Trouble in Shangri-La

Transcrição

Trouble in Shangri-La
Mythos Tibet
Trouble in Shangri-La
Eine Ausstellung und ein neues Buch entlarven
westliche Trugbilder von Tibet
Das sakrale Tibet als Kulisse, vor der sich weiße „Lamas“ tummeln: Filmplakat zu dem Streifen
„In den Fesseln von Shangri-la“ (Original „Lost Horizon“) von 1937.
von Ludmilla Tüting
D
ie Sehnsucht nach dem Paradies ist uralt. Schon in der
griechischen und römischen
Antike wurden utopische Wünsche
auf unbekannte Völker und ferne
Länder projiziert. In unserem Zeitalter sind „Exotik“, die Südsee und vor
allem Tibet mit seinem Buddhismus
„in“. Deshalb wundert es nicht, daß
Fernsehzuschauer Ende Juli den Pavillon Bhutans zum schönsten der
Hightech-Weltausstellung Expo kürten. Der tibetische Buddhismus ist
Staatsreligion in dem Himalaya-Königreich, das sich mit einem religiösen Gebäude samt kleinem Kloster
und leibhaftigen Mönchen präsentiert. Ein bißchen Tibet...
Selten konnte eine Region weltweit
so viele Phantasien freisetzen wie das
von China besetzte Schneeland auf
dem Dach der Welt. Der Schweizer
Ethnologe Martin Brauen, selbst mit
einer Tibeterin verheiratet, trug akribisch alles zusammen, was ihm an Zerrbildern in Literatur, Filmen und in der
Werbung unter die Augen kam. Das
Ergebnis ist eine erschreckende, aber
auch überaus anregende Ausstellung im
Völkerkunde-Museum Zürich und das
ebenso spannende Buch „Traumwelt Tibet - westliche Trugbilder“. Das reich
illustrierte Buch enthält viele Erklärungen zum - derzeit leider wieder aktuellen Thema - Rassenwahn, der ungefragten Vereinnahmung Tibets durch die
Nazis und die dadurch entstandenen
neuen Mythen.
Die Vermarktung Tibets und des tibetischen Buddhismus ist allgegenwärtig. Daß die harmlosen Turnübungen
„Die fünf Tibeter“ eine westliche, äußerst profitable Erfindung sind, spricht
sich trotz gegenteiliger Beteuerungen
des Scherz-Verlages langsam herum.
Bei diesem Beispiel zeigt sich besonders
deutlich, wie häufig bestürzt, mitunter
gar feindselig auf den Versuch reagiert
wird, Tibet und seine Menschen objektiv und differenziert darzustellen bzw.
Mythen zu entlarven. Dies ist nicht
weiter verwunderlich, glaubt Brauen,
denn ein Hauptcharakteristikum von
Vorurteilen, positiven wie negativen,
sei ihre Starrheit und Unverrückbarkeit.
In der Werbung ist die Kommerzialisierung und Trivalisierung insbesondere des sakralen Tibet am auffälligsten.
Auch Exil-Tibeter und Klöster sind
daran beteiligt. Geworben wurde und
wird für Autos, Computer, Faxgeräte,
Camcorder, Fernsehgeräte, Staubsauger, Uhren, Brillen, Parfüms, Bohnerwachs, Schuhe, Sonnenschutzmittel,
Flüge, Reisen, Wellness, Restaurants,
Hotels, Kletterseile, Bier, Tee, Käse,
Riegel, Lutschtabletten, Aufbaupräparate, Krankenversicherungen und anderes mehr. Religiöse Symbole zieren TShirts, Leibchen, Shorts, Seidenschals,
Rucksäcke, Taschen, Bildschirmschoner, Schmuck, Kosmetika, Eau de Toilette, Uhren, Brillenetuis, Buttons,
Würfel-, Karten-, Gesellschafts- und
Computerspiele, Aschenbecher und
selbst Fußmatten. In Kneipen konnte
man mit einem „Shangri-La-Gerät“ sogar flippern! Es ist in der Ausstellung zu
bewundern. Zu „Instant“-Dharma-Produkten zählen „Tibetanische Liebeskissen“, Gebetsschnüre, Schatzvasen,
„authentische Bön-Schamanenjacken,
handgenäht in Nordindien von tibetischen Flüchtlingen, die wissen, worauf
es ankommt“, Ma¶ðalas zum Ausmalen für Kinder, Ma¶ðalas als Puzzle und
Sandma¶ðalas zum Selberstreuen.
„Deren Käuflichkeit soll den schnellen Weg zur Erleuchtung garantieren“,
ärgert sich Martin Brauen, „wie beispielsweise ein unverschämter Werbe-
Tibet und Buddhismus • Heft 55 • Oktober November Dezember 2000
23
Mythos Tibet
Ständig wiederkehrende
Mythen über Tibet
• Tibet als geheimer, mysteriöser,
sakraler Ort, der durch die hohen
Berge schwer zugänglich ist;
• Tibet als Land mit spirituellen Geheimnissen, oft in unterirdischen Bibliotheken aufbewahrt, die nur Auserwählte betreten dürfen („Agarthi“);
• Tibet als Paradies, Shangri-La;
• Tibet als Land der Wundertaten
mit allwissenden Mönchen (nicht
Frauen bzw. Nonnen), die die Levitation beherrschen;
• Tibet als Ort übernatürlicher Kräfte von Heiligen mit kraftspendenden
Ritualgegenständen wie Gebetstrommeln, Ritualdolchen, Mantras,
Ma¶ðalas.
• Tibet als Rückzugsgebiet: Überlebende der Sintflut, von Atlantis und
„Thule“; Spuren der „arischen, nordischen Herrenrasse“, Priesterkönig
Johannes, Nestorianer, Christus,
Sherlock Holmes, Hitler; in neuerer
Zeit auch als Rückzugsgebiet von
Tieren und Pflanzen;
• Tibet als (fast) asexuelles Land: Im
Gegensatz zu anderen irdischen Paradiesen, die als geheime Gärten der
Lüste dargestellt werden, dominieren
in den Vorstellungen über das sakrale Tibet die Männer, Lamas und Tulkus. Das Gegenstück sind Bücher
über Tantrismus, in denen Tibet eine
Art „tantrisches Bordell“ sein soll;
• Tibet als Land des einfachen und
überschaubaren Lebens in natürlicher Landschaft, der Kontiunität im
Gegensatz zum hektischen Leben;
• Tibet als Land der Traditionen,
was ein Geborgensheitsgefühl vermittelt;
• Tibet als Land der Hoffnung auf
eine bessere Wiedergeburt;
• Tibet als Land der Mission und des
neuen Menschen. Das sakrale Tibet
hat nach Ansicht derjenigen, die an
seine Heiligkeit glauben, einen Auftrag: Von hier geht die Rettung für
den gesamten Planeten aus.
• Tibet als Land des Friedens.
24
text für eine Schweizer Armbanduhr mit Kålacakra-Symbolik“. Er
lautet: „Sei ein Krieger für den
Weltfrieden! Die Designeruhr, deren Erschaffung durch sakrale tibetische Kunst inspiriert wurde und
durch Seine Heiligkeit den 14. Dalai Lama gutgeheißen wurde, ist
dem Streben nach Erleuchtung,
nach Weltfrieden und einem freien
Tibet gewidmet. ...Das zentrale Kalachakra-Symbol verkörpert die gesamte Essenz der Kålacakra-Lehre.
Tibetische Buddhisten glauben an
seine beschützende Kraft und sei- Der Kommerz hat die Tibeter entdeckt: Werbung
für einen Notebook-Computer aus dem Jahr 1992
nen Segen. Man glaubt, der stän- (Foto Nick Vedros, BBDO, Los Angelas, CA)
dige direkte Kontakt mit dem
Emblem durch Sehen, Berühren
oder Tragen schafft die Basis zur
Befreiung aus dem leidhaften Lebenskreislauf (Saþsåra) – in diesem
Leben oder in einem nahen zukünftigen Leben“.
Nicht nur hier werde der Dalai
Lama als Garant für die Authentizität und Wirksamkeit eines ObSchwerwiegender Fehltritt: Türmatte mit Abbiljekts genannt, wahrscheinlich, ohne dung einer tibetischen Buddha-Statue (Silly, Spadaß er davon weiß, sagt Brauen. ce Lab, Niederlande, made in China, 90er Jahre)
Um eine Buddha-Statue, die entgegen dem Werbetext keinen Buddha auch von Tibetern produziert und verMaitreya zeigt, besser verkaufen zu kön- kauft wird. Vollends entsetzt ist Brauen
nen, behauptete die Kollektion „Ars über Aschenbecher und Fußmatten mit
Mundi“ gar: „Aus dem Schatz des Dalai Abbildungen des Buddha, die auch in
Lama. Dalai Lama persönlich übergab der Ausstellung gezeigt werden: „Asche
diesen Maitreya-Buddha der Sammlung und schmutzige Schuhe auf dem Bild
‚Schatz des Dalai Lama‘ des Kunstmu- Buddhas abzustreifen, sind besonders
seums Schloß Nörvenich. Ein gleiches verletzende Beispiele. Noch tiefer kann
Exemplar befindet sich im Tempel des der Geschmack eines Herstellers und die
Dalai Lama. Wir liefern die Sakralfi- Nicht-Achtung religiöser Inhalte kaum
gur zusammen mit der Original-Li- sinken!“
Als besondere Werbe-Magneten entthographie des Abdrucks der rechten
Hand des Dalai Lama. Diese die puppten sich tibetische Mönche, echte
schutzverheißende Geste symbolisie- und unechte, die vor allem moderne
rende Hand gilt den Gläubigen als westliche Technologie anpreisen. Furoberuhigendes Amulett, und von der re machte die Laptop-Werbung mit
Bronze sollen wohltätige magische dem Tibetologen Glenn Mullin und
vier Mönchen aus dem südindischen
Schwingungen ausgehen“.
Brauen fragt sich auch, ob den Be- Drepung-Kloster. Umstritten war die
sitzern der T-Shirts und anderer Beklei- Apple-Reklame „Think different“ des
dungsstücke mit sakralen Zeichen „be- Dalai Lama, bis er sie schließlich zuwußt ist, daß die Verwendung solcher rückzog. Überhaupt sei die Tibet-WerWäsche geschmacklos ist, weil sakrale bung völlig männerzentriert, stellte
Symbole nach tibetischer Auffassung Brauen fest. Dabei seien vor allem
niemals beschmutzt werden dürfen“. Es Fernseh-Spots mit dem Mythos Levitamuß freilich ergänzt werden, daß sie in tion, dem freien Schweben, beliebt. Die
Nepal und Indien in großen Mengen TV-Werbung eines Staubsauger-Her-
Tibet und Buddhismus • Heft 55 • Oktober November Dezember 2000
Mythos Tibet
Der Bodhisattva Avalokiteœvara, wie ihn sich
Künstler vorstellen, die nie in Tibet waren.
Stich aus China Illustrata von Athanasius Kircher (1667).
stellers entbehrt allerdings nicht einer
Portion Humor, wenn ein Mönch in
einem Kloster unter levitierenden Mönchen staubsaugt. Gar nicht komisch ist
dagegen die Werbung für ein CitroënCoupé, das in einem Fernsehspot ganz
offensichtlich zur Reinkarnation eines
zuvor verstorbenen Tulkus wird. Die
Sprache verschlägt einem auch die Werbung für ein Mückenvertilgungsmittel
von Bayer, das ein meditierender, levitierender Mönch versprüht. Kommentar: „Es braucht nicht viel, um Geistesruhe zu erlangen“. In der Ausstellung
können sich Besucher 16 Fernsehwerbespots aus Europa, Asien und den USA
am Bildschirm ansehen.
und die von ihr erfundene rassistische „Geheimlehre“ vor. Viele
ihrer bizarren Behauptungen gehören bis
heute zum Tibet-Trugbild von Nazis, braunen
Esoterikern und - ohne
sich dessen bewußt zu
sein – Tibet-Fans. Die
Zusammenhänge zwischen
Blavatskys
„Shambha-La als Mutterland der menschlichen Hochzuchtrasse“
und der späteren Ideologie des Nationalsozialismus werden geschickt durch ein verfilmtes Theaterschauspiel erläutert.
Abstruse Theorien behaupten beispielsweise, nach dem Untergang des Märchenreiches „Atlantis“, der „Urheimat
der „arischen, nordischen Herrenrasse“,
seien Überlebende zunächst in das
Phantasieprodukt „Thule“ geflohen und
von dort nach Zentralasien und Tibet
bzw. ins unterirdische Königreich
Shambha-La. Braune Esoteriker nennen
es „Agarthi“ oder „Agartha“ und vermuten dort „verborgenes, esoterisches Wissen weißer, arischer Lamas“. (Der Brite
James Hilton verwandelte das mythische tibetische Paradies Shambhala
1932 in seinem Roman „Der verlorene
Horizont“ in „Shangri-La“.)
Die Entstehung des
Tibet-Mythos und die
Interessen der Nazis
Buch und Ausstellung erklären sehr anschaulich die Entstehung des Tibet-Mythos. In der Ausstellung bettete das
Brauen-Team die einzelnen Themenbereiche in Medien der jeweiligen Zeit
ein. Teil 1, „Auf der Suche nach Utopia“, zeigt Bücher und Zeichnungen
von Missionaren und Philosophen ab
dem 17. Jahrhundert. Sie entwarfen die
ersten Zerrbilder Tibets. Teil 2, „Auf der
Suche nach ‚Shambha-La‘ und den arischen Lamas“, stellt die Theosophin
Helena Petrova Blavatsky (1831-1891)
Prof. Dr. Martin Brauen ist
Ethnologe und leitet die Abteilung Tibet / Himalaya /
Ferner Osten des Völkerkundemuseums in Zürich.
Neonazis glauben, Hitler habe ein
Interesse an Tibet gehabt. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Er wetterte 1938
gegen die okkulten Neigungen von Parteigenossen: „Das Einschleichen mystisch veranlagter Jenseitsforscher kann
in der Bewegung nicht geduldet werden“. Tatsächlich war es „Reichsführer“
Heinrich Himmler, seit 1929 Chef der
SS, der sich für rassistisch-okkulte Lehren begeisterte. Hitlers Schutzstaffel
sollte nicht nur als faschistische Elitekampftruppe dienen. Himmler versuchte vielmehr, die SS in „Junkerschulen“
und dem „Ordenszentrum“ Wewelsburg
bei Paderborn in einen neugermanischen „Schwarzen Orden“ umzufunktionieren. Der Kern sollte aus erwählten, „reinrassigen Ariern“ bestehen und
die Keimzelle einer neuen nationalsozialistischen Menschenzüchtung in einem geplanten „SS-Ordensstaat“ in
Burgund sein. Um die „nordische Rasse“ zu erhalten, müßten „die anderen
eben ausgemerzt werden“, so Himmlers Legitimation der zukünftigen NaziVerbrechen.
Durch den pseudowissenschaftlichen Forschungsverein „Das Ahnenerbe“ (1935-1945) versuchte er mit willfährigen Nazi-Wissenschaftlern seine
Weltanschauung zu beweisen. Dazu gehörte das „Tibet-Institut“, ab 1943
„Sven Hedin-Institut für Innerasien
und Expeditionen“. Es unterstand
Ernst Schäfer, der 1938/39 eine „SSExpedition“ nach Tibet leitete. Der
Zoologe und (auch in Tibet) passionierte Jäger teilte Himmlers okkulte
Ideen allerdings nicht. Er glaubte vielmehr wie der Partei-Ideologe Alfred Rosenberg, daß der Buddhismus eine
„Zerfallserscheinung „nordischen Rassegeistes“ sei.
Für die „Rassenforschung“ war der
Menschenkundler Bruno Beger zuständig. Er hatte bereits 1937 ein „anthropologisches Forschungsprogramm für
Ost-Tibet“ entworfen. Darin forderte
er u.a. die „Suche nach fossilen Menschenresten und Skelettresten früherer
nordischer Einwanderer und die Erfassung der gegenwärtigen rassekundlichen Verhältnisse“. Übernommen hatte
Beger die Theorie einer „nordischen
Rasse“ in Zentralasien und Tibet von
Tibet und Buddhismus • Heft 55 • Oktober November Dezember 2000
25
Mythos Tibet
dem „Rassenforscher“ H.F.K Günther,
an dessen Buch „Die nordische Rasse
bei den Indogermanen Asiens“ er mitgearbeitet hatte.
Während der Expedition vermaß
der heute bei Frankfurt lebende Beger
die Schädel von über 300 Tibetern und
Sikkimesen, machte „zehn Kopfabforschungen“ und zahlreiche „Abformungen von Fingerleisten“, prüfte „körperliche Merkmale“ und „seelische Grundzüge“. Als Ergebnis vermutete er eine
„Zwischenstellung“ der Tibeter zwischen der mongolischen und der europäischen „Rasse“. Das „europide Rassenelement“ zeige sich vor allem noch
im Adel. Deshalb forderte Beger eine
rassische „Totalerfassung“ Tibets. „Die
Tibeter sollten also nach dem ‚Endsieg‘
des Dritten Reiches als ‚Bündnissrasse‘
eine besondere Rolle in einem panmongolischen Staatenbund unter der
Ägide Deutschlands und Japans spielen“, so der Hamburger Ethnologe,
Volkskundler und Religionswissenschaftler Reinhard Greve, der wie kein
anderer zu diesem Thema geforscht
hat. Neue Expeditionen kamen jedoch
nicht mehr zustande. Für weitere Forschungen besorgte sich Beger Schädel
und Skelette von KZ-Häftlingen. 1971
wurde er vom Schwurgericht Frankfurt
wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen
Mord in 86 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Im September 1994 zählte Beger neben Heinrich Harrer in London zu den
offiziellen Gästen des Dalai Lama, um
als „Augenzeuge“ Tibets frühere Unabhängigkeit zu bestätigen. In der November/Dezember-Ausgabe des regierungseigenen „Tibetan Bulletin“ und im Internet wurde ihm dazu eine ganze Seite
zur Verfügung gestellt. Das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“ und
die französische „Liberation“ unterstellten der tibetischen Exilregierung im Oktober 1997 deshalb „eine nicht gerade
ausgeprägte Sensibilität, sich in ihrer Politik gegenüber Peking ausgerechnet auf
ehemalige SS-Männer zu berufen“.
Hugh Richardson, britischer Resident
in Lhasa während der unwillkommenen
Schäfer-Expedition, ließ sich bei dem
Treffen entschuldigen. Diese Informationen seien an dieser Stelle eingefloch-
26
ten, da es im Moment neue Publikationen und Homepages gibt, in denen die
vermeintliche „Nazi-Tibet-Connection“
verstärkt angeprangert wird.
Die Grundlagen der
Traumwelt
Im dritten Teil, „Auf der Suche nach
Shangri-La und den weißen Lamas“,
stellt Brauen eine Fülle von Literatur,
Comics und Spielfilmen einschließlich
der jüngsten Hollywood-Produktionen
vor. Dafür sichtete das Team allein über
100 „Tibet-Romane“ und 60 Comics.
Vor allem im Buch vertieft sich Brauen
in die rechtsesoterische, pseudowissenschaftliche Literatur, die Tibet engste
Verbindungen zu den Nazis unterstellt.
In der Ausstellung dagegen lädt die
„Shangrilair“ in echten Flugsesseln zu
einer Reise durch die absurdesten Filmausschnitte ein. Allein wegen dieser gelungenen Parodie lohnt sich der Ausflug
nach Zürich.
Im Teil 4, „Auf der Suche nach ‚Dharma-La‘ und den tibetischen Lamas“, ist
das bereits beschriebene Tibetbild in
Werbung und Kommerz untergebracht.
Es ist in Schaukästen und Computern
sichtbar. Teil 5 geht auf die „Grundlagen des Traums“ ein. Darin erläutert
Brauen tibetische Mythen, Legenden,
Märchen, heilige Texte, mündliche
Überlieferungen und Prophezeihungen,
aus denn sich die Mythen-Macher ganz
offensichtlich bedienten - und alles für
bare Münze nahmen. Vor allem das sakrale Tibet hat es ihnen angetan. Brau-
en fiel auf, daß die Anleihen stets in einseitiger Weise vorgenommen wurden
und werden: Es interessen nur die Männer und nicht die Frauen; nur der Klerus und nicht die Laien; das Absonderliche und nicht das Alltägliche; die Ausnahmen und nicht das Gewöhnliche.
Kurz: Tibet-Stereotypen wurden und
werden durch selektive Wahrnehmung
und Unwissenheit geschaffen, durch
Vereinfachung und die schematische
Reduzierung komplexer Verhältnisse.
Nicht nur Brauen wünscht sich, daß
Tibet entmythologisiert wird. Zunehmend erkennen auch Exil-Tibeter, daß
das Festklammern an einem verklärten
Schneeland langfristig Schaden bringt.
In der Ausstellung wird das beispielsweise durch einen witzigen, kleinen
Film von Brauens Tochter Yangzom gezeigt. Sein Buch beendet Brauen mit
dem tibetischen Sprichwort: „Vom
Munde eines wahren Freundes hörst Du
keine süßen Worte“.
Sein Resümee: „Die Traumwelt Tibet spricht Sehnsüchte an, die in allen
Paradiesvorstellungen vorkommen:
Frieden, Weisheit, ein unbeschwertes
langes Leben, sexuelle Erfüllung, Harmonie und eine Ordnung, die jedem
Menschen seinen Platz zuweist. Das
Bedürfnis nach einem Paradies auf Erden scheint umso größer zu sein, je unsicherer das gegenwärtige Leben empfunden wird. Bei genauerer Betrachtung
allerdings erweist sich das dargestellte
Tibet als Nicht-Tibet, angebliche Botschaften als nicht-tibetisch, missionierende Weise als Nicht-Tibeter“.
D I E
A U S S T E L L U N G
LESETIPPS
Die Ausstellung „Traumwelt Tibet – Westliche und
chinesische Trugbilder“ findet bis Mitte Mai 2001
im Völkerkundemuseum der Universität Zürich
statt.
• Brauen, Martin: „Traumwelt Tibet - Westliche
Trugbilder“, Verlag Paul Haupt, Bern 2000.
296 Seiten, 96 s/w und 167 farbige Abbildungen,
Format 27x24 cm, ISBN 3-258-05639-0, 76 DM.
Öffnungszeiten: Di - Fr von 10-13 + 14-17 Uhr,
Sa 14-17 Uhr, So 11-17 Uhr, Mo geschlossen.
Der Eintritt ist frei.
Pelikanstraße 40, CH-8001 Zürich (Innenstadt)
Tel: 0041-1-6349011, Fax 6349050
Email: [email protected]
Internet: www.musethno.unizh.ch
Tibet und Buddhismus • Heft 55 • Oktober November Dezember 2000
• Oppitz, Michael: „Semiologie eines Bildmythos. Der Flipper Shangri-La“, Völkerkundemuseum, Zürich 2000.
111 Seiten, div. Abb. ISBN 3-909105-39-4, CHF 32.
• im Internet: www.tourism-watch.org
Infodienst 16, „Mythos Tibet“ von Ludmilla Tüting.

Documentos relacionados