Mich juckts nicht

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Mich juckts nicht
arsenicum
allerdings stark. In Zürich sind Läuse ein Tabu. Die
Parasiten verstecken sich auf der Website: Mühsam
klickt man sich an Lebenslauf und Foto des Gesundheitsdirektors vorbei, durch den Stadtärztlichen
Dienst, der nur auf Alte eingestellt ist, via Kantonsärztlichen Dienst übers «Volkschulamt» zu einem
Mich juckts nicht
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inen gewissen Abstand muss der Hausarzt
schmucklosen Läuseblatt für Eltern, über das die
haben. Vor allem dann, wenn Patienten mit
Verantwortlichen noch mal die Köpfe zusammenste-
Läusen kommen, was sie momentan gehäuft tun.
cken sollten. Eines ist für die Behörde: Laut § 29
Wir haben die Stühle im Wartezimmer auseinander-
Abs. 2 lit a VSV können Kinder vom Schulbesuch
gestellt, und wer sich kratzt, kommt sofort ins Mehr-
dispensiert werden, «wenn die Läusebehandlung
zweck-Räumli. Es könnten ihm ja Pediculi humanis
von den Eltern trotz wiederholter Aufforderung nicht
capitis zu Kopfe gestiegen sein. Echt lausig ists ennet
sachgemäss durchgeführt wird». Macht die Kopflaus
der Grenze. Das will uns zumindest Dr. August
kopflos? Basel-Stadt hingegen hat einen amüsanten
Wolff, die Herstellerfirma des Dimeticon-haltigen
Flyer sowie eine ausführliche Publikation mit dem
Etopril, glauben machen. Geben Deutsche im Inter-
beissenden Titel «Ruhig Blut – die Läuse sind da». Ei
net in den «Läuseatlas» die Postleitzahl ihres Wohn-
der Laus, wenn das nicht kopflastig ist ... Liest man
ortes ein, wird ihr regionales Läuserisiko gezeigt.
das Merkblatt – in Albanisch, Südslawisch, Deutsch,
Während es im Nordwesten Deutschlands vor Kopf-
Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch,
lausbefallenen nur so wimmelt, bewahren die An-
Russisch, Spanisch, Tamil und Türkisch –, dann sei
rainer der Schweiz in Konstanz, Gottmadingen und
man «den Läusen 10 Nasenlängen voraus». Um
Lörrach einen ruhigen Kopf. Jedoch unser Städtchen
Laus- oder um Menschennasenlängen? Die Bebbis
hier, das mit seinen «bedeutenden Köpfen» wirbt,
empfehlen, sich dem Umfeld zuliebe als Luus-Cheib
scheint damit auch Nissen und Läuse anzuziehen.
zu outen. Nur ein Fasnachtsscherz oder Ausdruck
Ständig stürmen Eltern in meine Praxis, empört da-
von Transparenz und Toleranz? An die Solidarität
rüber, dass nun schon wieder ein sich nicht zu er-
appelliert auch der Fasnachtskanton Luzern, in dem
kennen gebendes verlaustes Kind in der Klasse ist
ein Veterinär der Gesundheit und dem Sozialem vor-
und die Behörden nicht einschreiten. Aus die Laus!,
steht und die drei Merkblätter – zwei für Lehrer und
fordern sie lausstark- – äh – lautstark. Werfen mir
Betreuer, eins für Eltern in zehn Sprachen – vorbild-
an den Kopf, dass man diese Lausbuben und Luus-
lich sind.
meiteli beim Namen nennen müsse. Und kahl rasie-
Doch trotz der Bemühungen aller Kopf-Jäger: Diese
ren. Ihnen notfalls unter Androhung von Busse oder
Tierchen lassen sich nicht ausrotten. Sie werden pes-
Gefängnis die guten alten Hausmittel wie Petroleum,
tizidresistent, widerstehen kiloschweren Druckbelas-
Alkohol und Silikon ins Haar schmieren und Kap-
tungen, sodass man sie kaum zerquetschen kann.
penzwang verhängen müsse. Doch stattdessen wür-
Sie bleiben uns treu, seit 5,5 Millionen Jahren, saugen
den nur Merkblätter an alle verteilt. Auf denen
nur bei uns und passen sogar ihre Panzerfarbe an
stünde, dass alle Eltern ihrem Kind den Schopf kon-
die Haarfarbe «ihres» Menschen an. Obwohl sie –
trollieren müssten! Dabei sei der doch stets frisch ge-
anders als Flöhe – nicht springen können, sondern
waschen. «Was höchstens zu saubereren Läusen
nur mühsam krabbeln, verbreiten sie sich in Windes-
führt», murmelt der Hausarzt und versucht, elter-
eile weltweit. Ja, wenn Menschen sich sehr nahe
lichen Fantasien vom Teeren und Federn entgegen-
kommen, profitieren davon auch Parasiten. Nun, so-
zutreten und den Erziehungsberechtigten den Schutz
lange mir keine Laus über die Leber läuft, kratzt
der Privatsphäre in den Kopf zu setzen. Die Kopf-
mich das alles nicht.
haut, so predigt er den alternativ Behandelnden, ist
kein Hort der Erlebnisgastronomie: Olivenöl, Essig,
Mayonnaise oder flüssige Butter gehören nicht ins
Haar. «Und waschen Sie dem Kantonsarzt nicht
den Kopf», brummelt er beruhigend und streicht sich
über die Kopfhaut, die plötzlich pruriginös wird. «Er
meint es nur gut mit den Merkblättern ...» Deren
Qualität unterscheidet sich von Kanton zu Kanton
ARS MEDICI 20 ■ 2008