TIBET – Klöster öffnen ihre Schatzkammern

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TIBET – Klöster öffnen ihre Schatzkammern
T I B E T
19. AUG.-26. NOV. 2006
VILLA HÜGEL ESSEN
Pressemitteilung I Langfassung (S. 1)
TIBET – Klöster öffnen ihre Schatzkammern
19. August bis 26. November 2006: Einzigartige Tibet-Ausstellung in der Villa Hügel
Die Villa Hügel in Essen, einst Wohnhaus der Familie Krupp, hat sich einen weit über die
Region hinausweisenden Namen in der Kulturlandschaft Nordrhein-Westfalens gemacht.
Neben der Präsentation bedeutender Werke Alter Meister sind es die großen
kulturhistorischen Projekte, die das Publikum in ihren Bann ziehen. Einen Schwerpunkt bildet
dabei Kunst und Kultur Zentral- und Ostasiens.
Vor dem Hintergrund dieser Tradition ermöglicht die Kulturstiftung Ruhr jetzt die Annäherung
an eine faszinierende Kultur: Im Brennpunkt stehen Tibet und seine nahezu unbekannten
Klosterschätze. Vom 19. August bis zum 26. November 2006 zeigt die Villa Hügel eine
Vielzahl von bis zu 1500 Jahre alten religiösen Kunstwerken aus den Schatzkammern
tibetischer Klöster, die größtenteils das Land niemals zuvor verlassen haben – und
präsentiert mit dieser Weltpremiere ein einzigartiges Ausstellungsereignis. Die Staatlichen
Museen zu Berlin planen eine anschließende Übernahme.
In den letzten Jahren war im Rahmen zahlreicher Ausstellungen in Europa tibetische Kunst
aus westlichen Sammlungen zu sehen; zwei große Schauen wie „Tesori del Tibet“ in Mailand
(1994) und „Tibet - Treasures from the Roof of the World“ in Santa Ana (2003) – die als
Wanderausstellung bis 2005 durch die USA reiste – waren auch mit Schätzen aus den
Sammlungen in und um Lhasa bestückt. Doch noch nie wurden religiöse Kultgegenstände
aus verschiedenen tibetischen Klöstern und einem Provinzmuseum in Zentraltibet, also aus
Sammlungen außerhalb der Hauptstadt Lhasa, in einer Ausstellung gezeigt.
Neben dem Potala-Palast in Lhasa, dem ehemaligen Sommerpalast der Dalai Lamas –
Norbulingka –, dem Tibet Museum und dem Yarlung Museum in Tsethang gehören die
Klöster Sakya, Tashi Lhünpo, Palkhor Chöde in Gyantse, Shalu und Mindröling zu den
wichtigsten Leihgebern der Villa Hügel.
Die ersten Schritte auf dem Weg zur Realisierung der Tibet-Schau in der Villa Hügel liegen
länger als drei Jahre zurück: Nachdem die Kulturstiftung Ruhr die Entscheidung getroffen
hatte, erstmals in Deutschland Kunst aus Tibet zu zeigen, die sich auch heute noch dort
befindet, wurde zunächst Kontakt zur chinesischen Botschaft in Berlin als Vertreterin der
Autonomen Region Tibet in Deutschland aufgenommen, die ihre Bereitschaft signalisierte,
das Projekt zu unterstützen, und eine Verbindung zu den tibetischen Kulturbehörden
herstellte. Es folgten insgesamt vier Delegationsreisen der Kulturstiftung Ruhr nach Tibet, die
für das Team um Univ.-P. Dr. Jeong-hee Lee-Kalisch, Professorin an der Abteilung Ostasien
des Kunsthistorischen Instituts der Freien Universität Berlin und Kuratorin der Ausstellung,
von außergewöhnlichen Erfahrungen und Erlebnissen geprägt waren.
Zunächst galt das Interesse der Feldforschung, also dem Studium der buddhistischen Kultur
vor Ort, den Strukturen der musealen Institutionen und dem Umgang mit der sakralen Kunst
in Tibet. Doch auch die Suche nach verborgenen Schätzen war Antriebsfeder für die
anstrengenden Expeditionen – und trug reiche Früchte, denn die zahlreichen Objekte, die
das Team in Museen, Palästen und Klöstern besichtigen durfte, faszinierten durch
herausragende Qualität. Die große Neugier auf Entdeckungen und der Ehrgeiz, schnell neue
Forschungsergebnisse erzielen zu wollen, verflogen jedoch rasch bei den Begegnungen mit
demütigen Mönchen und Äbten in Klöstern und mit ihren gläubigen Anhängern. Schnell
begriff man, dass sehr viel Geduld und Zeit – vielleicht von lebenslanger Dauer – vonnöten
sein würde, um das wenig bekannte Terrain zu erforschen.
Pressestelle: Claudia Holthausen I Tel. 0201/61629-16 I Fax 0201/61629-11 I Mobil 0172/2784981 I [email protected]
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19. AUG.-26. NOV. 2006
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Pressemitteilung I Langfassung (S. 2)
Umso größer war die Freude über das Entgegenkommen der Äbte in den bedeutenden
Klöstern Tibets. Obwohl ihnen das Prinzip Kunstausstellung und das damit verbundene
Verständnis von autonomer Kunst fremd ist, zeigten sie Interesse, die monastischen Schätze
einem westlichen Publikum zugänglich zu machen – gleichsam als Chance einer kulturellen
und spirituellen Mission. Aus Respekt vor den Gläubigen und ihrer sanften und zugleich
dynamischen Religion verzichtete die Delegation aber bewusst auf die Ausleihe von
Kultobjekten, die stark in den alltäglichen religiösen Kontext des klösterlichen Rituals
eingebunden sind.
Rund 150 Exponate – von lebensgroßen Skulpturen über Gemälde und vielgestaltige
Mandalas bis hin zu Schreinen, Tempeldekor und Altargerät – sind nun in Essen
eingetroffen. Feuervergoldete Figuren, minutiös gemalte oder gestickte Rollbilder,
seidenapplizierte Wandbehänge, edelsteinbesetztes Altargerät, illuminierte Manuskripte mit
kunstvoll geschnitzten Buchdeckeln und kostbare Schreine zeigen in vielfältigsten Formen
und Symbolen immer wieder Buddhas, Bodhisattvas, Lehrmeister, Meditations- und
Schutzgottheiten sowie Himmelswandlerinnen. Sie sind von herausragender ästhetischer
Beschaffenheit und beeindrucken durch ihre Pracht. Das älteste Stück in der Ausstellung ist
auf das Jahr 473 n. Chr. datiert: ein sitzender, knapp 30 cm hoher Buddha Shakyamuni aus
Bronze. Die jüngsten Exponate wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts angefertigt. Einen
Schwerpunkt – und ganz gewiss auch einen der Höhepunkte – der Ausstellung bildet eine an
Lebendigkeit und Vollkommenheit gleichermaßen unübertreffliche Skulpturengruppe: zehn
annähernd lebensgroße, ins frühe 16. Jahrhundert datierte Porträts von Meistern der SakyaSchule. Weitere Glanzpunkte sind eine große Skulptur des Tausendarmigen
Avalokiteshvara, Bodhisattva des unermesslichen Mitgefühls, ein außergewöhnlich gut
erhaltenes indisches illuminiertes Manuskript aus dem 11. Jahrhundert sowie die zum
farbenprächtigen textilen Rollbilder, sogenannte Thangkas. All diese Arbeiten wurden von
meist anonym gebliebenen Künstlern nicht nur im Land selbst geschaffen, sondern haben
ihren Ursprung zum Teil auch in Indien, Nepal, Burma, Kaschmir und China – Regionen, zu
denen Tibet rege Beziehungen unterhielt.
So wird die stilistische Bandbreite der Kunst in Tibet erfahrbar. Zugleich gibt die Villa Hügel
mit diesem Projekt einen Einblick in die buddhistische Kultur der Tibeter. Um beiden
Blickwinkeln und damit auch der außergewöhnlichen Großzügigkeit der Leihgeber Rechnung
zu tragen, heißt die Ausstellung „Tibet – Klöster öffnen ihre Schatzkammern“. Dieser Titel
bezieht sich nämlich nicht nur in der wörtlichen Bedeutung auf den Wert und die Schönheit
der Kunstschätze, sondern auch im übertragenen Sinn auf die dargestellten Figuren als
Objekte der Zuflucht, die in der Sutra-Tradition als „Kostbarkeiten“ oder „Juwelen“ bezeichnet
werden. Durch die Präsentation der sichtbaren Preziosen sollen auch die unsichtbaren,
spirituellen Aspekte dieser „Juwelen” ins Licht gerückt werden.
Die tibetische Kunstgeschichte ist untrennbar verbunden mit der geistig-religiösen
Geschichte dieses Landes auf dem „Dach der Welt“, dessen Name für die rational geprägte
westliche Gesellschaft den Zauber einer magischen Formel ausstrahlt und als Symbol
geheimen Wissens um Sinn und Ziel des Daseins gilt. Mit gutem Grund: In wohl kaum einem
anderen Land der Erde ist die Überzeugung von der Richtigkeit und seelischen Wirksamkeit
des Glaubens über Zeitläufe hinweg so tief und konstant im Bewusstsein ihrer Bewohner
verwurzelt und so bestimmend für ihr Leben wie in Tibet. Der Buddhismus ist die Substanz
tibetischer Identität, und jegliches Kunstschaffen war immer Ausdruck dieser Haltung.
Pressestelle: Claudia Holthausen I Tel. 0201/61629-16 I Fax 0201/61629-11 I Mobil 0172/2784981 I [email protected]
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Pressemitteilung I Langfassung (S. 3)
Die Exponate dienen auch heute noch in den Klöstern Tibets als Ritual- und Kultobjekte und
werden von Laien und Klerus gleichermaßen verehrt. Der Gläubige, der über die
dargestellten Buddhas und Gottheiten meditiert, strebt danach, grenzenloses Mitgefühl
gegenüber allen Lebewesen zu entwickeln und seine eigene Buddha-Natur zu erfahren. So
gelten alle Kunstwerke als wertvolle Helfer auf dem Weg zur Erleuchtung. Damit präsentiert
die Ausstellung nicht nur Kunstschätze von hohem Wert und exotischer Schönheit, sondern
auch das kulturelle und geistige Gut eines selbstbewussten Volkes.
Um die künstlerische und ikonographische Bandbreite der Exponate veranschaulichen und
dem Besucher zugleich die Grundlagen des tibetischen Buddhismus im Spiegel der Kunst
nahe zu bringen, ist die Ausstellung nach fünf Hauptthemen gegliedert. Im Mittelpunkt stehen
die oben erwähnten zehn Porträtplastiken von Meistern der Sakya-Schule. Sie
dokumentieren die Überlieferung eines der acht großen Meditationssysteme, die zwischen
dem 8. und 12. Jh. von Indien nach Tibet kamen. Einen weiteren thematischen Schwerpunkt
bildet neben dem klösterlichen Leben die Vielzahl buddhistischer Gottheiten und
Lehrmeister. Als Träger einer tiefen Symbolik, die den Mikrokosmos des menschlichen
Daseins mit dem universalen Makrokosmos verbindet, repräsentieren Mandalas in der
Ausstellung den tantrischen Buddhismus. Einblicke in den Alltag der Religionsausübung gibt
eine Zusammenstellung von Insignien und Gebrauchsgegenständen religiöser Herrscher
Tibets, von Schreinen und Altargerät, Ritual- und Weihegegenständen, Tempeldekor sowie
Musikinstrumenten und Tanzmasken. Ein eigenes Kapitel der Ausstellung schließlich befasst
sich mit tibetischer Heilkunde, die in ihrem ganzheitlichen Ansatz in einem engen
Zusammenhang mit der Kultur und der Religion des Landes steht. (siehe DIE THEMEN DER
AUSSTELLUNG)
Das besondere Verdienst der Ausstellung ist es, die Kenntnis tibetischer Kunst, die bislang in
erster Linie auf Stücken aus westlichen Privatsammlungen basierte, um den Blick auf die in
Tibet verbliebenen Werke zu erweitern und so ihren spirituellen Hintergrund zu erhellen.
Außerdem wurde wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet: Viele der gezeigten Stücke waren
bislang unpubliziert und wurden erstmals einer ausführlichen wissenschaftlichen Bearbeitung
unterzogen. Sie wurden erfasst, entziffert, chronologisch eingeordnet und interpretiert – ein
Prozess, der dem Schutz einmaliger Kunstschätze und damit auch der Pflege eines
bedeutsamen kulturellen Erbes dient.
Ein 680 Seiten umfassender, reich bebildeter Katalog (30,- €) dokumentiert die Schau in der
Villa Hügel. Er beginnt mit einem Essay-Teil, in dem renommierte Wissenschaftler aus
Europa, Tibet und Amerika eine Einführung in die tibetischen Kunst und Kultur des Landes
geben. Im eigentlichen Katalogteil sind die Objekte nach der Ikonographie und Funktion der
Kunstwerke analog zur Ausstellung in fünf große Themenbereiche gegliedert. Die
Katalogbeiträge sind im Wesentlichen ein Gemeinschaftswerk des wissenschaftlichen
Arbeitsteams aus den Fächern Tibetologie, Indologie, der südasiatischen und ostasiatischen
Kunstgeschichte sowie der Buddhismuskunde.
Sanskrit-Namen und Termini sind abweichend vom Katalog eingedeutscht.
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