through his eyes
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through his eyes
MAI 2016 ICON ICON MAI 2016 THROUGH HIS EYES Persönlich und Persönlichkeit Mitarbeiter im Mailänder Hauptquartier. Wobei diese Ordnung weit entfernt ist von Jägerzaun-Spießigkeit. Es ist die Art von ruhiger, konzentrierter Lebensqualität, die zum Wesen des handwerklichen Luxus’ gehört wie die Nachhaltigkeit. Design ist eine umfassende Tätigkeit. In Maiers Verständnis allemal. Und dann ist da ja noch seine amerikanische Seite. Die Tomas Maier Brand, die er 1995 gründete, als er des Klimas wegen ins milde Florida zog. Das Logo ist eine Palme. Mit edel-schlichter Bade- und Loungemode und einem lässigen Conceptstore begann es. Der Erfolg der Marke, die er mit Andrew Preston betreibt, ist inzwischen und unter anderem in einem großen Flagshipstore auf der Madison Avenue zu besichtigen. „TM steht für das Notwendige, Bottega Veneta für das Außergewöhnliche.“ Und alles wird zusammengehalten von unbedingter Ästhetik. Wir saßen also beim Lunch und sprachen darüber, wie ein ICON von Tomas Maier aussehen würde. „Expats“, sagte er. Und schon flogen Namen, Ideen, Geschichten über den Tisch. Auslandsdeutsche. So wie er, der vor 40 Jahren, gleich nach dem Abitur, nach Paris zog und seither im Ausland lebt. Ohne die Nähe zu seiner Familie aufzugeben. Dass der Begriff „Expats“ derzeit eine geradezu politische Dimension bekommen würde, hatten wir nicht im Sinn. Vielmehr den Maier-Satz: „Ich mag Leute, die persönlichen Stil haben.“ Wir auch. Danke, Tomas. ROBBIE FIMMANO Wir hatten uns im Restaurant „Michael’s“ in der 55th Street getroffen, ein Lieblingsplatz von Tomas Maier und seinem Lebenspartner Andrew Preston in New York. Nicht weit entfernt vom Büro. Das ist wichtig. Tomas Maier hat viele Begabungen, Zeitverschwenden gehört nicht dazu. Was eine Verabredung mit ihm aber nicht ungemütlich macht. Nie wirkt er ungeduldig, er ist allerdings unerhört effizient. Anders wäre das Pensum des gebürtigen Pforzheimers, das mit dem des anderen „Preußen“ Karl Lagerfeld durchaus mithalten kann, auch nicht zu bewältigen. Als Kreativdirektor von Bottega Veneta seit 2001 hat er aus der Dornröschen-Ledermarke eine globale Stilinstitution geschaffen, mit allein acht Kollektionen im Jahr für Frauen und Männer, mit Accessoires, Interieur, Möbeln, Kosmetik, Schmuck. Die Gestaltung der Geschäfte und aller Werbeauftritte obliegt dem Architektensohn auch. Alles ist stets klar strukturiert und aufgeräumt, bis hin zu den Gemüsebeeten für die RALPH GIBSON Special Thanks Christina Graham, Andrew Preston, Daniela Bonino, Chiara Rimoldi, Olivier Monteil, Rebecca Goodman, Douglas Lloyd, Kris Lindblade, Silvia Sitar, Meirion Pritchard Titelfoto: Courtesy the Estate of David Armstrong IMPRESSUM ICON LOU REED Wenn die digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten der jüngsten Zeit etwas bewirkt haben, dann, dass Fotos heute oft überirdisch perfekt daherkommen. Ralph Gibsons Sache ist das nicht. Er stammt aus einer ganz anderen Ära: 1939 in Los Angeles geboren, kam er bei der US Navy zur Fotografie. Von Beginn an faszinierte ihn, in Schwarz-Weiß zu arbeiten – seine grobkörnigen Aufnahmen aus den 60ern, bei denen er durch Weitwinkelobjektive auf seiner Leica-Messsucherkamera dramatisch-abstrakte Effekte erzielt, sind längst Klassiker. Für uns setzte Gibson Expats wie Roland Emmerich oder Ute Lemper ins Bild. Und eines wird man nicht behaupten können: dass die Gesichter auf den Fotos zu glatt und perfekt daherkommen. Ab Seite 38 Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Special Editor: Adriano Sack Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann, Julia Hackober, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger. Korrespondentin in USA: Huberta von Voss. Korrespondentin in Paris: Silke Bender. Style-Editor in NY: Nadia Rath Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Tölke Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver, Rebecca Bülow Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Katja Schroedter, Adrian Staude Fotoredaktion: Julia Sörgel, Jennifer Schmidt Bressler, Elias Gröb Bildbearbeitung: Liane Kühne-Kootz Postproduction: Luna Simic Lektorat: Matthias Sommer, Andreas Stöhr Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann Gesamtanzeigenleitung: Florian Klages; Anzeigen ICON: Roseline Nizet ([email protected]) Objektleitung: Carola Curio ([email protected]) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 29. Mai 2016. Sie erreichen uns unter [email protected] Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit. 7 ICON ROBBIE FIMMANO Heute lebt er mit seiner Familie in Brooklyn, doch die Wurzeln ragen weit. Die Eltern zogen von Italien nach Australien, wo Fimmano aufwuchs. Mit 21 ging er zu Steven Klein nach New York. Heute arbeitet er für hochkarätige Modehäuser und spannende Magazine. Seine Bilder sind elegant, niemals blutleer. Man könnte den Stil „Glamour mit Bodenhaftung“ nennen. Während der Aufnahmen der Tomas-Maier-Kollektion in Delray Beach ging er immer mal für eine Zigarette in den sonnigen Innenhof. Der Mann ist kaum aus der Ruhe zu bringen, mit seiner Crew spricht er in schönstem australischen Akzent. Seite 28 MAI 2016 AUSGEWÄHLT 10 UN TER AN DEREN UM STÄ NDEN Unsere Stilexperten schreiben über ihre Sicht 18 F LORI DA VERSUS SCHWA RZWA LD Rustikal deutsch oder flamboyant amerikanisch? Egal! Hauptsache, reizend, findet unsere Icona GESCHICHTEN 20 WEI L WEN I GER MEHR IST Tomas Maier und Toshiko Mori über die Parallelen von Architektur und Mode und die Lust an der Reduktion 24 PRIVAT LOVE, P EACE AN D HIP NESS Schon Max Frisch schätzte den Zauber des Fischerortes Montauk. Tomas Maier ist ebenfalls hingerissen davon – eine Bedienungsanleitung 38 Z U HAUS E IN DER F REM DE Wir stellen neun deutsche Kreative vor, die weit weg von der Heimat eine neue fanden 72 WUNDERSAMER WA LD Wolfgang Büscher bemerkte, dass im Schwarzwald alles so ist, wie es immer schon sein sollte – eine Wanderung 74 SOMEONE P LEAS E CA LL 911 Diesmal sehen wir dabei zu, wie auch Maiers Lieblingsauto bei Porsche entsteht. Der Bauplan MODE 28 N I C HT AUF DI E PALME ZU BRINGEN Geradezu geordnet ging es zu während eines Shootings bei Tomas Maier in Florida. Eine Bildergeschichte KOSMETIK 68 BEAUTY S ECRETS Tomas Maier verrät, was er außer Wasser noch an seine Haut lässt. Plus: Neues aus dem Kosmetikregal 71 8 F RANKO-VIEL Bei der Pforzheimer Marke La Biosthétique nährt man sich von französischem Glamour. Wieso eigentlich? DANIEL RIERA Wenn der Spanier auf den Auslöser drückt, bleibt die Zeit für einen Moment stehen. Fast flüchtig wirken seine Arbeiten, als müsse man sich beeilen, alles zu erfassen, bevor die Szenerie doch weitergeht. Selbst gedrehte Super-8-Filme legten in der Jugend den Grundstein für seine Karriere. Später verlagerte er sich auf die Fotografie, bei der man, wie er sagt, immer nur eine Chance hat, den richtigen Augenblick festzuhalten. Geschehenes lasse sich nicht zurückholen. Die Mode in all ihrer Wandelbarkeit fordert ihn heraus. Heute gehört er zu den gefragtesten Fotografen des Genres. In Mailand setzte er die Bottega-Veneta-Kollektion in Szene – die Bilder überdauern den Augenblick. Seite 56 MIKEL OLIAZOLA 56 P ERF EKTION I M PALA ZZO Bottega Veneta hat einen neuen Showroom für seine Möbel in Mailand. Wir finden, Mode steht ihm auch STILISTEN © NICK KNIGHT / COURTESY OF CHRISTOPHE GUYE GALERIE DAS GUTE LEBEN IN EINEM ANDEREN LAND BEGLEITET UNS DURCH DIESE AUSGABE Sinneswandel Lässt man Blumen trocknen, verwandeln sie sich in spröde Stillleben, die bei Berührung dazu tendieren, in einer Wolke bunter Pigmente aufzugehen. Davon inspiriert griff Fotograf Nick Knight zur Lilie, genauer gesagt zu Model Lily Donaldson. In ihrem Fall genügte ein beherztes Drücken des Auslösers, schon schwebte sie als Komposition aus pinkfarbenen Rüschen, Mille-Feuille-Kleid und Puder dahin. Weitere sagenhafte Aufnahmen des Visionärs Nick Knight zeigt die Christophe Guye Galerie noch bis 4. Juni in Zürich. FRANZISKA SINN BERLIN, ISLAND Victoria Eliasdóttir, Chefköchin im Restaurant „Dóttir“ in Berlin 10 Viele Leute denken, dass ich, weil ich aus Island komme, automatisch wahnsinnig naturverbunden bin. Ich muss sie enttäuschen, denn die Wahrheit ist: In Island war ich meistens drinnen. Dort erscheint einem die Landschaft einfach selbstverständlich. Erst jetzt, da ich in Berlin lebe, merke ich, wie sehr mir das Meer und die Berge fehlen. Als ich hier ankam, war ich von den vielen Häusern regelrecht erschlagen. Ich brauche doch Platz! Trotzdem fühle ich mich sehr wohl. Ich mag Berlin, weil es nicht zu schön ist, weil vieles hier auf den ersten Blick abweisend und rau wirkt. Ähnlich ist es auch in Island mit der Natur: Wäre Island eine Stadt, dann wäre es wie Berlin. Was ich mir noch eingestehen muss: Nach zwei Jahren in der Stadt war ich noch nie im berühmten Berliner Umland oder an der Küste. Für mein Restaurant werden die Fische direkt von der Ostsee geliefert. Das ist für mich eine tröstliche Verbindung. Wenn der Lieferant kommt, ist es wie ein Versprechen. Das Meer, es ist da, man muss nur hinfahren. Mein Plan steht: Ich widme den Sommer dem Berliner Umland. SITZSYSTEM SEYMOUR | DESIGN RODOLFO DORDONI B E R L I N BY HERRENDORF, BERLIN, LIETZENBURGER STR. 99 - T. 030 755 4204 56 AUCH BEI ANDEREN AUTORISIERTEN HÄNDLERN UND IN ANDEREN STÄDTEN. PLZ 0/1/2/3/4/5 HANDELSAGENTUR STOLLENWERK - T. 0221 2828259 - [email protected] PLZ 6/7/8/9 HANDELSAGENTUR RIEXINGER - T. 07121 325953 - [email protected] CREATE YOUR OWN DESIGN EXPERIENCE AT MINOTTI.COM BALLY ZWISCHEN ZWEI WELTEN Big in Japan In der Schweiz, meiner Heimat, ist Muff völlig normal. In Deutschland sorgt mein Name für Schmunzeln. Das war das Erste, das mir auffiel, als ich mit 23 Jahren und ein wenig Goldschmied-Erfahrung in den 80ern nach Köln zog, um vier Jahre freie Kunst zu studieren. Zur Finanzierung wurde mit zwei Mitstudenten die Punk-Kneipe „Goldwasser“ eröffnet. Martin Kippenberger, Isa Genzken und Hans Peter Adamski, die Helden der Kölner Kunstszene, waren Gäste. Nach acht Jahren habe ich verkauft und mich im VW-Bus auf Weltreise begeben. Über Holland ging es nach München, wei- Patrik Muff ter kam ich nicht. München tut meiner Schweizer Schweizer Seele gut, es ist sehr aufge- Juwelier in räumt, strukturiert und die Berge sind München nah. Wir, also die Schweizer, sind freundlich, ein „Nein“ im Gespräch geht nicht. Es wird ausführlich beschrieben, warum man etwas nicht machen kann oder will. Fahre ich heute in meinen Geburtsort Hochdorf im Kanton Luzern, macht mich das, auch ob der Umgangsformen, ein wenig melancholisch. Ich gehöre nicht mehr dazu und bin doch ein Teil. Ich kann nicht einschätzen, ob die Kassiererin in der Migros mich kennt, ob es sich daheim herumgesprochen hat, dass ich in München mein Atelier betreibe, oder ob es der Schweizer Mentalität geschuldet ist, dass der 54-jährige, weißhaarige, tätowierte Mann nicht als exotisch bestaunt wird. Vielleicht liegt die Normalität im Umgang auch einfach an meinem Schwyzerdütsch mit Hochdorfer Einschlag. Mein Sohn Otto ist mit zehn Jahren stolz, einen Schweizer Vater zu haben. Die Sprache habe ich ihm und seiner Schwester Anna gleichwohl nicht beigebracht. 12 Geht es um Mode, ist den Belgiern alles Erwartbare zuwider. „The Belgians – An Unexpected Fashion Story“ führt in 300 Abbildungen durch die Ideen der Avantgardisten. Unter ihnen auch Damien Ravns Kreationen, in Szene gesetzt von Léa Nielsen. (Hatje Cantz ) LÉA NIELSEN/HATJE CANTZ Schweizer reisen gern. Jüngst fand man sich in Tokio zur Eröffnung des Bally Flagship Stores im Szenestadtteil Ginza ein. Und um die Japaner vollends in die Welt der Schuhe und Accessoires des Modehauses zu ziehen, feiert man den Standort ausgiebig mit einer Ausstellung. „Bally Untold – Part 1: 1851-1951“ führt auf Zeitreise durch 100 Jahre Schuhdesign. Dass die mondäne Eleganz der goldenen 20er auf feinem, zugleich stabilen Schuhwerk (siehe oben) tanzte, zeigt die Epoche von 1920 bis 1930 mit dem verklärten Titel „Freedom“. Bis 8. Mai W W W.O L E LY N G GA A R D.CO M ERWIN OLAF AUF GUTE NACHBARSCHAFT Kopflos? Von wegen! Ist das Kunst? Ein zustimmendes Nicken ist nicht mehr möglich. Den Herren gegenüber bleibt zumindest noch die Mimik als Ausdrucksform erhalten. Nun muss die Mode sprechen. Die Ausstellung „Catwalk“ präsentiert bis zum 16. Mai niederländische Mode von 1625 bis 1960 im Rijksmuseum. Neben Haute Couture von Dior und Yves Saint Laurent finden sich auch opulente Samtherrenanzüge – abgenickt und kuratiert von dem niederländischen Fotografen Erwin Olaf. Als Schwabe führt man ein recht konfliktarmes Leben. Auf Krawall gebürstet ist man sowieso nie, Aufregung wird mit unerschütterlicher Ruhe entgegengewirkt. Und lebt man wie ich auch noch auf Sylt, gibt es eigentlich überhaupt nichts mehr zu beklagen. Außer, man fragt mich nach meiner Haltung gegenüber meinem ehemaligen Nachbarn, der Region Baden. Die Königshäuser Schwaben und Baden sind Vergangenheit, aber ihre Rivalität hallt bis heute nach. Als Kinder drohte man uns: „Wenn du nicht lieb bist, dann musst du nach Baden.“ Vielleicht hätte uns ein Besuch tatsächlich ganz gut getan. Während Schwaben dem Volksmund nach mit viel Wind und viel Stein aufwarten, stechen in Baden Kirchtürme als Mittelpunkt bilderbuchgleicher Fachwerkdörfchen zwischen grünen Hügeln hervor. Ich muss zugeben, es ist traumhaft. Auch in Sachen Wein machen die badischen Winzer ihre Sache gut. Ein Glas Grauburgunder vom Weingut Dr. Heger lässt alle regionalen Differenzen vergessen. Lebendig, säuerlich (keine negative Assoziation!) passt er gleichermaßen zu Schwarzwälder Schinken sowie schwäbischer Wurst-Vesper. Die werden hier auf Sylt kurzerhand auf einem Teller kredenzt. Nachbarschaftskonflikte brauchen ja auch mal Ferien. Herbert Seckler Kultwirt vom Sylter „Sansibar“ Überirdisch: Die griechische Göttin Artemis stand für die Jagd. Eine gute Beute wäre dieses Collier aus Gelb- und Weißgold mit Brillanten gewesen. Ihren Namen trägt es bereits. (von Victor Mayer, Pforzheim) DER FLANEUR SIEHT MEHR Oscar van den Boogaard, Schriftsteller aus Belgien, schreibt am liebsten in Berlin 14 Vor über zehn Jahren kam ich als Gast über das Berliner Künstlerprogramm DAAD nach Berlin. Geld, eine große Wohnung, und keinerlei Bedingungen: Schreiben Sie, was Sie wollen, niemand erwartet etwas von Ihnen, hieß es. Kurz – ein Traum! Die Wohnung lag am „Stutti“ in Charlottenburg. An der Ecke des Platzes, in einem prächtigen weißen Gebäude aus den 20er-Jahren. In dieser Umgebung lernte ich die Bedeutung des Flanierens schätzen. Zunächst in der Theorie: „Flanieren ist eine Art Lektüre der Straße, wobei Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Caféterrassen, Bahnen, Autos, Bäume zu lauter gleichberechtigten Buchstaben werden, die zusammen Worte, Sätze und Seiten eines immer neuen Buches ergeben“, schrieb schon der Schriftsteller Franz Hessel 1929 in seinem Buch „Spazieren in Berlin“. Der Flaneur als Leser, die Stadt als Buch. Ich glaube, bis dahin hatte ich das Wort Flaneur nie richtig verstanden. Ich dachte, Flaneure seien Leute, die nicht hinschauen, sondern nur gesehen werden wollen, die sich nicht für die Welt interessieren und die Blicke der anderen brauchen, um jemand zu sein. Ich war immer sicher, kein Flaneur zu sein, und war es, wie ich jetzt bei Hessel nachlesen konnte, trotzdem immer gewesen, Also begann ich die Stadt zu lesen: Ich spazierte herum oder trat in die Pedale meines Fahrrads. Auf den breiten Bürgersteigen des Kurfürstendamms glitt ich vorüber, fuhr Zickzack über die Straßen und zwischen den Autos durch. Ich pfiff Melodien, ein Polizist hielt mich an und sagte: „Fröhliches Radfahren ist hier verboten!“ Je länger ich flanierte, desto mehr näherte ich mich der Geschichte der Stadt und ihren Bewohnern. Nach einem Jahr wollte ich bleiben. In einer Seitenstraße vom Ku’damm war in einem Jugendstilhaus eine Wohnung zu verkaufen. Die alte Hausmeisterin, die sie mir zeigte, sagte: „Bitte entscheiden Sie sich doch für uns!“ Das hat mich gleich überzeugt. Seitdem ist Berlin die Stadt, in der ich schreibe – am liebsten in den Cafés und Restaurants. Ich laufe immer noch herum, spreche mit Kellnern, Verkäufern, unbekannten Vorbeigängern. Die ganz kurzen Gespräche, habe ich gemerkt, sind manchmal anregender als manche langen Abende mit Freunden. In Berlin erlebt man vieles intensiver und als Steigerung. Ich fühle mich hier mehr als Mensch, als ein komplettes Wesen. KOEN VAN DAMME Ein Flame in Italien Er ist ein Meister der Reduktion. Der belgische Architekt Vincent Van Duysen hält sich „an eine architektonische Sprache, die nicht vor Ästhetik zurückscheut, aber Moden und Trends widersteht“. Mit seiner „TR Residence“ hat er in Knokke dieses Motto ins Extrem getrieben. Drei frei stehende Holzgebäude – Wohnhaus, Scheune und Pferdestall – geben sich von Weitem zunächst verschlossen. Doch je näher man an die einzelnen Gebäude herankommt, desto mehr überraschende Details werden sichtbar. Für die Fassadengestaltung hat der Architekt einen ähnlich detailverliebten Aufwand betrieben wie in der Möbelproduktion. Seit vielen Jahren verwirklicht er sich auch darin – und wurde nun zum neuen Kreativdirektor des Möbelherstellers Molteni&C Dada ernannt. Kulturelle Differenzen dürften keine Rolle spielen: Die Italiener sind ebenfalls für ihre klare Formensprache bekannt. Und Van Duysen selbst ist kein bisschen verschlossen. GERMAN SPEED Emmanuel de Bayser Franzose und Mitbesitzer von The Corner Berlin 16 Während meiner früheren Zeit bei L’Oréal machten wir viele Studien, bevor wir wichtige Entscheidungen für die Einführung neuer Produkte trafen. Alle Vorhaben mussten auf wissenschaftlicher Basis durch Tests untermauert werden. Eine dieser Studien hat alle Beteiligten damals sehr beeindruckt. Es handelte sich um die Bewertung von Luxusprodukten aus unterschiedlichen europäischen Herstellerländern. Wir waren überzeugt, dass am Ende nur Italien oder Frankreich mit ihren unzähligen Luxusmarken die Siegerkrone davontragen würden, verfügt der Glamour ihrer Produkte doch über solche Strahlkraft. Aber nein, zu unserer großen Überraschung war es Deutschland mit seinen Luxusautos, das den ersten Platz belegte. Fragen Sie ein bisschen herum, selbst Franzosen, Italiener oder Amerikaner werden wissen, wovon hier die Rede ist. Das berühmte technische Know-how, das selbst banale Haushalts- und Küchengeräte zu begehrenswerten Luxusobjekten aufwertet. Gibt es etwas Besseres für Profi- oder Hobbyköche als eine perfekt eingerichtete, moderne Küche deutschen Fabrikats? Präzision, Vision und Disziplin führen zu SpitzenResultaten (in der Ausstattung, und beim Kochen). Nichts ist dem Zufall überlassen. Eine ungeheuere Herausforderung für den deutschen Nachwuchs. Im Bereich Mode zum Beispiel ist die Berliner Fashion Week ein Anziehungspunkt für viele junge Talente, die sich ihren Platz noch erobern wollen: Modenschauen, Designer, Models, Front-Row, Afterparty. Deutschland versucht es, die Ingredienzien sind da, doch die Mayonnaise greift noch nicht ganz. Jung, kreativ und cool sind viele, aber reicht das über den Moment hinaus? In einer Welt, die sich sehr schnell dreht und „jetzt“ die Daueransage ist, vergessen wir manchmal, dass dahinter oft ein langer, fordernder Weg liegt, um den Erfolg dauerhaft zu gestalten. Jeder stolze Besitzer eines Porsches wird mir darin nicht widersprechen! BAR INTERNATIONAL Wenn ich Deutsch höre im Ausland, werde ich zum taubstummen Affen. Der deutsche Touristen-Sound zerstört mein Wegsein. Aber – wenn ich in Dubai, in London oder Bangkok einen Einheimischen, deutschen Insider-Söldner (Expat = Patriot im Ausland) erkenne, fühl ich mich plötzlich wohl. Man spricht mit modernen Kolumbussen. Beim Sunset-Drink am Pool im 7. Stock des Trump Soho in Manhattan treffe ich meinen Lieblings-Expat Andreas Oberoi – ein Münchner Mallorquiner aus der indischen Hotel-Dynastie. Zwei Bier mit ihm und man hat eine zehn Punkte Todo-Liste – jetzt lebt er im Mekka der Expats, in Dubai! Die graue deutsche Eminenz Asiens David Blieswood war 40 Jahre Kurt Connaisseur aus Hamburg Wachtveitl („Ich war der Tanzbär der Reichen“) – als König des „Oriental“ in Bangkok. Ich trage heute noch seinen blauen Bade-Kimono. Pflicht-Drink in London ist die höchste Bar über der Themse im 52. Stock in „The Shard“ (Shangri La) – am Tresen: Henning Neufeld. Wenn ich in Berlin Auslands-Sehnsucht habe, gehe ich ins „Adlon“ an die Bar von „Herrn Franz“ Höckner (Ex-Ösi). Wir reden über Schnee und Schmäh. Jeder Abenteurer, der in die Ferne zieht, ist ein Marco Polo unserer Sehnsüchte. Aber im Wegsein liegt auch immer die Geborgenheit des Heimwehs. Alle träumen sie vom deutschen Brot. OH, LOOK! UNSERE ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM) FLORIDA CHICK + + Der Duft für die Ewigkeit: „Eternity Now“ von Calvin Klein + Weil Rosa rockt! Kleid von Mother of Pearl über matchesfashion.com Eis, Eis, Lady! Den „Ice Cream Flavoured Lip Balm“ gibt’s über pinjafashion.de Gib Gummi! Der aufblasbare Flamingo ist von design-3000.de + + Von der lässt man sich gern einwickeln: die „Première Rock Pop Pink“ von Chanel Toller Vogel: Icona liebt ihre XLOhrringe von Etro + + Hot Heels: Stilettos von Sophia Webster über net-a-porter.com Rosige Aussichten: Die „Clubround“ von Ray Ban gibt’s bei misterspex.de = 5926 € GERMAN GIRL + + Fabelhafter Flachmann: Das Modell „Court Vantaga Adicolor“ von Adidas gibt es bei Zalando Sinnlicher wird’s nicht: „Sensual Jil“ von, klar, Jil Sander + + Klar, verlässlich und immer da: die klassische Nivea Creme + Fast quadratisch. Praktisch. Gut. 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Tomas Maier, der Designer und Architektensohn mit Architektur-Faible, ist verabredet mit der vielfach ausgezeichneten japanische Architektin Toshiko Mori, die für konzeptionelle Klarheit und Materialinnovationen bekannt ist. Hoch oben im 15. Stock des Fuller Buildings, eines Büroturms im schönsten Art-déco-Stil, in dem traditionell viele Galerien ansässig sind, sprechen der 59-Jährige und die HarvardProfessorin über das Bedürfnis, weniger zu besitzen, dafür aber das Richtige. Das Nachdenken über Tradition und Moderne, Perfektion und Innovation, Nachhaltigkeit und Design, Bewahren und Loslassen verbindet die beiden. Seit Jahren setzen sie sich beispielsweise gemeinsam für die Erhaltung von Baudenkmälern in Japan und den USA ein. Der völlig weiße Konferenzraum des Studios wirkt wie eine Zeitkapsel, draußen wandert die Frühjahrssonne. Vergessen ist der Krach unten in den Straßenschluchten Manhattans. Herr Maier, die DNA von Bottega Veneta unterscheidet sich von der anderer Marken im Luxussegment: Sie verzichten auf ein Signum und geben Ihren Kollektionen keine hochtrabenden Namen. Andere Designer übertreffen sich darin, tolle Künstler, Architekten und Komponisten als Inspirationsquellen anzugeben. Das ist nicht ohne Prätention. Warum wollen Sie nicht Teil dieses Trends sein? Tomas Maier: Prätention ist als Begriff vielleicht ein bisschen zu hart. Ich glaube, Designer brauchen eine Art Angelhaken, um loszulegen, einen tieferen Grund für eine Kollektion zu finden und sie interessant zu machen. Ich arbeite nur einfach nicht so. Mir liegt das Wörtliche, das Offensichtliche nicht. Wir bauen einfach Kollektion für Kollektion auf und haben dabei den Kunden im Blick. Die Philosophie ist also, dass das Produkt einfach für sich selbst stehen soll? Maier: Ja. Es geht um ein Produkt, das in jeder Hinsicht gut durchdacht ist. Das klingt sehr nüchtern. Handeln Sie nicht auch mit Träumen? Maier: Sicher. Frau Mori, viele Designer behaupten, dass Architektur einen großen Einfluss auf ihre Arbeit hat. Ist Modedesign auch eine Inspiration für Architekten? Toshiko Mori: Auf jeden Fall. Architekten arbeiten in einem sehr großen Maßstab, also können wir nicht so gut experimentieren. Deswegen ist es umso spannender, visuelle Beispiele zu sehen, wie sich Größe und Maßstab, Muster und Variationen auf ein Gewebe auswirken. Schauen Sie zum Beispiel mein Kleid an (Sie trägt ein orange Lederkleid von Bottega Veneta): Es gibt zwei Materialien in derselben Farbe. Das ist auch eine architektonische Technik, die man beispielsweise häufig bei dem Architekten Alvaro Siza sieht. Eine weitere Parallele sind die Säume. Wie sieht der Übergang von einem Material zum nächsten aus? Architektur ist sehr steif, in der Mode sehen wir elegantere Übergänge. Deswegen lieben viele Architekten Mode und beobachten sie genau. Sehen Sie bei einem Kleid von Bottega Veneta architektonische Einflüsse? Mori: Die spürt man nicht nur an der Oberfläche, sondern auch daran, wie sie sich von innen anfühlen. Man merkt, wie wichtig die Konstruktion des Kleidungsstückes ist – wie man sich darin bewegen und arbeiten kann. Es ist unglaublich gut gemacht. Wie hat Ihre Freundschaft begonnen? Maier: Durch den amerikanischen Architekten Paul Rudolph. Wir haben uns nicht durch ihn kennengelernt, aber ich verehre seine Arbeiten. Toshiko hat für ein Paul Rudolph-Haus in Florida ein paar wunderschöne Anbauten entworfen, die großes Lob bekommen haben. Sie gehen sehr respektvoll mit der vorhandenen Struktur um, ohne aber das Original zu imitieren. Mein Partner Andrew Preston und ich wollten damals ein Haus in Florida bauen. Also habe ich zum Telefon gegriffen und sie angerufen. Hat Frau Mori das Haus gebaut? Maier: Nein, aber wir haben Jahre später ein Grundstück in Maine gekauft auf derselben Insel, auf der sie auch ein Haus hat. Fünf Jahre nachdem wir uns kennengelernt haben, begannen wir an diesem gemeinsamen Projekt zu arbeiten. Vorigen Herbst ist es fertig geworden. Wie fühlt es sich an, in einem ToshikoMori-Gebäude zu wohnen? Maier: Es war ein großes Projekt, weil wir darauf bedacht waren, auf Landschaft und Habitat Rücksicht zu nehmen. Auf dem Land war noch nie gebaut worden, deswegen wollten wir jede Störung vermeiden. Wir wollten ein unsichtbares Haus bauen – so, als sei es gar nicht vorhanden. Die Landschaft ist wunderschön, so wie sie ist. Aber da ich mein ganzes Leben lang schon Architektur liebe, wollte ich auch ein aussagekräftiges Gebäude, das viele Elemente verbindet, die mir wichtig sind – von der Tradition über den Respekt für die Umwelt bis hin zu einer extrem nach vorn denkenden Haltung. Was wir gebaut haben, hat viele Einflüsse, die von der traditionellen Bauweise der Scheunen in Maine bis hin zu sehr modernen Elementen reichen – und solchen, die meine tiefe Liebe zu Japan widerspiegeln. Wir haben versengtes Holz benutzt, wie man es in den Fischerhütten in Japan findet. So wird verhindert, dass die salzige Luft die Struktur angreift. Es ist komplett schwarz. Das Haus wird dadurch nahezu unsichtbar. Die Traditionen zu respektieren und gleichzeitig vorwärtsgerichtet zu sein, das hört sich an wie eine perfekte Definition japanischer Architektur, Frau Mori. Mori: Ja, aber fügen Sie ruhig noch deutsche Nachhaltigkeit hinzu (lacht). Das Nachdenken über das Ideal einer gut ausbalancierten Umwelt reicht bei uns lange zurück. Unsere Länder verbindet ein Verständnis für Umweltökologie. Sie haben Ihre komplette Karriere in New York verbracht. Aber Ihre ersten visuellen Erinnerungen stammen aus Japan. Welchen Einfluss haben diese Bilder auf Ihre architektonische Sprache? Mori: Ich wurde im Westen Japans geboren und bin dort aufgewachsen. Meine Tante lebte in Kyoto. Ich war fast jede Woche dort mit meiner Großmutter, die mir die Gärten und Tempel zeigte. Im kaiserlichen Garten von Katsura war ich mehrfach. Ich glaube, ich verarbeite Katsura im Haus von Tomas (lacht). Ich erinnere die wiederholten Erfahrungen nicht als Bilder, sondern als Atmosphäre – wie es sich anfühlte, was der Maßstab war. Das hat meine Intuition sehr geprägt und bedeutet mir viel. Als Architekt können Sie Dinge bauen, die auf Fotos großartig aussehen, aber es ist mir wichtig, dass man sich auch intuitiv wohlfühlt. Tomas und ich haben sehr genau an der präzisen Lokalisierung seines Hauses gearbeitet und immer wieder Details verschoben. Maier: Ja, der Standort ist jetzt perfekt. Das Haus ist so gebaut, dass es den Winden nicht komplett ausgesetzt ist. Wichtig war mir auch, dass das Sonnenlicht in die Räume fließt. Ich möchte immer nach Osten schauen, wenn ich aufwache, und Sonne in meinem Schlafzimmer haben. Das war schon für meinen Vater sehr wichtig. Er hat immer gesagt, man sollte von der Sonne geweckt werden. Das erinnert mich an ein Bottega-VenetaKleid, das ich sehr geliebt habe. Ich habe mich darin umgeben gefühlt, nicht zu nackt. Trotzdem war es sehr körpernah. Ist dieses richtige Maß an Intimität für Sie als Designer wichtig? Maier: Bei mir steht die Frau im Mittelpunkt. Kleider sollten sie nie dominieren. Es sollte genau andersherum sein. Ihre Eltern haben Sie auf eine WaldorfSchule geschickt. Wie hat Sie die Reformbewegung beeinflusst? Maier: Sehr. Ich war dort während meiner ganzen Schulzeit. Wir wurden immer ermutigt, unsere Persönlichkeit auszubilden. Ich blicke gern auf diese glücklichen Jahre zurück. Meine Kindheit hat mir viel gegeben. Meine Eltern hatten ein gewisses Niveau, sie haben uns in Museen mitgenommen und sind mit uns gereist. Allerdings nicht wie das heute üblich ist. Wir haben nicht die ganze Welt gesehen. In den 60er-Jahren war noch die Nachkriegszeit spürbar. Italien ist für den Anfang ja auch nicht schlecht. Maier (lacht): Das stimmt. Ein anderer wichtiger Einfluss war die Naturverbundenheit. Wir waren stets draußen und jedes Wochenende im Schwarzwald unterwegs. Die Erinnerung kann ich jederzeit abrufen. Diese Erfahrungen haben 3 21 meine späteren Interessen, den Respekt für Natur und Menschlichkeit geprägt. Sie leisten viel. Allein die Verantwortung für zwei Marken – Bottega Veneta und Tomas Maier – und Ihr Engagement für die Erhaltung besonderer ArchitekturBauwerke in den USA und in Japan. Wann haben Sie Zeit, sich mal zurückzuziehen ? Maier: Ich bin eigentlich immer zurückgezogen, auch wenn ich arbeite. Dieses Studio ist zum Beispiel fast leer und ganz weiß. Unten ist die laute Stadt, aber hier herrscht kreative Stille, auch wenn ständig Mitarbeiter aus Italien kommen. Wir arbeiten mit großer Freude an der Entwicklung neuer Produkte. Ein weiterer Rückzugsort ist mein Atelier in Florida, das wie ein großes Depot aussieht. Die Decken sind fast fünf Meter hoch, der Boden ist aus Beton, alles ist weiß. Meine Räume sind immer leer. Das hilft mir, klar zu denken. Aber mein wirklicher Rückzugsraum ist der Blick auf den Horizont, den ich von allen meinen Wohnsitzen habe. Ich liebe diesen Blick ins Weite. Es hilft mir, konzentriert zu bleiben. Am liebsten fahre ich nach Maine. Es ist kompliziert, dorthin zu gelangen, und das macht es noch besser. Es geht auch um die Anreise, das Gewinnen von Abstand. Manche Menschen haben Angst vor Leere. Für andere ist sie ein Segen. New York erscheint allmählich zu verstopfen. Es gibt einen riesigen Bauboom, besonders im Luxussegment. Wann hört es auf, hier menschlich zu sein? Mori: Ich habe nichts gegen Dichte, weil die Energieeffizienz und das Teilen von Ressourcen so in mancher Hinsicht besser klappen. Doch eine Stadt sollte Raum bieten für Menschen aus verschiedenen Kulturen und ökonomischen Verhältnissen. Man möchte auch, dass Kinder Teil des Straßenbildes sind. Aber viele der neuen Türme sind für die Superreichen, die noch nicht einmal hier leben, sondern nur ihr Geld investieren. Dieses Problem hat nichts mit Architektur, sondern mit Bebauungsvorschriften zu tun. Eine andere große Herausforderung besteht darin, den ländlichen Raum so zu gestalten, dass die Menschen nicht wegziehen. Die Insel in Maine zum Beispiel, auf der wir beide ein Haus haben, ist komplett nachhaltig organisiert und in mancher Hinsicht autonom. Der Strom kommt aus Windturbinen, es gibt eine ökologische Farm. In den USA wollen immer mehr Menschen eine alternative Lebensweise. Ich selbst arbeite mit der Schweizer Firma EcoVillage zusammen. 22 Sie haben die Denkfabrik „VisionArc“ gegründet, um lokale und globale Anliegen miteinander zu verbinden und Designinitiativen für eine nachhaltige Zukunft anzustoßen. Sie gehören auch dem Global Agenda Council on the Future of Cities des Weltwirtschaftsforums in Davos an. Wo liegen die größten Herausforderungen? Mori: Wir haben im Rat zehn Lösungsvorschläge entwickelt (weforum.org/re- ports/top-ten-urban-innovations a. d. R). Alle haben mit teilen zu tun, achtsam mit Ressourcen umzugehen, Wachstum im Gleichgewicht zu halten und für Teilhabe zu sorgen. Es ist wichtig, dass Städte in öffentliche kulturelle Institutionen investieren, damit jeder einen ausgeglichenen Lebensstil haben kann. ber nachdenken, was sie wirklich brauchen, und hochwertige Produkte kaufen, die für einen langen Nutzen gedacht sind. Qualität, Design und Funktionalität müssen gut sein. Gutes Design altert gut. Herr Maier, Sie lieben Bücher. Welche Rolle spielt Lesen für Sie? Maier: Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch und lerne und recherchiere viel in Büchern. Ich bin von ihnen umgeben, auch weil mein Partner Andrew ständig liest. Das heißt nicht, dass ich die Zeit finde, auch selbst alles zu lesen. Dennoch: Ich möchte niemals in einem Haus ohne Bücher leben. Und irgendwann kommt die Zeit, in der ich wieder mehr lesen kann. Maier: Und das ständige Geldausgeben geht mir auch gegen den Strich. Sie besitzen gern Bücher, aber gehen ungern Kleider einkaufen. Der Schriftsteller Henry David Thoreau schrieb in seinem berühmten Werk „Walden“: „Mei- Mori: Es gibt mehr Dinge, die ich nicht brauche. Das macht mich wahnsinnig. Sie sind sehr oft umgezogen, Herr Maier. Reisen Sie gern mit leichtem Gepäck? Maier: Ja, ich miste gern aus, aber ich ziehe nach den vielen Ortswechseln nicht mehr gern um. Was ich daran aber immer noch mag, ist, dass man noch einmal von vorn anfangen kann. Man häutet sich wie eine Schlange. Sie nennen sich einen Perfektionisten. Maier: Ja. Ich möchte meinen Kunden das zu diesem Zeitpunkt bestmögliche Produkt geben und stelle ständig Dinge infrage. Leben bedeutet, sich weiterzu- Wegen dieses von Toshiko Mori in Ergänzung zu einem Paul Rudolph Entwurf gebauten Hauses an der Westküste Floridas, engagierten Tomas Maier und Andrew Preston die Architektin für ihr Privathaus in Florida ne größte Begabung im Leben bestand darin, so wenig besitzen zu wollen.“ Würden Sie diese Idee übernehmen? Maier: Ich glaube, das wäre mir etwas zu extrem (lacht). Meine Idee von Glück hat damit zu tun, wenig zu haben, aber das Richtige, ständig auszusondern und zu editieren. Wenn man jünger ist, will man Dinge anhäufen. Dann kommt eine Lebensphase, in der man infrage stellt, ob man etwas wirklich braucht. Meine letzten Wohnsitze haben viel mehr mit Natur, dem Ausblick und Bücherregalen zu tun. Je weiter das Leben fortschreitet, umso mehr reduziere ich. Wie ist das bei Ihnen, Frau Mori? Mori: Ich merke, dass ich heute weniger Dinge besitzen oder kaufen will. Ich bin bei jeder Anschaffung sehr wählerisch. Mein Gürtel ist zum Beispiel schon ganz schön alt. Ich behalte gute Dinge gern. Maier: Das geht mir auch so. Ich hasse Verschwendung. Menschen sollten darü- PAUL WARCHOL 3 entwickeln. Deswegen suchen wir immer weiter nach technologischem Fortschritt. Unsere Produkte sind teuer. Da darf man den Kunden nicht betrügen. Es gibt immer Raum für Verbesserung. Aber: Perfektion gibt es nur in der Natur. Wie halten Sie es, Frau Mori? Mori: Lassen Sie mich Tomas’ Worte über Perfektion ergänzen. Viele glauben, dass sie etwas Statisches ist und in der Architektur kann sie auch sehr tot wirken. Aber in Wahrheit ist Perfektion sehr dynamisch. Ich halte es mit Tomas’ Perspektive, aus der Perfektion einen Zweck erfüllen muss. Innovationen sollten eine ethische und moralische Dimension haben. Wir haben in jüngster Zeit viele gewebte Stoffe in unseren Gebäuden verwendet, zum Beispiel zwischen Glasscheiben als Lichtschutz. Diese Technik ist zugleich alt und modern. So als würde man Kleider in Gebäude übersetzen. Moderation: Huberta von Voss DIE RUHE VOR NEW YORK Atlantikwellen, endlose Strände und kein Sozialstress: Drei sportliche Autostunden oder einen kurzen Helikopterflug von Manhattan liegt das Fischerdörfchen Montauk FOTO: TOMAS MAIER W 24 enn Mensch und Natur zusammenarbeiten, entsteht zuweilen die beste Dramaturgie. Es sind nicht einmal 200 Kilometer von New York bis Montauk, aber es ist ein Trip der Kontraste. Erst über den chronisch verstopften Long Island Expressway, dann durch die im Vorbeifahren etwas gesichtslose Halbinsel, bis man an ihren nördlichsten und äußersten Zipfel gelangt: die Hamptons. Eine Kette von malerischen Dörfern inmitten grüner Landschaft. Es gibt noch andere Refugien der Reichen und Mächtigen an der amerikanischen Ostküste, aber die Hamptons mit ihrer relativen Nähe zu Manhattan nehmen eine Sonderstellung ein. Von Sean „Puff“ „Diddy“ Combs bis Martha Stewart hat hier jeder ein Haus, der was gelten will und es sich leisten kann. Das Merkwürdige: Schlendert man in East Hampton über die Hauptstraße, merkt man kaum etwas davon. Die Polohemden der Familienväter sind ausgewaschen, der Dresscode ist entspannt. Nur die Autos sind etwas größer – und meist von deutschem Fabrikat. Bei den Häusern herrscht ein Rennen um Größe und die beste, schönste Lage. Das wahre Glück liegt noch ein bisschen weiter draußen. Der letzte Ort der Hamptons ist das alte Fischerstädtchen Montauk. Bescheidener, einfacher und rauer. Die Natur ist schroffer, die Restaurants sind ehrlicher, das Sozialleben besteht oft nur aus einem freundlichen Nicken beim Strandspaziergang. Dieses einzigartige Meergrau entsteht, wenn salzige Luft und Sonne ihre Arbeit erledigen. Blick von Tomas Maiers Terrasse auf den Atlantik HIDDEN PLACE VERSTECKTER GLAMOUR „Montauk ist das Gegenteil von fancy“, sagt Tomas Maier. Trotzdem oder gerade deswegen war der Ort immer auch Anziehungspunkt für Künstler und Kreative. Zu den legendären Teilzeitbewohnern zählen: der Fotograf Richard Avedon, der Schriftsteller Edward Albee, der Schauspieler Robert De Niro, die Modeschöpfer Calvin Klein und Ralph Lauren, der Künstler und leidenschaftliche Surfer Julian Schnabel, der Sänger Rufus Wainwright und der Galerist David Zwirner. Auch Andy Warhol, dem es zeit seines Lebens nicht hektisch genug sein konnte, zog sich immer wieder in sein Häuschen in Montauk zurück. CASUAL SHOPPING „Wir kaufen im Vorbeifahren ein“, sagt Maier. Zwischen Amagansett und Montauk ist im Sommer der letzte „Farmers Market“, wie man ihn in den Hamptons häufig findet. Hervorragendes, lokal angebautes Gemüse und Obst. Einst hatte Montauk die größte Flotte an Thunfischfängern. Die großen Schwärme wurden schon seit Jahrzehnten nicht mehr vor der Küste gesichtet. Aber noch heute kann man hervorragenden frischen Fisch kaufen. Schwertfisch, Seeteufel, Wolfsbarsch und gelegentlich auch mal Gelbflossen-Thun. „Ich kaufe, was an dem Tag frisch ist, dämpfe den Fisch und serviere ihn mit frischem Gemüse“, sagt Maier. Das dem Laden angeschlossene Restaurant muss man nicht unbedingt besuchen. „Gosman’s Fish Market“ 484 West Lake Drive, Montauk BESTE STRANDBUDE „Sie macht ein Vermögen“, scherzt Maier über Lili Adams, die seit 20 Jahren ihren Foodtruck „Ditch Witch“ in unmittelbarer Nähe vom Strand Ditch Plains betreibt. Hier gibt es Burritos, einen ordentlichen Kaffee und eine Ureinwohnerin im Wagen, die aufmerksam verfolgt, wie sich ihre Heimat verändert, sei es durch den Hurrikan Sandy oder durch neue Investitionen, die auch vor Montauk natürlich nicht haltmachen. „Ditch Witch“, 40 Deforest Road, Montauk KURZE GESCHICHTSSTUNDE Die Ureinwohner waren die MontaukettIndianer, im 17. Jahrhundert wurde die Halbinsel als Weideland genutzt. 1879 kaufte Arthur W. Benson für 15.100 Dollar 40 Hektar des östlichen Teils und ließ vom Architekten Standfort White sieben „Cottages“ entwerfen, deren Fassaden mit den ortstypischen Holzschindeln verkleidet wurden und die für eine Gruppe von reichen New Yorkern als Jagdund Angelhütten gedacht waren. In gewisser Weise war es ein frühes Beispiel von Gentrifikation – lange bevor dieser Begriff geprägt wurde. Das berühmteste Haus der Montauk Association, die Tick Hall, gehört dem Entertainer Dick Cavett, der es nach einem Brand 1997 originalgetreu wieder aufbauen ließ. WENN DOCH MAL GÄSTE KOMMEN „Ich mag das Ambiente. Da gehen wir mit Besuchern gern hin“, sagt Maier über das Restaurant „Crow’s Nest“. Eine große Holzbude, die mit archaischen Wandmalereien und Liebe zu Details aufgemotzt wurde. Der expressiv gezeichnete Totenkopf eines Walrosses ist das Logo, und die Karte spiegelt einen unbekümmerten Zugriff auf alles, was passt und schmeckt: Chicken Kebab, Atlantikaustern, Kale-Salat. „Oft ist die Hälfte der Posten schon aufgegessen.“ Was ja nur ein Hinweis auf die Frische der Zutaten und die Entspanntheit des Teams ist. „The Crow’s Nest“ 4 Old West Lake Drive, Montauk (ab 21. Mai wieder geöffnet) STRANDLEBEN Was die Qualität der Strände betrifft, hat man in Montauk eher die Qual der Wahl. Montauk. Und man kann bis zu den Ditch Plains laufen“, sagt Tomas Maier. Sein anderer Wandertipp: ein Marsch über die Napeague Harbor Road mit ihren fast 30 Meter hohen Dünen. FÜR DIE TAG- UND NACHTLEKTÜRE „Zwei bis dreimal im Sommer besuche ich diesen Buchladen und werde eigentlich immer fündig“, sagt Tomas Maier über „Black Cat Books“ auf Shelter Island. Der Laden verkauft seit 1996 eine interessante Auswahl gebrauchter Bücher und Erstausgaben. Von Montauk ist es eine kleine Reise – die sich allerdings lohnt. Man fährt durch den ehemaligen Walfängerort Sag Harbor. Er liegt nicht am offenen Meer und konnte sich ein bisschen Verträumtheit bewahren. Von dort aus erreicht man die Fähre nach Shelter Island, eine besonders grüne Understatement-Idylle, in der auch einige Deutsche viktorianische Häuser bewohnen. Sie liegt zwischen den Hamptons und der North Fork, dem zur Bucht liegenden anderen Nordzipfel von Long Island, der unter anderem für seinen Weinbau berühmt ist. „Black Cat Books“, 54 North Ferry Road, Shelter Island SNACKS Ebenfalls in Sag Harbor – wenn man schon mal da ist: Großartigen Käse aus Europa und den USA (viel besser, als der durchschnittliche Supermarkt glauben GRANT MONAHAN (2) BLOSS KEIN STRESS Montauk ist der größtmögliche Kontrast zum aufgepeitschten New Yorker Leben. Hier fährt man hin, um zu sich selbst zu finden – und die spektakuläre Natur. Der Atlantik braucht im Sommer lang, um sich zu einer einladenden Temperatur aufzuwärmen, aber das ganze Jahr erlebt man hier ein atemberaubendes Zusammenspiel von Wind, Dünen und Sonne. „Das beste an Montauk“, sagt Hausbesitzer Tomas Maier: „Man fühlt sich wirklich wie am Ende eines ganzen Kontinents.“ Aus dem Alltag des Foodtrucks „Ditch Witch“ in Montauk: Ein stolzer Angler zeigt seine Beute, der Künstler Julian Schnabel beißt zu Sie sind lang, sauber, und nur in Ausnahmefällen (Hochsaison, Wochenende) wirklich voll. Als einen der schönsten Strände in den gesamten Hamptons empfiehlt Tomas Maier den Abschnitt am Hither Hills State Park, das ist ein kleines Naturschutzgebiet, in dem es auch einen Süßwassersee gibt. „Hither Hills State Park“, Old Montauk Highway BESTE AUSSICHT Wer Abwechslung vom Strand sucht und einen Eindruck von der Topografie gewinnen möchte, der geht im Shadmoor State Park wandern. „Ein toller Blick auf macht) gibt es bei „Cavaniola’s Gourmet Cheese Shop“. „Ich liebe die Lobster-Roll und die hausgemachten Kartoffelchips“, schwärmt Tomas Maier „Cavaniola’s Gourmet Cheese Shop“, 89B Division Street, Sag Harbor SO LONG 1792 gab George Washington den Bau des Leuchtturms in Montauk Point in Auftrag, es ist der älteste der USA. „Nichts als Meer und Wind“, beschrieb der Dichter Walt Whitman sehnsuchtsvoll Montauk Point. Er hatte recht. Aufgezeichnet von Adriano Sack 25 DER NEUE LIPPENSTIFT FÜR FARBE, GLANZ UND PFLEGE ILOVECOCO CHANEL .COM CHANEL-Kundenservice - Tel. 01801-24 26 35 (3,9 Ct/Min. aus dem Festnetz, max. 42 Ct/Min. aus Mobilfunknetzen). MILD PALMS Wo steckt eigentlich Tomas Maier, der Kreativdirektor von Bottega Veneta? Kommt drauf an, wann man ihn erwischt. Die Firmenzentrale ist in Mailand, das amerikanische Büro in New York. Aber wenn es die Zeit und der Job erlauben (und wenn es für die nördlichere Atlantikküste noch zu frisch ist), dann lebt der Mann eine gute Stunde von Miami Beach entfernt. In einem Paradies, das kein großes Aufhebens von sich selbst macht Z 28 wei knallbunte Sittiche sitzen auf dem Strommast schräg über einer Tankstelle. Nach intensiver Schnäbelei flattern sie der Morgensonne und damit dem atlantischen Palmenstrand entgegen, während um Punkt 8 Uhr die Taxis eintreffen mit der achtköpfigen Crew, Tomas Maier ist selbstverständlich schon da. Er tauscht sich kurz mit dem britischen Model Richie Cotterell über aktuelle Ausstellungen in New York aus, dann schnappt er sich den Fotografen Robbie Fimmano und geht mit ihm die Motive durch. Er hat sie schon im Kopf. Für ICON stylt er eine Auswahl der kommenden Herbstkollektion seiner Tomas Maier Brand, die er 1997 in den USA zunächst als Label für Bademoden gründete und die nach einer Beteiligung von Kering, zu dem auch Bottega Veneta gehört, nun als LifestyleMarke (tomasmaier.com) expandiert. „Wir sind Floridianer“, sagen Maier und sein Partner Andrew Preston, obwohl keiner der beiden hier geboren ist. Es ist ein guter Platz, den sie sich für ihr privates Atelier ausgesucht haben. In Delray Beach, einem ausgesucht unaufgeregten Ort an der Ostküste Floridas. Hinter einer neu errichteten Betonwand verborgen, befindet sich eine alte Großbäckerei mit hohen Decken aus Stahl und Glas. Der Vorbesitzer war Maler, die Farbspuren auf dem Fußboden hat Maier einfach gelassen, wie sie waren. Sie geben dem Raum Patina. Und sie vermitteln das Gefühl, dass es hier etwas lässiger zugeht, als man es von dem Hausherrn erwarten würde. Trotzdem erkennt man sofort seine Handschrift, sein profundes Wissen von Kunstund Designgeschichte. An der einen Wand hängt ein Bild der Fotografin Alex Prager, in einer Ecke steht ein Tisch mit Lederbeinen, den Jean Prouvé für Hermès entworfen hat. Neben den Schreibtischen von Tomas Maier und Andrew Preston ruht eine große Kiste, wie sie zum professionellen Kunsttransport benutzt wird. „Den Diskuswerfer haben wir vor Jahren gekauft. Der wartet noch immer auf den richtigen Platz“, sagt Maier. Zum Spirit dieses Ortes gehört eben auch, dass er sich hier nicht hetzen lässt. Noch nicht einmal von seinen eigenen Kunstkäufen. Die übliche Dramaturgie einer Modeproduktion sind Momente der Hektik, die sich abwechseln mit zäher Monotonie und Verspätung. Der Vormittag in Delray Beach dagegen ist geprägt von hochkonzentrierter Arbeit. Kein Stress und keine Durchhänger, Maier hat die Motive und Kombinationen bereits vorher im Kopf. Zum Lunch gibt es griechischen Salat und Crabcakes, und als Gesprächsthemen: die Museumsinsel im japanischem Binnenmeer Seto Nankai (genial), die Bilanz des neuen New Yorker Bürgermeisters Bill de Blasio (na ja) und die Textilkünstlerin Sheila Hicks, von der auch noch ein verpacktes Werk im Atelier herumsteht. Früher als geplant ist das letzte Motiv geschossen. Das Fototeam macht sich auf den Weg zu einer Cocktailbar an der Lagune, der Hausherr ist bereits mit seinem schwarzen Porsche 911 entschwunden, der im Hinterhof geparkt war. Im kleinen Wasserbassin des Innenhofes ziehen ungerührt die Goldfische ihre Bahnen. Adriano Sack Bomberjacke sowie passende Shorts aus Seidenduchesse. Darunter: Top aus Merinowolle FOTO: ROBBIE FIMMANO C/O STREETERS STYLING: TOMAS MAIER SO LÄSSIG MIT SWIMWEAR FING ES AN. HEUTE VERBINDET TOMAS MAIERS’ EIGENES LABEL ENTSPANNTEN GLAMOUR UND QUALITÄT. EIN EINBLICK IN DIE NÄCHSTE SAISON Digital Technician: Mike Bogart; Assistent 1: Dean Podmore; Assistent 2: Rob Karlsson; Post Production: Maria Fimmano Haare: Steven Hoeppner c/o Artists by Timothy Priano (ABTP); Make-up: Sir John c/o Streeters NY; Models: Aneta Pajak c/o DNA & Richie Cotterell c/o DNA; Production: Jennifer Schmidt Bressler Alle Looks entstammen der Tomas Maier Pre-Fall 2016-17 und Fall/Winter 2016-17 Kollektion Dark-Denim Jacke, Hemd mit Tartan-Muster und Dark-Denim Hose mit Farbspritzern 32 Kaschmir-Pullover und Graffiti-Tartan Rock 33 Luftiges Baumwoll-PopelineShirt. Darüber: Wollkleid mit Hahnentrittmuster und Reißverschluss. Stiefel mit Prägung aus Lackleder Rechte Seite: Sweater aus Merinowolle in Schwarz und Schiefer, Fleecehose mit Tartan-Muster und Sherpa-Stiefeletten 35 Kamelfarbene Cabanjacke aus Wolle, V-Ausschnitt-Pullover aus Kaschmir sowie eine weiße Cordhose 36 Cardigan und Kleid aus Viskose. Schwarze Sneaker: Modell „Malibu“ 37 MADE IN GERMANY Sie haben ihre Heimat verlassen und eine neue gefunden. Neun deutsche Kreative, Künstler und Unternehmer, die in den USA leben, über ihren amerikanischen Traum – und wie sie ihn wahr gemacht haben FOTOS: RALPH GIBSON Assistenz: Alessandro Simonetti Produktion: Jennifer Schmidt Bressler Elisabeth von Thurn und Taxis Die Prinzessin aus Regensburg, die als Editor-at-large bei der amerikanischen „Vogue“ dem Leben Stil einhaucht D 38 as letzte Mal ist auch schon wieder zwei Jahre her. Es war in irgendeinem Keller im New Yorker Galerienviertel Chelsea. Die Bar hatte der Künstler Tobias Rehberger mit Camouflagemuster angemalt, die Türsteherin schaute erst streng, aber dann kulant über die fehlende Gästelistenplatzierung hinweg. Und auf dem Dancefloor, überraschend und dann wieder nicht: Elisabeth von Thurn und Taxis. Nur wenige Menschen beherrschen die Kunst, einem bei Musik in Flugzeuglautstärke die richtige Dosis an Information und Charme ins Ohr zu rufen. Man kommt nicht aus dem Takt, aber die Nacht strahlt gleich noch ein bisschen heller. Sie gehört dazu. Nun kommt sie in die Lobby des Hotels „Marlton“ im West Village. Ein bisschen runtergekommen, aber mit echtem Kamin. Natürlich ihre Wahl. Unterm Arm eine Tüte der Biosupermarktkette Wholefoods (obenauf: Brombeeren), eine Strähne ihres Haares ist rosa gefärbt. Der Gesprächsfaden ist nach 30 Sekunden wieder aufgenommen. Sie war gerade in Los Angeles, unter anderem bei der Eröffnung der Galerie Hauser & Wirth. Sie trainiert derzeit für einen Halbmarathon. Sie hat sich gerade „schwer verliebt“ – in die abstrakten Fotoarbeiten von Eileen Quinlan. Die Balenciaga-Kollektion von Demna Gvasalia will sie mal genauer unter die Lupe nehmen, und JW Anderson findet sie „gigantisch“. Was sie auch noch interessiert: Wird Karl Theodor zu Guttenberg ein Comeback haben, wie manche behaupten? Ihre Funktion bei der amerikanischen „Vogue“ heißt „Style Editor at Large“, was so viel heißt: Sie hat keine Anwesenheitspflicht, aber sie schaut gelegentlich mal bei Anna rein (Anmerkung der Redaktion: Wintour, die mächtigste Frau der Modewelt). Und sie kann schreiben, worüber sie will und was in ihrem Leben so anfällt: Pendelei zwischen London und New York, Modenschauen, ein Reitwochenende bei Freunden auf dem Land in England, das Weihnachtsfest im Familienschloss mit ihrem Jack Russell Terrier Crusty sowie „Dienstboten und 500 Zimmern“, wie es in ihren Memoiren „Tagebuch einer Prinzessin“ heißt. Den amerikanischen Spitznamen ihrer Mutter, „TNT“, hat die Tochter übernommen – der Erfinder gehört in die Hall of Fame des Celebrity-Journalismus. Aber im Auftreten ist sie ein bisschen zurückhaltender. Als sie nach New York kam, arbeitete sie zunächst als Assistentin des Galeristen André Schlechtriem und begann parallel ihre Karriere als Autorin. Und nebenbei fand sie ihren Stil, der sich aus Fundstücken aus dem mütterlichen Kleiderschrank und jungen Labels wie Molly Goddard zusammensetzt. Als sie vor einem Jahr eine Obdachlose in Paris in der „Vogue“ blättern sah, stellte sie ein Foto davon mit einem launigen Kommentar auf Instagram, was ihr derbe Kritik einbrachte. Die Ferndiagnose „Taktlosigkeit“ ist salopp gesagt Blödsinn: Elisabeth von Thurn und Taxis hat Meinungen und sagt sie auch. Aber Zynismus ist ihr fremd. Ihre New Yorker Wohnung ist im selben Haus wie die der Künstlerin Ena Swansea, die „TNT“ auf einem Pferd sitzend porträtierte. Der Blick scheint durch den Betrachter gerichtet, die Haltung makellos, die Schönheit zart verschattet. Es ist ein paar Jahre alt, aber das Bild kommt dieser jungen Frau recht nahe. Eine Suchende, wenngleich aus leicht erhöhter Stellung. Adriano Sack Meinungsstark und immer auf der Suche: Elisabeth von Thurn und Taxis hat sich bei der „Vogue“ durchgesetzt Rampenlicht ist nicht sein Ding – er kümmert sich lieber um „operative Exzellenz“ und ist dabei ein Chef geblieben, der für jeden zu sprechen ist: Markus Dohle musste bei Penguin Random House unangenehme Entscheidungen treffen, als er nach der Finanzkrise antrat – nun beeindruckt sein Erfolg die Amerikaner 40 Markus Dohle Der Chef von Penguin Random House, der den Verlag sanierte und dadurch sogar die kritischsten New Yorker überzeugte A ls Markus Dohle am 2. Juni 2008 morgens an seinem neuen Schreibtisch im 25. Stock der Random-HouseZentrale am Broadway Platz nimmt, fällt die Sonne über den Hudson River durch die Fensterscheiben und erleuchtet die leeren Bücherregale in seinem prachtvollen CEO-Büro. Die Bücher hat sein Vorgänger mitgenommen, und Amerikas größtes Verlagshaus ist schwer angeschlagen. Da klopft es. In der Tür steht der Star-Autor Dan Brown, der dem frischgebackenen Großverleger spontan Hallo sagen möchte: „Ich dachte, das gibt’s doch nicht“, erinnert Dohle sich lachend und macht eine Ohnmachtsgeste: „I almost fainted.“ Nach acht Jahren in den USA springt Dohle fast akzentfrei zwischen den Sprachen hin und her, und Dan Brown ist inzwischen ein guter Freund. Damals blieb der Schriftsteller bis zum Abend und erfuhr, was die Verlagswelt in den Monaten darauf am meisten verwunderte: Da war jemand gekommen, der nicht nur ans Geschichtenerzählen, sondern auch ans Zuhören glaubt. Heute ist Dohle in den 14. Stock umgezogen, in ein Büro, das eher für einen Abteilungsleiter angemessen wäre. Die oberen Stockwerke hat er vermietet, um Geld einzusparen. Die Bücherregale aber sind wieder voll. Auf dem Fensterbrett stapeln sich die Devotionalien eines Verlegerlebens: ein gerahmter Brief von Präsident Obama, ein Foto mit der First Lady, ein Foto mit „41“ (Präsident George H. W. Bush Sr.) und eines von einem Tennismatch mit Dan Brown. Daneben Bilder aus dem Urlaub auf Juist, wo er mit seiner Frau Karin und den beiden Kindern Niklas und Julia stets den Sommer verbringt. Ausgewachsene Verleger hätten vor der Aufgabe, Random House zu sanieren, Angst gehabt. Dohle, der gelernte Wirtschaftsingenieur, den sein Mutterhaus Bertelsmann früh mit Führungspositionen in anderen Unternehmen betraut hatte, freute sich eher über die Chance. Es ist nicht einfach, dem energiegeladenen 47-Jährigen Persönliches zu entlocken. Er nimmt sich dann viel Zeit, bevor er antwortet. Dabei fällt oft das altmodische Wort „Dankbarkeit“. Es hat viel mit seinen Wurzeln zu tun, dem soliden Elternhaus im Sauerland, dem sozialdemo- kratischen Vater, der den beiden Söhnen mitgab, dass sich harte Arbeit für alle lohnen muss und dass es wichtig sei, sich der deutschen Geschichte zu stellen. Dabei erlebte er alles andere als ein herzliches Willkommen. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Unternehmensspitze in Gütersloh ausgerechnet und ohne Vorwarnung einen Outsider auf diesen Posten setzen würde. Die „New York Times“ sprach von „Panik“ in der Branche. Die sarkastischen New Yorker Intellektuellen übertrafen sich mit boshaften Kommentaren über den vergleichsweise jugendlichen Manager. „Der hat die Energie einer Springbohne“, hieß es genervt. In Manhattan werden die Karrieren unter dem Brennglas geprüft. Da muss man Hitze aushalten. Vielleicht hat sein breites Lächeln, das er wie eine Signatur mit sich herumträgt, damals die Mitarbeiter und Autoren verunsichert. Heute steht ein riesengroßer Teddy hinter seinem Schreibtisch. Leonard Riggio, der Gründer von Amerikas wichtigster Buchladenkette Barnes & Noble, hat ihn geschickt. Dohles Erfolg beruht darauf, so zu sein, wie Amerika einmal war: optimistisch, zupackend, reformorientiert. Dohle hält gern den Daumen hoch. Auf dem letzten Foto mit der Belegschaft tun es ihm die Mitarbeiter gleich. Er legt Wert darauf, ein Chef zum Anfassen zu sein. Krisen und Herausforderungen hat es genug gegeben, seit er das globale Unternehmen führt. Kurz nach seinem Amtsantritt 2008 wankte die US-Wirtschaft in die schlimmste Krise seit den 30er-Jahren. Die Buchverkäufe stürzen in den Keller. Immer mehr Autoren nutzten die digitalen Möglichkeiten, um sich selbst zu veröffentlichen. Der E-Commerce-Gigant Amazon griff die klassischen Verlage frontal mit eigenen Verlagsaktivitäten, Self-Publishing und dem massiven Ausbau des E-Book-Geschäfts an. Im Sommer 2013 dann sollte Dohle die beiden Verlagsgiganten Random House und Penguin so geräuschlos wie möglich zusammenführen, nachdem, für viele überraschend, die Kartellbehörden auf beiden Seiten des Atlantiks den Deal abgenickt hatten. „Ich wollte, dass das der langweiligste Merger der Verlagsgeschichte wird“, sagt Dohle, der gern überlegt und bedacht agiert. Rampenlicht ist ohnehin nicht sein Ding. Er kon- zentriert sich lieber auf „operative Exzellenz“ und nachhaltige Entscheidungen. Nun leitet er das größte Verlagshaus der Welt mit großem wirtschaftlichen Erfolg. 250 Verlage in mehr als 20 Ländern arbeiten unter dem Dach von Penguin Random House. Verkauft werden die Bücher in mehr als 100 Ländern. Die Wachstumschancen in neuen Märkten sind laut Dohle „gigantisch“. Das Mutterhaus Bertelsmann erwägt, die Unternehmensanteile bald aufzustocken. Selbst Branchenexperten wie der MegaAgent Andrew Wylie zollen dem fröhlichen Deutschen Respekt. Als es zwischen den beiden zu einer Art Pattsituation wegen des Vertriebs digitaler Bücher kommt, bricht Dohles offene Art das Eis. Es sei das ehrlichste Gespräch seiner langen Laufbahn gewesen, sagt Wylie anerkennend. Seither arbeiten die beiden noch enger zusammen als zuvor. Dohle ist das, was man auf Englisch „the real deal“ nennt. Jemand, der seine Werte nicht seinen Interessen opfert: „Eine Wertegemeinschaft zu sein, ist der größte Wachstumstreiber und Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens“, sagt er. „Die Leute wollen nicht nur bei uns arbeiten, sondern auch mit uns.“ Spätestens als Dohle und sein Team die Idee hatten, die Mitarbeiter nach dem gigantischen Bestseller „Fifty Shades of Grey“ am Erfolg zu beteiligen, hat er die Herzen der Mitarbeiter erobert. Als er auf der Weihnachtsfeier 2012 ankündigte, dass vom Starlektor bis zum Lagerarbeiter jeder denselben Bonus von 5000 Dollar bekommt, gab es stehende Ovationen für den Mann, der oft in Jeans und dunklem Rollkragenpulli zu sehen ist. Die zahlreichen Entlassungen, die zur Sanierung notwendig waren, hat man ihm verziehen. Trotz seiner Umtriebigkeit erkennt ihn nicht jeder. Vor Kurzem stellte Neil MacGregor, der neue Präsident des Humboldt Forums, sein Deutschland-Buch „Erinnerungen einer Nation“ im New Yorker Century Club im Beisein von 100 Autoren und Journalisten vor. Dohle stand in der Warteschlange. Eine Stofftasche mit Büchern über der Schulter, stellte er sich vor: „Ich bin Markus Dohle. Ich arbeite für Penguin Random House.“ Nur unwillig setzte er sich in die erste Reihe, blieb interessiert bis zum Ende. Dann verschwand er so unauffällig wie er gekommen war. Huberta von Voss 41 Ute Lemper Der deutsche Showstar, der sich in die amerikanische Mentalität des „Go for it“ verliebt hat V 42 om Pausenhof dringen Kinderstimmen in das Studio. Die Terrassentür steht offen und lässt das Mittagslicht in den Raum. Ute Lemper steht in einem asymmetrischen schwarzen Oberteil und einem engen Rock, wo Starfotograf Ralph Gibson sie gern haben will, und schaut in die Ferne. Das sieht gut aus und gleichzeitig irgendwie verkehrt. Man könnte sich den Weltstar jetzt viel besser in Jeans und mit Gartenhandschuhen vorstellen. Hier oben, in diesem kleinen Penthouse, das an ein Adlernest erinnert, ist sie weit weg von der Geschäftigkeit der Upper Westside New Yorks. Hier landet die Sängerin und Schauspielerin stets nach ihren ausgedehnten Konzertreisen und genießt die Intimität des Ortes: „Ich fühle mich in dieser Abgeschiedenheit sehr wohl“, sagt sie. Noch warten die ersten Knospen ungeduldig auf beständige Wärme. Bald wird sich der Garten in ein Blütenmeer verwandeln, ein Vierjähriger wird auf dem Dreirad mit seinen Superheroes über den Holzboden knattern und Zacky, der gemütliche Minipudel, muss aufpassen, dass niemand auf ihn tritt. Vielleicht sitzt bald die 19-jährige Stella mit einem Buch in der Hand im Schatten und diskutiert mit ihrer Mutter über Literatur. Vielleicht braucht der älteste Sohn Max Rat, wie man die Manschettenknöpfe durchs Hemd fädelt, weil auch 21-Jährige als Investmentbanker einen Dresscode einhalten müssen. Vielleicht bringen auch ihr Mann und ihr zehnjähriger Sohn Jonas Pizza aus dem dritten Stock, wo die Familie wohnt, nach oben. Die Frau, die als Musicalstar und Weill-Interpretin von Münster aus die Welt eroberte und seit 35 Jahren nie stillzustehen scheint, ist ein lebendes Ensemble: verführerische Bühnendiva, hart arbeitende Musikerin, ausgezeichnete Komponistin mit Liebe zu Literaturvertonungen und Mutter der Kompanie, die dafür sorgt, dass die Rechnungen bezahlt werden und die Kinder ihre Hausaufgaben erledigen. Ihr zweiter Mann, der Musiker Todd Turkisher, ist amerikanischer Jude und ein „herrlich neurotischer Mensch“, wie sie lachend zugibt. Amerikanerin ist sie trotzdem nicht geworden, auch wenn die Stadt New York nach jahrelangen Engagements in Paris, London und Berlin ihre Heimat geworden ist. So viel Heimat, wie Lemper gerade noch erträgt, ohne sich eingegrenzt zu fühlen. New York zwinge sie nicht, sich mit etwas zu identifizieren, erzählt sie. Die Stadt bediene das „ganze Register von wunderbar bis furchtbar“, von bedrückender Armut in Harlem über die Shoppinghölle Midtowns, den experimentellen Jazzclubs, der Kunst, und dem Kiez-Gefühl mitten in seiner „Hood“ wie in einer Dorfgemeinschaft zu leben. Minus den engen Urteilen, die geschlossene Gesellschaften sonst auszeichnen. Als Ute Lemper mit Ende 40 ihr viertes Kind bekam, gab es keine indiskreten Fragen oder hochgezogenen Augenbrauen: „Ich mag diese Mentalität des ,Go for it‘, und dass die Menschen nicht so moralistisch sind.“ Das war ihr schon im konservativ katholischen Umfeld ihrer Kindheit suspekt. Und doch gibt es immer wieder Momente, in denen sie sich als Europäerin fremd fühlt: „Das Mainstream-Amerika ist mir sehr fern in seiner nicht gut informierten Blasiertheit“, sagt sie. Aber es hat sie mit offenen Armen aufgenommen. Als sie Ende der 80er-Jahre von der Plattenfirma Decca für ein Projekt über „entartete Kunst“ engagiert wurde und ihre erste Kurt-Weill-Aufnahme herauskam, stand die CD 50 Wochen in den USA auf Platz eins der Cross-overCharts. Die Aufnahme von Musik, die in Konzentrationslagern komponiert wurde, ist ihre Mission geblieben. Als die israelische Gedenkstätte Yad Vashem sie für ihr jahrzehntelanges Engagement ehrte, blieb ihr abends auf der Bühne minutenlang die Stimme weg. Als sie wiederkehrte, standen die Holocaust-Überlebenden auf und sangen die Lieder mit, die Ute Lemper ihnen im unvergleichlichen Sound der 20er-Jahre zurückgab. Nach Deutschland kommt sie gern und häufig zurück. Obwohl die deutschen Kritiker – im krassen Gegensatz zur internationalen Presse – Anfang der 90erJahre teilweise hart mit ihr ins Gericht gingen, fühle sie sich dort heute sehr geliebt und respektiert. Ab Mai tourt sie mit „Die Schriften von Accra – 9 Geheimnisse“, einer Vertonung von Texten des brasilianischen Bestseller-Autors Paulo Coelho. In einem der Texte heißt es: „Die Natur sagt uns: Verändere dich! Wachse und scheue keine Herausforderung. Und jenen, die das Abenteuer scheuen, da es Risiken birgt, sage ich: Versuche es mal mit Routine. Die ist garantiert tödlich.“ Der Satz könnte auch von Ute Lemper kommen. Huberta von Voss Angekommen in der Stadt, die nach ihren Worten alles von „wunderbar bis furchtbar“ kennt: Ute Lemper 43 „Ich bin Hanseat, für mich ist Ehrlichkeit ganz wichtig“, sagt Tobias Meyer. Von 1997 bis 2013 war er Auktionator bei Sotheby’s und brach diverse Rekorde. Die „Orange Marilyn“ von Andy Warhol verkaufte er 1998 für 16 Millionen Dollar, einen Mark Rothko für 72 Millionen Dollar. Er veränderte damit den internationalen Kunstmarkt 44 Tobias Meyer Der private Kunstberater, der Händler aus Leidenschaft ist und Kunstwerke zum Sprechen bringt L eider findet das Interview am Telefon statt, der Mann ist viel unterwegs. Während des Gesprächs schickt er Bilder einer kleinen Picassoskulptur und eines Gemäldes von Antonello da Messina. Ganz klar: Tobias Meyer, 53, will Liebe zur Kunst wecken. Selbst wenn 6384 Kilometer und der Atlantik zwischen ihm und seinem Gesprächspartner liegen. Guten Morgen, Herr Meyer. Wie beginnt Ihr Tag in New York, wenn Sie zufällig mal in der Stadt sind? Mein Mann Mark und ich lesen um sieben Uhr die „New York Times“ von vorne bis hinten. Am liebsten auf Papier. Das ist für mich wichtig, weil es so eine Objekthaftigkeit hat. Um Viertel nach acht gehe ich ins Gym, damit mein Arzt mit mir zufrieden ist. Natürlich habe ich vorher bereits die Korrespondenz mit Europa erledigt. Ab zehn Uhr bin ich im Büro und führe den ganzen Tag Kundengespräche. Am liebsten schaue ich mir mit den Leuten ein Objekt an. Im Museum, im Atelier, im Auktionshaus. Meine Dialogfähigkeit ist dann besser. Wie wichtig sind Kunstmessen? Ich fahre nach Basel, Maastricht und zur Masterpiece in London. Schon zur Art Basel Miami Beach gehe ich eigentlich nicht. Daran erkennen Sie, dass mein Portfolio eher klassisch ist. dem, was ich verkaufe, soll es keine Variablen mehr geben. Deswegen setze ich auf Rothko, Richter oder Warhol. Mit denen hatten Sie ja schon bei Sotheby’s zu tun. Mein Talent ist es, wenn ich das so sagen darf, ein Kunstwerk sprechen zu lassen. Wie machen Sie das? Ich gebe den Menschen Zeit, die Kunst zu erleben. Sie kann überwältigend oder verwirrend sein. Ich suche das aussagekräftigste Bild und führe den Menschen darauf hin. Dann sagt das Werk, was es sagen soll. Ohne Nebengeräusche und Ablenkungen. Schauen Sie sich „Annunzatione“ von Antonello da Messina an. Die Frau, die die Hand zu Ihnen ausstreckt. Eines der wichtigsten Bilder der Frührenaissance. Und eines der ersten, das Sie als Betrachter einbezieht. Sie sind der Erzengel, der Maria verkündet, dass sie die Mutter Gottes sein wird. Und sie wehrt mit den Händen ab und sagt: „Ich will damit nichts zu tun haben.“ Welcher Ihrer Rekorde als Auktionator steht noch? Ich hoffe keiner. Die Arbeit als Auktionator ist wie Surfen: Man muss die Welle reiten, wenn sie kommt. Entspricht das Ihren Vorlieben? Um ganz ehrlich zu sein: Wenn Kunst heute passiert, macht sie mich nervös. Ich brauche fünf bis sechs Jahre Distanz, um sie zu verstehen. Hatten Sie feuchte Hände, als sie die „Orange Marilyn“ von Andy Warhol für 16 Millionen Dollar verkauften, das vierfache des damaligen Marktpreises? Als wir über 10 Millionen kamen, stöhnte einer im Publikum „Oh my God“. Aber ich habe eine sehr hilfreiche Angewohnheit: Ich werde unter Druck unheimlich ruhig. Und es war ja nicht mein Geld. Das ist ja fast eine Frechheit, in einem Kunstmarkt der so atemlos geworden ist... Für die ganz neuen Sachen ist Mark Fletcher zuständig, der mit jungen Künstlern arbeitet. Er kam schon vor 15 Jahren mit Dan Colen und Nate Lowman zusammen und war mit Terence Koh befreundet. Sie haben mal auf den Megahändler Larry Gagosian gewartet, als der Akku seines Mobiltelefons leer war, und er nicht weitersteigern konnte, weil er seinen Kunden nicht erreichen konnte. Hat er sich bei Ihnen bedankt? Der bedankt sich bei niemandem (lacht). Bei Terence Koh hat man gesehen, wie schnell ein Künstler teuer werden kann. Und dann verschwindet. Die nächste Generation ist schon wieder viel nachdenklicher. Die wollen das American Idol System in der Kunst nicht mehr. Die misstrauen dem Markt. Bei In Ihren früheren Statements haben Sie sehr unsentimental über Rekordsummen und Wertsteigerungen gesprochen. Ist Ihnen Geld wichtiger als Kunst? Die Brutalität hatte vor allem einen Grund: Ich wollte nichts Dummes sagen. An meiner Liebe zur Kunst hat das nichts geändert. Die empfinde und lebe ich jeden Tag. Ich habe kürzlich einen kleinen Picasso gekauft. Er hatte 1938 einen Stein am Strand gefunden und ein bisschen Plastilin darunter montiert. Voilá: eine Eule. Er hat sie sein Leben lang behalten. Sie hat übrigens nicht viel Geld gekostet. Der Sammler Ronald Lauder erzählt gern, wie er in seiner Zeit als Botschafter in Wien immer wieder ins Belvedere ging, um Klimts Bild von Adele Bloch-Bauer zu betrachten. Wer ist Ihre Adele? Der Junge mit dem Pferd von Picasso. Er hängt im Museum of Modern Art. Ist Ihnen aufgefallen, dass er keine Zügel in der Hand hat? Was glauben Sie, warum? Weil man die Natur nicht beherrscht. Und auch nicht die Zukunft. Warum haben Sie Ihre schöne Wohnung am Columbus Circle verkauft? Es gab ein gutes Angebot: Ein Brasilianer, der alles mit erworben hat. Die Möbel, die Wandbemalung des Künstlerkollektivs AVAF, sogar das Bett ... Außerdem war in dieser Wohnung der ganze Wahnsinn des Kunstmarktes schon umgesetzt. Die wilde Mischung der Stile, die bunten Farben. Die neue Wohnung wird viel ernsthafter. Da gibt es nur Richard Prince, Andy Warhol und indische Skulpturen. Das ist die neue Zeit. Und das ist auch das Schöne an Amerika. Man ist nicht der Gefangene von Objekten. Sie haben ein Landhaus mit Daniel Libeskind gebaut. Wer war schwieriger: Auftraggeber oder Architekt? Es war eine einzige Liebesgeschichte zwischen Mark und Daniel. Wir hatten noch nicht einmal einen Vertrag. Wie relaxt es sich denn in einem „russischen Konstruktivistenvogel“, wie Libeskind seinen Entwurf nannte? Das muss man lernen. Unser Architekturempfinden beruht auf dem rechten Winkel. Wenn Sie in einem Haus sind, wo nichts vertikal ist, ist man zunächst irritiert und weiß gar nicht, wo man sich hinsetzen soll. Das Gute daran: Auch die Gedanken kommen in Bewegung. Und weil die Natur durch die großen Fenster ins Haus kommt, ergibt sich am Ende doch eine Balance. Adriano Sack 45 Felix Burrichter Der Verleger und Kurator, der das erste sexy Architekturmagazin der Welt gegründet hat S 46 chuhe aus“, bellt die chinesische Massagekraft, obwohl die Kunden bereits nur noch in ihren Strümpfen dasitzen. Die Sessel könnten aus dem Fundus der Frequent Flyer Lounge einer arabischen Fluglinie stammen, hinter der Dame blubbert ein kleinformatiges Aquarium, durch die Tür dringt verhalten der Lärm der Canal Street an einem geschäftigen Samstagnachmittag. Im Nachbarsessel: Felix Burrichter, 38, der vor zehn Jahren das Magazin „PIN–UP“ gegründet und damit der Welt der Architektur und des Designs einen entscheidenden Stups gegeben hat. Bis dahin wurden in den Fachzeitschriften entweder hübsche Fotos mit überschaubarem Informationsgehalt gedruckt oder es wurden stadtplanerische und ästhetische Debatten geführt, vorzugsweise in Schwarz-Weiß, die für den Laien unzugänglich und deshalb egal waren. Burrichter aber nennt sein Heft ein „Magazin für architektonische Unterhaltung“ und bringt damit auf den Punkt, was die Baukunst idealerweise ist: eine Schnittmengendisziplin, in der Soziologie, Kunst, Popkultur, Ökonomie, Begehren und vermutlich noch 17 weitere Großthemen kulminieren. Entertainment ist in seinem Fall mehr als ein leeres Versprechen. Mit einem normalen Termin in einem Café oder in der kleinen Besprechungs-Glasbox seines Gemeinschaftsbüros gibt sich dieser Mann nicht zufrieden. Dafür ist er viel zu beschäftigt: Die neue Ausgabe geht in ein paar Tagen in den Druck. Und zudem ist er viel zu neugierig und vergnügungssüchtig. Warum an einem wackligen Tisch sitzen, wenn man sich in einem Loungechair fläzen und eine Massage teilen kann? „Ich hatte schon als kleiner Junge immer vier Traumberufe: Diplomat. Modedesigner. Architekt – oder Friseur“, erzählt er in typischem, sich selbst überholendem Duktus: „Architekt schien mir die optimale Mischung aus Seriosität und fun.“ Zwischen halbernsten Schmerzensseufzern – die Hände der Masseurin walken mit der Energie eines Traktors – rattert Burrichter seinen Lebensweg herunter. Er nennt es die „ollen Kamellen“. Er studierte an der École Spéciale d’Architecture in Paris, Mitgründer: Viollet-le-Duc, Hausgott: Le Corbusier. Nebenbei jobbte er bei dem Modemagazin „Numéro“. Nach bestandenem Diplom zog er nach New York. Hier erlebte er gleich eine Reihe von Kulturschocks und Enttäuschungen. Aus jeder dieser Erfahrungen ging er gestärkt hervor. Und mit einem klareren Bild davon, was er wirklich wollte. Zunächst heuerte er bei dem Artdirector Fabien Baron an. „In den 90ern hatte ich mein ganzes Taschengeld am Düsseldorfer Hauptbahnhof für die ,Harper’s Bazar‘ ausgegeben, die Fabien damals machte“, erklärt Burrichter. Der Arbeitsalltag sah dann weniger glamourös aus. „Ich hatte fünf Jahre lang im Louvre Skulpturen gezeichnet, und jetzt musste ich die Valentinstagsverpackung für das Unisexparfüm CK Crave für Macy’s falten.“ Er schrieb sich für den Master an der Columbia University ein, und war es in seiner Pariser Schule um Grundrisse und Sozialbauten gegangen, konnte es in New York nicht verrückt genug sein. „Die erste Aufgabe war, einen Turnschuh zu kaufen, auseinanderzunehmen, daraus eine Collage zu machen und daraus wiederum ein Kasino zu entwerfen, das gleichzeitig auf einem historischen Krieg beruht.“ Sein erster richtiger Job war bei KPF, eine der riesigen, internationalen Architekturfabriken, seine Motive waren klar. „Ich brauchte Geld und eine Aufenthaltserlaubnis.“ Während er auf die Papiere wartete, musste er für ein paar Monate nach Europa und arbeitete in Amsterdam für die beiden Magazinmacher Gert Jonkers und Jop Van Bennekom, die gerade mit „Fantastic Man“ eine vollkom- men neue Art des Männermodemagazins erfunden hatten. „Ohne die beiden hätte ich ,PIN–UP‘ niemals gegründet“, sagt Burrichter. Im Oktober 2006 erschien die erste Ausgabe. „,PIN–UP‘ ist ein Begriff aus der Architekturschule: Man hängt seinen halbfertigen Entwurf vor der eigentlichen Präsentation an die Wand. Nicht hochpoliert, sondern ,work in progress‘“, erklärt Burrichter: „Deswegen war das ungemachte Bett von Rick Owens auch ideal für das erste Cover.“ Und ähnlich furios ging es weiter. Mal bejubelte das Magazin das Interiordesign der Fernsehserie „Denver Clan“ („die mythenumrankte Treppe“), mal interviewte man Anca Petrescu, die Architektin des durchgeknallten „Volkspalasts“ in Bukarest, mal räkelten sich italienische Fernsehstarlets auf den Neuheiten der Mailänder Möbelmesse. Als ihm im Sommer 2009 der eigentliche Job gekündigt wurde – der ganzen Branche brachen infolge des Finanzcrashs die Aufträge weg –, wusste er, dass er mit dem Hobby ernst machen musste. „Meine Kündigung war im Nachhinein ein Segen. Heute kann ich von ,PIN–UP‘ gut leben.“ Inzwischen hat der Verleger auch mehrere viel beachtete Ausstellungen kuratiert – unter anderem über Independent Publishing im Haus der Kunst in München oder über die Zukunft des Wohnens im Swiss Institute in New York – und das Buch mit den „PIN–UP“-Interviews (Richard Meier, Zaha Hadid, Jean Nouvel u. a.) ist ein moderner Klassiker. Die Fußmassage ist nun beendet. Später gibt es dann noch eine Ausstellungseröffnung im MoMA: eine Installation des jungen Künstlers Neïl Beloufa, der gerade so unglaublich hot ist. Ein Freund stellt in einem Loft in Soho seine Teppichkollektion vor. Und irgendwie stimmt der Seitenplan der nächsten Ausgabe auch noch nicht so ganz. Das kann man wohl stressig und atemlos nennen. Oder einfach New York City. Adriano Sack Rastlos in New York City: „PIN–UP“-Chef Felix Burrichter 47 Die Architektin Annabelle Selldorf landete eher zufällig in New York. Heute möchte sie nur hier leben – und fühlt sich dennoch ihrer Heimat verbunden 48 Annabelle Selldorf Die Architektin, die Kunst und Kultur einen vom Zeitgeist unabhängigen baulichen Rahmen gibt A ls William Steinway, alias Wilhelm Steinweg, 1925 seine Geschäftsräume schräg gegenüber der Carnegie Hall in Manhattan bezog, war schon klar, dass sich dort die weltbesten Pianisten vor großen Konzerten warm spielen würden. Vladimir Horowitz, Artur Rubinstein, Hélène Grimaud – sie alle machten den Ort mit der Zeit zu einer Pilgerstätte für Klaviermusik. Knapp 90 Jahre später fällt das Gebäude dem aktuellen Bauboom zum Opfer. Wo einst aus den berühmten Flügeln perlende Klänge durch die Fenster auf die laute Straße drangen, herrscht jetzt Baulärm. Auf der 111 West 57. Straße steht seit zwei Jahren mit fast 70 Metern der höchste frei stehende Kran New Yorks, um ein Apartmenthaus der Superlative zu bauen. Keine leichte Aufgabe für Michael Sweeney, den CEO von Steinway & Sons, eine neue Bleibe und den richtigen Architekten für das heimatlose Unternehmen zu finden: „Wir ziehen nur einmal pro Jahrhundert um. Da muss dann alles stimmen.“ Dass er bei Annabelle Selldorf landete, verwundert nicht. Die gebürtige Kölnerin gilt seit Jahren als Spezialistin für Räume, die so subtil zurückgenommen sind, dass die darin stattfindende Kunst hautnah erfahrbar ist. Wer die ganz große, laute Geste will, geht nicht zu Selldorf Architects. Wer an die Kraft von eleganter Reduktion und maßvollen Proportionen glaubt, muss dorthin. „Wir hatten die Aufgabe, die Leidenschaft und Sorgfalt, die die Firma in den Bau der besten Instrumente investiert, in Räume zu übersetzen, die sich für das Publikum in neuer Weise öffnen“, erklärt die WahlNew-Yorkerin die Herausforderung, eine Institution mit Erfolg zu verpflanzen. Gerade wurde unter Beifall das neue globale Headquarter von Steinway & Sons auf der Avenue of the Americas eröffnet. „Ihre Elefantenherde“ nennt sie die Flügel humorvoll. Gerade kommt sie aus einem Meeting mit ihren vier Partnern, darunter drei Frauen. Bio-Tee steht auf dem Tisch, die Stimmung ist trotz ein paar Dutzend laufender Projekte entspannt. Seit die Deutsche 2001 im Auftrag des Mäzens Ronald S. Lauder auf der Fifth Avenue eine prachtvolle Beaux-Arts-Villa mit ihrer einfühlsamen Ästhetik zur „Neuen Galerie“ umbaute, gilt sie als ers- te Adresse der Kunstwelt. Es folgten Aufträge für Neu- und Umbauten von angesehenen Galerien wie David Zwirner, Hauser & Wirth und Gladstone sowie von Museen quer durch Amerika und Europa – darunter das Museum of Contemporary Art San Diego und das GlasMuseum Le Stanze del Vetro in Venedig. Mit ihrem präzisen Auge machte sich die Frau mit der ruhigen Ausstrahlung außerdem einen Namen für Ausstellungsdesign. Bereits fünfmal betraute sie der Mega-Kunsthändler Larry Gagosian damit, Werke von Picasso, Monet, Rauschenberg und anderen Künstlern zu arrangieren. Als Selldorf im Frühjahr 2009 die Show „Picasso: Mosqueteros“ mit späten Werken des Spaniers einrichtete, bildeten sich Schlangen auf der 21. Straße in Chelsea. „Ich bin nicht der Liebling der Kunstwelt, weil ich nett bin, sondern weil ich denen etwas zurückgeben kann“, stellt die vielfach ausgezeichnete Architektin fest. „Und ich nehme für mich in Anspruch, eine kreative Leistung zu erbringen, die speziell ist. Die Kunden kommen zu mir, wie man zum besten Zahnarzt geht.“ 65 Mitarbeiter sind heute in ihrer Firma am Union Square tätig – in dem Gebäude, in dem einst Andy Warhol seine berühmte Factory hatte. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im aufmerksamen Zuhören. Sensibilität gegenüber dem Kunden prägt den Dialog: „Kompetenz kann man sich beweisen lassen, aber am Ende geht es darum, ob man die Seele einer Firma oder eines Auftrags versteht. Man muss sich gegenseitig zuhören und nachschauen, ob man dieselben humanistischen Werte hat.“ Nach New York verschlug es die Tochter des Designers und Architekten Herbert Selldorf eher aus Zufall, weil sie keinen Studienplatz in Deutschland bekam. „Ich hatte vom ersten Tag an diese tiefe Affinität zu New York. Die Stadt hat mich nie eingeschüchtert, sondern sofort neugierig gemacht. Man wird immer wieder aus seiner vorgefassten Meinung rausgezogen.“ Als dann doch ein Studienangebot aus Berlin kam, habe sie beschlossen zu bleiben. „Ich kann hier das, was ich zu bieten habe, besser verwirklichen. Deutsche sind im Ausland oft am besten.“ Sie habe nach wie vor eine sehr starke Verbindung zu Europa und Deutschland, aber sei leidenschaftliche New Yorkerin. Auch privat hat sie hier ihr Glück gefun- den und lebt seit vielen Jahren mit Thomas Outerbridge zusammen, dem Manager einer von ihr in Brooklyn gebauten Recycling-Anlage. Am Washington Square, an dem das Paar wohnt, sieht man beide oft mit ihrem Mischling Jussi spazieren, einer Mischung aus Corgi und Labrador. Das von ihr fertigstellte LuxusApartmenthaus an der Bond Street haben sie nicht bezogen: „Ich mag es im Univiertel, dort hat sich New York weniger verändert als andernorts.“ Im Sommer ist der ganze Platz voll mit Musikern und auf dem Weg zur Arbeit kommt sie über den Wochenmarkt am Union Square, wo der Duft von Obst und Blumen die Luft erfüllt. Amerikanerin ist sie nicht geworden. „Ich bin und bleibe Deutsche. Es gibt keinen Grund, das zu ändern. Dann muss ich mich auch nicht mit Trump identifizieren“, meint sie trocken. Was sie an Amerikanern schätze, sei ihre Unvoreingenommenheit. Es fasziniere sie nach wie vor, wie sich die diversen Kulturen in Amerika gegenseitig im Denken beeinflussen. „Hier werden unterschiedliche Meinungen nicht so hastig in Vorwürfe verwandelt. Es ist von Anfang klar, dass es nicht nur eine mögliche Sichtweise gibt.“ Als Architektin steht sie oft vor der Aufgabe, ein bestehendes Gebäude im Respekt vor dem Werk eines anderen Architekten zu modernisieren. „Wir Deutschen unken gerne. Den Amerikanern ist das eher fremd. Es gibt einen Grundoptimismus, der uns oftmals abgeht. Mir gefällt die Chuzpe, die Lust am Wagnis, die Kreative hier zeigen. Das macht mich frei.“ Im Moment arbeiten sie und ihre Kollegen, darunter viele Frauen, neben den zahlreichen anderen Projekten pro bono an dem Bau einer Schule im bitterarmen Sambia. „Es ist toll zu sehen, wie das ganze Team voll an Bord ist und wie enthusiastisch alle sind. Wir hoffen, dass unser Gebäude ein Modell für weitere Schulbauten sein kann.“ Dann muss Annabelle Selldorf weiter. Ihr Terminkalender ist auf Monate hinaus mit Ortsbesichtigungen ausgebucht, die kreuz und quer über den Atlantik reichen. Wer die Essenz ihrer Architektur erfahren will, sollte auf der nächsten Tour im Amangiri Resort in der Wüste Utahs haltmachen. Aber Vorsicht: Kann sein, dass Sie dort nie wieder wegwollen. Huberta von Voss 49 Roland Emmerich Der Blockbuster-Regisseur, der glaubt, schon in einem früheren Leben Amerikaner gewesen zu sein D ie Gebäude am Cahuenga Boulevard in Century City sind nicht besonders glamourös, auch wenn Hollywood nur einen Hügel entfernt ist. Hier sitzt Roland Emmerich seit Tagen in seinem Schneideraum. Der nächste „Independence Day“ muss „a.s.a.p.“ fertig werden, und so wahnsinnig viel Zeit bleibt nicht mehr. Der Regisseur stürmt ins Büro, gleich hinter den leer gefegten Schreibtisch. Er trägt die übliche Emmerich-Uniform: weißes T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. Und trotz aller Reduktion: Es ist wahrscheinlich egal, wo man sich mit Roland Emmerich trifft. Glamourös ist es irgendwie immer. Sie haben Ihren Geburtsort Sindelfingen vor 26 Jahren verlassen. Ist Heimat nur eine Illusion oder eine Ideologie? Könnte sein. Ich empfinde Deutschland heute wie Ausland. Nur im Haus meiner Mutter fühle ich mich heimisch. Wenn ich zur Tür rausgehe und durch Stuttgart laufe, ist es schon wieder merkwürdig. Obwohl sich in Deutschland viel getan hat. Ich finde, es ist offener als früher. Ihr Grundgefühl in Deutschland, heute? Das Land ist anstrengend für mich. Und es ist interessant, wie die Leute mich bewerten. Neulich hat jemand zusammengestellt, was damals über meinen Film „Independence Day“ geschrieben wurde – und was heute dazu gesagt wird. Das klafft weit auseinander. Mir wird dann immer klar: Ich habe einfach nicht nach Deutschland gepasst. 50 Wann haben Sie gespürt, dass es Zeit ist zu gehen? Ich weiß sehr genau, wann dieser Moment war. Ich stellte während der Berlinale 1990 meinen Film „Moon 44“ vor und hatte circa 30 deutsche Journalisten zum Interview eingeladen. Die erste Frage lautete: Warum machen Sie solche Filme in Deutschland und nicht in Amerika? Dann sagte einer der Journalisten, das sei doch klar, ich würde es in Amerika nicht schaffen. Ich hatte tatsächlich mein erstes Angebot dort abgelehnt. Aber zwei Tage später rief mich Mario Kassar an, um mit mir einen 80-Millionen-Dollar-Film zu machen. Ich dachte: Das passt ja supergut. Ihr könnt mich alle mal, ich gehe jetzt nach Hollywood. Mir haben die Filme von Martin Scorsese, George Lucas und Francis Ford Coppola ohnehin bereits an der Filmhochschule besser gefallen. Normal, oder? Nicht unbedingt. Zu meinen Filmschulzeiten wollte jeder der nächste Wim Wenders oder Fassbinder werden. Ich wollte aber kommerzielle Filme machen. In Deutschland hieß es dann gleich, ich wolle mich verkaufen. Aber Filme kosten nun einmal Geld. Ich fand das immer schon einen solchen Widerspruch. Filme machen – aber kein Geld ausgeben. Brachten die ersten Tage in Hollywood das große Durchatmen? Das erste Jahr war superhart. Ich habe mich mit dem Produzenten Joel Silver nicht verstanden. Er wollte mir sein Team aufdrücken, nahm keine meiner Anmerkungen ernst. Ich sagte ihm dann immer: „Wer ist hier der Regisseur?“ – und er beschimpfte mich als „Film-Nazi“. Ich schrieb mein eigenes Drehbuch, er weigerte sich, es zu lesen. Da bin ich zu Mario Kassar und sagte. „Danke, dass Sie mich für einen Film geholt haben, aber ich muss leider kündigen.“ Er sagte nur: „Gut, dann bekommst du deine 250.000 Dollar nicht.“ Ich sagte ihm, mir sei das wurscht. Ich bräuchte das Geld nicht. Ein hollywoodmäßiger Auftritt, obwohl Sie ja gerade erst angekommen waren. Es war eine Sensation, denn ich ging noch weiter, ich feuerte meinen Agenten, meinen Anwalt, eigentlich alle! Das klingt, als wäre es ein gutes Gefühl gewesen. Es hat sich gelohnt. Mario Kassar bot mir bald wieder einen neuen Film an, „Universal Soldier“. Dazu schrieb ich dann mein eigenes Drehbuch, und alles war wieder auf null. Ich konnte loslegen. Alles in allem kein ungefährlicher Einstieg für einen Expat in Hollywood. Woher hatten Sie den Mut, sich nicht unterzuordnen? Ich hab damals meinen Vater zurate gezogen. Er sagte mir: „Oft ist es wichtiger, zu welchen Dingen du nein sagst, statt zu welchen ja.“ Dann kam „Independence Day“, ein Riesenerfolg. Fühlten Sie sich ab dann zugehörig? Ich weiß nicht, ich nahm das gelassen. Ich glaube, Erfolg muss man genauso nehmen wie Misserfolg. Man muss akzeptieren, dass es auf und ab geht, die ganze Zeit. Das lernte ich in Amerika sehr schnell. Geld auf der Seite zu haben macht einen großen Unterschied. Ich konnte mir ab sofort künstlerische Freiheiten rausnehmen, das war ein Riesenschritt. Ich begann mich wohlzufühlen. Bei so ziemlich jedem Expat kommt dieser Moment, in dem er zurück möchte, und beginnt, Fantasien über die alte Heimat zu spinnen. Wann war bei Ihnen dieser Punkt erreicht? Das war nach sieben bis acht Jahren in Amerika. Da hatte ich einen Rappel und wollte nach Europa, allerdings nicht nach Deutschland. Ich habe ein Haus in London gekauft. Und? Es hat nicht funktioniert. Das Wetter hat mich fertiggemacht. Ist Wetter als Argument, ein Expat zu werden, ein unschlagbares Argument? Auf jeden Fall. Da ich viel reise und woanders drehe, habe ich den sonstigen Input, den ich brauche. Aber hier in Los Angeles ist meine Heimat. Ich habe das gespürt, als ich zum ersten Mal gelandet bin. Als ob ich in einem früheren Leben hier gelebt habe. Schon mal überlegt, wer sie in einem früheren Leben gewesen sein könnten? Noch nicht. Ich war aber sicher jemand aus der frühen Filmwelt. Waren Sie schon als Kind reiselustig? Mehr als das. Ich dachte schon mit fünf Jahren: „Ich bleib doch niemals in Sindelfingen!“ Mein Vater reiste viel und wusste, was in der Welt los war. Ich überlege bis heute regelmäßig, wo ich denn jetzt mal hinfahren könnte. Was vermissen Sie in den USA? Ich bin umgeben von einem riesigen Kreis aus Expats, Freunden und Familie. Wir halten sehr eng zusammen, teilen ähnliche Erfahrungen. Früher habe ich häufig mit Tomas Maier darüber gesprochen. Ich habe nicht verstanden, warum er nach Florida ging, aber er sagte in seinem netten Pforzheimer Dialekt: „Da geföllt’s ma halt.“ Anne Philippi Nach einem superharten Beginn nun in Los Angeles zu Hause: Regisseur Roland Emmerich 51 Von Mitte nach Manhattan: Klaus Biesenbach machte Berlin zur Kunstmetropole und beschreitet heute neue Wege mit dem Museum of Modern Art 52 Klaus Biesenbach Der Chefkurator am Museum of Modern Art, der ein Stück Berlin nach New York gebracht hat N icht so ganz einfach, den Chief Curator at Large des MoMA, so sein offizieller Titel, zum Gespräch zu treffen. Seine Termine sind notorisch eng getaktet, sein Team passt gut auf ihn auf. Klaus Biesenbach, 49, hat die Kunstwelt geprägt wie kaum ein anderer Kurator seiner Generation. Und schnell begreift man, wie er das angestellt hat. Auf dem sehr kurzen Weg vom Museum zum Kellerrestaurant „Il Gattopardo“ in der 54th Street erzählt er von der eben beendeten Marathonsitzung und von seinen Plänen für den Abend. In dem Meeting ging es um architektonische Details der MoMA-Neubauten – ein trockenes, vertracktes Thema und doch für Ausstellungsmacher und das Museum von enormer Wichtigkeit. Und später geht es zu einem Filmscreening mit seiner Bekannten Wendy Deng, die früher mit dem Medienunternehmer Rupert Murdoch verheiratet war. Damit ist Klaus Biesenbach mit ganz groben Strichen schon mal umrissen: Er ist ein hocheffizienter, instinktsicherer und fleißiger Kunstmanager. Und er schlägt die Brücke zu Prominenz und Showbusiness, die aus ökonomischen und aufmerksamkeitsökonomischen Gründen immer wichtiger geworden ist. Was ihm seine Kritiker – natürlich – vorwerfen. Der Weg zu milliardenschweren Sammlerinnen begann in einer ehemaligen Margarinefabrik in Berlin. Dort gründete Biesenbach, nach Medizin- und Kunststudien, 1991 die Kunst-Werke. Damals war Berlin-Mitte wenig mehr als viele zerbröselnde Häuser und ein Haufen junger Menschen mit künstlerischem Unternehmergeist. Biesenbach und sein Team machten aus den Kunst-Werken einen der Orte, an denen der USP des heutigen Berlin – Kreativität plus Ehrgeiz – seinen Ursprung hatte. In den Ausstellungsräumen wurden Freiräume ausprobiert und Künstlerkarrieren geboren, im Keller tobte der exzessive „Pogo Club“. Schnell machte er sich einen Namen und auf den Weg nach New York, wo er zunächst am „P.S. 1“ in Queens ausstellte, das 2000 vom MoMA übernommen wurde. Biesenbach erhob es zum Treffpunkt der jungen Kunstszene, vor allem aber setzte er Themen. Er machte aus Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“-Verfilmung eine viel diskutierte Installation, zeigte einen wunderbaren Film mit fast lebensgroßen Elefanten von Douglas Gordon, ließ 2007 die Filme der Serie „Sleepwalkers“ von Doug Aitken an die Fassaden des MoMA projizieren. Dies war nicht nur das erste Projekt des Künstlers in den USA, sondern auch ein Statement des Museums zur zentralen Rolle von Video in der zeitgenössischen Kunst. Anderes Genre, gleicher Effekt: die Ausstellung „The Artist is present“ mit der Performance-Künstlerin Marina Abramović, die 2010 wochenlang im Museum auf einem Stuhl saß und Menschen in die Augen schaute. Die Besucher (insgesamt 560.000) brachen in Tränen aus, die Show war ein Triumph. Fürs MoMA, für Abramović, für Biesenbach. „Vor Marina war Performance Art periphär“, sagt er: „Heute ist sie ,center stage‘.“ Bei einer seiner nächsten großen Ausstellungen aber, mit der Musikerin Björk, hatte er sich verkalkuliert. Die zum Teil verheerenden Kritiken waren gespickt mit persönlichen Angriffen. Man warf ihm seine Nähe zu Berühmtheiten vor (er kennt Madonna und James Franco!), lästerte über seine Eitelkeit (er macht Selfies!) und sein scheinbar populistisches Programm – denn hinter der Kritik verbirgt sich ein erbitterter Richtungsstreit: Soll das MoMA Hüter der klassischen Moderne sein oder sich doch der Populärkultur öffnen? „Die Reaktionen waren heftig“, sagt Biesenbach heute: „Was aber auch heißt, dass wir einen Paradigmenwechsel beobachten.“ Er zitiert seinen Kollegen Chris Dercon: „Das Museum ist das Massenmedium des 21. Jahrhunderts.“ Als die Wellen hochschlugen, kaufte er sich zwei Joseph-Beuys-Biografien. Die „soziale Praxis“ dieses Künstler war auch Vorbild für sein Engagement nach dem Hurricane „Sandy“ im Herbst 2012. Er besitzt ein Häuschen in den Rockaways, einem eher bescheidenen New Yorker Stadtteil mit Strand, der von dem Sturm total verwüstet und wochenlang ohne Strom und Wasser war. Biesenbach schrieb einen offenen Brief an den Bürgermeister und organisierte Hilfe. „Soziale Praxis ist genauso real wie eine Skulptur von Rodin“, sagt er und erzählt von Menschen, denen die Hilfstrupps nach Tagen das erste Trinkwasser brachten. Madonna und Lady Gaga unterschrieben den Brief natürlich auch. Die Hilfe kam trotzdem an. Adriano Sack 53 Tiefgründig und ausdrucksstark: Die Schauspielerin Barbara Sukowa Barbara Sukowa Die Schauspielerin, die in New York merkte, dass das Sozialleben ihrer Kinder auch von Kunstvorlieben abhing A ls sie 1992 nach Amerika ging, war ihre Karriere auf einem weiteren Höhepunkt, und in Berlin ging gerade das Leben richtig los. Regie-Legenden wie Peter Zadek, Ivan Nagel, Rainer Werner Fassbinder und Margarethe von Trotta hatten ihr schon früh große Rollen anvertraut. Ob als Mieze in „Berlin Alexanderplatz“ oder als Rosa Luxemburg, ihr ausdrucksstarkes Gesicht und ihre besondere Stimme, in der immer ein leichter Zweifel zu liegen scheint, schienen unverbrüchlich auf deutsche Kinoleinwände und Bühnen zu gehören. Andere hätten den Moment ausgenutzt, um für sich das Maximum rauszuholen. Sie brach stattdessen mit ihren beiden Söhnen zu ihrem neuen Lebensgefährten nach Manhattan auf. Das war Abenteuerlust. Getriebenheit war es nicht. „Natürlich war ich damals zerrissen und sah, dass nach der Wende etwas Neues losging, aber mein Leben fühlte sich zu saturiert an“, sagt sie. Den Preis als beste Schauspielerin hatte sie damals bereits auf mehreren Filmfestivals erhalten. Aufgebrochen, der eigenen Intuition folgend, ohne den Ausgang zu kennen, ist sie im Leben mehrfach. Immer noch mädchenhaft, natürlich und konzentriert sitzt sie am Küchentisch aus dunklem Holz. Eine Butterblume aus dem Garten bringt den Frühling ins Haus, der sich in der ruhigen Wohnstraße in Brooklyn in den aufblühenden Magnolien ankündigt. Es ist nicht das Brooklyn der reichen Hipster mit ihren strengen Designregeln und Codes, sondern der Teil der – noch – Bruchstelle ist. In einem Schaukelpferd vor dem Kamin sitzt ein Teddy, obwohl die drei erwachsenen Söhne bereits alle aus dem Haus sind und eigene künstlerische Wege gehen. Auf einem Zeitungsstapel liegt eine vergilbte Ausgabe der „Daily News“. Präsident Obama lächelt: „Die ersten Tage im Leben des neuen Präsidenten“ titelt das Blatt. Der Kaffee dampft, und Barbara Sukowa will wissen, wie man in Washington über Donald Trump denkt. Es ist jetzt auch ihr Land. Sie nimmt jedoch die Andersartigkeit der amerikanischen Gesellschaft auch nach fast 25 Jahren noch wahr. Obwohl sie nirgendwo länger an einem Ort gelebt hat als auf den beiden Seiten des Hudson Rivers. Als sie Anfang der 1990er mit Robert Longo ins Village nach Manhattan zog, war ihr späterer Mann schon ein international anerkannter Multimediakünstler, sie aber erst einmal Mutter von bald drei Kindern. Zeit für ihre Kinder zu haben und emotional präsent zu sein war ihr wichtiger, als jedes Angebot anzunehmen. Schulen und Kinderarzt zu suchen gehörte zu den leichteren Übungen. Die ungeschriebenen Gesetze zu verstehen, war schwieriger. Unbekümmert hängte sie die große Fotografie eines nackten Frauenhinterns, der von einer Feder zart berührt wird, ins Wohnzimmer: „Plötzlich bekamen die Kinder keinen Besuch mehr von Freunden. Bis ich kapiert habe, woran es lag“, erinnert sie sich lachend. Sie sprach mit den irritierten Müttern, entschuldigte sich, und das Bild wanderte ins Schlafzimmer. Aufgenommen hat es Ralph Gibson, der Porträtfotograf dieser Ausgabe. Bis heute wundert sie sich zum Teil über die unvermittelte Frage, wo sie ihren Mann kennengelernt habe. Die kann in Amerika durchaus von Wildfremden gestellt werden – und ist so erkenntnisorientiert wie die Frage nach dem Wohlbefinden. „Ich hab die Frage entweder komplett ernsthaft beantwortet oder die Leute abgebürstet. Beide Male hab ich mich über mich selbst geärgert“, gibt sie offen zu. Eine klassische Expat-Falle. „Bis ich verstanden habe, dass es einen höflichen Mittelweg gibt, hat es etwas gedauert.“ Mit freundlichen Worten wenig bis gar nichts preiszugeben ist eine Kulturtechnik, in der Deutsche nicht glänzen. Kunst hingegen ist als Sprache universell. So kam es, dass Sukowa international mehrfach mit namhaften Symphonieorchestern und Dirigenten mit den Liedern von Schubert und Schumann aufgetreten ist, die in ihrer berührenden Interpretation eine neue Tiefenschärfe entfalten. Auch die atonalen Musikstücke von Schönberg gehören zu ihrem Programm. Selbst in Deutschland for- dert Schönberg bis heute die Hörgewohnheiten von Musikliebhabern heraus. Doch ums Leichte und den einfachen Erfolg ging es der gebürtigen Bremerin noch nie. „Verzaubernd“ seien ihre Konzerte, lobte die New Yorker Presse, und „elektrisierend“. Wie sie sich die komplexen Partituren neben Dreharbeiten und Familienverantwortung angeeignet hat? „Ich bin ein harter Arbeiter“, sagt sie. Die erste Schönberg-Partitur sei am Ende der Einstudierungszeit völlig zerbröselt gewesen. „Ich habe jedes Mal wahnsinniges Lampenfieber“, gibt sie zu. Und dennoch gebe es kaum eine schönere Erfahrung, als mit einem Orchester und Chor Menschen die Musik nahezubringen. Ein Kritiker schrieb, man habe das Gefühl, Sukowa bewege die Musiker wie Marionetten an unsichtbaren Fäden. Doch manchmal verliert auch sie die Kontrolle. Als sie trotz erheblicher Bedenken das Krankenbett des Vaters kurz verließ, um in Kiel ein ausverkauftes Konzert mit Schubert-Liedern zu geben, versagte ihr beim Erlkönig bei der Zeile „Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an“ fast die Stimme. Sie erkämpfte sie mit großer Willenskraft zurück. Und erfuhr später, dass ihr Vater genau in diesem Moment gestorben war. Eine Freundin tröstete sie: „Was gibt es Schöneres für deinen Vater, als dass du in seinem Todesmoment für ihn gesungen hast.“ Ihren großen Erfolg als Hannah Arendt hat ihr Vater nicht mehr erlebt. Als Margarethe von Trotta sich entschloss, einen Film über die streitbare Philosophin zu machen, war bald klar, dass Barbara Sukowa erneut die Richtige für die Bildsprache der Regisseurin war. Dass sie auf der Leinwand aber weitaus mehr als deutsches Autorenkino kann, zeigt sie gerade bei der amerikanischen ScienceFiction-Serie „12 Monkeys“, zu deren Stammbesetzung sie gehört. Gedreht wird in Toronto, ein knappes halbes Jahr, fast sieben Tage die Woche. „Wir Deutschen denken immer, wir arbeiten hart, aber die Amerikaner legen noch eine Schippe drauf. Und sind fröhlich dabei. Das gefällt mir sehr.“ Huberta von Voss 55 FOTO: DANIEL RIERA C/O JED ROOT STYLING: TOMAS MAIER WAS KOMMT, DAS BLEIBT In der Modewelt ist Bottega Veneta ein Solitär. Ästhetisch wie handwerklich. Die Kollektionen sind innovativ und voller Kreativität, aber sie überdauern die Saisons. Im Palazzo einer italienischen Adelsfamilie, dem neuen Interior-Showroom, fotografierten wir die neuen Looks Digital Technician: Mikel Oliazola Rodriguez; Assistenz: Luca Favella c/o the box films, Milano; Haare: Alessandro Rebecci c/o Artlist, Paris; Make-up: Ariana Campa c/o Close Up, Milano; Models: Ana Christina c/o New York Models und Simon Fitskie c/o Urban Management; Produktion: Jennifer Schmidt Bressler Alle Looks entstammen der Bottega Veneta Early Fall 2016/17- und Fall/Winter 2016/17-Kollektion Ana trägt ein lavendelfarbenes Webkleid aus Viskose und Lurex sowie einen Gürtel mit Samtdetails. Dazu eine Tasche aus Krokoleder und Mary-Jane-Pumps aus Kalbsleder. Haarclip: Oxidiertes Silber mit Emaille- und Gold-Details 57 Diese Seite: Seidenkleid mit diagonalem Mosaikdruck. Alle Einrichtungsgegenstände sind von Bottega Veneta, das Geschirr wird von KPM in einem sehr aufwändigen Verfahren hergestellt. Rechte Seite: Ana trägt ein Jersey-Kleid und einen Gürtel aus Schlangenleder. Simon im LammlederBlouson mit Hemd, Hose aus Baumwoll-Popeline in Weinrot. Dazu Stiefeletten aus angerautem Kalbsleder. Der Woll-Teppich ist aus der aktuellen Kollektion, die Säulenfragmente sind Dekoration 59 Diese Seite: Wollpullover, Hose mit Materialmix aus Lammleder und Baumwollsamt und Reißverschlüssen. Dazu trägt Simon einen Kaschmirschal. Armband: oxidiertes Silber mit EmailleDetails. Stiefel: Kalbsleder. Linke Seite: Bedruckter MohairPullover mit Häkeldetails, Seidenschal, Hose aus Wolle und Kaschmir mit Schachbrettmuster. Ohrringe: oxidiertes Silber, Fluorit und Gold-Details. Tasche: Schlangenleder. Schuhe: Kalbsleder mit seitlichem Reißverschluss 61 62 Diese Seite: Doppelreihiges Jackett und passende Hose aus Baumwoll-Viskose-Samt. Rippenstrick-Shirt: Kaschmir und Seide. Rechte Seite: Ana im Wollpullover mit Farbverlauf. Faltenrock: Wolle mit Schachbrettmuster. Ohrringe, Ringe, und Armbänder: oxidiertes Silber, Malachit, Fluorit, Labradorit, Jade, Emaille und Gold 64 Diese Seite: Jacke mit Leo-Print aus Kalbsfell. Pullover: Kaschmir, gefilzt. Hose: Kaschmir. Schal: gestrickte Wolle. Clutch: Krokoleder. Linke Seite: Doppelreiher-Jackett aus bedrucktem Kaschmir. RippenstrickOberteil darunter: Kaschmir und Seide mit Details in Altgold. Hose: bedruckter Kaschmir. Schal: Kaschmir. Boots in Braun: Kalbsleder 65 IHR GOLD RITUAL FÜR DIE ANSPRUCHSVOLLE HAUT CARITA UND DIE PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT PRÄSENTIEREN ULTIMATIVE ERGEBNISSE IN NUR 4 WOCHEN LE SÉRUM PÉPITES PARFAIT 3 ORS LA CRÉME YEUX & LÈVRES PARFAITE 3 ORS LA CRÉME PARFAITE 3 ORS Ultimatives und kostbares Jugendlichkeitskonzentrat in Form eines 2 Phasen Produktes für intensive Feuchtigkeit und festigende Anti-Falten Wirkung. Mit jedem Pumpstoß wird seine festigende und Anti-Falten Wirkung freigesetzt – für sofortige Ausstrahlung und langanhaltende Jugendlichkeit. Veredelte Augen und Lippenfplege zur Verbesserung der Mikrozirkulation und zur Vorbeugung von Augenschatten und Tränensäcken. Die Haut wird mit intensiver Feuchtigkeit versorgt. Luxuriöse Anti-Aging Pflege zur Unterstützung der natürlichen Ausstrahlung und Leuchtkraft. Die Haut wird optimal mit Feuchtigkeit versorgt, während das Wu Zhu Yu Extrakt eine entzündungshemmende Wirkung besitzt. EXPERTENTIPP ZUM EFFEKTIVEN AUFTRAGEN DER MASKE LE MASQUE DE NUIT PARFAIT 3 ORS Revitalisierende Schlafmaske, die die Zellregeneration in der Nacht unterstützt und eine intensive Versorgung der Haut gewährleistet. 1-2 x pro Woche eine dünne Schicht mit dem Silikonspatel auf das gut gereinigte Gesicht und den Hals nach folgender Anleitung auftragen: 1. HALS: Sanft von innen nach außen den Hals entlang einmassieren 2. LIPPEN: Sanft um die Lippen einmassieren 3. WANGEN: Über die Wangen von der Nase bis zum Ohr streichen 4. AUGEN: Von innen nach außen an der unteren & oberen Augenpartie entlangstreichen 5. STIRN: Von der Mitte der Stirn nach außen auftragen 6. ABSCHLUSS: Nach dem Auftragen 10 Minuten einwirken lassen, danach Überreste mit kreisenden Bewegungen einmassieren. Nicht abwaschen. Tauchen Sie ein in die großartige Welt der inhabergeführten PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT und begegnen Sie hier Ihren Pflege-Experten. www.parfuemerien-mit-persoenlichkeit.de/aktionen SÉRUM 3 ORS UND APPARATIVE KOSMETIK VON CARITA Ein Fluss von jugendlicher Ausstrahlung durchströmt Ihre Haut. AUGMENTED BEAUTY* GRATIS Luxus Reisegröße Le Masque de Nuit 5ML Fragen Sie in Ihrer Parfümerie mit Persönlichkeit** nach Ihrem Geschenk. Nur solange der Vorrat reicht. ** *VOLLKOMMENE SCHÖNHEIT Die teilnehmenden Parfümerien mit Persönlichkeit finden Sie unter www.parfuemerien-mit-persoenlichkeit.de/ aktionen BEAUTY STILISTEN TOMAS MAIER VERRÄT SEINE LIEBLINGSPRODUKTE, UNSERE EXPERTEN SCHWÄRMEN VON MADE IN GERMANY Handreichung Falsch wäre es, nach der Betrachtung dieses Bildes zu glauben, dass Männer in Nadelstreifen inzwischen gern Lippenstift benutzen. Richtig ist dagegen wohl, dass Männer, die Nadelstreifen mögen, weniger Probleme mit Lippenstift bei Frauen haben als Latzhosenträger. Die Arbeit des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan und des Fotografen Pierpaolo Ferrari kann man insofern wohl als Handreichung interpretieren. Und das Schönste: Die Frau hat in der Hand, wie sie mit dem Angebot verfährt. Warum Produkte aus Deutschland oder – noch besser – aus der eigenen Region so gut funktionieren? Weil sie uns ein Gefühl von Sicherheit geben, dass die Qualität stimmt. Besonders bei Kosmetikprodukten ist das wichtig. Bei uns in Sachsen produzieren wir mittlerweile eine ganze Reihe Marken. Wie zum Beispiel die naturverbundene Pflegelinie „Charlotte Meentzen“ aus Radebeul oder auch die Produkte von MBR aus dem Erzgebirge, die im Grenzbereich zum Medizinischen hergestellt werden und tatsächlich besonders wirksam sind. Und falls Sie mal ein SachsenMitbringsel brauchen, empfehle ich die von Hand gesiedeten Sole-Seifen von „Fürst Pückler“. Evelyn Thiemann PRIVAT COURTESY OF MAURIZIO CATTELAN AND PIERPAOLO FERRARI © TOILETPAPER/ DAMIANI BOOKS OUT OF SACHSEN Geschäftsführerin der „Parfümerie Thiemann“ in Bautzen DR. DEUTSCH Eines für alles: Mit dem Trockenöl „Huile Prodigieuse“ von Nuxe kann Mann oder Frau nie etwas falsch machen. Sei es um den Körper nach der Dusche damit einzureiben, es im Haar oder auf dem Gesicht zu verteilen. Es ist vielfältig anwendbar und fettet nie! Neu ist nun die limitierte Paris-Edition. Lokalpatriot: Als Kind war Tomas Maier immer draußen. Vielleicht ein Grund mehr, weshalb der gebürtige Pforzheimer die Naturkosmetik von Dr. Hauschka schätzt. Kommt sie doch von der Schwäbischen Alb. Ganz neu ist das „Nachtserum“, das die Haut vitalisieren soll. Na dann: Gute Nacht! Marianne Fien PRIVAT Souvenir: Er ist da eh gern, aber mindestens einmal pro Jahr muss Tomas Maier nach Tokio reisen. Schon um seinen Vorrat an „Men Scalp Tonic“ aufzufüllen. Shiseido produziert das Für-volleres-HaarTonic leider ausschließlich für den japanischen Markt. Also, liebe Männer, folgen Sie TM. Warum in die Ferne schweifen, wenn auch in Deutschland so viel Gutes auf dem Kosmetikmarkt entsteht? Sind wir doch schließlich Vorreiter in Sachen Verlässlichkeit, Technologie und Präzision. Und darum funktionieren auch bis heute die bio-medizinischen Produkte von „Dr. Eckstein“ so gut, einer Marke, die schon 1949 in Oberasbach im Fränkischen gegründet wurde. Das ApothekerEhepaar Richard und Linde Eckstein startete damals mit drei Produkten und sah Kosmetik als vorsorgende Pflege. Bis heute ist „Dr. Eckstein BioKosmetik“ in Familienhand. Und ob in der Kabine während einer Behandlung oder zu Hause, die VitaminCremes und das KollagenSerum (mein Tipp!) verfehlen ihre Wirkung nicht. Inhaberin der „KosmetikParfümerie Marianne Fien“ in Höxter Schönheit verbindet die Welt Schönheit ist essentiell. Wie das Wasser und die Luft. Vom ersten Erblühen bis zur Ewigkeit. Wir atmen Schönheit. Sie schenkt uns Sicherheit und macht die Welt zu einem Sie verbindet und vereint uns. Sie fließt von Herz zu Herz. Doki-Doki Bewahre die Schönheit. Verleihe deiner Haut die Stärke, besseren Ort. Power Infusing Concentrate die sie braucht. Ultimune BEAUTY NEWS PSS 70 VIVA BAVARIA BAUHAUS-GLAMOUR DAS NEUE BERLIN Ambuja (Sanskrit für Lotus und Evolution) klingt international ambitioniert. Doch dahinter verbirgt sich ein wahrhaftiges Made in Bavaria. Am Chiemsee erforscht und als hoch konzentriertes Cremeserum entstanden ist Wanderlust Elixir (sprich: Wänderlast). Das Besondere: Es ist nicht mit H2O, sondern mit Lotus- und Kokosnusswasser ausgerüstet und soll der Haut einen Energieschub verpassen. Aufi also! Über niche-beauty.de Ihren Kosmetikprodukten haben die beiden Gründerinnen von „Und Gretel“, Christina Roth und Stephanie Dettmann, mittelhochdeutsche Namen wie etwa Knutzen (Lipgloss) oder Tagarot gegeben. Der Inhalt der Naturkosmetikprodukte ist jedoch alles andere als altertümlich. Und erst die Verpackung. Vom Puder bis zum Concealer ist alles in linearen Bauhaus-Formen verpackt. Gibt’s etwa bei Parfümerie Meister in Hamburg. In der Kosmetikbranche als junges Unternehmen Fuß fassen? Gar nicht leicht. Nichtsdestotrotz ließ sich Josephine Förster nicht beirren und gründete Anfang des Jahres ihre Marke „Lovely Day Botanicals“. Klar, in der Start-up-(Hauptstadt) Berlin. Das MiniSortiment wie auch das „Skin Rescue Oil“ (100 Prozent natürliche Rohstoffe, alles vegan!) verkauft die 28-Jährige bislang nur online (lovelydaybotanicals.com). TIEF IM SÜDWESTEN WIEN–BERLIN DÜSSELDORFER EYECATCHER „Made in the Black Forest“. Was für den Menschen Tomas Maier gilt, stimmt bis heute bei der Marke „Börlind“. Zwei Jahre nach der Geburt von Maier gründete die inzwischen verstorbene Annemarie Lindner 1959 das weiterhin familiengeführte Kosmetik-Unternehmen. Das Neueste aus Calw ist das „Beauty Perls Anti-Pollution & Moisture Serum“, das besonders geeignet sein soll, trockene Hautstellen zu regenerieren. Zum dritten Mal hat sich die Berliner Duftmanufaktur J.F. Schwarzlose einen Künstler für ihre limitierte Jahres-Edition (1000 Flakons) herausgepickt: Die Wahl fiel auf den Österreicher Paul DeFlorian. Er tobte sich nun in der Duftwelt aus und kreierte: Altruist. „Ein Duft für Feministinnen, Cyborgs (halb Mensch, halb Maschine) und Überlebende“. Aha. Am besten einfach mal selbst an der Kunst-Edition schnuppern. Am Anfang war die Orthopädie. Die Erkenntnisse aus einer genbasierten Arthrosebehandlung übersetzte die umtriebige Düsseldorfer Ärztin Barbara Sturm in Pflegeprodukte. Längst vertraut auch Hollywood ihrer Expertise in Molekularkosmetik. Nun gibt es auch eine Augencreme für „spezifische Schwachstellen“. Sprich: Tränensäcke und Schatten. Bestimmt wieder ein Exportschlager ... über molecular-cosmetics.de ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER Di e S S t ! Ne u d e u t s ling che n e Anzeige KOSMETIK PFORZHEIM–PARIS #nachtaktiv Die Stadt in Baden-Württemberg ist gemeinsame Heimat von Tomas Maier und der Inhaberfamilie von La Biosthétique. LA BIOSTHÉTIQUE Aber ohne die Seine geht es nicht D ie Adresse könnte kaum besser sein: 7 Rue de Tilsitt nahe der Place Charles-de-Gaulle – eine 1-a-Lage. Der Triumphbogen ist zum Greifen nah. Das Hauptquartier von La Biosthétique ist eine herrschaftliche Villa, 800 Quadratmeter groß, Armanis ehemaliges Quartier. Hier werden Kunden empfangen, Schulungen für die Friseure und Make-up-Artisten angeboten. Aber Moment – ist nicht Pforzheim der Firmensitz? „Paris ist die Hauptstadt unserer Marke“, stellt Inhaber Jean-Marc Weiser klar. Doch ähnlich wie bei Tomas Maier, ging alles von Pforzheim aus. Ein sympathischer badischer Dialekt beherrscht Weisers Sprache – die Heimat lässt sich trotz des frankophilen Vornamens nicht leugnen. Soll sie auch gar nicht. Tomas Maier hingegen lebt nun schon so lange in den USA und mit einem Amerikaner und arbeitet mit internationalen Teams, dass Englisch ihm geläufiger ist als Deutsch. Was bisweilen falsch verstanden wird, gerade wenn er Landsleuten lieber in der gewohnten Sprache Interviews gibt. Die Herkunft klingt gleichwohl immer noch durch. Kennengelernt habe man sich noch nicht, sagt Jean-Marc Weiser, auch wenn Tomas Maier vor ein paar Jahren das Pariser Büro besuchte. Aber die Familien kennen sich, in einer überschaubaren Stadt wie Pforzheim nicht unüblich. „Die Goldstadt“, wie sie genannt wird wegen ihrer vielen Schmuckfirmen, darunter Chopard oder Wellendorf. Auch Dior lässt bis heute dort fertigen. Doch was macht sie für die Kosmetikmarke so interessant? „Pforzheim ist unser Startpunkt, Produktionsstätte und Logistikstandort zugleich“, erklärt Weiser, der als CEO gemeinsam mit seinem Vater Siegfried und Bruder Felix das Unternehmen führt, das Anfang der 50erJahre in Paris von dem Biochemiker Marcel Contier gegründet wurde. Siegfried Weisers Schwiegervater vertrieb La Biosthétique in Deutschland, wo die Marke schnell erfolgreicher wurde als im Ursprungsland und so stieg er in den Betrieb ein, expandierte stark und übernahm 2006 endgültig auch die französische Mutterfirma mit mittlerweile mehr als 350 unterschiedlichen Produkten. Paris blieb ein Standbein und das andere Pforzheim, wo sich mittlerweile viele Firmen auf Präzisions-, Dental- und Legierungstechnik spezialisiert haben. Knapp 500 Kilometer sind es in die französische Hauptstadt, 3,5 Stunden mit dem Zug. Jean-Marc Weiser empfindet den Spagat als „schöne Synergie“. Man habe „auf der einen Seite die Präzision und die Manufaktur, die wir in Pforzheim aufgebaut haben, und dann die Strahlkraft von Paris als inspirierende Modemetropole.“ So wurden auch die Kataloge in den vergangenen Jahren immer in Paris fotografiert. Auch im vergangenen November, zwei Wochen vor den Attentaten. Das Thema der Kosmetik-Kollektion lautete „Paris – La Nuit“. „Wir haben es trotzdem dabei belassen“, erklärt Weiser, „wir wollen bewusst die Schönheit der Gewalt entgegensetzen.“ Caroline Börger Wir versprechen nicht viel. Nur 2 ml. Aber die haben es in sich: flüssiges Lifting im Schlaf. babor.de FRÜHER & HEUTE UNTER BÄUMEN Tomas Maier wuchs in Pforzheim auf, am Rand des Schwarzwalds. Eine solche Nähe zur Natur lehrt Menschen Dinge, die sie nie wieder vergessen werden. Wolfgang Büscher hat sich in Maiers Heimat aufgemacht – und eine Welt voller Anfang entdeckt. Tim Dinter hat illustriert W 72 as für ein Morgen. Unten im Tal verdampft der Frühnebel in der Sonne, der Winter hat sich in seine eisige Alpenfestung verzogen, alles knistert vor, ist Erwartung, liegt in der Luft. Erst geht es auf breitem Weg bergan, dann werden die Pfade schmaler. Tannenduft in vollen Zügen. Knospen detonieren. Aus Moos und Borke steigen Wolken winzigster Mücken auf. Zitronenfalter taumeln. Der Wald dehnt und sehnt sich und treibt frische Triebe, wie es zarter nicht geht, die wilde Himbeere rankt sich dem Sommer entgegen. Dessen Staub und Schweiß sind noch fern. Alles glänzt, alles ist neu geboren. Ein großer Käfer klettert durchs Laub der letzten Saison, sein blanker schwarzer Panzer spiegelt das Sonnenlicht. Ir- gendwo lärmt die Motorsäge, als zerteile sie die Stämme, um den Wanderer daran zu erinnern, dass dies kein Märchen-, sondern ein Wirtschaftswald ist. Etwas Großes, Buntes stürzt den Weg herab und rast vorüber – das war der Wald-Biker. Etwas fliegt, eine blaue Feder blitzt – das war der Eichelhäher. Ich fand mal so eine blaue Feder als Junge. Wer das Glück hatte, nahe der großen Wälder aufzuwachsen, den wird die Erinnerung daran zeitlebens begleiten – die heimlich-dunkle, dann wieder kühlkathedralige Zuflucht, die der Wald gewährt. Tomas Maier hatte dieses Glück. Als er ein Junge war und noch Thomas hieß, lebte seine Familie in Pforzheim am nördlichen Rande des Schwarzwaldes, und er, das hat er einmal erzählt, liebte den Wald. Wie auch nicht. Der schwarze Riesenwald mit seinen Riesen- „Moos! Der Geruch meiner Kindheit. Wir gingen oft in den Wald, um Pfifferlinge zu sammeln. Verbrachten ganze Tage dort, bauten kleine Häuser aus Moos, spielten und ruhten uns aus im Schatten der großen Bäume.“ Tomas Maier Anzeige Leib – das vergisst keiner, der es als Junge mit stockendem Atem las. Und wie der wieder Beherzte von der eiskalten Maschine wieder zum Menschen wird und sogar seine Liebe wiedergewinnt. Das „Kalte Herz“ ist nicht nur ein Märchen, es erzählt die Geschichte des Schwarzwaldes, der Flößer und Holzhändler. Unten im Tal stehen immer noch die alten Sägewerke, stapeln sich immer noch die riesigen Baumstämme, die einst der Michel nach Holland flößte und mit hohem Gewinn für den Schiffsbau verkaufte. Der Michel wurde länger nicht mehr gesehen, das Glasmännlein auch nicht, aber was war das dort im Gewirr von Tannen und Licht – winkte da ein Arm, oder hat bloß der Wind einen PRIVAT tannen ist der mächtigste und mythischste, den wir haben. Die Motorsäge verklingt in der Ferne, der Finger irrt über die Karte und bleibt an zwei Flurnamen hängen: Glasberg und Tannenwald. Da seid ihr ja, spricht die Erinnerung: das wundertätige Glasmännlein im finsteren Tannenbühl und sein Gegenspieler, der unheimliche Holländer-Michel. Und der Held der Geschichte – jung, aber leider arm. Ihn macht der Michel reich, sehr reich, der junge Mann muss dem Michel nur sein Herz rausrücken. Der setzte ihm dafür ein neues ein, ein äußerst praktisches Herz aus Glas. Unrührbar, unerreichbar, das perfekte Uhrwerk in einem perfekt programmierten Wesen, das eben noch „Immer draußen“: Tomas Maier mit seinen Schwestern Juliane und Susanne ein Mensch war. „Das kalte Herz“ ist der „Faust“ unter den deutschen Märchen, es handelt von Verführung, Höllenfahrt und Erlösung. Und wie der lebens- und liebesgierige Professor Faust wird der junge Kerl aus dem Schwarzwald am Ende begnadigt. Er überlistet den bösen Geist, er provoziert den Michel so lange und packt ihn an seiner Eitelkeit als Herr der Herzen, bis er ihm seines wieder einsetzt, um zu beweisen, was er alles vermag. Wie der Holländer-Michel das ängstlich-freudig pochende Ding aus dem Glas nimmt, einem von vielen, in denen er die gegen märchenhaften Reichtum ertauschten Menschenherzen verwahrt, wie der Michel dem Burschen in die offene Brust greift, das Glasding herausnimmt und ihm das echte Herz wieder einsetzt, bei vollem Bewusstsein und lebendigem herabhängenden Ast bewegt? Der Wald ist ein großer Kulissenschieber. Er führt die Fantasie gern hinter die Tanne. Ein Schritt, und etwas tritt in den Blick. Und was eben noch da war, ist fort. Das ist das Wunderbare am Wald, er verändert sich unentwegt und bleibt sich doch gleich. Wer den Wald der Kindheit noch einmal besucht, wird so gut wie kein Detail wiederfinden, den alten Pfad nicht, den Baumhüttenbaum auch nicht, aber den Wald findet er wieder. Er geht hinein, und das Herz geht ihm auf. Harzige Erinnerungen an lichte Kathedralen aus turmhohen Buchen, an dunkle Tannengeheimnisse, an Schürfwunden und den ölig-süßen Geschmack der Bucheckern – diese winzigen, dunkelbraunen Tetrapacks vom Waldboden mit dem Fingernagel zu knacken, das verlernt man nicht. BAUPLAN Der 911er von Porsche „Mitte der 80er kaufte ich meinen ersten Porsche in Paris. Seitdem bin ich nie wieder etwas anderes gefahren. Komplett in Schwarz muss er sein, die Innenausstattung, die Räder – und da ich das Logo nicht weglassen darf, lasse ich es ebenfalls schwarz einfärben. Getönte Scheiben geben mir Privatsphäre. Einem Porsche begegnen die Menschen im Gegensatz zu anderen Sportwagen mit Bewunderung anstelle von Aggression. Neulich fuhr ich zum Supermarkt, ein Mann auf dem Parkplatz sah erst mich an, dann den 911er und sagte: „Wenn Sie wollen, können wir tauschen.“ Die Leute mögen das Auto wegen seines Designs und der Integrität, die es ausstrahlt. Nicht zu vergessen, die großartige Technik, die darin steckt. Jedes Mal gibt es etwas Neues zu entdecken. Das Aussehen verändert sich dagegen nur wenig, und wenn, dann geht es immer in die richtige Richtung. Ich denke, es ist großartig, ein Design zu haben, das so lange überlebt.“ Tomas Maier 2 4 3 5 6 1. Wenn die Roboterhände am Werk sind, halten Menschen besser Abstand. Im Karosseriebau nimmt der Porsche seine Form an. Hochpräzise Industrieroboter fügen die rund 3000 Einzelteile aus Aluminium und Stahl zusammen. 2. In einem mehrstufigen Prozess erhält die Karosserie ihren Anstrich – bestehend aus Korrosionsschutz, Farbgebung und Oberflächenversiegelung. Die goldglänzende Füllerschicht dient als Grundlage für eine hohe Brillanz. Nach einer Reinigung wird der Basislack aufgetragen. 3. Ein Fall für die Maschinen: Nach dem Lackieren bilden vier Lackschichten einen Mantel von circa 0,13 Millimeter Dicke – nur unwesentlich dicker als ein menschliches Haar. 4. Die Montage beginnt mit der Zusammenführung von Karosserie und Cockpit. Zu diesem Zeitpunkt ist der Motor für das Modell bereits unterwegs zum Band. Nun folgt der alles entscheidende Moment: die Hochzeit. Karosserie, Antriebsstrang und Fahrwerk werden miteinander verbunden und verschraubt. 5. Danach kommen Räder, Türen und Lenkrad dazu. Abschließend wird der 911er erstmals auf seine Räder gesetzt. Dann wird es spannend: Der Motor erwacht zum ersten Mal zum Leben. 6. Eine letzte Qualitätskontrolle beseitigt verbliebene Makel. Nach nur vier Tagen Bauzeit kann sich der 911er auf den Weg zu seinem neuen Besitzer machen. Übrigens: Über 220 Wagen verlassen das Porsche-Werk jeden Tag. Dabei produziert man nicht nach Serie, sondern so, wie die Bestellungen eingehen. 74 PORSCHE AG (7) 1 der geheime Parfum-Garten des Monsieur Li