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JAN WE I LER M E I N L E B E N ALS MENSCH Mein Leben mit Marie Mit einer Illustration von Larissa Bertonasco M anchmal fühle ich mich wie Hannes Kröger, der singende Seemann. Dann wache ich auf und denke: Ich bin Wrack. Das muss das Alter sein. Als Wrack hat man ständig mit Angriffen auf die Substanz zu kämpfen. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Spanische Forscher haben nämlich gerade ein bisher unbekanntes Bakterium entdeckt, das sich rücksichtslos am Wrack der Titanic zu schaffen macht und es in Steinlausmanier zersetzt. Die Forscher haben das Bakterium auf den Namen Halomonas Titanicae getauft. Bisher scheint Halomonas Titanicae nur unter Wasser seinem entsetzlichen Werk nachzugehen, aber wer weiß? Wrack ist Wrack. Vielleicht nagt dieses Bakterium bereits an mir. Man muss wachsam sein. Ganz sicher bin ich jedenfalls, dass gerade im Moment das Alter an mir nagt. Man wird alt, wenn man weniger Anrufe bekommt als seine Tochter. Bis vor wenigen Monaten konnte ich eigentlich sicher sein, dass man mich meinte, wenn mein Telefon klingelte. Aber das hat sich dramatisch geändert und die Anzahl der für mich eingehenden Gespräche nimmt in dem Maße ab, wie jene Anrufe zunehmen, die für meine Tochter bestimmt sind. Interessanterweise geht unser Pubertier aber nie ans Telefon wenn es klingelt. Carla behauptet, es sei schließlich mein Telefon und nicht das ihre. Also nehme gehe ich dran und es ist für sie. Irgendein Martin. Oder eine Louise. Oder ein Moritz. Oder ein Lennart. Wenn Carla eines Tages ausgezogen ist, werden noch jahrelang Anrufe für sie eingehen, das Klingeln wird zu einer Art Phantomschmerz werden. Aber meistens schweigt das Telefon, es sei denn ich rufe bei der Hotline eines Verkaufssenders an, um einen Tischgrill von George Foreman zu bestellen. Und dann ist da noch eine zweite Erkenntnis, die mich hadern lässt: Man wird alt, wenn man sich in zwanzig Jahre jüngere Frauen verknallt. Das habe ich gerade getan. Anstatt wie jeder normale Mann alte Bundestagsdebatten auf Phoenix anzugucken, ziehe ich mir tatsächlich jeden Sonntag die Fußballrunde bei Sport 1 rein, weil zwischendurch wer kommt? Genau: Marie mit dem Spendierhöschen. Sie macht Werbung für ein Vergleichsportal. Ich weiß nicht, was das ist und es ist mir auch egal, aber Marie mit dem Spendierhöschen ist der Hammer. Ich habe den Spot ungefähr viertausend Mal angesehen und Marie ist so was von entzückend. Eine Frau, für die ein Kardinal Kirchenfenster eintreten würde. Ich habe also bei der Werbeagentur angerufen, die den Spot hergestellt hat, weil ich wissen wollte, ob eventuell eine Möglichkeit besteht, Marie einen Drink zu spendieren. Ich würde dafür meine Spendierhöschen anziehen. Klingt natürlich jetzt eklig, das ist schon wahr. Aber es gehört zum würdevollen Altern, an solchen Selbstbeobachtungen nicht zu verzweifeln. Die Auskunft der Werbeagentur war ernüchternd. Eine Kontaktaufnahme wird schon an der Sprachbarriere scheitern, denn Marie ist eine französische Schauspielerin und Ballett-Tänzerin. Sie heißt Marie-Astrid Jamois und ich glaube, sie will gar nicht mit einem deutschen Wrack ausgehen. Wahrscheinlich wird sie bald weltberühmt sein. Wie wohl ein Leben an ihrer Seite aussähe? Sie hat bestimmt sehr schicke Freunde und geht gerne mit ihnen aus. Manchmal verbringt sie ein Wochenende auf der Yacht eines russischen Oligarchen. Und ich darf mit. Sie kauft mir einen Zopfmusterpulli und bringt mir bei, wie man ein Glas richtig festhält, wenn Kate Moss und Gisele Bündchen an einem vorbei laufen. Später unterhalten die sich auf der Toilette und Kate Moss sagt zu Gisele Bündchen: „Hast Du Marie Astrid gesehen? Sie hat wieder diesen alten deutschen Mann mitgebracht. Was sie an dem wohl findet?“ „Keine Ahnung. Ist Dir aufgefallen, dass er krümelt?“ „Er krümelt?“ „Allerdings, meine Liebe. Er leidet unter Halomonas Titanicae und ist dabei zu zerbröseln wie ein Schiffswrack.“ Hm. Ich glaube, wenn das so ist, bleibe ich lieber zuhause bei Sara und schalte um, wenn Marie mit den Spendierhöschen im Fernsehen kommt. Wer will schon zum Gespött von zwei Supermodels werden? 13 . DEZEMBER 2010