Szintigraphie bei rheumatoider Arthritis

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Szintigraphie bei rheumatoider Arthritis
bei rheumatoider Arthritis
5 Szintigraphie
D. Sandrock, M. Backhaus, G. Burmester, D. L. Munz
z Einleitung
Die Skelettszintigraphie ist seit Jahrzehnten in Deutschland etablierter Bestandteil der nuklearmedizinischen Diagnostik, auch bei rheumatischen Erkrankungen, insbesondere beim Staging und zur objektiven Verlaufsbeurteilung bei der rheumatoiden Arthritis [1, 13–15], wird in dieser Indikation aber inzwischen eher selten angewandt.
z Prinzip der Methode
Das Prinzip der Skelettszintigraphie besteht in der Darstellung der Aktivitätsverteilung in Weichteilen, Knochen und Gelenken nach i.v. Applikation
von osteotropen Radiopharmaka mittels einer Gammakamera. Bei der Skelettszintigraphie werden Technetium-99m-markierte Phosphonate (z. B. Tc99m-MDP = Tc-99m-Methylen-Diphosphonat, Tc-99m-DPD = Dicarboxi-Propan-Diphosphonat) verwendet, die reversibel an der Hydroxylapatitmatrix
des Knochens angelagert werden (keine echte chemische Verbindung, sondern „Chemisorption“). Diese Anlagerung erreicht 2–5 Stunden nach Applikation einen für die Skelettszintigraphie aussagefähigen Kontrast zwischen Knochen und Weichteilen/Untergrund (zu diesem Zeitpunkt 50% der
Aktivität über den Urin ausgeschieden). Die Anreicherung ist abhängig
von der regionalen Knochenperfusion, dem Knochenstoffwechsel (Osteoblasten) und der Adsorption an der Apatitmatrix [13].
z Technische Voraussetzungen und Durchführung
Bei der zahlenmäßig häufigsten Fragestellung „Knochenmetastasen“ beschränkt man sich im Regelfall nur auf eine Ganzkörperdarstellung 2–5
Stunden nach der i.v. Applikation des Radiopharmakons. Dabei können
entweder statische Einzelaufnahmen (Dauer 3–5 min) verschiedener Körperregionen angefertigt werden oder (heute üblich) es fährt je ein Kamerakopf von ventral und dorsal den Patienten von Kopf bis Fuß langsam ab
(„Ganzkörperszintigraphie“, Dauer ca. 20 min). Soll eine bestimmte Kör-
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perregion des Patienten überlagerungsfrei abgebildet werden (z. B. Intervertebralgelenke), können durch den Umlauf der Kameraköpfe um die Körperregion („Rotation“, Dauer ca. 30 min) und Datenaquisition aus den verschiedenen Kamerapositionen (ähnlich wie bei der Röntgentransmissionscomputertomographie) durch entsprechende Rekonstruktionsalgorithmen
Schnittbilder in beliebigen Ebenen erzeugt werden. Da die Kameraköpfe
einzelne aus dem Patienten emittierte Photonen registrieren, heißt dieses
Aufnahmeverfahren SPECT („single photon emission computed tomography“).
Bei rheumatologischen Fragestellungen wird in der Regel eine sogenannte
„Mehrphasenszintigraphie“ durchgeführt. Dabei macht man sich zunutze,
dass i.v. applizierte Radiopharmaka zunächst im Blut zirkulieren (erst arteriell, dann kapillär/venös), um sich dann in einem bestimmten Organ/Organsystem anzureichern (z. B. im Falle von Tc-99m-MDP/DPD in das Skelett).
Man unterscheidet folgende Phasen:
0–60 s p. i.
Perfusionsphase (synonym: Einstromphase, arterielle Phase),
2–5 min p. i. Blutpoolphase (synonym: Kapilläre/Venöse Phase, Weichteilphase),
2–5 h p. i.
Knochenstoffwechselphase.
Gegebenenfalls kann bei bestimmten Fragestellungen noch eine Spätaufnahme 24 h p. i. angefertigt werden (z. B. bei der Differenzierung alte vs.
frische Wirbelkörperfraktur).
Nimmt man eine bestimmte Körperregion (z. B. Hände) mit einer Gammakamera in allen 3 Phasen auf (Applikation des Radiopharmakons unter
der Kamera und sofortiger Aufnahmebeginn nach Applikation), bezeichnet
man dies als „Dreiphasenskelettszintigraphie“. Da nur einmal Aktivität
appliziert wird, kann auch in nur einer Körperregion, deren Größe durch
das Gesichtsfeld der Gammakamera limitiert ist (Großfeldkamera ca.
60 ´ 40 cm), der arterielle Einstrom (Perfusion) mit einer dynamischen
Szintigraphie (z. B. 12 Bilder á 5 s) erfasst werden. Verzichtet man auf diese
erste Phase und beschränkt sich darauf, eine frühe (Blutpool) und eine
späte (Knochenstoffwechsel-) Ganzkörperszintigraphie anzufertigen, bezeichnet man dies als „Zweiphasen-(Ganzkörper)-Skelettszintigraphie“. Die
technischen Details (Qualitätskontrolle, Matrix, Kollimator. . .) richten sich
entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin
[2, 8, 12 (www.nuklearmedizin.de)].
Die Blutpoolphase erlaubt Aussagen über die entzündliche (Weichteil-)
Komponente („Arthritis“), die Knochenstoffwechselphase über länger dauernde knöchernde Prozesse („Arthrose“), wiewohl auch z. B. periartikuläre
Verkalkungen erfasst werden (z. B. bei Implantatmaterial/Prothesen). Ist eine
semiquantitative Auswertung der Szintigramme (z. B. Rechts-Links-Quotienten) zur Charakterisierung z. B. der Floridität einer Kniegelenksanreicherung
gewünscht, können am Bildschirm die Impulszahlen einer frei wählbaren
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(einzuzeichnenden Knie-) Region ermittelt werden. Dieses Vorgehen wird
häufig als „ROI-Technik“ bezeichnet („region of interest technique“) und
ist für intraindividuelle Verlaufsbeurteilungen hilfreich.
z Vor- und Nachteile der Methode
Vorteile
z sehr sensitiv;
z ist mit einer Untersuchung eine Ganzkörperabbildung;
z objektiv – das Anreicherungsmuster ist unabhängig;
z kann auch bei bettlägerigen Patienten durchgeführt werden;
z Gammakameras sind flächendeckend verfügbar;
z kann in der Regel schnell durchgeführt werden;
z ist für den Patienten ohne wesentliche Unannehmlichkeiten durchführbar;
z Strahlenexposition ist im Vergleich zu einer Ganzkörperabbildung mittels Röntgen/CT geringer;
z entsprechend den klinischen Angaben kann gezielt mit Mehrphasentechnik eine schmerzhafte oder geschwollene Region untersucht werden.
Nachteile
z nicht spezifisch;
z Einstromphase kann „pro Szintigraphie“ nur eine Körperregion abbilden;
z bedingt einen Zeitaufwand von ca. 3 Stunden (mit aber für andere Untersuchungen nutzbarem Intervall);
z arbeitet (im Gegensatz z. B. zur Sonographie) mit ionisiernder Strahlung.
z Indikationen und Kontraindikationen/Risiken
Die zahlenmäßig häufigste Indikation für die Skelettszintigraphie in der
Nuklearmedizin allgemein ist derzeit der Nachweis/Ausschluss von Knochenmetastasen bei osteotrop metastasierenden Tumoren (insbesondere
Mamma-, Prostata-, Bronchialkarzinom und Hypernephrom). In der Rheumatologie (und Orthopädie/Traumatologie) sind folgende Indikationen bedeutsam (Reihenfolge keine Wertung, Szintigraphie nicht notwendigerweise
primäres bildgebendes Verfahren [1, 2, 8]):
z Nachweis/Ausschluss einer Weichteil-/Gelenkbeteiligung bei rheumatischen/entzündlichen Erkrankungen (insbesondere bei rheumatoider
Arthritis) bzw. „objektive“ Beurteilung der Floridität (auch Algodystrophie und avaskuläre Nekrosen), auch zur Indikationsstellung für die (lokale) Therapie;
z Beurteilung der Vaskularisation und des Stoffwechsels (benigner, aber
insbesondere) maligner Knochentumoren (Osteosarkom);
z Nachweis/Ausschluss von unbekannten Frakturen bzw. der Frakturheilung/
der Vitalität von Knochentransplantaten.
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Kontraindikation
Gravidität (aber: im Einzelfall z. B. bei Malignom ggf. sehr wohl indiziert).
Risiken/Strahlenexposition
Aufgrund der minimalen Substanzmengen sind keine parmakologischen
Wirkungen/Allergien zu erwarten bzw. beobachtet worden. Die effektive
Dosis bei der Skelettszintigraphie mit 500 MBq Tc-99m-MDP beträgt
4,0 mSv (zum Vergleich: jährliche natürliche Strahlenexposition in
Deutschland 1–5 mSv).
z Dokumentation der Befunde
Die Befunddokumentation erfolgt entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin. Dies ermöglicht bei Verlaufsuntersuchungen oder Befunden aus verschiedenen Einrichtungen einen korrekten Vergleich [3, 4, 6, 7].
z Quantifizierung der Befunde
In der Regel werden szintigraphisch qualitative Befunde erhoben oder in
eine semiquantitative Skala integriert (normal, mäßige, deutliche, sehr
deutliche Anreicherung). Eine Quantifizierung der Impulse in einer bestimmten Gelenk-/Weichteilregion ist möglich („region of interest“, ROITechnik), jedoch für ein „Routineszintigramm“ bei der Frage Verteilungsmuster bei rheumatoider Arthritis zeitaufwändig (z. B. pro Hand 18 Gelenke + Handwurzelknochen ? 60 Regionen für die Hände ?).
z Eignung der Methode zur Verlaufsbeurteilung
Die Skelettszintigraphie ist als Ganzkörperverfahren gut für die langfristige
und objektive Verlaufsbeobachtung von Weichteil- und Knochenkomponenten geeignet. Zur Verlaufsbeurteilung der RA spielt sie aber praktisch keine
Rolle.
z Fehlerquellen
Bedingt durch die Notwendigkeit, das Radiopharmakon i.v. zu injizieren,
seiner „natürlichen“ Pharmakokinetik und technischer Gegebenheiten bei
der Szintigraphie ergeben sich eine Reihe von Fehlermöglichkeiten [2]:
z Urinkontamination oder externe Urinableitung,
z Fehlinjektion/Radioaktivität an Tupfern, Verbandmaterial etc.,
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z Implantate, Kontrastmittel oder andere schwächende Materialien, die die
Darstellung normaler Strukturen verändern,
z homogen erhöhte Knochenspeicherung (sog. „Superscan“ z. B. bei disseminierter Metastasierung),
z Bewegungen des Patienten während der Akquisition,
z zu großer Abstand zwischen Kollimator und Patient,
z zu frühe Szintigraphie,
z Artefakte durch Lagerungshilfen (Weichteilkompression),
z frühere Applikation höher energetischer Radionuklide (I-131, Ga-67,
In-111) oder einer Tc-99m-markierten Substanz mit einer Organanreicherung, die die Skelettbeurteilung behindert,
z Radioaktivität außerhalb des Patienten (Kontaminationen der Untersuchungsliege, Kleidung etc.),
z Beschränkung auf Teilkörperszintigramme (unerwartete Herde werden
nicht erfasst),
z Instabilität des Radiopharmazeutikums,
z Änderung der Blasenaktivität während einer SPECT des Beckens,
z lytische Läsionen,
z Beckenherde, die durch Blasenaktivität überlagert werden.
z Kosten/Zeitbedarf
Der EBM 2000 plus [11] honoriert die Skelettszintigraphie mit dem „Konsiliarkomplex“ Nummer 17210 mit 215 Punkten und mit den Nummern
17311 („Ganzkörper. . .“) mit 1835 Punkten sowie 17312 („. . . Ganzkörperzusatz“) mit 450 Punkten. Im Rahmen einer „Mehrphasenskelettszintigraphie“ fällt zusätzlich die Nummer 17360 mit 450 Punkten an. Der Einsatz
der Zwei- oder Mehrkopf-SPECT als Schnittbildtechnik mit Nummer 17363
erbringt 2800 Punkte (nur einmal berechenbar, es entfällt dann 17360). Die
Pauschale für das Tc-99m-Phosphonat beträgt 19,00 1 (Nr. 40502).
Nach GOÄ und DKGNT ([9,10] Preise in 1 jeweils einfacher Satz) können,
je nach Aufwand, zunächst die allgemeinen Nummern 1 (Beratung, 4,66 1),
5 (symptombezogene Untersuchung, 4,66 1), 75 (. . . schriftlicher Krankheitsund Befundbericht . . . , 7,58 1) berechnet werden.
Die eigentliche nuklearmedizinische Untersuchung beeinhaltet die Nummer 5425 (Ganzkörperskelettszintigraphie, 131,15 1), gegebenenfalls zusätzlich die Weichteilphase mit Nummer 5427 (. . . Blutpool . . . , 23,32 1), die Einstromphase mit Nummer 5481 (Sequenzsszintigraphie . . . , 39,64 1) und die
Quantifizierung von Impulsraten mit Nummer (quantitative . . . ROI . . . ,
43,72 1). Der zusätzliche Einsatz der SPECT als Schnittbildtechnik mit Nummer 5486 kann mit 69,95 1 berechnet werden.
Der Zeitaufwand beträgt für die Skelettszintigraphie insgesamt etwa 3
Stunden, da zwischen Applikation des Radiopharmakons und dem Beginn
der Szintigraphie des Knochenstoffwechsels 2 Stunden liegen sollten. Die
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Aufnahme des „Ganzkörpers“ (Phase 2 bzw. 3) dauert, je nach Kamerasystem und Zahl der Kameraköpfe etwa 15–30 Minuten, zusätzliche Aufnahmen (wie auch Phase 1/2 einer Region), z. B. der Hände, jeweils ca. 5 Minuten.
z Erforderliche Qualifikation des Anwenders
Die Skelettszintigraphie wird verantwortlich von einem Facharzt für Nuklearmedizin (synonym: Nuklearmediziner) durchgeführt. Zur Zulassung zur
Facharztprüfung für dieses Gebiet sind 5 Jahre Weiterbildung an einer
dafür ermächtigten Weiterbildungsstätte, davon 4 Jahre Nuklearmedizin
und 1 Jahr Weiterbildung im Stationsdienst nachzuweisen. Angerechnet
werden kann bis zu 1 Jahr Weiterbildung in diagnostischer Radiologie.
Zwei Jahre der Weiterbildung können bei einem niedergelassenen Arzt abgeleistet werden. Die Weiterbildungsordnung in der Nuklearmedizin
schreibt den Erwerb besonderer Kenntnisse und Erfahrungen der Diagnostik auf dem Gebiet der Bewegungsorgane vor [5].
z Literatur
1. Backhaus M, Kamradt T, Sandrock D, Loreck D, Fritz J, Wolf KJ, Raber H, Hamm
B, Burmester GR, Bollow M (1999) Arthritis of the finger joints: a comprehensive
approach comparing conventional radiography, scintigraphy, ultrasound, and contrast-enhanced magnetic resonance imaging. Arthritis Rheum 42:1232–1245
2. Bares R (1999) Leitlinie für die Skelettszintigraphie. Nuklearmedizin 38:251–256
3. Bohuslavizki KH, Mester J, Clausen M (1997) Bildbeispiele zur standardisierten nuklearmedizinischen Bilddokumentationen. Nuklearmedizin 36:53–54
4. Bohuslavizki KH, Buchert R, Mester J, Clausen M (1998) Nuklearmedizinische
Bilddokumentation. www. nuklearmedizin.de. Nuklearmediziner 21:222–224
5. Bundesärztekammer/Landesärztekammern (2002) Weiterbildungsordnungen.
www.aerztekammer.de
6. Clausen M, Bohuslavizki KH, Mester J, Henze E (1996) Vergleichbarkeit nuklearmedizinischer Bilddokumente. Der Nuklearmediziner 19:213–214
7. Clausen M, Arbeitsgemeinschaft Standardisierung der DGN (2002) Bilddokumentation zur Standardisierung von Szintigrammen. www. nuklearmedizin.de
8. Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin (2002) Leitlinien der Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin. www.nuklearmedizin.de
9. Deutsche Krankenhausgesellschaft (2005) DKG-NT Band 1: Tarif der Deutschen
Krankenhausgesellschaft. Kohlhammer, Stuttgart
10. Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), UV-GOÄ (2005) Stand der Ausgabe: 1. 4. 2005.
Deutscher Ärzteverlag, Köln
11. Kassenärztliche Bundesvereinigung (2005) Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM),
Stand: 1. April 2005. Deutscher Ärzteverlag, Köln
12. Knoop B (1999) Leitlinie für nuklearmedizinische Bildgebung. Nuklearmedizin
38:273–278
Szintigraphie bei rheumatoider Arthritis
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13. McAfee JG, Reba RC, Majd M (1995) The musculoskeletal system. In: Wagner HN,
Szabo Z, Buchanan JW (eds) Principles of nuclear medicine. W.B. Saunders, Philadelphia London Toronto Montreal Sydney Tokyo
14. Sandrock D (2001) Skelettszintigraphie. In: Wahn V, Oppermann J, Huppertz HI,
Zepp F (Hrsg) Rheumatische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Hans
Marseille, München, S 133–135
15. Schicha H, Schober O (2001) Nuklearmedizin – Basiswissen und klinische Anwendung. Schattauer, Stuttgart New York
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