through his eyes

Transcrição

through his eyes
MAI 2016
ICON
ICON
MAI 2016
THROUGH
HIS EYES
Persönlich und Persönlichkeit
Mitarbeiter im Mailänder Hauptquartier.
Wobei diese Ordnung weit entfernt ist
von Jägerzaun-Spießigkeit. Es ist die Art
von ruhiger, konzentrierter Lebensqualität, die zum Wesen des handwerklichen
Luxus’ gehört wie die Nachhaltigkeit.
Design ist eine umfassende Tätigkeit. In
Maiers Verständnis allemal.
Und dann ist da ja noch seine amerikanische Seite. Die Tomas Maier Brand, die er
1995 gründete, als er des Klimas wegen
ins milde Florida zog. Das Logo ist eine
Palme. Mit edel-schlichter Bade- und
Loungemode und einem lässigen Conceptstore begann es. Der Erfolg der Marke, die er mit Andrew Preston betreibt,
ist inzwischen und unter anderem in einem großen Flagshipstore auf der Madison Avenue zu besichtigen. „TM steht für
das Notwendige, Bottega Veneta für das
Außergewöhnliche.“ Und alles wird zusammengehalten von unbedingter Ästhetik. Wir saßen also beim Lunch und
sprachen darüber, wie ein ICON von Tomas Maier aussehen würde. „Expats“,
sagte er. Und schon flogen Namen, Ideen,
Geschichten über den Tisch. Auslandsdeutsche. So wie er, der vor 40 Jahren,
gleich nach dem Abitur, nach Paris zog
und seither im Ausland lebt. Ohne die
Nähe zu seiner Familie aufzugeben. Dass
der Begriff „Expats“ derzeit eine geradezu politische Dimension bekommen
würde, hatten wir nicht im Sinn. Vielmehr den Maier-Satz: „Ich mag Leute,
die persönlichen Stil haben.“
Wir auch. Danke, Tomas.
ROBBIE FIMMANO
Wir hatten uns im Restaurant „Michael’s“
in der 55th Street getroffen, ein Lieblingsplatz von Tomas Maier und seinem
Lebenspartner Andrew Preston in New
York. Nicht weit entfernt vom Büro. Das
ist wichtig. Tomas Maier hat viele Begabungen, Zeitverschwenden gehört nicht
dazu. Was eine Verabredung mit ihm
aber nicht ungemütlich macht. Nie wirkt
er ungeduldig, er ist allerdings unerhört
effizient. Anders wäre das Pensum des
gebürtigen Pforzheimers, das mit dem
des anderen „Preußen“ Karl Lagerfeld
durchaus mithalten kann, auch nicht zu
bewältigen. Als Kreativdirektor von Bottega Veneta seit 2001 hat er aus der Dornröschen-Ledermarke eine globale Stilinstitution geschaffen, mit allein acht Kollektionen im Jahr für Frauen und Männer, mit Accessoires, Interieur, Möbeln,
Kosmetik, Schmuck. Die Gestaltung der
Geschäfte und aller Werbeauftritte obliegt dem Architektensohn auch. Alles ist
stets klar strukturiert und aufgeräumt,
bis hin zu den Gemüsebeeten für die
RALPH GIBSON
Special Thanks
Christina Graham, Andrew Preston, Daniela Bonino,
Chiara Rimoldi, Olivier Monteil, Rebecca Goodman, Douglas Lloyd,
Kris Lindblade, Silvia Sitar, Meirion Pritchard
Titelfoto: Courtesy the Estate of David Armstrong
IMPRESSUM ICON
LOU REED
Wenn die digitalen Bearbeitungsmöglichkeiten der jüngsten Zeit etwas bewirkt haben,
dann, dass Fotos heute oft überirdisch perfekt daherkommen. Ralph Gibsons Sache ist
das nicht. Er stammt aus einer ganz anderen
Ära: 1939 in Los Angeles geboren, kam er bei
der US Navy zur Fotografie. Von Beginn an
faszinierte ihn, in Schwarz-Weiß zu arbeiten –
seine grobkörnigen Aufnahmen aus den
60ern, bei denen er durch Weitwinkelobjektive auf seiner Leica-Messsucherkamera dramatisch-abstrakte Effekte erzielt, sind längst
Klassiker. Für uns setzte Gibson Expats wie
Roland Emmerich oder Ute Lemper ins Bild.
Und eines wird man nicht behaupten können:
dass die Gesichter auf den Fotos zu glatt und
perfekt daherkommen. Ab Seite 38
Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich)
Textchef: Dr. Philip Cassier Special Editor: Adriano Sack
Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann,
Julia Hackober, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger.
Korrespondentin in USA: Huberta von Voss. Korrespondentin
in Paris: Silke Bender. Style-Editor in NY: Nadia Rath Autoren:
Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Tölke
Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver, Rebecca Bülow
Artdirektorin: Barbara Krämer
Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Katja Schroedter,
Adrian Staude
Fotoredaktion: Julia Sörgel, Jennifer Schmidt Bressler, Elias Gröb
Bildbearbeitung: Liane Kühne-Kootz Postproduction: Luna Simic
Lektorat: Matthias Sommer, Andreas Stöhr
Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar,
Dr. Torsten Rossmann
Gesamtanzeigenleitung: Florian Klages; Anzeigen ICON:
Roseline Nizet ([email protected])
Objektleitung: Carola Curio ([email protected])
Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg
Herstellung: Olaf Hopf
ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste
Ausgabe erscheint am 29. Mai 2016. Sie erreichen uns unter
[email protected]
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.
7
ICON
ROBBIE FIMMANO
Heute lebt er mit seiner Familie in Brooklyn,
doch die Wurzeln ragen weit. Die Eltern zogen von Italien nach Australien, wo Fimmano
aufwuchs. Mit 21 ging er zu Steven Klein nach
New York. Heute arbeitet er für hochkarätige
Modehäuser und spannende Magazine. Seine Bilder sind elegant, niemals blutleer. Man
könnte den Stil „Glamour mit Bodenhaftung“
nennen. Während der Aufnahmen der Tomas-Maier-Kollektion in Delray Beach ging
er immer mal für eine Zigarette in den sonnigen Innenhof. Der Mann ist kaum aus der Ruhe zu bringen, mit seiner Crew spricht er in
schönstem australischen Akzent. Seite 28
MAI 2016
AUSGEWÄHLT
10
UN TER AN DEREN UM STÄ NDEN
Unsere Stilexperten schreiben über ihre Sicht
18
F LORI DA VERSUS SCHWA RZWA LD
Rustikal deutsch oder flamboyant amerikanisch? Egal!
Hauptsache, reizend, findet unsere Icona
GESCHICHTEN
20
WEI L WEN I GER MEHR IST
Tomas Maier und Toshiko Mori über die Parallelen von
Architektur und Mode und die Lust an der Reduktion
24
PRIVAT
LOVE, P EACE AN D HIP NESS
Schon Max Frisch schätzte den Zauber des Fischerortes
Montauk. Tomas Maier ist ebenfalls hingerissen davon –
eine Bedienungsanleitung
38
Z U HAUS E IN DER F REM DE
Wir stellen neun deutsche Kreative vor, die weit weg
von der Heimat eine neue fanden
72
WUNDERSAMER WA LD
Wolfgang Büscher bemerkte, dass im Schwarzwald alles
so ist, wie es immer schon sein sollte – eine Wanderung
74
SOMEONE P LEAS E CA LL 911
Diesmal sehen wir dabei zu, wie auch Maiers Lieblingsauto bei Porsche entsteht. Der Bauplan
MODE
28
N I C HT AUF DI E PALME ZU BRINGEN
Geradezu geordnet ging es zu während eines Shootings
bei Tomas Maier in Florida. Eine Bildergeschichte
KOSMETIK
68
BEAUTY S ECRETS
Tomas Maier verrät, was er außer Wasser noch an seine
Haut lässt. Plus: Neues aus dem Kosmetikregal
71
8
F RANKO-VIEL
Bei der Pforzheimer Marke La Biosthétique nährt man
sich von französischem Glamour. Wieso eigentlich?
DANIEL RIERA
Wenn der Spanier auf den Auslöser drückt,
bleibt die Zeit für einen Moment stehen. Fast
flüchtig wirken seine Arbeiten, als müsse man
sich beeilen, alles zu erfassen, bevor die Szenerie doch weitergeht. Selbst gedrehte Super-8-Filme legten in der Jugend den
Grundstein für seine Karriere. Später verlagerte er sich auf die Fotografie, bei der man,
wie er sagt, immer nur eine Chance hat, den
richtigen Augenblick festzuhalten. Geschehenes lasse sich nicht zurückholen. Die Mode
in all ihrer Wandelbarkeit fordert ihn heraus.
Heute gehört er zu den gefragtesten Fotografen des Genres. In Mailand setzte er die
Bottega-Veneta-Kollektion in Szene – die
Bilder überdauern den Augenblick. Seite 56
MIKEL OLIAZOLA
56
P ERF EKTION I M PALA ZZO
Bottega Veneta hat einen neuen Showroom für seine
Möbel in Mailand. Wir finden, Mode steht ihm auch
STILISTEN
© NICK KNIGHT / COURTESY OF CHRISTOPHE GUYE GALERIE
DAS GUTE LEBEN IN EINEM ANDEREN LAND BEGLEITET UNS DURCH DIESE AUSGABE
Sinneswandel
Lässt man Blumen trocknen, verwandeln sie sich in spröde Stillleben, die bei Berührung dazu tendieren, in einer
Wolke bunter Pigmente aufzugehen. Davon inspiriert griff Fotograf Nick Knight zur Lilie, genauer gesagt zu
Model Lily Donaldson. In ihrem Fall genügte ein beherztes Drücken des Auslösers, schon schwebte sie als
Komposition aus pinkfarbenen Rüschen, Mille-Feuille-Kleid und Puder dahin. Weitere sagenhafte Aufnahmen des
Visionärs Nick Knight zeigt die Christophe Guye Galerie noch bis 4. Juni in Zürich.
FRANZISKA SINN
BERLIN, ISLAND
Victoria
Eliasdóttir,
Chefköchin im
Restaurant
„Dóttir“ in Berlin
10
Viele Leute denken, dass ich, weil ich aus
Island komme, automatisch wahnsinnig
naturverbunden bin. Ich muss sie enttäuschen, denn die Wahrheit ist: In Island war
ich meistens drinnen. Dort erscheint einem
die Landschaft einfach selbstverständlich.
Erst jetzt, da ich in Berlin lebe, merke ich, wie
sehr mir das Meer und die Berge fehlen. Als
ich hier ankam, war ich von den vielen Häusern regelrecht erschlagen. Ich brauche doch
Platz! Trotzdem fühle ich mich sehr wohl. Ich
mag Berlin, weil es nicht zu schön ist, weil
vieles hier auf den ersten Blick abweisend
und rau wirkt. Ähnlich ist es auch in Island
mit der Natur: Wäre Island eine Stadt, dann
wäre es wie Berlin.
Was ich mir noch eingestehen muss: Nach
zwei Jahren in der Stadt war ich noch nie im
berühmten Berliner Umland oder an der
Küste. Für mein Restaurant werden die
Fische direkt von der Ostsee geliefert. Das
ist für mich eine tröstliche Verbindung.
Wenn der Lieferant kommt, ist es wie ein
Versprechen. Das Meer, es ist da, man muss
nur hinfahren. Mein Plan steht: Ich widme
den Sommer dem Berliner Umland.
SITZSYSTEM SEYMOUR
|
DESIGN RODOLFO DORDONI
B E R L I N BY HERRENDORF, BERLIN, LIETZENBURGER STR. 99 - T. 030 755 4204 56
AUCH BEI ANDEREN AUTORISIERTEN HÄNDLERN UND IN ANDEREN STÄDTEN.
PLZ 0/1/2/3/4/5 HANDELSAGENTUR STOLLENWERK - T. 0221 2828259 - [email protected]
PLZ 6/7/8/9 HANDELSAGENTUR RIEXINGER - T. 07121 325953 - [email protected]
CREATE YOUR OWN DESIGN EXPERIENCE AT MINOTTI.COM
BALLY
ZWISCHEN ZWEI
WELTEN
Big in Japan
In der Schweiz, meiner Heimat, ist Muff völlig normal. In Deutschland sorgt mein Name
für Schmunzeln. Das war das Erste, das mir
auffiel, als ich mit 23 Jahren und ein wenig
Goldschmied-Erfahrung in den 80ern nach
Köln zog, um vier Jahre freie Kunst zu studieren. Zur Finanzierung wurde mit zwei
Mitstudenten
die
Punk-Kneipe
„Goldwasser“ eröffnet. Martin Kippenberger, Isa Genzken und Hans Peter Adamski, die Helden der Kölner
Kunstszene, waren Gäste. Nach acht
Jahren habe ich verkauft und mich im
VW-Bus auf Weltreise begeben. Über
Holland ging es nach München, wei- Patrik Muff
ter kam ich nicht. München tut meiner Schweizer
Schweizer Seele gut, es ist sehr aufge- Juwelier in
räumt, strukturiert und die Berge sind München
nah. Wir, also die Schweizer, sind
freundlich, ein „Nein“ im Gespräch geht
nicht. Es wird ausführlich beschrieben, warum man etwas nicht machen kann oder will.
Fahre ich heute in meinen Geburtsort Hochdorf im Kanton Luzern, macht mich das,
auch ob der Umgangsformen, ein wenig melancholisch. Ich gehöre nicht mehr dazu und
bin doch ein Teil. Ich kann nicht einschätzen,
ob die Kassiererin in der Migros mich kennt,
ob es sich daheim herumgesprochen hat,
dass ich in München mein Atelier betreibe,
oder ob es der Schweizer Mentalität geschuldet ist, dass der 54-jährige, weißhaarige, tätowierte Mann nicht als exotisch bestaunt wird. Vielleicht liegt die Normalität im
Umgang auch einfach an meinem Schwyzerdütsch mit Hochdorfer Einschlag. Mein
Sohn Otto ist mit zehn Jahren stolz, einen
Schweizer Vater zu haben. Die Sprache habe
ich ihm und seiner Schwester Anna gleichwohl nicht beigebracht.
12
Geht es um Mode, ist den Belgiern
alles Erwartbare zuwider. „The Belgians
– An Unexpected Fashion Story“ führt
in 300 Abbildungen durch die Ideen
der Avantgardisten. Unter ihnen auch
Damien Ravns Kreationen, in Szene
gesetzt von Léa Nielsen. (Hatje Cantz )
LÉA NIELSEN/HATJE CANTZ
Schweizer reisen gern. Jüngst fand
man sich in Tokio zur Eröffnung des
Bally Flagship Stores im Szenestadtteil
Ginza ein. Und um die Japaner vollends in die Welt der Schuhe und Accessoires des Modehauses zu ziehen,
feiert man den Standort ausgiebig mit
einer Ausstellung. „Bally Untold – Part
1: 1851-1951“ führt auf Zeitreise durch
100 Jahre Schuhdesign. Dass die mondäne Eleganz der goldenen 20er auf
feinem, zugleich stabilen Schuhwerk
(siehe oben) tanzte, zeigt die Epoche
von 1920 bis 1930 mit dem verklärten
Titel „Freedom“. Bis 8. Mai
W W W.O L E LY N G GA A R D.CO M
ERWIN OLAF
AUF GUTE
NACHBARSCHAFT
Kopflos? Von wegen!
Ist das Kunst? Ein zustimmendes Nicken ist nicht mehr möglich. Den Herren
gegenüber bleibt zumindest noch die Mimik als Ausdrucksform erhalten. Nun
muss die Mode sprechen. Die Ausstellung „Catwalk“ präsentiert bis zum 16. Mai
niederländische Mode von 1625 bis 1960 im Rijksmuseum. Neben Haute Couture
von Dior und Yves Saint Laurent finden sich auch opulente Samtherrenanzüge –
abgenickt und kuratiert von dem niederländischen Fotografen Erwin Olaf.
Als Schwabe führt man ein recht konfliktarmes Leben. Auf Krawall gebürstet ist man
sowieso nie, Aufregung wird mit unerschütterlicher Ruhe entgegengewirkt. Und lebt
man wie ich auch noch auf Sylt, gibt es eigentlich überhaupt nichts mehr zu beklagen.
Außer, man fragt mich nach meiner Haltung
gegenüber meinem ehemaligen Nachbarn,
der Region Baden. Die Königshäuser Schwaben und Baden sind Vergangenheit, aber ihre Rivalität hallt bis heute nach. Als Kinder
drohte man uns: „Wenn du nicht lieb bist,
dann musst du nach Baden.“ Vielleicht hätte
uns ein Besuch tatsächlich ganz gut getan.
Während Schwaben dem Volksmund nach
mit viel Wind und viel Stein aufwarten, stechen in Baden Kirchtürme als Mittelpunkt
bilderbuchgleicher Fachwerkdörfchen zwischen grünen Hügeln hervor. Ich muss zugeben, es ist traumhaft. Auch in Sachen Wein
machen die badischen Winzer ihre Sache
gut. Ein Glas Grauburgunder vom Weingut
Dr. Heger lässt alle regionalen Differenzen
vergessen. Lebendig, säuerlich (keine negative Assoziation!) passt er gleichermaßen zu
Schwarzwälder Schinken sowie schwäbischer
Wurst-Vesper. Die werden hier auf Sylt kurzerhand auf einem Teller kredenzt. Nachbarschaftskonflikte brauchen ja auch mal Ferien.
Herbert Seckler
Kultwirt vom
Sylter „Sansibar“
Überirdisch: Die griechische Göttin
Artemis stand für die Jagd. Eine
gute Beute wäre dieses Collier aus
Gelb- und Weißgold mit Brillanten
gewesen. Ihren Namen trägt es bereits. (von Victor Mayer, Pforzheim)
DER FLANEUR SIEHT MEHR
Oscar
van den
Boogaard,
Schriftsteller
aus Belgien,
schreibt am
liebsten in
Berlin
14
Vor über zehn Jahren kam ich als Gast über
das Berliner Künstlerprogramm DAAD nach
Berlin. Geld, eine große Wohnung, und
keinerlei Bedingungen: Schreiben Sie, was
Sie wollen, niemand erwartet etwas von
Ihnen, hieß es. Kurz – ein Traum! Die Wohnung lag am „Stutti“ in Charlottenburg. An
der Ecke des Platzes, in einem prächtigen
weißen Gebäude aus den 20er-Jahren. In
dieser Umgebung lernte ich die Bedeutung
des Flanierens schätzen.
Zunächst in der Theorie: „Flanieren ist eine
Art Lektüre der Straße, wobei Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Caféterrassen, Bahnen, Autos, Bäume zu lauter
gleichberechtigten Buchstaben werden, die
zusammen Worte, Sätze und Seiten eines
immer neuen Buches ergeben“, schrieb
schon der Schriftsteller Franz Hessel 1929 in
seinem Buch „Spazieren in Berlin“. Der
Flaneur als Leser, die Stadt als Buch. Ich
glaube, bis dahin hatte ich das Wort Flaneur
nie richtig verstanden. Ich dachte, Flaneure
seien Leute, die nicht hinschauen, sondern
nur gesehen werden wollen, die sich nicht
für die Welt interessieren und die Blicke der
anderen brauchen, um jemand zu sein. Ich
war immer sicher, kein Flaneur zu sein, und
war es, wie ich jetzt bei Hessel nachlesen
konnte, trotzdem immer gewesen,
Also begann ich die Stadt zu lesen: Ich
spazierte herum oder trat in die Pedale
meines Fahrrads. Auf den breiten Bürgersteigen des Kurfürstendamms glitt ich vorüber, fuhr Zickzack über die Straßen und
zwischen den Autos durch. Ich pfiff Melodien, ein Polizist hielt mich an und sagte:
„Fröhliches Radfahren ist hier verboten!“
Je länger ich flanierte, desto mehr näherte
ich mich der Geschichte der Stadt und ihren
Bewohnern.
Nach einem Jahr wollte ich bleiben. In einer
Seitenstraße vom Ku’damm war in einem
Jugendstilhaus eine Wohnung zu verkaufen.
Die alte Hausmeisterin, die sie mir zeigte,
sagte: „Bitte entscheiden Sie sich doch für
uns!“ Das hat mich gleich überzeugt. Seitdem ist Berlin die Stadt, in der ich schreibe –
am liebsten in den Cafés und Restaurants.
Ich laufe immer noch herum, spreche mit
Kellnern, Verkäufern, unbekannten Vorbeigängern. Die ganz kurzen Gespräche,
habe ich gemerkt, sind manchmal anregender als manche langen Abende mit Freunden. In Berlin erlebt man vieles intensiver
und als Steigerung. Ich fühle mich hier mehr
als Mensch, als ein komplettes Wesen.
KOEN VAN DAMME
Ein Flame in Italien
Er ist ein Meister der Reduktion. Der belgische Architekt Vincent Van Duysen hält sich „an eine architektonische Sprache, die nicht vor Ästhetik zurückscheut, aber Moden und Trends widersteht“. Mit seiner „TR Residence“
hat er in Knokke dieses Motto ins Extrem getrieben. Drei frei stehende Holzgebäude – Wohnhaus, Scheune und Pferdestall – geben sich von Weitem
zunächst verschlossen. Doch je näher man an die einzelnen Gebäude herankommt, desto mehr überraschende Details werden sichtbar. Für die Fassadengestaltung hat der Architekt einen ähnlich detailverliebten Aufwand
betrieben wie in der Möbelproduktion. Seit vielen Jahren verwirklicht er sich
auch darin – und wurde nun zum neuen Kreativdirektor des Möbelherstellers
Molteni&C Dada ernannt. Kulturelle Differenzen dürften keine Rolle spielen: Die Italiener sind ebenfalls für ihre klare Formensprache bekannt.
Und Van Duysen selbst ist kein bisschen verschlossen.
GERMAN SPEED
Emmanuel
de Bayser
Franzose und
Mitbesitzer von
The Corner
Berlin
16
Während meiner früheren Zeit bei L’Oréal
machten wir viele Studien, bevor wir wichtige Entscheidungen für die Einführung neuer
Produkte trafen. Alle Vorhaben mussten auf
wissenschaftlicher Basis durch Tests untermauert werden. Eine dieser Studien hat alle
Beteiligten damals sehr beeindruckt. Es
handelte sich um die Bewertung von Luxusprodukten aus unterschiedlichen europäischen Herstellerländern. Wir waren überzeugt, dass am Ende nur Italien oder Frankreich mit ihren unzähligen Luxusmarken die
Siegerkrone davontragen würden, verfügt
der Glamour ihrer Produkte doch über
solche Strahlkraft. Aber nein, zu unserer
großen Überraschung war es Deutschland
mit seinen Luxusautos, das den ersten Platz
belegte. Fragen Sie ein bisschen herum,
selbst Franzosen, Italiener oder Amerikaner
werden wissen, wovon hier die Rede ist. Das
berühmte technische Know-how, das selbst
banale Haushalts- und Küchengeräte zu
begehrenswerten Luxusobjekten aufwertet.
Gibt es etwas Besseres für Profi- oder
Hobbyköche als eine perfekt eingerichtete,
moderne Küche deutschen Fabrikats? Präzision, Vision und Disziplin führen zu SpitzenResultaten (in der Ausstattung, und beim
Kochen). Nichts ist dem Zufall überlassen.
Eine ungeheuere Herausforderung für den
deutschen Nachwuchs.
Im Bereich Mode zum Beispiel ist die Berliner Fashion Week ein Anziehungspunkt für
viele junge Talente, die sich ihren Platz noch
erobern wollen: Modenschauen, Designer,
Models, Front-Row, Afterparty. Deutschland
versucht es, die Ingredienzien sind da, doch
die Mayonnaise greift noch nicht ganz.
Jung, kreativ und cool sind viele, aber reicht
das über den Moment hinaus? In einer Welt,
die sich sehr schnell dreht und „jetzt“ die
Daueransage ist, vergessen wir manchmal,
dass dahinter oft ein langer, fordernder Weg
liegt, um den Erfolg dauerhaft zu gestalten.
Jeder stolze Besitzer eines Porsches wird mir
darin nicht widersprechen!
BAR
INTERNATIONAL
Wenn ich Deutsch höre im Ausland, werde ich zum taubstummen Affen. Der
deutsche Touristen-Sound zerstört mein
Wegsein. Aber – wenn ich in Dubai, in
London oder Bangkok einen Einheimischen, deutschen Insider-Söldner (Expat = Patriot im Ausland) erkenne, fühl
ich mich plötzlich wohl. Man spricht mit
modernen Kolumbussen.
Beim Sunset-Drink am Pool im 7. Stock
des Trump Soho in Manhattan treffe ich
meinen Lieblings-Expat Andreas Oberoi
– ein Münchner Mallorquiner aus der indischen
Hotel-Dynastie.
Zwei
Bier mit ihm und man
hat eine zehn Punkte Todo-Liste – jetzt lebt er
im Mekka der Expats, in
Dubai! Die graue deutsche Eminenz Asiens David Blieswood
war 40 Jahre Kurt Connaisseur aus Hamburg
Wachtveitl („Ich war der
Tanzbär der Reichen“) – als König des
„Oriental“ in Bangkok. Ich trage heute
noch seinen blauen Bade-Kimono.
Pflicht-Drink in London ist die höchste
Bar über der Themse im 52. Stock in „The
Shard“ (Shangri La) – am Tresen: Henning Neufeld. Wenn ich in Berlin Auslands-Sehnsucht habe, gehe ich ins „Adlon“ an die Bar von „Herrn Franz“ Höckner (Ex-Ösi). Wir reden über Schnee und
Schmäh. Jeder Abenteurer, der in die
Ferne zieht, ist ein Marco Polo unserer
Sehnsüchte. Aber im Wegsein liegt auch
immer die Geborgenheit des Heimwehs.
Alle träumen sie vom deutschen Brot.
OH, LOOK! UNSERE
ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS
ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM)
FLORIDA CHICK
+
+
Der Duft für die Ewigkeit: „Eternity Now“ von
Calvin Klein
+
Weil Rosa rockt! Kleid von
Mother of Pearl über matchesfashion.com
Eis, Eis, Lady!
Den „Ice
Cream Flavoured Lip Balm“
gibt’s über
pinjafashion.de
Gib Gummi! Der
aufblasbare Flamingo
ist von design-3000.de
+
+
Von der lässt man sich gern
einwickeln: die „Première
Rock Pop Pink“ von Chanel
Toller Vogel:
Icona liebt ihre XLOhrringe von Etro
+
+
Hot Heels: Stilettos
von Sophia Webster
über net-a-porter.com
Rosige Aussichten: Die „Clubround“ von Ray Ban gibt’s bei
misterspex.de
= 5926 €
GERMAN GIRL
+
+
Fabelhafter Flachmann:
Das Modell „Court Vantaga Adicolor“
von Adidas gibt es bei Zalando
Sinnlicher wird’s
nicht: „Sensual Jil“
von, klar, Jil Sander
+
+
Klar, verlässlich und
immer da: die klassische Nivea Creme
+
Fast quadratisch. Praktisch. Gut. Die Tasche
„AB 3“ ist von PB0110
Liebevoller Land-Look:
Das Patchwork-Kleid
ist von Marc O’Polo
+
Robust und
stilsicher: Die
„Trucker Jacket“
ist von Levi’s
Reelle Eleganz: Icona und
ihre Escada-Brille
= 1887 €
+
Deine blauen Augen! Armreif von
Delfina Delettrez über Stylebop.com
BOSSA NOVA
WHEN STYLE BECOMES
A STATEMENT.
RIMOWA Stores in Deutschland: Hamburg, Köln, München, Stuttgart
www.rimowa.com
DIE MAGIE
DER REDUKTION
Tomas Maier und Toshiko Mori gehen nicht nur ästhetisch ähnliche Wege: Sie baute
ihm ein Haus, er entwirft Kleidung, die sie bewundert. Beide wollen weniger besitzen,
dafür aber das Richtige – und finden, dass Perfektion dynamisch sein muss
FOTO: RALPH GIBSON
Assistenz: Alessandro Simonetti
X
Tomas Maier
20
Toshiko Mori
IM GESPRÄCH
N
ew York, 57. Straße. Tomas
Maier, der Designer und
Architektensohn mit Architektur-Faible, ist verabredet mit der vielfach ausgezeichneten japanische Architektin
Toshiko Mori, die für konzeptionelle
Klarheit und Materialinnovationen bekannt ist. Hoch oben im 15. Stock des Fuller Buildings, eines Büroturms im
schönsten Art-déco-Stil, in dem traditionell viele Galerien ansässig sind, sprechen der 59-Jährige und die HarvardProfessorin über das Bedürfnis, weniger
zu besitzen, dafür aber das Richtige.
Das Nachdenken über Tradition und Moderne, Perfektion und Innovation, Nachhaltigkeit und Design, Bewahren und
Loslassen verbindet die beiden. Seit Jahren setzen sie sich beispielsweise gemeinsam für die Erhaltung von Baudenkmälern in Japan und den USA ein.
Der völlig weiße Konferenzraum des
Studios wirkt wie eine Zeitkapsel, draußen wandert die Frühjahrssonne. Vergessen ist der Krach unten in den Straßenschluchten Manhattans.
Herr Maier, die DNA von Bottega Veneta
unterscheidet sich von der anderer Marken im Luxussegment: Sie verzichten auf
ein Signum und geben Ihren Kollektionen
keine hochtrabenden Namen. Andere
Designer übertreffen sich darin, tolle
Künstler, Architekten und Komponisten
als Inspirationsquellen anzugeben. Das
ist nicht ohne Prätention. Warum wollen
Sie nicht Teil dieses Trends sein?
Tomas Maier: Prätention ist als Begriff
vielleicht ein bisschen zu hart. Ich glaube, Designer brauchen eine Art Angelhaken, um loszulegen, einen tieferen
Grund für eine Kollektion zu finden und
sie interessant zu machen. Ich arbeite
nur einfach nicht so. Mir liegt das Wörtliche, das Offensichtliche nicht. Wir bauen einfach Kollektion für Kollektion auf
und haben dabei den Kunden im Blick.
Die Philosophie ist also, dass das Produkt
einfach für sich selbst stehen soll?
Maier: Ja. Es geht um ein Produkt, das in
jeder Hinsicht gut durchdacht ist.
Das klingt sehr nüchtern. Handeln Sie
nicht auch mit Träumen?
Maier: Sicher.
Frau Mori, viele Designer behaupten,
dass Architektur einen großen Einfluss
auf ihre Arbeit hat. Ist Modedesign auch
eine Inspiration für Architekten?
Toshiko Mori: Auf jeden Fall. Architekten arbeiten in einem sehr großen Maßstab, also können wir nicht so gut experimentieren. Deswegen ist es umso spannender, visuelle Beispiele zu sehen, wie
sich Größe und Maßstab, Muster und Variationen auf ein Gewebe auswirken.
Schauen Sie zum Beispiel mein Kleid an
(Sie trägt ein orange Lederkleid von Bottega Veneta): Es gibt zwei Materialien in
derselben Farbe. Das ist auch eine architektonische Technik, die man beispielsweise häufig bei dem Architekten Alvaro
Siza sieht. Eine weitere Parallele sind die
Säume. Wie sieht der Übergang von einem Material zum nächsten aus? Architektur ist sehr steif, in der Mode sehen
wir elegantere Übergänge. Deswegen
lieben viele Architekten Mode und beobachten sie genau.
Sehen Sie bei einem Kleid von Bottega
Veneta architektonische Einflüsse?
Mori: Die spürt man nicht nur an der
Oberfläche, sondern auch daran, wie sie
sich von innen anfühlen. Man merkt, wie
wichtig die Konstruktion des Kleidungsstückes ist – wie man sich darin bewegen
und arbeiten kann. Es ist unglaublich gut
gemacht.
Wie hat Ihre Freundschaft begonnen?
Maier: Durch den amerikanischen Architekten Paul Rudolph. Wir haben uns
nicht durch ihn kennengelernt, aber ich
verehre seine Arbeiten. Toshiko hat für
ein Paul Rudolph-Haus in Florida ein
paar wunderschöne Anbauten entworfen, die großes Lob bekommen haben.
Sie gehen sehr respektvoll mit der vorhandenen Struktur um, ohne aber das
Original zu imitieren. Mein Partner Andrew Preston und ich wollten damals ein
Haus in Florida bauen. Also habe ich zum
Telefon gegriffen und sie angerufen.
Hat Frau Mori das Haus gebaut?
Maier: Nein, aber wir haben Jahre später
ein Grundstück in Maine gekauft auf derselben Insel, auf der sie auch ein Haus
hat. Fünf Jahre nachdem wir uns kennengelernt haben, begannen wir an diesem gemeinsamen Projekt zu arbeiten.
Vorigen Herbst ist es fertig geworden.
Wie fühlt es sich an, in einem ToshikoMori-Gebäude zu wohnen?
Maier: Es war ein großes Projekt, weil
wir darauf bedacht waren, auf Landschaft und Habitat Rücksicht zu nehmen.
Auf dem Land war noch nie gebaut worden, deswegen wollten wir jede Störung
vermeiden. Wir wollten ein unsichtbares
Haus bauen – so, als sei es gar nicht vorhanden. Die Landschaft ist wunderschön, so wie sie ist. Aber da ich mein
ganzes Leben lang schon Architektur liebe, wollte ich auch ein aussagekräftiges
Gebäude, das viele Elemente verbindet,
die mir wichtig sind – von der Tradition
über den Respekt für die Umwelt bis hin
zu einer extrem nach vorn denkenden
Haltung. Was wir gebaut haben, hat viele
Einflüsse, die von der traditionellen Bauweise der Scheunen in Maine bis hin zu
sehr modernen Elementen reichen –
und solchen, die meine tiefe Liebe zu Japan widerspiegeln. Wir haben versengtes Holz benutzt, wie man es in den Fischerhütten in Japan findet. So wird verhindert, dass die salzige Luft die Struktur
angreift. Es ist komplett schwarz. Das
Haus wird dadurch nahezu unsichtbar.
Die Traditionen zu respektieren und
gleichzeitig vorwärtsgerichtet zu sein, das
hört sich an wie eine perfekte Definition
japanischer Architektur, Frau Mori.
Mori: Ja, aber fügen Sie ruhig noch deutsche Nachhaltigkeit hinzu (lacht). Das
Nachdenken über das Ideal einer gut ausbalancierten Umwelt reicht bei uns lange zurück. Unsere Länder verbindet ein
Verständnis für Umweltökologie.
Sie haben Ihre komplette Karriere in New
York verbracht. Aber Ihre ersten visuellen
Erinnerungen stammen aus Japan. Welchen Einfluss haben diese Bilder auf Ihre
architektonische Sprache?
Mori: Ich wurde im Westen Japans geboren und bin dort aufgewachsen. Meine
Tante lebte in Kyoto. Ich war fast jede
Woche dort mit meiner Großmutter, die
mir die Gärten und Tempel zeigte. Im
kaiserlichen Garten von Katsura war ich
mehrfach. Ich glaube, ich verarbeite Katsura im Haus von Tomas (lacht). Ich erinnere die wiederholten Erfahrungen
nicht als Bilder, sondern als Atmosphäre
– wie es sich anfühlte, was der Maßstab
war. Das hat meine Intuition sehr geprägt und bedeutet mir viel. Als Architekt können Sie Dinge bauen, die auf Fotos großartig aussehen, aber es ist mir
wichtig, dass man sich auch intuitiv
wohlfühlt. Tomas und ich haben sehr genau an der präzisen Lokalisierung seines
Hauses gearbeitet und immer wieder
Details verschoben.
Maier: Ja, der Standort ist jetzt perfekt.
Das Haus ist so gebaut, dass es den Winden nicht komplett ausgesetzt ist. Wichtig war mir auch, dass das Sonnenlicht in
die Räume fließt. Ich möchte immer
nach Osten schauen, wenn ich aufwache,
und Sonne in meinem Schlafzimmer haben. Das war schon für meinen Vater
sehr wichtig. Er hat immer gesagt, man
sollte von der Sonne geweckt werden.
Das erinnert mich an ein Bottega-VenetaKleid, das ich sehr geliebt habe. Ich habe
mich darin umgeben gefühlt, nicht zu
nackt. Trotzdem war es sehr körpernah.
Ist dieses richtige Maß an Intimität für Sie
als Designer wichtig?
Maier: Bei mir steht die Frau im Mittelpunkt. Kleider sollten sie nie dominieren. Es sollte genau andersherum sein.
Ihre Eltern haben Sie auf eine WaldorfSchule geschickt. Wie hat Sie die Reformbewegung beeinflusst?
Maier: Sehr. Ich war dort während meiner ganzen Schulzeit. Wir wurden immer ermutigt, unsere Persönlichkeit auszubilden. Ich blicke gern auf diese glücklichen Jahre zurück. Meine Kindheit hat
mir viel gegeben. Meine Eltern hatten
ein gewisses Niveau, sie haben uns in
Museen mitgenommen und sind mit uns
gereist. Allerdings nicht wie das heute
üblich ist. Wir haben nicht die ganze
Welt gesehen. In den 60er-Jahren war
noch die Nachkriegszeit spürbar.
Italien ist für den Anfang ja auch nicht
schlecht.
Maier (lacht): Das stimmt. Ein anderer
wichtiger Einfluss war die Naturverbundenheit. Wir waren stets draußen und jedes Wochenende im Schwarzwald unterwegs. Die Erinnerung kann ich jederzeit
abrufen. Diese Erfahrungen haben 3
21
meine späteren Interessen, den Respekt
für Natur und Menschlichkeit geprägt.
Sie leisten viel. Allein die Verantwortung
für zwei Marken – Bottega Veneta und
Tomas Maier – und Ihr Engagement für
die Erhaltung besonderer ArchitekturBauwerke in den USA und in Japan.
Wann haben Sie Zeit, sich mal zurückzuziehen ?
Maier: Ich bin eigentlich immer zurückgezogen, auch wenn ich arbeite. Dieses
Studio ist zum Beispiel fast leer und ganz
weiß. Unten ist die laute Stadt, aber hier
herrscht kreative Stille, auch wenn ständig Mitarbeiter aus Italien kommen. Wir
arbeiten mit großer Freude an der Entwicklung neuer Produkte. Ein weiterer
Rückzugsort ist mein Atelier in Florida,
das wie ein großes Depot aussieht. Die
Decken sind fast fünf Meter hoch, der Boden ist aus Beton, alles ist weiß. Meine
Räume sind immer leer. Das hilft mir,
klar zu denken. Aber mein wirklicher
Rückzugsraum ist der Blick auf den Horizont, den ich von allen meinen Wohnsitzen habe. Ich liebe diesen Blick ins Weite.
Es hilft mir, konzentriert zu bleiben. Am
liebsten fahre ich nach Maine. Es ist kompliziert, dorthin zu gelangen, und das
macht es noch besser. Es geht auch um
die Anreise, das Gewinnen von Abstand.
Manche Menschen haben Angst vor Leere. Für andere ist sie ein Segen. New York
erscheint allmählich zu verstopfen. Es
gibt einen riesigen Bauboom, besonders
im Luxussegment. Wann hört es auf, hier
menschlich zu sein?
Mori: Ich habe nichts gegen Dichte, weil
die Energieeffizienz und das Teilen von
Ressourcen so in mancher Hinsicht besser klappen. Doch eine Stadt sollte Raum
bieten für Menschen aus verschiedenen
Kulturen und ökonomischen Verhältnissen. Man möchte auch, dass Kinder Teil
des Straßenbildes sind. Aber viele der
neuen Türme sind für die Superreichen,
die noch nicht einmal hier leben, sondern nur ihr Geld investieren. Dieses
Problem hat nichts mit Architektur, sondern mit Bebauungsvorschriften zu tun.
Eine andere große Herausforderung besteht darin, den ländlichen Raum so zu
gestalten, dass die Menschen nicht wegziehen. Die Insel in Maine zum Beispiel,
auf der wir beide ein Haus haben, ist
komplett nachhaltig organisiert und in
mancher Hinsicht autonom. Der Strom
kommt aus Windturbinen, es gibt eine
ökologische Farm. In den USA wollen
immer mehr Menschen eine alternative
Lebensweise. Ich selbst arbeite mit der
Schweizer Firma EcoVillage zusammen.
22
Sie haben die Denkfabrik „VisionArc“
gegründet, um lokale und globale Anliegen miteinander zu verbinden und
Designinitiativen für eine nachhaltige
Zukunft anzustoßen. Sie gehören auch
dem Global Agenda Council on the Future
of Cities des Weltwirtschaftsforums in
Davos an. Wo liegen die größten Herausforderungen?
Mori: Wir haben im Rat zehn Lösungsvorschläge entwickelt (weforum.org/re-
ports/top-ten-urban-innovations a. d. R).
Alle haben mit teilen zu tun, achtsam mit
Ressourcen umzugehen, Wachstum im
Gleichgewicht zu halten und für Teilhabe zu sorgen. Es ist wichtig, dass Städte
in öffentliche kulturelle Institutionen investieren, damit jeder einen ausgeglichenen Lebensstil haben kann.
ber nachdenken, was sie wirklich brauchen, und hochwertige Produkte kaufen,
die für einen langen Nutzen gedacht
sind. Qualität, Design und Funktionalität
müssen gut sein. Gutes Design altert gut.
Herr Maier, Sie lieben Bücher. Welche
Rolle spielt Lesen für Sie?
Maier: Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch und lerne und recherchiere viel in Büchern. Ich bin von ihnen umgeben, auch weil mein Partner Andrew
ständig liest. Das heißt nicht, dass ich die
Zeit finde, auch selbst alles zu lesen.
Dennoch: Ich möchte niemals in einem
Haus ohne Bücher leben. Und irgendwann kommt die Zeit, in der ich wieder
mehr lesen kann.
Maier: Und das ständige Geldausgeben
geht mir auch gegen den Strich.
Sie besitzen gern Bücher, aber gehen
ungern Kleider einkaufen. Der Schriftsteller Henry David Thoreau schrieb in
seinem berühmten Werk „Walden“: „Mei-
Mori: Es gibt mehr Dinge, die ich nicht
brauche. Das macht mich wahnsinnig.
Sie sind sehr oft umgezogen, Herr Maier.
Reisen Sie gern mit leichtem Gepäck?
Maier: Ja, ich miste gern aus, aber ich
ziehe nach den vielen Ortswechseln
nicht mehr gern um. Was ich daran aber
immer noch mag, ist, dass man noch einmal von vorn anfangen kann. Man häutet
sich wie eine Schlange.
Sie nennen sich einen Perfektionisten.
Maier: Ja. Ich möchte meinen Kunden
das zu diesem Zeitpunkt bestmögliche
Produkt geben und stelle ständig Dinge
infrage. Leben bedeutet, sich weiterzu-
Wegen dieses von Toshiko Mori in
Ergänzung zu einem Paul
Rudolph Entwurf gebauten Hauses an der Westküste Floridas,
engagierten Tomas Maier und
Andrew Preston die Architektin
für ihr Privathaus in Florida
ne größte Begabung im Leben bestand
darin, so wenig besitzen zu wollen.“ Würden Sie diese Idee übernehmen?
Maier: Ich glaube, das wäre mir etwas zu
extrem (lacht). Meine Idee von Glück hat
damit zu tun, wenig zu haben, aber das
Richtige, ständig auszusondern und zu
editieren. Wenn man jünger ist, will man
Dinge anhäufen. Dann kommt eine Lebensphase, in der man infrage stellt, ob
man etwas wirklich braucht. Meine letzten Wohnsitze haben viel mehr mit Natur, dem Ausblick und Bücherregalen zu
tun. Je weiter das Leben fortschreitet,
umso mehr reduziere ich.
Wie ist das bei Ihnen, Frau Mori?
Mori: Ich merke, dass ich heute weniger
Dinge besitzen oder kaufen will. Ich bin
bei jeder Anschaffung sehr wählerisch.
Mein Gürtel ist zum Beispiel schon ganz
schön alt. Ich behalte gute Dinge gern.
Maier: Das geht mir auch so. Ich hasse
Verschwendung. Menschen sollten darü-
PAUL WARCHOL
3
entwickeln. Deswegen suchen wir immer weiter nach technologischem Fortschritt. Unsere Produkte sind teuer. Da
darf man den Kunden nicht betrügen. Es
gibt immer Raum für Verbesserung.
Aber: Perfektion gibt es nur in der Natur.
Wie halten Sie es, Frau Mori?
Mori: Lassen Sie mich Tomas’ Worte
über Perfektion ergänzen. Viele glauben,
dass sie etwas Statisches ist und in der
Architektur kann sie auch sehr tot wirken. Aber in Wahrheit ist Perfektion sehr
dynamisch. Ich halte es mit Tomas’ Perspektive, aus der Perfektion einen Zweck
erfüllen muss. Innovationen sollten eine
ethische und moralische Dimension haben. Wir haben in jüngster Zeit viele gewebte Stoffe in unseren Gebäuden verwendet, zum Beispiel zwischen Glasscheiben als Lichtschutz. Diese Technik
ist zugleich alt und modern. So als würde
man Kleider in Gebäude übersetzen.
Moderation: Huberta von Voss
DIE RUHE VOR
NEW YORK
Atlantikwellen, endlose Strände und kein Sozialstress: Drei sportliche Autostunden oder
einen kurzen Helikopterflug von Manhattan liegt das Fischerdörfchen Montauk
FOTO: TOMAS MAIER
W
24
enn Mensch und Natur
zusammenarbeiten, entsteht zuweilen die beste
Dramaturgie. Es sind
nicht einmal 200 Kilometer von New York bis Montauk, aber
es ist ein Trip der Kontraste. Erst über
den chronisch verstopften Long Island
Expressway, dann durch die im Vorbeifahren etwas gesichtslose Halbinsel, bis
man an ihren nördlichsten und äußersten Zipfel gelangt: die Hamptons.
Eine Kette von malerischen Dörfern inmitten grüner Landschaft. Es gibt noch
andere Refugien der Reichen und Mächtigen an der amerikanischen Ostküste,
aber die Hamptons mit ihrer relativen
Nähe zu Manhattan nehmen eine Sonderstellung ein. Von Sean „Puff“ „Diddy“
Combs bis Martha Stewart hat hier jeder
ein Haus, der was gelten will und es sich
leisten kann. Das Merkwürdige: Schlendert man in East Hampton über die
Hauptstraße, merkt man kaum etwas davon. Die Polohemden der Familienväter
sind ausgewaschen, der Dresscode ist
entspannt. Nur die Autos sind etwas größer – und meist von deutschem Fabrikat.
Bei den Häusern herrscht ein Rennen
um Größe und die beste, schönste Lage.
Das wahre Glück liegt noch ein bisschen
weiter draußen. Der letzte Ort der
Hamptons ist das alte Fischerstädtchen
Montauk. Bescheidener, einfacher und
rauer. Die Natur ist schroffer, die Restaurants sind ehrlicher, das Sozialleben besteht oft nur aus einem freundlichen Nicken beim Strandspaziergang.
Dieses einzigartige Meergrau entsteht,
wenn salzige Luft und Sonne ihre
Arbeit erledigen. Blick von Tomas
Maiers Terrasse auf den Atlantik
HIDDEN PLACE
VERSTECKTER GLAMOUR
„Montauk ist das Gegenteil von fancy“,
sagt Tomas Maier. Trotzdem oder gerade
deswegen war der Ort immer auch Anziehungspunkt für Künstler und Kreative. Zu den legendären Teilzeitbewohnern zählen: der Fotograf Richard Avedon, der Schriftsteller Edward Albee, der
Schauspieler Robert De Niro, die Modeschöpfer Calvin Klein und Ralph Lauren,
der Künstler und leidenschaftliche Surfer Julian Schnabel, der Sänger Rufus
Wainwright und der Galerist David Zwirner. Auch Andy Warhol, dem es zeit seines Lebens nicht hektisch genug sein
konnte, zog sich immer wieder in sein
Häuschen in Montauk zurück.
CASUAL SHOPPING
„Wir kaufen im Vorbeifahren ein“, sagt
Maier. Zwischen Amagansett und Montauk ist im Sommer der letzte „Farmers
Market“, wie man ihn in den Hamptons
häufig findet. Hervorragendes, lokal angebautes Gemüse und Obst. Einst hatte
Montauk die größte Flotte an Thunfischfängern. Die großen Schwärme wurden
schon seit Jahrzehnten nicht mehr vor
der Küste gesichtet. Aber noch heute
kann man hervorragenden frischen
Fisch kaufen. Schwertfisch, Seeteufel,
Wolfsbarsch und gelegentlich auch mal
Gelbflossen-Thun. „Ich kaufe, was an
dem Tag frisch ist, dämpfe den Fisch und
serviere ihn mit frischem Gemüse“, sagt
Maier. Das dem Laden angeschlossene
Restaurant muss man nicht unbedingt
besuchen.
„Gosman’s Fish Market“
484 West Lake Drive, Montauk
BESTE STRANDBUDE
„Sie macht ein Vermögen“, scherzt Maier
über Lili Adams, die seit 20 Jahren ihren
Foodtruck „Ditch Witch“ in unmittelbarer Nähe vom Strand Ditch Plains betreibt. Hier gibt es Burritos, einen ordentlichen Kaffee und eine Ureinwohnerin im Wagen, die aufmerksam verfolgt,
wie sich ihre Heimat verändert, sei es
durch den Hurrikan Sandy oder durch
neue Investitionen, die auch vor Montauk natürlich nicht haltmachen.
„Ditch Witch“, 40 Deforest Road, Montauk
KURZE GESCHICHTSSTUNDE
Die Ureinwohner waren die MontaukettIndianer, im 17. Jahrhundert wurde die
Halbinsel als Weideland genutzt. 1879
kaufte Arthur W. Benson für 15.100 Dollar
40 Hektar des östlichen Teils und ließ
vom Architekten Standfort White sieben
„Cottages“ entwerfen, deren Fassaden
mit den ortstypischen Holzschindeln
verkleidet wurden und die für eine Gruppe von reichen New Yorkern als Jagdund Angelhütten gedacht waren. In gewisser Weise war es ein frühes Beispiel
von Gentrifikation – lange bevor dieser
Begriff geprägt wurde. Das berühmteste
Haus der Montauk Association, die Tick
Hall, gehört dem Entertainer Dick Cavett, der es nach einem Brand 1997 originalgetreu wieder aufbauen ließ.
WENN DOCH MAL GÄSTE KOMMEN
„Ich mag das Ambiente. Da gehen wir
mit Besuchern gern hin“, sagt Maier über
das Restaurant „Crow’s Nest“. Eine große
Holzbude, die mit archaischen Wandmalereien und Liebe zu Details aufgemotzt
wurde. Der expressiv gezeichnete Totenkopf eines Walrosses ist das Logo, und die
Karte spiegelt einen unbekümmerten
Zugriff auf alles, was passt und schmeckt:
Chicken Kebab, Atlantikaustern, Kale-Salat. „Oft ist die Hälfte der Posten schon
aufgegessen.“ Was ja nur ein Hinweis auf
die Frische der Zutaten und die Entspanntheit des Teams ist.
„The Crow’s Nest“
4 Old West Lake Drive, Montauk
(ab 21. Mai wieder geöffnet)
STRANDLEBEN
Was die Qualität der Strände betrifft, hat
man in Montauk eher die Qual der Wahl.
Montauk. Und man kann bis zu den Ditch
Plains laufen“, sagt Tomas Maier. Sein anderer Wandertipp: ein Marsch über die
Napeague Harbor Road mit ihren fast 30
Meter hohen Dünen.
FÜR DIE TAG- UND NACHTLEKTÜRE
„Zwei bis dreimal im Sommer besuche
ich diesen Buchladen und werde eigentlich immer fündig“, sagt Tomas Maier
über „Black Cat Books“ auf Shelter Island. Der Laden verkauft seit 1996 eine
interessante Auswahl gebrauchter Bücher und Erstausgaben. Von Montauk ist
es eine kleine Reise – die sich allerdings
lohnt. Man fährt durch den ehemaligen
Walfängerort Sag Harbor. Er liegt nicht
am offenen Meer und konnte sich ein
bisschen Verträumtheit bewahren. Von
dort aus erreicht man die Fähre nach
Shelter Island, eine besonders grüne Understatement-Idylle, in der auch einige
Deutsche viktorianische Häuser bewohnen. Sie liegt zwischen den Hamptons
und der North Fork, dem zur Bucht liegenden anderen Nordzipfel von Long Island, der unter anderem für seinen
Weinbau berühmt ist.
„Black Cat Books“,
54 North Ferry Road, Shelter Island
SNACKS
Ebenfalls in Sag Harbor – wenn man
schon mal da ist: Großartigen Käse aus
Europa und den USA (viel besser, als der
durchschnittliche Supermarkt glauben
GRANT MONAHAN (2)
BLOSS KEIN STRESS
Montauk ist der größtmögliche Kontrast
zum aufgepeitschten New Yorker Leben.
Hier fährt man hin, um zu sich selbst zu
finden – und die spektakuläre Natur. Der
Atlantik braucht im Sommer lang, um
sich zu einer einladenden Temperatur
aufzuwärmen, aber das ganze Jahr erlebt
man hier ein atemberaubendes Zusammenspiel von Wind, Dünen und Sonne.
„Das beste an Montauk“, sagt Hausbesitzer Tomas Maier: „Man fühlt sich wirklich wie am Ende eines ganzen Kontinents.“
Aus dem Alltag des Foodtrucks „Ditch Witch“ in Montauk: Ein stolzer
Angler zeigt seine Beute, der Künstler Julian Schnabel beißt zu
Sie sind lang, sauber, und nur in Ausnahmefällen (Hochsaison, Wochenende)
wirklich voll. Als einen der schönsten
Strände in den gesamten Hamptons
empfiehlt Tomas Maier den Abschnitt
am Hither Hills State Park, das ist ein
kleines Naturschutzgebiet, in dem es
auch einen Süßwassersee gibt.
„Hither Hills State Park“,
Old Montauk Highway
BESTE AUSSICHT
Wer Abwechslung vom Strand sucht und
einen Eindruck von der Topografie gewinnen möchte, der geht im Shadmoor
State Park wandern. „Ein toller Blick auf
macht) gibt es bei „Cavaniola’s Gourmet
Cheese Shop“. „Ich liebe die Lobster-Roll
und die hausgemachten Kartoffelchips“,
schwärmt Tomas Maier
„Cavaniola’s Gourmet Cheese Shop“,
89B Division Street, Sag Harbor
SO LONG
1792 gab George Washington den Bau des
Leuchtturms in Montauk Point in Auftrag, es ist der älteste der USA. „Nichts als
Meer und Wind“, beschrieb der Dichter
Walt Whitman sehnsuchtsvoll Montauk
Point. Er hatte recht.
Aufgezeichnet von Adriano Sack
25
DER NEUE LIPPENSTIFT FÜR FARBE, GLANZ UND PFLEGE
ILOVECOCO
CHANEL .COM
CHANEL-Kundenservice - Tel. 01801-24 26 35 (3,9 Ct/Min. aus dem Festnetz, max. 42 Ct/Min. aus Mobilfunknetzen).
MILD
PALMS
Wo steckt eigentlich Tomas Maier, der Kreativdirektor von Bottega
Veneta? Kommt drauf an, wann man ihn erwischt. Die Firmenzentrale
ist in Mailand, das amerikanische Büro in New York. Aber wenn es die
Zeit und der Job erlauben (und wenn es für die nördlichere
Atlantikküste noch zu frisch ist), dann lebt der Mann eine gute Stunde
von Miami Beach entfernt. In einem Paradies, das kein großes
Aufhebens von sich selbst macht
Z
28
wei knallbunte Sittiche sitzen auf dem Strommast
schräg über einer Tankstelle. Nach intensiver
Schnäbelei flattern sie der
Morgensonne und damit dem atlantischen Palmenstrand entgegen, während
um Punkt 8 Uhr die Taxis eintreffen mit
der achtköpfigen Crew, Tomas Maier ist
selbstverständlich schon da. Er tauscht
sich kurz mit dem britischen Model Richie Cotterell über aktuelle Ausstellungen in New York aus, dann schnappt er
sich den Fotografen Robbie Fimmano
und geht mit ihm die Motive durch. Er
hat sie schon im Kopf. Für ICON stylt er
eine Auswahl der kommenden Herbstkollektion seiner Tomas Maier Brand, die
er 1997 in den USA zunächst als Label für
Bademoden gründete und die nach einer
Beteiligung von Kering, zu dem auch
Bottega Veneta gehört, nun als LifestyleMarke (tomasmaier.com) expandiert.
„Wir sind Floridianer“, sagen Maier und
sein Partner Andrew Preston, obwohl keiner der beiden hier geboren ist. Es ist ein
guter Platz, den sie sich für ihr privates
Atelier ausgesucht haben. In Delray Beach, einem ausgesucht unaufgeregten Ort
an der Ostküste Floridas. Hinter einer neu
errichteten Betonwand verborgen, befindet sich eine alte Großbäckerei mit hohen
Decken aus Stahl und Glas. Der Vorbesitzer war Maler, die Farbspuren auf dem
Fußboden hat Maier einfach gelassen, wie
sie waren. Sie geben dem Raum Patina.
Und sie vermitteln das Gefühl, dass es
hier etwas lässiger zugeht, als man es von
dem Hausherrn erwarten würde.
Trotzdem erkennt man sofort seine Handschrift, sein profundes Wissen von Kunstund Designgeschichte. An der einen
Wand hängt ein Bild der Fotografin Alex
Prager, in einer Ecke steht ein Tisch mit
Lederbeinen, den Jean Prouvé für
Hermès entworfen hat. Neben den
Schreibtischen von Tomas Maier und Andrew Preston ruht eine große Kiste, wie
sie zum professionellen Kunsttransport
benutzt wird. „Den Diskuswerfer haben
wir vor Jahren gekauft. Der wartet noch
immer auf den richtigen Platz“, sagt Maier. Zum Spirit dieses Ortes gehört eben
auch, dass er sich hier nicht hetzen lässt.
Noch nicht einmal von seinen eigenen
Kunstkäufen.
Die übliche Dramaturgie einer Modeproduktion sind Momente der Hektik, die
sich abwechseln mit zäher Monotonie
und Verspätung. Der Vormittag in Delray
Beach dagegen ist geprägt von hochkonzentrierter Arbeit. Kein Stress und keine
Durchhänger, Maier hat die Motive und
Kombinationen bereits vorher im Kopf.
Zum Lunch gibt es griechischen Salat
und Crabcakes, und als Gesprächsthemen:
die Museumsinsel im japanischem Binnenmeer Seto Nankai (genial), die Bilanz
des neuen New Yorker Bürgermeisters
Bill de Blasio (na ja) und die Textilkünstlerin Sheila Hicks, von der auch noch ein
verpacktes Werk im Atelier herumsteht.
Früher als geplant ist das letzte Motiv geschossen. Das Fototeam macht sich auf
den Weg zu einer Cocktailbar an der Lagune, der Hausherr ist bereits mit seinem
schwarzen Porsche 911 entschwunden,
der im Hinterhof geparkt war. Im kleinen
Wasserbassin des Innenhofes ziehen ungerührt die Goldfische ihre Bahnen.
Adriano Sack
Bomberjacke sowie
passende Shorts aus
Seidenduchesse.
Darunter: Top aus
Merinowolle
FOTO: ROBBIE FIMMANO C/O STREETERS
STYLING: TOMAS MAIER
SO
LÄSSIG
MIT SWIMWEAR FING ES AN. HEUTE VERBINDET TOMAS MAIERS’ EIGENES LABEL ENTSPANNTEN
GLAMOUR UND QUALITÄT. EIN EINBLICK IN DIE NÄCHSTE SAISON
Digital Technician: Mike Bogart; Assistent 1: Dean Podmore; Assistent 2: Rob Karlsson; Post Production: Maria Fimmano
Haare: Steven Hoeppner c/o Artists by Timothy Priano (ABTP); Make-up: Sir John c/o Streeters NY; Models: Aneta Pajak c/o
DNA & Richie Cotterell c/o DNA; Production: Jennifer Schmidt Bressler
Alle Looks entstammen der Tomas Maier Pre-Fall 2016-17 und Fall/Winter 2016-17 Kollektion
Dark-Denim Jacke, Hemd mit Tartan-Muster und Dark-Denim Hose mit Farbspritzern
32
Kaschmir-Pullover und Graffiti-Tartan Rock
33
Luftiges Baumwoll-PopelineShirt. Darüber: Wollkleid mit
Hahnentrittmuster und
Reißverschluss. Stiefel mit
Prägung aus Lackleder
Rechte Seite: Sweater aus
Merinowolle in Schwarz und
Schiefer, Fleecehose mit
Tartan-Muster und
Sherpa-Stiefeletten
35
Kamelfarbene Cabanjacke aus Wolle, V-Ausschnitt-Pullover aus Kaschmir sowie eine weiße Cordhose
36
Cardigan und Kleid aus Viskose. Schwarze Sneaker: Modell „Malibu“
37
MADE IN
GERMANY
Sie haben ihre Heimat verlassen und eine neue gefunden. Neun deutsche
Kreative, Künstler und Unternehmer, die in den USA leben, über ihren
amerikanischen Traum – und wie sie ihn wahr gemacht haben
FOTOS: RALPH GIBSON
Assistenz: Alessandro Simonetti
Produktion: Jennifer Schmidt Bressler
Elisabeth von Thurn und Taxis
Die Prinzessin aus Regensburg, die als Editor-at-large bei
der amerikanischen „Vogue“ dem Leben Stil einhaucht
D
38
as letzte Mal ist auch schon
wieder zwei Jahre her. Es
war in irgendeinem Keller
im New Yorker Galerienviertel Chelsea. Die Bar hatte der
Künstler Tobias Rehberger mit Camouflagemuster angemalt, die Türsteherin
schaute erst streng, aber dann kulant
über die fehlende Gästelistenplatzierung
hinweg. Und auf dem Dancefloor, überraschend und dann wieder nicht: Elisabeth von Thurn und Taxis. Nur wenige
Menschen beherrschen die Kunst, einem
bei Musik in Flugzeuglautstärke die richtige Dosis an Information und Charme
ins Ohr zu rufen. Man kommt nicht aus
dem Takt, aber die Nacht strahlt gleich
noch ein bisschen heller. Sie gehört dazu.
Nun kommt sie in die Lobby des Hotels
„Marlton“ im West Village. Ein bisschen
runtergekommen, aber mit echtem Kamin. Natürlich ihre Wahl. Unterm Arm
eine Tüte der Biosupermarktkette Wholefoods (obenauf: Brombeeren), eine
Strähne ihres Haares ist rosa gefärbt.
Der Gesprächsfaden ist nach 30 Sekunden wieder aufgenommen. Sie war gerade in Los Angeles, unter anderem bei der
Eröffnung der Galerie Hauser & Wirth.
Sie trainiert derzeit für einen Halbmarathon. Sie hat sich gerade „schwer verliebt“ – in die abstrakten Fotoarbeiten
von Eileen Quinlan. Die Balenciaga-Kollektion von Demna Gvasalia will sie mal
genauer unter die Lupe nehmen, und
JW Anderson findet sie „gigantisch“.
Was sie auch noch interessiert: Wird Karl
Theodor zu Guttenberg ein Comeback
haben, wie manche behaupten?
Ihre Funktion bei der amerikanischen
„Vogue“ heißt „Style Editor at Large“, was
so viel heißt: Sie hat keine Anwesenheitspflicht, aber sie schaut gelegentlich
mal bei Anna rein (Anmerkung der Redaktion: Wintour, die mächtigste Frau
der Modewelt). Und sie kann schreiben,
worüber sie will und was in ihrem Leben
so anfällt: Pendelei zwischen London
und New York, Modenschauen, ein Reitwochenende bei Freunden auf dem Land
in England, das Weihnachtsfest im Familienschloss mit ihrem Jack Russell Terrier Crusty sowie „Dienstboten und 500
Zimmern“, wie es in ihren Memoiren
„Tagebuch einer Prinzessin“ heißt.
Den amerikanischen Spitznamen ihrer
Mutter, „TNT“, hat die Tochter übernommen – der Erfinder gehört in die Hall of
Fame des Celebrity-Journalismus. Aber
im Auftreten ist sie ein bisschen zurückhaltender. Als sie nach New York kam, arbeitete sie zunächst als Assistentin des
Galeristen André Schlechtriem und begann parallel ihre Karriere als Autorin.
Und nebenbei fand sie ihren Stil, der sich
aus Fundstücken aus dem mütterlichen
Kleiderschrank und jungen Labels wie
Molly Goddard zusammensetzt. Als sie
vor einem Jahr eine Obdachlose in Paris
in der „Vogue“ blättern sah, stellte sie ein
Foto davon mit einem launigen Kommentar auf Instagram, was ihr derbe Kritik einbrachte. Die Ferndiagnose „Taktlosigkeit“ ist salopp gesagt Blödsinn: Elisabeth von Thurn und Taxis hat Meinungen und sagt sie auch. Aber Zynismus ist
ihr fremd.
Ihre New Yorker Wohnung ist im selben
Haus wie die der Künstlerin Ena Swansea, die „TNT“ auf einem Pferd sitzend
porträtierte. Der Blick scheint durch den
Betrachter gerichtet, die Haltung makellos, die Schönheit zart verschattet. Es ist
ein paar Jahre alt, aber das Bild kommt
dieser jungen Frau recht nahe. Eine Suchende, wenngleich aus leicht erhöhter
Stellung.
Adriano Sack
Meinungsstark und
immer auf der Suche:
Elisabeth von Thurn und
Taxis hat sich bei der
„Vogue“ durchgesetzt
Rampenlicht ist nicht sein Ding – er kümmert sich lieber um „operative Exzellenz“ und ist dabei ein
Chef geblieben, der für jeden zu sprechen ist: Markus Dohle musste bei Penguin Random House unangenehme
Entscheidungen treffen, als er nach der Finanzkrise antrat – nun beeindruckt sein Erfolg die Amerikaner
40
Markus Dohle
Der Chef von Penguin Random House, der den Verlag sanierte
und dadurch sogar die kritischsten New Yorker überzeugte
A
ls Markus Dohle am 2. Juni
2008 morgens an seinem
neuen Schreibtisch im 25.
Stock der Random-HouseZentrale am Broadway
Platz nimmt, fällt die Sonne über den
Hudson River durch die Fensterscheiben
und erleuchtet die leeren Bücherregale
in seinem prachtvollen CEO-Büro. Die
Bücher hat sein Vorgänger mitgenommen, und Amerikas größtes Verlagshaus
ist schwer angeschlagen. Da klopft es. In
der Tür steht der Star-Autor Dan Brown,
der dem frischgebackenen Großverleger
spontan Hallo sagen möchte: „Ich dachte,
das gibt’s doch nicht“, erinnert Dohle
sich lachend und macht eine Ohnmachtsgeste: „I almost fainted.“
Nach acht Jahren in den USA springt
Dohle fast akzentfrei zwischen den Sprachen hin und her, und Dan Brown ist inzwischen ein guter Freund. Damals blieb
der Schriftsteller bis zum Abend und erfuhr, was die Verlagswelt in den Monaten
darauf am meisten verwunderte: Da war
jemand gekommen, der nicht nur ans
Geschichtenerzählen, sondern auch ans
Zuhören glaubt.
Heute ist Dohle in den 14. Stock umgezogen, in ein Büro, das eher für einen Abteilungsleiter angemessen wäre. Die
oberen Stockwerke hat er vermietet, um
Geld einzusparen. Die Bücherregale aber
sind wieder voll. Auf dem Fensterbrett
stapeln sich die Devotionalien eines Verlegerlebens: ein gerahmter Brief von
Präsident Obama, ein Foto mit der First
Lady, ein Foto mit „41“ (Präsident George
H. W. Bush Sr.) und eines von einem Tennismatch mit Dan Brown. Daneben Bilder aus dem Urlaub auf Juist, wo er mit
seiner Frau Karin und den beiden Kindern Niklas und Julia stets den Sommer
verbringt.
Ausgewachsene Verleger hätten vor der
Aufgabe, Random House zu sanieren,
Angst gehabt. Dohle, der gelernte Wirtschaftsingenieur, den sein Mutterhaus
Bertelsmann früh mit Führungspositionen in anderen Unternehmen betraut
hatte, freute sich eher über die Chance.
Es ist nicht einfach, dem energiegeladenen 47-Jährigen Persönliches zu entlocken. Er nimmt sich dann viel Zeit, bevor
er antwortet. Dabei fällt oft das altmodische Wort „Dankbarkeit“. Es hat viel mit
seinen Wurzeln zu tun, dem soliden Elternhaus im Sauerland, dem sozialdemo-
kratischen Vater, der den beiden Söhnen
mitgab, dass sich harte Arbeit für alle
lohnen muss und dass es wichtig sei, sich
der deutschen Geschichte zu stellen.
Dabei erlebte er alles andere als ein herzliches Willkommen. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Unternehmensspitze in Gütersloh ausgerechnet und ohne Vorwarnung einen Outsider auf diesen Posten setzen würde. Die „New York
Times“ sprach von „Panik“ in der Branche. Die sarkastischen New Yorker Intellektuellen übertrafen sich mit boshaften
Kommentaren über den vergleichsweise
jugendlichen Manager. „Der hat die
Energie einer Springbohne“, hieß es
genervt. In Manhattan werden die Karrieren unter dem Brennglas geprüft. Da
muss man Hitze aushalten.
Vielleicht hat sein breites Lächeln, das er
wie eine Signatur mit sich herumträgt,
damals die Mitarbeiter und Autoren verunsichert. Heute steht ein riesengroßer
Teddy hinter seinem Schreibtisch. Leonard Riggio, der Gründer von Amerikas
wichtigster Buchladenkette Barnes &
Noble, hat ihn geschickt. Dohles Erfolg
beruht darauf, so zu sein, wie Amerika
einmal war: optimistisch, zupackend, reformorientiert. Dohle hält gern den Daumen hoch. Auf dem letzten Foto mit der
Belegschaft tun es ihm die Mitarbeiter
gleich. Er legt Wert darauf, ein Chef zum
Anfassen zu sein.
Krisen und Herausforderungen hat es
genug gegeben, seit er das globale Unternehmen führt. Kurz nach seinem Amtsantritt 2008 wankte die US-Wirtschaft in
die schlimmste Krise seit den 30er-Jahren. Die Buchverkäufe stürzen in den
Keller. Immer mehr Autoren nutzten die
digitalen Möglichkeiten, um sich selbst
zu veröffentlichen. Der E-Commerce-Gigant Amazon griff die klassischen Verlage frontal mit eigenen Verlagsaktivitäten, Self-Publishing und dem massiven
Ausbau des E-Book-Geschäfts an. Im
Sommer 2013 dann sollte Dohle die beiden Verlagsgiganten Random House und
Penguin so geräuschlos wie möglich zusammenführen, nachdem, für viele
überraschend, die Kartellbehörden auf
beiden Seiten des Atlantiks den Deal abgenickt hatten. „Ich wollte, dass das der
langweiligste Merger der Verlagsgeschichte wird“, sagt Dohle, der gern
überlegt und bedacht agiert. Rampenlicht ist ohnehin nicht sein Ding. Er kon-
zentriert sich lieber auf „operative Exzellenz“ und nachhaltige Entscheidungen.
Nun leitet er das größte Verlagshaus der
Welt mit großem wirtschaftlichen Erfolg. 250 Verlage in mehr als 20 Ländern
arbeiten unter dem Dach von Penguin
Random House. Verkauft werden die Bücher in mehr als 100 Ländern. Die
Wachstumschancen in neuen Märkten
sind laut Dohle „gigantisch“. Das Mutterhaus Bertelsmann erwägt, die Unternehmensanteile bald aufzustocken.
Selbst Branchenexperten wie der MegaAgent Andrew Wylie zollen dem fröhlichen Deutschen Respekt. Als es zwischen den beiden zu einer Art Pattsituation wegen des Vertriebs digitaler Bücher kommt, bricht Dohles offene Art
das Eis. Es sei das ehrlichste Gespräch
seiner langen Laufbahn gewesen, sagt
Wylie anerkennend. Seither arbeiten die
beiden noch enger zusammen als zuvor.
Dohle ist das, was man auf Englisch „the
real deal“ nennt. Jemand, der seine Werte
nicht seinen Interessen opfert: „Eine Wertegemeinschaft zu sein, ist der größte
Wachstumstreiber und Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens“, sagt er. „Die
Leute wollen nicht nur bei uns arbeiten,
sondern auch mit uns.“ Spätestens als
Dohle und sein Team die Idee hatten, die
Mitarbeiter nach dem gigantischen Bestseller „Fifty Shades of Grey“ am Erfolg zu
beteiligen, hat er die Herzen der Mitarbeiter erobert. Als er auf der Weihnachtsfeier
2012 ankündigte, dass vom Starlektor bis
zum Lagerarbeiter jeder denselben Bonus
von 5000 Dollar bekommt, gab es stehende Ovationen für den Mann, der oft in
Jeans und dunklem Rollkragenpulli zu sehen ist. Die zahlreichen Entlassungen, die
zur Sanierung notwendig waren, hat man
ihm verziehen.
Trotz seiner Umtriebigkeit erkennt ihn
nicht jeder. Vor Kurzem stellte Neil
MacGregor, der neue Präsident des Humboldt Forums, sein Deutschland-Buch
„Erinnerungen einer Nation“ im New Yorker Century Club im Beisein von 100 Autoren und Journalisten vor. Dohle stand
in der Warteschlange. Eine Stofftasche
mit Büchern über der Schulter, stellte er
sich vor: „Ich bin Markus Dohle. Ich arbeite für Penguin Random House.“ Nur unwillig setzte er sich in die erste Reihe,
blieb interessiert bis zum Ende. Dann verschwand er so unauffällig wie er gekommen war.
Huberta von Voss
41
Ute Lemper
Der deutsche Showstar, der sich in die amerikanische
Mentalität des „Go for it“ verliebt hat
V
42
om Pausenhof dringen Kinderstimmen in das Studio. Die
Terrassentür steht offen und
lässt das Mittagslicht in den
Raum. Ute Lemper steht in einem asymmetrischen schwarzen Oberteil und einem engen Rock, wo Starfotograf Ralph Gibson sie gern haben will,
und schaut in die Ferne. Das sieht gut aus
und gleichzeitig irgendwie verkehrt.
Man könnte sich den Weltstar jetzt viel
besser in Jeans und mit Gartenhandschuhen vorstellen. Hier oben, in diesem kleinen Penthouse, das an ein Adlernest erinnert, ist sie weit weg von der Geschäftigkeit der Upper Westside New Yorks.
Hier landet die Sängerin und Schauspielerin stets nach ihren ausgedehnten Konzertreisen und genießt die Intimität des
Ortes: „Ich fühle mich in dieser Abgeschiedenheit sehr wohl“, sagt sie.
Noch warten die ersten Knospen ungeduldig auf beständige Wärme. Bald wird
sich der Garten in ein Blütenmeer verwandeln, ein Vierjähriger wird auf dem
Dreirad mit seinen Superheroes über
den Holzboden knattern und Zacky, der
gemütliche Minipudel, muss aufpassen,
dass niemand auf ihn tritt. Vielleicht sitzt
bald die 19-jährige Stella mit einem Buch
in der Hand im Schatten und diskutiert
mit ihrer Mutter über Literatur. Vielleicht braucht der älteste Sohn Max Rat,
wie man die Manschettenknöpfe durchs
Hemd fädelt, weil auch 21-Jährige als Investmentbanker einen Dresscode einhalten müssen. Vielleicht bringen auch ihr
Mann und ihr zehnjähriger Sohn Jonas
Pizza aus dem dritten Stock, wo die Familie wohnt, nach oben. Die Frau, die als
Musicalstar und Weill-Interpretin von
Münster aus die Welt eroberte und seit 35
Jahren nie stillzustehen scheint, ist ein
lebendes Ensemble: verführerische Bühnendiva, hart arbeitende Musikerin, ausgezeichnete Komponistin mit Liebe zu
Literaturvertonungen und Mutter der
Kompanie, die dafür sorgt, dass die Rechnungen bezahlt werden und die Kinder
ihre Hausaufgaben erledigen.
Ihr zweiter Mann, der Musiker Todd Turkisher, ist amerikanischer Jude und ein
„herrlich neurotischer Mensch“, wie sie
lachend zugibt. Amerikanerin ist sie
trotzdem nicht geworden, auch wenn die
Stadt New York nach jahrelangen Engagements in Paris, London und Berlin ihre
Heimat geworden ist. So viel Heimat, wie
Lemper gerade noch erträgt, ohne sich
eingegrenzt zu fühlen. New York zwinge
sie nicht, sich mit etwas zu identifizieren, erzählt sie. Die Stadt bediene das
„ganze Register von wunderbar bis
furchtbar“, von bedrückender Armut in
Harlem über die Shoppinghölle Midtowns, den experimentellen Jazzclubs,
der Kunst, und dem Kiez-Gefühl mitten
in seiner „Hood“ wie in einer Dorfgemeinschaft zu leben. Minus den engen
Urteilen, die geschlossene Gesellschaften
sonst auszeichnen. Als Ute Lemper mit
Ende 40 ihr viertes Kind bekam, gab es
keine indiskreten Fragen oder hochgezogenen Augenbrauen: „Ich mag diese
Mentalität des ,Go for it‘, und dass die
Menschen nicht so moralistisch sind.“
Das war ihr schon im konservativ katholischen Umfeld ihrer Kindheit suspekt.
Und doch gibt es immer wieder Momente, in denen sie sich als Europäerin fremd
fühlt: „Das Mainstream-Amerika ist mir
sehr fern in seiner nicht gut informierten Blasiertheit“, sagt sie.
Aber es hat sie mit offenen Armen aufgenommen. Als sie Ende der 80er-Jahre
von der Plattenfirma Decca für ein Projekt über „entartete Kunst“ engagiert
wurde und ihre erste Kurt-Weill-Aufnahme herauskam, stand die CD 50 Wochen
in den USA auf Platz eins der Cross-overCharts.
Die Aufnahme von Musik, die in Konzentrationslagern komponiert wurde, ist ihre Mission geblieben. Als die israelische
Gedenkstätte Yad Vashem sie für ihr jahrzehntelanges Engagement ehrte, blieb
ihr abends auf der Bühne minutenlang
die Stimme weg. Als sie wiederkehrte,
standen die Holocaust-Überlebenden auf
und sangen die Lieder mit, die Ute Lemper ihnen im unvergleichlichen Sound
der 20er-Jahre zurückgab.
Nach Deutschland kommt sie gern und
häufig zurück. Obwohl die deutschen
Kritiker – im krassen Gegensatz zur internationalen Presse – Anfang der 90erJahre teilweise hart mit ihr ins Gericht
gingen, fühle sie sich dort heute sehr geliebt und respektiert. Ab Mai tourt sie mit
„Die Schriften von Accra – 9 Geheimnisse“, einer Vertonung von Texten des brasilianischen Bestseller-Autors Paulo Coelho. In einem der Texte heißt es: „Die
Natur sagt uns: Verändere dich! Wachse
und scheue keine Herausforderung. Und
jenen, die das Abenteuer scheuen, da es
Risiken birgt, sage ich: Versuche es mal
mit Routine. Die ist garantiert tödlich.“
Der Satz könnte auch von Ute Lemper
kommen.
Huberta von Voss
Angekommen in der Stadt,
die nach ihren Worten alles
von „wunderbar bis furchtbar“ kennt: Ute Lemper
43
„Ich bin Hanseat, für mich ist Ehrlichkeit ganz wichtig“, sagt Tobias Meyer. Von 1997 bis 2013 war er Auktionator
bei Sotheby’s und brach diverse Rekorde. Die „Orange Marilyn“ von Andy Warhol verkaufte er 1998 für 16 Millionen
Dollar, einen Mark Rothko für 72 Millionen Dollar. Er veränderte damit den internationalen Kunstmarkt
44
Tobias Meyer
Der private Kunstberater, der Händler aus
Leidenschaft ist und Kunstwerke zum Sprechen bringt
L
eider findet das Interview
am Telefon statt, der Mann
ist viel unterwegs. Während
des Gesprächs schickt er Bilder einer kleinen Picassoskulptur und eines Gemäldes von Antonello da Messina. Ganz klar: Tobias Meyer, 53, will Liebe zur Kunst wecken.
Selbst wenn 6384 Kilometer und der Atlantik zwischen ihm und seinem Gesprächspartner liegen.
Guten Morgen, Herr Meyer. Wie beginnt
Ihr Tag in New York, wenn Sie zufällig
mal in der Stadt sind?
Mein Mann Mark und ich lesen um sieben Uhr die „New York Times“ von vorne
bis hinten. Am liebsten auf Papier. Das ist
für mich wichtig, weil es so eine Objekthaftigkeit hat. Um Viertel nach acht gehe
ich ins Gym, damit mein Arzt mit mir zufrieden ist. Natürlich habe ich vorher bereits die Korrespondenz mit Europa erledigt. Ab zehn Uhr bin ich im Büro und
führe den ganzen Tag Kundengespräche.
Am liebsten schaue ich mir mit den Leuten ein Objekt an. Im Museum, im Atelier, im Auktionshaus. Meine Dialogfähigkeit ist dann besser.
Wie wichtig sind Kunstmessen?
Ich fahre nach Basel, Maastricht und zur
Masterpiece in London. Schon zur Art
Basel Miami Beach gehe ich eigentlich
nicht. Daran erkennen Sie, dass mein
Portfolio eher klassisch ist.
dem, was ich verkaufe, soll es keine Variablen mehr geben. Deswegen setze ich
auf Rothko, Richter oder Warhol.
Mit denen hatten Sie ja schon bei Sotheby’s zu tun.
Mein Talent ist es, wenn ich das so sagen
darf, ein Kunstwerk sprechen zu lassen.
Wie machen Sie das?
Ich gebe den Menschen Zeit, die Kunst
zu erleben. Sie kann überwältigend oder
verwirrend sein. Ich suche das aussagekräftigste Bild und führe den Menschen
darauf hin. Dann sagt das Werk, was es
sagen soll. Ohne Nebengeräusche und
Ablenkungen. Schauen Sie sich „Annunzatione“ von Antonello da Messina an.
Die Frau, die die Hand zu Ihnen ausstreckt. Eines der wichtigsten Bilder der
Frührenaissance. Und eines der ersten,
das Sie als Betrachter einbezieht. Sie
sind der Erzengel, der Maria verkündet,
dass sie die Mutter Gottes sein wird. Und
sie wehrt mit den Händen ab und sagt:
„Ich will damit nichts zu tun haben.“
Welcher Ihrer Rekorde als Auktionator
steht noch?
Ich hoffe keiner. Die Arbeit als Auktionator ist wie Surfen: Man muss die Welle
reiten, wenn sie kommt.
Entspricht das Ihren Vorlieben?
Um ganz ehrlich zu sein: Wenn Kunst
heute passiert, macht sie mich nervös.
Ich brauche fünf bis sechs Jahre Distanz,
um sie zu verstehen.
Hatten Sie feuchte Hände, als sie die
„Orange Marilyn“ von Andy Warhol für
16 Millionen Dollar verkauften, das vierfache des damaligen Marktpreises?
Als wir über 10 Millionen kamen, stöhnte
einer im Publikum „Oh my God“. Aber
ich habe eine sehr hilfreiche Angewohnheit: Ich werde unter Druck unheimlich
ruhig. Und es war ja nicht mein Geld.
Das ist ja fast eine Frechheit, in einem
Kunstmarkt der so atemlos geworden ist...
Für die ganz neuen Sachen ist Mark Fletcher zuständig, der mit jungen Künstlern
arbeitet. Er kam schon vor 15 Jahren mit
Dan Colen und Nate Lowman zusammen
und war mit Terence Koh befreundet.
Sie haben mal auf den Megahändler
Larry Gagosian gewartet, als der Akku
seines Mobiltelefons leer war, und er nicht
weitersteigern konnte, weil er seinen
Kunden nicht erreichen konnte. Hat er
sich bei Ihnen bedankt?
Der bedankt sich bei niemandem (lacht).
Bei Terence Koh hat man gesehen, wie
schnell ein Künstler teuer werden kann.
Und dann verschwindet.
Die nächste Generation ist schon wieder
viel nachdenklicher. Die wollen das
American Idol System in der Kunst nicht
mehr. Die misstrauen dem Markt. Bei
In Ihren früheren Statements haben Sie
sehr unsentimental über Rekordsummen
und Wertsteigerungen gesprochen. Ist
Ihnen Geld wichtiger als Kunst?
Die Brutalität hatte vor allem einen
Grund: Ich wollte nichts Dummes sagen.
An meiner Liebe zur Kunst hat das nichts
geändert. Die empfinde und lebe ich jeden Tag. Ich habe kürzlich einen kleinen
Picasso gekauft. Er hatte 1938 einen Stein
am Strand gefunden und ein bisschen
Plastilin darunter montiert. Voilá: eine
Eule. Er hat sie sein Leben lang behalten.
Sie hat übrigens nicht viel Geld gekostet.
Der Sammler Ronald Lauder erzählt
gern, wie er in seiner Zeit als Botschafter
in Wien immer wieder ins Belvedere ging,
um Klimts Bild von Adele Bloch-Bauer zu
betrachten. Wer ist Ihre Adele?
Der Junge mit dem Pferd von Picasso. Er
hängt im Museum of Modern Art. Ist Ihnen aufgefallen, dass er keine Zügel in
der Hand hat?
Was glauben Sie, warum?
Weil man die Natur nicht beherrscht.
Und auch nicht die Zukunft.
Warum haben Sie Ihre schöne Wohnung
am Columbus Circle verkauft?
Es gab ein gutes Angebot: Ein Brasilianer, der alles mit erworben hat. Die Möbel, die Wandbemalung des Künstlerkollektivs AVAF, sogar das Bett ... Außerdem
war in dieser Wohnung der ganze Wahnsinn des Kunstmarktes schon umgesetzt.
Die wilde Mischung der Stile, die bunten
Farben. Die neue Wohnung wird viel
ernsthafter. Da gibt es nur Richard
Prince, Andy Warhol und indische
Skulpturen. Das ist die neue Zeit. Und
das ist auch das Schöne an Amerika. Man
ist nicht der Gefangene von Objekten.
Sie haben ein Landhaus mit Daniel Libeskind gebaut. Wer war schwieriger:
Auftraggeber oder Architekt?
Es war eine einzige Liebesgeschichte
zwischen Mark und Daniel. Wir hatten
noch nicht einmal einen Vertrag.
Wie relaxt es sich denn in einem „russischen Konstruktivistenvogel“, wie Libeskind seinen Entwurf nannte?
Das muss man lernen. Unser Architekturempfinden beruht auf dem rechten
Winkel. Wenn Sie in einem Haus sind,
wo nichts vertikal ist, ist man zunächst
irritiert und weiß gar nicht, wo man sich
hinsetzen soll. Das Gute daran: Auch die
Gedanken kommen in Bewegung. Und
weil die Natur durch die großen Fenster
ins Haus kommt, ergibt sich am Ende
doch eine Balance.
Adriano Sack
45
Felix Burrichter
Der Verleger und Kurator, der das erste
sexy Architekturmagazin der Welt gegründet hat
S
46
chuhe aus“, bellt die chinesische Massagekraft, obwohl die
Kunden bereits nur noch in ihren Strümpfen dasitzen. Die
Sessel könnten aus dem Fundus der Frequent Flyer Lounge einer arabischen Fluglinie stammen, hinter der
Dame blubbert ein kleinformatiges
Aquarium, durch die Tür dringt verhalten
der Lärm der Canal Street an einem geschäftigen Samstagnachmittag. Im Nachbarsessel: Felix Burrichter, 38, der vor
zehn Jahren das Magazin „PIN–UP“ gegründet und damit der Welt der Architektur und des Designs einen entscheidenden Stups gegeben hat.
Bis dahin wurden in den Fachzeitschriften entweder hübsche Fotos mit überschaubarem Informationsgehalt gedruckt oder es wurden stadtplanerische
und ästhetische Debatten geführt, vorzugsweise in Schwarz-Weiß, die für den
Laien unzugänglich und deshalb egal waren. Burrichter aber nennt sein Heft ein
„Magazin für architektonische Unterhaltung“ und bringt damit auf den Punkt,
was die Baukunst idealerweise ist: eine
Schnittmengendisziplin, in der Soziologie, Kunst, Popkultur, Ökonomie, Begehren und vermutlich noch 17 weitere
Großthemen kulminieren.
Entertainment ist in seinem Fall mehr als
ein leeres Versprechen. Mit einem normalen Termin in einem Café oder in der
kleinen Besprechungs-Glasbox seines
Gemeinschaftsbüros gibt sich dieser
Mann nicht zufrieden. Dafür ist er viel zu
beschäftigt: Die neue Ausgabe geht in ein
paar Tagen in den Druck. Und zudem ist
er viel zu neugierig und vergnügungssüchtig. Warum an einem wackligen
Tisch sitzen, wenn man sich in einem
Loungechair fläzen und eine Massage teilen kann?
„Ich hatte schon als kleiner Junge immer
vier Traumberufe: Diplomat. Modedesigner. Architekt – oder Friseur“, erzählt er
in typischem, sich selbst überholendem
Duktus: „Architekt schien mir die optimale Mischung aus Seriosität und fun.“
Zwischen halbernsten Schmerzensseufzern – die Hände der Masseurin walken
mit der Energie eines Traktors – rattert
Burrichter seinen Lebensweg herunter.
Er nennt es die „ollen Kamellen“. Er studierte an der École Spéciale d’Architecture in Paris, Mitgründer: Viollet-le-Duc,
Hausgott: Le Corbusier. Nebenbei jobbte
er bei dem Modemagazin „Numéro“.
Nach bestandenem Diplom zog er nach
New York. Hier erlebte er gleich eine Reihe von Kulturschocks und Enttäuschungen. Aus jeder dieser Erfahrungen ging
er gestärkt hervor. Und mit einem klareren Bild davon, was er wirklich wollte.
Zunächst heuerte er bei dem Artdirector
Fabien Baron an. „In den 90ern hatte ich
mein ganzes Taschengeld am Düsseldorfer Hauptbahnhof für die ,Harper’s Bazar‘
ausgegeben, die Fabien damals machte“,
erklärt Burrichter.
Der Arbeitsalltag sah dann weniger glamourös aus. „Ich hatte fünf Jahre lang im
Louvre Skulpturen gezeichnet, und jetzt
musste ich die Valentinstagsverpackung
für das Unisexparfüm CK Crave für Macy’s falten.“ Er schrieb sich für den Master
an der Columbia University ein, und war
es in seiner Pariser Schule um Grundrisse und Sozialbauten gegangen, konnte es
in New York nicht verrückt genug sein.
„Die erste Aufgabe war, einen Turnschuh
zu kaufen, auseinanderzunehmen, daraus eine Collage zu machen und daraus
wiederum ein Kasino zu entwerfen, das
gleichzeitig auf einem historischen Krieg
beruht.“ Sein erster richtiger Job war bei
KPF, eine der riesigen, internationalen
Architekturfabriken, seine Motive waren
klar. „Ich brauchte Geld und eine Aufenthaltserlaubnis.“ Während er auf die Papiere wartete, musste er für ein paar Monate nach Europa und arbeitete in Amsterdam für die beiden Magazinmacher
Gert Jonkers und Jop Van Bennekom, die
gerade mit „Fantastic Man“ eine vollkom-
men neue Art des Männermodemagazins
erfunden hatten. „Ohne die beiden hätte
ich ,PIN–UP‘ niemals gegründet“, sagt
Burrichter.
Im Oktober 2006 erschien die erste Ausgabe. „,PIN–UP‘ ist ein Begriff aus der Architekturschule: Man hängt seinen halbfertigen Entwurf vor der eigentlichen
Präsentation an die Wand. Nicht hochpoliert, sondern ,work in progress‘“, erklärt
Burrichter: „Deswegen war das ungemachte Bett von Rick Owens auch ideal
für das erste Cover.“ Und ähnlich furios
ging es weiter. Mal bejubelte das Magazin
das Interiordesign der Fernsehserie
„Denver Clan“ („die mythenumrankte
Treppe“), mal interviewte man Anca Petrescu, die Architektin des durchgeknallten „Volkspalasts“ in Bukarest, mal räkelten sich italienische Fernsehstarlets auf
den Neuheiten der Mailänder Möbelmesse. Als ihm im Sommer 2009 der eigentliche Job gekündigt wurde – der ganzen
Branche brachen infolge des Finanzcrashs die Aufträge weg –, wusste er, dass
er mit dem Hobby ernst machen musste.
„Meine Kündigung war im Nachhinein
ein Segen. Heute kann ich von ,PIN–UP‘
gut leben.“ Inzwischen hat der Verleger
auch mehrere viel beachtete Ausstellungen kuratiert – unter anderem über Independent Publishing im Haus der Kunst in
München oder über die Zukunft des
Wohnens im Swiss Institute in New York
– und das Buch mit den „PIN–UP“-Interviews (Richard Meier, Zaha Hadid, Jean
Nouvel u. a.) ist ein moderner Klassiker.
Die Fußmassage ist nun beendet. Später
gibt es dann noch eine Ausstellungseröffnung im MoMA: eine Installation des jungen Künstlers Neïl Beloufa, der gerade so
unglaublich hot ist. Ein Freund stellt in
einem Loft in Soho seine Teppichkollektion vor. Und irgendwie stimmt der Seitenplan der nächsten Ausgabe auch noch
nicht so ganz. Das kann man wohl stressig und atemlos nennen. Oder einfach
New York City.
Adriano Sack
Rastlos in New York
City: „PIN–UP“-Chef
Felix Burrichter
47
Die Architektin Annabelle Selldorf landete eher zufällig in New York. Heute möchte sie nur hier leben – und fühlt sich dennoch ihrer Heimat verbunden
48
Annabelle Selldorf
Die Architektin, die Kunst und Kultur einen vom
Zeitgeist unabhängigen baulichen Rahmen gibt
A
ls William Steinway, alias
Wilhelm Steinweg, 1925
seine
Geschäftsräume
schräg gegenüber der Carnegie Hall in Manhattan
bezog, war schon klar, dass sich dort die
weltbesten Pianisten vor großen Konzerten warm spielen würden. Vladimir Horowitz, Artur Rubinstein, Hélène Grimaud – sie alle machten den Ort mit der
Zeit zu einer Pilgerstätte für Klaviermusik. Knapp 90 Jahre später fällt das Gebäude dem aktuellen Bauboom zum Opfer. Wo einst aus den berühmten Flügeln
perlende Klänge durch die Fenster auf
die laute Straße drangen, herrscht jetzt
Baulärm. Auf der 111 West 57. Straße steht
seit zwei Jahren mit fast 70 Metern der
höchste frei stehende Kran New Yorks,
um ein Apartmenthaus der Superlative
zu bauen.
Keine leichte Aufgabe für Michael Sweeney, den CEO von Steinway & Sons, eine
neue Bleibe und den richtigen Architekten für das heimatlose Unternehmen zu
finden: „Wir ziehen nur einmal pro Jahrhundert um. Da muss dann alles stimmen.“ Dass er bei Annabelle Selldorf landete, verwundert nicht. Die gebürtige
Kölnerin gilt seit Jahren als Spezialistin
für Räume, die so subtil zurückgenommen sind, dass die darin stattfindende
Kunst hautnah erfahrbar ist. Wer die
ganz große, laute Geste will, geht nicht
zu Selldorf Architects. Wer an die Kraft
von eleganter Reduktion und maßvollen
Proportionen glaubt, muss dorthin. „Wir
hatten die Aufgabe, die Leidenschaft und
Sorgfalt, die die Firma in den Bau der
besten Instrumente investiert, in Räume
zu übersetzen, die sich für das Publikum
in neuer Weise öffnen“, erklärt die WahlNew-Yorkerin die Herausforderung, eine
Institution mit Erfolg zu verpflanzen.
Gerade wurde unter Beifall das neue globale Headquarter von Steinway & Sons
auf der Avenue of the Americas eröffnet.
„Ihre Elefantenherde“ nennt sie die Flügel humorvoll. Gerade kommt sie aus einem Meeting mit ihren vier Partnern,
darunter drei Frauen. Bio-Tee steht auf
dem Tisch, die Stimmung ist trotz ein
paar Dutzend laufender Projekte entspannt.
Seit die Deutsche 2001 im Auftrag des
Mäzens Ronald S. Lauder auf der Fifth
Avenue eine prachtvolle Beaux-Arts-Villa mit ihrer einfühlsamen Ästhetik zur
„Neuen Galerie“ umbaute, gilt sie als ers-
te Adresse der Kunstwelt. Es folgten Aufträge für Neu- und Umbauten von angesehenen Galerien wie David Zwirner,
Hauser & Wirth und Gladstone sowie
von Museen quer durch Amerika und
Europa – darunter das Museum of Contemporary Art San Diego und das GlasMuseum Le Stanze del Vetro in Venedig.
Mit ihrem präzisen Auge machte sich die
Frau mit der ruhigen Ausstrahlung außerdem einen Namen für Ausstellungsdesign. Bereits fünfmal betraute sie der
Mega-Kunsthändler Larry Gagosian damit, Werke von Picasso, Monet, Rauschenberg und anderen Künstlern zu arrangieren. Als Selldorf im Frühjahr 2009
die Show „Picasso: Mosqueteros“ mit
späten Werken des Spaniers einrichtete,
bildeten sich Schlangen auf der 21. Straße in Chelsea.
„Ich bin nicht der Liebling der Kunstwelt, weil ich nett bin, sondern weil ich
denen etwas zurückgeben kann“, stellt
die vielfach ausgezeichnete Architektin
fest. „Und ich nehme für mich in Anspruch, eine kreative Leistung zu erbringen, die speziell ist. Die Kunden
kommen zu mir, wie man zum besten
Zahnarzt geht.“ 65 Mitarbeiter sind heute in ihrer Firma am Union Square tätig –
in dem Gebäude, in dem einst Andy Warhol seine berühmte Factory hatte. Der
Schlüssel zum Erfolg liegt im aufmerksamen Zuhören. Sensibilität gegenüber
dem Kunden prägt den Dialog: „Kompetenz kann man sich beweisen lassen,
aber am Ende geht es darum, ob man die
Seele einer Firma oder eines Auftrags
versteht. Man muss sich gegenseitig zuhören und nachschauen, ob man dieselben humanistischen Werte hat.“
Nach New York verschlug es die Tochter
des Designers und Architekten Herbert
Selldorf eher aus Zufall, weil sie keinen
Studienplatz in Deutschland bekam. „Ich
hatte vom ersten Tag an diese tiefe Affinität zu New York. Die Stadt hat mich nie
eingeschüchtert, sondern sofort neugierig gemacht. Man wird immer wieder
aus seiner vorgefassten Meinung rausgezogen.“ Als dann doch ein Studienangebot aus Berlin kam, habe sie beschlossen
zu bleiben. „Ich kann hier das, was ich zu
bieten habe, besser verwirklichen. Deutsche sind im Ausland oft am besten.“
Sie habe nach wie vor eine sehr starke
Verbindung zu Europa und Deutschland,
aber sei leidenschaftliche New Yorkerin.
Auch privat hat sie hier ihr Glück gefun-
den und lebt seit vielen Jahren mit Thomas Outerbridge zusammen, dem Manager einer von ihr in Brooklyn gebauten
Recycling-Anlage. Am Washington
Square, an dem das Paar wohnt, sieht
man beide oft mit ihrem Mischling Jussi
spazieren, einer Mischung aus Corgi und
Labrador. Das von ihr fertigstellte LuxusApartmenthaus an der Bond Street haben sie nicht bezogen: „Ich mag es im
Univiertel, dort hat sich New York weniger verändert als andernorts.“ Im Sommer ist der ganze Platz voll mit Musikern
und auf dem Weg zur Arbeit kommt sie
über den Wochenmarkt am Union Square, wo der Duft von Obst und Blumen die
Luft erfüllt.
Amerikanerin ist sie nicht geworden.
„Ich bin und bleibe Deutsche. Es gibt keinen Grund, das zu ändern. Dann muss
ich mich auch nicht mit Trump identifizieren“, meint sie trocken. Was sie an
Amerikanern schätze, sei ihre Unvoreingenommenheit. Es fasziniere sie nach
wie vor, wie sich die diversen Kulturen in
Amerika gegenseitig im Denken beeinflussen. „Hier werden unterschiedliche
Meinungen nicht so hastig in Vorwürfe
verwandelt. Es ist von Anfang klar, dass
es nicht nur eine mögliche Sichtweise
gibt.“ Als Architektin steht sie oft vor der
Aufgabe, ein bestehendes Gebäude im
Respekt vor dem Werk eines anderen Architekten zu modernisieren. „Wir Deutschen unken gerne. Den Amerikanern ist
das eher fremd. Es gibt einen Grundoptimismus, der uns oftmals abgeht. Mir gefällt die Chuzpe, die Lust am Wagnis, die
Kreative hier zeigen. Das macht mich
frei.“
Im Moment arbeiten sie und ihre Kollegen, darunter viele Frauen, neben den
zahlreichen anderen Projekten pro bono
an dem Bau einer Schule im bitterarmen
Sambia. „Es ist toll zu sehen, wie das ganze Team voll an Bord ist und wie enthusiastisch alle sind. Wir hoffen, dass unser
Gebäude ein Modell für weitere Schulbauten sein kann.“
Dann muss Annabelle Selldorf weiter.
Ihr Terminkalender ist auf Monate hinaus mit Ortsbesichtigungen ausgebucht, die kreuz und quer über den Atlantik reichen. Wer die Essenz ihrer Architektur erfahren will, sollte auf der
nächsten Tour im Amangiri Resort in der
Wüste Utahs haltmachen. Aber Vorsicht:
Kann sein, dass Sie dort nie wieder wegwollen.
Huberta von Voss
49
Roland Emmerich
Der Blockbuster-Regisseur, der glaubt, schon in einem
früheren Leben Amerikaner gewesen zu sein
D
ie Gebäude am Cahuenga
Boulevard in Century City
sind nicht besonders glamourös, auch wenn Hollywood nur einen Hügel entfernt ist. Hier sitzt Roland Emmerich seit
Tagen in seinem Schneideraum. Der
nächste „Independence Day“ muss
„a.s.a.p.“ fertig werden, und so wahnsinnig viel Zeit bleibt nicht mehr. Der Regisseur stürmt ins Büro, gleich hinter
den leer gefegten Schreibtisch. Er trägt
die übliche Emmerich-Uniform: weißes
T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. Und trotz aller Reduktion: Es ist wahrscheinlich
egal, wo man sich mit Roland Emmerich
trifft. Glamourös ist es irgendwie immer.
Sie haben Ihren Geburtsort Sindelfingen
vor 26 Jahren verlassen. Ist Heimat nur
eine Illusion oder eine Ideologie?
Könnte sein. Ich empfinde Deutschland
heute wie Ausland. Nur im Haus meiner
Mutter fühle ich mich heimisch. Wenn
ich zur Tür rausgehe und durch Stuttgart
laufe, ist es schon wieder merkwürdig.
Obwohl sich in Deutschland viel getan
hat. Ich finde, es ist offener als früher.
Ihr Grundgefühl in Deutschland, heute?
Das Land ist anstrengend für mich. Und
es ist interessant, wie die Leute mich bewerten. Neulich hat jemand zusammengestellt, was damals über meinen Film
„Independence Day“ geschrieben wurde
– und was heute dazu gesagt wird. Das
klafft weit auseinander. Mir wird dann
immer klar: Ich habe einfach nicht nach
Deutschland gepasst.
50
Wann haben Sie gespürt, dass es Zeit ist
zu gehen?
Ich weiß sehr genau, wann dieser Moment war. Ich stellte während der Berlinale 1990 meinen Film „Moon 44“ vor
und hatte circa 30 deutsche Journalisten
zum Interview eingeladen. Die erste Frage lautete: Warum machen Sie solche Filme in Deutschland und nicht in Amerika? Dann sagte einer der Journalisten,
das sei doch klar, ich würde es in Amerika nicht schaffen. Ich hatte tatsächlich
mein erstes Angebot dort abgelehnt.
Aber zwei Tage später rief mich Mario
Kassar an, um mit mir einen 80-Millionen-Dollar-Film zu machen. Ich dachte:
Das passt ja supergut. Ihr könnt mich alle
mal, ich gehe jetzt nach Hollywood. Mir
haben die Filme von Martin Scorsese,
George Lucas und Francis Ford Coppola
ohnehin bereits an der Filmhochschule
besser gefallen.
Normal, oder?
Nicht unbedingt. Zu meinen Filmschulzeiten wollte jeder der nächste Wim
Wenders oder Fassbinder werden. Ich
wollte aber kommerzielle Filme machen.
In Deutschland hieß es dann gleich, ich
wolle mich verkaufen. Aber Filme kosten nun einmal Geld. Ich fand das immer
schon einen solchen Widerspruch. Filme machen – aber kein Geld ausgeben.
Brachten die ersten Tage in Hollywood
das große Durchatmen?
Das erste Jahr war superhart. Ich habe
mich mit dem Produzenten Joel Silver
nicht verstanden. Er wollte mir sein
Team aufdrücken, nahm keine meiner
Anmerkungen ernst. Ich sagte ihm dann
immer: „Wer ist hier der Regisseur?“ –
und er beschimpfte mich als „Film-Nazi“.
Ich schrieb mein eigenes Drehbuch, er
weigerte sich, es zu lesen. Da bin ich zu
Mario Kassar und sagte. „Danke, dass Sie
mich für einen Film geholt haben, aber
ich muss leider kündigen.“ Er sagte nur:
„Gut, dann bekommst du deine 250.000
Dollar nicht.“ Ich sagte ihm, mir sei das
wurscht. Ich bräuchte das Geld nicht.
Ein hollywoodmäßiger Auftritt, obwohl
Sie ja gerade erst angekommen waren.
Es war eine Sensation, denn ich ging
noch weiter, ich feuerte meinen Agenten, meinen Anwalt, eigentlich alle!
Das klingt, als wäre es ein gutes Gefühl
gewesen.
Es hat sich gelohnt. Mario Kassar bot mir
bald wieder einen neuen Film an, „Universal Soldier“. Dazu schrieb ich dann
mein eigenes Drehbuch, und alles war
wieder auf null. Ich konnte loslegen.
Alles in allem kein ungefährlicher Einstieg für einen Expat in Hollywood. Woher hatten Sie den Mut, sich nicht unterzuordnen?
Ich hab damals meinen Vater zurate gezogen. Er sagte mir: „Oft ist es wichtiger,
zu welchen Dingen du nein sagst, statt zu
welchen ja.“
Dann kam „Independence Day“, ein
Riesenerfolg. Fühlten Sie sich ab dann
zugehörig?
Ich weiß nicht, ich nahm das gelassen.
Ich glaube, Erfolg muss man genauso
nehmen wie Misserfolg. Man muss akzeptieren, dass es auf und ab geht, die
ganze Zeit. Das lernte ich in Amerika
sehr schnell. Geld auf der Seite zu haben
macht einen großen Unterschied. Ich
konnte mir ab sofort künstlerische Freiheiten rausnehmen, das war ein Riesenschritt. Ich begann mich wohlzufühlen.
Bei so ziemlich jedem Expat kommt dieser Moment, in dem er zurück möchte,
und beginnt, Fantasien über die alte Heimat zu spinnen. Wann war bei Ihnen
dieser Punkt erreicht?
Das war nach sieben bis acht Jahren in
Amerika. Da hatte ich einen Rappel und
wollte nach Europa, allerdings nicht
nach Deutschland. Ich habe ein Haus in
London gekauft.
Und?
Es hat nicht funktioniert. Das Wetter hat
mich fertiggemacht.
Ist Wetter als Argument, ein Expat zu
werden, ein unschlagbares Argument?
Auf jeden Fall. Da ich viel reise und woanders drehe, habe ich den sonstigen Input, den ich brauche. Aber hier in Los
Angeles ist meine Heimat. Ich habe das
gespürt, als ich zum ersten Mal gelandet
bin. Als ob ich in einem früheren Leben
hier gelebt habe.
Schon mal überlegt, wer sie in einem
früheren Leben gewesen sein könnten?
Noch nicht. Ich war aber sicher jemand
aus der frühen Filmwelt.
Waren Sie schon als Kind reiselustig?
Mehr als das. Ich dachte schon mit fünf
Jahren: „Ich bleib doch niemals in Sindelfingen!“ Mein Vater reiste viel und
wusste, was in der Welt los war. Ich überlege bis heute regelmäßig, wo ich denn
jetzt mal hinfahren könnte.
Was vermissen Sie in den USA?
Ich bin umgeben von einem riesigen
Kreis aus Expats, Freunden und Familie.
Wir halten sehr eng zusammen, teilen
ähnliche Erfahrungen. Früher habe ich
häufig mit Tomas Maier darüber gesprochen. Ich habe nicht verstanden, warum
er nach Florida ging, aber er sagte in seinem netten Pforzheimer Dialekt: „Da geföllt’s ma halt.“
Anne Philippi
Nach einem superharten Beginn nun
in Los Angeles zu
Hause: Regisseur
Roland Emmerich
51
Von Mitte nach Manhattan: Klaus Biesenbach machte Berlin zur Kunstmetropole und beschreitet heute neue Wege mit dem Museum of Modern Art
52
Klaus Biesenbach
Der Chefkurator am Museum of Modern Art, der
ein Stück Berlin nach New York gebracht hat
N
icht so ganz einfach, den
Chief Curator at Large des
MoMA, so sein offizieller
Titel, zum Gespräch zu
treffen. Seine Termine sind
notorisch eng getaktet, sein Team passt
gut auf ihn auf. Klaus Biesenbach, 49, hat
die Kunstwelt geprägt wie kaum ein anderer Kurator seiner Generation. Und
schnell begreift man, wie er das angestellt hat. Auf dem sehr kurzen Weg vom
Museum zum Kellerrestaurant „Il Gattopardo“ in der 54th Street erzählt er von
der eben beendeten Marathonsitzung
und von seinen Plänen für den Abend.
In dem Meeting ging es um architektonische Details der MoMA-Neubauten – ein
trockenes, vertracktes Thema und doch
für Ausstellungsmacher und das Museum von enormer Wichtigkeit. Und
später geht es zu einem Filmscreening
mit seiner Bekannten Wendy Deng, die
früher mit dem Medienunternehmer
Rupert Murdoch verheiratet war. Damit
ist Klaus Biesenbach mit ganz groben
Strichen schon mal umrissen: Er ist ein
hocheffizienter, instinktsicherer und
fleißiger Kunstmanager. Und er schlägt
die Brücke zu Prominenz und Showbusiness, die aus ökonomischen und aufmerksamkeitsökonomischen Gründen
immer wichtiger geworden ist. Was ihm
seine Kritiker – natürlich – vorwerfen.
Der Weg zu milliardenschweren Sammlerinnen begann in einer ehemaligen
Margarinefabrik in Berlin. Dort gründete
Biesenbach, nach Medizin- und Kunststudien, 1991 die Kunst-Werke. Damals
war Berlin-Mitte wenig mehr als viele
zerbröselnde Häuser und ein Haufen
junger Menschen mit künstlerischem
Unternehmergeist. Biesenbach und sein
Team machten aus den Kunst-Werken einen der Orte, an denen der USP des heutigen Berlin – Kreativität plus Ehrgeiz –
seinen Ursprung hatte. In den Ausstellungsräumen wurden Freiräume ausprobiert und Künstlerkarrieren geboren, im
Keller tobte der exzessive „Pogo Club“.
Schnell machte er sich einen Namen und
auf den Weg nach New York, wo er zunächst am „P.S. 1“ in Queens ausstellte,
das 2000 vom MoMA übernommen wurde. Biesenbach erhob es zum Treffpunkt
der jungen Kunstszene, vor allem aber
setzte er Themen. Er machte aus Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“-Verfilmung
eine viel diskutierte Installation, zeigte
einen wunderbaren Film mit fast lebensgroßen Elefanten von Douglas Gordon,
ließ 2007 die Filme der Serie „Sleepwalkers“ von Doug Aitken an die Fassaden
des MoMA projizieren.
Dies war nicht nur das erste Projekt des
Künstlers in den USA, sondern auch ein
Statement des Museums zur zentralen
Rolle von Video in der zeitgenössischen
Kunst. Anderes Genre, gleicher Effekt:
die Ausstellung „The Artist is present“
mit der Performance-Künstlerin Marina
Abramović, die 2010 wochenlang im Museum auf einem Stuhl saß und Menschen
in die Augen schaute. Die Besucher (insgesamt 560.000) brachen in Tränen aus,
die Show war ein Triumph. Fürs MoMA,
für Abramović, für Biesenbach. „Vor Marina war Performance Art periphär“, sagt
er: „Heute ist sie ,center stage‘.“
Bei einer seiner nächsten großen Ausstellungen aber, mit der Musikerin Björk,
hatte er sich verkalkuliert. Die zum Teil
verheerenden Kritiken waren gespickt
mit persönlichen Angriffen. Man warf
ihm seine Nähe zu Berühmtheiten vor
(er kennt Madonna und James Franco!),
lästerte über seine Eitelkeit (er macht
Selfies!) und sein scheinbar populistisches Programm – denn hinter der Kritik
verbirgt sich ein erbitterter Richtungsstreit: Soll das MoMA Hüter der klassischen Moderne sein oder sich doch der
Populärkultur öffnen?
„Die Reaktionen waren heftig“, sagt Biesenbach heute: „Was aber auch heißt,
dass wir einen Paradigmenwechsel beobachten.“ Er zitiert seinen Kollegen
Chris Dercon: „Das Museum ist das Massenmedium des 21. Jahrhunderts.“ Als
die Wellen hochschlugen, kaufte er sich
zwei Joseph-Beuys-Biografien. Die „soziale Praxis“ dieses Künstler war auch
Vorbild für sein Engagement nach dem
Hurricane „Sandy“ im Herbst 2012. Er besitzt ein Häuschen in den Rockaways, einem eher bescheidenen New Yorker
Stadtteil mit Strand, der von dem Sturm
total verwüstet und wochenlang ohne
Strom und Wasser war. Biesenbach
schrieb einen offenen Brief an den Bürgermeister und organisierte Hilfe. „Soziale Praxis ist genauso real wie eine
Skulptur von Rodin“, sagt er und erzählt
von Menschen, denen die Hilfstrupps
nach Tagen das erste Trinkwasser brachten. Madonna und Lady Gaga unterschrieben den Brief natürlich auch. Die
Hilfe kam trotzdem an.
Adriano Sack
53
Tiefgründig und
ausdrucksstark:
Die Schauspielerin
Barbara Sukowa
Barbara Sukowa
Die Schauspielerin, die in New York merkte, dass das
Sozialleben ihrer Kinder auch von Kunstvorlieben abhing
A
ls sie 1992 nach Amerika ging,
war ihre Karriere auf einem
weiteren Höhepunkt, und in
Berlin ging gerade das Leben
richtig los. Regie-Legenden
wie Peter Zadek, Ivan Nagel, Rainer Werner Fassbinder und Margarethe von Trotta hatten ihr schon früh große Rollen anvertraut. Ob als Mieze in „Berlin Alexanderplatz“ oder als Rosa Luxemburg, ihr
ausdrucksstarkes Gesicht und ihre besondere Stimme, in der immer ein leichter Zweifel zu liegen scheint, schienen
unverbrüchlich auf deutsche Kinoleinwände und Bühnen zu gehören. Andere
hätten den Moment ausgenutzt, um für
sich das Maximum rauszuholen. Sie
brach stattdessen mit ihren beiden Söhnen zu ihrem neuen Lebensgefährten
nach Manhattan auf. Das war Abenteuerlust. Getriebenheit war es nicht.
„Natürlich war ich damals zerrissen und
sah, dass nach der Wende etwas Neues
losging, aber mein Leben fühlte sich zu
saturiert an“, sagt sie. Den Preis als beste
Schauspielerin hatte sie damals bereits
auf mehreren Filmfestivals erhalten.
Aufgebrochen, der eigenen Intuition folgend, ohne den Ausgang zu kennen, ist
sie im Leben mehrfach. Immer noch
mädchenhaft, natürlich und konzentriert sitzt sie am Küchentisch aus dunklem Holz. Eine Butterblume aus dem
Garten bringt den Frühling ins Haus, der
sich in der ruhigen Wohnstraße in
Brooklyn in den aufblühenden Magnolien ankündigt. Es ist nicht das Brooklyn
der reichen Hipster mit ihren strengen
Designregeln und Codes, sondern der
Teil der – noch – Bruchstelle ist. In einem Schaukelpferd vor dem Kamin sitzt
ein Teddy, obwohl die drei erwachsenen
Söhne bereits alle aus dem Haus sind
und eigene künstlerische Wege gehen.
Auf einem Zeitungsstapel liegt eine vergilbte Ausgabe der „Daily News“. Präsident Obama lächelt: „Die ersten Tage im
Leben des neuen Präsidenten“ titelt das
Blatt. Der Kaffee dampft, und Barbara
Sukowa will wissen, wie man in Washington über Donald Trump denkt. Es
ist jetzt auch ihr Land. Sie nimmt jedoch
die Andersartigkeit der amerikanischen
Gesellschaft auch nach fast 25 Jahren
noch wahr. Obwohl sie nirgendwo länger
an einem Ort gelebt hat als auf den beiden Seiten des Hudson Rivers.
Als sie Anfang der 1990er mit Robert
Longo ins Village nach Manhattan zog,
war ihr späterer Mann schon ein international anerkannter Multimediakünstler,
sie aber erst einmal Mutter von bald drei
Kindern. Zeit für ihre Kinder zu haben
und emotional präsent zu sein war ihr
wichtiger, als jedes Angebot anzunehmen. Schulen und Kinderarzt zu suchen
gehörte zu den leichteren Übungen. Die
ungeschriebenen Gesetze zu verstehen,
war schwieriger. Unbekümmert hängte
sie die große Fotografie eines nackten
Frauenhinterns, der von einer Feder zart
berührt wird, ins Wohnzimmer: „Plötzlich bekamen die Kinder keinen Besuch
mehr von Freunden. Bis ich kapiert habe, woran es lag“, erinnert sie sich lachend. Sie sprach mit den irritierten
Müttern, entschuldigte sich, und das Bild
wanderte ins Schlafzimmer. Aufgenommen hat es Ralph Gibson, der Porträtfotograf dieser Ausgabe.
Bis heute wundert sie sich zum Teil über
die unvermittelte Frage, wo sie ihren
Mann kennengelernt habe. Die kann in
Amerika durchaus von Wildfremden gestellt werden – und ist so erkenntnisorientiert wie die Frage nach dem Wohlbefinden. „Ich hab die Frage entweder
komplett ernsthaft beantwortet oder die
Leute abgebürstet. Beide Male hab ich
mich über mich selbst geärgert“, gibt sie
offen zu. Eine klassische Expat-Falle. „Bis
ich verstanden habe, dass es einen höflichen Mittelweg gibt, hat es etwas gedauert.“ Mit freundlichen Worten wenig bis
gar nichts preiszugeben ist eine Kulturtechnik, in der Deutsche nicht glänzen.
Kunst hingegen ist als Sprache universell. So kam es, dass Sukowa international mehrfach mit namhaften Symphonieorchestern und Dirigenten mit den
Liedern von Schubert und Schumann
aufgetreten ist, die in ihrer berührenden
Interpretation eine neue Tiefenschärfe
entfalten. Auch die atonalen Musikstücke von Schönberg gehören zu ihrem
Programm. Selbst in Deutschland for-
dert Schönberg bis heute die Hörgewohnheiten von Musikliebhabern heraus. Doch ums Leichte und den einfachen Erfolg ging es der gebürtigen Bremerin noch nie. „Verzaubernd“ seien
ihre Konzerte, lobte die New Yorker
Presse, und „elektrisierend“.
Wie sie sich die komplexen Partituren
neben Dreharbeiten und Familienverantwortung angeeignet hat? „Ich bin ein
harter Arbeiter“, sagt sie. Die erste
Schönberg-Partitur sei am Ende der Einstudierungszeit völlig zerbröselt gewesen. „Ich habe jedes Mal wahnsinniges
Lampenfieber“, gibt sie zu. Und dennoch
gebe es kaum eine schönere Erfahrung,
als mit einem Orchester und Chor Menschen die Musik nahezubringen. Ein Kritiker schrieb, man habe das Gefühl, Sukowa bewege die Musiker wie Marionetten an unsichtbaren Fäden. Doch manchmal verliert auch sie die Kontrolle. Als
sie trotz erheblicher Bedenken das Krankenbett des Vaters kurz verließ, um in
Kiel ein ausverkauftes Konzert mit Schubert-Liedern zu geben, versagte ihr beim
Erlkönig bei der Zeile „Mein Vater, mein
Vater, jetzt fasst er mich an“ fast die Stimme. Sie erkämpfte sie mit großer Willenskraft zurück. Und erfuhr später, dass
ihr Vater genau in diesem Moment gestorben war. Eine Freundin tröstete sie:
„Was gibt es Schöneres für deinen Vater,
als dass du in seinem Todesmoment für
ihn gesungen hast.“
Ihren großen Erfolg als Hannah Arendt
hat ihr Vater nicht mehr erlebt. Als Margarethe von Trotta sich entschloss, einen
Film über die streitbare Philosophin zu
machen, war bald klar, dass Barbara Sukowa erneut die Richtige für die Bildsprache der Regisseurin war. Dass sie auf
der Leinwand aber weitaus mehr als
deutsches Autorenkino kann, zeigt sie
gerade bei der amerikanischen ScienceFiction-Serie „12 Monkeys“, zu deren
Stammbesetzung sie gehört. Gedreht
wird in Toronto, ein knappes halbes Jahr,
fast sieben Tage die Woche. „Wir Deutschen denken immer, wir arbeiten hart,
aber die Amerikaner legen noch eine
Schippe drauf. Und sind fröhlich dabei.
Das gefällt mir sehr.“ Huberta von Voss
55
FOTO: DANIEL RIERA C/O JED ROOT
STYLING: TOMAS MAIER
WAS
KOMMT,
DAS
BLEIBT
In der Modewelt ist Bottega Veneta ein Solitär. Ästhetisch wie handwerklich.
Die Kollektionen sind innovativ und voller Kreativität, aber sie überdauern
die Saisons. Im Palazzo einer italienischen Adelsfamilie, dem neuen
Interior-Showroom, fotografierten wir die neuen Looks
Digital Technician: Mikel Oliazola Rodriguez; Assistenz: Luca Favella c/o the box films, Milano;
Haare: Alessandro Rebecci c/o Artlist, Paris; Make-up: Ariana Campa c/o Close Up, Milano;
Models: Ana Christina c/o New York Models und Simon Fitskie c/o Urban Management; Produktion: Jennifer Schmidt Bressler
Alle Looks entstammen der Bottega Veneta Early Fall 2016/17- und Fall/Winter 2016/17-Kollektion
Ana trägt ein lavendelfarbenes Webkleid
aus Viskose und Lurex
sowie einen Gürtel mit
Samtdetails. Dazu eine
Tasche aus Krokoleder und
Mary-Jane-Pumps aus
Kalbsleder.
Haarclip: Oxidiertes
Silber mit Emaille- und
Gold-Details
57
Diese Seite:
Seidenkleid mit diagonalem
Mosaikdruck. Alle Einrichtungsgegenstände sind von Bottega
Veneta, das Geschirr wird
von KPM in einem sehr aufwändigen Verfahren hergestellt.
Rechte Seite:
Ana trägt ein Jersey-Kleid und
einen Gürtel aus Schlangenleder.
Simon im LammlederBlouson mit Hemd, Hose aus
Baumwoll-Popeline
in Weinrot. Dazu Stiefeletten
aus angerautem Kalbsleder.
Der Woll-Teppich ist aus
der aktuellen Kollektion,
die Säulenfragmente
sind Dekoration
59
Diese Seite: Wollpullover, Hose
mit Materialmix aus Lammleder
und Baumwollsamt und Reißverschlüssen. Dazu trägt Simon
einen Kaschmirschal. Armband:
oxidiertes Silber mit EmailleDetails. Stiefel: Kalbsleder.
Linke Seite: Bedruckter MohairPullover mit Häkeldetails, Seidenschal, Hose aus Wolle und
Kaschmir mit Schachbrettmuster.
Ohrringe: oxidiertes
Silber, Fluorit und Gold-Details.
Tasche: Schlangenleder.
Schuhe: Kalbsleder mit
seitlichem Reißverschluss
61
62
Diese Seite:
Doppelreihiges Jackett
und passende Hose aus
Baumwoll-Viskose-Samt.
Rippenstrick-Shirt:
Kaschmir und Seide.
Rechte Seite: Ana im
Wollpullover mit Farbverlauf. Faltenrock: Wolle
mit Schachbrettmuster.
Ohrringe, Ringe, und
Armbänder: oxidiertes
Silber, Malachit, Fluorit,
Labradorit, Jade,
Emaille und Gold
64
Diese Seite: Jacke mit
Leo-Print aus Kalbsfell.
Pullover: Kaschmir,
gefilzt. Hose: Kaschmir.
Schal: gestrickte Wolle.
Clutch: Krokoleder.
Linke Seite:
Doppelreiher-Jackett
aus bedrucktem
Kaschmir. RippenstrickOberteil darunter:
Kaschmir und Seide mit
Details in Altgold.
Hose: bedruckter
Kaschmir.
Schal: Kaschmir. Boots
in Braun: Kalbsleder
65
IHR GOLD RITUAL
FÜR DIE ANSPRUCHSVOLLE HAUT
CARITA UND DIE PARFÜMERIEN MIT
PERSÖNLICHKEIT PRÄSENTIEREN
ULTIMATIVE ERGEBNISSE IN NUR 4 WOCHEN
LE SÉRUM PÉPITES
PARFAIT 3 ORS
LA CRÉME YEUX &
LÈVRES PARFAITE 3 ORS
LA CRÉME
PARFAITE 3 ORS
Ultimatives und kostbares Jugendlichkeitskonzentrat in Form eines 2 Phasen
Produktes für intensive Feuchtigkeit
und festigende Anti-Falten Wirkung.
Mit jedem Pumpstoß wird seine
festigende und Anti-Falten Wirkung
freigesetzt – für sofortige Ausstrahlung
und langanhaltende Jugendlichkeit.
Veredelte Augen und Lippenfplege zur
Verbesserung der Mikrozirkulation
und zur Vorbeugung von Augenschatten und
Tränensäcken. Die Haut wird mit intensiver
Feuchtigkeit versorgt.
Luxuriöse Anti-Aging Pflege zur
Unterstützung der natürlichen
Ausstrahlung und Leuchtkraft.
Die Haut wird optimal mit Feuchtigkeit
versorgt, während das Wu Zhu Yu Extrakt
eine entzündungshemmende Wirkung
besitzt.
EXPERTENTIPP ZUM EFFEKTIVEN
AUFTRAGEN DER MASKE
LE MASQUE
DE NUIT PARFAIT
3 ORS
Revitalisierende
Schlafmaske, die die
Zellregeneration in
der Nacht unterstützt
und eine intensive
Versorgung der
Haut gewährleistet.
1-2 x pro Woche eine dünne Schicht mit dem Silikonspatel auf das gut gereinigte
Gesicht und den Hals nach folgender Anleitung auftragen:
1. HALS: Sanft von innen nach außen den Hals entlang einmassieren
2. LIPPEN: Sanft um die Lippen einmassieren
3. WANGEN: Über die Wangen von der Nase bis zum Ohr streichen
4. AUGEN: Von innen nach außen an der unteren & oberen
Augenpartie entlangstreichen
5. STIRN: Von der Mitte der Stirn nach außen auftragen
6. ABSCHLUSS: Nach dem Auftragen 10 Minuten einwirken lassen, danach
Überreste mit kreisenden Bewegungen einmassieren. Nicht abwaschen.
Tauchen Sie ein in die großartige Welt der inhabergeführten PARFÜMERIEN
MIT PERSÖNLICHKEIT und begegnen Sie hier Ihren Pflege-Experten.
www.parfuemerien-mit-persoenlichkeit.de/aktionen
SÉRUM 3 ORS
UND APPARATIVE KOSMETIK
VON CARITA
Ein Fluss von
jugendlicher Ausstrahlung
durchströmt Ihre Haut.
AUGMENTED
BEAUTY*
GRATIS
Luxus Reisegröße
Le Masque de Nuit 5ML
Fragen Sie in Ihrer Parfümerie
mit Persönlichkeit** nach Ihrem
Geschenk. Nur solange der
Vorrat reicht.
**
*VOLLKOMMENE SCHÖNHEIT
Die teilnehmenden Parfümerien mit
Persönlichkeit finden Sie unter
www.parfuemerien-mit-persoenlichkeit.de/
aktionen
BEAUTY
STILISTEN
TOMAS MAIER VERRÄT SEINE LIEBLINGSPRODUKTE, UNSERE
EXPERTEN SCHWÄRMEN VON MADE IN GERMANY
Handreichung
Falsch wäre es, nach der Betrachtung dieses Bildes zu glauben, dass Männer in Nadelstreifen
inzwischen gern Lippenstift benutzen. Richtig ist dagegen wohl, dass Männer, die Nadelstreifen
mögen, weniger Probleme mit Lippenstift bei Frauen haben als Latzhosenträger. Die Arbeit
des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan und des Fotografen Pierpaolo Ferrari kann man
insofern wohl als Handreichung interpretieren. Und das Schönste: Die Frau hat in der Hand, wie
sie mit dem Angebot verfährt.
Warum Produkte aus Deutschland oder – noch besser – aus
der eigenen Region so gut
funktionieren? Weil sie uns ein
Gefühl von Sicherheit geben,
dass die Qualität stimmt. Besonders bei Kosmetikprodukten
ist das wichtig. Bei uns in Sachsen produzieren wir mittlerweile
eine ganze Reihe Marken. Wie
zum Beispiel die naturverbundene Pflegelinie „Charlotte
Meentzen“ aus Radebeul oder
auch die Produkte von MBR aus
dem Erzgebirge, die im Grenzbereich zum Medizinischen
hergestellt werden und tatsächlich besonders wirksam sind.
Und falls Sie mal ein SachsenMitbringsel brauchen, empfehle
ich die von Hand gesiedeten
Sole-Seifen von „Fürst Pückler“.
Evelyn
Thiemann
PRIVAT
COURTESY OF MAURIZIO CATTELAN AND PIERPAOLO FERRARI © TOILETPAPER/ DAMIANI BOOKS
OUT OF
SACHSEN
Geschäftsführerin
der „Parfümerie
Thiemann“
in Bautzen
DR. DEUTSCH
Eines für alles: Mit dem Trockenöl „Huile Prodigieuse“ von
Nuxe kann Mann oder Frau nie
etwas falsch machen. Sei es um
den Körper nach der Dusche
damit einzureiben, es im Haar
oder auf dem Gesicht zu verteilen. Es ist vielfältig anwendbar und fettet nie! Neu ist nun
die limitierte Paris-Edition.
Lokalpatriot: Als Kind war
Tomas Maier immer draußen.
Vielleicht ein Grund mehr,
weshalb der gebürtige Pforzheimer die Naturkosmetik von
Dr. Hauschka schätzt. Kommt
sie doch von der Schwäbischen
Alb. Ganz neu ist das „Nachtserum“, das die Haut vitalisieren soll. Na dann: Gute Nacht!
Marianne Fien
PRIVAT
Souvenir: Er ist da eh gern,
aber mindestens einmal pro
Jahr muss Tomas Maier nach
Tokio reisen. Schon um seinen
Vorrat an „Men Scalp Tonic“
aufzufüllen. Shiseido produziert das Für-volleres-HaarTonic leider ausschließlich für
den japanischen Markt. Also,
liebe Männer, folgen Sie TM.
Warum in die Ferne schweifen,
wenn auch in Deutschland so
viel Gutes auf dem Kosmetikmarkt entsteht? Sind wir doch
schließlich Vorreiter in Sachen
Verlässlichkeit, Technologie und
Präzision. Und darum funktionieren auch bis heute die
bio-medizinischen Produkte von
„Dr. Eckstein“ so gut, einer
Marke, die schon 1949 in Oberasbach im Fränkischen gegründet wurde. Das ApothekerEhepaar Richard und Linde
Eckstein startete damals mit drei
Produkten und sah Kosmetik als
vorsorgende Pflege. Bis heute ist
„Dr. Eckstein BioKosmetik“ in
Familienhand. Und ob in der
Kabine während einer Behandlung oder zu Hause, die VitaminCremes und das KollagenSerum (mein Tipp!) verfehlen
ihre Wirkung nicht.
Inhaberin der
„KosmetikParfümerie
Marianne Fien“
in Höxter
Schönheit
verbindet die Welt
Schönheit ist essentiell.
Wie das Wasser und die Luft.
Vom ersten Erblühen
bis zur Ewigkeit.
Wir atmen Schönheit.
Sie schenkt uns Sicherheit
und macht die Welt zu einem
Sie verbindet und vereint uns.
Sie fließt von Herz zu Herz.
Doki-Doki
Bewahre die Schönheit.
Verleihe deiner Haut die Stärke,
besseren Ort.
Power Infusing Concentrate
die sie braucht.
Ultimune
BEAUTY NEWS
PSS
70
VIVA BAVARIA
BAUHAUS-GLAMOUR
DAS NEUE BERLIN
Ambuja (Sanskrit für Lotus und Evolution)
klingt international ambitioniert. Doch dahinter verbirgt sich ein wahrhaftiges Made in
Bavaria. Am Chiemsee erforscht und als hoch
konzentriertes Cremeserum entstanden ist
Wanderlust Elixir (sprich: Wänderlast). Das
Besondere: Es ist nicht mit H2O, sondern mit
Lotus- und Kokosnusswasser ausgerüstet und
soll der Haut einen Energieschub verpassen.
Aufi also! Über niche-beauty.de
Ihren Kosmetikprodukten haben die beiden
Gründerinnen von „Und Gretel“, Christina
Roth und Stephanie Dettmann, mittelhochdeutsche Namen wie etwa Knutzen (Lipgloss) oder Tagarot gegeben. Der Inhalt der
Naturkosmetikprodukte ist jedoch alles andere als altertümlich. Und erst die Verpackung.
Vom Puder bis zum Concealer ist alles in
linearen Bauhaus-Formen verpackt. Gibt’s
etwa bei Parfümerie Meister in Hamburg.
In der Kosmetikbranche als junges Unternehmen Fuß fassen? Gar nicht leicht. Nichtsdestotrotz ließ sich Josephine Förster nicht
beirren und gründete Anfang des Jahres ihre
Marke „Lovely Day Botanicals“. Klar, in der
Start-up-(Hauptstadt) Berlin. Das MiniSortiment wie auch das „Skin Rescue Oil“
(100 Prozent natürliche Rohstoffe, alles vegan!) verkauft die 28-Jährige bislang nur
online (lovelydaybotanicals.com).
TIEF IM SÜDWESTEN
WIEN–BERLIN
DÜSSELDORFER EYECATCHER
„Made in the Black Forest“. Was für den
Menschen Tomas Maier gilt, stimmt bis heute
bei der Marke „Börlind“. Zwei Jahre nach der
Geburt von Maier gründete die inzwischen
verstorbene Annemarie Lindner 1959 das
weiterhin familiengeführte Kosmetik-Unternehmen. Das Neueste aus Calw ist das
„Beauty Perls Anti-Pollution & Moisture
Serum“, das besonders geeignet sein soll,
trockene Hautstellen zu regenerieren.
Zum dritten Mal hat sich die Berliner Duftmanufaktur J.F. Schwarzlose einen Künstler
für ihre limitierte Jahres-Edition (1000 Flakons) herausgepickt: Die Wahl fiel auf den
Österreicher Paul DeFlorian. Er tobte sich
nun in der Duftwelt aus und kreierte: Altruist.
„Ein Duft für Feministinnen, Cyborgs (halb
Mensch, halb Maschine) und Überlebende“.
Aha. Am besten einfach mal selbst an der
Kunst-Edition schnuppern.
Am Anfang war die Orthopädie. Die Erkenntnisse aus einer genbasierten Arthrosebehandlung übersetzte die umtriebige Düsseldorfer Ärztin Barbara Sturm in Pflegeprodukte. Längst vertraut auch Hollywood ihrer
Expertise in Molekularkosmetik. Nun gibt es
auch eine Augencreme für „spezifische
Schwachstellen“. Sprich: Tränensäcke und
Schatten. Bestimmt wieder ein Exportschlager ... über molecular-cosmetics.de
ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER
Di e S S t !
Ne u d e u t s
ling che
n
e
Anzeige
KOSMETIK
PFORZHEIM–PARIS
#nachtaktiv
Die Stadt in Baden-Württemberg ist gemeinsame Heimat
von Tomas Maier und der Inhaberfamilie von La Biosthétique.
LA BIOSTHÉTIQUE
Aber ohne die Seine geht es nicht
D
ie Adresse könnte kaum besser sein: 7 Rue de Tilsitt nahe
der Place Charles-de-Gaulle
– eine 1-a-Lage. Der Triumphbogen ist zum Greifen
nah. Das Hauptquartier von La Biosthétique ist eine herrschaftliche Villa, 800
Quadratmeter groß, Armanis ehemaliges Quartier. Hier werden Kunden empfangen, Schulungen für die Friseure und
Make-up-Artisten angeboten. Aber Moment – ist nicht Pforzheim der Firmensitz? „Paris ist die Hauptstadt unserer
Marke“, stellt Inhaber Jean-Marc Weiser
klar. Doch ähnlich wie bei Tomas Maier,
ging alles von Pforzheim aus.
Ein sympathischer badischer Dialekt beherrscht Weisers Sprache – die Heimat
lässt sich trotz des frankophilen Vornamens nicht leugnen. Soll sie auch gar
nicht. Tomas Maier hingegen lebt nun
schon so lange in den USA und mit einem Amerikaner und arbeitet mit internationalen Teams, dass Englisch ihm geläufiger ist als Deutsch. Was bisweilen
falsch verstanden wird, gerade wenn er
Landsleuten lieber in der gewohnten
Sprache Interviews gibt. Die Herkunft
klingt gleichwohl immer noch durch.
Kennengelernt habe man sich noch
nicht, sagt Jean-Marc Weiser, auch wenn
Tomas Maier vor ein paar Jahren das Pariser Büro besuchte. Aber die Familien
kennen sich, in einer überschaubaren
Stadt wie Pforzheim nicht unüblich.
„Die Goldstadt“, wie sie genannt wird
wegen ihrer vielen Schmuckfirmen, darunter Chopard oder Wellendorf. Auch
Dior lässt bis heute dort fertigen.
Doch was macht sie für die Kosmetikmarke so interessant? „Pforzheim ist unser Startpunkt, Produktionsstätte und
Logistikstandort zugleich“, erklärt Weiser, der als CEO gemeinsam mit seinem
Vater Siegfried und Bruder Felix das Unternehmen führt, das Anfang der 50erJahre in Paris von dem Biochemiker
Marcel Contier gegründet wurde. Siegfried Weisers Schwiegervater vertrieb La
Biosthétique in Deutschland, wo die
Marke schnell erfolgreicher wurde als im
Ursprungsland und so stieg er in den Betrieb ein, expandierte stark und übernahm 2006 endgültig auch die französische Mutterfirma mit mittlerweile mehr
als 350 unterschiedlichen Produkten. Paris blieb ein Standbein und das andere
Pforzheim, wo sich mittlerweile viele
Firmen auf Präzisions-, Dental- und Legierungstechnik spezialisiert haben.
Knapp 500 Kilometer sind es in die französische Hauptstadt, 3,5 Stunden mit
dem Zug. Jean-Marc Weiser empfindet
den Spagat als „schöne Synergie“. Man
habe „auf der einen Seite die Präzision
und die Manufaktur, die wir in Pforzheim aufgebaut haben, und dann die
Strahlkraft von Paris als inspirierende
Modemetropole.“ So wurden auch die
Kataloge in den vergangenen Jahren immer in Paris fotografiert. Auch im vergangenen November, zwei Wochen vor
den Attentaten. Das Thema der Kosmetik-Kollektion lautete „Paris – La Nuit“.
„Wir haben es trotzdem dabei belassen“,
erklärt Weiser, „wir wollen bewusst die
Schönheit der Gewalt entgegensetzen.“
Caroline Börger
Wir versprechen nicht viel.
Nur 2 ml.
Aber die haben es in sich:
flüssiges Lifting im Schlaf.
babor.de
FRÜHER & HEUTE
UNTER
BÄUMEN
Tomas Maier wuchs in Pforzheim auf, am Rand des Schwarzwalds. Eine solche Nähe zur Natur
lehrt Menschen Dinge, die sie nie wieder vergessen werden. Wolfgang Büscher hat sich in
Maiers Heimat aufgemacht – und eine Welt voller Anfang entdeckt. Tim Dinter hat illustriert
W
72
as für ein Morgen. Unten im Tal verdampft
der Frühnebel in der
Sonne, der Winter hat
sich in seine eisige Alpenfestung verzogen, alles knistert vor,
ist Erwartung, liegt in der Luft. Erst geht
es auf breitem Weg bergan, dann werden
die Pfade schmaler. Tannenduft in vollen
Zügen. Knospen detonieren. Aus Moos
und Borke steigen Wolken winzigster
Mücken auf. Zitronenfalter taumeln. Der
Wald dehnt und sehnt sich und treibt frische Triebe, wie es zarter nicht geht, die
wilde Himbeere rankt sich dem Sommer
entgegen. Dessen Staub und Schweiß
sind noch fern. Alles glänzt, alles ist neu
geboren.
Ein großer Käfer klettert durchs Laub
der letzten Saison, sein blanker schwarzer Panzer spiegelt das Sonnenlicht. Ir-
gendwo lärmt die Motorsäge, als zerteile
sie die Stämme, um den Wanderer daran
zu erinnern, dass dies kein Märchen-,
sondern ein Wirtschaftswald ist. Etwas
Großes, Buntes stürzt den Weg herab
und rast vorüber – das war der Wald-Biker. Etwas fliegt, eine blaue Feder blitzt –
das war der Eichelhäher. Ich fand mal so
eine blaue Feder als Junge.
Wer das Glück hatte, nahe der großen
Wälder aufzuwachsen, den wird die Erinnerung daran zeitlebens begleiten –
die heimlich-dunkle, dann wieder kühlkathedralige Zuflucht, die der Wald gewährt. Tomas Maier hatte dieses Glück.
Als er ein Junge war und noch Thomas
hieß, lebte seine Familie in Pforzheim
am nördlichen Rande des Schwarzwaldes, und er, das hat er einmal erzählt,
liebte den Wald. Wie auch nicht. Der
schwarze Riesenwald mit seinen Riesen-
„Moos! Der Geruch meiner Kindheit. Wir
gingen oft in den Wald, um Pfifferlinge
zu sammeln. Verbrachten ganze Tage
dort, bauten kleine Häuser aus Moos,
spielten und ruhten uns aus im Schatten
der großen Bäume.“ Tomas Maier
Anzeige
Leib – das vergisst keiner, der es als Junge mit stockendem Atem las. Und wie
der wieder Beherzte von der eiskalten
Maschine wieder zum Menschen wird
und sogar seine Liebe wiedergewinnt.
Das „Kalte Herz“ ist nicht nur ein Märchen, es erzählt die Geschichte des
Schwarzwaldes, der Flößer und Holzhändler. Unten im Tal stehen immer
noch die alten Sägewerke, stapeln sich
immer noch die riesigen Baumstämme,
die einst der Michel nach Holland flößte
und mit hohem Gewinn für den Schiffsbau verkaufte. Der Michel wurde länger
nicht mehr gesehen, das Glasmännlein
auch nicht, aber was war das dort im Gewirr von Tannen und Licht – winkte da
ein Arm, oder hat bloß der Wind einen
PRIVAT
tannen ist der mächtigste und mythischste, den wir haben.
Die Motorsäge verklingt in der Ferne,
der Finger irrt über die Karte und bleibt
an zwei Flurnamen hängen: Glasberg
und Tannenwald. Da seid ihr ja, spricht
die Erinnerung: das wundertätige Glasmännlein im finsteren Tannenbühl und
sein Gegenspieler, der unheimliche Holländer-Michel. Und der Held der Geschichte – jung, aber leider arm. Ihn
macht der Michel reich, sehr reich, der
junge Mann muss dem Michel nur sein
Herz rausrücken. Der setzte ihm dafür
ein neues ein, ein äußerst praktisches
Herz aus Glas. Unrührbar, unerreichbar,
das perfekte Uhrwerk in einem perfekt
programmierten Wesen, das eben noch
„Immer draußen“: Tomas Maier mit seinen Schwestern Juliane und Susanne
ein Mensch war. „Das kalte Herz“ ist der
„Faust“ unter den deutschen Märchen, es
handelt von Verführung, Höllenfahrt
und Erlösung.
Und wie der lebens- und liebesgierige
Professor Faust wird der junge Kerl aus
dem Schwarzwald am Ende begnadigt.
Er überlistet den bösen Geist, er provoziert den Michel so lange und packt ihn
an seiner Eitelkeit als Herr der Herzen,
bis er ihm seines wieder einsetzt, um zu
beweisen, was er alles vermag. Wie der
Holländer-Michel das ängstlich-freudig
pochende Ding aus dem Glas nimmt, einem von vielen, in denen er die gegen
märchenhaften Reichtum ertauschten
Menschenherzen verwahrt, wie der Michel dem Burschen in die offene Brust
greift, das Glasding herausnimmt und
ihm das echte Herz wieder einsetzt, bei
vollem Bewusstsein und lebendigem
herabhängenden Ast bewegt? Der Wald
ist ein großer Kulissenschieber.
Er führt die Fantasie gern hinter die Tanne. Ein Schritt, und etwas tritt in den
Blick. Und was eben noch da war, ist fort.
Das ist das Wunderbare am Wald, er verändert sich unentwegt und bleibt sich
doch gleich. Wer den Wald der Kindheit
noch einmal besucht, wird so gut wie
kein Detail wiederfinden, den alten Pfad
nicht, den Baumhüttenbaum auch nicht,
aber den Wald findet er wieder.
Er geht hinein, und das Herz geht ihm
auf. Harzige Erinnerungen an lichte Kathedralen aus turmhohen Buchen, an
dunkle Tannengeheimnisse, an Schürfwunden und den ölig-süßen Geschmack
der Bucheckern – diese winzigen, dunkelbraunen Tetrapacks vom Waldboden
mit dem Fingernagel zu knacken, das
verlernt man nicht.
BAUPLAN
Der 911er von Porsche
„Mitte der 80er kaufte ich meinen ersten Porsche in Paris. Seitdem bin
ich nie wieder etwas anderes gefahren. Komplett in Schwarz muss er
sein, die Innenausstattung, die Räder – und da ich das Logo nicht
weglassen darf, lasse ich es ebenfalls schwarz einfärben. Getönte
Scheiben geben mir Privatsphäre. Einem Porsche begegnen die
Menschen im Gegensatz zu anderen Sportwagen mit Bewunderung
anstelle von Aggression. Neulich fuhr ich zum Supermarkt, ein Mann
auf dem Parkplatz sah erst mich an, dann den 911er und sagte: „Wenn
Sie wollen, können wir tauschen.“ Die Leute mögen das Auto wegen
seines Designs und der Integrität, die es ausstrahlt. Nicht zu vergessen,
die großartige Technik, die darin steckt. Jedes Mal gibt es etwas Neues
zu entdecken. Das Aussehen verändert sich dagegen nur wenig, und
wenn, dann geht es immer in die richtige Richtung. Ich denke, es ist
großartig, ein Design zu haben, das so lange überlebt.“ Tomas Maier
2
4
3
5
6
1. Wenn die Roboterhände am Werk sind, halten Menschen besser Abstand. Im Karosseriebau nimmt der Porsche seine Form an. Hochpräzise Industrieroboter fügen die rund 3000 Einzelteile aus Aluminium und Stahl zusammen. 2. In einem mehrstufigen Prozess erhält die Karosserie ihren Anstrich – bestehend
aus Korrosionsschutz, Farbgebung und Oberflächenversiegelung. Die goldglänzende Füllerschicht dient als Grundlage für eine hohe Brillanz. Nach einer Reinigung wird der Basislack aufgetragen. 3. Ein Fall für die Maschinen: Nach dem Lackieren bilden vier Lackschichten einen Mantel von circa 0,13 Millimeter Dicke – nur unwesentlich dicker als ein menschliches Haar. 4. Die Montage beginnt mit der Zusammenführung von Karosserie und Cockpit. Zu diesem Zeitpunkt ist der Motor für das Modell bereits unterwegs zum Band. Nun folgt der alles entscheidende Moment: die Hochzeit. Karosserie, Antriebsstrang und
Fahrwerk werden miteinander verbunden und verschraubt. 5. Danach kommen Räder, Türen und Lenkrad dazu. Abschließend wird der 911er erstmals auf seine Räder gesetzt. Dann wird es spannend: Der Motor erwacht zum ersten Mal zum Leben. 6. Eine letzte Qualitätskontrolle beseitigt verbliebene Makel. Nach
nur vier Tagen Bauzeit kann sich der 911er auf den Weg zu seinem neuen Besitzer machen. Übrigens: Über 220 Wagen verlassen das Porsche-Werk jeden Tag.
Dabei produziert man nicht nach Serie, sondern so, wie die Bestellungen eingehen.
74
PORSCHE AG (7)
1
der geheime Parfum-Garten des Monsieur Li