Natürliche Klimaschwankungen – Eine Einführung

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Natürliche Klimaschwankungen – Eine Einführung
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promet, Jahrg. 29, Nr. 1- 4, 1-2 (Juni 2003)
© Deutscher Wetterdienst 2003
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H. GRAßL
Natürliche Klimaschwankungen – Eine Einführung
Es hat sich eingebürgert, von der Variabilität des Klimas zu
sprechen, wenn nur die internen Wechselwirkungen der rascher reagierenden Komponenten des Klimasystems gemeint
sind, also die zwischen Atmosphäre, Ozean und Landoberfläche.Von Klimaänderungen spricht man dann,wenn äußere
Einflussfaktoren wie die Strahlkraft der Sonne, die Bahn der
Erde um die Sonne oder der Einschlag von Himmelskörpern
Grund für die Änderungen von Klimaparametern sind. In
allen Beobachtungen der Meteorologen, Ozeanographen und
Hydrologen stecken jedoch Klimavariabilität und Klimaänderungen immer gemeinsam. Deshalb wird dieses Heft mit
dem Titel „Natürliche Klimaschwankungen“ versehen,wobei
das Wort Schwankung quasi neutral kürzerfristige und längerfristige, aperiodische und quasi-periodische Änderungen
bzw. Schwingungen umfaßt (siehe Abb. 8-1). Im vorliegenden
Heft sollen also alle ohne Einfluss des Menschen auftretenden
Schwankungen, nachgebildet in den jeweiligen numerischen
Modellen, diskutiert werden. Was muss daher dabei sein?
Zu allererst die Modelle der atmosphärischen Zirkulation,
denn mit jetzt etwa 50-jähriger Geschichte haben sie nicht nur
den Siegeszug der numerischen Wettervorhersage gebracht,
sondern sie sind auch der Dreh- und Angelpunkt von Klimamodellen, in denen Atmosphäre, Ozean und Landoberflächen gekoppelt werden müssen (siehe Beitrag ROECKNER
[Kapitel 10]).
Bevor jedoch dies geschieht, wird über die geschichtliche
Entwicklung der Modelle der allgemeinen Zirkulation berichtet (siehe Beitrag GATES [Kapitel 9]). Glücklicherweise
sind Modelle der Wettervorhersage einem täglichen harten
Test an der Realität unterzogen, so dass die Klimatologen
stets von den Fortschritten der numerischen Wettervorhersage profitiert haben.
Abb. 8-1:
Dreh- und Angelpunkt sind die Atmosphärenmodelle wegen
des von der Atmosphäre dominierten Energiehaushaltes der
Erde. So können z. B. die in der Luft schwebenden Aerosolteilchen, obwohl sie nur von unter 1 bis etwa 100 µg/m3 Dichte
aufweisen (also in großen Teilen der Atmosphäre nur etwa
ein milliardstel Massenanteil und nur ein billionstel Volumenanteil haben), den die Erdoberfläche treffenden Teil der Sonnenstrahlung um Prozente verändern. Auch flüssiges Wasser
erreicht in der Atmosphäre selten ein millionstel Volumenanteil (z. B. in einem Cumulonimbus) und doch kann dadurch
die am Erdboden ankommende Sonnenenergie auf ein
Zehntel abfallen. Die Atmosphärenmodelle müssen daher
kleine atmosphärische Beimengungen besonders beachten.
Für die Schwankungen des Klimas von Monat zu Monat, von
Jahr zu Jahr und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ist sicherlich die
Wechselwirkung zwischen dem Ozean und der Atmosphäre
die entscheidende. Daher sind dreidimensionale Modelle der
Ozeanzirkulation ebenfalls Grundbestandteil von Klimamodellen (siehe Beitrag GERDES et al. [Kapitel 11]). Bei
Ozeanmodellen werden wir jedoch mit einer Problematik der
numerischen Modellierung besonders konfrontiert: der nicht
ausreichenden Zahl von Beobachtungen, hier im Ozean. Die
numerischen Modelle der allgemeinen Zirkulation der
Atmosphäre, derjenigen des Ozeans, des Flusses von Wasser
in Böden und der Entwicklung der Vegetation sind nur so gut
wie die Datensätze zu ihrem Test. Weil die Modelle viele
Prozesse wegen fehlender Rechnerkapazität noch lange nicht
werden räumlich auflösen können, müssen z. B. die
Wärmetransporte in Wolken bzw. in kleinen ozeanischen
Wirbeln parameterisiert, d. h. durch im Modell aufgelöste
Variablen dargestellt werden. Für jeden Prozess sind dafür
Feldexperimente in verschiedenen Klimazonen notwendig.
Deshalb ist der größte Fortschritt in den Geowissenschaften
Schwankungen, Variabilität, Trends, Schwingungen. Jede klimatologische Messreihe (z. B. 1a) kann als Zeitreihe gezeichnet werden. Wir
sprechen von keiner Klimaänderung, wenn auch für größere Unterabschnitte die Mittelwerte sich nicht ändern. In den Zeitserien 1b, c, d ist
die stationäre Serie 1a jedoch mit einheitlichem Trend (1b), periodischer Schwankung (1c) oder einer Sprungfunktion versehen, wobei die
Variabilität bei kürzeren Zeitskalen jedoch erhalten bleibt. Nimmt die Variabilität aber zu wie in den Zeitserien 2a, b, c, gibt es neben Trends
(2b, c) auch noch systematische zeitliche Änderungen der Variabilität. Es ist eine besondere Aufgabe der Klimaforschung, herauszufinden,
ob bei Erwärmung auch die Variabilität ansteigt, denn das hätte wichtige Folgen für unsere Infrastruktur, aus WMO (2003).
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H. Graßl: Natürliche Klimaschwankungen
die Falsifizierung bestimmter Modellaussagen durch neue
Beobachtungen. Denn dann können die Modelle wieder so
verbessert werden, dass sie im Einklang mit den Beobachtungen stehen. Der Fortschritt in der Ozeanmodellierung
hängt daher entscheidend von den jetzt Schritt für Schritt
aufgebauten Forschungsmessnetzen ab.
Oft ist aus den Beobachtungen das Ineinandergreifen verschiedener Klimaprozesse oder Wetterphänomene nicht zu
ergründen. Deshalb ist es weiterhin notwendig, neben den
großen hochauflösenden auch einfachere Modelle der atmosphärischen Zirkulation zum besseren Verständnis der grundsätzlichen Dynamik einzusetzen,die sich zusehends auch besondere Verdienste in der Lehre erwerben (siehe Beitrag EGGER
[Kapitel 12] und Beitrag FRAEDRICH et al. [Kapitel 13]).
Obwohl die in-situ Messnetze in der Atmosphäre und an der
Landoberfläche schrumpfen, haben Wettervorhersagen und
die Vorhersagen von Klimaanomalien bis zu einem halben
Jahr voraus in ihrer Güte zugenommen bzw. sind erst jüngst
möglich geworden. Der Hauptverdienst dafür wird der sogenannten Datenassimilation zugeschrieben, die es erlaubt,
Daten die zu beliebigen Zeiten an beliebigen Orten vor dem
Start von Modellen gewonnen werden, in die Modellwelt zu
integrieren. Für die Klimaforschung bringt diese Assimilationstechnik jedoch noch einen weiteren Vorteil: Aus nicht
flächendeckenden Beobachtungen zu verschiedenen Zeitpunkten kann mit einem numerischen Modell ein in sich konsistentes Bild der Struktur der Atmosphäre oder des Ozeans
geschaffen werden (siehe dazu den Beitrag WERGEN [Kapitel 14] für die Atmosphäre und den Beitrag SCHRÖTER
[Kapitel 15] für den Ozean).
Eine zentrale Frage in der Klimamodellierung lautet:Sind die
gekoppelten Atmosphäre/Ozean/Land-Modelle in der Lage,
die beobachtete Klimavariabilität auf Zeitskalen bis zu Dekaden korrekt wiederzugeben? Werden die Modelle bei
fixierter Zusammensetzung der Atmosphäre und ohne die
Variabilität der Sonne in sogenannten Kontrollläufen Jahrhunderte lang betrieben, sollte die Modellvariabilität sich der
beobachteten nähern, sie aber nicht ganz erreichen, denn die
schwankende Zusammensetzung der Atmosphäre, z. B. auch
bezüglich der Vulkanaerosole in der Stratosphäre, und die
Sonnenzyklen, erhöhen die Schwankungen bei den ihnen
eigenen Zeitskalen.Wie die gekoppelten Modelle der großen
Forschungszentren dabei abschneiden, zeigt der Beitrag
SCHNUR und HEGERL [Kapitel 16].
Die kräftigste natürliche Variabilität des Klimas auf
Zeitskalen von wenigen Jahren wird El Niño genannt. Seit die
meteorologischen und oberflächennahen ozeanographischen Grundparameter Druck, Wind oder Strömung sowie
Temperatur in quasi Echtzeit zur Verfügung stehen, gelang es
zunächst mit vereinfachten Ozean/Atmosphäre-Modellen,
dieses Phänomen bis zu etwa einem halben Jahr im voraus
abzuschätzen. Im Beitrag von LATIF [Kapitel 17] wird aus
erster Hand geschildert, was dabei bis heute erreicht werden
konnte. Sicherlich hat dieser Durchbruch zu Wahrscheinlich-
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keitsvorhersagen von Klimaanomalien jenseits der Wettervorhersagebarriere von etwa zwei Wochen die Glaubwürdigkeit der Klimamodelle allgemein erhöht.
Es gibt zwei Wechselwirkungen, die Klimavariabilität und
Klimaänderungen auf Zeitskalen von Wochen bis Jahrhunderten ganz wesentlich beeinflussen, nämlich die des Ozeans
mit der Atmosphäre und – noch schwieriger zu beschreiben –
die der Vegetation sowie der Böden mit der Atmosphäre.Weil
Wälder teilweise drastisch anders verdunsten und Sonnenstrahlung reflektieren als Grasland, sind Vegetationsänderungen bei natürlichen Klimaschwankungen nicht nur ein
betroffener sondern ein mitbestimmender Teil. Im Beitrag
von CLAUSSEN [Kapitel 18] mit interaktiver Vegetation in
einem Klimamodell wird dazu auch ausgeführt, warum die
Sahara von einer Savanne zur hyper-ariden Zone wurde.
Obwohl der Hub in der oberflächennahen Lufttemperatur
zwischen Eiszeit und Warmzeit im globalen Mittel nur 4 bis
5 °C betrug, lag diese Differenz in hohen mittleren und hohen
nördlichen Breiten sicherlich zum Teil über 10 °C. Welcher
Mechanismus verstärkt in hohen Breiten? Es ist die Eis(Schnee-)albedo/Temperatur-Rückkopplung, zu der sicherlich auch das Meereis beiträgt. Im Beitrag von LEMKE und
HILMER [Kapitel 19] wird das zur Zeit in Klimamodellen
bevorzugte Meereismodell vorgestellt. Für ein Klimamodell
gehört es zum Herausfordernsten, eine driftende, wachsende
oder schmelzende Eisschicht mit richtiger Dicke am richtigen
Ort zu haben.
Will man die fundamentale Frage nach den Ursachen für die
langfristigen Klimaschwankungen bis hin zum Wechsel zwischen Eiszeit und Zwischeneiszeit (Glazial und Interglazial,
im Volksmund Eiszeit und Warmzeit) beantworten, müssen
dreidimensionale Modelle von Inlandeisgebieten, wie sie zur
Zeit nur noch in Grönland und der Antarktis vorkommen,
entwickelt und getestet werden (siehe Beitrag GREVE
[Kapitel 20]). In ihnen ist die Frage nach der Verquickung
zwischen Anregung durch Erdbahnparameteränderungen
und internen Zeitskalen großer fließender Eisschilde eine
entscheidende. Obwohl keiner der Beteiligten mehr an der
Anregung zu Eiszeiten und Warmzeiten durch Schwankungen der Erdbahnparameter zweifelt, so ist doch noch ungeklärt, warum in den letzten vier Intensivphasen der Eiszeit
der Kohlendioxidgehalt jeweils auf Werte etwas unter 200
millionstel Volumenanteile absank.
Mit allen diesen Modellen für das Klimasystem ausgestattet,
soll dann im 3. Heft dieser kleinen Serie über Klimamodelle
untersucht werden, welches Klima wir je nach Verhalten der
Menschheit bekommen könnten. Es wird dabei auch auf die
Kopplung mit der Wirtschaft ankommen.
Literatur
WMO, 2003: Climate, Into the 21th Century, Cambridge
University Press, Cambridge, 240 S.