Uslucan: Migration-Erziehung+Entwicklung
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Uslucan: Migration-Erziehung+Entwicklung
Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte: Was brauchen Kinder für eine gesunde Entwicklung? Vortrag in Mannheim am 04.07.2014 Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen Fakultät für Geisteswissenschaften Kontakt: [email protected] [email protected] •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan ww.uslucan.de Seite 11 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte • Gliederung des Vortrags • I. Integration und kulturelle Vielfalt als Thema der Psychologie • II. Was brauchen Kinder für eine gesunde psychische Entwicklung? • III. Elterliche Erziehung und ihre Folgen für die Entwicklung • IV. Exemplarische Erziehungsstile türkischer Migrantenfamilien • V. Ressourcen und Förderung von Kindern und Familien mit Zuwanderungsgeschichte •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 22 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte •Integrationskonzepte: Zwischen Assimilation und Abschaffung der Integration •Frühe Modelle: Unausweichlichkeit kultureller Assimilation •Herkunftskultur •Ankunftskultur •X •Person a •Herkunftskultur •X •Ankunftskultur •Person b •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 33 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 44 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Interaktives Akkulturationsmodell (IAM) Berry et.al (1987) Aufnehmende Gesellschaft Akkulturationsorientierungen: Einwanderer Integration Assimilation Separation Marginalisierung Integration Konsens problematisch Konflikt problematisch Assimilation problematisch Konsens Konflikt problematisch Segregation Konflikt Konflikt Konflikt Konflikt Marginalisierung Konflikt Konflikt Konflikt Konflikt •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 55 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Akkulturationsorientierungen Exemplarische Ergebnisse eigener Studien zu Akkulturationsorientierungen Akkulturationsorientierungen: Mittelwerte: Jugendliche und Eltern (M) Jugendliche 4,6 3,83 4 Mütter 3,8 3,25 3,4 2,75 2,8 2,06 2,2 1,97 1,76 1,81 1,6 ru ng n M ar gi na li sie ati o Se pa r tio im ila As s In teg ra tio n n 1 •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 66 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Akkulturationsorientierungen: Mittelwerte Türkische Jugendl. und andere Jugendl. mit MH 4,6 4 Jugend T MH 3,83 3,86 3,25 Andere MH 3,27 3,4 2,8 2,06 2,13 2,2 1,76 1,86 1,6 ar gi na l is ie ru ng M Se pa ra tio n ila tio n ss im A In te gr at io n 1 Keine signifikanten Unterschiede in der Akkulturationsorientierung •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 77 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Ergebnisse der Befragung – gesellschaftliche Integration Interkulturelle Freizeitbeziehungen (Prozentwerte) 20,4 0% 20% Jeden Tag 19,9 26,3 40% Häufig 17,1 60% Manchmal Selten 80% 16,3 100% Nie, so gut wie nie • Leichte Zunahme der Kontakte über die Zeit; stärkere Einbindung der Nachfolgegeneration • Ausgeprägter Wunsch nach Kontakten insbesondere bei Befragte ohne solche • Gleichbleibend kleine Gruppe, die freiwillig keinen Kontakt zu Einheimischen hat (2%) • 2010: deutliche Zunahme der Diskriminierungswahrnehmung (81%) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 88 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte II. Was brauchen Kinder für eine gesunde psychische Entwicklung? 5 Grundbedürfnisse von Kindern • 1. Grundbedürfnis nach Nähe und beständigen fürsorglichen Beziehungen • Erfahrung von Verlässlichkeit und liebevoller Beziehungen eine Voraussetzung, um später auch anderen Menschen Liebe und Vertrauen geben zu können •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 99 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte • Für die alltägliche Erziehungspraxis empfehlen Brazelton & Greenspan (2002) bspw. Säuglinge und Kindergartenkinder nicht mehr als ein Drittel ihrer Wachzeit sich selbst zu überlassen, sondern sie stets die Nähe einer Bezugsperson spüren zu lassen; • insbesondere wird einem Elternteil empfohlen, den größten Teil des ersten Lebensjahres beim Kind zu verbringen und mit Blick auf Betreuung in Kitas wird empfohlen, den Betreuungsschlüssel so zu gestalten, dass eine Erzieherin nicht mehr als für 4 Kleinkinder zuständig ist, um den Kindern optimale Zuwendung zu bieten (Vgl. Fuhrer, 2005; S. 195). •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 10 Seite 10 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte 2. Bedürfnis nach Unversehrtheit und Sicherheit: • Neben Risiken, die vor und nach der Geburt durch Elternverhalten resultieren (Substanzgebrauch, Mangelernährung, aber auch chronische Belastung der Mutter etc.), die unmittelbar die kindliche Entwicklung tangieren, ist ein weiteres Risiko für die Entwicklung von Kindern der emotionale und soziale Stress, der durch Armut, ökonomische Deprivation sowie auch Leistungsdruck vermittelt wird. • Mütterliche Depression gravierende Auswirkung auf die Entwicklung von Kindern; insbesondere ist das Risiko, dass die Töchter emotionale Probleme im Jugendalter aufweisen, recht hoch (eigene Studie zur Depression der Mutter: Heimweh). •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 11 Seite 11 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte 3. Bedürfnis nach individuell ausgerichteten Erfahrungen • • Kindliche Persönlichkeitsmerkmale bilden sich in der Wechselwirkung von Elternverhalten und kindlichen Besonderheiten aus; Was entwicklungsangemessen für ein Kind ist, kann schon für das andere Kind abträglich sein; so zeigt die Forschung zum Temperament, dass gleiches Erziehungsverhalten bei Kindern mit unterschiedlichem Temperament zu unterschiedlichen Entwicklungsverläufen führt. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 12 Seite 12 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Studien von Bates, Dodge, Pettit und Ridge (1998) zeigen: Restriktives Kontrollverhalten von Müttern bei impulsiven, drängenden Kindern: mittelfristig aggressionshemmend; das selbe Verhalten bei wenig impulsiven Kindern: gegenteiliger Effekt; verstärkt dissoziales Verhalten im Schulalter. Aber auch Kinder beeinflussen durch ihr Verhalten das elterliche Erziehungsverhalten. Deshalb ist ein bestimmter pädagogischer Ansatz nicht pauschal auf alle Kinder anzuwenden •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 13 Seite 13 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte • 4. Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen: Kinder haben spezifische Entwicklungsaufgaben, die sie aber in unterschiedlichem Tempo meistern; diese beschleunigen oder zu hemmen, gefährdet das gesunde Aufwachsen der Kinder. Deshalb gilt: Frühförderprogramme sollten auf die Entwicklung des spezifischen Kindes angemessen sein, damit sie Effekte entfalten können. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 14 Seite 14 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte • 5. Bedürfnis nach Grenzen und festen Strukturen Grenzen schützen Kinder vor körperlichen Gefahren (Verkehr, gefährliche Gegenstände), aber sie bilden auch feste Orientierungsrahmen, damit Kinder Erwartungen und Kontrollbewusstsein aufbauen können. Kinder, die inkonsistent, erzogen werden, laufen Gefahr, orientierungslos und gewaltanfällig zu sein; Darüber hinaus lernen Kinder durch konsequente Grenzziehung, dass Zusammenleben in einem Sozialverband ohne klare und verbindliche Regeln nicht möglich ist. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 15 Seite 15 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte III. Elterliche Erziehung und kindliche Entwicklung 5 Elterliche Erziehungsstile Kindliche Bereitschaft sich erziehen zu lassen 1 Elterliche Erziehungsziele 4 6 und -werte 2 Elterliches Erziehungsverhalten 3 •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Kindliche Entwicklungsmerkmale 16 Seite 16 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Veränderte Rahmenbedingungen familiärer Erziehung • Struktureller Wandel der Haushaltsformen • Veränderte Wert- und Erziehungsmuster • Prekäre Bedingungen der innerfamiliären Beziehungsgestaltung •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 17 Seite 17 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Erziehungsziele in den 1950er bis 1970er Jahren • Gehorsam • Ehrlichkeit • Ordnung • Hilfsbereitschaft • Reinlichkeit • Verträglichkeit • gute Manieren • Fehlen von Opposition Ab den 1980er Jahren und danach • Selbständigkeit • Selbstbewusstsein • Selbstverantwortlichkeit • Kritikfähigkeit • Zuverlässigkeit • Hilfsbereitschaft Quelle: Sturzbecher, D. & Waltz, C. (1998). Erziehungsziele und Erwartungen in der Kinderbetreuung. In D. Sturzbecher (Hrsg.), Kinderbetreuung in Deutschland (S. 86-104). Freiburg i.Br.: Lambertus. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 18 Seite 18 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Elterliche Erziehungsmuster Emotionale Unterstützung/Wärme _ + + _ • Autoritativer Erziehungsstil • Nachgiebiger Erziehungsstil „Laisserfaire • Autoritärer Erziehungsstil • Ablehnendvernachlässigender Erziehungsstil (Typologie vom Maccoby & Martin, 1983; in Anlehnung an Baumrind, 1983) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 19 Seite 19 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Entwicklungsfolgen für Kinder Kinder ... zeigen Kognitive Kompetenz Selbstwirk- Prosoziales Problemsamkeit verhalten verhalten vernachlässigender Eltern niedrigste niedrigste niedrigstes höchstes nachgiebiger Eltern mittlere mittlere mittleres autoritärer Eltern mittlere mittlere mittleres zweithöchste autoritativer Eltern höchste höchste höchstes dritthöchste niedrigstes Quelle: Baumrind, D. (1989). Rearing competent children. In W. Damon (Ed.), Child development today and tommorrow (pp. 349-378). San Francisco: Jossey-Bass. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 20 Seite 20 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Konvergenz der Forschungsbefunde Erziehungskompetente Eltern haben kompetente Kinder Aber: autoritativer Erziehungsstil nicht kulturübergreifend wirksam •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 21 Seite 21 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte IV. Exemplarische Erziehungsstile türkischer Migrantenfamilien Rangreihe der Erziehungsziele türkischer Eltern (Scherberger, 1999) Rangplatz Erziehungsziel I II III IV V Selbstständigkeit/Verantwortung 12 5 7 14 12 Lernen/Leistungsstreben 9 8 14 11 8 Gehorsam/Ordnung 8 11 17 3 11 Rücksichtnahme/Ehrfurcht 11 10 11 12 6 Religiöse Pflichterfüllung 10 16 1 10 13 Insgesamt (n = 50) 50 50 50 50 50 •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 22 Seite 22 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Rangreihe der Erziehungsziele deutscher Eltern (Scherberger, 1999) Erziehungsziel Rangplatz I II III IV V Selbstständigkeit/Verantwortung 25 14 4 6 1 Lernen/Leistungsstreben 16 21 8 3 2 Gehorsam/Ordnung - 7 10 25 8 Rücksichtnahme/Ehrfurcht 9 8 21 7 5 Erziehung zum christlichen Glauben - - 7 9 34 50 50 50 50 50 Insgesamt (n = 50) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 23 Seite 23 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Wert und Stellung von Kindern anhand der Namensgebungen: Typologie: •Religiöse Namen: Ahmet, Mehmet, Mahmut, Nureddin, Seyfeddin, Osman, Ömer, Ali (männlich); Ayse, Fatma, Hatice, Emine (weiblich) •Namen als Familienprogramm und familiale Positionsanzeiger: Murat, Ümit, Ilknur, Songül, Yeter •Namen als Träger der Tradition: Namen der eigenen Eltern insbesondere bei dem ersten Kind; Generationenkette nach dem A-B-A-B Modell. •Modische Namen, internationale Namen, ereignisbezogene Namen: Deniz, Yasmin, Cigdem, Baris, Devrim, Bülent, etc. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 24 Seite 24 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Sozialisationskontexte von Kindern mit Migrationshintergrund Häufige entwicklungspsychologische Risiken in Migrantenfamilien aus der Sicht des Kindes im jungen Alter: •mehr als drei Geschwister (dadurch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung dem einzelnen Kind gegenüber); bei mehr als drei Geschwistern auch ein deutlich geringeres Netz an Peer-Kontakten. •zu geringer Altersabstand in der Geschwisterreihe (Gefahr der Übersozialisierung und Vernachlässigung typisch kindlicher Bedürfnisse) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 25 Seite 25 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Sozialisationskontexte von Kindern mit Migrationshintergrund •24% der deutschen 8-9 jährigen Kinder Altersabstände unter zwei Jahren zu einem benachbarten Geschwister; •bei Migrantenkindern insgesamt etwa 80% (Marbach, 2006). •Entwicklungspsychologische Studien zeigen: bei Altersabständen unter zwei Jahren steigt das Risiko der geringeren Aufmerksamkeit in der Kindheit und die Wahrscheinlichkeit für eine spannungsreichere Adoleszenz als bei Geschwistern mit größerem Altersabstand. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 26 Seite 26 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Typische Probleme: • Kinder akkulturieren sich schneller, entfernen sich dadurch mehr von den Eltern (Spannungen zwischen den Generationen); • Parentifizierung von Kindern • Repräsentation ohne Legitimation bei zugeheirateten Männern: (in der Familienforschung riskanteste Paarkonstellation): ungünstige Vorbildfunktion •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 27 Seite 27 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Stichprobenkennzeichnung • Rekrutierungskontext: Berliner Oberschulen in den Bezirken Neukölln, Kreuzberg, Charlottenburg und Steglitz-Zehlendorf Deutsche Türken 214 304 •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 28 Seite 28 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Stichprobenkennzeichnung: Schüler Deutsche Türken Altersdurchschnitt 13.6 (SD .67) 13.94 (SD .63) Geschlechtsspezifische Zusammensetzung 53 % männl. 47 % weibl. 45 % männl. 55 % weibl. Hauptschule 17.8 % 23.8 % Realschule 10.8 % 41.6 % Gesamtschule 22.4 % 3.7 % Gymnasium 49.0 % 30.8 % Bildungshintergrund •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 29 Seite 29 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Stichprobenkennzeichnung: Eltern Deutsche Türken Gesamt 412 239 Zusammensetzung der Eltern 225 Mütter (M) 187 Väter (V). 131 Mütter (M) 108 Väter (V). Altersdurchschnitt der Eltern 43.18 (SD 5.35) M 46.0 (SD 6.94) V 38.23 (SD 4.88) M 41.86 (SD 5.90) V Durchschnittliche Kinderzahl 2.21 (SD 1.04) 3.26 (SD 1.22) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 30 Seite 30 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Stichprobenkennzeichnung: Bildungshintergrund der Eltern 60 Deutsche Mütter Deutsche Väter Angaben in Prozente 50 Türk. Mütter Türk. Väter 40 30 20 10 •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan A bi tu r M itt l. R ei fe H au pt sc hu le G ru nd sc hu le ke in A bs ch lu ß 0 31 Seite 31 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Ergebnisse M itte lw e rte (M ), S ta n d a rd a b w e ic h u n g e n (S D ), S ig n ifik a n ze n (p ) u n d E ffe k ts tä rk e n (d ) im e th n is c h e n V e rg le ic h : E lte rn s ic h t V a ria blen T ü rke n D e utsche (N = 12 9) (N = 22 6) M SD M SD A g gre ssive S tre ng e (M ) 1.74 .61 1.58 .44 .0 0 .30 U n terstützun g (M ) 4.17 .67 4.25 .44 .1 9 -.14 V e rha lte ns disz iplin (M ) 3.71 .77 2.68 .62 .0 0 1 .4 8 In kon siste nz (M ) 2.04 .62 1.75 .49 .0 0 .52 A g gre ssive S tre ng e (V ) 1.75 .63 1.57 .50 .0 1 .32 U n terstützun g (V ) 3.90 .66 4.01 .53 .1 3 -.17 V e rha lte ns disz iplin (V ) 3.59 .75 2.69 .64 .0 0 1 .5 1 In kon siste nz (V ) 2.06 .63 1.83 .58 .0 0 .38 •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan p d 32 Seite 32 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Ergebnisse Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich: Jugendlichensicht Variablen Türken Deutsche (N = 207) (N = 298) M SD M SD p d Aggressive Strenge (M) 1.76 .62 1.63 .61 .02 .21 Unterstützung (M) 3.77 .80 3.68 .79 .23 .11 Verhaltensdisziplin (M) 3.52 .76 2.72 .73 .00 1.07 Inkonsistenz (M) 1.89 .64 1.80 .62 .12 .14 Aggressive Strenge (V) 1.69 .60 1.59 .66 .10 .16 Unterstützung (V) 3.47 .84 3.39 .93 .32 .09 Verhaltensdisziplin (V) 3.39 .87 2.52 .82 .00 1.58 Inkonsistenz (V) 1.82 .63 1.66 .65 .01 .25 •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 33 Seite 33 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Elterliche Erziehungsstile in Abhängigkeit des Bildungshintergrundes (Hauptschule als höchster Bildungsabschluß) Mittelwerte und Standardabweichungen Türkische Eltern Deutsche Eltern Variablen N M SD N M SD F p Aggressive Strenge (M) 33 1.67 .54 46 1.86 .54 2.44 .12 Unterstützung (M) 35 4.22 .70 47 4.11 .47 .82 .36 Verhaltensdisziplin (M) 36 3.51 .83 46 3.00 .52 11.74 .00 Inkonsistenz (M) 32 1.94 .48 44 2.03 .55 .60 .43 Aggressive Strenge (V) 32 1.77 .73 36 1.80 .69 .32 .86 Unterstützung (V) 30 3.97 .63 38 3.95 .60 .00 .92 Verhaltensdisziplin (V) 36 3.83 .68 38 3.09 .66 22.0 .00 Inkonsistenz (V) 34 2.11 .61 37 2.08 .74 .02 .88 •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 34 Seite 34 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Exemplarische Ressourcen von Familien mit (muslimischer) Zuwanderungsgeschichte: • • • gesundheitsfördernde kulturelle Muster der Lebensführung wie bspw. ein günstigeres Stillverhalten von Müttern; niedrigerer Tabak- und Alkoholkonsum von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Robert-Koch-Institut 2008). Muslimische Migrantenfamilien in ähnlichen widrigen Umständen wie Einheimische (Armut, Arbeitslosigkeit, Deprivation etc.): durch eine stärkere Kohäsion ihrer verwandtschaftlicher und familialer Netzwerke bessere Verarbeitung sozialer Benachteiligungen als Einheimische (Thiessen 2007). •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 35 Seite 35 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Exemplarische Ressourcen von Familien mit (muslimischer) Zuwanderungsgeschichte: Armut und Suchtproblematik bei deutschen Familien deutlich dominanter; Muslimische Familien ermöglichen ihren Kindern bspw. trotz ärmlicher Verhältnisse eine weitestgehend gute Ernährung und Beaufsichtigung des Kindes. D.h. bei gleicher Soziallage ist das „Kümmern“ um die Kinder bei Migranten besser gegeben; es herrschen tragfähigere soziale Netzwerke vor. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 36 Seite 36 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Resilienz • Wie kommt es, dass trotz elterlicher Risiken wie Arbeitslosigkeit, Armut, Psychotischer Erkrankung und Scheidungserfahrung der Eltern die Kinder relativ erfolgreich ihr Leben meistern? • Wie kommt es, dass trotz eigener Risiken wie Geburtskomplikationen, körperliche Behinderung etc. sie dennoch einen hohen Grad an Widerstandskraft, Robustheit („Hardiness“) zeigen? • Resilienz umschreibt also die Fähigkeit, relativ unbeschadet mit den Folgen belastender Lebensumstände umzugehen und Bewältigungskompetenzen zu entwickeln. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 37 Seite 37 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Risikomildernde Faktoren im Kindesalter – Kindbezogene Faktoren – Umgebungsfaktoren – Weibliches Geschlecht – Erstgeborenes Kind – Positives Temperament (flexibel, aktiv, offen) – Überdurchschnittliche Intelligenz – Physische Attraktivität – Positives Sozialverhalten – Positives Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeitsüberzeugung – Aktives Bewältigungsverhalten – Stabile emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson – Offenes, unterstützendes Erziehungsklima – Familiärer Zusammenhalt und soziale Unterstützung – Positive Freundschaftsbeziehungen – Positive Schulerfahrungen •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 38 Seite 38 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Resilienz • Resilienzforschung: Förderung von Merkmalen beim • Kind : – – – – – Selbststeuerung, Selbstwahrnehmung (eigene Gefühle etc.) Selbstwirksamkeit und Leistungsmotivation Attributionsmuster (internal vs. external) Umgang mit Konflikten/Stress •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 39 Seite 39 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Resilienz • Resilienzfaktoren bzw. Widerstandsfähigkeit– und hierbei eher die personalen- scheinen am besten in der Phase der Kindheit, etwa bis zum Alter von 10 Jahren, erworben werden zu können; als Erwachsener fällt das schwerer • Strategien der Resilienzförderung: • 1. Gefährdungen reduzieren (bei sozial schwachen Gruppen und bei Migrantenkindern) 2. Ressourcen stärken: Programme wie etwa „Faustlos“, Förderung optimistischer Einstellungen nach Seligman, Starke Eltern-starke Kinder etc. 3. Präventionsmaßnahmen vor der Entwicklung von riskanten Konstellationen: Elternaufklärung; Feinfühligkeitstraining, Schwangerschaftsberatung etc. • • •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 40 Seite 40 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Resilienzförderung bei Kindern und -Jugendlichen Anleitung für Erzieher/Lehrer mit Blick auf Resilienzförderung: (Vgl. Kormann, S. 52): • Macht das Kind den Eindruck sicherer Bindung? • Wie könnte evtl. die Mutter zu mehr Feinfühligkeit angeregt werden? • Gibt es im Umfeld des Kindes positive Beziehungen? Kann ich evtl. eine positive Beziehung zu dieses Kind bieten? • Wenn nicht: Kann ich dafür sorgen, dass jemand anderes zu diesem Kind eine positive Beziehung aufbaut? • Gibt es Eigenschaften an diesem Kind, die ich positiv/angenehm finde? Was kann dieses Kind besonders gut? •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 41 Seite 41 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Resilienzförderung bei Kindern und -Jugendlichen Anleitung für Erzieher/Lehrer mit Blick auf Resilienzförderung: (Vgl. Kormann, S. 52): • Wie nimmt das Kind/die Familie generell die Probleme wahr? Ist es realistisch/überzogen ängstlich/untertreibend/bagatellisierend? • Wie kann ich dem Kind/der Familie zu einer realistischen Problemwahrnehmung verhelfen? •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 42 Seite 42 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Resilienzförderung bei Kindern und -Jugendlichen Anleitung für Erzieher/Lehrer mit Blick auf Resilienzförderung: (Vgl. Kormann, S. 52): • Wie fühle ich mich in der Situation mit diesem Kind? Vermeide ich möglicher weise die Einfühlung, weil die Umstände dieses Kindes so schwierig sind, meine emotionale Befindlichkeit unangenehm berühren? • Was weiß ich von diesem Kind? Wie viele Geschwister hat es? Welche Hobbies hat es? Was machen dessen Eltern? Wo kommen die genau her? •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 43 Seite 43 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Resilienzförderung bei Kindern und -Jugendlichen Anleitung für Erzieher/Lehrer mit Blick auf Resilienzförderung: (Vgl. Kormann, S. 52): • • Verhalte ich mich selbst in meinem Leben resilienzförderlich? Hole ich mir Hilfe, wenn ich nicht weiter weiß? Sorge ich für Entlastung in meinem Leben? Sorge ich dafür, dass ich selbst, bzw. dass meine Institution handlungsfähig und kompetent bleibt? •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 44 Seite 44 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte Verbesserungen durch: •Qualitativ bessere Bildung im vorschulischen Bereich (Ganztagsbetreuung, bessere sprachliche Förderung etc.) •Keine frühe Selektion • Ganztagsschulen: Hausaufgabenbetreuung soll nicht von den Eltern abhängig sein; denn auch andere „bildungsferne“ Schichten profitieren davon (Vgl. Boos-Nünning, 2008). •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 45 Seite 45 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte • Kompetenzen und Potenziale junger Migranten stärker entdecken, herausstellen, wahrnehmen, fördern (keine Abwertung der Muttersprache). • In Schulkontexten (Migranten-)Jugendliche noch stärker in verantwortungsvolle Positionen – ungeachtet möglicherweise geringerer sprachlicher Kompetenzen – einbinden • Keine scheinbar sozial/pädagogisch motivierten Überlegungen in der Schule dulden („Für Migrantenkinder ohne elterliche Unterstützungspotenziale reicht auch eine Hauptschule/Realschule“). •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 46 Seite 46 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte In Schulkontexten: • Erfahrungen einsetzen mit Tutorensystemen in der Lehr-Lern-Forschung • stärker handlungsorientierte Formen des Unterrichts (nicht nur Frontalunterricht) praktizieren, in denen Jugendliche partizipieren können; Schule nicht nur als Ort des Versagens und Ohnmachtserfahrungen • Ethnische Diskriminierung als Thema stärker ins öffentliche Bewusstsein bringen: Änderung des gesellschaftlichen Klimas, der medialen Berichterstattung etc. •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 47 Seite 47 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte • Verbesserung der schulischen Ausstattung in sozial-benachteiligten Gebieten (oft konfundiert mit Wohnorten von Zuwanderern); mangelnder Zugang an anspruchsvolle Bildungsangebote blockiert Potenziale • Individuelle Bezugsnorm statt soziale Bezugsnorm zur Lernmotivation einsetzen (gerade bei Kindern mit junger Zuwanderungsgeschichte) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 48 Seite 48 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Förderung von Kindern und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte • Mehr Lehrkräfte mit MH, um die sprachlichen Kompetenzen, Eigenheiten, Kreativität in der Erstsprache, Muttersprache des Kindes zu erkennen; • Zugleich: Familiensprache ist nicht immer Nationalsprache (Kurdisch-Türkisch; Katalanisch-Spanisch etc.) • Lehrkräfte benötigen stärkere interkulturelle Kompetenzen in ihrer Ausbildung: höhere Sensibilität für Lebenslagen von Kindern mit diversen kulturellen Hintergründen • Checklisten und Beobachtungsmanuale (zur Identifikation von Begabungen) für Lehrkräfte Eltern; aber auch für Eltern mit MH („Kultur der Bescheidenheit“; geringe Kenntnisse über ausgeprägte Begabungen) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 49 Seite 49 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Effekte von Förderprogrammen: Frühe Leseförderung: • Keine unmittelbare, Steigerung der • Lesemotivation signifikante Intelligenzsteigerung, aber eine Sprachförderprogramme dagegen: Positiver Einfluss auf die Intelligenz • Indirekte positive Einflüsse auf Selbstwertgefühle und Selbstwirksamkeit • Aggressionsmindernd („Die Pistole ist das Schreibgerät des Seite 5050 Seite Analphabeten“). • Bessere Bildung kann frühe Risiken (Devianz) verringern und alternative Entwicklungspfade begünstigen (Vgl. Schmidt-Denter, 2008) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 50 Seite 50 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Folgende problematische Charakteristika (Auernheimer, 2006): • Fixierung auf fremde „Mentalitäten“ oder „Sitten“: kulturdeterministisches Weltbild • pauschaler Fundamentalismusverdacht (bei Schülerinnen mit Kopftuch Verdacht auf patriarchale und von Zwang geprägte Familienstrukturen) • Infantilisierung von Migranteneltern; Paternalismus, Mitleid (Einschätzung nichtdeutscher Eltern als defizitär, rückständig und unmündig) •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 51 Seite 51 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Folgende problematische Charakteristika (Auernheimer, 2006) : • Barsche Forderung nach Assimilation („Es ist durchaus notwendig, dass man diesen Eltern mal ganz rabiat bewusst macht, rabiat in Anführungszeichen, was ich von ihnen erwarte, was sie gefälligst zu tun haben und was ihre Pflicht ist“ (Marburger, 1997) • Aber auch: Folgenlose bzw. ausgrenzende „Toleranz“; Anerkennen, dass Migranteneltern andere Erwartungen und Wünsche haben, aber keine Bereitschaft, in irgendeiner Weise diese Wünsche in Erfüllung zu bringen. • Tendenz zu zivilisatorischer Mission •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 52 Seite 52 Erziehung und Entwicklung in Familien mit Zuwanderungsgeschichte Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit ! Kontakt: [email protected] [email protected] •Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan ww.uslucan.de 53 Seite 53