Auswirkungen von Unterwasserschall auf marine Wirbeltiere (1.4

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Auswirkungen von Unterwasserschall auf marine Wirbeltiere (1.4
Auswirkungen von
Unterwasserschall auf marine
Wirbeltiere
CLUSTER 7
PROJEKTBESCHREIBUNG
Die Beurteilung der Auswirkungen von Unterwasserschall auf marine Wirbeltiere
(Schweinswale, Seehunde, Kegelrobben und Fische) bedarf einer wissenschaftlichen
Grundlage. Für artenschutzrechtliche Prüfungen im Rahmen von Genehmigungsverfahren sind daher grundlegende Forschungen zu den Auswirkungen von Unterwasserschall,
insbesondere auf marine Wirbeltiere, erforderlich.
In Cluster 7 werden anwendungsorientierte Forschungen zu einer möglichen Beeinflussung der belebten Natur durch menschengemachten Lärm durchgeführt. Ziel ist es,
überprüfbare Standards zur Bewertung des Einflusses von Unterwasserschall auf marines Leben zu entwickeln. Das vom Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) in Büsum in enger
Zusammenarbeit mit dem BfN koordinierte Cluster 7 untersucht ein breites Aufgabenspektrum zu diesem Thema.
Beteiligte Institutionen:
In Kooperation mit nationalen und internationalen Partnern (u.a. Universität Aarhus, Dänemark; DWShipConsult GmbH; Universität Liege, Belgien; IMARES, Niederlande; University St. Andrews, Großbritannien; DMM, Stralsund; National Marine Mammal Foundation, USA) und Einrichtungen (u.a. Fjord&Baelt
in Kerteminde, Dänemark; Dolfinarium und SOS Dolfine in Harderwijk, Niederlande; Marine Station Hel,
Polen) werden in verschiedenen Teilprojekten das Hörvermögen und Verhalten von Schweinswalen und
Robben bei Lärm erforscht, sowie Untersuchungsansätze zu möglichen Schädigungen von Fischen durch
impulsartige Schallereignisse entwickelt.
Abb. 1: Schweinswal mit Datalogger, Foto: Jonas Teilmann
Freilebende Schweinswale und auch Robben wurden mit einem automatischen Fahrtenschreiber
(siehe Abb. 1) ausgestattet. Dieser kleine, kompakte
Datenlogger speichert neben Wassertiefe und
Schwimmgeschwindigkeit die momentane Position
des Tieres mittels GPS oder eines Argos Transmitters, sowie den umgebenen Schall (Lautäußerungen des Tieres selbst und anderen natürlichen und
anthropogen verursachten Unterwasserschall). Die
bei Schweinswalen mit Saugnäpfen angebrachten
Logger können nach ihrer Ablösung mittels eines
VHF Empfängers geortet werden. Das natürliche
Verhalten der Tiere und ihr Erfolg bei der Nahrungssuche kann ausgewertet und der Energieverbrauch quantifiziert werden. Ziel der Untersuchungen ist das bessere Verständnis möglicher Verhaltensänderungen nach Unterwasserschallereignissen (Flucht, Tauchverhalten, Abwanderung aus den
140
„lauten“ Gebieten).
Zur Vervollständigung der Informationen über
Lärm im Meer wurde in den Natura 2000 Schutzgebieten der Nord- und Ostsee eine Schallkartierung
mittels Unterwassermikrofonen durchgeführt. Dazu
wurden Unterwasserschall-Rekorder erprobt und
fischereisichere Verankerungssysteme etabliert, die
die teuren Geräte vor Trawling schützen. Die Hintergrundschallmessungen in Schutzgebieten der
Ostsee ergaben eine abnehmende Lautstärke in der
Reihenfolge: Fehmarn Belt – westliche Rönnebank
– Kadetrinne – Pommersche Bucht und Adlergrund
– Oderbank. Frequenzen zwischen 20 und 1.000 Hz
wurden im Fehmarnbelt mit 90 bis 116 dB re 1 µPa
(Median) gemessen (siehe Abb. 2) und werden in
erster Linie durch das hohe Schiffsaufkommen in
dieser Region verursacht. Die Schallkartierung ist
Grundlage, um die Lärmbelastung in verschiedenen Gebieten der Nord- und Ostsee einschätzen.
1/3 Octave Level [db] re 1 µPa
130
120
110
100
90
80
70
60
50
Frequenzy [Hz]
40
5
50
Fehmarn Belt
Pomeranian Bay 1
Sea State 6 (1/3)
500
Kadet Trench
Pomeranian Bay 2
Moderate Shipping (1/3)
Western Rønne Bank
Odra Bank
Harbor porpoise hearing threshold
5000
Adler Ground
Sea state 2 (1/3)
Abb. 2: Alle Teilprojekte zusammen genommen, konnten bereits eine Menge wichtiger Grundlagendaten erhoben werden, um gezielte Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen treffen zu können. Grafik: DW Ship Consult
Abb. 3: Ringwade, Foto: Universität Aarhus
Abb. 4: Schweinswal in Ringwade, Foto: Jonas Teilmann
Schweinswale und Kegelrobben in Menschenhand
dienten bei den Untersuchungen als Basis- oder
Vergleichsgruppe. Gerade für die artenschutzrechtlichen Fragestellungen war es wichtig, freilebende
Schweinswale mit einzubeziehen. Hier wurde eng
mit dänischen Fischern zusammen gearbeitet.
In Dänemark werden zum Fischfang bodentiefe,
runde Netze (so genannte Ringwaden, siehe Abb. 3)
verwendet. Wenn Schweinswale den Fischen folgen,
verschwimmen sie sich in das Netz (siehe Abb. 4)
und können untersucht werden.
Mittels der Etablierung molekularbiologischer
Methoden für den Schweinswal, wurden physiologische Stressreaktionen auf Handhabung und
akustische Belastung aus Blutproben auswertbar
gemacht. Das Augenmerk der Studie lag auf der
Messung verschiedener Stresshormone (Analyse
durchgeführt vom Endokrinologikum, Hamburg)
und der quantitativen Bestimmung der mRNA-Expression stressbedingter Botenstoffe. Es wurde gezeigt, dass an den Menschen gewöhnte Schweinswale im Vergleich zu den wildlebenden Tieren die
geringsten Konzentrationen an Stresshormonen
aufweisen. Zwei Schweinswale konnten dreifach
beprobt werden und zeigten einen signifikanten
Anstieg der Stresshormone nach Beschallung mit
einer Airgun. Da es sich beim Immunsystem, um
ein komplexes Gefüge mit zahlreichen Interaktionen der Hormone und Botenstoffe untereinander
handelt, bedarf es für eine abschließende Aussage
über Ursache und Wirkung gemessener Hormonprofile und der Genexpression, weiterer Untersuchungen.
Parallel zu den Blutabnahmen wurden audiometrische Untersuchungen an den Schweinswalen
durchgeführt. Nach Aufzeichnung eines Basisaudiogramms, um das individuelle Hörvermögen festzustellen, wurden diese mit einer Airgun mit 164,3
dB re µPa2s beschallt. Mittels Einfach- und Mehrfachbeschallungen soll festgestellt werden, wann
eine zeitweilige Verschiebung der Hörschwelle
(temporary threshold shift, TTS) auftritt.
Auch das Hörvermögen von Kegelrobben wurde
näher untersucht. Dazu wurden erstmalig „inear“-Kopfhörer etabliert und akustisch evozierte
Potentialen (AEP) nach Präsentation verschiedener
Tonstimuli abgeleitet. Die daraus abgeleiteten Audiogramme zeigen, das Kegelrobben in Luft Frequenzen größer oder gleich 2,8 kHz deutlich besser
hören als bisher vermutet. Diese Untersuchungen
in Luft sind die Grundlage für folgende AEP Messungen unter Wasser.
Literatur:
Müller, S.; Lehnert, K.; Seibel, H.; Driver, J.; Ronnenberg, K.; Teilmann, J.; van Elk, C.; Kristensen, J.; Everaarts,
E.; Siebert, U. (2013): Evaluation of immune and stress status in harbour porpoises (Phocoena phocoena): can hormones
and mRNA expression levels serve as indicators to assess stress? BMC Veterinary Research 9: 145; doi:10.1186/17466148-9-145 (http://www.biomedcentral.com/1746-6148/9/145/).
Ruser, A.; Dähne, M.; Sundermeyer, J.; Lucke, K.; Houser, D.S.; Finneran, J.J.; Driver, J.; Pawliczka, I.; Rosenberger, T.; Siebert, U. (2014): In-air evoked potential audiometry of grey seals (Halichoerus grypus) from the North and
Baltic Seas. PLos one, DOI: 10.1371/journal.pone.0090824.