Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin in den Niederlanden – ein

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Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin in den Niederlanden – ein
Originalarbeit 1
Gesu/279/16.7.2007/Macmillan
Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin in den
Niederlanden – ein Modell für Deutschland?
Beschreibung der Weiterbildung und kritischer Vergleich
Postgraduate Training for General Practitioners in The Netherlands – A Model
for Germany?
Description of Postgraduate Training and Critical Comparison
Autor
E. Plat1, M. Scherer2, B. Bottema1, J.-F. Chenot2
Institut
1
2
Schlüsselwörter
䉴 Weiterbildung
䊉
䉴 Allgemeinmedizin
䊉
䉴 Niederlande
䊉
䉴 Deutschland
䊉
Key words
䉴 Postgraduate training
䊉
䉴 general practice
䊉
䉴 the Netherlands
䊉
䉴 Germany
䊉
Voortgezette Opleiding tot Huisarts, Universitair Medisch Centrum, St Radboud Nimwegen
Abteilung Allgemeinmedizin, Georg-August Universität Göttingen
Zusammenfassung
&
Abstract
&
In Deutschland ist die Weiterbildung nicht an die
Universitäten gebunden. Inhalt und Dauer sind
durch die Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern vorgegeben. Der Ablauf selbst
ist unstrukturiert und muss von den Weiterzubildenden selbst organisiert werden. Als Beispiel für eine strukturierte Weiterbildung wird
das niederländische Modell der Weiterbildung
in Allgemeinmedizin vorgestellt. Die Weiterbildung findet im Rahmen an Universitäten angegliederter strukturierter Programme, die durch
das Gesundheitsministerium finanziert werden
statt. Die Qualifizierung ist das primäre Ziel der
Weiterbildung und nicht die Arbeitsleistung der
Weiterbildungsassistenten. Nach der Reform des
Medizinstudiums sollte auch die Weiterbildung
in Deutschland reformiert werden.
Unlike in other countries, postgraduate training
in Germany is not attached to academic centres.
Content and duration of postgraduate training
are stipulated by the federal medical boards,
with the process being unstructured and solely
at the responsibility of the trainee. As a model for
a structured postgraduate training programme,
the Dutch training system for general practitioners is described in detail. The most important
difference is the funding of trainees and training
facilities within the frame of structured training
programmes by the Dutch Ministry of Health.
Acquisition of qualifications thus becomes more
important than the work performance of the trainee. After reforming graduate medical training, it
is now time to rethink postgraduate training in
Germany.
If you think education is expensive, try ignorance
[1].
terbildungsermächtigung vorliegt, gelingt es oft
nicht, in der Regelweiterbildungszeit den Anforderungskatalog der Ärztekammern zu erfüllen.
Dies führt in der Praxis häufig zu Gefälligkeitszeugnissen und verschafft dem Weiterbilder eine
Position, aus der er Druck auf seine Assistenten
ausüben kann [3]. Die Problematik der unstrukturierten und unorganisierten Weiterbildung betrifft bis auf lokale Weiterbildungsbündnisse nahezu alle Fachdisziplinen [4]. Als Beispiel für eine
organisierte und strukturierte Fortbildung wird
das niederländische Modell für eine strukturierte
Weiterbildung zum Allgemeinarzt vorgestellt.
Hintergrund
&
Bibliografie
DOI 10.1055/s-2007-985128
Gesundheitswesen 2007;
69: 1–5
© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York
ISSN 0941-3790
Korrespondenzadresse
Dr. med. J.-F. Chenot, MPH
Abteilung Allgemeinmedizin
Georg-August-Universität
Göttingen
Humboldtallee 38
37073 Göttingen
[email protected]
Gut qualifizierte Ärzte sind das Ergebnis des Medizinstudiums und der Facharztweiterbildung.
Während das Medizinstudium mit der neuen Approbationsordnung erhebliche Reformprozesse
durchläuft, bleibt die Weiterbildung in Deutschland weiterhin unstrukturiert [2]. Die Landesärztekammern definieren mit den Weiterbildungsordnungen zwar die Anforderungen, die Verantwortung für die Organisation und der Erwerb der
geforderten Fachkenntnisse liegen aber weitgehend beim Weiterzubildenden. Dies betrifft besonders Weiterbildungsassistenten in Fächern
mit mehreren Weiterbildungsstationen oder an
Weiterbildungsstätten ohne volle Weiterbildungsermächtigung. Selbst wenn die volle Wei-
Primärärztliche Situation in den Niederlanden
&
Im niederländischen Gesundheitssystem hat die
Allgemeinmedizin eine hervorgehobene Position. Allgemeinärzte (huisarts, Hausärzte) sind die
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2 Originalarbeit
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Tab. 1 Gegenüberstellung wichtiger Gesundheitsdaten der Niederlande und
Deutschland
Tab. 2 Weiterbildungsschema in den Niederlanden
Weiterbildungsjahr
Einwohner
Ärzte
Hausärzte
ambulante Fachärzte
Gesundheitsausgaben
in % des Bruttoinlandprodukts
2005 [29]
medizinische Fakultäten
Niederlande
Deutschland
16.400.000
33.020
8.495
16.200*
82.400.000 [27]
400.600 [28]
59.100
59.200
9,2 %
10,2 %
8
37
1.
12 Monate
2.
6 Monate
6 Monate
* an Ambulanzen in Krankenhäusern
ersten Ansprechpartner für alle Gesundheitsprobleme, stellen
die Grundversorgung der Bevölkerung sicher und haben zudem
eine Filter- und Koordinationsfunktion. Patienten haben, mit
Ausnahme lebensbedrohlicher Notfälle, ohne Überweisung keinen Zugang zu Spezialisten. Es gibt eine klare Trennung der ambulanten Primärversorgung und der ans Krankenhaus gebundenen ambulanten Sekundärversorgung.
Der Anteil der Kosten der Allgemeinmedizin am Gesundheitsbudget beträgt nur 3,7 %, obwohl 96 % aller Gesundheitsfragen
von Hausärzten bearbeitet werden [5]. Von den verbleibenden
4 % wird ein Drittel an andere Primärversorger, z. B. Physiotherapeuten oder Psychologen, überwiesen. Die übrigen zwei Drittel
werden von Spezialisten im Krankenhaus ambulant versorgt.
Der Anteil der überwiesenen Patienten aus der Hausarztpraxis
beträgt 150 pro 1.000 Patienten pro Jahr [6].
Es gibt etwa 8.400 Allgemeinärzte in den Niederlanden (䊉䉴 Tab. 1),
davon sind derzeit 7.500 (27 % Frauen) in eigener Praxis niedergelassen. Die anderen 900 Allgemeinärzte arbeiten als freie Mitarbeiter oder Angestellte. Etwa die Hälfte von ihnen strebt eine
selbständige Niederlassung an. Jeder niedergelassene Allgemeinarzt hat im Durchschnitt ca. 2.500 eingeschriebene Patienten, die sich im Regelfall für einen festen Arzt bzw. eine Praxisgemeinschaft entscheiden müssen; ein Wechsel ist jedoch
leicht möglich.
Es befinden sich ca. 1.400 Ärzte in der Weiterbildung zum Allgemeinarzt, davon sind entsprechend dem in Europa zu beobachteten Trend 67 % Frauen [7]. Auf 10.000 Einwohner kommen 5,25
Allgemeinärzte. In den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Allgemeinärzte um 2 % gestiegen. Es gibt ca. 13.000 Fachärzte in den
Krankenhäusern, sodass für 10.000 Patienten durchschnittlich
7,8 Spezialisten zur Verfügung stehen [8].
Bewerbungsverfahren für die Weiterbildung
&
Zweimal im Jahr findet ein zentral organisiertes Bewerbungsverfahren statt. Eine Kommission wählt geeignete Bewerber aus
und lädt sie für ein Bewerbungsgespräch an der Universität ihrer
Wahl ein [9, 10]. Die Kommission wählt dann nach einem strukturierten Gespräch über Motivation, Fähigkeiten, Erfahrungen
und persönliche Eigenschaften in Frage kommende Bewerber
aus [10]. Da die Zahl der Bewerber die Zahl der Weiterbildungsplätze jedes Jahr übersteigt (z. B. Nijmegen: 72 Weiterbildungsstellen/120 Bewerbungen), gibt es eine Zulassungsbeschränkung
zur allgemeinmedizinischen Weiterbildung.
3.
12 Monate
Inhalt
Arbeit in einer Praxis
unter
Aufsicht eines Weiterbilders mit täglicher
Besprechungen.
6 Monate Notfallmedizin
in einem Krankenhaus
Psychiatrie (3 Monate)
Pflegeheim (3 Monate)
Eins 1 von beiden
verpflichtend und ein
Wahlfach
(3 Monate)
Arbeit in einer anderen
Praxis mit Schwerpunkt
auf Versorgung chronischer Patienten und
Praxisorganisation
kontinuierliche Betreuung
durch die Stiftung für
Allgemeinmedizinische
Weiterbildung an einer
lokalen Universität
1 Tag externe Weiterbildung pro Woche an der
Universität
Beurteilung von Videoaufnahmen der Sprechstunde
– zweimal jährlich schriftliche Prüfung
– praktische Prüfungen
Weiterbildungscurriculum
&
Die Weiterbildung zum Allgemeinarzt dauert drei Jahre (䊉䉴 Tab. 2).
Die meisten Weiterbildungsassistenten sammeln vor Beginn der
Weiterbildung als sogenannte arts assistent für ein oder mehrere
Jahre klinische Erfahrungen. Unabhängig von dem Weiterbildungsprogramm zum Allgemeinarzt der acht medizinischen Fakultäten in den Niederlanden [11] gibt es allgemeinmedizinische
Forschungsabteilungen und – anders als in Deutschland – keine
gemeinsamen Weiterbildungsabschnitte mit den Internisten
oder vorgeschriebenen Weiterbildungszeiten in anderen Fachgebieten, wie z. B. früher in Chirurgie [12].
Das erste Jahr ist ein Praxisjahr bei einem akkreditierten Weiterbilder. Aufgrund der intensiven Zusammenarbeit mit dem Weiterbildungsassistenten werden beide durch ein Matching-Verfahren einander zugeordnet, d. h. bei diesem Verfahren werden
aus Fragebogen und Interviews die Präferenzen beider Seiten
miteinander abgeglichen [13].
Weiterbildungsassistenten haben meistens einen eigenen
Sprechstundenplan und sehen am Anfang etwa 10 Patienten pro
Tag; später ca. 20–30 Patienten. Zusätzlich finden pro Tag zwei
bis drei Hausbesuche statt. Wochenend- und Nachtdienste werden immer gemeinsam durchgeführt. Zunächst arbeitet der
Weiterbildungsassistent parallel mit dem Weiterbilder und hat
die Möglichkeit jeglicher Unterstützung. In täglich festgelegten
Besprechungszeiten werden Probleme, die evtl. in der Sprechstunde oder bei Hausbesuchen aufgetreten sind, diskutiert und
gelöst. In den gemeinsamen Sprechstunden kann der Weiterbilder den Weiterbildungsassistenten beobachten und ihm ein
Feedback geben. Mit zunehmender Selbständigkeit darf am
Ende des dritten Jahres der Weiterbildungsassistenten die
Sprechstunden allein durchführen.
Einmal in der Woche findet an der Universität in Gruppen von
10–12 Weiterbildungsassistenten ein strukturierter Unterricht
statt, an dem sowohl medizinische als auch persönliche Erfahrungen ausgetauscht werden. Schwerpunkte sind allgemeinmedizinisch relevante Themen, evidenzbasierte Medizin, Arzt-Patient-Kommunikation sowie Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen und Spezialisten. Ein erfahrener Allgemeinarzt und
ein Psychologe supervidieren die Gruppe und leiten sie an eigenständig relevante Themen auszuwählen, die ihren Lernbe-
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dürfnissen entsprechen. Kommunikationsfähigkeiten werden
mit Simulationspatienten geübt.
Das zweite Jahr besteht aus Rotationen durch die Notaufnahme
eines Krankenhauses und Wahlfächern, in denen z. B. Kenntnisse
in Psychiatrie vertieft werden können. Das Dritte gleicht dem
ersten Jahr und hat die Schwerpunkte Versorgung chronisch
Kranker und Praxisorganisation. Zusätzlich wird ein Forschungsoder Qualitätssicherungsprojekt durchgeführt.
Das dritte Jahr wird mit anderen Schwerpunkten ebenfalls in einer Hausarztpraxis absolviert.
Checklisten die Konsultation nach Struktur, Inhalt und Kommunikationsfähigkeit [18].
Es gibt keine Abschlussprüfung wie in Deutschland. Während
der Weiterbildung findet alle 3 Monate eine formative Prüfung
statt und am Ende jedes Weiterbildungsabschnitts eine summative Prüfung. Zusätzlich schreiben die Weiterbilder am Ende jedes Abschnitts eine Beurteilung mit Empfehlungen für Schwerpunkte in verbleibende Weiterbildungszeit.
Arbeitsbedingungen und Einkommen
&
Forschung
&
Bereits im Medizinstudium sind drei Monate der Forschung gewidmet. Im ersten Weiterbildungsjahr findet ein Kurs im kritischen Lesen medizinischer Literatur statt, der die Basis für
kleine Forschungsprojekte oder Literaturreviews bildet, welche
die Weiterbildungsassistenten zu erarbeiten haben. Diese Projekte werden in einer Vorlesung präsentiert und münden mitunter sogar in eine Publikation. Weiterbildungsassistenten mit
besonderem Interesse können zwei bis drei Forschungsjahre in
die Weiterbildung integrieren und den Abschluss einer Dissertation (PhD) anstreben. Es handelt sich dabei ausschließlich um
eine wissenschaftliche Qualifikation. Die meisten Allgemeinärzte
schreiben keine Dissertation, werden aber üblicherweise als
„dokter“ angesprochen und erhalten zusammen mit der Approbation den Namenszusatz „Drs“.
Die Nederlands Huisartsen Genootschap (NHG) ist die wissenschaftliche Vereinigung der niederländischen Hausärzte [14] –
ähnlich der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und
Familienmedizin (DEGAM) [15]. Mit 9.000 Mitgliedern sind fast
alle Hausärzte in ihr organisiert und das wichtigste Ziel ist die
Förderung und Unterstützung wissenschaftlich verantwortlicher Patientenversorgung. Die NHG erstellt Leitlinien, Patientenmaterialien, akkreditiert Qualitätsmanagement in Praxen
und leistet so ein wichtigen Beitrag zur Professionalisierung. Ihr
wissenschaftliches Organ ist die Zeitschrift „Huisarts en Wetenschap“ [16].
Anforderungen und Prüfungen
&
Ein Weiterbildungsprogramm muss die von der NHG und Landlijke Vereniging van Huisartsen (LHV) geforderten Kriterien erfüllen und umfasst folgende Aspekte [17]:
§ Grundprinzipien der Allgemeinmedizin
§ Arzt-Patient Kommunikation
§ interdisziplinäre Zusammenarbeit
§ Organisation der Hausarztpraxis und des Gesundheitswesens
§ sozialmedizinische Kenntnisse
§ Forschung und Unterricht
§ Professionalisierung
Während der gesamten Weiterbildung findet zweimal jährlich
eine schriftliche Wissensprüfung über klinisch relevante Themen statt, bei der die Weiterbildungsassistenten eine detaillierte Rückmeldung über ihre Stärken und Schwächen erhalten. Fertigkeiten werden separat in einem sog. skills laboratory getestet.
Videoaufnahmen von Konsultationen werden dreimal zur Überprüfung der Kommunikationsfähigkeiten angefertigt. Allgemeinärzte oder Psychologen bewerten anhand standardisierter
Eine normale 36-Stunden-Arbeitswoche besteht aus vier Arbeitstagen in der Praxis und einem Weiterbildungstag an der
Universität. Zusätzlich fallen ab dem ersten Weiterbildungsjahr
Spätsprechstunden oder Nacht- und Wochenenddienste etwa 2
bis 3 mal im Monat an. Der Jahresurlaub beträgt 25 Tage.
Die Stiftung für Allgemeinmedizinische Weiterbildung (SBOH)
bezahlt das monatliche Einkommen der Weiterbildungsassistenten in Höhe von ca. 2.300 S [19]. Mit 28.000 S Jahreseinkommen liegt dies knapp unter dem niederländischen Durchschnitt
[20].
Gemäß einem Abkommen zwischen der SBOH und 1.800 Weiterbildungsärzten erhält jeder Weiterbilder 150 S pro Woche.
Neben dem finanziellen Benefit gibt es aber noch einen weiteren
Grund, sich in der Weiterbildung zu engagieren: der Weiterbilder profitiert von der Arbeitsleistung des Weiterbildungsassistenten im Sinne einer zeitlichen Entlastung. Abhängig von der
Arbeitsleistung des Weiterbildungsassistenten übersteigt das
durch ihn erwirtschaftete Einkommen den Aufwand des Weiterbilders. Die SBOH erhält jährlich 90.000.000 S für die Weiterbildung vom Gesundheitsministerium und sorgt auch für Teilzeitweiterbildungsstellen und Kindergrippen, um die familienfreundliche Weiterbildung von Frauen zu fördern.
Qualitätssicherung in der Weiterbildung
&
Die Universitäten sind selbst verantwortlich für die Qualität der
Weiterbildung. Es gibt eine Qualitätssicherung und der Huisartsen en Verpleeghuisartsen Registratie Commissie (HVRC) hat die
Aufsicht darüber. Weiterbilder müssen fünf Jahre Berufserfahrung haben und eine Liste von 120 Kriterien erfüllen, bevor sie
weiterbilden dürfen [21]. Zusätzlich geben die Weiterbildungsassistenten Feedback an die Weiterbilder über ihre Leistung.
Die Weiterbildung wird seit 2003 umstrukturiert, um die Qualität der Weiterbildung weiter zu verbessern und um die aktuellen Anforderungen an die Hausärzte anzupassen [22].
Ausblick
&
Die Weiterbildungsbedingungen in Deutschland sind weit entfernt von denen in den Niederlanden; die Unterschiede sind in
䉴 Tab. 3 dargestellt. Der wichtigste Unterschied ist das Fehlen
䊉
strukturierter Weiterbildungsprogramme, wie sie auch in
Deutschland gefordert werden [2]. Die Verantwortung für die
Erfüllung des Weiterbildungskatalogs liegt in Deutschland einseitig bei dem Weiterzubildenden, was zu einer geringen Weiterbildungssicherheit führt und auch ein wichtiger Grund sein
könnte, warum sich immer mehr Medizinstudierende gegen
eine klinische Karriere entscheiden [23]. Aus allgemeinmedizi-
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Tab. 3 Vergleichende Gegenüberstellung der Allgemeinarztweiterbildung in
den Niederlanden und Deutschland
Weiterbildungsdauer
Weiterbildungsorganisation
formale Weiterbildung
Anforderungen an die
Weiterbilder/
Weiterbildungsstätte
Qualitätskontrolle des
Weiterbildungsprozess
Niederlande
Deutschland
3 Jahre
institutionalisiert,
strukturiert, organisierte Rotation, an die
Universität gebunden.
Weiterbildung
weitgehend durch
Allgemeinärzte
integriert und
kontinuierlich
berufsbegleitend
hoch
5 Jahre (oft länger)
ohne organisatorischen Überbau,
unstrukturiert Weiterbildung größtenteils
durch Spezialisten
institutionalisiert,
regelmäßig extern
und intern
Finanzierung
extern
Vergütung der
Weiterbildungsleistung durch das
Gesundheitsministerium
Weiterbildungssicherheit
hoch
Weiterbildungsprogramm sichert die
Erfüllung der Weiterbildungskatalogs
Facharztprüfung
kontinuierlich integriert,
keine Abschlussprüfung
extern durch die
Landesärztekammern
oder private Anbieter
relativ gering, nur
Strukturqualitätsmerkmale
keine systematische
Evaluation der
Weiterbilder durch
die Weitezubildenden
Keine externe
Kontrolle
teilweise Förderung
der Weiterbildung,
intransparent
Vergabepraxis
Arbeitsleistung des
Weiterzubildenden
steht im Vordergrund
gering
Verantwortung für
die Erfüllung der
Weiterbildungskatalogs liegt beim
Weitzubildenden
mündliche nicht
standardisierte
Abschlussprüfung
nischer Sicht ist der geringe Anteil von Weiterbildungsabschnitten außerhalb der Allgemeinmedizin in den Niederlanden bemerkenswert. Zukünftige Allgemeinmediziner werden bisher in
Deutschland besonders in der Inneren Medizin für den Stationsdienst und die Abdeckung der Nacht- und Wochenenddienste
gebraucht. Die Notwendigkeit für zukünftige Hausärzte, lange
stationäre Weiterbildungszeiten zu absolvieren, erscheint jedoch angesichts des vorgestellten Modells und den vergleichsweise kurzen stationären Zeiten im Ausland zweifelhaft [12].
Solange die Arbeitsleistung des Weiterbildungsassistenten (learning on the job) im Vordergrund steht und die Weiterbildungsleistung des Weiterbilders nicht honoriert wird, ist die Weiterbildung nur ein zufälliges Nebenprodukt.
Nach der Reform des Medizinstudiums sollte die Anpassung der
Weiterbildungsbedingungen in Deutschland orientiert an internationalen Vorbildern in kleinen Schritten begonnen werden.
Eine bessere Finanzierung und Förderung der Weiterbildung erscheint in der gegenwärtigen ökonomischen Situation des
Gesundheitssystems unrealistisch aber langfristig notwendig.
Auf dem Stellenmarkt werden hauptsächlich Fachärzte und fortgeschrittene Assistenten gesucht, während Berufsanfänger seit
der Abschaffung des Arztes im Praktikum Probleme mit dem Berufseinstieg haben [24]. Junge Ärzte in Weiterbildung sind nicht
attraktiv für Arbeitgeber und werden, wenn die Anforderungen
an Weiterbilder steigen, noch unattraktiver. Kurze Weiterbildungsabschnitte, die mit einem hohen Betreuungsaufwand verbunden sind, lohnen sich für Arbeitgeber nicht. Daran ist z. B. die
vierjährige Weiterbildung in Allgemeinmedizin gescheitert. Diese sah eine obligate Rotation durch die Kinderheilkunde vor, konnte aber wegen mangelnder Stellen aber auch der geringen Attraktivität für Weiterbilder nicht durchgehalten werden konnte.
Die stationäre Weiterbildung von Allgemeinärzten wird z. Z.
nach den Vorgaben des Sozialgesetzbuch (§ 73 SGB-V) finanziell
durch die Krankenkassen gefördert [25]. In anderen Weiterbildungsgebieten ist eine Förderung nicht vorgesehen. Im ambulanten Bereich wird ebenfalls nur die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin im Rahmen des Initiativprogramms Allgemeinmedizin gefördert. Allerdings gibt es in den einzelnen Bundesländern erhebliche Unterschiede bei der Ausschöpfung der Mittel und der Vergabepraxis [26].
Einige Verbesserungen der jetzigen Weiterbildung könnten jedoch ohne großen finanziellen Aufwand erfolgen:
§ Anpassung der Anforderungskataloge durch Einbindung von
Weiterbildungsassistenten in die Gestaltung des Curriculums.
§ Erstellung eines Anforderungskatalogs für Weiterbilder der
neben Merkmalen der Strukturqualität auch die Prozessqualität und Ergebnisqualität berücksichtigt.
§ Systematische Evaluation für Weiterbildungsstätten und
Weiterbilder durch die Weiterbildungsassistenten am Ende
ihrer Weiterbildung.
§ Bevorzugte Förderung von Weiterbildungsverbünden, insbesondere bei fehlen der vollen Weiterbildungsermächtigung.
§ Transparenz bei der Beantragung und Vergabe von Fördermitteln. Belohnung von Weiterbildungsqualität statt Windhundprinzip bei der Vergabe der Mittel.
§ Standardisierung der Facharztprüfung.
Fazit
&
Langfristig ist die Investition in eine strukturierte und qualitativ
hochwertige Weiterbildung nicht nur zur Qualitätssicherung
der Versorgung notwendig, sondern auch Voraussetzung für
eine optimale Nutzung der knappen Ressourcen durch gut qualifizierte Ärzte.
Literatur
1 Dictum das sowohl Derek Bok und Andy McIntyre zugeschrieben wird
2 Siebolds M, Beer AM, Kiwitt P, Meyring S. Strukturierte Facharztweiterbildung: Alter Wein in neuen Schläuchen oder Zukunftsoption.
Dtsch Arztebl 2006; 42: A2765–68
3 Niebuhr W. Arbeitszeitgesetz: Was tun gegen rechtswidriges Handeln? Dtsch Arztebl 1996; 93: A–1861
4 Heinrich W, Czypionka B, Baum E, Donner-Banzhoff N. Weiterbildungsverbünde Allgemeinmedizin in Deutschland-eine Bestandsaufnahme.
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5 Cardol M, Dijk L van, Jong JD de, Bakker DH de, Westert GP. Tweede Nationale Studie naar ziekten en verrichtingen in de huisartspraktijk: Huisartsenzorg: wat doet de poortwachter? Utrecht, Bilthoven: NIVEL,
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6 Verheij RA, Brake JHM Te, Abrahamse H, Hoogen H Van den, Braspenning J,
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the organization and provision of services among general practitio-
Plat E et al. Facharztweiterbildung Allgemeinmedizin … Gesundheitswesen 2007; 69: 1–5
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18 MAAS-globaal scoringslist Universität Maastricht. 2000; www.hag.
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19 Stichting Beroepsopleiding Huisartsen [Stiftung für die Berufsausbildung von Hausärzten], Utrecht, Die Niederlande. www.sboh.nl
20 National Instituut voor Budgetvoorlichting (NIBUD), Utrecht, Die Niederlande. www.nibud.nl
21 Kwaliteitsnormen voor de huisartsopleider. [Qualitätsanforderungen
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22 Project vernieuwing huisartsopleiding. [Weiterentwicklung der Weiterbildungsordnung] www.svuh.nl/PVH_producten.html
23 Köhler S, Kaiser R. Junge Ärzte- Ausstieg aus der Patientenversorgung?
Hess Arztebl 2003; 9: 462–464
24 Bundesagentur für Arbeit Arbeitsmarkt kompakt. 2006Ärzte. http://
www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/Veroeffentlichungen/AMKompakt-Info/AM-Kompakt-Aerzte-AGeber
25 Deutsche Krankenhausgesellschaft: Programm zur Förderung der
Weiterbildung in der Allgemeinmedizin. www.dkgev.de/dkgev.php/
cat/135/title/Formulare
26 Korzelius H. Initiativprogramm Allgemeinmedizin: Zaghafter Erfolg.
Dtsch Arztebl 2000; 97: A–84
27 Statistisches Bundesamt www.statis.de
28 Bundesärztekammer www.baek.de
29 Organisation for Economic Co-operation and Development www.
oecd.org
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