Lösung Fall 09 - Zivilrecht VI

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Lösung Fall 09 - Zivilrecht VI
Fall 9
Anspruch des V gegen D auf Herausgabe der DVD gemäß § 985 BGB
V hat einen Anspruch gegen D aus § 985 BGB, wenn V noch Eigentümer und D unrechtmäßiger Besitzer ist.
1. D ist unmittelbarer Besitzer, vgl. § 854 I BGB.
2. V müsste Eigentümer der DVD sein.
a. Ursprünglich war V Eigentümer.
b. Er könnte aber sein Eigentum durch Veräußerung von K an D verloren haben, sofern diese wirksam war.
i. K und D haben sich über den Eigentumserwerb geeinigt i.S.d. § 929 S. 1
BGB.
ii. Auch die für § 929 S. 1 BGB erforderliche Übergabe liegt vor.
iii. Keine Probleme bestehen auch beim Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe, vgl. § 929 S. 1 BGB.
iv. Letztendlich müsste K zur Veräußerung berechtigt gewesen sein. Berechtigt ist aber grds. nur der Eigentümer. Das war im Zeitpunkt der Verfügung
nur V. Demnach konnte das Eigentum nicht nach § 929 S. 1 BGB übertragen werden.
v. In Betracht kommt aber ein gutgläubiger Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932
BGB.
Merke: Grundvoraussetzungen jeglichen gutgläubigen Erwerbs (bewegliche und unbewegliche Sachen):
(1) Vorliegen aller Merkmale des Erwerbstatbestandes außer der Berechtigung des Veräußerers
(2) Rechtsgeschäft i.S.e. Verkehrsgeschäfts
(3) Guter Glaube des Erwerbers
(4) Kein Ausschluss
Ein solcher setzt voraus, dass ein Rechtsgeschäft i.S.e. Verkehrsgeschäfts
vorlag, D gutgläubig i.S.d. § 932 II BGB war und die Sache dem V nicht abhanden gekommen gem. § 935 I BGB ist.
• Ein Verkehrsgeschäft liegt vor, wenn auf der Erwerbsseite mindestens eine Person beteiligt ist, die nicht auf der Veräußererseite steht.
Ein Verkehrsgeschäft liegt unproblematisch vor.
• D müsste gutgläubig gewesen sein. Nach der Legaldefinition des
§ 932 II BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm
bekannt oder grob fahrlässig unbekannt ist, dass der Veräußerer
nicht der Eigentümer ist. D musste nicht an der Eigentümerstellung
des K zweifeln und war folglich nicht bösgläubig.
• Der gutgläubige Erwerb ist ausgeschlossen, wenn die bewegliche
Sache dem Eigentümer abhanden gekommen ist gem. § 935 I BGB.
Abhandenkommen ist der unfreiwillige Verlust des unmittelbaren
Besitzes. V hat K die DVD freiwillig ausgeliehen und seinen unmittelbaren Besitz aufgegeben.
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vi. Alle Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs nach §§ 929 S. 1, 932 I
S. 1 BGB liegen vor. D hat demnach das Eigentum an der DVD erworben.
Ergebnis: Mangels Eigentum besteht kein Herausgabeanspruch des V gegen D.
1. Abwandlung
Anspruch des V gegen D Herausgabe der DVD gemäß § 985 BGB
V hat einen Anspruch gegen D aus § 985 BGB, wenn V noch Eigentümer und D unrechtmäßiger Besitzer ist.
1. D ist Besitzer, vgl. § 854 I BGB.
2. Fraglich ist, ob V Eigentümer ist.
a. Ursprünglich war V Eigentümer.
b. Mangels Berechtigung des Veräußerers K müssten zum Eigentumserwerb durch D
die Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs durch D, §§ 929 S. 1, 932 BGB
vorliegen.
i. Ein Rechtsgeschäft i.S.e. Verkehrsgeschäfts liegt vor.
ii. Der Sacherhalt enthält keine Hinweise, dass D am Eigentum des K zweifeln müsste. Er war mithin gutgläubig i.S.d. § 932 II BGB.
iii. Die Sache dürfte V auch nicht abhanden gekommen sein gem. § 935 I
BGB. Abhandenkommen meint den unfreiwilligen Verlust des unmittelbaren Besitzes. V hat sich des Besitzes freiwillig entledigt. Nach § 935 I 2
BGB ist die Sache aber auch dann dem Eigentümer abhanden gekommen,
wenn er selbst mittelbarer Besitzer war und dem unmittelbaren Besitzer als
Besitzmittler der Besitz abhanden gekommen ist. Bei der Weggabe einer
Sache durch einen nicht voll Geschäftsfähigen stellt sich die Frage nach
der Freiwilligkeit der Besitzaufgabe. Während bei der Weggabe durch einen Geschäftsunfähigen ein Abhandenkommen bejaht wird, stellt die h.M.
beim beschränkt Geschäftsfähigen (§§ 106, 2 BGB) auf das Urteilsvermögen des Minderjährigen ab. An dieser ist bei einem 17-jährigen mangels
entgegenstehender Angaben nicht zu zweifeln, so dass dem D die Sache
nicht abhanden gekommen ist und folglich auch nicht dem V nach
§ 935 I 2 BGB.
iv. Dennoch besteht vorliegend ein Problem: die Wirksamkeit der Einigung
K - D gemäß § 929 S. 1 BGB. Hierbei handelt es sich um einen dinglichen
Vertrag, also sind die §§ 104 ff. BGB über Rechtsgeschäfte anwendbar.
Mithin ist die Wirksamkeit der dinglichen Einigung zwischen D und dem
beschränkt geschäftsfähigen K nach §§ 107, 108 I BGB fraglich.
Schlagwort: Problem der Möglichkeit eines Gutglaubenserwerbs vom nicht berechtigten Minderjährigen.
Wäre K Eigentümer der DVD gewesen, würde er durch deren Übereignung einen
rechtlichen Nachteil erleiden (vgl. § 107 BGB). Er könnte eine solche Willenserklärung also nicht ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters abgeben. Da er allerdings nie Eigentümer der Sache geworden ist, kann er das Eigentum auch nicht verlieren. Es handelte sich daher für ihn um ein rechtlich neutrales (indifferentes) Geschäft.
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Die h.M. [vgl. Palandt68- Heinrichs/Ellenberger § 107 Rn. 7 m.w.N.] stellt derartige
indifferente Rechtsgeschäfte lediglich rechtlich vorteilhaften Geschäften gleich. Ein
beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger i.S.d. § 106 BGB (nie nach § 104 Nr. 1
BGB!) kann demnach auch rechtlich neutrale Rechtsgeschäfte allein wirksam vornehmen. Hierfür spricht insbesondere die Wertung des § 165 BGB sowie die mangelnde Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen in diesen Fällen. Nach h.M. spielen bei der
Bewertung eines Rechtsgeschäfts nach § 107 BGB mittelbare Nachteile (z.B. Schadensersatzpflicht des Minderjährigen nach § 823 I bzw. § 823 II i.V.m. § 246 StGB
unter Beachtung des § 828 BGB) keine Rolle. Danach hätte K trotz seiner beschränkten Geschäftsfähigkeit einen gutgläubigen Erwerb des D an der DVD bewirken können.
Kritisch sieht dies hingegen Medicus [AT7 Rn. 568]: Es bestehe ein rechtspolitischer
Unterschied zum Fall des § 165 BGB: Dass dem beschränkt Geschäftsfähigen die
(rechtmäßige) Stellvertretung offen stehen soll, zwinge nicht dazu, ihm auch die unrechtmäßige (und daher womöglich zum Schadensersatz verpflichtende) Verfügung
über fremde Rechte zu ermöglichen. Zudem wird der Minderjährige bei „unrechtmäßiger“ (ohne Vertretungsmacht erfolgender) Vertretung durch § 179 III S. 2 Halbs. 1
BGB geschützt, wohingegen bei der Verfügung über fremdes Eigentum eine solche
Schutzvorschrift zugunsten des Minderjährigen gerade nicht existiert.
Auch könnten mittelbare Nachteile des Rechtsgeschäfts für den Minderjährigen dann
nicht unberücksichtigt bleiben, wenn diese zwangsläufig eintreten, so wie in diesen
Fällen. Die Anwendung von § 107 BGB ist demnach abzulehnen [vgl. J. Braun Jura
1993, 459, 460 m.w.N.].
Manche Stimmen in der Literatur sprechen sich gegen einen Erwerb vom nichtberechtigten Minderjährigen aus, weil der Erwerber (hier D) bei Richtigkeit seiner Vorstellung wegen § 107 BGB kein Eigentum erwerben könnte, d.h. wenn die Sache dem
K wirklich gehören würde. Redlichkeitsvorschriften wollen den Erwerber (D) nicht
besser stellen, als er bei Richtigkeit seiner Vorstellung stünde [so Medicus21
BürgR, Rn. 540 ff.; vgl. auch J. Braun Jura 1993, 459 f.]. Es gäbe keinen Grund, den
(aus dem Eigentum folgenden Schutz) des bisherigen Eigentümers hinter die nicht
schutzwürdigen Erwerbsinteressen desjenigen zurücktreten zu lassen, der auch bei
Richtigkeit seiner Vorstellung nicht erwerben könnte. Konstruktiv möchte Medicus die
Ablehnung des Gutglaubenserwerbs über eine restriktive Auslegung der Vorschriften
über den redlichen Erwerb bewerkstelligen. [so auch Musielak GK BGB10] . Des Weiteren wird der Widerspruch angeführt, dass ein Erwerb beim einfachen „Mangel“ in
Gestalt der beschränkten Geschäftsfähigkeit scheitere, währenddessen ein solcher
dann gelingen soll, wenn der zusätzliche „Mangel“ fehlenden Eigentums des Veräußerers hinzutritt.
Gegen letztgenannte Ansicht (und für die h.M.) spricht, dass sie Verkehrsschutz mit
Minderjährigenschutz vermengt [so Hommelhoff/Stüsser Jura 1985, 654, 658]. Zudem
führt sie zu der etwas befremdlich anmutenden Konsequenz, dass der Alteigentümer
bei (freiwilliger) Weggabe der Sache an einen beschränkt Geschäftsfähigen besser (er
verlöre sein Eigentum nicht) als bei Weggabe an einen Vollgeschäftsfähigen (dann Eigentumsverlust nach §§ 929 S. 1, 932 BGB) geschützt würde.
Folgt man der h.M., so ist hier ein Gutglaubenserwerb des D anzunehmen.
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Ergebnis: Mangels Eigentum besteht kein Herausgabeanspruch des V gegen D.
[Ähnliche Konstellation: Fälle des § 1369 BGB, dazu Medicus BürgR, Rn. 541 f.]
2. Abwandlung
Anspruch des V gegen X auf Herausgabe der DVD gemäß § 985 BGB
V hat einen Anspruch gegen X aus § 985 BGB, wenn V noch Eigentümer und X unrechtmäßiger Besitzer ist.
1. X ist Besitzer, vgl. § 854 I BGB.
2. V müsste Eigentümer sein.
a. Ursprünglich war V Eigentümer.
b. V hat das Eigentum an der DVD durch Übereignung des K an D verloren, §§ 929
S. 1, 932 BGB (s.o. Ausgangsfall).
c. Fraglich ist, wie sich die Rücknahme der DVD durch K auf die Eigentumslage
auswirkt. Im Ausgangspunkt ist eine wirksame Eigentums(rück)übertragung gem.
§ 929 S. 1 BGB von D auf K grundsätzlich zu bejahen, da D vollwertiges Eigentum erworben hatte und nun als Berechtigter an K übereignet, so dass es auf X’s
Bösgläubigkeit grundsätzlich nicht ankommt. Dieses Ergebnis erscheint unbefriedigend. Ob und gegebenenfalls wie eine Ergebniskontrolle zu erfolgen hat, ist
strittig:
Schlagwort: Rückerwerb des Nichtberechtigten!
i. Nach einer stark vertretenen Literaturmeinung soll das Eigentum in
Fällen wie dem hier vorliegenden sog. „Innenverkehrsgeschäft“ (= Rückübertragung auf den nichtberechtigt Veräußernden [K] als bloße Rückabwicklung des ursprünglichen Verfügungsgeschäfts) automatisch auf den
ursprünglichen Eigentümer zurückfallen. Wertungsmäßig anders liegt der
Fall nach dieser Ansicht aber bei den sog. „Außenverkehrsgeschäften“ (=
direkte Weiterveräußerung von Erwerber [D] an Zweiterwerber [X]), bei
denen kein Eigentumsrückfall angenommen wird.
Grundsätzlich bleibt es also bei dem sich aus dem Gesetz ergebenden Ergebnis, nur in 3 Fallgruppen erfolgt ein automatischer Rückfall des Eigentums an den ehemaligen Eigentümer:
− Geplantes „Hin und Her“ (In dieser Fallgruppe fehlt es aber i.d.R. schon
an der Gutgläubigkeit des Erwerbers.)
− Rückabwicklung des schuldrechtlichen Vertrages (z.B. wegen Anfechtung, Rücktritt)
− Von vornherein nur vorläufige Übereignungen (z.B. Sicherungsübereignung, wobei wegen § 933 ein gutgläubiger Erwerb nur in Betracht
kommt, wenn die Sache auch übergeben worden ist)
Als Argumente werden unter anderem die schutzwürdigen Belange des Eigentümers als auch historische Vergleiche zum römischen Recht angeführt.
Die §§ 932 ff. seien nach ihrem Sinn und Zweck (=Schutz des Rechtsverkehrs) teleologisch zu reduzieren. Da dieser Zweck nicht erreicht würde,
wenn der Nichtberechtigte die Sache zurückerlange, wären die §§ 932 ff.
hier unanwendbar.
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ii. Nach a.A. ist die Gegenmeinung nicht konstruierbar und auch nicht erforderlich. Vielmehr sei die Annahme eines automatischen Eigentumrückfalls
systemfremd und gesetzeswidrig. Der verlierende Eigentümer wird durch
schuldrechtliche Ansprüche gegen den verfügenden Nichtberechtigten hinreichend geschützt (jedenfalls §§ 280 I, 687 II 823 I, 816 I BGB). Im Liegenschaftsrecht würde die Gegenansicht gar zu einem Rechtserwerb gegen
das Grundbuch führen (Frevel ☺!). Sogar gegenüber dem Dritterwerber
ließe sich bei vorhandener Bösgläubigkeit (Ausnahme vom „Vorrang des
Leistungsverhältnisses“) eine Durchgriffskondiktion nach § 812 I 1 2. Alt.
BGB annehmen. Dieser lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres konstruieren.
Denn der Entzug der Eigentumsposition fand ja bereits bei der Rückübereignung an den unredlichen Erstveräußerer K statt, beruht demnach nicht
auf dem Eingriff des X. Betrachtet man jedoch den Vorgang etwas umfassender, wird ersichtlich, dass gerade diese Weiterveräußerung an X den V
um die Möglichkeit bringt, gegenüber K Ansprüche auf Schadensersatz in
Form der Naturalrestitution (=Rückübereignung) geltend zu machen. Daher ließe sich i.R.d. Durchgriffskondiktion auch ein Anspruch auf Übereignung annehmen.
iii. Veräußerung K - X
− Folgt man Meinung (1), dann ist V nach wie vor Eigentümer und K verfügt
als Nichtberechtigter. Ein gutgläubiger Eigentumserwerb nach § 929, 932
BGB durch X scheitert an dessen Bösgläubigkeit.
− Nach Meinung (2) verfügt K als Berechtigter, so dass es auf den guten
Glauben des X nicht mehr ankommt. X hätte nach § 929 S. 1 das Eigentum
von K erworben.
Ergebnis: Nach h.A./Rspr. besteht gegenüber X kein Anspruch aus § 985, jedoch ließe sich
ein Anspruch auf Übereignung aus § 812 I 1 2. Alt. annehmen. Ferner kann V gegenüber K
schuldrechtliche Ansprüche (s.o.) geltend machen.
Literaturhinweise:
• Vieweg/Werner, Sachenrecht, 3. Auflage 2008, § 5 Rn. 1 ff.
• Prütting, Sachenrecht, 33. Auflage 2008, § 35 Rn. 423 ff.
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