gewähren und welche sozialen und praktischen Arrangements zu organisieren sind, um ein erfolgreiches und so weit wie möglich autonomes, selbst bestimmtes Leben in der Kommune, in der Wohnung, am Arbeitsplatz, im Freizeitbereich oder in der Partnerschaft zu führen. Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Down-Syndrom brauchen daher in den verschiedenen Lebensaltersabschnitten kompetente Eltern, Frühberater/innen, Kindergärtner/innen, Lehrer/innen, Lebensbegleiter/innen, Lebens- und Job-Coaches, die als Assistenten fungieren. Diese übernehmen die Funktion der Aufbereitung der für den Menschen mit Down-Syndrom rele- vanten Aufgaben an den jeweils lebensbedeutsamen Lernorten, dort, wo diese Leistungen auch in der Realität eingefordert werden und nicht in irgend welchen künstlichen Örtlichkeiten. Zu dieser Aufbereitung gehört folgerichtig auch, die elementaren Fähigkeiten der Menschen mit Down-Syndrom, wie z.B. ihre Gedächtnisleistungen, ihre Transfer- und Lernleistungen zu analysieren. Dieser Entwicklungsansatz, als Elementarisierung beschrieben, ist, ebenso wie die nachfolgend aufzuzeigenden Konzepte, von grundlegender Bedeutung für die Optimierung der individuellen Leistungsfähigkeit. Aus Zeitgründen muss ich mir jedoch Überlegungen zu dieser Elementarisierung versagen. Entwicklungsperspektiven Wie lässt sich dieses anspruchsvolle Ziel der full inclusion und der supports erreichen? Auf drei Inhaltsbereiche möchte ich eingehen, die meiner Meinung nach zukünftig für eine förderliche Entwicklung von Menschen mit Down-Syndrom von Bedeutung sein werden. Diese beziehen sich 1. auf die unmittelbar betroffenen Menschen mit Down-Syndrom selbst 2. auf die mittelbar Betroffenen, die Eltern und die in die Erziehung involvierten Fachkräfte/Assistenten und 3. auf die Gesellschaft. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 9 INTEGRATION 3. 1. Inhaltsbereich: Menschen mit Down-Syndrom Um „full included“ und selbst bestimmt leben zu können, sind möglichst vielfältige Handlungen, Fähigkeiten und Funktionen eigenständig zu erwerben, denn Selbstbestimmung ist eine Grundlage menschlichen Wohlbefindens. Deshalb hat dieser Lernprozess der Selbstbestimmung und damit die Eigenentscheidung schon im frühen Kindergartenalter einzusetzen. Bereits hier ist den Kindern in pädagogisch verantworteten Verhaltenskorridoren die Chance zu bieten, sich für die eine oder andere Alternative zu entscheiden. So ist es in diesem Lebensalter bereits notwendig, in kleinen Einheiten Selbstbestimmung zu erlernen. Im Schulalter, insbesondere im späteren Schulalter ist dann das von Falvey et al. (1997, 145 ff.) aufbereitete Konzept der MAPs (Making Action Plans) besonders geeignet, Menschen mit Down-Syndrom Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu eröffnen. Bei diesem Konzept werden Menschen mit Down-Syndrom selbst, ihre Familien und andere Personen in die aktuellen und zukünftigen Planungen aktiv eingebunden. Die Menschen mit Down-Syndrom entwickeln ihre Vorstellungen über ihre Gegenwart und Zukunft, sie artikulieren ihre Bedürfnisse und Wünsche. Alle Beteiligten wirken bei der Entwicklung des kollektiven Plans mit, um so so weit wie möglich den Vorstellungen der Menschen mit Down Syndrom unter Beachtung der sozio-kulturellen Realitäten zu entsprechen. Menschen mit Down-Syndrom gestalten mit ihren Kompetenzen also beim MAPs-Konzept ihre Lebensplanung selbst mit. Sie übernehmen eine aktive Rolle, bringen ihre eigene Verantwortung ein und artikulieren ihre Ziele, ob es um Freizeit, um Wohnen oder um partnerschaftliche Beziehungen geht. Wünschenswert ist, dass sie dann als Erwachsene so weit wie möglich ein Leben führen können, das nur bedingt einer Unterstützung von außen bedarf. MAPs sind, so meine ich, hervorragende Zugangswege, um jedem einzelnen Menschen mit Down-Syndrom selbstgestaltete Lebensplanungen zu eröffnen. Dieses Konzept kommt, wie erst jetzt wieder Burack et. al. (1998) feststellen, den Menschen mit Down-Syndrom nahe, denn gerade im Bereich der Sozialkompetenz entwickeln sie höhere Qualifikationen. Um jedoch Missverständnissen bei diesem Programm vorzubeugen, möchte ich darauf hinweisen, dass auch bei Menschen mit Down-Syndrom eine große Bandbreite an Leistungsfähigkeiten vorliegt. So gibt es Menschen mit Down-Syndrom mit nur wenig Bedarf an Außenunterstützung, aber auch Menschen mit Down-Syndrom mit einem durchgehenden hohen Unterstützungsbedarf. Somit sind Selbstbestimmungsmöglichkeiten und Planungen über MAPs sehr unterschiedlich, je nach Individuum zu realisieren. 3. 2. Inhaltsbereich: Die mittelbar Betroffenen Um dieses Selbstbestimmungskonzept anbieten zu können, bedarf es kompetenter, verständnisvoller Bezugspersonen. Verständnisvolle Bezugspersonen, seien dies Eltern oder Professionelle, ergeben sich nicht kraft Amtes oder kraft einer Rollenzuschreibung, sondern es sind vielmehr solche Kompetenzen aufzubauen und auszudifferenzieren. Dies ist auch der Hintergrund, dass die neuen, aktuellen Ansätze innerhalb der Frühförderung sich verstärkt primär den Eltern zuwenden. Ziel ist dabei, Eltern so früh wie möglich in eine stressent- lastete Begegnung mit ihrem Kind zu führen. Nach übereinstimmenden Forschungsresultaten scheint dies erforderlich, denn die Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom ist nach wie vor ein nicht normatives, sondern ein erwartungskonträres Ereignis, und in der Regel nicht antizipierbar. Intrafamiliäre Stress-Situationen verändern die Familienhomöostase und blockieren oder begrenzen die „natürlichen“ zwischenmenschlichen Zugangswege der Eltern zum Kind mit Down-Syndrom. Eltern benötigen deshalb gesellschaftliche, professionelle, familiäremotionale und gegebenenfalls auch materielle Unterstützungen (supports), um mit ihrer neuen unerwarteten und irreversiblen Lebenssituation sich auseinander setzen zu können. Je früher es daher gelingt, Eltern zum Aufbau von Copingstrategien (Bewältigungsstrategien) zu führen, um so eher sind sie auch in der Lage, ihrem Kind die notwendigen strukturierten Entwicklungsstimuli zum Aufbau von Selbstbestimmungsmöglichkeiten zu bieten und sie auf dem Weg zur full inclusion zu begleiten. Hier haben Sie, sehr verehrte Gründungsmitglieder der Elternselbsthilfegruppe, insgesamt einen wesentlichen Beitrag für viele Eltern geleistet. In dieser Selbsthilfegruppe haben Eltern die Möglichkeit, in anderer Art zu kommunizieren als mit Professionellen. Dies dürfte mit zu einer emotionalen Stabilisierung beitragen. Nicht nur Eltern haben solche Erziehungs- und Entwicklungsperspektiven zu antizipieren, sondern auch die Erzieher, Lehrer, Job- und LebensCoaches, kurz alle jene Verantwortlichen, die Menschen mit Down-Syndrom auf dem Weg zur vollen Einbindung (full inclusion) in die Gesellschaft begleiten. Reale Lebenssituation II Fähigkeiten III outcomes I Umgebungsbedingungen (capabilities) (functioning) (environment) Verarbeitungsprozess erwünschtes, erwartetes kulturelle Determinanten Problem erkennen, soziales Verhalten zur Medien, Örtlichkeiten Beziehungen erfassen Bewältigung von Aufgaben Strukturen kombinieren 10 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 INTEGRATION Sie haben auf ihrem Erfahrungshintergrund Anregungen zu geben, Alternativen aufzuzeigen, Abwägungen zu veranlassen, damit die vom Menschen mit Down-Syndrom getroffenen Entscheidungen auch in eine positive Umsetzung einmünden können. Die Assistenten haben, wie ich die Gruppe der Professionellen unter einem Sammelbegriff zusammenfassen darf, drei spezielle Aufgaben, wie sich dies aus dem nachfolgenden Schaubild ergibt: (I): Die Assistenten brauchen konzeptionelle Kompetenzen, um langfristig den zukünftigen Bildungskorridor zu strukturieren und zu organisieren. Sie haben festzulegen, welche Leistungserwartungen und Funktionen, welche „outcomes“ aktuell und langfristig erforderlich sind, um so weit wie möglich autonom innerhalb unseres gesellschaftlichen Ganzen leben zu können. (II): Die Assistenten haben die realen Lebenssituationen, die Umgebungsbedingungen (environment) und die Handlungen, die zur aktuellen Lebensbewältigung erforderlich sind, zu analysieren, sei dies im Familien-, Wohnoder Arbeitsbereich. (III): Die Gruppe der Assistenten hat die Menschen mit Down-Syndrom differenziert zu beobachten, bezüglich kognitiver oder motorischer Kompetenzen, sozialer oder kommunikativer aufzubereiten. Aus der Interdependenz dieser drei Bereiche ergeben sich dann folgerichtig die Maßnahmen zur Gestaltung der supports – wie dies in den jüngsten Ausführungen der American Association on Mental Retardation AAMR (1992) niedergelegt ist: Environment (Umgebungsbedingungen) Capabilities (Fähigkeiten) Interaktion functioning (outcomes) Supports 3. 3 Inhaltsbereich: Die Gesellschaft Um Menschen wirklich an jenen realen Orten lernen lassen zu können, wo sie später leben, müssen zukünftig weitere positive Veränderungen der gesellschaftlichen Einstellungen erfolgen, um zu einer noch höheren Akzeptanz von Menschen mit Down-Syndrom zu kommen. Menschen mit Down-Syndrom dürfen nicht mehr länger ein ausgegrenzter Teil der Gesellschaft sein. Es darf für sie keine negative Mittelpunktstellung mehr geben, die durch Angst, Neugier, Ablehnung, Schuldzuweisung charakterisiert ist. Menschen mit Down-Syndrom brauchen vielmehr die soziale Unterstützung in der Gesellschaft. Dies ist nur möglich, wenn die Mitglieder der Gesellschaft sich noch mehr für die Probleme von Menschen in Randpositionen öffnen und das Verschiedensein als einen normalen Teil des gesellschaftlichen Ganzen ansehen. 4. Zusammenfassung Abschließend darf ich die wesentlichen Ergebnisse kurz zusammenfassen. Ich versuchte, Ihnen drei Paradigmawechsel in der Erziehung und Bildung von Menschen mit Down-Syndrom im historischen Abriß zu skizzieren. Beim Durchschreiten von verschiedenen Stufen, vom Institutionsparadigma über das Serviceparadigma bis zum full-inclusion-Paradigma konnten zunehmend verbesserte Möglichkeiten an Ausdifferenzierung und Entwicklung von Kompetenzen bei Menschen mit Down-Syndrom aufgezeigt werden. Um diese Entwicklung fortführen zu können, sind den Menschen mit DownSyndrom Selbstbestimmungsmöglichkeiten anzubieten, beginnend nach der Geburt und im frühen Kindergartenalter über das Konzept der MAPs im Schulalter bis zum Wohnen und Leben außerhalb der Familie in eigenständigen Wohneinheiten im Erwachsenenalter. Wir, ob als Professionelle oder als Eltern, haben die uns anvertrauten Menschen auf diesem Weg zu begleiten und zu befähigen, um ihre Kompetenzen auszudifferenzieren. Hierfür haben wir uns zunächst selbst zu qualifizieren, um damit den Boden zu bereiten, unserem Gegenüber die verantwortete Offenheit zur Selbstbestimmung und Autonomie zu gewähren. Kompetenzen tragen zur Anerkennung der Menschen mit Down-Syndrom in unserer Gesellschaft bei, derer jeder Mensch, ob behindert oder nicht behindert, lebenslang bedarf. Vorhandene Kompetenzen eröffnen gleichzeitig auch Entfaltungsfreiräume, in denen der Einzelne weitgehend autonom sich einbringen und darin agieren kann. Dieses Ziel ist aus meiner Perspektive für Menschen mit Down-Syndrom zukünftig noch konsequenter auszudifferenzieren und damit als eine Entwicklungsaufgabe für die kommenden Jahre zu sehen. Literatur BEIRNE-SMITH, M. et al. (Eds): Mental Retardation. New Jersey 1998 BEVERIDGE, M.: School integration for Down’s syndrome children: Policies, problems and processes. In: Rondal, J. A. et al. (Eds): Down’s Syndrome. Psychological, Psychobiological and Socio-Educational Perspectives. London 1996, 207-218 BURACK, et al. (Eds): Handbook of Mental Retardation. Cambridge 1998 DITTMANN, W.: Vom »Mongolismus« zu Menschen mit »Down«-Syndrom. In: Klöpfer, S. (Hrsg.).Sonderpädagogik praktisch. Reutlingen 1997, 173-185 FALVEY, M. et al.: Inclusive Educational Schooling. In: Pueschel, S. M. & Sustrová, M. (Eds): Adolescents with Down Syndrome. Baltimore, London 1997, 145-160 HOMBURGER, A.: Vorlesungen über die Psychopathologie des Kindesalters. 9. Vorlesung. Berlin 1926 MOOR, P.: Heilpädagogik. Bern, Stuttgart 1969 TOLKSDORF, M.: Das Down-Syndrom. Ein Leitfaden für Eltern. Stuttgart, Jena, N.Y. 1994 WUNDERLICH, C.: Das mongoloide Kind. Stuttgart 1977 Anschrift: Prof. Dr. Werner Dittmann Universität Rostock Institut für Sonder- und Heilpädagogik August-Bebel-Straße 28 18051 Rostock Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 11 INTEGRATION Integration von Menschen mit Down-Syndrom Etta Wilken Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde am 17. Oktober 1998 in der Universität in Erlangen hielt Frau Prof. Etta Wilken folgenden Vortrag, in dem sie auf Integrationsmöglichkeiten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingeht und darauf hinweist, dass auch die betroffenen Familien nicht das Gefühl bekommen, ausgegrenzt zu sein. Z um zehnjährigen Jubiläum der Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde – und zu den Freunden gehören ja alle hier Anwesenden – möchte ich ganz herzlich gratulieren und mich für die Einladung bedanken. Wenn ich heute über Integrationsmöglichkeiten sprechen soll, beziehe ich mich dabei auf ein Ziel, das die Arbeit der Selbsthilfegruppe von Beginn an geprägt und ihre regionale Arbeit sowie ihre überregionalen Aktionen und Publikationen wesentlich bestimmt hat. Das bezieht sich auf die Unterstützung neu betroffener Familien, damit Eltern sich nicht allein gelassen fühlen, bezieht sich auf Hinweise über frühe Fördermöglichkeiten der Kinder mit Down-Syndrom, damit diese ihr individuelles Entwicklungspotential optimal entfalten können, auf Informationen über Möglichkeiten der integrativen Förderung im Kindergarten und in der Schule, zunehmend auch auf den Arbeits-, Freizeit- und Wohnbereich. Ganz wesentlich dabei ist auch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit. Kann man dem überhaupt noch etwas hinzufügen? Ist nicht mittlerweile hinreichend bekannt, wie Integration zu erfolgen hat, was dazu nötig ist, blockiert nicht allein der in fast allen Bundesländern bestehende finanzielle Vorbehalt eine weitere Entwicklung? So neu Integration auch in manchen Bundesländern ist – in Bayern hat 12 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 der Landtag erst im Mai dieses Jahres beschlossen, das Prinzip der Lernzielgleichheit aufzugeben und damit das gemeinsame Lernen unterschiedlich befähigter Kinder zu ermöglichen – liegen doch vielfältige Erfahrungen aus den Ländern vor, die seit 15 und mehr Jahren integrativen Unterricht haben. Auch die Erkenntnisse aus dem Ausland können weitere wichtige Informationen geben. Darüber hinaus ist es interessant, die Berichte von Kindern aus Integrationsklassen zur Kenntnis zu nehmen und die Erfahrungen von jungen Erwachsenen, die eine solche Schulzeit erlebt haben. Integration kann durchaus nur eine organisatorische Maßnahme sein, ohne dass der Einzelne sich integriert fühlt, andererseits kann innerhalb besonderer Gruppen Zugehörigkeit erfahren werden, was subjektiv als Integriertsein erlebt wird. Erst unter Berücksichtigung der jeweiligen individuellen Bedürfnisse kann gesagt werden, wie und unter welchen Bedingungen Integration für das einzelne Kind am günstigsten zu gestalten ist. Der zunehmend inflationäre Gebrauch des Integrationsbegriffs macht eine differenzierte Beschreibung nötig, was jeweils darunter verstanden wird. Inclusion statt Integration In der neueren Diskussion spricht man deshalb zunehmend von Teilnahme bzw. inclusion statt von Integration, um deutlich zu machen, dass es nicht um eine spezielle Maßnahme der Eingliederung zuvor ausgesonderter Menschen geht, z.B. nur um die institutionelle Förderung im Regelsystem von Kindergarten und Schule, sondern um eine prozessuale differenzierte Beschreibung, was in verschiedenem Lebensalter und unter verschiedenen Lebensbedingungen individuell Einbeziehung bzw. inclusion bedeutet. Teilnahme hat einen subjektiven Aspekt – jemand, der an einer bestimmten Aktivität teilnehmen möchte, einen sozialen Aspekt – die anderen Teilnehmer, die diese Einbeziehung ermöglichen, und einen objektiven Aspekt – das Gemeinsame, das diese Gruppe miteinander verbindet. Denn natürlich will niemand von uns immer und überall einbezogen sein. Teilnahme ist interessengeleitet und zielorientiert. Integration in dieser erweiterten Bedeutung soll deshalb bezogen werden auf eine den Lebenslauf begleitende, systemisch orientierte Hilfe, die nach dem Prinzip der Normalisierung, der Selbstbestimmung und des Empowerment für Menschen mit Down-Syndrom die individuell mögliche und sinnvolle Teilnahme an altersgemäßen Erfahrungen, sozialen Kontakten und normalen Lebensformen unterstützt. Das soll an einigen Bereichen aufgezeigt werden. Gefühl von Ausgegrenztsein, schon direkt nach der Geburt Nach der Geburt eines Kindes mit DownSyndrom empfinden viele Eltern schmerzlich, dass sie ausgeschlossen sind von der normalen Freude, Eltern eines Kindes geworden zu sein. Glückwünsche werden meistens vorenthalten und können oft auch schwer akzeptiert werden. In dem Film „So wie du bist“, der von der Selbsthilfegruppe erstellt worden ist, beschreibt eine Mutter das Ausgegrenztsein auf der Entbindungsstation als eine traumatische Erfahrung. Sie sagt: „Alle haben ihre Kinder (ins Wöchnerinnenzimmer) gebracht bekommen – nur ich nicht, ich stand allein da.“ In ähnlicher Weise wird von vielen Eltern beschrieben, dass die erste Phase nach der Geburt ihres Kindes mit DS geprägt war vom Gefühl der Trauer, der Ohnmacht und der Isolierung. Angemessene Erstinformation durch entsprechende Fortbildung der Fachleute, durch angebotene Beratung von gleich betroffenen Eltern oder über schriftliche Informationen bedeuten ge- INTEGRATION rade in dieser schwierigen ersten Zeit für die Eltern wichtige Hilfen zu ihrer eigenen Integration. (In der letzten Woche bewerteten in einem Seminar für Eltern, die in den vergangenen beiden Jahren ein Baby mit Down-Syndrom bekommen haben, von den 31 Eltern 20 die ihnen gegebene Erstinformation als positiv. Das ist gegenüber der Situation noch vor einigen Jahren ein erfreulicher Fortschritt.) Eltern sind auf die ihnen plötzlich durch die Geburt eines Kindes mit DownSyndrom zufallende Aufgabe nicht vorbereitet. Vielfältige Fragen und Sorgen beschäftigen sie und erst allmählich gelingt eine Neuorientierung, die dann vielleicht auch ermöglicht, das Leben mit dem behinderten Kind nicht nur als eine besondere Aufgabe zu sehen, sondern durchaus auch als eine Bereicherung. Damit eine solche Neubewertung und Neuorientierung möglich wird, ist es wichtig, die Familie zu unterstützen. Hilfen für Familien Jede Familie ist anders und muss für sich einen Weg finden, wie sie die nötigen Veränderungen in ihren Lebensalltag einbezieht, und sie braucht Hilfen, wie sie unter den erschwerten Bedingungen das Zusammenleben gestalten kann. Im sozialen Umfeld müssen deshalb Maßnahmen ergriffen werden, die dazu führen, dass Familien mit einem behinderten Kind sich nicht ausgegrenzt, sondern einbezogen erleben. Eltern, die sich ausgeschlossen fühlen von normalen familiären Aktivitäten, die durch die besonderen Aufgaben bei fehlender Unterstützung oft tatsächlich nicht an normalen Lebens- und Freizeitgestaltungen teilnehmen können, wird es schwer fallen, ihr Kind zu integrieren und altersentsprechende Angebote für Babys und Kleinkinder wahrzunehmen. Integration beginnt deshalb mit der Einbeziehung der Familien in die normalen Alltags- und Festtagsaktivitäten in der Verwandtschaft, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft und in der Gemeinde. Integration im Frühbereich bezieht sich aber auch auf den Umgang mit dem Kind in der Familie. Wenn Eltern akzeptieren, dass ihr Kind seine besondere Entwicklung nimmt, können sie seine individuellen Möglichkeiten viel besser erkennen und unterstützen. Frühförderung und frühe Therapien werden Prof. Dr. Etta Wilken dadurch frei von Leistungsdruck sowohl für das Kind wie für die Eltern. Das Ziel von Hilfen ist dann nicht mehr eine Anpassung an normale Entwicklung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und Maßnahmen, sondern die Gestaltung von kind- und familiengemäßen Bedingungen für eine optimale Förderung. Alltagsintegrierte Hilfen ermöglichen dem Kind, den Bedeutungsbezug seines Handelns und die eigenen Kompetenzen zu erfahren und zu erweitern. Die Effektivität von Frühfördermaßnahmen beruht – wie wir heute wissen – ganz wesentlich darauf, inwieweit sie helfen, zur Normalisierung der kindlichen Lebenssituation beizutragen und normorientierte Therapiedominanz zu vermeiden. Damit wird auch deutlich, dass eine Integration des kleinen Kindes sich sowohl auf die Eltern bezieht, die sich aufgenommen fühlen mit ihrer besonderen Aufgabe, als auch auf das Kind, das sich angenommen erlebt und das Therapie alltagsintegriert erfährt und nicht als isolierende Maßnahme. Being different and joining in – Integration von Vorschulkindern Die meisten Kinder gehen etwa im Alter von drei bis vier Jahren in einen Kindergarten. Auch für Kinder mit Down-Syndrom wird in diesem Alter die Erfahrung wichtig, mit anderen zusammen zu spielen und sich als Mitglied einer Gruppe zu erleben. Allerdings wird in diesem Alter auch zunehmend deutlich, wie unterschiedlich sich Kinder mit Down-Syndrom entwickeln und entsprechend haben sie einen unterschiedlichen individuellen Förderbedarf. Es ist darum für das einzelne Kind zu überlegen, welche institutionellen und personellen Bedingungen nötig sind, damit es wirklich Mitglied in seiner Gruppe ist und sich integriert fühlt. Deshalb ist zu beschreiben, was für das jeweilige Kind die am wenigsten einschränkende Umgebung (LRE: Least Restrictive Environment) bedeutet. Es sollte dagegen nicht Ziel sein, alle Kinder mit Down-Syndrom einfach in bestehende Regelkindergärten zu integrieren und einseitige Anpassungsleistungen allein vom Kind zu erwarten. Auch wenn im Einzelfall eine solche Eingliederung sinnvoll und erfolgreich sein kann, ist langfristig doch zu bedenken, welche Veränderungen zur Einbeziehung von Kindern mit Behinderung im Kindergarten nötig sind, um stärker beeinträchtigte Kinder mit Down-Syndrom nicht von vornherein vom gemeinsamen Spielen und Lernen auszuschließen, weil sie diese erwarteten Anpassungsleistungen nicht erbringen können. Andererseits dürfen sich die geforderten besonderen Bedingungen nicht zu eng an optimalen Standards orientieren, die so hoch angesetzt sind, dass dann aus finanziellen Gründen eine gewünschte Integration nicht möglich wird. Auch sollten wir, trotz bestehender spezieller Förderbedürfnisse, nicht vor allem die Beein- Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 13 INTEGRATION Integration im Kindergarten trächtigungen betonen, sondern eher auf die Gemeinsamkeiten von behinderten und nicht behinderten Kindern sehen, auf Interessen und Bedürfnisse, die für das Kindergartenalter typisch sind. Gerade das Kind mit Down-Syndrom erfährt durch die verschiedenen Aktivitäten in der Gruppe, durch das gemeinsame Spielen und Lernen vielfältige Anregungen. Das Vorbild der anderen Kinder kann im sozialen Bereich und in der Selbständigkeit die Kompetenzen des Kindes erweitern und auch das Bewegungsverhalten der anderen Kinder motiviert zum Nachmachen und Mitmachen. Besonders für die sprachliche Entwicklung wirken sich viele typische Kindergartenspiele und die normale Kommunikation mit den anderen Kindern günstig aus. Allerdings werden dabei auch immer wieder die Unterschiede deutlich. „Being different and joining in“ bedeutet auch, Verschiedenheit zu akzeptieren und nicht zu verdrängen. Das verlangt Offenheit gegenüber Fragen und Anmerkungen der Kinder, wenn sie sich mit Behinderung auseinander setzen. Es ist deshalb sinnvoll, sich zu überlegen, wie man auf einige typische Fragen antworten will. Dazu gehört auch die Überlegung, ob wir Kindergartenkindern schon den Begriff Down-Syndrom vermitteln wollen. Ich denke schon, denn damit können 14 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 wir ihnen besser als mit ungenauen Bezeichnungen bestimmte Auffälligkeiten erklären. So wollten z.B. in einem Kindergarten die anderen Kinder wissen, warum Jonas so eine große Zunge hat. Gefragt wurde auch, warum Meike so schlecht spricht. In einem Kindergarten wurde festgestellt, dass Christine ein bisschen so aussieht wie ein chinesisches Mädchen in der Gruppe. Auch einige Kinder mit Down-Syndrom beginnen in diesem Alter, sich mit ihrem Aussehen zu beschäftigen. So zeigte ein Junge auf das Poster „Down-Syndrom hat viele Gesichter“ und tippte auf alle blonden Kinder ohne Brille und sagte: „Martin, Martin, noch mehr Martin.“ Sollte man ihm dann nicht sagen: „Ja, toll, dass du das siehst! Das sind alles Kinder mit Down-Syndrom, genau wie du!“ Integration im Vorschulalter ist nicht auf die institutionelle Förderung zu beschränken, sondern hat das Ziel, Kindern mit Down-Syndrom altersgemäße Erfahrungen zu ermöglichen in der Familie, in der Nachbarschaft, bei zufälligen Begegnungen in Geschäften, im Bus, auf dem Spielplatz und unter Berücksichtigung der individuellen besonderen Bedürfnisse im Kindergarten. Dazu gehört auch auf der Grundlage einer liebevollen Akzeptanz ihrer Persönlichkeit angemessene Unterstützung bei beginnender Auseinandersetzung mit einzelnen Merkmalen des Down-Syndroms. Integration ist mehr als Anpassung, mehr als „just fitting in“ Für die schulische Integration behinderter Schüler wird zunehmend die Bedeutung einer kindorientierten Erziehung und Bildung im Gegensatz zu einer systemorientierten Klassifizierung bei bestehendem sonderpädagogischem Förderbedarf betont. Im Helios-II-Bericht der Europäischen Gemeinschaft wird gefordert, dass Integration in der Schule mehr sein muss als Anpassung, nicht nur „just fitting in“, und dass es nötig ist, die individuellen Unterschiede zu respektieren und so nicht nur eine soziale Akzeptanz zu ermöglichen, sondern die maximale Entwicklung des individuellen Potentials. Dafür wird eine flexible Annäherung von spezieller Pädagogik, kooperativen und unterstützenden Maßnahmen bis zu voller Eingliederung (inclusion) für wichtig erachtet. In der Salamanca-Resolution der Unesco (1994) wurde von 92 Repräsentanten nationaler Regierungen u.a. festgestellt, „– dass jedes Kind einzigartige Merkmale, Interessen, Fähigkeiten und Lernbedürfnisse hat, – dass das Erziehungssystem so gestaltet werden sollte, dass es die große Reichweite dieser Unterschiede und Bedürfnisse berücksichtigt, – dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen Zugang zu allgemeinen Schulen haben müssen, die im Rahmen einer INTEGRATION kindzentrierten Pädagogik diese besonderen Bedürfnisse erfüllen müssen.“ Integration als Sparmodell ist nicht der richtige Weg Integration behinderter Menschen war immer ein Ziel der Sonderpädagogik, jetzt wird aber betont, dass durch entsprechend gestaltete und erfahrene Gemeinsamkeit Integration von Anfang an gelebt werden soll. Als erforderliche Bedingungen auf diesem Weg ist eine Pädagogik in der allgemeinen Schule zu fordern, die gemeinsames und zieldifferentes Lernen ermöglicht und so die individuellen Förderbedürfnisse behinderter und nicht behinderter Kinder berücksichtigt. Wenn in Niedersachsen – wie nach einer Erklärung aus dem Kultusministerium vom Mittwoch dieser Woche (14.10.98) – die schulische Integration zügig weiter ausgebaut werden soll, ist dies eine notwendige politische Vorgabe. Damit aber Integration wirklich gelingt, sind die nötigen, vor allem personellen Bedingungen zu schaffen (d.h. nicht unbedingt die optimalen, aber Integration als Sparmodell gefährdet die erforderlichen sonderpädagogischen Hilfen und kann dann sogar „beweisen“, wie problematisch Integrationsmaßnahmen sind). Zudem sollten Pädagogen in den Regelschulen un- terstützt werden, um die erforderlichen Veränderungen der pädagogischen Arbeit auch leisten zu können. Kinder mit Down-Syndrom im Schulalter zeigen eine große heterogene Lernund Leistungsfähigkeit, die eine individuelle und nicht primär syndromspezifische Entscheidung über die geeignete Schulform nötig macht. Auch mögliche zusätzliche Beeinträchtigungen wie Schwerhörigkeit oder bestimmte gesundheitliche oder orthopädische Probleme und der sich daraus ergebende spezielle Förderbedarf sind dabei zu berücksichtigen und können eine Aufnahme in eine entsprechende Sonderschule begründen. Für manche Kinder mit Down-Syndrom kann bei entsprechend günstiger Gesamtentwicklung die Förder- bzw. Lernbehindertenschule eine durchaus geeignete Schulform sein. Selbst bei spezifischer zusätzlicher Förderbedürftigkeit und abweichender Lernfähigkeit können für ein Kind mit Down-Syndrom auch an diesen Schulen durchaus geeignete Bedingungen geschaffen werden. So besucht ein Mädchen mit Down-Syndrom jetzt die 2. Klasse einer Schule für Lernhilfe mit insgesamt acht Schülern. Das Mädchen erhält im gemeinsamen Unterricht fünf Stunden spezielle Unterstützung durch eine Heilpädagogin. Unter diesen Be- dingungen kann sie ihren Fähigkeiten entsprechend in dieser für sie am wenigsten einschränkenden Umgebung gemeinsam mit anderen Kindern lernen. Als eine wichtige Voraussetzung für eine integrative Förderung werden im Helios-Bericht die Beschreibung der individuellen Förderbedürfnisse und die erforderlichen besonderen Bedingungen angesehen. Aus dem individuellen Entwicklungsplan (I.E.P.) wird dann der individuelle Erziehungsweg (I.E.R. Individualized Educational Route) abgeleitet. Diese an den individuellen Fähigkeiten orientierte Förderung ist aber nicht an Integrationsklassen oder an eine andere bestimmte Schulform gebunden. Viele Kinder mit Down-Syndrom besuchen eine Sonderschule für geistig Behinderte. Eltern können auch diese Schule für ihr Kind akzeptieren, wenn dort alle Kinder differenzierte Lernangebote erhalten, die sich an ihren individuellen Fähigkeiten orientieren und in einem entsprechenden individualisierten Curriculum deutlich werden – und wenn nicht eine vorwiegende Ausrichtung an sog. lebenspraktischen Tätigkeiten erfolgt. Kinder mit Down-Syndrom können dann auch in Sonderschulen sich optimal entfalten, wirkliche Freundschaft erleben und sich in ihrer Gruppe integriert fühlen. Integration in der Schule Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 15 INTEGRATION Folgenden Brief schrieb eine Mitschülerin einem erkrankten Mädchen mit Down-Syndrom: Liebe Martina, jeden Tag warte ich, bist du im Bus? Schade, wieder nicht. Noch immer krank. Komm bloß bald wieder. Alle vermissen dich. Du fehlst mir. Gute Gesundheit. Deine Leonie Wenn schon keine Integration, wenigstens Kooperation anstreben In der pädagogischen Arbeit ist gerade für Schulen zur individuellen Lebensbewältigung wichtig, durch Partnerschaften mit Regelschulen, durch gemeinsame Projekte und durch Kooperation gemeinsames Lernen und gemeinsame Erfahrungen von behinderten und nicht behinderten Kindern zu unterstützen und weiter zu entwickeln. Vielfältige interessante Projekte machen Mut, auch diesen Weg zu mehr Integration mitzubedenken. Neben diesen verschiedenen gestuften Angeboten zur Förderung von Gemeinsamkeit zwischen Schülern verschiedener Schulformen kommt besonders dem integrativen Unterricht Bedeutung zu. Erforderlich ist dafür nicht nur ein spezielles pädagogisches Konzept, sondern es sind auch die personellen und sachlichen Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Integration ohne hinreichende Ausstattung birgt die Gefahr, dass Kinder mit Down-Syndrom zwar aufgenommen werden, aber nicht die nötigen individuellen Hilfen erhalten, um zieldifferent, aber auch gemeinsam mit den anderen Kindern lernen zu können und sich integriert zu fühlen. (Wenn einer Integrationsklasse nur zwei Stunden sonderpädagogischer Förderung für einen Jungen mit Down-Syndrom zur Verfügung gestellt werden, ist das eindeutig zu wenig!) Gemeinsamkeit und individuelle Verschiedenheit Grundlage der pädagogischen Arbeit in Integrationsklassen ist aber nicht die Betonung der nötigen abweichenden Lernbedingungen, sondern die Gestaltung gemeinsamer Lernsituationen für alle Kinder. Ausgehend von einer allgemeinen basalen Pädagogik, die ein kindgemäßes Lernen in heterogenen Gruppen ermöglicht, können auch die individuell nötigen Hilfen für die behinderten 16 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Integration in der Freizeit Kinder einbezogen werden. Durch eine entsprechende Strukturierung der individuellen und allgemeinen Lerninhalte und Lernziele kann auf die aktuellen Interessen der Schüler sowie auf ihre jeweiligen Lernstände und Leistungsmöglichkeiten eingegangen werden. Die für Kinder mit Down-Syndrom wichtigen besonderen Lernziele im kognitiven, sozialen und sprachlichen Bereich sind so im gemeinsamen Lernen projektintegriert zu realisieren. Das Ziel dieser Pädagogik ist jedoch nicht eine oberflächliche Anpassung der behinderten Schüler an unreflektierte Standards der Regelpädagogik. Vielmehr sollen Schüler trotz unterschiedlicher Lernfähigkeiten ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend gemeinsam lernen. Dabei sollen die Leistungen des einzelnen Schülers in ihrer subjektiven Bedeutsamkeit und nicht klassennormbezogen gesehen und gewertet werden. Das ermöglicht Kindern mit Down-Syndrom, auch bei abweichender Leistung sich als gleichwertig zu erleben. So freut sich Jelena in der letzten Ausgabe der Zeitschrift Leben mit DownSyndrom über ihre Klasse und schreibt: „Die Kinder haben erzählt, dass es schön ist, mit mir zu leben. Ich hab mich sehr gefreut, als ich das zu hören bekam. Ich war ein bisschen gerührt, weil alle so nette Sachen über mich gesagt haben. Danach habe ich erklärt, was DownSyndrom ist.“ Dagegen empört sich der 14-jährige Tobias: „Immer mach ich was anderes, im Rechnen, im Schreiben, im Lesen. Englisch mach ich auch nicht mehr mit. Sport macht auch keinen Spaß mehr. Mir stinkt das. Mir stinkt das DownSyndrom.“ Integrativer Unterricht bedeutet eine pädagogisch konsequente Akzeptanz sowohl von individueller Verschiedenheit als auch von kindgemäßen Gemeinsamkeiten. Der so gestaltete gemeinsame Unterricht kann sich dann sehr positiv für die Entwicklung von Kindern mit Down-Syndrom auswirken. Die natürlichen Kommunikationssituationen in gemeinsamen Handlungen, im Gesprächskreis, in den Projekten und das gute sprachliche Vorbild bieten den Kindern vielfältige Anregungen. Auch werden ihnen in diesem Unterricht vielfältige Themen angeboten, z.B. aus Politik, Geschichte, Religion, Biologie, die ihnen in der Sonderschule oft nicht zugetraut werden, überhaupt zu verstehen. INTEGRATION Enorme Streubreite in der Leistungsfähigkeit Gerade in Integrationsklassen wird aber auch die große Heterogenität in der Lern- und Leistungsfähigkeit von Kindern mit Down-Syndrom sehr deutlich. Eine erste Auswertung unserer Erhebung zu aktuellen Leistungen von Kindern mit Down-Syndrom im Schulalter ergibt, dass die Entwicklung sich insgesamt günstiger darstellt als vor 20 Jahren und dass bei einigen Kindern früher nicht für möglich erachtete Fähigkeiten festgestellt werden konnten. Aber auch die Streubreite innerhalb der Gruppe hat zugenommen. Einige Kinder mit Down-Syndrom weisen erhebliche zusätzliche Beeinträchtigungen auf und sind dadurch in ihrer Entwicklung sehr eingeschränkt, andere dagegen sind gesund und können ihre Fähigkeiten optimal entfalten. Es zeigte sich auch, dass herausragende Leistungen nicht so sehr von der Schulform, sondern von adäquaten pädagogischen Angeboten abhängig waren. Trotzdem wurden beeindruckende Einzelleistungen häufiger bei integrativer Beschulung beschrieben. Offenbar entsprechen die differenzierte Förderung und das anregungsreiche Lernklima in Integrationsklassen besonders gut den intra- und interindividuellen Leistungsunterschieden von Kindern mit Down-Syndrom. Integration in der Freizeit Integration darf aber nicht verengt werden auf den schulischen Bereich. Gerade in der Freizeit, in Jugend- und Sportgruppen sind Möglichkeiten für gemeinsame Erfahrungen zu ermöglichen. Vor einer Woche erlebte ich in der Schwimmhalle eine Gruppe sechs- bis neunjähriger Kinder, die, nachdem sie ihr Seepferdchen gemacht hatten, nun einen Aufbaukurs besuchten. Darunter war auch ein ca. achtjähriger Junge mit Down-Syndrom. Alle Kinder sollten zuerst zwei Bahnen schwimmen. Als dann die ersten Schwimmer dem Jungen bereits entgegenkamen, kehrte er um und kam so im Mittelfeld im Ziel an. Ein Kind protestierte, aber ein anderes antwortete darauf: „Der darf das. Der ist behindert. Being different and joining in – auch das kann Integration sein. den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Lebensformen zu ermöglichen, die ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten entsprechen. Welche Arbeit geeignet ist und welche Veränderungen und personellen und sächlichen Unterstützungen erforderlich sind, welche Wohnform für den Einzelnen richtig ist, wie die Freizeitgestaltung gefördert werden kann, ist individuell und nicht mehr primär syndromspezifisch zu beantworten. Aber all das sind wichtige Fragen, die geklärt werden müssen, um den Einzelnen zu befähigen, ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen zu können. Integration ist dann nicht eine bestimmte Maßnahme, sondern bedeutet Teilhabe an altersgemäßen Aktivitäten und Lebensformen. Wenn eine junge Frau mit Down-Syndrom in einem Brief berichtet, dass sie jetzt jeden Tag früh zu ihrer Arbeit in einer Großküche fährt, erzählt, wie sie mit ihrem Freund sich trifft, ihre Freizeit mit ihm verbringt, manchmal mit ihm zum Tanzen in die Werkstatt fährt oder auch ins Theater geht, dann ist das eine Lebensgestaltung, die ihren Fähigkeiten und Interessen entspricht. Das ist für mich dann Integration, Teilhabe an altersgemäßen Lebensformen. Wenn Akzeptanz gespürt wird und eigene Kompetenzen erlebt werden, können Erwachsene mit Down-Syndrom sich integriert fühlen und Mitglied in der Gemeinschaft sein. Dazu kann dann auch gehören, zu einem Vortrag zu gehen und sich Gedanken über das Gehörte zu machen. Dies ist dazu ein schönes Beispiel: Eine schöne Geschichte über China und Buddha Mutti und ich waren in der alten Försterei gewesen und haben beide gemeinsam interessant zugehört. Und der schöne Saal in der alten Försterei war auch sehr voll und es ging bis halb zwölf Uhr. Und der Buddha regierte das ganze Land und wurde von der Bevölkerung angebetet und man kann es auch glauben oder nicht. Und die Bevölkerung sieht bei ihren schönen Gesichtern und ihren Schlitzaugen sehr schön gelb wie die schöne Sonne oder wie der Mond und die Sterne aus. Ich sehe zwar auch nicht gerade gelb aus und dafür habe ich die schönen Schlitzaugen und ich bin aber kein Buddha. Buddhismus ist die Lehre und er war auch ein Pfarrer und er predigte auch seinen Leuten seine Moral. Und er ruhte in sich und so ähnlich wie ich und das ist auch gut. Eine Geschichte von Hermine Fraas, einer 42-jährigen Frau mit Down-Syndrom. Wir sind in den letzten Jahren auf diesem Weg ein großes Stück voran gekommen. Die Erlanger Selbsthilfegruppe hat dazu wesentlich beigetragen. Für den weiteren Weg zu noch mehr Integration wünsche ich viel Kraft, Durchsetzungsvermögen und Glück bei der Realisierung neuer Ideen und Projekte. Etta Wilken ist Professorin für Sonderpädagogik an der Universität Hannover Integration am Arbeitsplatz Leben wie ein Erwachsener Mit zunehmendem Alter wird es nötig, Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 17 INTEGRATION „Stell dich in die Mitte” Roland Weiß Seit 1996 ist der 3. Dezember der „Internationale Tag der Behinderten“. Es ist ein Versuch, in einer Gesellschaft, die sich vor allem im Arbeitsleben und in der Werbung am schönen, gesunden, leistungsstarken Körper und Geist orientiert, das Augenmerk auf jene Menschen zu richten, die gerade durch diese gesellschaftliche Fixierung bedroht sind, in Vergessenheit zu geraten. Es ist auch eine Warnung, einem falschen gesellschaftlichen Ideal zu huldigen. Selbstverständlich bietet dieser Tag auch die Möglichkeit, allen zu danken, die Menschen mit Behinderungen in kirchlichen und öffentlichen Einrichtungen begleiten oder ihnen im privaten Leben menschenwürdig und respektvoll begegnen. Dieser Tag muss vor allem Ansporn sein, die vielfach schon begonnenen Integrations- und Kooperationsbemühungen von Menschen mit und ohne Behinderungen tatkräftig fortzuführen. Roland Weiß unterrichtet katholische Religion an einer Schule zur individuellen Lernförderung in München und an einer Förderschule für sehbehinderte Schülerinnen und Schüler in Unterschleißheim. Darüber hinaus arbeitet er als Honorarkraft im Referat Sonderpädagogik des Deutschen Katecheten-Vereins e.V. München. 18 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 S tell dich in die Mitte! So lautet die Aufforderung Jesu in der Synagoge von Kapharnaum. Möglicherweise von der Mehrheit der Synagogenbesucher unbemerkt, sitzt ein Mann in der Menge. Er kommt der Aufforderung nach und erhebt sich. Alle, die ihn noch nicht wahrgenommen haben, sehen ihn jetzt. Er tritt heraus und steht jetzt in der Mitte, wird der Mittelpunkt des gottesdienstlichen Geschehens, der ursprünglich die Heilige Schrift ist. „Strecke deine Hand aus!“ Spätestens jetzt erfassen alle die Situation des Mannes. Er hat eine kranke Hand. Ungeachtet des Sabbatgebotes heilt Jesus diesen Mann am Sabbat, in der Synagoge, vor den Augen derer, die danach den Beschluss fassen, ihn zu töten. Die Fragen nach Apophthegmata (Wundergeschichte als Aufhänger für Jesusaussagen) oder eigentlicher Wundergeschichte, nach Durchbrechung von Naturgesetzen oder Nachweis für die angebrochene Heilszeit, diese und andere theologische Fragestellungen sollen an dieser Stelle außer Acht gelassen werden. Das Bild allein wirkt: „Stell dich in die Mitte!“ Mit dieser Mitte ist mehr gemeint als nur eine Ortsbezeichnung! Jesus stellt den Mann in seine Mitte, und damit nicht nur in die Mitte des gottesdienstlichen Geschehens, sondern in die Mitte Gottes selbst. Mit dieser Geste wird das Uranliegen Jesu, ja das Uranliegen Gottes aufgedeckt. Es ist eine zeichenhafte Verdeutlichung dessen, was Jesus in der vorausgegangenen Szene gesagt hat, dass der Sabbat für den Menschen da sei, und nicht umgekehrt! Wer ist dieser Mensch, der da aufgefordert wird? Er hat eine „gelähmte“, in anderen Übersetzungen heißt es eine „verdorrte“ Hand. Es ist ein Mensch, der eine Hand nicht benutzen kann und mit dieser Behinderung leben muss. Es ist ein Mensch mit einer Behinderung. Inspirieren statt fixieren Es gibt zahlreiche Bilder, in denen Jesus den „Riss im Dasein von Menschen“ (Fischer) wahrnimmt und Konsequenzen für sein und unser Handeln daraus zieht. Kann uns dieses Bild in unserem Umgang mit den Menschen mit Behinderungen inspirieren? Dieses Bild kann ein provokativer Anstoß, ein treibender und schmerzender Stachel für unser INTEGRATION gemeinde- und religionspädagogisches sowie pastoraltheologisches Handeln sein, weil wir häufig darauf fixiert sind, die angesprochene Minderheit möglichst frühzeitig in Sonderbereiche einzuteilen und ihnen eigene Lebens- und Arbeitsfelder zu schaffen, in denen wir sie aufgehoben wissen, sie aber gleichzeitig damit unserem Alltagsbewusstsein entziehen, weil wir selbst im Umgang mit diesen Menschen oftmals unsicher sind und als Noch-nicht-Behinderte durch sie mit der Möglichkeit eigener Behinderung konfrontiert werden. Sehen statt übersehen Im Alltagsbewusstsein sind Menschen mit Behinderungen so gut wie nicht vorhanden – vielfach auch nicht im Bereich unserer Pfarrgemeinden. In manchen Fällen gerade dort am wenigsten. Die Erstkommunion in der Pfarrei ist nur für Kinder, die nicht aus dem gewohnten und üblichen Rahmen fallen. Die Firmung wird in der Pfarrei nur den Jugendlichen gespendet, die auf die Haupt-, die Realschule oder das Gymnasium gehen. Schülerinnen und Schüler, die „individuelle Lernförderung“ erhalten, werden häufig nicht für die Firmung erfasst, da sie auf eine Förderbzw. Sonderschule gehen, die meist nicht im Bereich der eigenen Pfarrgemeinde liegt. Schülerinnen und Schüler, die auf eine Förderschule für „individuelle Lebensgestaltung“ gehen, die sog. geistig behinderten Jugendlichen, werden ebenfalls eigens gefirmt. Begründet wird dies mit einem gesonderten und auf diese Menschen hin orientierten Eingehen. Das ist sicherlich gut gemeint, hat aber auch einen Haken. Die Menschen werden aus unserem Alltagsgeschehen herausgehoben und somit auch aus unserem Alltagsbewusstsein. Ist es zumutbar, bei der Erstkommunionfeier in der Gemeinde beispielsweise einem Kind die heilige Eucharistie in Breiform mit einem Löffel zu reichen? Wir mögen zustimmen oder ablehnen. Wir mögen mit der Unzumutbarkeit für die anderen Erstkommunionkinder oder für die Gemeinde oder mit der Unzumutbarkeit dem betroffenen Kind und seinen Eltern gegenüber argumentieren oder mit dem Argument des Zurschaustellens von Leid eine solche Kommunionspendung innerhalb des Gemeindegottesdienstes ablehnen. Wie verhält es sich aber dann mit der in der Taufe begonnenen Eingliederung in die kirchliche Gemeinschaft? Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen sieht man in der eigenen Pfarrei nicht. Und weil man sie nicht sieht, existieren sie nicht. Trugschluss! Man sieht sie nicht, weil man ihnen eigene Lebens-, Lern-, Arbeits- und Wohnbereiche und häufig auch Glaubens-, Bet- und Sakramentenbereiche geschaffen hat. Sie tauchen in den Behindertenheimen oder -werkstätten auf, aber kaum in unserem Gottesdienst und Gemeindeleben. Sie leben am Rande der Pfarrei und werden dort speziell versorgt. Kommunikation statt Isolation Wenn diesen Menschen, die in speziellen Einrichtungen leben, „kein Zugang zu Gottesdiensten und Festen einer Gemeinde ermöglicht wird“, so der Beschluss „Schwerpunkte kirchlicher Verantwortung im Bildungsbereich“ der Würzburger Synode, „unterbleiben wichtige Kontakte, durch die Isolation möglichst natürlich überwunden werden könnte“. (Bildungsbereich 3.) Die Gefahr der Isolation von Menschen mit Behinderungen ist immer gegeben, und ihr müssen wir entgegentreten. Wer ihnen einen Zugang ermöglichen will, darf sich heute nicht mehr in passiven Äußerungen („Wir sind offen“, „Behinderte können jederzeit zu uns kommen“, „Behinderte haben die Möglichkeit bei uns ...“) erschöpfen. Wir müssen aktiv auf sie zugehen, sie ansprechen und auffordern: „Komm!“, „Komm zu uns!“, „Komm in unsere Mitte!“ In unseren Pfarrgemeinden gibt es unzählige Sachausschüsse, die sich bestimmten Bereichen widmen: Jugend, Erwachsenenbildung, Liturgie, Kranke, Neuzugezogene, etc. Wie steht es mit einem Sachausschuss für Menschen mit Behinderungen? Gerade hier könnten Menschen dazu beitragen, das „gut gemeinte fürsorgliche Oben aufzugeben und in ein Miteinander einzutreten“ (Kriechbaum), die Isolation von Menschen mit Behinderungen vielleicht nicht gerade aufzuheben, aber doch zumindest zu überbrücken, diese Menschen nicht als „Objekte kirchlicher Mildtätigkeit“ zu sehen, sondern als „Glieder einer Gemeinde mit Platz und Funktion im Gottesdienst und in den Aktivitäten einer Gemeinde“. (Bildungsbereich 3.1) Warum gibt es solche Sachausschüsse nicht bzw. so selten? Gibt es scheinbar oder tatsächlich keine Menschen mit Behinderungen in der eigenen Pfarrei? Oder sind es zu wenige, sodass sich der Einsatz nicht lohnt? Gerade in der momentanen Wirtschaftslage scheint auch die Kirche in der Gefahr zu stehen, ihre schwächsten Glieder zu übersehen. Bleibt zu hoffen, dass die Aussage der Würzburger Synode – trotz kritischer Finanzlage der Kirche – noch Gültigkeit besitzt, wenn damals gesagt wurde, dass schon Überlegungen, ob personelle, institutionelle und finanzielle Aufwendungen für Menschen mit Behinderungen lohnend seien, dem christlichen Verständnis vom Menschen widersprächen. (Bildungsbereich 3.) Hin und wieder sehen wir Menschen mit Behinderungen und erinnern uns. Aber in den meisten Fällen stehen sie häufig am Rande oder gar außerhalb unseres Blickfeldes, am Rande unseres Alltagsgeschehens und damit am Rande unseres Alltagsbewusstseins. Und gerade das ist das Gefährlichste. Wenn diese Menschen aus unserem Bewusstsein verschwinden, dann werden wir ihnen gegenüber taub, blind, stumm und lahm. Reflexion statt Stigmatisation Manchmal werden Versuche unternommen, Menschen mit Behinderungen in unser Bewusststein zu rücken: Woche für das Leben, Paralympics oder Internationaler Tag der Behinderten. Gut, dass es so etwas gibt – und gleichzeitig bedauernswert. Im Grunde ist es erbärmlich, dass solche Tage oder Veranstaltungen überhaupt notwendig sind. Es ist ein Armutszeugnis, dass immer noch der Blick für Menschen mit Behinderungen geschärft werden muss. Es beginnt schon bei der Formulierung: Behinderte – behinderte Menschen – Menschen mit Behinderungen! Worin liegt da der Unterschied? In den ersten beiden Fällen steht die Behinderung im Vordergrund; im letzteren ausdrücklich der Mensch! Der Mensch, der etwas weniger gut oder unter Umständen etwas gar nicht kann, was ich kann, der aber gegebenenfalls auch etwas besser kann. Sehr schnell geraten Menschen in die Aussagegewalt von anderen Menschen, die nicht sehen, was ist, sondern Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 19 INTEGRATION die sehen, was nicht ist. Aber: Menschen mit Behinderungen sind keine defizitären Mängelwesen! Und dennoch: Irgend wie wird der Unterschied, die „wahrgenommene Differenz“ (Fischer) immer herausgehoben. „Mein Sohn“, „ein Jugendlicher“, „Schülerinnen und Schüler“ – so redet man auf der einen Seite. Auf der anderen Seite heißt es: „Mein behinderter Sohn“! „Ein behinderter Jugendlicher“! „Behinderte Schülerinnen und Schüler“! Der Mensch mit Behinderung wird oft aufgrund seiner und über seine Behinderung definiert und vielfach dadurch mit einem Stigma gegenüber Menschen ohne Behinderung versehen. Niemand käme auf den Gedanken, „mein nicht behinderter Sohn“ zu sagen, ganz einfach deshalb, weil Menschen ohne Behinderung – meist völlig unreflektiert – als Norm gesehen und kurzerhand als „normale Menschen“ bezeichnet werden. Andrea, in die Mitte gestellt – Erstkommunion in der Pfarrgemeinde Toleranz statt Normierung Norm kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Richtschnur. Wofür? Die äußerliche Makellosigkeit, die uns beispielsweise tagtäglich in der Werbung und in den Schönheitsmagazinen unterschwellig als Richtschnur, als Norm vor Augen gestellt wird, tut den Versuchen, Menschen mit Behinderungen als ebenbürtige und „normale“ Menschen zu betrachten, einen enormen Abbruch. Aber nicht nur ihnen, sondern jedem Menschen, der dieser Norm und eben dieser äußerlichen Makellosigkeit nicht entspricht. Wir mögen weit entfernt sein (oder auch nicht), von einer Behinderungsart getroffen zu werden, krankheitsbedingter Haarausfall, eine Hautkrankheit oder eine entstellende Unfallnarbe im Gesicht können auch uns stigmatisieren, uns aus der Norm und der Normalität werfen und uns exponieren. Auf der einen Seite sehen wir Behinderung als „Inbegriff des Schweren und des Leides schlechthin, auf der anderen Seite kennen wir Momente der Verharmlosung, Neutralisierung und Überhöhung“ (Fischer). Bedauern oder Bewundern hilft nicht, weder denen, über die wir reden, noch uns selbst. Was letzten Endes gefragt ist, lässt sich ganz einfach formulieren: Toleranz! Menschen zuzulassen – auch gedanklich, die sich durch irgend etwas von mir 20 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 oder von einer scheinbar allgemein gültigen Norm unterscheiden. Das kann eine Behinderungsart sein, es genügt aber oft auch schon die Kleidung, die Sprache, der Haarschnitt. Normalisierung statt Abgrenzung Menschen mit Behinderung (aber auch Menschen, die anders sind als wir) als ebenbürtige und gleichwertige Menschen zu sehen, kann nur gelingen, wenn wir es schaffen, uns frei zu machen von apodiktischen, eindeutigen, unmissverständlichen, normativen Vorstellungen und dogmatischen Normierungen und einem Ego-Zentrismus, der nur die „wahrgenommene Differenz“ erkennt. Wenn man schon von Norm spricht, dann sollte man von der „Normalisierung der Menschen mit Behinderungen“ sprechen, die sich darin äußert, dass wir sie als alltägliche Gegebenheit neben unzähligen anderen alltäglichen Gegebenheiten betrachten. Es genügt nicht, sie zum Mittelpunkt sozialer und karitativer Einrichtungen und Betreuung zu machen, sondern sie in unsere Mitte zu stellen, auch in die Mitte unseres gottesdienstlichen Geschehens, und sie hereinzuholen in unser Gemeinde- leben. Sie müssen mit und unter uns leben, und „Glieder einer Gemeinde mit Platz und Funktion im Gottesdienst und in den Aktivitäten einer Gemeinde“ sein! Hilfsmittel in öffentlichen Einrichtungen und im Straßenverkehr sind notwendig und undiskutiert einzurichten, aber der schwierigste Weg wird doch der bleiben, die eigenen Normen und Normvorstellung zu hinterfragen und seine eigenen Grenzen zu Menschen mit Behinderungen in einem mühevollen Prozess fließend und transparent werden zu lassen, sodass Grenzüberschreitungen leichter möglich werden, denn eine Grenze wird es in den meisten Fällen immer geben. BÜCHER Das neue Buch von Wolfgang Storm: „Homöopathische Behandlung von behinderten Kindern am Beispiel des Down-Syndroms“ Barbara Oberwalleney Homöopathische Behandlung von behinderten Kindern am Beispiel des Down-Syndroms Autor: Wolfgang Storm Verlag: Sonntag Verlag ISBN 3-87758-175-7 Preis: 48,00 DM Dr. med Wolfgang Storm ist leitender Arzt in der Kinderklinik des St.-VincenzKrankenhauses in Paderborn, der eine Down-Syndrom-Ambulanz angegliedert ist (siehe auch Seite 6). Schon der Titel des neuen Buches von Wolfgang Storm macht neugierig – der Inhalt des mit schönen Fotos illustrierten Bandes überrascht, da es mehr bietet, als von einem homöopathischen Fachbuch erwartet wird. Einen beträchtlichen Teil des Buches nutzt der Autor zur allgemeinen Information über das Down-Syndrom – zu Recht! Wie schon in früheren Publikationen in der medizinischen Fachliteratur räumt er auf mit stereotypen Vorurteilen und negativer Etikettierung. Die Notwendigkeit und Form einer einfühlsamen Beratung nach der Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom wird ebenso beschrieben wie die Bedeutung des Stillens. Ernährungsberatung, Ansätze der Förderung und allgemeine medizinische Vorsorgeprogramme und Behandlungsmethoden aus der Schulmedizin folgen. Homöopathie also nur am Rande? Keineswegs! Der homöopathisch tätige Arzt sollte – und wird – immer ganzheitlich denken. Es gehört zum Wesen der klassischen Homöopathie, den ganzen Menschen mit seinen geistigen, emotionalen und körperlichen Symptomen zu behandeln. Bestimmte medizinische Diagnosen bleiben vom Autor ausdrück- lich der Schulmedizin vorbehalten. Neben Vermittlung von Basiswissen zur Homöopathie einschließlich Anamneseerhebung, Symptomen und Modalitäten werden Hierarchisierung (Wertung) der Symptome und Repertorisieren (zur Arzneimittelfindung) erklärt. Fallbeispiele aus den alltäglichen Problemen von Kindern mit Down-Syndrom (u.a. Infektionsanfälligkeit, Verstopfung, Haut- oder Verhaltensprobleme) werden dargestellt, jedoch unter ganzheitlichem Aspekt. Sie werden nicht mehr damit abgetan: „Das gehört zum DownSyndrom“ … Allerdings müssen fachunkundige Eltern davor gewarnt werden, das Buch als „Rezeptbuch“ für Alltags- oder Verhaltensprobleme nutzen zu wollen. Dieses muss dem erfahrenen Homöopathen vorbehalten bleiben. In der klassischen Homöopathie nach Hahnemann gibt es nicht ein Mittel für ein einzelnes Problem, sondern das Mittel, das auf den Gesamtzustand des Patienten passt. Homöopathische Komplexmittel, d.h. Mischpräparate in niedriger Potenzierung, wie sie auch bei Naturheilverfahren üblich sind, werden nicht dargestellt. Sie gehören nicht zur klassischen Homöopathie. Ebenso bleiben Akutmittel in Niedrigpotenz, die als Globuli oder Tropfen in manchen Hausapotheken stehen, unerwähnt. Deren Einsatzmöglichkeit im Alltag von Kindern mit und ohne DownSyndrom wurde bisher auch nicht bestritten. Storm schildert Fallbeispiele auf der Grundlage der klassischen Homöopathie, d.h. Verabfolgung von Konstitutionsmitteln in hoher oder höchster Potenzierung. Diese zielen auf das menschliche Wesen in seiner Gesamtheit und sollen seine Selbstheilungskräfte entfalten. Von namhaften Autoren der ho- möopathischen Fachliteratur wurde dies für Kinder mit Down-Syndrom meist in Frage gestellt, vielleicht wurde es wegen des Klischees vom „Fehlen der Individualität von Kindern mit Down-Syndrom“ auch nicht angedacht! Mit diesem Vorurteil aufgeräumt zu haben, ohne Wunderheilung zu versprechen, ist eine zentrale Aussage des Buches. Ein Fachbuch, das Mut macht, die Homöopathie als „komplementäre Medizin“ zur Verbesserung der Lebensqualität von Kindern mit Down-Syndrom einzusetzen. Dr. Barbara Oberwalleney Schriftenreihe zum Thema selbstbestimmtes Leben Bei bifos e.V. ist eine Schriftenreihe zum Thema selbstbestimmtes Leben erschienen, die verschiedene interessante Titel aufweist: „Bioethik contra Menschenwürde“ und „Gleichstellung behinderter Menschen mit Assistentbedarf“ sind zwei davon. Informationen bei: bifos e.V., Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter, Jordanstraße 5, 34117 Kassel Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 21 BÜCHER Unser Kind hat Down-Syndrom Ein erstes Lesebuch mit Informationen für Eltern, für ihre Angehörigen und Freunde Eine schöne neue Publikation zum Thema Down-Syndrom wurde von einigen Eltern von Kindern mit Down-Syndrom aus Berlin zusammengestellt. Dass die Texte aus den Federn von betroffenen Eltern stammen, merkt man beim Lesen sofort, die Liebe zu ihren Kindern kann man spüren. Dieses Lesebuch, bestückt mit vielen schönen Fotos und in einem frischen, modernen Design gestaltet, ist wirklich eine Bereicherung auf dem Down-Syndrom-Infomarkt, und eine schöne Ergänzung zu bestehenden Publikationen (wie Das Baby mit Down-Syndrom und Diagnose Down-Syndrom, Was nun?). Noch lange gibt es nicht genug Informationsmaterialien zum Thema DownSyndrom und die wenigen Broschüren und Hefte, die es gibt, finden oft nicht einmal den Weg zu allen Eltern. Da diese neue Broschüre von der Lebenshilfe herausgegeben wurde, ist die Möglichkeit der Verbreitung groß. Schon über die Frühförderstellen kann sie neu betroffene Eltern relativ schnell erreichen. Geschichten und Erfahrungen aus Familien, in denen ein Kind mit DownSyndrom lebt und die wir als betroffene Eltern so oder ähnlich kennen. Eine gelungene Mischung aus Tipps für den Alltag, für das Leben als Familie, aus Hinweisen auf Fördermöglichkeiten, Kontaktadressen und Literaturangaben. Bestellen kann man diese Broschüre beim: Lebenshilfe Verlag, Bundeszentrale Raiffeisenstraße 18 35043 Marburg Preis DM 9,– plus DM 3,– Porto Papiermodell: DNA Vielleicht finden Sie oder Ihre Teenagerkinder es spannend, mal eine DNADoppelhelix zusammenzubauen. Es kann ja sein, dass durch das Kind mit Down-Syndrom in der Familie das Interesse an Genetik geweckt worden ist. Außerdem vermittelt das Minibuch gute Informationen zu Chromosomen, Zellteilung usw. Reihe Spektrum der Wissenschaft Papiermodelle: DNA Preis: 16,80 DM Aus dem Klappentext: Eines der spannendsten Forschungsgebiete ist die molekulare Genetik: alles, was sich rund um das Molekül des Lebens, die DNA, tut. Fast täglich gibt es in den Medien Berichte über neue Forschungsergebnisse, die mit DNA im Zusammenhang stehen – von moder- Pressestimmen Psychologie Heute: Der Laie hat nach dem Studium des Bandes das Gefühl, ein – zumindest theoretischer – Experte zu sein. „Echten“ Experten bietet das Buch einen umfassenden Überblick über den neuesten Forschungsstand und weit darüber hinaus … – über innovative Ideen in diesem speziellen Bereich der Behindertenförderung und -pädagogik.Ein mit viel Liebe und Sachkenntnis zusammengestellter Tagungsband, der allen am Thema Interessierten wärmstens empfohlen werden kann. Zusammen: „Neue Perspektiven für Menschen mit Down-Syndrom“ Preis 40,00 DM Bestellungen: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter Hammerhöhe 3 91207 Lauf Tel. 09123 / 98 21 21 Fax 09123 / 98 21 22 22 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 nen therapeutischen Methoden, neuen Verfahren in der Umwelttechnik bis hin zu genmanipulierten Lebensmitteln und geklonten Schafen. Mit einfachen Mitteln veranschaulicht dieses Heft die Grundlagen; Papier, Schere und Kleber sind dabei die Hilfsmittel. Enthalten sind mehrere Papiermodelle zum Zusammenbauen und ein Minibuch. Hier findet man alle Hintergrundinformationen und einen verständlichen Einstieg in das Thema. Es macht Spaß, diese Modelle zu bauen, und beim Basteln lassen sich die molekulargenetischen Konzepte im wahrsten Sinne des Wortes „begreifen“. Das Buch macht Eltern Mut und stärkt ihnen den Rücken. Es hilft ihnen, die Behinderung ihres Kindes besser verstehen und akzeptieren zu lernen. Dem Buch gelingt es, die Aufbruchstimmung in der Diskussion rund um das Thema Down-Syndrom spürbar zu machen, ohne jedoch Illusionen zu erzeugen oder falsche Hoffnungen zu wecken. Den Herausgebern ist es geglückt, ein Buch zusammenzustellen, das Familien mit einem behinderten Kind durch die verschiedenen Entwicklungs- und Förderphasen unterstützend begleitet. BÜCHER Als die Steine noch Vögel waren Jedes Tier hat seine Individualität und die soll geachtet werden. Die Erzählung macht deutlich, wie verkehrt es ist, gleiche Lernziele für alle festzulegen, und zeigt, was dabei rauskommt, wenn man dies trotzdem versucht, nämlich bescheidene Mittelmäßigkeit und viel Frust für alle! Autor: Marjaleena Lembcke Verlag: Nagel & Kimche AG, Zürich ISBN 3-312-00816-6 Preis: 22,80 DM Aus dem Inhalt V om Down-Syndrom ist keine Rede in dem Buch von Marjaleena Lembcke „Als die Steine noch Vögel waren“. Dafür erzählt es um so mehr vom kleinen Pekka, seiner finnischen Familie und den vielen Besonderheiten, denen alle Beteiligten im Zusammenhang mit dem kleinen Kerl begegnen. Die Besonderheiten beginnen damit, dass Pekka nach seiner Geburt nicht mit der Mutter nach Hause darf. Stattdessen muß er zwei lange Jahren im „Kinderschloss“ verbringen. Gemeint ist damit das Kinderkrankenhaus von Helsinki. Als er dann endlich zu Hause sein darf, zieht er es vor, auf dem Fußboden zu robben und seinen Mund fest zu verschließen, obwohl er im Kinderschloss schon laufen und ein wenig sprechen gelernt hatte. Es dauert eine ganze Weile, bis er sich an seine neue Umwelt, die Geschwister, die Mutter, den Vater und die Großmutter gewöhnt. Alle lernen bald, dass Pekka in vielerlei Hinsicht ein besonderes Kind ist. Seine Sprache, sein Verhalten, seine ganze Art und Weise rufen immer wieder Erstaunen und Schmunzeln hervor bei den Menschen, die ihn erleben. Vor allem liebt er die ganze Welt, alle und alles, was ihm begegnet. „Aber am meisten liebe ich die Vögel und die Steine, weil sie einmal Vögel waren“, wie er selbst meint. Doch wie alles auf der Welt hat auch Pekkas Besonderheit eine andere Seite, diejenige, die ihn auffallen lässt, die Menschen verunsichert, die Rätsel aufgibt. So geht er denn auch nicht lange zur Schule, sodass die Mutter sich besorgt fragt, was aus so einem Kind denn werden solle. Die Großmutter weiß darauf eine bezeichnende Antwort: „Das wird sich bestimmt noch zeigen.“ Und setzt hinzu: „Erst mal scheint er nur zu unserer Freude auf der Welt zu sein.“ Mit außerordentlicher Einfühlsamkeit versteht es Marjaleena Lembcke, das Wesen des kleinen Pekka mit seiner Besonderheit nachzuzeichnen. Sie schil- dert anschaulich die Freuden des Alltags seiner finnischen Großfamilie. Sie erzählt ebenso von den Schwierigkeiten und Problemen, die sich im Zusammenleben mit Pekka ergeben, sei es dass er viele kleine und große Unglücksfälle geradezu magisch auf sich zu ziehen scheint, bis zur geplanten Auswanderung der Familie nach Kanada, zu der es dann doch nicht kommt, was natürlich auch mit Pekka zu tun hat. Das Buch macht nachdenklich und zugleich hoffnungsfroh. Es rührt die Seele an, ohne sentimental im falsch verstandenen Sinne zu sein. Es erscheint mir ebenso besonders wie Pekka besonders ist. Als Pekka nach vielen Jahren stirbt, lässt seine Familie in seinen Grabstein das Wort „Näkemiin“ eingravieren. Das bedeutet „Auf Wiedersehen“. Es wäre zu wünschen, dass viele Menschen Pekka in den Zeilen von Marjaleena wiedersehen. Ulrich Schmidt, Wyk auf Föhr Wenn die Ziege schwimmen lernt „Es gab eine Zeit, da gingen alle Tiere in die Schule. Und alle lernten schwimmen, fliegen, rennen und klettern. Wirklich alle?“ Die Ente z.B. ist zwar anfangs super im Schwimmen, den Baumstamm hochzuklettern schafft sie aber nicht, egal wie sie sich abmüht. Der Elefant ist beim Rennen noch ganz gut, die Flugversuche bringen ihm jedoch zum Verzweifeln; keinen Zentimeter kann er sich vom Boden abheben. Der Fisch versagt beim Klettern, die Ziege beim Schwimmen, die Raupe weigert sind zu fliegen und fliegt von der Schule, die Ameise trägt zwar schwere Brocken, dies ist aber im Lehrplan nicht vorgesehen. Nach einem Jahr, alle Tiere hatten nur noch Dreien und Fünfen im Zeugnis, geben die Lehrer auf und reisen ab. Die Schüler wussten erst gar nicht, was sie tun sollten. Dann aber schwammen Ente und Fisch um die Wette, Elefant und Pferd rannten über die Wiese, die Ziege und die Raupe fraßen saftige Blätter und die Ameise (Problemschülerin, Fall für die Sonderschule) baute einen schönen, großen Ameisenhaufen. Und jeder machte seine Sache richtig gut! Ein amüsantes Bilderbuch mit einem tieferen Sinn. Besonders geeignet als Geschenk für alle diejenigen, die lernzieldifferentes Lernen ablehnen. Autor: Nele Moost, Illustrationen: Pieter Kunstreich Verlag: Wolfgang Mann Verlag ISBN 3-926740-59-0 Preis: 19,80 DM D ie Geschichte ist bekannt. Jeder, der sich mit dem Thema schulische Integration befasst, trifft über kurz oder lang auf diese tierische Integrationsgeschichte. Es geht in der Geschichte darum, klarzumachen, dass nicht alle Tiere gleich sind, dass alle Tiere unterschiedliche Fähigkeiten haben und unterschiedliche Dinge lernen müssen, damit sie im Leben bestehen können. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 23 AUSLAND Die weltweite Down-Syndrom-Bewegung Juan Perera Übersetzung: Cora Halder Prof. Juan Perera ist der Präsident des Asturia Centre an der Universität der Balearen in Palma de Mallorca. Diesen Aufsatz, in dem Perera Richtlinien für die weltweite Arbeit mit Menschen mit Down-Syndrom aufstellt, schickte er DownSyndrom-Vereinen in vielen Ländern zu, mit der Bitte, ihn zu übersetzen und in den jeweiligen Zeitschriften zu veröffentlichen. Juan Perera hat Ziele und Arbeitsweisen von vielen Organisationen verglichen und versucht, einen gemeinsamen Weg aufzuzeigen. Schlüssel zur weltweiten DownSyndrom-Bewegung Wenn wir zurückblicken auf die Geschichte der weltweiten Down-SyndromBewegung, haben wir den Eindruck, dass während der letzten zehn Jahre dieses Jahrhunderts es das Ziel war, diese unabhängige Bewegung in den ersten Ländern dieser Welt zu festigen, öffentliche Anerkennung und Unterstützung zu erlangen, die repräsentative Art dieser Bewegung herauszustellen und solidere und bessere Organisationsformen zu finden. Die Familien, die Fachleute und die Menschen mit DownSyndrom, die in diesen Vereinen und Gruppen zusammenarbeiten, versuchen Einstellungen zu ändern, Vorurteile abzubauen und die Bedürfnisse von Menschen mit Down-Syndrom effizient zu vertreten. Dies ist im Grunde das Einzige, was uns wirklich wichtig ist. Können wir von einer Philosophie unserer Bewegung sprechen? Hat die Mehrheit der Organisationen, die sich für Menschen mit Down-Syndrom einsetzen, Ideen und gute Arbeitsweisen gemeinsam? Haben wir ein deutliches Bild vor Augen, wie wir in das 21. Jahrhundert gehen werden? Um diese Fragen zu beantworten, möchte ich den Kongressteilnehmern und den Leitern der DS-Organisationen weltweit einige Vorschläge und Ideen, 24 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 die ich nach der intensiven Studie von Satzungen und Richtlinien von mehr als 40 aktiven DS-Vereinen aus der ganzen Welt zusammengestellt habe, zur Berücksichtigung vorlegen. Philosophie der weltweiten DownSyndrom-Bewegung: Basisprinzipien 1. Das Prinzip, dass die Fähigkeiten von Personen mit Down-Syndrom Vorrang haben vor ihren Einschränkungen oder ihrem Anderssein, ist eine grundlegende Voraussetzung. Die Menschenwürde von Personen mit Down-Syndrom sollte geachtet werden. 2. Als eine Folge der Erklärung für Menschenrechte, ein Dokument der Vereinten Nationen, und des „Welt Aktionsprogramms für Menschen mit einem Handicap“ wurde festgelegt, dass das Prinzip der gleichen Rechte für Menschen mit und ohne Behinderung bedeutet, dass die Bedürfnisse aller Individuen den gleichen Stellenwert haben, dass diese Bedürfnisse die Basis bilden müssen für soziales Handeln und dass alle Ressourcen so eingesetzt werden müssen, dass sie gleiche Rechte für alle sichern. 3. Unsere Organisationen vertreten die Meinung, dass Gleichberechtigung in Fragen der Gesundheit, Bildung, Arbeit, sozialen Versorgung, Kultur und Freizeit nur dann möglich ist, wenn Personen mit Down-Syndrom einen Anspruch haben auf reguläre öffentliche Dienstleistungen. Es darf auch kein qualitativer Unterschied bestehen zwischen ihrer Behandlung und der der übrigen Bevölkerung. 4. Vorsorge-, Gesundheits-, Bildungs-, Arbeits- und ähnliche Programme müssen den spezifischen Bedürfnissen von Personen mit Down-Syndrom angepasst sein. Fachleute, die auf einer individuellen Basis mit dem behinderten Menschen arbeiten, sollen ihre Hilfen jedoch in regulären Dienstleistungszentren anbieten. 5. Normalisierung und Einbeziehung (inclusion) in allen Lebensbereichen und zu jeder Zeit sind das Ziel. Nur ausnahmsweise, wenn eine Integration nicht möglich ist, wegen der besonderen Komplexität der Behinderung z.B., sollten für diesen Menschen mit DownSyndrom, in Absprache und mit Erlaubnis seiner Familie, Versorgung und Förderung in einer Sondereinrichtung stattfinden. 6. Besondere Aufmerksamkeit muss der Lebensqualität von Personen mit DownSyndrom geschenkt werden. Erstens muss man ihren Bedürfnissen und Er- AUSLAND wartungen gerecht werden, zweitens müssen sie ihre Fähigkeiten entwickeln können und drittens müssen sie alle ihre Rechte genießen können. Fast alle Down-Syndrom-Organisationen weltweit appellieren in der einen oder anderen Form an diesen Begriff „Lebensqualität“. 7. Der Kampf um die Gleichstellung ist unter dem Aspekt der Solidarität zu sehen, und unter Berücksichtigung der Verschiedenheit in einer offenen und multikulturellen Gesellschaft, die durch diese Vielfalt bereichert wird. Personen mit Down-Syndrom selbst sollen daran aktiv teilnehmen. 8. Von führenden Personen innerhalb der Down-Syndrom-Vereine wird erwartet, dass sie loyal zusammenarbeiten und sich gemeinsam mit anderen Organisationen für die Rechte der behinderten Menschen einsetzen, ohne dass daraus ein Kompetenzgerangel oder Konfrontationen entstehen, allerdings unter Beibehaltung der eigenen Identität. Diese Prinzipien, zusammengestellt aus Statuten und Satzungen vieler DownSyndrom-Organisationen aus aller Welt, könnten, wenn sie in eine logische Rei- henfolge gebracht würden, sehr wohl ein gutes, weltweit gültiges Gerüst bilden für die Down-Syndrom-Arbeit. Obwohl Prinzipien und Ideen wichtig sind, Erfahrungen und bewährte Arbeitsweisen sind es ebenso. Was diese anbelangt, ist es viel schwieriger zusammenzufassen, was in den verschiedenen Organisationen weltweit getan wird, weil dabei viele Aspekte eine Rolle spielen, u.a. der Entwicklungsstandard des jeweiligen Landes, die sozialen Gewohnheiten, Bräuche, ethische Prinzipien und Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Regierungsstellen. Bewährte Arbeitsweisen Wir können jedoch versuchen, einige allgemein gültige, gut bewährte Arbeitsweisen darzulegen. Ausgehend von dem Prinzip, dass jeder Mensch mit DownSyndrom das Recht auf individuelle und spezifische Hilfe hat, ist die Botschaft unserer Organisationen: seine Bedürfnisse zu ermitteln, sie den zuständigen öffentlichen Stellen zu vermitteln und dafür Sorge zu tragen, dass man diesen Bedürfnissen gerecht wird. Es muss also effiziente und angepasste Unterstützung von den zuständigen Behörden gefordert werden, notfalls müssen spezielle, qualitativ hochwertige Dienstleistungen neu eingerichtet werden. (Sie müssen genau so funktionieren wie wenn Firmen ihre Kunden bedienen, nach dem Motto: Der Kunde ist König!) Dienstleistungen für behinderte Menschen dürfen kein Gewinngeschäft sein. Prioritäten Es ist nicht einfach, die Prioritäten unserer Organisationen herauszuarbeiten. Trotzdem möchte ich, mit großem Respekt für das, was sonst überall gemacht wird, Ihnen eine Auflistung der Prioritäten vorstellen, die unsere Organisationen in ihren Programmen festgeschrieben haben. Wir sind uns bewusst, dass es nicht so etwas gibt wie die Methode oder das System für alle, und das, was hier gut funktioniert, woanders nicht notwendigerweise auch gelingen muss. Erstens ist es uns besonders wichtig, das Down-Syndrom hervorzuheben. Dies ist der größte Unterschied zwischen unserer Bewegung und anderen Organisationen, die sich ganz allgemein für Menschen mit einer geistigen Behinderung einsetzen. Weitere Prioritäten sind: Down-Syndrom in Mexiko Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 25 AUSLAND Schule für alle Schule muss den Bedürfnissen aller Schüler gerecht werden, ob sie nun ein Handicap haben oder nicht. Schulen müssen mit den notwendigen Finanzen und mit dem notwendigen Personal unterstützt werden. Auch die Lehrerausbildung muss verändert und den Lehrplänen angepasst werden. Integration fördern Kinder und Jugendliche im Schulalter, die in Integrationsklassen aufgenommen werden, jedoch nicht genügend Förderstunden von der Schulbehörde genehmigt bekommen, benötigen unsere spezielle Aufmerksamkeit. Arbeit Berufsausbildung muss vorbereiten auf die Arbeit und das Leben. Die Regierung muss Arbeitsstellen schaffen in einer normalen Arbeitsumgebung. Denn Arbeit bedeutet eine größere Autonomie und Anerkennung. Unterstützung der Familien Von Anfang an sollte die Familie, als erste natürliche integrative Umgebung für die Person mit Down-Syndrom, die richtigen Informationen und Unterstützung erhalten, damit sie ihre Situation akzeptieren und sich effektiv um die Erziehung kümmern kann. Down-Syndrom in Singapur Prävention Dies beinhaltet frühe Diagnose und genetische Beratung. Gute Informationen können Eltern dabei helfen, eine verantwortungsbewusste Entscheidung zu treffen und besser vorbereitet zu sein, ein Kind mit Down-Syndrom zu akzeptieren. Eintreten für gleiche Rechte Die DS-Organisationen müssen sicherstellen, dass gleiche Rechte gelten für alle Bürger, und sich gegen Gewalt an Menschen mit Down-Syndrom wehren. Ausbildung von Fachleuten Eine fundierte Ausbildung von Fachleute ist essenziell für Menschen mit DownSyndrom, damit sie fachkundige medizinische und pädagogische Unterstüt- 26 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 zung bekommen, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Gesundheitliche Probleme Eine gute Gesundheit ist die Basis für die mentale Entwicklung, für eine bessere Lebensqualität und eine höhere Lebenserwartung. Medizinische Probleme müssen diagnostiziert und möglichst schnell behandelt werden. Sorge um die schwerst behinderten Menschen Es gibt auch Menschen mit Down-Syndrom, die schwerst mehrfachbehindert sind, deren Chancen auf Besserung, auf Möglichkeit der Anpassung an ihre Umgebung und auf eine gelungene Integration in der Gesellschaft sehr gering sind und die auf Dauer für ihre Familien eine große Last darstellen können. Ihnen muss dann in speziellen Zentren geholfen werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass diese Einrichtungen trotz alledem den höchst möglichen Standard der Normalisierung zu erreichen versuchen. Frühe Hilfen Wegen der Plastizität des Gehirns ist es von grundlegender Bedeutung, dass in den ersten Lebensjahren spezielle Förderprogramme verwendet werden. Kinder, die in den Genuss dieser frühen Hilfen kamen, konnten ihre kognitiven Fähigkeiten besser entwickeln. Die Rolle der Erwachsenen und Selbstbestimmung Eine Erziehung nach den Prinzipien der Normalisierung und Integration, die darauf gerichtet ist, das Potential der Einzelnen zu entfalten, führt zu einem großen Maß an Selbständigkeit als Er- AUSLAND wachsener. Dies beinhaltet auch das Recht auf Selbstbestimmung und vereinfacht ebenfalls die Integration in einer Arbeitssituation, in einer Partnerschaft, in ein weitgehend unabhängiges Leben. Eine solche Erziehung ist die beste Voraussetzung, später auch allein zurechtzukommen. Verbraucherfreundliche Hilfen Hilfen für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Familien müssen wohnortnah sein, sodass schneller und besser auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden kann. Sensibilisierung, Image und Promotion Die Organisationen müssen sicherstellen, dass ein positives Bild von Menschen mit Down-Syndrom in der Gesellschaft verbreitet wird, unter dem Aspekt, dass Verschiedenartigheit eine Bereicherung ist für das Ganze. Down-Syndrom in Japan Unterstützung für die Forschung und die Anwendung neuer Technologien Neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf dem Gebiet der Medizin und in anderen Bereichen, die für Menschen mit DownSyndrom nützlich sind, müssen verbreitet werden, sodass die Hilfen stets dem letzten wissenschaftlichen Stand entsprechen. Vormundschaft Durch Unterstützung von Vormundschaftsstellen sollen behinderte Menschen die notwendige und korrekte Unterstützung bekommen, wenn die Familie dazu nicht mehr in der Lage ist. Freizeitangebote und Freizeitgestaltung Ein angemessenes Freizeitangebot für Menschen mit Down-Syndrom soll angestrebt werden, damit die soziale Integration und die persönliche Selbständigkeit verbessert und ihnen das Vergnügen und die Freude von Freizeitbeschäftigungen vermittelt werden. Perspektiven für die Zukunft Wenn wir wirklich Zukunftsperspektiven für Menschen mit Down-Syndrom schaffen wollen, müssen unsere Organisationen sich der verschiedenen Herausforderungen, denen wir uns gegenübergestellt sehen, bewusst sein. Was sind diese Herausforderungen? Effektivität Unsere Organisationen müssen ihre Ziele klar vor Augen haben und versuchen, diese zu erreichen. Gute Vorhaben allein sind nicht genug. Wenn es unser Ziel ist, dass wir eine bessere Lebensqualität für Menschen mit Down-Syndrom erreichen möchten, müssen wir unsere Arbeit ständig überprüfen. Wenn wir soziale und politische Bedingungen verändern wollen, müssen wir effektiv arbeiten und optimale Zusammenarbeit von der Gesellschaft einfordern. Wir müssen überprüfen, ob wir mit unserem Einsatz tatsächlich an verbesserter Lebensqualität für Menschen mit Down-Syndrom arbeiten. Wir dürfen uns nur von diesem Ziel leiten lassen. Spezialisierung Heutzutage streitet niemand mehr ab, dass Down-Syndrom etwas Eigenständiges ist. Es gibt weltweit unzählige Publikationen, die die spezifischen Aspekte von Down-Syndrom beschreiben, Aspekte, die nicht bei anderen mentalen Behinderungen auftreten (oder nicht im gleichen Maß) und die dadurch das Syndrom von anderen Beeinträchtigungen abgrenzen. Die molukuläre Struktur des Chromosoms 21 zeigt eine Reihe genetischer Besonderheiten auf, die bei Menschen mit Down-Syndrom lebenslang eine Reihe von Auffälligkeiten im Gehirn und im Nervensystem verursachen. Diese beeinflussen wiederum ihr Lernen und Verhalten. Je mehr wir über diese speziellen Aspekte wissen, desto besser werden wir in der Lage sein, therapeutische und erzieherische Maßnahmen zu treffen, die dann zielgerichtet und effektiv zur Rehabilitation eingesetzt werden können. Unabhängigkeit unserer DownSyndrom-Organisationen Die nächste Herausforderung ist eine direkte Folge der vorhergehenden, und zwar die Unabhängigkeit unserer DownSyndrom-Organisationen bei völliger Anerkennung der Organisationen, die sich um geistig behinderte Menschen ganz allgemein kümmern. Die Wissenschaft heute zeigt, dass man eine mentale Retardation nicht nur von einer Seite angehen kann, weil es zu viele unterschiedliche Symptome beinhaltet, sowohl aus Sicht der Neuropathologie wie aus der der Neuropsychologie. Die Organisationen, die sich für geistig behinderte Menschen im allgemeinen Sinne einsetzen, haben nicht die richtigen Antworten gefunden für die Bedürfnisse von Personen mit Down-Syndrom. Deshalb suchen weltweit Familien bei den Down-Syndrom-Organisationen nach fortschrittlicheren und aktuelleren Lösungen. Es gibt noch einen anderen wichtigen Grund für eine eigenständige Bewegung, und das ist der hohe Anteil in der Population: ungefähr fünf Millionen Personen mit Down-Syndrom leben auf unserer Erde. Ist diese hohe Zahl nicht Grund genug, um eine eigene Organisation und Infrastruktur zu haben, ohne abhängig von anderen zu sein? Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 27 AUSLAND Lassen Sie es mich noch einmal klar herausstellen: Wie ich schon vorher erwähnte, bedeutet Unabhängigkeit nicht Konfrontation, es bedeutet auch nicht, dass es keine Gemeinsamkeiten gibt mit den anderen Organisationen, die sich für geistig behinderte Menschen einsetzen, noch dass es keine Möglichkeiten gäbe, in gewissen Bereichen zusammenzuarbeiten. Koordination aller Anstrengungen Allzu oft kommen Probleme auf zwischen Eltern und Fachleuten, zwischen Down-Syndrom-Vereinen und Servicecentern, von denen sie abhängig sind, durch politische, offizielle und persönliche Interessen. Unsere Organisationen müssen dafür kämpfen, über persönliche Interessen und berufliche Konflikte, über politische oder religiöse Ideen oder welche Stolpersteine auch immer, erhaben zu sein und diese zu trennen von dem, was wirklich gilt, nämlich die Arbeit an unserem Ziel, eine bessere Lebensqualität für Menschen mit Down-Syndrom zu schaffen. Down-Syndrom in Südafrika Die Koordination aller Anstrengungen kann dann erreicht werden, wenn Eltern, Fachleute und Menschen mit DownSyndrom selbst zusammenarbeiten ohne persönliche Interessen und Machtkämpfe. Konsolidierung Unsere lokalen Gruppen, die regionalen oder nationalen Vereine und unsere internationale Liga müssen intern so stabil sein, dass sie auch demokratischen Veränderungen standhalten. Allzuoft stehen die gleichen Personen zehn Jahre oder länger an der Spitze einer Organisation. Dies ist nicht richtig. Die Arbeit – wie hervorragend diese auch sein mag – darf nicht personengebunden sein. Hört die Person auf, folgt das Drama. Wir werden alle gebraucht, aber niemand sollte glauben, dass er unersetzlich sei. Die Organisationen müssen dafür Sorge tragen, dass ihre Stabilität und ihre Kontinuität gesichert sind, während die Menschen in den führenden Positionen sich abwechseln: manchmal sind es mehr die Eltern, manchmal die Fachleute, wer eben besser fähig ist, bestimmte Dinge zu organisieren, und immer sind die Personen mit Down-Syndrom selbst mit einzubeziehen. Sie werden immer mehr eine führende Rolle spielen und ihre eigenen Fürsprecher und Anwälte sein wollen. Down-Syndrom in Spanien Zusammenarbeit Die Down-Syndrom-Organisationen dürfen sich nicht isolieren. Die Komplexität der Gesellschaft verlangt heutzutage die gemeinsame Intervention von verschiedenartigen Gruppen. Während wir einerseits unsere Identität bewahren sollten, sollten wir andererseits uns bemühen, Möglichkeiten zu suchen und zu finden für eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen, die sich für die gleichen Ziele einsetzen. Wir müssen Gemeinsamkeiten finden, statt Dinge herauszustellen, die uns trennen. Gemeinsam können wir mehr erreichen. Zusammenarbeit und Koordination mit Vereinen in ähnlichen Bereichen ist, meiner Meinung nach, eine moralische Verpflichtung. Wir sollten uns auch freuen über die Erfolge der anderen, wenn jemand eine neue Publikation herausbringt, Gelder für Forschung bekommt oder eine größere soziale Anerkennung erreicht. Diese Zusammenarbeit muss auch ausgedehnt werden auf Regierungsstellen. Wir sollten uns nicht gegenseitig als 28 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Feinde betrachten, sondern als Partner. Wir müssen so weit kommen, dass wir alle einsehen, dass Konfrontation oder Feindseligkeit nicht die einzigen Wege einer Beziehung sein müssen. Wir müssen bereit sein, Vereinbarungen zu treffen. Unsere Organisationen sollen mit der Behörde zusammenarbeiten, um bestimmte Dienstleistungen zu etablieren. Manchmal werden auch die Vereine bestimmte Angebote übernehmen, und ersetzen so die behördlichen Stellen. Wahrscheinlich können wir da manches besser und auch billiger organisieren. Es ist jedoch notwendig, dass es geltende Absprachen gibt, die unabhängig von einer bestimmten politischen Richtung oder von bestimmten Personen sind. AUSLAND Transparenz Wenn wir Unterstützung erwarten von Gruppen, Behörden, Firmen oder von den Medien, müssen wir auch versuchen, Transparenz zu zeigen. Transparenz in unserer Ideologie und in unseren Zielen, Transparenz bei unserer Botschaft und unserem Vorhaben. Transparenz in unserer Organisationsstruktur, in unseren Abhängigkeiten, Beziehungen oder Verpflichtungen. Und vor allem Transparenz bei unserer Finanzierung und unserem wirtschaftlichen Management. Transparenz steht in diesem Fall gleichzeitig für Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Wir dürfen nie Zweifel an den ehrlichen Absichten unserer Arbeit aufkommen lassen. Dies ist wichtig, wenn wir mit öffentlichen Geldern arbeiten, aber genauso, wenn wir mit Spendengeldern von privaten Personen arbeiten. Ungehorsam Mit diesem Begriff möchte ich an die Notwendigkeit appellieren, dass unsere Organisationen viel Zeit, viele Gedanken und viele Anstrengungen investieren müssen in das was man eine spezielle Kultur unserer weltweiten Bewegung nennen könnte. Ich glaube, dass das Schaffen von Zukunftsperspektiven für Menschen mit Down-Syndrom – zum größten Teil – von der Fähigkeit, unser Grundanliegen, unverkennbar und deutlich zu artikulieren, abhängig ist. Unser Ziel ist es, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht diskriminiert wer den. Dass sie das Recht haben, in der Gesellschaft zu leben, in einer Gesellschaft, die gerade durch ihre Vielfalt so reich ist. Zu oft akzeptieren wir Mitleid, Wohltätigkeit oder Ausnahmen, während sich unser Kampf und unser Ungehorsam auf die im Gesetz verankerten Grundrechte berufen sollten. Leider werden in verschiedenen Teilen dieser Welt diese Grundrechte den Menschen mit Down-Syndrom immer noch verweigert. Schlusswort Ich weiß, wie schwierig diese Herausforderungen sind. Und ich bin mir sehr wohl bewusst, dass es in den Entwicklungsländern zunächst allein um das Überleben geht und um die Forderungen nach ganz elementären Rechten. Trotzdem scheint es mir von großer Bedeutung zu sein, dass wir klar den Weg sehen, den wir gehen müssen, um unser Ziel zu erreichen und dass die Länder, in denen Vorsorge und Förderung von Menschen mit Down-Syndrom noch sehr rar sind, mit der uneingeschränkten Hilfe der Länder rechnen können, in denen diese Bereiche schon besser organisiert sind. Ich hoffe, dass wir gemeinsam in der Lage sein werden, eine bessere Zukunft für alle Menschen mit Down-Syndrom zu schaffen. Und ich hoffe, dass alle diese Träume im 21. Jahrhundert in Erfüllung gehen. Down-Syndrom in Kanada Down-Syndrom in Australien Dieses Poster wurde 1998 während der Down-Syndrome Awareness-Week in New SouthWales, Australien allen Gynäkologen und Kinderärzten zugeschickt. Die DSA fordert damit diejenigen Ärzte auf, die als Erste das Down-Syndrom beim Baby feststellen und die Diagnose mitteilen müssen, Eltern Mut zu machen und positive Perspektiven aufzuzeigen. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 29 THERAPIE A Ergotherapie Viele Kinder mit Down-Syndrom bekommen Ergotherapie. Häufig wird diese Therapie sogar von Frühförderstellen angeboten oder die Eltern besuchen mit ihren Kindern eine private Praxis für Ergotherapie. Was ist Ergotherapie? Wo kommt die Therapie her? Was sind die Ziele, Aufgaben und Arbeitsgebiete? Wie funktioniert diese Therapie und wie kann sie für Kinder mit Down-Syndrom eine Hilfe sein? Schon wieder eine Therapie! In diesem Artikel möchten wir informieren über Ergotherapie, eine Therapieform, die immer noch etwas unbekannt ist, ohne jedoch zu suggerieren, dass alle Kinder eine solche Förderung brauchen. Förderideen oder Therapien, die wir in Leben mit Down-Syndrom vorstellen, sollen Eltern nicht unter Druck setzen oder das Gefühl vermitteln, dass alles von ihnen aufgegriffen werden muss. Unsere Artikel sollen lediglich dazu dienen, zu informieren, was so auf dem „Fördermarkt“ alles angeboten wird, damit Eltern Bescheid wissen. Ob und was sie schließlich mit ihrem Kind machen wollen, ist gänzlich den Eltern überlassen. Oft ergibt sich das Thema von allein, wenn es nämlich im nächsten Umkreis keine Pörnbacher-Therapeutin gibt oder weil nirgendwo in der Nähe Therapeutisches Reiten angeboten wird. 30 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Es gibt keine Therapie, die auf alle Kinder mit Down-Syndrom den gleichen positiven Effekt hat. Eine Therapie wirkt sich bei jedem Kind anders aus. So müssen Eltern sich wohl oder übel selbst auf den Weg machen, um nach einer geeigneten Förderung ihres Kindes zu suchen. Dann kann es hilfreich sein, wenigstens mal etwas über die verschiedenen Möglichkeiten gelesen zu haben. nfang dieses Jahrhunderts bemühte man sich in Boston (USA) erstmals, psychisch Kranke mit einer gewissen Systematik zu „beschäftigen“. Schnell wurde klar, dass man dazu Fachkräfte benötigte. Ein Lehrgang für Ergotherapie wurde am sozialmedizinischen Institut entwickelt. In Boston startete 1908 der erste offizielle Ausbildungsgang für „Occupational Therapy“. In Deutschland begann Simon 1922 damit, „arbeitsmäßige Tätigkeit“ unter therapeutischen Gesichtspunkten einzuführen. Auch hier wurde zunächst nur der psychisch Kranke berücksichtigt. Viele Verwundete brauchten Ende des 2. Weltkrieges Rehabilitationsmaßnahmen. Aus Großbritannien und den USA kam Hilfe für Deutschland: „Occupational Therapists“ wurden vom Britischen Roten Kreuz nach Deutschland geschickt. In Bad Pyrmont bildeten sie 1947 bis 1949 in Kurzlehrgängen Beschäftigungstherapeuten aus. 1953 begann im Annastift, Hannover, die erste Schule für Beschäftigungstherapie. Inzwischen gibt es fast 90 Schulen. Was ist Ergotherapie? Ergotherapeuten gehören der Gruppe der Medizinalfachberufe an, ähnlich wie Krankengymnasten und Logopäden. Ergotherapie (Beschäftigungs- und Arbeitstherapie) hat zum Ziel, nicht vorhandene oder verloren gegangene körperliche, psychische oder kognitive Funktionen wieder herzustellen oder zu fördern, so dass die Betroffenen die größtmögliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit in ihrem Alltags- oder Berufsleben erreichen können. Ergotherapeuten arbeiten aus diesem Grunde nach einem handlungsund alltagsorientierten Konzept. Sie beziehen handwerkliche und gestalterische Prozesse sowie lebenspraktische Aktivitäten gezielt als therapeutische Maßnahmen ein. Die Patienten sollen im therapeutischen Prozess eigenständig handelnd ihre sozialen und lebenspraktischen Kompetenzen wiedergewinnen und erweitern. Der Therapeut unterstützt sie dabei und hilft ihnen, bei auftretenden Schwierigkeiten individuelle Lösungen zu finden. Ergotherapeuten betrachten also nicht nur die Symptome des Patienten, sie sehen vielmehr den ganzen Men- THERAPIE schen als Teil seines sozialen Umfeldes. Zum fachspezifischen und medizinischen Wissen in der Ausbildung gehören daher auch sozialwissenschaftliche Grundlagen. Ergotherapie wird vom Arzt verordnet und gilt als Heilmittel gemäß § 124 Abs. 1 SGB V. Arbeitsgebiete Ergotherapeuten können in sehr verschiedenen Bereichen tätig werden: in Kliniken und Krankenhäusern der Fachrichtungen Orthopädie, Unfallheilkunde, Innere Medizin, Rheumatologie, Neurologie, Geriatrie, Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Psychosomatik in Einrichtungen für behinderte Kinder, wie Sonderschulen, Kindergärten, Heime und Frühbehandlungszentren in geriatrischen Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheimen und Tageskliniken Ergotherapie in der Pädiatrie Die Arbeitstherapie in Einrichtungen der sozialen, medizinischen und beruflichen Rehabilitation und in Werkstätten für Behinderte Wer wird ergotherapeutisch behandelt? Kinder und Jugendliche mit körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklungsrückständen Die arbeitstherapeutischen Maßnahmen in der Ergotherapie beziehen reale Arbeitsbedingungen in den Behandlungsprozess ein. im sog. Mobilen Dienst und in Sozialstationen Störungen (oder Ausfällen) des Bewegungsapparates in der eigenen Praxis Störungen der Aufnahme und Verarbeitung von Sinnesreizen Es gehört auch zu den Aufgaben von Ergotherapeuten, Patienten und deren Angehörige zu beraten. Dabei geht es um Fragen der beruflichen Eingliederung, der Integration in Familie und Schule, der persönlichen Selbständigkeit, der Veränderung häuslicher Wohnverhältnisse und andere. Diese unterschiedlichen Einsatzgebiete sowie die Behandlung von Kindern, Erwachsenen und alten Menschen erfordern differenzierte Behandlungsverfahren. Bei jeder Erkrankungsform steht ein anderes Verfahren im Vordergrund. Meist müssen mehrere Verfahren ausgewählt und miteinander kombiniert werden. Zwei Arbeitsbereiche des Ergotherapeuten möchten wir hier vorstellen, weil diese auch Kinder und Erwachsene (Arbeitstherapie) mit Down-Syndrom betreffen: Ergotherapie in der Pädiatrie und im Arbeitsbereich. Verhaltensstörungen in Form von übermäßiger Angst, Aggression, Abwehr, Passivität oder Hyperaktivität Welche Ziele verfolgt die Ergotherapie? größtmögliche Selbständigkeit im Alltag, in der Schule und im weiteren Umfeld Arbeitstherapeutisch behandelt werden Menschen, die aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Erkrankung in ihren Arbeitsfähigkeiten beeinträchtigt sind, sodass sie einer beruflichen Tätigkeit nicht oder nur eingeschränkt nachgehen können. Was beinhaltet die Arbeitstherapie? Erproben und Feststellen der Arbeitsfähigkeiten und -fertigkeiten Erhaltung und Förderung von Arbeitsfähigkeiten Entwicklung und Verbesserung der Motorik, Koordination, Wahrnehmung und Kommunikation Beratung über Wieder-/Eingliederungsmöglichkeiten in das Arbeitsleben Vermeidung von Folgeschäden und Entwicklungsverzögerungen individuelle Beratung und Betreuung an der Arbeitsstelle und Arbeitsplatzanpassung Was beinhaltet die Ergotherapie? Training von altersrelevanten und entwicklungsfördernden Handlungen handwerkliche, spielerische Tätigkeiten, gestalterisch-musische Prozesse Beratung der Angehörigen und anderer Bezugspersonen Dieser Text ist (mit freundlicher Genehmigung) der Informationsschrift des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten (Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten) e.V. entnommen. Postfach 2208, 76303 Karlsbad. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 31 THERAPIE Carina in der Ergotherapie Astrid Berthold Die ergotherapeutische Arbeit, speziell mit Kindern, erlebe ich als spannend und abwechslungsreich. Jedes Kind, das in die Ergotherapie kommt, gibt mir die Möglichkeit, an ihm zu lernen, denn unsere Kinder sind unser Spiegel. Mit der Beschreibung einer Therapieeinheit mit Carina möchte ich ein Bild aus der Praxis der Ergotherapie vermitteln. Einleitung Die neunjährige Carina besucht eine integrative Montessorischule und wird innerhalb der Schule von mir ergotherapeutisch betreut. Im folgenden Bericht werde ich die Inhalte der Behandlungseinheit beschreiben und im Anschluss daran meine Ziele für diese Stunde aufzeigen. Behandlungsablauf Für diese Therapieeinheit hatte ich die Buchstaben aus dem Puzzle herausgenommen und am Ende des Raums unter einem großen Schwungtuch versteckt. Carinas Aufgabe war es, über ein Schaukelbrett zu gehen oder zu krabbeln. Das hatte ich Carina überlassen. Sie entschied sich fürs Krabbeln, da sie sich beim Gehen über das Schaukelbrett noch unsicher fühlt. Im Anschluss an das Schaukelbrett musste sie durch einen Kriechtunnel krabbeln, in den ich verschiedene Materialien (Sandsäckchen, stacheliche Matte usw.) gelegt hatte, zu dem Schwungtuch, einen von mir vorher genannten Buchstaben heraussuchen und mit diesem wieder zurückkrabbeln. Danach sollte sie sich bäuchlings auf eine quadratische Brettschaukel (fixiert an einem Haken) legen und ein Tier, dessen Name mit dem entsprechenden Buchstaben beginnt, nennen. Dann wurde der Buchstabe in die Puzzlematte unter der Schaukel eingefügt. Als die ganze Matte mit Buchstaben ergänzt war, durfte (sollte) Carina sie mit Rasierschaum besprühen und diesen auf der Matte mit ihren Händen verteilen. 32 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Zum Schluss der Therapieeinheit reinigten wir gemeinsam die Matten. Carina entfernte noch den Rasierschaum, der sich an der Schaukel befand. Therapeutische Zielsetzung für diese Stunde Förderung der Grobmotorik durch die Aufrichtung entgegen der Schwerkraft, korrekter Handstütz beim Krabbeln und in der Schaukel, Tonusaufbau im Bereich der Nackenmuskulatur, der Arme und der Finger (es fällt Carina schwer, ihren Kopf in Bauchlage zu heben und zu halten, auf Grund nicht vollständig integrierter Restreflexe). Im Tunnel und unter dem Schwungtuch erlebte Carina durch die Enge und Begrenztheit eine klarere, deutlichere Körperwahrnehmung. Die diversen Materialien innerhalb des Tunnels, die Enge im Tunnel und unter dem Schwungtuch sowie das Verteilen des Rasierschaums fördern Carinas taktile Wahrnehmung sowie die Feinmotorik. Förderung der Merkfähigkeit. Carina muss sich trotz der vielen Reize (Schaukelbrett, Kriechtunnel, taktile Reize) den von mir anfangs genannten Buchstaben merken. Eine Steigerung der Integration beider Gehirnhälften erreichte ich THERAPIE durch kreuzkoordinierte Bewegung beim Krabbeln und das Überkreuzen der Körpermitte auf der Schaukel. Übungen auf dem Schaukelbrett, im Tunnel und auf der Schaukel dienen auch als Gleichgewichtsübungen für Carina. Das Buchstaben- und Wortverständnis durch Sehen, Begreifen und Einfügen der Buchstaben in die Puzzlematten lässt sich durch diese Übung verbessern. Durch das Finden eines Tieres mit dem entsprechenden Buchstaben am Anfang des Wortes werden Carinas kognitive Leistungsfähigkeit und ihre Sprache angeregt. Einen besseren Bezug zur Raumlage der Buchstaben erhält Carina beim Einfügen in die entsprechende Matte. Durch das Schaukeln wird das vestibuläre System von Carina zusätzlich mit Informationen versorgt und zudem ihre Konzentration gesteigert. Durch das anschließende Reinigen der Matten und der Schaukel erfährt Carina klare Grenzen (Anfang–Ende) und Konsequenzen. Nachwort Bei vielen Kindern, die in unsere Praxis kommen, liegt aus welchem Grund auch immer eine Integrationsstörung vor, weshalb sich gleichzeitige Defizite in verschiedenen Bereichen zeigen. Unsere Aufgabe ist es, mittels einer ausführlichen Diagnostik diese Defizite am Kind zu erkennen und auf spielerischem Wege zu vermindern oder aufzuheben. Dies erfolgt in unserer Praxis über das Einbringen von „Bewegungsparcours“ in Kombination mit feinmotorischen und kognitiven Übungen. Dabei wird genauestens beobachtet, wie sich das Kind bewegt, seine Bewegungen plant und koordiniert. Durch die spielerische Gestaltung der Behandlungseinheiten helfen wir den Kindern über ihre „Grenzen“ hinweg und die Kinder erlangen mehr Spass an der Bewegung und eine Steigerung des Selbstwertgefühls. Je nach Kind und Störungsbild ist es jedoch auch angezeigt, klare Strukturen und Grenzen zu setzen. Carina in Aktion. Ganz schön anstrengend, so ein Bewegungsparcours. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 33 FÖRDERUNG Die Schere klafft immer weiter auseinander! Von den kleinsten Stützrädern bis zum schönsten Alurad Marian de Graaf-Posthumus und Erik de Graaf Übersetzung: Cora Halder Der Titel erinnert den Leser an das, was oft über die Entwicklung unserer Kinder mit Down-Syndrom behauptet wird: Sie geraten immer mehr ins Hintertreffen. Aber gerade das ist in dieser Geschichte nicht gemeint! Genau das Entgegengesetzte möchten wir hier beschreiben. Nämlich wie ein Kind mit Down-Syndrom seine Eltern und viele andere Kinder immer mehr hinter sich lässt, wenn es zum Beispiel ums Radfahren geht. Das gibt es auch! Dieser „Fiets“bericht aus Down+Up, der Zeitschrift der holländischen Stichting Down Syndroom, hat mir gut gefallen, er ist positiv und Mut machend und ein Beispiel für den Slogan, den man in den Niederlanden oft hört, wenn es um die Grenzen der Lernfähigkeit von Personen mit Down-Syndrom geht: „Sag nie nie!“ W ir haben alle erfahren, wie nach der Geburt eines Babys mit Down-Syndrom Verwandte, Freunde und Nachbarn bei ihren ersten Besuchen sich Mühe geben, einige nette Dinge zu sagen, um die neuen Eltern ein wenig aufzumuntern. Und wie wir alle wissen, ist das nicht so leicht, denn man kann nicht einfach sagen: „Kopf hoch, das gibt sich wieder!“, denn Down-Syndrom bleibt. Die tröstenden Worte sind dann meistens stereotype Bemerkungen wie „Sie sind so lieb und anhänglich“ oder Ähnliches. In unserem Fall, vor mehr als 14 Jahren, wurde uns auch erzählt, was „sie“ alles konnten: „Ich kenne einen, dem haben sie sogar das Radfahren beigebracht!“ Und gerade das Fahrradfahren schien uns doch eigentlich das Wenigste, was wir erwarten konnten. Wir dachten im Stillen: „Wart nur, wir werden euch schon zeigen, was der von uns alles kann.“ Bei der Chromosomenuntersuchung im Institut für Anthropogenetica in Amsterdam erklärte uns der Arzt dort, dass man ihnen eventuell ein gewisses Maß an Selbständigkeit beibringen könnte. Im günstigsten Fall sogar so viel, dass sie sich in einer beschützenden Umgebung einigermaßen zurechtfinden könnten. Marian sagte damals zu diesem Arzt, dass sie eigentlich schon davon ausging, ihrem Sohn die nötige Selbständigkeit beibringen zu können. Was Marian dann wohl unter Selbständigkeit verstand? Sie antwortete: „Na, dass er allein, mit einem Rucksack auf dem Rücken, per Autostopp nach Nepal fährt, zum Beispiel.“ Der Arzt wurde ganz blass und sagte: „Machen Sie sich bitte keine Illusionen, er wird noch nicht einmal je allein mit einem Bus fahren können!“ Hypotonie kontra Fahrradkultur In unserer Familie gehörte es bis dahin zur Lebenskultur, an den Wochenenden lange Spaziergänge oder Radtouren zu machen. Während der ersten Jahre mit David haben wir häufig daran gezweifelt, ob wir jemals wieder in die Berge gehen könnten und ob er je das Radfahren lernen würde. Dazu kommt, dass David ein ziemlich „schlaffes“, 34 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 FÖRDERUNG hypotones Kind war (und noch immer ist). Aber wir hatten das Bedürfnis, unsere Freizeitkultur auf unser Kind zu übertragen, wie eine Art Erbe, und wir hatten immer eine positive Erwartungshaltung, dass er es doch einmal schaffen würde. Deshalb haben wir gerade im Bereich der Grobmotorik, wo deutlich Davids Schwächen liegen, von Anfang an sehr viel mit ihm geübt. Während seiner ganzen Entwicklung erlebten wir, wie die Hypotonie ihm immer wieder bei der Eroberung seiner Umwelt Probleme bereitete. Zum Beispiel hat es sehr lange gedauert, bis er endlich mit viel Mühe laufen lernte. kam. Aber das war wohl auch nicht der Grund. Dann haben wir sogar einmal mit ganz breiten Gummistreifen seine Füße fest an den Pedalen angebunden. Nichts half! Bis er, zu unserer größten Verwunderung, es wohl auf einem viel größeren Dreirad von einem anderen Kind versuchte. Der Unterschied lag in der Ergonomie. Bei dem größeren Dreirad musste er mehr direkt nach unten treten und dazu konnte unser Sohn mehr Kraft aufbringen, oder besser gerade genügend Kraft aufbringen. Versuch einmal selbst, wie viel Anstrengung es kostet, wenn man halb nach hinten lehnend mit hochgehobenen Beinen und Füßen irgend wo direkt vor sich in der Mitte Kraft ausüben muss. Als wir das endlich so um Davids vierten Geburtstag realisierten, kam die nächste Phase. Wir kauften für David das allerkleinste Kinderrad mit Stützrädern und mit Pedalen, die direkt unter dem Sattel angebracht waren (Fahrrad Nr. 2). Und damit radelte er praktisch sofort los, trotz der massiven, schweren Reifen und des superharten Sattels! Aber das störte ihn nicht, weil er ja damals noch Windeln trug. Als die Windeln abgelegt wurden, wollte er nicht mehr auf dem Sattel sitzen! Ein richtiges Mountainbike Fahrrad Nr. 1 Rad fahren lernen In diesem Artikel möchten wir hauptsächlich über das Radfahren berichten. Als David drei Jahre wurde, kauften wir, weil das für uns das Selbstverständlichste war, das allerkleinste Dreirad, das schätzungsweise eine Lebensdauer von einigen Jahren hatte (Fahrrad Nr. 1) Unser Sohn benutzte dieses Dreirad vielmehr als eine Art Laufhilfe. Endlos haben wir seine Füße auf die Pedale gesetzt und ihn geschoben, immer wieder mündliche Anweisungen gegeben. Außerdem ließen wir es ihm immer wieder von anderen Kindern vormachen. Wir haben sogar Holzklötze an den Pedalen befestigt, weil wir dachten, dass er vielleicht doch nicht gut hin Nach ungefähr einem Jahr und einigen Paaren abgefahrener Stützräder kauften wir das kleinste Mountainbike, das wir finden konnten (Fahrrad Nr. 3) Bei Kindern mit wenig Muskelkraft, wie dies häufig bei Kindern mit Down-Syndrom der Fall ist, ist es natürlich wesentlich, dass man nie zu große oder zu schwere Materialien anbietet (auch nicht wie in unserem Fall bei einem Fahrrad), nach dem Motto, da hat er dann viele Jahre was davon. Dies ist zwar ein urholländisches Prinzip, aber man läuft stark Gefahr, dass das Kind einfach aufgibt, bevor es den Schritt zum selbständigen Radeln überhaupt geschafft hat. Wir sind wieder landauf und landab geradelt, jetzt auf Luftreifen, und haben dabei mehrere Paare Stützräder abgefahren. Das viele Radfahren war praktisch, weil David dabei auch die Verkehrsregeln und links und rechts zu unterscheiden lernte. Aber jedes Mal, wenn wir die Stützräder ein wenig höher stellten, natürlich ohne dass er das sah, kam sein Fahrrad Nr. 2 Kommentar: „Kaputt!“ und das Rad wurde demonstrativ in eine Ecke gestellt. Insgesamt schien die Situation ziemlich hoffnungslos und wir diskutierten regelmäßig, ob David nicht doch lieber auf einem großen Dreirad fahren sollte. So wurde uns allmählich während dieser Jahre klar, dass an der Bemerkung, damals nach Davids Geburt: „Ich kenne einen, dem haben sie sogar das Radeln beigebracht“, doch mehr Wahres dran war, als wir damals glauben wollten. Fahrrad Nr. 3, mit Stützrädern Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 35 FÖRDERUNG Endlich ohne Stützräder Als David sieben Jahre geworden war und immer noch nicht ohne Stützräder fahren konnte, entschieden wir uns als letztes Mittel, es noch einmal mit einer alternativen Aufgabenanalyse zu probieren. Wie konnten wir den für David enormen Schritt weg von den Stützrädchen zum Selbstfahren auf nur zwei Rädern bewältigen? Wir beschlossen, zu einem großen, aber meist sehr leeren Spielplatz zu gehen, wo es Schaukeln, eine Rutsche und eine Wippe gab. Das Gras dort war überall schön weich, das zeigten wir David auch. Wir montierten ganz offiziell die Stützräder von seinem Rad ab und sagten: „So, jetzt werden wir hier üben, denn immer wenn Kinder so groß sind, dass sie mit den Füßen auf den Boden kommen, werden die Stützräder abmontiert. Das macht man bei allen Kindern, also auch bei dir. Du darfst zur Schaukel, aber du musst hinradeln. Mama bleibt bei dir und hält dich fest.“ Den ganzen Nachmittag sind wir gerannt und geradelt, von der Schaukel zur Wippe, von der Wippe zur Rutsche, usw. Anfangs lehnte er sich absichtlich ganz schief, um zu kontrollieren, ob wir ihn wohl auffangen würden. Aber das wurde bald weniger. Nach diesem Mittag wussten wir, dass wir physisch in der Lage waren, jeden Tag die Strecke zur und von der Schule neben ihm herzurennen (die Strecke, die er jetzt schon täglich alleine zurücklegte, mit Stützrädern). Wir entschieden uns, die Stützräder nicht mehr an das Rad zu montieren und seine täglichen Fahrten zur Schule als Übungstouren anzusehen. Und schließlich radelte er dann innerhalb einer Woche ohne weitere Hilfe! Jetzt musste noch eine Lösung gefunden werden für das schwierige Anfahren und Bremsen. Wenn er einmal durch uns aufs Rad gebracht war, fuhr er wie ein Besessener los, als ob er einfach aus unserem Leben verschwinden wollte. Wenigstens sah das für uns Eltern so aus, wenn wir ihn in rasendem Tempo über den Radweg auf der Heide verschwinden sahen, in Richtung einer viel befahrenen Autostraße. Da musste man dann als Eltern schon auch durchstarten, um ihn noch gerade rechtzeitig vor der Kreuzung einzuholen und abzubremsen.Den Rekord hält Erik, der an einem Wochenende zwölf Kilometer hinter David her trabte. 36 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Fahrrad Nr. 3 ohne Stützräder Endlich gelang ihm das Anhalten, einfach indem er aufhörte zu treten und dann die Füße am Boden entlang schleifte. Aufsteigen und Losfahren kosteten noch viel Mühe, aber indem wir seinen „besten“ Fuß immer wieder auf das Pedal stellten, das oben war, konnte er sich nach einer weiteren Phase selbst in Schwung bringen. Lange Radtouren Im Winter darauf machten wir unsere erste echte Radtour zu einem Nachbardorf. Es war ein windstiller, aber kalter Tag. Schon damals etablierte sich ein bestimmtes Muster, nämlich dass David alleine vorne fuhr („Darf vorne!“) und wir beiden dicht dahinter. Als Belohnung und zum Aufwärmen bekam er in einem Esshaus (das Wort Restaurant war damals noch viel zu schwer für ihn) etwas zu trinken und ein Stück Apfelkuchen. Das kam gut an. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir ihm lange Strecken fahren lassen, wenn es am Schluss ein Stück Apfelkuchen oder Ähnliches gab. Wir mussten anfangs unsere Radtouren sehr sorgfältig planen, genau so wie man eine größere Segeltour vorbereitet. Nur ein bisschen Gegenwind, und David schaffte es nicht. Wir mussten versuchen, den Wind optimal für uns zu nutzen. Mit einer guten lokalen Wettervorhersage und einer Karte suchten wir vorab genau, wie wir unsere Route festlegen konnten: Gegen den Wind auf einer Waldstrecke, geschützt durch die Bäume, und dann auf offener Strecke zurück zum Ausgangspunkt mit dem Wind im Rücken. Außerdem liebte David es, über kurvige Waldwege zu fahren, verlor aber seine Motivation auf langen geraden Strecken, die so typisch für flurbereinigte Gebiete sind. Auch machten wir viele Touren nur in eine Richtung mit dem Wind im Rücken und fuhren dann mit der Bahn zurück nach Hause. Nicht ganz, denn die letzten zehn Kilometer müssen wir immer radeln, so weit sind wir vom nächsten Bahnhof entfernt. Inzwischen schaffte David regelmäßig Touren von bis zum 60 Kilometern am Tag, manchmal an einem langen Oster- oder Pfingstwochenende noch mehr. Das viele Trainieren hat dazu geführt, dass er, was radeln anbelangt, seinen Mitschülern überlegen war. Nicht dass die das nicht auch gekonnt hätten. Mit viel weniger Übung hätten sie natürlich das Gleiche oder mehr geschafft als dieser Junge mit Down-Syndrom. Aber wie beim Sport können die guten Leistungen nur von denjenigen gebracht werden, die sich dafür einsetzen. Und natürlich braucht es auch eine Portion Begabung. Aber wer möchte behaupten, dass ein Kind mit Down-Syndrom nicht begabt wäre? Und Begabung oder nicht, ohne Übung erreicht man sowieso nichts! Nicht nötig zu sagen, dass David insgesamt enorme Strecken auf seinem Rad zurücklegte und so auch viel Erfahrung im Verkehr machte. Wir konnten ganz auf sein Verhalten vertrauen. Er hatte auch keine Mühe mit Ampeln, „schlafenden Polizisten“ usw. FÖRDERUNG Mit einem Radcomputer Als David acht Jahre alt war, war das Mountainbike wirklich viel zu klein geworden. So kauften wir ihm im August 1992 das nächste Fahrrad. Fiets Nr. 4 war wieder ein „normales“ Rad, jetzt eines mit 20-Zoll-Reifen und immer noch mit einer Rücktrittbremse. Wir trauten uns immer noch nicht, ihm ein Rad mit Handbremsen zu geben, weil wir befürchteten, dass er damit in Notsituationen nicht rechtzeitig bremsen würde. Er kannte sich nun mal mit einer Rücktrittbremse aus. Es war eine große Umstellung für David, und es brauchte einige Überredungskünste unsererseits, bis er auf das neue Rad stieg. Aber dann war er schon bald von den Vorteilen überzeugt. Für dieses Rad kauften wir ihm einen einfachen Radcomputer. Darauf konnte er ablesen, wie schnell er fuhr und das fand er toll. Und als wir das Gefühl hatten, dass er zu langsam radelte, fragten wir David: „Wie viel fährst du?“ Wenn er dann antwortete: „Neun“, sagten wir: „Du musst lernen, mindestens zwölf zu fahren.“ Und dann gab er sich wieder einige hundert Meter lang Mühe. Jedes Mal wenn er wieder tausend Kilometer geschafft hatte, durfte er das in der Schule zeigen, da glänzte er dann vor Stolz. Österreich Schon seit vielen Jahren verbringen wir unsere Sommerferien in Österreich. Einmal hatten wir Fahrrad Nr. 3 (das Mountainbike) schon mitgenommen in Fahrrad Nr. 4 unserem Wohnwagen. David war dann schon hier und da kurze Strecken geradelt, während wir hinterher joggten. 1995, David war gerade elf, entschlossen wir uns, nicht nur Davids Rad mitzunehmen, sondern auch Eriks Rad. Das war ein Leichtgewicht-Exemplar. Marian hatte immer schon ein schweres, altes Rad, das war nichts zum Mitnehmen, sie würde sich in Österreich um ein Mietrad kümmern. Das haben wir dann auch so gemacht und das Ganze wurde aus zwei Gründen zu einem enormen Erfolg. Erstens entdeckten wir selbst die tollen Möglichkeiten von Österreich als Radland und zweitens waren wir sehr überrascht und erfreut über Davids Leistungen im hügeligen Gelände. Im nächsten Jahr radelte er sogar verschiedene, nicht allzu lange Steigungen hoch (13 %!). Ohne Gangschaltung! Handbremsen und Gangschaltung Also entschieden wir uns, noch einmal die Spargroschen zusammenzulegen, und kauften im September 1996 Fahrrad Nr. 5, das war ein sehr schweres, aber deshalb billiges Rad mit Handbremsen, einer Gangschaltung mit sechs Gängen und 24-Zoll-Rädern. Noch immer waren wir sehr in Sorge wegen der Handbremsen, besonders bei dem Gedanken an die langen Abfahrten in Österreich. Aber wir hatten zuerst einen Winter Zeit zum Üben. Wir kauften zu seiner Sicherheit damals auch gleich einen Fahrradhelm, obwohl wir befürchteten, dass er den nicht würde tragen wollen. Aber in der Praxis war es anders. Schon gleich am nächsten Morgen behielt er den Helm sogar den ganzen Vormittag in der Schule auf, so stolz war er darauf! Danach ist er von sich aus nie mehr ohne Helm geradelt. Und auch die Umstellung auf Handbremsen bedeutete kein größeres Problem. Schwieriger war es mit den verschiedenen Gängen. Tatsächlich funktionierte dies leider auch nicht so leicht. Es war kein Rapid-Fire-System, mit zwei Schaltern, sondern nur mit einem einzigen, schwer zu bedienenden Schalter. So benutzte David die ersten Tage sehr willkürlich nur die ersten drei Gänge, manchmal auch noch den vierten Gang. Fünf ist für große Leute, so redete er sich raus. Aber in Wirklichkeit hatte er zu wenig Kraft, um den fünften Gang einzulegen. Als er es dann endlich, mit vielem Zureden unsererseits, gut beherrschte, war dies sehr vorteilhaft für die Hügel in Holland und natürlich für unsere Ferientouren in Österreich. Aber erst im Frühjahr dieses Jahres lernte er den sechsten Gang zu schalten. Trotz des vielen Übens erklärte David immer wieder, dass Fahrradfahren sein liebstes Hobby war. Als in Klasse 8 diesen Sommer die Schüler im Rahmen eines Fotoprojektes darstellen mussten, wie ihr liebstes Hobby aussah, schmiss sich David von sich aus in eine tolle Radfahrausrüstung und machte dann in der Schule ein Foto von sich selbst (siehe nächste Seite). Insgesamt war also die Umstellung auf Rad Nr. 5 wieder gut gelungen. So wurden wieder viele tausend Kilometer zurückgelegt. Das Problem war schon, dass David im Durchschnitt zu langsam radelte. So langsam sogar, dass wir deshalb regelmäßig Angst hatten, dass mit seiner Schilddrüsenfunktion etwas nicht stimmte. Eine ausführliche Untersuchung, die wir im Sommer 1997 durchführen ließen, ergab aber, dass alles in Ordnung war. Sein Fahrrad lief einfach schwer. Das merkte man, wenn man mit ihm zusammen von einem Hügel runterfuhr oder natürlich auch, wenn man selbst mal auf seinem Rad fuhr. In der 7. Klasse war er mit einem Schullager auf der Insel Ameland gewesen. Dort hatte seine langsame Fahrweise auch ab und zu Probleme verursacht. Am Ende der 8. Klasse stand wieder ein Schullager auf dem Programm und seine Lehrerin hatte große Bedenken, wie David die Strecke von 65 Kilometern schaffen würde. Wir versuchten während dieses Jahres, David zu trainieren, um ihm ein Tempo von 15 bis 17 Kilometern pro Stunde anzugewöhnen, das war das Kriterium für das Schullager. Das gelang uns aber nur teilweise. Davids Tempo sackte unterwegs regelmäßig ab. Als die Klasse dann ins Lager fuhr, wurden wir freundlich gebeten, David und sein Rad doch mit dem Bus, der auch das Gepäck der Kinder zum Ferienbauernhof transportierte, mitzugeben. Das war nicht nur unter unserer Würde, wir fanden es für David auch sehr schade. Eigentlich hatte er ja schon viel mehr Kilometer geradelt als alle Kinder in seiner Klasse! Sein Computer zeigte schon über 6000 Kilometer an. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 37 FÖRDERUNG wertiges Alurad, ein ATB mit 21 Gängen mit Grip-Shift und 26-Zoll-Rädern – Rad Nr. 6! Auf das neue Rad kam auch ein neuer Computer mit noch mehr Funktionen als früher. Das Rad passte sofort prima, das Schalten und Bremsen klappte wunderbar. Und siehe da, diesen Sommer machte David den Megaschritt in seiner Entwicklung, was das Radfahren anbelangt und worauf man als Eltern eines Kindes mit Down-Syndrom so intensiv hofft, und der aber allzu oft nie genommen wird. Vom einen Tag auf den anderen verschob sich seine Geschwindigkeit nach oben, bis weit über die 20 Kilometer pro Stunde. Jetzt klafft die Schere! Fahrrad Nr. 5 David hat sich hier mit Selbstauslöser fotografiert: „Mein liebstes Hobby“ hieß das Thema! Außerdem wussten wir schon, dass dieses Schullager das letzte gemeinsame Erlebnis sein würde in der integrierten Klassengemeinschaft. Deshalb entschieden wir, selbst mitzufahren und falls nötig etwas langsamer hinterherzukommen. Aber zum Glück – sowohl auf der Hin- wie auf der Rückfahrt ging alles prima und brauchte David keine Hilfe. Verkehrsexamen Am Ende der 8. Klasse nahm David noch teil an dem Verkehrsexamen. Leider hatte er große Mühe mit dem schriftlichen Teil. Wir haben in einer früheren Ausgabe von Down+Up die Art und Weise, wie dieser Text zusammengestellt ist, schon mal kritisiert. Obwohl es eine spezielle Version für Kinder mit Lernproblemen gibt, ist diese absolut ungeeignet für Kinder mit einer so eingeschränkten Sprachentwicklung wie unser David sie hat. Er erreichte 24 Punkte (es hätten 26 sein sollen), nicht etwa weil er die Vekehrsregeln nicht kannte – auch dank spezieller Computerprogramme hatte er die gut gelernt –, sondern weil er die Art der Fragen nicht verstand. Den praktischen Teil des Tests schaffte David aber schon. 38 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Allein unterwegs Weil David inzwischen ein routinierter Verkehrsteilnehmer geworden war, weil wir den Vorteil haben, in einer ruhigen Gegend von Holland zu wohnen, und weil David über ein vorzügliches Orientierungsgefühl verfügt, konnten wir ihn nun auch allein auf Tour schicken. Das schien uns auch eine wichtige Vorbereitung auf sein Leben später, das doch so selbständig wie möglich sein sollte. So übten wir die Strecke nach Nijenveen, wo er zum Schwimmtraining hingeht. Kurz vor den Sommerferien fand er es ganz normal, dort allein hinzufahren (7 Kilometer) und auch wieder ohne Problem nach Hause zu kommen. Ich gebe ja zu, Nijenveen ist nicht Nepal, aber der Anfang ist gemacht und das Fahrradfahren ist schwieriger als Autostoppen! Alurad mit 21 Gängen Weil David jetzt in der 8. Klasse schon 14 Jahre geworden war, war es sein letztes Jahr in der Grundschule. Und weil er vom nächsten Schuljahr an jeden Tag in die Kleinstadt Meppel fahren musste, die neun Kilometer weiter weg liegt, tauschten wir in den Sommerferien in Österreich sein schwer laufendes Rad ein für ein qualitativ hoch- Und was für uns total unerwartet kam … bei unseren Radtouren fährt uns unser Sohn davon und müssen wir uns immer mächtiger anstrengen, nicht zu weit ins Hintertreffen zu geraten! So klafft die Schere also immer weiter auseinander! Wie hatten wir je an der Funktion seiner Schilddrüse zweifeln können? Und nicht nur das. Auf den langen Steigungen in Österreich mussten wir uns sehr viel Mühe geben, ihm zu folgen. Und als wir dann keuchend neben ihm radelten, redete er immer noch wie ein Wasserfall ohne irgend welche Atemprobleme. Und auch sofort nach einer kleinen Pause auf längeren Touren, als wir allmählich unsere Beine spürten, stieg David wieder munter auf und radelte fröhlich davon. Die Moral Diese Geschichte ist keine Werbegeschichte über David de Graaf. Nein, sie hat eine klare Aussage. Aus der vorhergehenden Geschichte ist Ihnen hoffentlich klar geworden, dass das erreichte Resultat doch wohl das allerletzte ist, das wir anfangs erwartet hatten. Deshalb möchten wir noch mal beto nen, wie wichtig es ist, dass Eltern schon früh anfangen, mit ihrem Kind das Radfahren zu üben, wenn sie nämlich selbst noch fit genug sind hinterherzutraben und das Kind noch nicht zu schwer, um es festzuhalten oder zu stützen. Und kaufe gut passende Räder, nicht zu große, keine zu schweren Modelle. Dann wird man später die enorme Freude erleben, zu wissen, dass sein Kind ein sicherer Verkehrsteilnehmer ist, mit FÖRDERUNG dem man herrliche Radtouren machen kann. sich auch überlegen, wie groß die Verletzungsgefahr ist, wenn das gleiche Kind mal vom Pferd fällt. Fahrrad, Delphin oder Pferd Und dann noch etwas: Immer wieder hört man über therapeutisches Reiten oder Schwimmen mit Delphinen und ähnliche Aktivitäten, die Menschen mit Behinderung aktivieren und ihr Selbstbild verbessern sollen. Wir sind davon überzeugt, dass man das Gleiche genauso erreichen kann mit einem Fahrrad. Weiter muss es doch auch jedem klar sein, dass für das tägliche Leben in den Niederlanden der Umgang mit einem Rad und ein sicheres Verhalten im Verkehr von sehr viel mehr Nutzen ist als das Aufbauen einer Beziehung zu einem Delphin oder einem Pferd. Und wenn Sie sich Sorgen machen über die Risiken für den Radfahrer mit DownSyndrom im Verkehr, dann sollten Sie Schlusswort Inzwischen hat David uns klipp und klar mitgeteilt, dass er nicht mehr begleitet werden will auf seiner täglichen Fahrt zur Schule, neun Kilometer weiter. Er will allein zur Schule fahren. Und weshalb nicht? Er kennt die verschiedenen Wege, die zur Schule führen, in- und auswendig. Er kennt die Verkehrsregeln, er beherrscht sein Rad. Also werden wir auch diesen Schritt probieren. Es verursacht zwar bei uns so ein flaues Gefühl im Magen. Aber die Frage sei gestellt, ob dieses Besorgtsein so viel anders ist als die für ein Kind ohne Down-Syndrom. Fahrrad Nr. 6 Sauberkeitserziehung Wer erzieht eigentlich wen? Mirjam und Sarah sind zweieiige Zwillinge und im Juli 1997 geboren. Sarah hat das Down-Syndrom, Miriam nicht. In ihren ersten Lebensmonaten war Sarah einige Male im Krankenhaus (Lungenentzündung mit Atemstillstand, Pseudokrupp), bis im Februar 1998 eine (angeborene) Dünndarmstenose entdeckt und operiert worden war. Bis dahin und noch einige Zeit danach litt sie unter Verstopfung und musste des Öfteren mithilfe eines flexiblen Fieberthermometers zur Darmentleerung gebracht werden. Von Anfang an hat Sarah sich mit einer vollen Windel sehr unwohl gefühlt und sich grundsätzlich geweigert, etwas zu essen oder zu trinken, ehe die Windel nicht erneuert worden war. Als Sarah 15 Monate alt war, fiel uns auf, dass mit einem Mal die Windel ständig trocken war, wenn sie gewechselt werden sollte, Sarah jedoch nach Öffnen der Windel sofort auf den Wickeltisch pullerte. Nach viertägiger, gleichartiger Prozedur glaubten wir nicht mehr an einen Zufall und kauften ein Töpfchen. Auf dieses wurde Sarah zunächst morgens und nachmittags nach dem Schlafen gesetzt. Sie fand es äußerst spannend und spaßig, dass Mama vor ihr hockte, sie anschaute und selbst angestrengt „Pressgeräusche“ von sich gab. Sie ahmte nicht nur die Geräusche nach, sondern strengte dabei auch die Bauchmuskulatur an. Jeder flüssige oder feste „Erfolg“ wurde von den anwesenden Familienmitgliedern bestaunt und beklatscht. Während der darauf folgenden zwei Wochen haben wir Sarah dann vor jedem Windelwechsel aufs Töpfchen gesetzt. Dies war sozusagen die Trainingsphase, in der Sarah es lernte, ihre Blasen- und Darmentleerung zu kontrollieren. Das Problem für sie und uns war, wie sie sich bemerkbar machen kann, wenn sie „mal muss“. Sarah hat dieses Problem so gelöst, dass sie unruhig wird und „Pressgeräusche“ ähnlich einem „a-a“ von sich gibt. Mittlerweile ist die Windel tagsüber zu 75 % trocken. Ausnahmen sind vor allem fieberhafte Infekte, wo es natürlich nicht klappt, oder wenn keiner Sarahs Signale mitbekommt. Sarah scheint durch die Vorgeschichte mit Verstopfung, „Abführmittel“, Fieberthermometer und der Dünndarmste- nose ein gutes Gefühl für diesen Teil ihres Körpers bekommen zu haben. Ihre Zwillingsschwester Miriam fühlt sich dagegen mit voller Windel pudelwohl und setzt sich nur voll bekleidet aufs Töpfchen. Dabei fordern wir von den Zwillingen angesichts des Alters keine Sauberkeit ein. Unsere älteren Kinder waren erst viel später sauber. Sarah scheint vielmehr von uns zu fordern, dass wir sie dabei unterstützen, ohne Windel auszukommen. Alle Schritte gingen von ihr aus. Wir haben lediglich versucht, die Zeichen zu deuten und umzusetzen. Vielleicht sucht sie auch ein Erfolgserlebnis vor ihrer Schwester, die im Gegensatz zu ihr schon laufen und alleine essen kann. Auf jeden Fall sollte Sarah allen Eltern Mut machen mit der Erkenntnis, dass auch ein behindertes Kind zu Leistungen fähig ist, die selbst ohne DownSyndrom nicht unbedingt erwartet werden können. Martina Bindel und Dr. Alexander Schütz, Berlin Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 39 FÖRDERUNG Frühförderung auf dem Prüfstand Wie sehen Eltern heute das Angebot der Frühförderung? Vor einigen Wochen wurde von den Teilnehmern der Down-Syndrom-Liste im Internet das Thema Frühförderung diskutiert. Viele Eltern zeigten sich sehr unzufrieden mit dem, was die Frühförderung ihnen und ihrem Kind bietet. Waren das besonders schwierige Eltern, die an allem etwas zu nörgeln haben, oder eher gut aufgeklärte Eltern, die wissen, was sie für ihr Kind wollen und was es heute für Möglichkeiten gibt? Das bedeutet nicht, dass man sagen kann, dass Frühförderung, so wie sie heute angeboten wird, pauschal von allen Eltern abgelehnt wird. Unsere kleine Studie ergab auch Positives. Trotzdem lässt sich klar erkennen, dass viele Eltern sich heute etwas anderes wünschen. Sie fordern u.a. mehr Kompetenz, mehr Transparenz und mehr Qualitätskontrolle. 40 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Meinungen aus dem Internet Eine kritische Auseinandersetzung „Frühförderung (FF) ist meilenweit davon entfernt von dem, was wir einmal erwartet haben.“ „Wir hatten die Erwartung, dass wir eine gemeinsame Bestandsaufnahme machen würden und uns überlegen, in welchen Bereichen und wie wir unseren Sohn optimal anregen könnten. Es kam hingegen eine Frau mit ein paar Rasselchen in der Tasche, die sie dann betätigte, solange sein Interesse anhielt. Von ihrer Seite keine Spur Interesse daran, ob er gestillt wurde, wo er gewickelt wurde, schlief oder was immer einem da einfallen könnte.“ „Das bedeutet aber, dass an systematischer Förderung außer unseren eigenen Bemühungen eigentlich nur die Krankengymnastik stattfindet. Das erscheint uns aber sehr wenig an fachlicher Unterstützung: Natürlich ist unsere Aktivität als Eltern am wichtigsten, aber oft finde ich uns so allein gelassen.“ „Allerdings gibt es da (über die FF) nichts Positives zu sagen, ich dachte nur, es liegt vielleicht an meinen hohen Anforderungen, aber es scheint mir doch ein Problem zu sein, dass wir nicht alleine haben.“ „Wir sind sehr unzufrieden mit unserer FF, da M. im Wesentlichen mit einem einfallslosen Konglomerat von Spielanregungen überhäuft wird. Letzte Woche wurde sie innerhalb einer Stunde mit acht verschiedenen Spielzeugen malträtiert (vom Kriechtunnel bis zur Rasselkugel), zusätzlich noch zwei von unseren eigenen Sachen. Das heißt, M. hatte im Schnitt sechs Minuten Zeit, sich mit einer Sache zu beschäftigen!“ „Verschlimmernd kommt noch hinzu, dass die Heilpädagogin uns als Eltern nicht nur nicht auf neue Ideen bringt, sondern Dinge, die wir uns erarbeiten, noch abtut. So geschehen mit der Gebärdensprache, mit der sie sich offensichtlich nicht beschäftigt hat, trotzdem aber den Kommentar abgeben musste, M. solle ja sprechen lernen und sie würde so eher faul werden (wir wissen, dass genau das Gegenteil richtig ist). Vom frühen Lesenlernen werden wir erst gar nicht berichten.“ „Das Geld (ca. 140,– DM/h) wäre sicherlich besser angelegt, wenn wir stattdessen zehn Stunden in der Woche eine Haushaltshilfe engagieren würden und dadurch mehr Zeit für unsere Tochter hätten.“ Umfrage zum Thema Frühförderung Im März 1997 verschickten wir an die Mitglieder der Selbsthilfegruppe einen Fragebogen zum Thema Frühförderung mit 22 Fragen. Anlass war eine Einladung der Lebenshilfe an die SHG, bei dem Forum „Frühförderung auf dem Prüfstand“ im November an einer Diskussionsrunde teilzunehmen, in der Eltern aus ihrer Sicht schildern sollten, wie sie sich die FF von heute vorstellen. Wir bekamen 70 ausgefüllte Bögen zurück, bei manchen waren zusätzlich verschiedene Seiten beigelegt, auf denen Eltern (Mütter) darlegten, was ihnen zum Thema FF noch einfiel, nachdem sie alle Fragen beantwortet hatten. Außer nach allgemeinen Fakten (Wann bekam ihr Kind die erste FFStunde, wie oft, wie lange, ob zu Hause oder in der FF-Stelle, welche Angebote außerdem: Logopädie, Krankengymnastik, Ergotherapie, Schwimmen etc.?) wurde gefragt, ob nach einem bestimmten FF-Programm gearbeitet wurde, wie die Förderstunde aufgebaut ist, ob das Kind Spass hat, ob die Pädagogin kompetente Auskunft geben kann in DSFragen, wie zufrieden die Eltern sind, FÖRDERUNG Frühförderung – ein bisschen dies und ein bisschen das oder gezielt fördern nach einem Programm? ob unterstützt wird bei der Suche nach einem Kindergartenplatz, was ihnen nicht gefällt, was besser oder anders sein sollte usw. Ungefähr 40 % der Eltern sind zufrieden mit der FF, die ihr Kind bekommt, 10 % davon heben extra hervor, dass sie sogar äußerst zufrieden sind, und alle ihre Bedürfnisse und die des Kindes berücksichtigt werden. Weshalb sind Eltern unzufrieden? 60 % der Eltern sind nicht ganz oder gar nicht zufrieden. Eine oft erwähnte Kritik ist, dass die Förderstunden häufig ausfallen, wobei dies öfter passiert durch Krankheit, Fortbildung, Personalknappheit seitens der FF als wegen Krankheit des Kindes. Viele Eltern wünschen sich, dass die verlorenen Stunden, wenn sie durch die FF entstanden sind, nachgeholt werden können. Sehr enttäuschend ist es für Eltern festzustellen, dass das Personal der FFstellen nicht genügend über Down-Syndrom informiert ist, sich nicht über neue Methoden, wie z.B. Gebärdensprache oder Frühes Lesenlernen, auskennt, obwohl dies schon längst anerkannte Förderansätze sind, und Eltern dabei nicht unterstützen können oder wollen. Ein sehr großes Anliegen von vielen Eltern ist jedoch, dass mehr systematisch mit dem Kind gearbeitet wird, even- tuell nach einem Programm. Sie möchten für die Förderung ihres Kindes einen roten Faden haben, an dem sie sich „entlang hangeln“ können, gerade auch weil die FF urlaubs- oder krankheitsbedingt öfter ausfällt. Sie möchten, dass gemeinsam die Ziele festgelegt werden, die man mit dem Kind als Nächstes erreichen will, dass daran gemeinsam gearbeitet wird und dass immer wieder geprüft wird, ob das Kind Fortschritte macht, ob der Weg, die Methode die richtige ist. Eltern erwähnen öfter den berühmten „Korb“ der Frühförderpädagogin, in den alles Mögliche an Spielsachen gepackt ist, die dem Kind der Reihe nach angeboten werden, ohne dass den Eltern der Sinn mancher Spiele klar ist. Da wünschen sie sich mehr Erklärungen, mehr Transparenz. Bedauerlich ist die Tatsache, dass oft seitens der FF wenig Verständnis gezeigt wird, wenn Eltern für ihr Kind einen integrativen Kindergartenplatz anstreben, und deshalb Eltern dabei auch nicht unterstützen. Viele Eltern erwähnen, wie unangenehm ihnen die einseitige Beratung in Richtung Sonderschule für geistig Behinderte ist. Auch hier fordern sie mehr Sensibilität für ihr Anliegen der Integration. Interessant ist es zu wissen, dass die 70 Antworten sich auf 32 verschiedene Frühförderstellen bezogen. Positive Resonanz Gelegentlich gibt es aber auch eine sehr positive Resonanz. Eine Mutter schrieb: „Wir haben von Anfang an einen sehr guten Kontakt zur FF-Stelle und sind immer optimal betreut worden. Sowohl unser Anliegen, mit unserem Kind über die Gebärdensprache die Sprachentwicklung zu fördern, wurde aufgegriffen, als auch unser Wunsch nach einem Integrationsplatz im Kindergarten voll unterstützt. Das Angebot der FF-Stelle ist sehr vielfältig und an einem Austausch über die neuesten Entwicklungen auf dem Down-Syndrom-Gebiet besteht immer Interesse!“ Ende November 1998 hat in Erlangen das Forum „Frühförderung auf dem Prüfstand“ stattgefunden. 100 Fachleute, die im Frühförderbereich arbeiten, nahmen daran teil. In Vorträgen und Diskussionsrunden wurde eine Bestandsaufnahme gemacht und über den zukünftigen Weg der FF nachgedacht. Da zu der Zeit schon Redaktionsschluss war, werden wir Ergebnisse dieses Forums über „Frühförderung 2000“ in einer der nächsten Ausgaben von Leben mit Down-Syndrom veröffentlichen. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 41 WERBUNG Umstrittene Werbekampagne von Benetton Nützlich für die Integration unserer Kinder? Cora Halder Endlich hat sich eine große Modefirma getraut, in ihrer Werbekampagne Kinder mit einer Behinderung zu zeigen. Schon oft haben wir deshalb Firmen angeschrieben, jedoch immer negative Antworten bekommen, mit der Begründung, das würde den Verkauf gefährden, oder man möchte das den „armen“ Behinderten nicht antun, dieser Fotostress! Oder weil man ja nicht auf der Mitleidswelle reiten oder auf die Tränendrüse drücken möchte. Ob wir das tatsächlich wollen, den Menschen mit Behinderung so ins Licht zu rücken und ob das der betroffene Personenkreis eigentlich selbst auch wolle? Ausreden genug. D a half es bis jetzt auch nicht, dass wir auf die Situation in den USA hinwiesen, wo Werbekampagnen, in denen Menschen mit einem Handicap gezeigt werden, schon längst zur „Normalität“ gehören. Sowohl in TV-Spots wie in Mode- oder Spielzeugkatalogen sieht man Menschen mit Behinderungen. Natürlich geschah das auch nicht von selbst. Nur mit Druck und Kaufboykotts einer starken Lobby, nämlich der Eltern, Familien und Freunde der Menschen mit einem Handicap, immerhin der größten Minoritätengruppe in den USA. In Deutschland war die Zeit für dieses Anliegen offenbar noch nicht reif. Vor einigen Jahren war ich freudig überrascht, als ich in einem Spielzeugkatalog der Firma Toys R Us ein Mädchen mit Down-Syndrom entdeckte, einfach so, ganz selbstverständlich zwischen Hunderten von anderen Abbil42 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 dungen von Kindern ohne Down-Syndrom. Auf meine begeisterte Reaktion bei der Hauptgeschäftsstelle von Toys R Us in Deutschland reagierte man ganz erstaunt, sie seien dafür gar nicht verantwortlich, die ganze Werbung kommt komplett aus den USA. Schade! Und letztes Jahr kam der neue Katalog von Hess Natur. Eine schöne Geschichte zum Auftakt bei der Kindermode. Hess unterstützt das Projekt eines integrativen Zirkus bei Hamburg, alle Aufnahmen seien in diesem Zirkus, in dem behinderte und nicht behinderte Kinder zusammen trainieren und auftreten, gemacht. Aha! Endlich greift ein Modemacher das Thema Integration auf und man blättert gespannt, auf der Suche nach Kindern mit einer Behinderung. Trugschluss, Kinder chinesischer und afrikanischer Abstammung ja, aber ein Kind mit Down-Syndrom oder im Rollstuhl? Nichts da. Schade! Und wie reagiert Herr Hess auf meinen enttäuschten Brief? Gar nicht. Erst wenn eine gute Kundin nachfragt, wo denn die Antwort bleibt, schließlich sei das auch ihr Anliegen, ruft mich eine Dame an und nennt nach und nach die schon bekannten, oben erwähnten Argumente. Verspricht jedoch, am Thema dran zu bleiben. Und jetzt kommt Benetton und macht alles gut, verändert mit einem Rundumschlag die ganze Werbelandschaft? Oder nicht? Was hat die Werbekampagne „die sonnenblumen“ bewirkt? Ist das, was wir uns vorgestellt haben, nämlich auch durch die Werbung etwas für die Integration von Menschen mit einer Behinderung zu tun, damit erreicht? Verschiedene Leserbriefe haben wir zu dem Thema zugeschickt bekommen, eine kleine Auswahl drucken wir hier ab. WERBUNG Superschön … Übrigens habe ich mir einen Stapel „Sonnenblumen“-Kataloge von Benetton besorgt. Ich finde ihn superschön. Sehr, sehr schöne Bilder und für einen Modekatalog eine äußerst ungewöhnliche Aufmachung. Ich bin begeistert. Unabhängig davon was die Firma damit bezweckt, finde ich, das ist ein Stück Integration und in keiner Weise unwürdig oder reißerisch. Ganz im Gegenteil. Für die sonst wesentlich provokanteren Benetton-Aktionen ist der Katalog sehr einfühlsam gestaltet. Dass in Versandhauskatalogen Menschen mit Behinderung dargestellt werden sollten, finde ich schon lange wünschenswert, und hier ist der Beweis, dass man das auf sympathische, originelle und auch ästhetische Weise verwirklichen kann. Oder werden etwa Produkte, die nicht von den üblichen Models präsentiert werden, weniger gekauft? Manche Menschen sind vielleicht von solchen Bildern schockiert. Weil sie sie nicht gewohnt sind, weil die meisten Menschen mit dem Begriff „Behinderung“ nichts Positives verbinden, weil sie keinen Kontakt haben mit Menschen mit einer Behinderung. Deshalb finde ich Integration so wichtig. Damit es zur Gewohnheit wird, Behinderungen zu sehen, damit es zur Gewohnheit wird, vor der Behinderung den Menschen zu sehen. Vor der Geburt unserer Tochter wäre ich wahrscheinlich schockiert gewesen, aber ich bin es jetzt schon gewöhnt und deshalb kann ich gleich das Lachen, die Liebe, die Fröhlichkeit und die Mode sehen, ja fast schon eine heile, schöne Werbewelt – ein Stück Normalität! Sieglinde Morawetz, Augsburg Klasse! Ich habe mir heute (aufgrund des Sternberichts) den neuen Benetton-Katalog besorgt. Man ist von denen ja einiges an provokanter Werbung gewohnt, aber zu dem Katalog kann ich wirklich nur sagen: Klasse! Ich höre zwar auch schon wieder die Stimmen derer, die das Ganze verurteilen (ob das die sind, die sonst immer monieren, dass Behinderte in unserer Gesellschaft versteckt werden?), kann selbst aber nur Positives in dieser Aktion sehen: Behinderte werden (mit ex- zellenten Fotos) normal dargestellt, als normaler Teil unseres Lebens. Und Behinderung ist eben nicht nur geprägt durch Schmerz, Trauer, Unglück, die Bilder sagen genau das Gegenteil (wobei das sogar eher der Wahrheit entspricht als die normalen Werbebilder, die uns täglich um die Ohren – pardon Augen gehauen werden. Mit Behinderten Geld verdienen – so einer der vorweggenommenen Vorwürfe im Sternbericht. Na und? Es wird doch auch sonst dauernd Normalität gefordert. Dann können Behinderte auch in der Werbung gezeigt werden. Und Models verdienen halt Geld und man verdient an ihnen. „Normaaahl“, wie man im Ruhrpott zu sagen pflegt. Behinderte gehören zu uns (jedenfalls statistisch und realistisch gesehen mehr als diese gut gebauten, makellosen, mit Top-Gebissen ausgestatteten idealgewichtigen Supermodels, die uns die Werbung ansonsten bietet. Aus dem Internet, Bernd Schnell, Radevormwald Prima, sehr schön, aber … Die Fotos (insbesondere die Coverbilder) sind größtenteils sehr positiv ansprechend und strahlen zumeist eine fröhlich-liebevolle Atmosphäre aus. Alles sind bildlich individuelle „Charakterdarstellungen“. Der einleitende Text von S. Tamaro spricht an, zeigt Bemühen um Sensibilität. Benetton wird seinem Firmenanspruch „united colors“ originell in mehrfacher Hinsicht gerecht: visuell und gedanklich werden hier auch verschiedene bunte Lebensweisen, Lebenssituationen bzw. Lebensentwürfe vorgestellt, ohne dabei ständig den Firmennamen ins Spiel zu bringen (vom Standpunkt der Firmenwerbephilosophie sehr geschickt gemacht, diese Verknüpfung!). Der Katalog gibt gleichzeitig eine Realität und eine „künstliche, besondere, heile Wirklichkeit wieder, denn es gibt die hierin abgebildeten Menschen und diese konkrete Einrichtung, auch wenn sie sicher nicht immer so fröhlich aussehen und auch ihre Lebenssituation und ihre Lebensumstände leider (manch- mal mag man vielleicht auch denken Gott sei Dank) nicht mit denen der Durchschnittsbevölkerung vergleichbar sind; auch hierin gleicht der Katalog übrigens sonstigen Modekatalogen auf sehr „ambivalentnormale Weise … Positiv bewerte ich auch, dass Benetton überhaupt sich auf diese Begegnung eingelassen hat, denn sie wird bei allen Beteiligten nachwirken, davon bin ich überzeugt. Bei sehr genauem Lesen der Texte und Betrachten der Bilder werden viele Nuancen sichtbar, die einerseits Mut machen, andererseits auch traurig machen oder zumindest nach weiteren Bedingungszusammenhängen fragen lassen können. Der Katalog vermittelt insofern auch „Normalität“, indem er alles andere als eindeutig zu bewerten ist … und (nicht nur Insider solcher Themen) zur Diskussion herausfordert, und das empfinde ich auch als einen eigenen Gewinn. Jetzt zum „Aber“ (was mir persönlich fehlt, wo ich darüber innerlich stolpere bzw. was mir nicht so gefällt): Es wird zumeist ausführlich über die weiteren Lebenshintergründe, Interessen usw. der Menschen ohne sogenannte Behinderungen gesprochen, von den anderen jungen Menschen mit Behinderungen werden zumeist lediglich Name und Alter erwähnt. Vielleicht hätte man auch noch ein wenig mehr, nicht nur im Text, Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 43 WERBUNG sondern auch in Bildsituationen herausstellen können, wo die Bewohner von St. Valetin als selbst bestimmende Akteure ihrer Entwicklung und ihres Lebens sichtbar sind. Manche Fotos wirken von daher eher wie ästhetisch ansprechende Arrangements, dadurch aber zugleich auch wieder auf beklemmende Weise „normal“, denn wie oft werden auch sonst in Katalogen etc. Fotos arrangiert … Auch wenn es nicht die originäre Aufgabe einer Bekleidungsfirma ist, gesellschaftspolitische Reflexionen anzustellen, wenn sie aber durch diese Art des Kataloges sich doch auf dieses Feld begibt, dann hätte ich mir noch mehr Informationshintergrund zum HPZ St. Valetin gewünscht sowie auch einige differenzierte Gedanken zu den Themenbereichen Integration sowie Sondereinrichtungen und warum Benetton sich gerade jetzt hiermit befasst. Trotz allem: ich finde es gut, dass Benetton diesen Katalog gemacht hat. Ich kenne in meinem Umkreis viele Menschen, die den Katalog sehr ansprechend finden und die darüber ins Nachdenken gekommen sind. Ich wünschte mir, dass die an diesen Aufnahmen beteiligten Menschen irgend wie miteinander in Verbindung blieben. Clarissa von Ohnesorg, Darmstadt „… ihnen geht’s dort gut und mir geht’s nichts an“ Gern möchte ich eine Rückmeldung zum Benetton-Katalog „die sonnenblumen“ geben, da diese Werbung doch bei mir und meinem Umfeld so kontroverse Reaktionen ausgelöst hat. Zuerst sah ich das Plakat auf dem Flughafen: ein entzückendes Kind mit Down-Syndrom macht Werbung für Benetton-Klamotten – super! Das haben wir uns schon immer gewünscht, endlich! Später hielt ich das Prospekt „die sonnenblumen“ in der Hand und habe es hoffnungsvoll und begeistert aufgeblättert: nette Bilder, eine tolle Sache … aber je weiter ich kam, desto unzufriedener wurde ich, was soll das, was ist das: doch wohl keine Werbung für Benetton-Klamotten? Ausschließlich behinderte Kinder, die alle aus einem Heim kommen und an den Seiten keinerlei Hinweis auf Art, Größe oder Preis der Kleidung, stattdessen mehr oder weniger seichte Kommentare der Betreuer, Zivis, Ordensschwestern, Eltern. Viele meiner Freunde (keine betroffenen Eltern) konnten meinen Missmut nicht teilen, sie führten mir die ästhetischen, ansprechenden Fotos vor Augen und fanden den Katalog einfach schön. Also gut, dann betrachten wir das als Kunst. Kunst will ja provozieren, Leute zwingen hinzuschauen, wo sie lieber wegsehen möchten. Aber ist es uns, unseren Kindern, unserem Anspruch dienlich? Ich antworte mit einem klaren „Nein“. Wenn Otto Normalverbraucher, der nichts an seiner heilen Welt kratzen lassen will, das Prospekt in die Hand nimmt, wird er viele fröhliche Kinder und Jugendliche in ihrem Umfeld, ihrer heilen Welt sehen. Wird vielleicht noch ein paar passende Kommentare an der Seite lesen (z.B. „die Probleme wurden immer größer … die gesunden Kinder haben sich weiterentwickelt und sie nicht … seit sie in diesem Institut ist, ist unser Leben etwas erleichtert“ oder „Hier gibt es eine soziale Struktur … in der sie verstanden werden, sich wohl fühlen und glücklich sind … wollen unsere normale Welt aufzwingen, in der sie sich nicht zurechtfinden können“ und vieles mehr in diese Richtung) und befriedigt das Prospekt in der Papiertonne entsorgen – prima, sie sind dort, es geht ihnen gut und ihm geht’s nichts an. Ich bin dafür, dass die Selbsthilfegruppe einen Brief an den Fotographen Oliviero Toscani und Benetton schreibt, seine gelungenen Fotos lobt, aber auch die Probleme, die wir damit haben, aufzeigt und den Wunsch nach einem richtigen Benetton-Katalog (d.h. in dem es auch wirklich um die Kleidung geht!) äußert, in dem nicht behinderte und behinderte Menschen nebeneinander und gemeinsam werben, der das normale Miteinander zum Ausdruck bringt! Ein Potential aus hübschen Fotomodellen können wir ja aus unseren Reihen sicher rekrutieren und anbieten, oder? Birgit Bolay, Schwalbach /Ts Vielleicht ist das ein Anfang? Den Benetton-Katalog finde ich so übel gar nicht. Klar, schöner wäre es, wenn Behinderte und nicht Behinderte gemeinsam als Mannequins aufgetreten wären, ganz selbstverständlich, ohne dass es groß ein Thema ist. Aber vielleicht ist das ein Anfang? Die Kinder werden nicht vorgeführt, denke ich. Sie geben sich ganz natürlich, so wie sie sind. Und dagegen kann man nichts sagen. Christa Gast, Königswinter 44 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 WERBUNG Behinderung so hat, dadurch natürlich nicht verändert wird. Der Katalog scheint uns außerdem für die Firma selbst nicht unbedingt von Vorteil zu sein, weil die Kleider nicht attraktiv gezeigt werden. Aber das ist das Problem von Benetton. Erik und Marian de Graaf, Niederlande DS-Plakat im Benetton-Laden? Nein danke! Mit Tabuthema in die Schlagzeilen Ich hätte nichts dagegen, wenn meine Tochter mit Down-Syndrom z.B. in einem Werbeprospekt eines Brillenherstellers abgebildet würde, weil ihr ein bestimmtes Gestell besonders gut steht. Das wäre für mich Normalität, weil ihre Behinderung dabei ohne Bedeutung wäre. Die im Benetton-Prospekt abgebildeten Kinder und jungen Erwachsenen sind wegen ihrer Behinderung fotografiert worden und der Katalog erweckt den Eindruck, man brauche nur das Benetton-Outfit, um anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Solange behinderte Menschen nach dem neuesten Schrei gekleidet und versonnen lächelnd in Erscheinung treten, ist es für jeden einfach, behindertenfreundlich oder gar integrativ zu denken. Aber wenn einem dann im Urlaub ein behinderter Mensch unartikuliert oder sabbernd begegnet, ist es mit der Toleranz vorbei und man schreit nach Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreude. Das ist Realität. Um es auf den Punkt zu bringen: Benetton hat es wieder einmal geschafft, mit einem Tabuthema in die Schlagzeilen und in aller Munde zu kommen. Dabei geht es der Firma nicht um die Randgruppe selbst, sondern einzig und allein um Profit und Werbewirksamkeit. Dazu sollten uns unsere behinderten Kinder zu schade sein. Ulrike Conrad-Kirschnereit, Remscheid Kommentar aus den Niederlanden: Darauf hat keiner von uns gewartet! Down + Up, die Zeitschrift der niederländischen Stichtung Down’s Syndroom, schreibt u.a. folgendes: „Wir verstehen Benetton nicht. Die Fotos, die gezeigt werden, wurden alle in einer großen Sondereinrichtung in Deutschland aufgenommen und vermitteln ein Bild der Behindertenfürsorge, so wie die vor Jahren war, komplett mit Ordensschwestern. Die Kinder sind äußerst stereotyp hingestellt, in unattraktiven Posen hingesetzt, übertrieben anhänglich und musikalisch. Als Firma, die bestimmte Produkte verkaufen möchte, wirbt man doch mit Models, die eine besondere Ausstrahlung haben, und sorgt man dafür, dass die Produkte möglichst vorteilhaft präsentiert werden. Das hat Benetton nicht getan und sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, ihren Modellen Kleider anzuziehen, die passen. Ärmel und Hosenbeine sind unordentlich aufgekrempelt, sodass die kurzen Arme und Beine erst recht auffallen. Nebst einigen wirklich netten Aufnahmen gibt es welche, die total unscharf sind, der Grund ist für uns unverständlich, oder welche, wovon wir gar nicht verstehen, weshalb gerade die ausgewählt worden sind. Auch die Texte entsprießen dem gleichen Geist. Darauf hat keiner von uns gewartet! Insgesamt glauben wir jedoch, dass die Benetton-Aktion, trotz der altmodischen Bilder und trotz vieler Stereotypen in den Texten, vielleicht doch ein wenig der Emanzipation der behinderten Menschen nützen kann, obwohl das schon bestehende Bild, das „man“ von Dass es der Firma tatsächlich nicht um die Randgruppe behinderter Menschen geht, erfuhr Edith Reich in Erlangen. Sie war mit Plakaten zu der Ausstellung „Leben mit Down-Syndrom“ unterwegs, mit dem Auftrag, sie überall in der Innenstadt anzubringen. Wer so etwas mal gemacht hat, weiß, welch eine mühselige und frustrierende Arbeit das sein kann. „Nein, tut mir leid, da kann ja jeder kommen!“ Unweit der Universitätsbibliothek, wo die Ausstellung untergebracht ist, ist ein Benetton-Geschäft. Nun, wenn nicht dort, wo soll man dann die Dinge noch hinhängen? Seit dem Katalog und den Plakaten weiß jeder: Benetton hat behinderte Kinder gern. Benetton macht da was! Schon sicher, wieder ein Plakat unterbringen zu können, steuerte Edith schnurstracks den Laden an. Die junge Verkäuferin war überfordert. „Nein, sie dürfe nichts aufhängen“, aber immerhin fragt sie telefonisch bei der Geschäftsleitung in München an. Da heißt es, dass in den nächsten Tagen jemand von der Geschäftsleitung vorbeikäme, das Plakat begutachten und dann entscheiden würde. Also abwarten. Bei wiederholtem Kontrollgang wurde das Plakat nicht gesichtet, bei Nachfrage einige Tage später hieß es dann, die Geschäftsleitung habe es abgelehnt. Begründung: unbekannt! Natürlich passiert einem das auch in anderen Geschäften, aber von Benetton hätte man gerade jetzt, wo die Firma noch mitten in ihrer sonnenblumenKampagne steckt, eine andere Reaktion erwartet. Da muss man einfach Frau Conrad beipflichten, die ganze Kampagne dient nur dem Zweck, dass Benetton wieder in die Schlagzeilen gerät und daraus Profit schlägt, für sich! Oder wurde das Plakat abgelehnt, weil die beiden Personen mit Down-Syndrom darauf keine Benetton-Kleider tragen? Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 45 KUNST Cast in Images – in Bildern gegossen Szenen aus dem Neuen Testament in fotografischer Bearbeitung durch den Künstler Rauf Mamedov Ein einmaliges Gemeinschaftsprojekt von vier russischen Künstlern wurde kürzlich in den Niederlanden zum ersten Male der Öffentlichkeit vorgestellt. In der Galerie Ilja Zakirova in Heusden konnte man von September bis November diese besondere Ausstellung bewundern. Es betrifft eine fotografische Bearbeitung von neutestamentlichen Szenen, bei denen Menschen mit Down-Syndrom die Akteure sind. 46 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Frau Zakirova entdeckte die zwölf Fotos im Format 80 mal 60 Zentimeter in Moskau und holte sie in ihre Galerie in den Niederlanden. Bei diesem besonderen Projekt wurden in postmoderner Art Theater, Fotografie, Kunstgeschichte, Theologie und Computertechnik kombiniert, um sieben Szenen aus dem Neuen Testament in Fotos zu verbildlichen. Mit einer hervorragenden Fototechnik ist es den Künstlern gelungen, die dramatischen Szenen wiederzugeben. Vier der sieben Szenen sind so genau wie möglich einigen berühmten Gemälden nachempfunden. Das größte Werk betrifft ein Polyptychon, der das Letzte Abendmahl von Leonardo da Vinci darstellt (siehe Foto oben für einen Ausschnitt davon); es folgt das Diptychon mit der Annunciatie von Jan van Eyck, wie man es kennt von seinem Altar in Gent, der Verrat des Judas, ein Gemälde des italienischen Künstlers der Frührenaissance, Giotto, und ein Ecce Homo aus dem 19. Jahrhundert von dem russischen Maler Nicolai Ge. Die drei anderen Bilder sind Szenen, die zwar in der gleichen Atmosphäre wie die oben genannten gestaltet sind, die aber dem Geist des Regisseurs und Initiators des Projekts, Rauf Mamedov, entstammen. So hat er eine Epiphanie (Gotteserscheinung), eine Geburtszene und das Wachen im Garten Gethsemane in Szene gesetzt. Das Projekt kam zustande durch eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Mamedov, Designer Jevgeni Semsenov, Fotograf Dmitri Preobragensky und Computerdesigner Dmitri Krainov. Sie haben ein Jahr lang intensiv zusammengearbeitet. Jede Figur wurde einzeln fotografiert, wobei der Regisseur während der Fotosessions als Mitspieler die gewünschte Emotion bei den Darstellern hervorzurufen versuchte. Mit Hilfe des Computers wurden die Fotos digital zu der richtigen Konstellation komponiert. Mit diesem besonderen Werk sprengt der russische Künstler den Rahmen seiner eigenen kulturellen Identität. Durch Benutzung weltberühmter Szenen in Verbindung mit Personen, die das DownSyndrom haben, erreicht er diese Allgemeingültigkeit. Zugleich spiegeln diese Bilder den postmodernen Charakter unserer Kultur wider. Indem er die Kunstgeschichte als seine einzige Quelle benutzt, ist dasjenige, was er dem Kunstwerk hinzufügt, die Reflexion darauf mit den Mitteln des späten 20. Jahrhunderts. Das gibt dem Werk einen heutigen und allgemeingültigen humanistischen Wert. (Text übernommen aus der zu der Ausstellung gehörenden Broschüre) KUNST Willibald Lassenberger – ein Künstler aus Kärnten Max Kläger W illibald Lassenberger wurde 1952 geboren und wuchs in einer Landarbeiterfamilie in Unterkärnten auf. Nachdem Down-Syndrom diagnostiziert worden war, verbrachte er einige Jahre in verschiedenen Heimen, ohne dabei in eine Schule zu gehen. Im Jahre 1973, also in seinem 21. Lebensjahr, fand er Aufnahme und Arbeit im Heim und in der Werkstatt der Evangelischen Stiftung de La Tour in Treffen bei Villach, Kärnten. Dort fand er Betreuer, die nach einigen Jahren seine zeichnerische Begabung erkannten und förderten. Seit 1980 begleitet und analysiert Prof. Dr. Kläger von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg seinen Lebensweg und seine künstlerische Entwicklung. Seine Malereien und Zeichnungen, deren Qualität sich im Laufe der Jahre stetig steigerte, wurden in vielen Einzelund Gruppenausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Auch Verkaufserfolge stellten sich bald ein. Im Jahre 1993 gestaltete er ein religiöses Auftragswerk für den Andachtsraum eines Seniorenheimes in Langenau bei Ulm. Ein erster Höhepunkt seiner Karriere als Künstler zeigte sich darin, dass eines seiner Bilder in den Grundbestand des Museums für Naive und Außenseiterkunst in Zwolle, Niederlande, aufgenommen wurde und ihm gleichzeitig – zusammen mit dem ebenfalls hoch begabten Down-Syndrom-Künstler Tobias Jessberger aus Bochum – eine Einzelausstellung gewidmet wurde. Die Fähigkeit, bildnerische Probleme, die während des Malens auftreten, zu lösen, hat mit Sicherheit auch dazu beigetragen, dass Willibald Lassenbergers Lebensqualität sichtbar zugenommen hat. Er hat sich in einen musischen Menschen verwandelt, dessen Sprechwilligkeit und KommunikationsbedürfBilderzyklus für die Kapelle im Seniorenheim „Sonnenhof“ in Langenau bei Ulm Übergabe der Verleihungsurkunde und des Verdienstkreuzes des Landes Kärnten an Willibald Lassenberger nis enorm zugenommen haben. Obschon bei einem gewissen Prozentsatz der Menschen mit Down-Syndrom im vierten Lebensjahrzehnt ein Niedergang der Fähigkeiten eintreten kann, ist dies bei Willibald Lassenberger bisher noch nicht der Fall, wenngleich die Zahl der erstellten Werke sich gemindert hat. Ein zweiter Höhepunkt im Leben des Willibald Lassenberger hat sich im August 1998 ereignet, als ihm das Ehrenzeichen (Verdienstkreuz) des Bundeslandes Kärnten in einer eindrucksvollen öffentlichen Zeremonie von der Ministerin für Soziales verliehen wurde. Somit hat das künstlerische Lebenswerk des Willibald Lassenberger eine dreifache Bestätigung und Anerkennung gefunden: 1. durch eine wissenschaftliche Veröffentlichung in Form eines Buches, das sich ausschließlich mit seinem Werk beschäftigt (siehe Literaturliste) 2. durch die Aufnahme eines seiner Bilder in den Grundbestand des international bekannten Museums in Zwolle, Niederlande 3. durch die Verleihung des Verdienstordens hat sich auch die staatliche Anerkennung seines künstlerischenWerkes eingestellt. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 47 KULTURELLES Buch zum Thema Die Vielfalt der Bilder Kunstwerke entwicklungsbehinderter Menschen Hrsg. Max Kläger Verlag Konrad Wittwer GmbH, 1993 Preis: DM 39,80 ISBN 3-87919-242-1 Aus dem Klappentext: „Kunstsachverständige aus Europa und Übersee stellen Kunstwerke entwicklungsbehinderter Menschen vor. Auf unkonventionelle Art, unter Nutzung einer vorwiegend phänomenologischen Betrachtungsweise, werden die Bedeutungen und Symbolgehalte dieser Bilder in den Werken selbst gefunden. So kann der kunstinteressierte Leser an der Schönheit und den Bedeutungs- inhalten dieser Malereien, Zeichnungen und Collagen teilhaben. Die Vielfalt der Bilder – es werden insgesamt 34 Werke von 21 behinderten Künstlern in farbigen Abbildungen gezeigt – entspricht einer Vielfalt der Betrachtungsweisen. Die Bildanalysen der 15 Sachverständigen aus sieben Ländern vermitteln dem Leser einen Eindruck vom breiten Spektrum kunstkritischer Begriffsweisen. Solche multinationalen Betrachtungen, die vornehmlich auf den ästhetischen Wert der Bildgestaltung zielen, sind neuartig und gleichzeitig richtungweisend für eine zeitgemäße, Grenzen überschreitende Einschätzung ästhetischer Kreativität bei entwicklungsbehinderten Menschen. Dieses Buch wendet sich an alle diejenigen, die am Leben mit behinderten Menschen Anteil haben, Fachleute und Laien, Betroffene und Angehörige.“ Krampus-Maske Ölkreide auf Papier, 1998 Literatur zum Werk Willibald Lassenbergers Kläger, M. „Two Case Studies of Artistically Gifted Down Syndrome Persons“. Visual Arts Research, vol 22, 2, 1996, S. 35-46 Arnheim, R. „Artistry and Retardation“. The Split and the Structure. Berkely University of California Press 1996, S. 126-132 Kläger, M. (Hrsg.). Die Vielfalt der Bilder. Stuttgart: Witwer 1993 Kläger, M. Krampus – Die Bilderwelt des Willibald Lassenberger. Baltmannsweiler: Schneider 1992 Kläger, M. „Geistig behinderte Menschen als künstlerisch Tätige“. Höss (Hrsg.): Künstler aus Stetten. Stuttgart: Witwer 1987, S. 20-38 Kläger, M. „Die Kunst Willibald Lassenbergers“. Geistige Behinderung, 1986, S. 50-58 Videofilme der Landesbildstelle Baden Rastatter Str. 25, 76199 Karlsruhe Serie: Willibald Lassenberger – ein downsyndromer Künstler aus Kärnten, Nr. 4261770 - Nr. 421773 Dem behinderten Kind Vermögen vererben Barbara Brauck Fürs Kind vorsorgen. Das ist besonders für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom wichtig. Wir legen Wert darauf, dass unsere behinderten Kinder nach dem Tod der Eltern nicht mittellos dastehen, sondern in den vollständigen Genuss ihres Erbes kommen. Doch steht dem das deutsche Erbrecht zunächst entgegen. Zumindest bei Behinderten, die in Einrichtungen leben und arbeiten, die vom Sozialhilfeträger unterstützt werden, beispielsweise in betreuten Wohnungen und in Werkstätten für Behinderte. Was können Eltern machen? In diesen oben erwähnten Fällen hat erst einmal der Sozialhilfeträger Zugriff auf das ererbte Vermögen. Dabei kann er nicht nur die aktuell erbrachten Leistungen in Rechnung stellen, sondern das plötzlich vermögende Kind auch für z.B. darlehensweise gewährte Leistungen zur Kasse bitten, die vor dem Tod 48 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 der Eltern erbracht wurden. Der Sozialhilfeträger leitet die Erbschaftsansprüche des Kindes auf sich über. Der rechtliche Grund dafür ist einfach: Sozialhilfe steht nur dem zu, der sich selbst nicht helfen kann, d.h., sie wird nachrangig gewährt. Vorrangig muss der Bedürftige sein eigenes Vermögen einsetzen. Davon ausgenommen ist nur RECHT der Kern des Privatbesitzes: z.B. ein angemessenes Hausgrundstück und kleineres Barvermögen. So kommt es, dass Behinderte die Kosten für ihre Betreuung unter Einsatz ihres Vermögens zumindest teilweise selbst tragen müssen. Für das Kind, das erbt, kann das bedeuten: Sein Vermögen geht verloren, ohne dass das Kind daraus „finanzielle Vorteile“ ziehen kann. Denn die Leistungen der Sozialhilfe hätte es auch bei völliger Vermögenslosigkeit erhalten. Unter Umständen bleibt für Wünsche und Bedürfnisse, die über das Maß der Sozialhilfe hinausgehen, vom Erbe nichts übrig. Als die Eltern noch lebten, verfügten sie über Geld für besondere Ausgaben. Das Kind hat solche Möglichkeiten manchmal nicht mehr. Es geht ihm also letztlich finanziell schlechter als vorher, obwohl es geerbt hat. Eltern, die ihr Testament planen, empfinden das als ungerecht. Doch kann dem Sozialhilfeträger der Zugriff auf das Vermögen verwehrt werden, wenn die Eltern geschickte testamentarische Verfügungen treffen. Solche Verfügungen wurden vor einiger Zeit von einigen Juristen als sittenwidrig angesehen, da die Verfügungen nur zu dem Zweck erstellt würden, den Sozialhilfeträger zu hintergehen. Doch hat der Bundesgerichtshof solche Verfügungen grundsätzlich als zulässig angesehen. Schließlich bestehe die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers nicht erst seit dem Tod der Eltern, sondern bereits vor dem Erbfall. Zudem stehe der Sozialhilfeträger nach dem Tod der Eltern nicht schlechter da als vorher, da er auch vorher nicht auf das Vermögen zugreifen konnte. Wie lässt sich verhindern, dass das behinderte Kind nach dem Tod der Eltern mittellos dasteht? Der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das Vermögen lässt sich durch ein geschicktes Testament zumindest abmildern, in einigen Fällen sogar ganz vermeiden. Auch eine Übertragung von Vermögen oder eine Schenkung an Geschwister des behinderten Kindes kann ein Ausweg sein. Testamentsgestaltung Die Eltern können testamentarische Regelungen treffen, die von der gesetzlichen Erbfolge abweichen. Eine Möglichkeit ist die genaue Teilungsanordnung. Darin schreiben die Eltern fest, welche Teile des Vermögens die einzelnen Erben erhalten sollen. Das kann so formuliert werden, dass das behinderte Kind nur Werte erbt, auf die der Sozialhilfeträger keinen Zugriff nehmen darf. Das sind beispielsweise ein Hausgrundstück, das vom Erben bewohnt wird, oder Bausparvermögen für behinderungsbedingten Wohnbedarf. Ebenso können alle Gegenstände, die für die Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind, ohne Risiko vererbt werden. Bei dieser Lösung ist darauf zu achten, dass der Wert des Vermögens, das dem behinderten Kind zugeschrieben wird, mindestens der Höhe des Pflichtteils entsprechen muss. Der Pflichtteil entspricht dem halben gesetzlichen Erbteil. Eine weitere Möglichkeit ist es, das behinderte Kind als Vorerben einzusetzen. Eine andere Person, möglicherweise Schwester oder Bruder, wird dann als Nacherbe eingesetzt. Das behinderte Kind bleibt bis zu seinem Tod (Vor-) Erbe der Eltern. Nach seinem Tod erhält der Nacherbe das Vermögen. Ein Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das Erbe würde auch das Vermögen des Nacherben beschneiden. Und das ist nicht zulässig. Der Nacherbe gilt nicht als Erbe des behinderten Kindes, sondern als Erbe der Eltern. Deshalb kann auch der Nacherbe vom Sozialhilfeträger nicht zur Kasse gebeten werden. Schließlich erbt er nicht das Vermögen des behinderten Kindes – und damit mögliche Regressansprüche –, sondern das Vermögen der Eltern, wenn auch über einen Umweg. Ganz ohne Tücken ist auch diese Lösung nicht. Der Sozialhilfeträger darf nämlich bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit des behinderten Kindes auch das Vermögen berücksichtigen, das der Nacherbschaft unterliegt. Dem kann man aber aus dem Weg gehen, indem das Kind als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt wird. Dadurch wird die Verfügungsbefugnis des Kindes über das Vermögen beschränkt, und der Sozialhilfeträger darf das Vorerbe-Vermögen nicht berücksichtigen. Bei der Vorerbe/Nacherbe-Konstruktion sollte zusätzlich ein Testamentsvollstrecker eingesetzt werden, der das Vermögen verwaltet. Nur er und nicht der Vorerbe hat Zugriff auf das Vermögen. Er ist allerdings verpflichtet, im Interesse des Erben zu handeln. Da das Vermögen, das der Testamentsvollstreckung unterliegt, von möglichen Gläubigern nicht im Wege der Zwangsvollstreckung verwertet werden kann, hat auch der Sozialhilfeträger keinen Zugriff. Eine Einschränkung bilden nur die sogenannten Früchte des vererbten Vermögens, beispielsweise Zinsen und Mieteinnahmen. Die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers ist auch deshalb sinnvoll, weil das behinderte Kind oftmals zur eigenen Vermögensverwaltung nicht in der Lage ist. Diese Aufgabe wird dann vom Testamentsvollstrecker übernommen. Um Nachteile zu vermeiden, ist es daher sinnvoll, frühzeitig geeignete Regelungen zu treffen. Barbara Brauck, Rechtsanwältin, ist selbst Mutter eines Sohnes mit DownSyndrom (1 Jahr) und lebt in Nürnberg. Sie befasst sich u.a. mit Erbrecht, insbesondere für Behinderte und ihre Angehörigen. Literaturtipp zum Thema Titel: Testamente zugunsten von Menschen mit geistiger Behinderung Autoren: Renate Heinz-Grimm, Christoph Krampe, Bodo Pieroth Bericht über ein fachlich hochrangig besetztes Kolloquium zur Frage, wie Eltern ihre Testamente gestalten können, um ihren behinderten Kindern eine möglichst optimale Absicherung zu gewährleisten. Aktualisierter Anhang mit neuem Urteil, verbesserten Testamentsentwürfen, Literaturauswahl und Register. 3. aktualisierte Auflage 1997, DIN A5, 256 Seiten ISBN 3-88617-201-5 Preis DM 39,50 Bestelladresse: Bundesvereinigung Lebenshilfe, Raiffeisenstraße 18, 35043 Marburg Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 49 DS-WOCHE Deutsche Down-Syndrom-Woche 1998 In der ersten Oktober-Woche 1998 fand wieder bundesweit die Aktion rund um das Down-Syndrom statt. Aus den vielen Bestellungen für Info-Material zur DSWoche können wir ja schließen, dass es wieder überall in Deutschland Aktionen gab. Trotzdem bekamen wir nicht so viele Reaktionen wie im letzten Jahr. Es scheint, dass so mancher vergessen hat, uns davon zu berichten. Das lässt sich aber zu jeder Zeit nachholen! Auch wenn wir nicht alles in Leben mit Down-Syndrom veröffentlichen können, in unserem Archiv im neuen DS-InfoCenter wird alles gesammelt und geordnet. Es ist wichtig, dort eine große Informationssammlung zum Thema Down-Syndrom zu haben, damit sich Besucher, dazu gehören natürlich auch Journalisten, ein Bild vom „Down-Syndrom heute“ machen können. Schicken Sie uns Fotos von Ihrem Infostand und Kopien von Artikeln, die in Ihrer Zeitung erschienen sind. Besonders gute Ideen können durch die Zeitschrift verbreitet und so bei der nächsten Aktion auch von anderen aufgegriffen werden. V erschiedene Gruppen organisierten ein ganzes Wochenprogramm mit Vorträgen, Ausstellungen oder Theatervorstellungen. In manchen Städten gab es am Sonntagmorgen eine Filmmatinee mit dem Film „Am Achten Tag“ oder einen Gottesdienst unter dem Motto „Ein Geschenk Gottes in einer besonderen Verpackung“. Gut gefiel uns eine Idee aus Bensheim und Herrenberg, wo während der DownSyndrom-Woche eine ganze Serie Artikel in der Tageszeitung erschien. Jeden Tag wurde zu einem anderen Thema geschrieben: das Porträt eines Teenagers, ein Interview mit einem Kinderarzt, ein Bericht über eine Ausstellung mit Bildern von Menschen mit DownSyndrom oder über die Arbeit der Frühförderung. Eine kleine Auswahl aus den Berichten zur Deutschen Down-Syndrom-Woche finden Sie auf diesen Seiten. 50 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 In vier Blocks von je zehn Minuten hatten wir die Gelegenheit, über DownSyndrom zu informieren. In den Sendepausen konnten uns Zuhörer im Studio anrufen. Die Sendung hören im Schnitt 80.000 Zuhörer/innen. Am 7. Oktober 1998 erschien ein ausführlicher, dreispaltiger Artikel „Menschen mit Down-Syndrom wollen akzeptiert werden“ in der „Main Post“, die immerhin 520.000 Leser/innen erreicht. Am 8. Oktober nochmals ein Interview durch Radio Charivari, am 10. Oktober dann unser Infostand in der Würzburger Fußgängerzone, leider machte das Wetter da nicht mit. In der Oktoberausgabe der Würzburger Eltern- und Kind-Zeitschrift „MamaMia“ wurde ganzseitig über Down-Syndrom berichtet und auf der Kinderbuchseite das Buch „Sei nett zu Eddie“ besprochen. Zu guter Letzt wurden wir am 22.Oktober 1998 noch ins Regionalfernsehen „TV Touring“ eingeladen und 15 Minuten live zur besten Abendzeit interviewt. Auch Tamara war dabei, die medienwirksam die Kameras für sich einnahm, während Andrea und ich Infos zum Down-Syndrom gaben und mehr Integration forderten. Wolfgang Trosbach Würzburg Unsere Würzburger Down-SyndromWoche stand vor allem unter dem Motto, lokale Medienöffentlichkeit für DownSyndrom und unsere – für die Größe von Würzburg sehr kleine – Selbsthilfegruppe zu gewinnen. Nach der Woche können wir sagen: Wir sind perplex ob der Ausbeute. Wir hätten nicht erwartet, dass es so einfach ist, in die regionalen Medien zu kommen. Erfolg bei den regionalen Medien Frau Andrea Kiesekamp, Mutter der dreieinhalbjährigen Tamara mit DownSyndrom, hatte ganz gezielt von allen lokalen Medien nur die Ansprechpartner für „Soziales“ angefaxt und um Interviews /Artikel im Rahmen der DownSyndrom-Woche gebeten. Zuerst reagierte der regionale Rundfunksender Charivari und lud Andrea und mich am 28. September ins Studio. Bensheim In der Bensheimer Lokalzeitung erschien eine ganze Serie über das Down-Syndrom. Ein Artikel „Helen Steinmann hat ein Chromosom mehr“ erzählt ausführlich und sehr positiv über das Leben der vierjährigen Helen und ihrer Familie. Zusätzlich noch eine Seite Wissenswertes, die der Journalist nicht selbst zusammengestellt hat, sondern fix und fertig aus dem Internet holte. Keine schlechte Idee, denn auf der InternetHomepage des Arbeitskreises DownSyndrom e.V. aus Kirchlinteln finden sich selbstverständlich stets aktuelle Infos. So ist die Gefahr gebannt, dass bei der Wiedergabe von wichtigen Daten etwas danebengeht! Andrea Steinmann DS-WOCHE Hoyerswerda Das Programm der Aktionswoche „Für Menschen mit Down-Syndrom“ in Hoyerswerda kann als Beispiel dienen, wie man auf die Woche aufmerksam machen kann. Folgende Ankündigung wurde verschickt: Wir wollen über das Leben mit DownSyndrom informieren und um Verständnis und Akzeptanz werben. Wir versuchen, mit vielen Mitmenschen ein gutes Gespräch zu führen. Wir bitten die Redaktion der Lausitzer Rundschau, den Wochenkurier und Hoy-TV um Veröffentlichung von Text- und Filmmaterial zum Down-Syndrom. Wir freuen uns über Buchlesungen der Bibliotheken aus Büchern, die von betroffenen Familien berichten. Wir werben für Teilnehmer und sind selbst aktive Diskussionspartner. Wir laden Schulklassen zu uns ein oder sind selbst Gast in Schulen, um über Down-Syndrom und die Rolle der Geschwister der betroffenen Menschen zu sprechen. Wir zeigen den Videofilm „Leben so normal wie möglich“ und leihen gerne auch Bücher zum Thema aus. Wir kopieren unseren Info-Text und geben ihn an viele Menschen weiter. Wir sprechen mit Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl und fordern dazu auf, für behinderte Menschen ganz persönlich aktiv zu werden. Wir laden Gäste zu unseren kleinen Veranstaltungen ein, damit sie einmal Menschen mit DownSyndrom erleben können. Wir zeigen immer Geduld mit unseren Mitmenschen! Wer weiß, welche Einstellung wir Behinderten gegenüber hätten, wenn wir nicht selbst betroffen wären? Unser Bemühen wird in der Zukunft Früchte tragen. Theresia Bialas Königswinter und Karlsruhe Enttäuschte Berichte kamen von zwei Müttern, einmal aus Königswinter und einmal aus Karlsruhe. In Königswinter war eingeladen worden zu einer Vorlesestunde in einer Bibliothek. Frau Gast hatte das Buch Albin Jonathan in den Mittelpunkt gestellt. Leider kamen nur Fotoschau über Maximilian in Bubenreuth sehr wenige Kinder. Immerhin berichtete die Presse über die Veranstaltung. Zu einem Filmabend mit „Am Achten Tag“ hatte Frau Heitmann in den Integrationskindergarten, in dem sie arbeitet, eingeladen, und obwohl es ein großer Kindergarten ist mit über 100 Kindern, kamen an diesem Abend nur zwei Personen! Enttäuschend stellt sie fest: „Na ja, so war das bei uns!“ Bubenreuth Dies bedeutet nicht, dass Einzelkämpfer nichts erreichen. Frau Striese aus Bubenreuth, in der Nähe von Erlangen, hat jetzt schon zum zweiten Mal eine kleine Fotoschau über ihren Sohn Maximilian organisiert. Dieses Mal gab es sogar zwei Ausstellungsorte. Einmal konnte man in der Sparkasse am Ort die Ausstellung „Maximilian und seine Bubenreuther Freunde“ bewundern. Zeitgleich wurde im evangelischen Gemeindezentrum die Fotosammlung „Ein Kind in unserer Gemeinde wächst heran“ gezeigt. Hochtaunus-Kreis Eine sehr positive Erfahrung machte die Selbsthilfegruppe im Hochtaunus. Gut vorbereitet wurde die Filmvorführung von „Am Achten Tag“ zu einer erfolgreichen Veranstaltung. Aus dem Bericht von Sabine Hirte und Christina Vest: „… Das von uns gemietete Kino in Friedrichsdorf/ Köppern durften wir in unserem Sinne in einen Ort der Begegnung verwan- deln. Es gab viele schöne Fotos von unseren Kindern zu bewundern. Die Gemälde von Eva Sommerfeld, einer jungen Frau mit Down-Syndrom, schmückten die Wände; Sekt, Saft und Knabbereien für ein anschließendes Zusammensein standen bereit. Was wir dann aber, trotz aller guten Vorarbeit, nicht zu hoffen gewagt hatten, trat ein: Die Anzahl der Gäste sprengte fast die räumlichen Möglichkeiten. Wir waren völlig überwältigt von der unerwartet großen Zahl von Menschen (ca. 200), die unserer Einladung gefolgt waren. Der Film tat sein Übriges. Die Zuschauer ließen sich darauf ein, einen Menschen mit Down-Syndrom zu erleben, seine Fähigkeiten und seine Nöte zu spüren. Die anschließenden Gespräche machten deutlich, dass nicht nur Betroffenheit vorherrschte, sondern auch ein gewisses Verständnis für die Lebenswirklichkeit eines Menschen mit geistiger Behinderung transportiert worden war. Wir alle konnten erfahren, dass neue Sichtweisen, ein veränderter Blickwinkel gewachsen sind, die in Zukunft in der Begegnung und Auseinandersetzung weiterwirken werden. Für uns als Gruppe bleibt das sichere Gefühl, aufgeschlossene Menschen erreicht zu haben, und dem Ziel, unseren Kindern und damit allen Menschen mit besonderen Bedürfnissen den Weg zu bereiten, wieder ein kleines Stück näher gekommen zu sein.“ Sabine Hirte und Christina Vest Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 51 DS–WOCHE Friedrichshafen Frau Bianka Mosch vom Förderverein Down-Syndrom e.V. organisierte auch dieses Jahr wieder Verschiedenes zur Down-Syndrom-Woche. So waren z.B. einige Mütter mit ihren Kindern mit Down-Syndrom zu Gast in einem Gymnasium in Friedrichshafen. Schüler der 13. Klasse bekamen so die Gelegenheit, den betroffenen Eltern Fragen über das Down-Syndrom zu stellen und gleichzeitig die Kinder „live“ zu erleben. Das Thema war von den Lehrern vorbereitet, der Besuch eine schöne Ergänzung zum theoretischen Wissen, das sich meistens beschränkt auf Fakten über das Zustandekommen der Trisomie 21. Frau Mosch hat auch einer Volksschule und einer Hauptschule ähnliche Besuche abgestattet. Einfach ist eine solche Veranstaltung nicht und es braucht eine gute Vorbereitung in Absprache mit den Lehrern, damit der Besuch für alle sinnvoll und für niemand unangenehm ist. Nicht gelungen war es, eine KinderModenschau zu organisieren mit der Firma Benetton: Kinder mit Down-Syndrom präsentieren Benetton-Kleider, wie in der Kampagne „die sonnenblumen“. Das machte Benetton nicht mit! Eine Ballonfahrt über den Bodensee (die der Förderverein gespendet bekam) war der Hauptgewinn bei einem Preisausschreiben. Und ein so verlockender Preis zieht natürlich viele Menschen an. Die Fragen waren leicht zu beantworten, vor allem nachdem man sich am Informationsstand ein bisschen umgeschaut hatte. Eine Zusatzfrage, die bei der Verlosung der Gewinne nicht mitzählte, war aber für die Organisatorinnen besonders bezeichnend: Was fällt Ihnen spontan zu Down-Syndrom ein?, fragte man die Passanten. Die Antworten waren zum Teil schockierend und lieferten dem Förderverein in Friedrichshafen Gründe genug, mit der Aufklärungsarbeit weiterzumachen und sich auch 1999 wieder an der Down-Syndrom-Woche zu beteiligen. Bianka Mosch Herrenberg Ein ausführlicher Bericht kam aus Herrenberg. Dort bot die alljährlich stattfindende Herbstschau, wo sich alle namhaften Geschäfte und Unternehmen aus Herrenberg und Umgebung präsentie52 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Viel Betrieb am Informationsstand in Aschaffenburg ren und man sich eines großen Besucheransturms sicher sein kann, der DS-Gruppe eine gute Möglichkeit, sich mit einem Infostand zu präsentieren. Stellwände mit Infos und vielen Fotos, Poster, Bücher und Zeitschriften zum Thema und die DS-Puppen weckten Neugier bei den Besuchern. So gab es viele interessante Gespräche. Die Puppen waren umstritten, es gab auch Leute, die die Fotos von den Kindern abstoßend fanden und sich nicht auf Gespräche einließen, aber damit muss man wohl leben. Im Großen und Ganzen war es eine gute Resonanz. In drei Büchereien und einigen Buchhandlungen waren Büchertische zu dem Thema Down-Syndrom aufgestellt. 60 Poster Down-Syndrom hat viele Gesichter wurden in und um Herrenberg aufgehängt, in der Lokalzeitung Gäubote erschien sechs Tage lang eine Artikelserie über das Down-Syndrom Einige Pfarrer der Kirchengemeinden konnten wir für unser Anliegen begeistern, und so fanden vom 24. September bis 11. Oktober 1998 einige Gottesdienste zu dem Thema statt. Betroffene Mütter haben sich an der Gestaltung des Gottesdienstes beteiligt und einige Texte aus Leben mit Down-Syndrom fanden Verwendung. Am Anfang der Woche wurde eine Ausstellung in der Herrenberger VHS eröffnet: 40 Bilder von Künstlern mit Down-Syndrom konnte man dort zwei Wochen lang bewundern. Einiges was wir geplant hatten, kam leider nicht zustande. Die Vorführung des Films „Am Achten Tag“ scheiterte am Vorführgerät, für einen Vortrag in der VHS konnten wir nicht genug Leute aktivieren und von den Schulen kam auf unser Angebot, bei der Unterrichtsgestaltung zu dem Themen Biologie, Ethik, Religion und Gemeinschaftskunde mitzuwirken, überhaupt keine Resonanz. Später stellte sich heraus, dass unser Schreiben bei der Schulleitung hängengeblieben war, die Lehrer, die durchaus interessiert gewesen wären, hätten gar nicht davon erfahren. Nun wissen wir, dass wir das nächste Mal direkt mit den Lehrern Kontakt aufnehmen müssen. Mein Resümee zu unserer Woche: Ich denke, wir haben einiges auf die Beine gestellt. Es wirkt in Herrenberg nach. Im nächsten Jahr werden wir uns bestimmt wieder beteiligen. Ute Hänsel DS–WOCHE Aschaffenburg In Aschaffenburg veranstaltete der Gesprächskreis Down-Syndrom, gemeinsam mit der dortigen Lebenshilfe, einen Informationsstand in der Fußgängerzone von Aschaffenburg. Neben umfangreichem Informationsmaterial und der Ausstellung von vielfältigem Bild- und Textmaterial zum Down-Syndrom sowie zum Thema Recht auf Leben und Integration hatten die zahlreichen Besucher die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch mit Eltern von einem Kind mit Down-Syndrom. Aufgrund der Fernsehaufnahmen von TV-Touring konnten wir auch die überregionale Öffentlichkeit auf unsere Anliegen aufmerksam machen. Schwerpunkte unserer Öffentlichkeitsarbeit waren: Begriffserläuterung Down-Syndrom, einschließlich historische Abhandlung und Erläuterung der Notwendigkeit der Vermeidung von sog. „M-Wörtern“. Slogan: „Viele Leute sagen leider immer noch …“ „Down-Syndrom hat viele Gesichter“, d.h. keine stereotype Beschreibungen oder Darstellungen von Menschen mit Down-Syndrom. Das Bewusstsein zu vermitteln, dass Krankheit und Behinderung jeden von uns treffen kann (Texte von Richard von Weizsäcker). Das Thema Anderssein/Toleranz speziell für Kids mit dem Lied „So wie Du bist“ von Rolf Zuckowski. Zu vermitteln, dass wo es keine Aussonderung gibt, es keine Forderung nach Integration braucht. Sonja Schumann Wichtiger Termin Deutsche Down-SyndromWoche 1999 3. bis 10. Oktober 1999 Freising Schon lange vor der DS-Woche bekamen wir das Programm der Freisinger Elterninitiative Down-Syndrom zugeschickt. Diese Elterngruppe organisierte zusammen mit der Lebenshilfe einige Veranstaltungen, die große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregten. Einerseits gab es zwei Informationsabende zum Thema Down-Syndrom: Dr. med. Reinhart Herterich, Oberarzt am Kinderkrankenhaus in Landshut, hielt einen Vortrag über Erstversorgung, Herzfehler und Förderung bei Kindern mit DownSyndrom. Diskussionsabend über Integration im Regelkindergarten, wobei ein Film gezeigt wurde über eine gelungene Einzelintegration in einem Regelkindergarten im Landkreis Freising. Die Presse berichtete ausführlich über diese beide Veranstaltungen. Der Höhepunkt der DS-Woche war jedoch die Aufführung des Theaterstücks „Medea – der tödliche Wettbewerb“ vom Theater Ramba Zamba. Ramba Zamba in der Freisinger DS-Woche Zusammen mit der Freisinger Lebenshilfe, die ihr 30-jähriges Bestehen feierte, hat die Elterninitiative die Theatercompagnie Ramba Zamba aus Berlin eingeladen. Diese Theatergruppe der Berliner Kunstwerkstatt „Sonnenuhr“ gastierte mit ihrer Eigeninszenierung des griechischen Sagenstoffes Medea. Die Freisinger Tagespresse kommen tierte: „Erlebt man Aufführungen dieser Schauspieltruppe, die sich der flüchtigen Kunst, der Darstellung mit Leib, Seele und verblüffender Professionalität widmet, dann zieht dem Betrachter dieses glückliche Erkenntnisgefühl durch die Brust, es hat sich doch einiges verändert seit der Zeit, als Menschen mit Down-Syndrom noch Mongoloide waren. Ramba Zamba räumt auf mit vielen Vorurteilen, beweist das Gegenteil. Wäre da nicht die manchmal schwer verständliche Aussprache einiger Schauspieler, man vergäße nach kurzer Zeit, dass dort oben auf der Bühne behinderte Menschen stehen. Doch Ramba Zamba hat ohnehin mehr zu bieten als Sprachtheater. In der modern und hoch professionell inszenierten Aufführung, die in anderthalb Jahren von der Truppe durch improvisatorische Arbeit eigenständig entwickelt wurde, nehmen Bewegung, Tanz und Musik eine zentrale Rolle ein. Am beeindruckendsten aber ist die Qualität der Bilder, die Ramba Zamba auf der Bühne komponieren. Im intensiven Zusammenspiel aus Licht, Bühnenbild und Darstellungskunst entstehen traumhaft eindringliche Urbilder, die dem Betrachter im Gedächtnis verbleiben.“ Dorothea Smetan, Sprecherin der Elterninitiative, berichtete von der Begeisterung des Publikums und von dem Staunen bei vielen Theaterbesuchern, dass „diese Leistungen überhaupt möglich seien“. Fest steht, dass dieser Theaterabend dazu beigetragen hat, das Image von Menschen mit Down-Syndrom zu verbessern. Dorothea Smetan Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 53 FREIZEIT Spielen und Lernen Tipps für Spielzeug und Lernmaterialien Die Redaktion erhält öfter von Eltern und Therapeuten Tips für Spielzeug, Lernmaterial etc. Wir möchten solche Ideen und Anregungen regelmäßig in Leben mit Down-Syndrom weitergeben. Vielleicht finden Sie gerade so ein Spiel, das für Ihr Kind hilfreich oder sinnvoll wäre, oder es wird ein Spielzeug vorgestellt, nach dem Sie schon länger auf der Suche sind. Vielleicht haben Sie gute Erfahrungen mit einem Spiel gemacht und möchten dies gern weiterempfehlen? Vielleicht gibt es ein auch selbst erfundenes gebasteltes Material, das Ihrem Kind geholfen hat? Wenn Sie also ein (Spiel)Steinchen zu dieser Rubrik beitragen können, würden wir uns freuen. Ein Foto oder das Prospekt vom jeweiligen Material und natürlich von Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter beim Spielen sind auch wichtig! 54 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Einige Beispiele des Moritz-Multi-Set: Oben: Baby-Fit Unten: Moritz-Wippe Oben: Lauflernwagen Unten: Sitz mit Tisch Moritz-Multi-Set Ob zum Spielen, Schaukeln, Sitzen oder zum Erklimmen höherer Ziele – im Moritz-Multi-Set steckt alles drin!“ Informationen und Produktbeschreibung bei: Heimess GmbH & Co. KG 71665 Vaihingen / Enz Tel. 0 70 42 / 95 23-0 Fax 0 70 42 / 95 23-23 Ein Spieltip von Familie Beckmann aus Bielefeld. Die Anregung zu einem Lauflernwagen haben wir in Leben mit DownSyndrom gefunden. Auf der Suche nach einem passenden Modell fanden wir dieses Spiel- und Kindermöbel, Kostenpunkt ca. 350 bis 400 DM. Vielleicht eine Anregung für andere Eltern? Aus dem Prospekt der Firma Heimess: „Moritz-Multi-Set, das universelle Spiel- und Mehrzweckmöbel aus hochwertigen Multiplex-Holzplatten. Diese Neuigkeit lässt keine Wünsche im Kinderzimmer offen. Mit seinen geringen Maßen von 70 x 62 x 54 cm und den einfachen Verschraubungen kann es vom Baby-Fit-Spieltrainer über die farbenfrohe Moritz-Wippe zu vielen prak tischen Funktionen umgebaut werden. Fünf in einer Reihe Marie-Luise Stindt aus München bekam von der Therapeutin ihrer Tochter das Spiel „Fünf in einer Reihe“ ausgeliehen. Julia Stindt war sofort hoch begeistert. Das Spiel wird mit einem Würfel gespielt, der maximal drei Punkte anzeigt, dadurch können z.B. Vorschulkindern auch erste Mengenbegriffe näher gebracht werden. FREIZEIT Ein Känguru möchte verreisen und muss sich entscheiden, was alles in den Koffer gepackt wird. Jeder Spieler erhält eine Bildtafel, auf der die Gepäckstücke abgebildet sind. Er muss nun würfeln und dann darf das Känguru die entsprechende Zahl hüpfen, und zwar auf einen Gegenstand, den es noch in den Koffer packen will. Nun darf das „eingepackte“ Gepäckstück mit einem roten Chip abgedeckt werden. Ziel des Spieles ist es, auf seiner Bildtafel eine horizontale oder vertikale Reihe von fünf roten Plättchen zu haben. Das Spiel ist gedacht für zwei bis vier Kinder von fünf bis zehn Jahren, wobei größere Kinder in die entgegengesetzte Richtung hüpfen können, d.h., es kann sich jeder eine Taktik ausdenken. „Fünf in einer Reihe“ ist ein Spiel aus dem Ravensburger Spieleverlag und kostet 24,95 DM. Fädeln Wer kennt nicht die Nähkarten in den verschiedensten Versionen? Bevor das Kind mit einer solchen Karte etwas anfangen kann, muss es über eine sehr gute Feinmotorik verfügen, muss die Augen-Handkoordination gut funktionieren, Ausdauer und Konzentration sind ebenfalls wichtige Voraussetzungen für diese diffizile Arbeit. Aber es gibt eine Vorstufe zu den Nähkarten. So besitzen wir z.B. einen Holzstab mit Löchern, wodurch man eine Schnur oder einen dicken Faden fädeln kann, eventuell mit Hilfe einer Holznadel. Noch lustiger sind durchlöcherten Holztiere. Rein und raus mit dem Faden. Ein Geschicklichkeitsspiel, mit dem sich kleine Kinder lange beschäftigen können. Die Holztiere fand ich in dem Katalog von JAKO-O. Sie sind ca. 18 x 14 cm hoch und 2 cm dick und werden geliefert mit einer Schnur mit Holzspitze. Preis 14,90 DM. Und wenn Sie kein Fädelspiel brauchen, finden Sie in dem Katalog sicher etwas anderes. JAKO-O GmbH Werner-von-Siemens-Straße 23 96476 Rodach Tel. 0 18 05 / 24 68 10 Fax 0 18 05 / 92 96 75 00 Malt Ihr Kind gerne aus? Lesen lernen mit Hand und Fuß Die meisten Kinder lieben es, wenigstens in einer bestimmten Phase, Bilder auszumalen, auch wenn die meisten Eltern dies als nicht sehr kreativ ansehen. Dazu kommt, dass fast alle Ausmalbücher wirklich sehr geschmacklos, einfältig oder in einem billigen Comicstil gestaltet sind. Wenn ausmalen, dann vielleicht in den kleinen, hübschen Malbüchern aus dem Siebert Verlag. Man hat die Wahl aus mindestens 60 Themen aus der Tier- und Pflanzenwelt. So gibt es u.a. folgende Titel: Singvögel, Haustiere, Käfer, Feldfrüchte, Gemüse im Garten, Löwe und Tiere seiner Heimat oder Wiesenblumen. Die „Lehrreichen Malbücher“ von Siebert sind im DIN-A5-Format, haben jeweils zwanzig Seiten. Links immer das schon bunte Bild als Beispiel mit einer kleinen Beschreibung zum jeweiligen Tier, Baum usw., rechts das gleiche Bild zum Ausmalen. Viele Kinder bemühen sich, beim Ausmalen wirklich genauestens zu arbeiten, „weil es eben Spaß macht, die Vögel, die Fische, die Blumen oder das Gemüse so anzumalen, wie sie wirklich sind“, erklärte mir ein kleines Mädchen. Mit älteren Kindern kann man außerdem die Texte lesen und sie als kleine Abschreibeübung benutzen. Auch der Preis dieser Malbücher ist akzeptabel, er liegt unter 5,– DM. Erhältlich in der Buchhandlung, häufig auch in Schreibwarengeschäften. Für Eltern, die vielleicht gerne zusätzlich zu dem, was in der Schule an Leseübungen gemacht wird, mit ihrem Kind zu Hause etwas üben möchten oder die Übungsmaterial suchen, weil in der Schule nichts oder zu wenig diesbezüglich gearbeitet wird, wären die Bergerdorfer Kopiervorlagen, insgesamt drei Mappen mit umfangreichem Material, eine Möglichkeit. Auch wenn das Kind nach einer Frühlesemethode schon ganzheitlich viele Wörter lesen kann, kommt irgend wann der Moment, dass es sich mit den einzelnen Buchstaben beschäftigen wird, und lernt damit allmählich zu arbeiten. Hier können diese Kopiervorlagen gute Dienste leisten. Zu jedem Buchstaben gibt es eine Anzahl Arbeitsblätter: zum Nachfahren, zum Heraussuchen, zum Ordnen, Kombinieren, kleine Lottospiele, Würfelspiele etc. Hilfreich können beim Lesenlernen auch die Klappkarten mit den Lautgebärden sein. Die Mappen sind zwar nicht so billig, aber man kann sie gut gemeinsam mit anderen Familien bestellen und jeder kann seinen Teil herauskopieren. Nicht nur zum Lesenlernen gibt es Kopiervorlagen. Am besten fordern Sie den Gesamtkatalog von Bergerdorfer an, in dem außer dem Material zum „Lesenlernen mit Hand und Fuß“ noch viele andere Lernspiele und auch Softwareprogramme vorgestellt werden. Lehrreiche Malbücher, Siebert Verlag ISBN 3-8089-3527-8 Verlag Sigrid Persen Postfach 260 21637 Horneburg Tel. 041 / 63 81 40 40 Fax 041 / 63 81 40 50 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 55 LESERPOST Auch in der DDR wurde um die Rechte der Behinderten gekämpft! Wieder ein Heft Leben mit Down-Syndrom eingetroffen! Begonnene Lektüre lege ich zur Seite und lese in der neuen Ausgabe. Jede Seite bringt Einsichten. Auch für das Zusammenleben mit der 43-jährigen Tochter sind Anregungen von Nutzen. Bis zu den Leserbriefen habe ich es geschafft. Da muss ich einhalten und mich zu Wort melden. Eine Familie zieht von München nach Schwerin und ist erfreut und überrascht, dass dort Geigenunterricht für ihre Tochter Laura (Down-Syndrom) möglich ist. Und dann erschreckt mich ein Satz: „Hier durften Behinderte Jahrzehnte nicht auf die Straße.“ Dieser Satz muss ein Versehen sein. Vor 1963 nahmen sich kirchliche Einrichtungen in der DDR behinderter Kinder, auch Kinder mit Down-Syndrom, an. Seit 1969 gab es das Gesetz „Bildung für alle“ in der DDR. Hilfsschulen (jetzt Schulen für Lernbehinderte), Tagesstätten (jetzt Schulen für geistig Behinderte), Geschützte Werkstätten (Träger Gesundheitswesen), Geschützte Betriebsabteilungen in Volkseigenen Betrieben wurden gegründet. Alle diese Kinder und Jugendlichen wurden nicht, wie heute möglich – erfreulicherweise – gefahren, sondern liefen oder benutzten öffentliche Verkehrsmittel. Und das soll es in Schwerin nicht gegeben haben? Das wäre nicht der DDR anzulasten, sondern den betroffenen Menschen, die sich nicht für die Realisierung des Gesetzes engagiert haben. Von allein ist allerdings nichts passiert. Man musste den Dienststellen auf die Pelle rücken und Verpflichtungen einfordern. Aber von allein passiert heute auch nichts. In unserem Kreis haben wir sogar die Frühförderung durchgesetzt. Mitten im Neubaugebiet wurden Wohnungen angemietet und umgerüstet. Erst nach der Wende gab es Beschwerden von Anwohnern. Die geistig und mehrfach behinderten Kinder der Tagesstätte und Wohnstätte lebten und leben mitten in der Stadt. Ein pensionierter Arzt hatte 1970 seine Praxisvilla zur Verfügung gestellt. Die Schwerbehinderten zogen ein und machten und machen mit ihren Betreuern täglich Spaziergänge mitten in der Stadt. Und auch das neue Wohnhaus der Lebenshilfe wird in der Stadt 56 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 gebaut. Der Bauplatz war schon zu DDRZeiten zum Bau eines Wohnhauses für Behinderte vorgesehen. Der Neubau verzögerte sich nach der Wende. Eine Nachbarin klagte, allerdings ohne Erfolg. Musikunterricht in der Musikschule? Das gab es auch. Hermine bekam ab 1962 mehrere Jahre Klavierunterricht in der staatlichen Musikschule. Sie lernte die Noten, spielte viele kleine Musikstücke und Volkslieder und wurde einfühlsam betreut. Es ist mir klar, dass in den alten Bundesländern die Förderung Behinderter schneller und flächendeckender möglich war. Die Lebenshilfe hat schließlich 40-jähriges Bestehen. Aber auch in der DDR wurde für die Rechte der Behinderten gekämpft und vieles erkämpft, nachzulesen auch in „Leben mit Hermine“, meinem Lebensbericht. Christine Fraas, Ilmenau (Anm. der Red.: Frau Christine Fraas ist die Autorin des Buches „Leben mit Hermine“, in dem sie das Zusammenleben mit allen Schwierigkeiten, aber vor allem mit den vielen Freuden mit ihrer Tochter Hermine beschreibt, die 1955 geboren wurde. Eine Besprechung dieses lesenswerten Buches veröffentlichten wir in der Septemberausgabe 1996 Nr. 23 von Leben mit Down-Syndrom.) Weihnachtskarten mit Joana Seit Joanas Geburt stellen wir jedes Jahr von ihr und später auch ihrer Schwester eine Weihnachtskarte her und verschicken diese an alle Freunde und Verwandten. Jedes Jahr ist das neue Motiv ein gut gehütetes Geheimnis und wird mit Spannung von allen erwartet. Da Sie immer so schöne positive Aufnahmen in Ihrer Zeitung haben, wollte ich fragen, ob Sie eventuell einmal Interesse an unseren Fotos haben. Alle Bilder wurden von Joanas Opa gemacht, der Berufsfotograf und Joanas größter Fan überhaupt ist und viele tolle Bilder aus ihrem Alltag hat. Susann Zschau, Darmstadt (Anm. der Red.: Leider gibt es im Dezember keine Ausgabe von Leben mit Down-Syndrom; deshalb jetzt doch noch ein Weihnachtsmotiv mit Joana und ihrer Schwester. Ein bisschen spät, aber das nächste Weihnachtsfest kommt bestimmt und als Idee zum Weitergeben ist dann auf jeden Fall rechtzeitig gesorgt.) LESERPOST Leben mit Down-Syndrom, ein Lichtblick! … an dieser Stelle möchte ich mich für den Buchtip „Kinder mit Down-Syndrom lernen lesen“ bedanken. Das ist ein tolles Buch, mit dem Aaron, unser zweijähriger Sohn, später „spielend“ lesen lernen wird – und der kleine Bruder wahrscheinlich gleich mit! Auch unsere Frühförderfrau war sofort angetan und hat das Buch direkt für die Frühförderstelle mitbestellt. Ihre Zeitschrift gefällt mir sehr gut, weil die Informationen und die Berichterstattung so vielseitig sind und ein Niveau haben, das wir im Umgang mit nicht betroffenen Profis bisher immer noch vermissen. Besonders gut gefällt mir das Selbstbewusstsein, das aus Ihren Artikeln spricht. Für uns war und ist es sehr ermutigend zu wissen, dass auch andere Eltern, Angehörige, Freunde von Menschen mit Down-Syndrom sich nicht als Randgruppe, sondern als Teil einer vielfältigen Gesamtheit und einer komplexen Realität sehen und diesen Platz auch fordern. Als mir nach der Geburt meines Sohnes Ihre Zeitschrift gezeigt wurde, war ich von dem Horrorszenario, das sich mir durch die Bücher, die ich im Krankenhaus (wohlmeinend?) über Down-Syndrom erhalten hatte, aufgedrängt hat, doch etwas befreiter. Es handelte sich um Literatur, die teils veraltet war und auf statistischen Erhebungen über Heimpopulationen beruhte (mit entsprechender Bebilderung) und zum anderen Bücher über Förderung, die mich an Dressurprogramme erinnerten und die ich seelenlos nennen möchte. Durch diese Literatur wurde uns das Gefühl vermittelt, dass unser weiteres Leben eine endlose Reihe von Übungsstunden sein würde oder wir andernfalls mit Versäumnissen in Form schlimmster Behinderung zu rechnen hätten. Leben mit Down-Syndrom war ein Lichtblick in dieser Phase der Auseinandersetzung, ein von unserer Kinderärztin dringend empfohlenes Buch ist direkt in der Bücherkiste für den Keller verschwunden (sehr entlastend!). Die Persönlichkeit unseres Sohnes bestätigt uns die Richtigkeit dieser Entscheidung jeden Tag, er zeigte bisher immer, wenn er bereit ist, den nächsten Entwicklungsschritt zu tun, und er sucht dann nach entsprechenden Anregungen, die zu diesem Zeitpunkt auch erst auf fruchtba- ren Boden fallen. Dieser Aspekt der eigenen Motivation wird in der gängigen Literatur meist außer Acht gelassen, bzw. es wird wohl davon ausgegangen, dass Kinder mit Down-Syndrom gänzlich ohne Motivation, Neugier und Interesse an ihrer Umwelt sind. Die Vermittlung dieses Bildes setzt neue Eltern unter einen permanenten Druck, ja nichts zu versäumen und jede gemeinsame Minute mit ihrem Kind unter dem Förderaspekt zu sehen. Das ist der Beziehung allerdings alles andere als förderlich. Wir sind froh, Menschen getroffen zu haben, die uns unterstützen, und wir sind dankbar für das vorhandene Netz von Hilfen, die uns zugute kommen. Diese Hilfen sind maßgeblich durch die Initiativen von betroffenen Eltern entstanden, und auch wir wollen in diesem Sinne aktiv unseren Beitrag leisten. Familie Beckmann, Bielefeld Epilepsie Grüße von der Nordsee Wer hat Erfahrung mit anthroposophischen Einrichtungen? Seit neun Monaten lebt mit uns unser kleiner Jonathan mit Down-Syndrom. Er ist ein lieber kleiner Mensch und wir haben durch ihn schon eine Menge erfahren und kennen gelernt, u.a. die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom. Wir finden Ihre Zeitschrift sehr gut und sie hat mit dazu beigetragen, manche unserer Anfangsschwierigkeiten erklären und bestehen zu helfen. Ulrich Schmidt, Wyk a.F. Kontakte und Informationen gesucht Tomatis-Therapie Wir ziehen für unsere 13-jährige Tochter die Tomatis-Therapie in Erwägung. Wer hat Erfahrung – gute oder schlechte – damit? Jessy und Erich Eng Am Haarberg 1 D-52080 Aachen Tel. 0241 / 16 68 91 Unser Sohn – elf Jahre alt – leidet seit vielen Jahren unter An- und Ausfällen. Er reißt die Arme nach oben und zittert, verharrt bis ca. 200 Mal am Tag. EEGUntersuchungen waren alle in Ordnung. Es wurden keine epileptischen Anfälle nachgewiesen. Nachts robbt er durchs Bett, und es läuft Flüssigkeit aus dem Mund (vermuten wir). Das Kopfkissen muss fast täglich neu bezogen werden. Früh ist er geschafft. Ob ein Zusammenhang mit de Anfällen besteht, wissen wir nicht. Bis jetzt konnte uns niemand über seine Anfälle aufklären und uns weiterhelfen. Wir wurden als überbesorgte Eltern abgestempelt. Wer kann uns helfen, wer hat ähnliche Erfahrungen gemacht? Wir würden uns sehr freuen. Frau Brigitte Schlegel Stadtring 28 09120 Elstra Tel. 035793 / 54 07 Nicht nur besuchen Kinder mit DownSyndrom häufig anthroposophische Schulen, auch Erwachsene mit DownSyndrom arbeiten in anthroposophischen Werkstätten, wohnen in Dorfgemeinschaften oder auf Bauernhöfen. Wir suchen für die Zeitschrift und um Informationen an interessierte Eltern weitergeben zu können, Erfahrungsberichte zu diesem Thema. Briefe bitte an die Redaktion. Hyperaktivität und Wahrnehmungsstörungen bei Kindern mit DownSyndrom Nicht selten treten bei Kindern mit Down-Syndrom Wahrnehmungsstörungen auf, auch wird ab und zu über eine Hyperaktivität berichtet. Leider liegen uns zu dieser Thematik wenig Informationen vor. So können wir Eltern, die bei uns diesbezüglich anfragen, nicht viel weiter helfen. Es wäre hilfreich, wenn Eltern, die in diesem Bereich Erfahrungen haben, u.a. auch vielleicht mit dem Medikament Ritanil, uns Informationen zukommen lassen könnten. Dankbar wären wir über Berichte für die Zeitschrift, um diese Problematik und eventuelle Hilfen bekannter zu machen. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 57 VERANSTALTUNGEN 4. Europäischer Down-SyndromKongress in Malta 10. bis 13. März 1999 Seminare mit Prof. Etta Wilken In den ersten Jahren Independent living, von Dr. Siegfried Pueschel, USA The rights of persons with DownSyndrom, von Leena Matikka aus Finnland. In den späteren Jahren Congenital heart diseases in persons with Down-Syndrom, von Victor Grech, Malta Language, von Sue Buckley, GB Sexuality, von Prof. Ben Sacks, GB In verschiedenen Symposien kommen folgende Themen zur Sprache: Early intervention Genetics, health & medical issues school and community ICT in education Building relations Community and home based services. Natürlich gibt es Präsentationen von Menschen mit Down-Syndrom, wissenschaftliche Posterpräsentationen und das übliche Rahmenprogramm mit Rezeption, Kunst- und Musikdarbietungen aus Malta und ein Galadinner. Für diejenigen, die schon am Sonntag vorher anreisen, gibt es ein Angebot mit verschiedenen Ausflügen zu den Sehenswürdigkeiten von Malta. Ein „all-inclusive Conference Packet“ kostet pro Person Lm 190 (Einzelzimmer) oder Lm 155 (Zweibettzimmer). Die Preise sind in Maltekischen Pfund angegeben; 1 Lm ist ca. 2,75 $US. Interessierte Eltern und Fachleute können die Unterlagen zum Kongress anfordern beim Deutschen Down-Syndrom InfoCenter. Tel. 09123 / 98 21 21 Fax 09123 / 98 21 22 58 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 Workshop für Eltern und Fachleute Referentin: Cora Halder Informationen für Eltern von Kindern mit Down-Syndrom im Säuglings- und Kleinkindalter. Im Seminar werden Grundinformationen über das Down-Syndrom vermittelt und praktische Erziehungs- und Fördermöglichkeiten für Kleinkinder und Säuglinge aufgezeigt. Es wird über Aufgaben der Frühförderung, Möglichkeiten der Sprach- und Bewegungsförderung sowie der Sauberkeitserziehung informiert. Zielgruppe: Eltern von Säuglingen und Kleinkindern mit Down-Syndrom bis zu drei Jahren. Termin: 15.04 – 17.04.1999 Ort: Marburg – Cappel Seminar Nr. 99034 – 50 Anmeldung: bis 15.02.1999 Der vierte europäische Down-SyndromKongress wird im März 1999 organisiert von der maltekischer Down-Syndrome Association. Der Kongress findet statt im New Dolmen Hotel, dem großen Kongresshotel auf der Insel Malta. Auf dem Programm stehen folgende Vorträge: Breaking the News, von Ken Jupp, USA Frühes Lesenlernen Informationen und Austausch von und mit Jugendlichen mit geistiger Behinderung und ihren Eltern und Angehörigen Der Übergang von der Kindheit ins Jugendalter bringt neue Fragen zur Zukunftsgestaltung und zu Lebensentwürfen mit sich. Im Familienseminar besteht die Gelegenheit, sich sowohl in eigenen Arbeitsgruppen als auch gemeinsam darüber auszutauschen, welche Vorstellungen beiderseits bestehen, wenn es um Freundschaft, Partnerschaft, Freizeitgestaltung, Wohnen und Arbeit geht. Zielgruppe: Jugendliche mit geistiger Behinderung von 14 bis 18 Jahren, ihre Eltern und Angehörigen. Termin: 28.10 – 30.10.1999 Ort: auf Anfrage Seminar Nr. 99035 –50 Anmeldung: bis 28.07.1999 Anmeldungen für beide Seminare bei: Bundesvereinigung Lebenshilfe Raiffeisenstraße 18 35043 Marburg Tel. 06421 / 491-0 Fax 06421 / 491-167 An verschiedenen Orten finden in den nächsten Monaten Workshops zum Thema „Frühes Lesenlernen“ statt. Inhalt des Workshops Die Sprachentwicklung bei Kindern mit Down-Syndrom ist in der Regel verzögert. Um ihre Sprachentwicklung schon von klein an positiv zu beeinflussen, den Kindern beim Sprechenlernen zu helfen, kann man verschiedene Methoden anwenden. In vielen Ländern wird dazu die Methode des frühen Lesenlernens eingesetzt. Kindern mit Down-Syndrom wird dadurch zu einer früheren und besseren Spontansprache verholfen. Außerdem lernen auf diese Weise viele Kinder das Lesen ganz nebenbei. Im Workshop werden die Hintergründe über die Besonderheiten in der Sprachentwicklung bei Down-Syndrom aufgezeigt und eine Einführung in die Frühlesemethode (nach Macquarie) gegeben. Mit Videobildern und Materialien wird die Methode verdeutlicht. Termine Folgende Workshops sind geplant. Erkundigen Sie sich jeweils beim Veranstalter nach dem genauen Ort, Zeit usw. Workshop in Augsburg Datum: Samstag, 27. Februar 1999 Informationen und Anmeldung Familie Morawetz, Augsburg Tel. 0821 / 229 16 06 Fax 0821 / 229 16 07 Workshop im Raum Donauried Datum: Samstag, 27. März 1999 Informationen und Anmeldung: Frau Mehl, Reimlingen Tel. 09081 / 8 81 13 Workshop in Kassel Datum: Samstag, 17. April 1999 Informationen und Anmeldung: Frau Ahrens Tel. 05605 / 47 46 Workshop in Pforzheim Datum: Samstag, 24. April 1999 Informationen und Anmeldung: Frau Elke Krieg, Keltern Tel. 07236 / 12 78 Folgende Informationsmaterialien sind bei der Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde erhältlich: Videofilm „So wie Du bist“, VHS, 35 Min. DM 40,– Kinderbuch „Albin Jonathan – unser Bruder mit Down-Syndrom“, 36 Seiten, 48 Farbfotos, gebunden, für Kinder ab 4 Jahre DM 30,– Broschüre „Das Baby mit Down-Syndrom“, 16 S. DM 5,– Broschüre „Das Kind mit Down-Syndrom im Regelkindergarten“, 12 Seiten DM 5,– Broschüre „Herzfehler bei Kindern mit Down-Syndrom“, 36 Seiten DM 5,– Sonderheft „Diagnose Down-Syndrom, was nun?“ Themen für den Anfang, 56 Seiten DM 15,– Format A2 *DM 5,– Format A3 DM 3,– DM 15,– Format A1 DM 50,– Format A2 DM 30,– Format A3 DM 25,– Impressum Herausgeber: Selbsthilfegruppe für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde e.V. Erlangen Redaktion: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter Hammerhöhe 3 91207 Lauf / Pegnitz Tel.: 09123 / 98 21 21 Fax: 09123 / 98 21 22 http://members.aol.com/LebenMitDS/home.html E-Mail: [email protected] Repros und Druck: Fahner Druck GmbH Nürnberger Straße 19 91207 Lauf an der Pegnitz Poster „Down-Syndrom hat viele Gesichter“ Postkarte „Down-Syndrom hat viele Gesichter“ und „Down-Syndrom – na und!“ (jeweils 10 St.) Posterserie „Down-Syndrom – Na und?“ jeweils 5 Poster mit verschiedenen Motiven * Es passen bis zu 10 Poster in eine Rolle bei gleich bleibendem Porto + Porto nach Gewicht und Bestimmungsland Bestellungen schriftlich an: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter Hammerhöhe 3, 91207 Lauf / Pegnitz Fax 09123 / 98 21 22 Erscheinungsweise: Dreimal jährlich, zum 30. Januar, 30. Mai und 30. September Die Zeitschrift ist gegen eine Spende bei der Selbsthilfegruppe erhältlich. Bestelladresse: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter Tel.: 09123 / 98 21 21 Fax: 09123 / 98 21 22 Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion und Quellenangabe gestattet. Meinungen, die in Artikeln und Zuschriften geäußert werden, stimmen nicht immer mit der Meinung der Redaktion überein. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen und Manuskripte redaktionell zu bearbeiten. ISSN 1430 - 0427 Zahlungsmodalitäten Ausland: nur mit Euroscheck / in bar eingeschrieben Vorschau für die nächste Ausgabe (Mai 1999) von Leben mit Down-Syndrom sind geplant: … Frühförderung … lernen und leben in anthroposophischen Einrichtungen … Erfahrungsberichte, Geschichten, Gedichte … Europäischer DS-Kongress in Malta Wer Artikel zu wichtigen und interessanten Themen beitragen kann, wird von der Redaktion dazu ermutigt, diese einzuschicken. Garantie zur Veröffentlichung kann nicht gegeben werden. Einsendeschluss für die nächsten Ausgaben von Leben mit Down-Syndrom: 28. Februar 1999, 30. Juni 1999. Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 59 Dreimal jährlich erscheint die Zeitschrift Leben mit Down-Syndrom, in der auf ca. 50 Seiten Informationen über das Down-Syndrom weitergegeben werden. Die Themen umfassen Förderungsmöglichkeiten, Sprachentwicklung, medizinische Probleme, Integration, Ethik u.a. Wir geben die neuesten Erkenntnisse aus der Down-Syndrom-Forschung aus dem In- und Ausland wieder. Außerdem werden neue Bücher vorgestellt, gute Spielsachen oder Kinderbücher besprochen sowie über Kongresse und Tagungen informiert. Vervollständigt wird diese informative Zeitschrift durch Erfahrungsberichte von Eltern. Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfegruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes beim FA Erlangen anerkannt. Ja, ich möchte Ihre Arbeit mit einer Spende von .......... DM unterstützen Name (Blockschrift) ……………………………………………………………………………………………….....................………… Unser Kind mit DS ist am ...............………...........…….. geboren und heißt ……………………………..…….........………. Straße ………………………………………………………………………………………………………………............................... PLZ/Ort/(Staat) ………………………………………………………………… Tel./Fax ……………………............…................. ➔ Bei einer Spende ab DM 40,– erhalten Sie regelmäßig unsere Zeitschrift Inland Ich bin damit einverstanden, dass meine Spende jährlich von meinem Konto abgebucht wird. (Diese Abbuchungsermächtigung können Sie jederzeit schriftlich widerrufen.) Konto Nr. ……………………………………………….. BLZ ……………………………………..............………........... Bankverbindung ……………………………………………… Kto.-Inhaber ………………………………............................ Meine Spende überweise ich jährlich selbst: Konto der Selbsthilfegruppe Nr. 50-006 425, BLZ 763 500 00 bei der Sparkasse Erlangen. Unter Verwendungszweck „Spende” Ihren Namen und Ihre Anschrift eintragen. Ausland Einzahlung der Spende bitte mit Euroscheck (EC-Karten-Nr. auf Scheckrückseite unbedingt vermerken). Postanweisung oder im Kuvert per Einschreiben. Datum ……………………………… Unterschrift ……………………………………………………..................................….... Ihre Spende ist selbstverständlich abzugsfähig. Die Selbsthilfegruppe ist als steuerbefreite Körperschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes beim FA Erlangen anerkannt. Bei Spenden über DM 100,– erhalten Sie automatisch eine Spendenbescheinigung. Bitte ausgefülltes Formular auch bei Überweisung/Scheck unbedingt zurückschicken an: Deutsches Down-Syndrom InfoCenter, Hammerhöhe 3, 91207 Lauf (Tel. 09123/98 21 21, Fax 09123/98 21 22) 60 Leben mit Down-Syndrom Nr. 30, Jan. 1999 „Militärkapelle im Spital an der Drau” Ölkreide auf Papier, 1996 Willibald Lassenberger http://members.aol.com/LebenMitDS/home.html