März 2012 - Neue Zürcher Zeitung
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März 2012 - Neue Zürcher Zeitung
Nr. 3 | 25. März 2012 Samar Yazbek Schrei nach Freiheit | Arno Camenisch Ustrinkata | Patrick L. Fermor Rumeli | E-Krimi des Monats Tess Gerritsen Grabesstille | Peter Bodenmann über die Krise des Kapitalismus | Henryk M. Broder Vergesst Auschwitz! | Weitere Rezensionen zu Patrick Modiano, Harry Belafonte, Alain de Botton, Rudolf Rechsteiner u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese Lesereihe © Peter Peitsch/peitschphoto.com Autoren auf der grossen Bühne Jetzt Tickets sichern auf www.buch.ch Montag, 23. April 2012, 19.30 Uhr im Theater Winterthur <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0NTGyMAAAlxKQXA8AAAA=</wm> Lesung mit Jussi Adler-Olsen <wm>10CEWLsQ6AIAwFv4jmtbSAdhSYiDFq_P9Pkbg43HK5G8ON8LG1_W6nM6AW2FTK9IuR5ITkRYSgmR2RTcCyzrBo5Az_h7DVcAEdeMB01P4CRlqremAAAAA=</wm> Das Alphabethaus Ein grosser Roman über die Schrecken des Krieges – und den Verrat an einem Freund. „Das Alphabethaus“ ist das persönlichste Buch von Bestseller-Autor Jussi Adler-Olsen, mit dem er seinen Weltruhm begründet hat. Moderation: Margarete von Schwarzkopf Lesung deutscher Text: Regula Grauwiller ISBN 978-3-423-24894-5 Eintritt: CHF 30.- | CHF 15.- (für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre, Legi bis 30 Jahre) Service pur: schnell, zuverlässig geliefert Sie können auf Rechnung einkaufen einfach, mobil von unterwegs bestellen 14 Tage Rückgaberecht www.buch.ch Inhalt Revolution in der digitalen und der politischen Welt Eine technische Revolution pflügt zurzeit den Buchmarkt um. Das Jahr 2012 – so Piper-Verleger Marcel Hartges – «wird uns in Erinnerung bleiben als Jahr, in dem das Phantasma vom E-Book in Deutschland real geworden ist». In den USA ist das schon länger der Fall, beträgt doch dort der Anteil elektronischer Bücher an den verkauften bereits über 20 Prozent. Natürlich wird das gedruckte Buch nicht verschwinden. Dennoch wollen wir dem wachsenden Bedürfnis, Bücher auf Tablets und E-Readern zu lesen, mit zwei Neuerungen Rechnung tragen. In einer neuen Rubrik stellen wir ab dieser Ausgabe jeweils den «E-Krimi des Monats» vor (Seite 11). Und bei den bibliografischen Angaben fügen wir neben dem Preis für das gedruckte Buch überall, wo auch eine digitale Version vorliegt, jenen für das E-Book hinzu. Wie immer aber stehen die Inhalte im Vordergrund: In der Belletristik diesmal das neue Werk des französischen Romanciers Patrick Modiano (S. 4) und die wunderbare Stammtisch-Eloge von Arno Camenisch (S. 10). In einem Essay unternimmt Peter Bodenmann einen Streifzug durch die neuste Wirtschaftsliteratur (S. 12). Bei den Sachbüchern setzt sich Thomas Held mit dem Energieleitfaden von Rudolf Rechsteiner auseinander (S. 21). Und brandaktuell schliesslich ist der Report der syrischen Autorin Samar Yazbek über den Aufstand in ihrem Land. Ihr ist auch das Titelblatt dieser Ausgabe gewidmet. Urs Rauber Nr. 3 | 25. März 2012 Samar Yazbek Schrei nach Freiheit | Arno Camenisch Ustrinkata | Patrick L. Fermor Rumeli | E-Krimi des Monats Tess Gerritsen Grabesstille | Peter Bodenmann über die Krise des Kapitalismus | Henryk M. Broder Vergesst Auschwitz! | Weitere Rezensionen zu Patrick Modiano, Harry Belafonte, Alain de Botton, Rudolf Rechsteiner u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese SamarYazbek (Seite19). Illustrationvon AndréCarrilho Belletristik MilenaMoser:Montagsmenschen 4 PatrickModiano:DasCaféderverlorenen Jugend Von Judith Kuckart 6 MattBeynonRees:MozartsletzteArie Von Stefana Sabin 7 MirandaJuly:Esfindetdich Von Simone von Büren 8 PatrickLeighFermor:Rumeli AlbinZollinger:DiegrosseUnruhe Von Manfred Papst Von Geneviève Lüscher MikiWickKim:KoreanContemporaryArt Von Gerhard Mack 9 ErnstAugustin:RobinsonsblauesHaus Von Sieglinde Geisel 10 ArnoCamenisch:Ustrinkata Von Martin Zingg Essay 12 DergrüneKapitalismusstehtvorderTür Peter Bodenmann bespricht Bücher zur Wirtschaftskrise Kolumne 15 CharlesLewinsky Das Zitat von Harold Pinter KurzkritikenSachbuch HarryBelafonte,dermitderSeidenstimme(60er-Jahre). 15 DieterE.Zimmer:IstIntelligenzerblich? Von Kathrin Meier-Rust MashaGessen:DerMannohneGesicht 23 AlaindeBotton:FreudenundMühenderArbeit DianeDucret:DieFrauenderDiktatoren 24 TimWeiner:FBI MeshullamdaVolterra:VonderToskanain denOrient Von Kathrin Meier-Rust Von Urs Rauber THE ART ARCHIVE Von Geneviève Lüscher Sachbuch DasGeschwisterpaarMozartamKlavier1780/81. E-KrimidesMonats 11 TessGerritsen:Grabesstille Von Christine Brand 16 18 19 HenrykM.Broder:VergesstAuschwitz! Von Klara Obermüller HarryBelafonte:MySong Von Martin Walder SamarYazbek:SchreinachFreiheit Von Susanne Schanda ThomasHaenel:AmokundKollektivsuizid Von Tobias Kaestli KurzkritikenBelletristik 20 JudithGiovannelli-Blocher:DerroteFaden 11 FredVargas:DieNachtdesZorns Von Regula Freuler VirginiaWoolf:AugenblickedesDaseins Von Manfred Papst UNITED ARCHIVES / ULLSTEIN Von Regula Freuler Von Urs Rauber AninaGmür:Mzayna Von Geneviève Lüscher 21 RudolfRechsteiner:100Prozenterneuerbar Von Thomas Held Von Kirsten Voigt GunnarDecker:HermannHesse Von Thomas Feitknecht Von Markus Schär MaríaSoniaCristoff:Unbehaust Von Regula Freuler 25 LindaMariaKoldau:Titanic HarroHess,ManfredHessel:DieTitanicvonA bisZ Von Thomas Köster 26 KatharinaVolk:Ovid–DichterdesExils Von Kathrin Meier-Rust DasamerikanischeBuch LloydKahn:TinyHomes Von Andreas Mink Agenda 27 DorisMundus:800JahreThomana Von Manfred Papst BestsellerMärz2012 Belletristik und Sachbuch AgendaApril2012 Veranstaltungshinweise Chefredaktion Felix E. Müller (fem.) RedaktionUrs Rauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), Geneviève Lüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.) StändigeMitarbeitUrs Altermatt, Urs Bitterli, Andreas Isenschmid, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer, Andreas Mink, Klara Obermüller, Angelika Overath, Stefan ZweifelProduktionEveline Roth, Hans Peter Hösli (Art-Director), Urs Schilliger (Bildredaktion), Raffaela Breda (Layout), Korrektorat St. Galler Tagblatt AG VerlagNZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich. Telefon 044 258 11 11, Fax 044 261 70 70, E-Mail: [email protected] 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3 Belletristik Roman Patrick Modiano ist ein Star der französischen Literaturszene. Die deutsche Schriftstellerin Judith Kuckart setzt sich mit seinem neuen Buch auseinander Im Café mit den Bohémiens der Welt sehen kann. Louki ist eine Brünette mit grünen Augen. Viel mehr über ihr Äusseres erfahren wir von Modiano nicht, aber wir sind schon verliebt. Louki hat einen Ehemann verlassen, ist in nicht ungefährlicher Gesellschaft an düstere Orte gefahren, an die sie sich nicht erinnern möchte. Sie hat mit einem Mädchen, das die anderen Totenkopf nennen, Koks genommen. Immer, wenn sie versucht hat, ein Leben mit jemandem zu teilen, hat sich ihre Einsamkeit verdoppelt. Nur mit Roland nicht? Dieser Roland wird als letzter sprechen im vierstimmigen Chor derer, die in Modianos Roman ihre poetischen Zeugenaussagen über Louki machen. Patrick Modiano: Das Café der verlorenen Jugend. Roman. Deutsch von Elisabeth Edl. Hanser, München 2012. 157 Seiten, Fr. 23.90, E-Book 15.70. Von Judith Kuckart «Dans le café de la jeunesse perdue» – die Kritik in Frankreich feierte 2007 diesen Roman von Patrick Modiano euphorisch. Das Buch habe ihn zu dem grössten zeitgenössischen Schriftsteller Frankreichs gemacht, schrieb das Magazin «Lire». Ich würde jetzt, wo «Im Café der verlorenen Jugend» auf Deutsch bei Hanser erscheint, gern mitfeiern, denn ich bin seit Modianos Roman «Die Gasse der dunklen Läden», für den er 1978 den Prix Goncourt bekam, eine Verehrerin des Romanciers. Ja, er ist ein Romancier, nicht bloss ein Autor oder Schriftsteller. Um ihm gerecht zu werden, müsste ich diese Besprechung eigentlich mit einer alten Schreibmaschine schreiben. Louki, Kosename für Jacqueline, hat sich als Mädchen im nächtlichen Paris herumgetrieben, bis die Polizei sie aufgriff. Die Mutter arbeitete im Moulin Rouge, wo man die schönsten Frauen Verliebter Detektiv JACQUES SASSIER Der französische Romancier Patrick Modiano ist Träger des Prix Goncourt und vieler anderer Auszeichnungen. 4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 Der erste, der erzählt, ist Student an der Hochschule für Bergbau und Hüttenwesen. Ihm fällt Louki im Café Le Condé auf als schöne, schüchterne, langsame, immer schweigende Statistin, umgeben von einer Bande aus Studenten und braven Bohémiens im VI. Arrondissement von Paris. Die Zeit ist Anfang der sechziger Jahre. Die Kulisse, patiniert von der Erinnerung, bleibt vage in einem poetischen Grau. Vor dem Kaffeehausfenster fällt meistens der immergleiche Regen, in dem sich aber das Element, das dieses Draussen so reglos hält, nicht auflöst. Louki sitzt im Le Condé, das heute ein Lederwarengeschäft ist, nah dem Notausgang, still bei der Schattentür. Trotzdem scheint sie das Licht einzufangen. Denn Licht ist die Zeit, die sich denkt, hat Borges gesagt. Für den ersten Erzähler, den ehemaligen Studenten, der sie mit dem Blick einer verliebten Kamera beschaut, wird sie immer das Stichwort sein, das ihn schmerzhaft an den besten Teil seines Lebens erinnert. Die zweite Stimme gehört einem gewissen Caisley. Früher muss er beim Geheimdienst gewesen sein. Jetzt ist er Privatdetektiv in Sachen Louki alias Jacqueline Choreau, geborene Delanque. M. Choreau, der verlassene Ehemann, hat ihn beauftragt, die Verschwundene zu suchen. Caisley, der bald ein verliebter Detektiv sein wird, je mehr er sich von seinem konkreten Auftrag entfernt und statt dessen die Vergangenheit von Louki als Mädchen recherchiert, handelt, wie Modiano an seiner Stelle auch gehandelt hätte. Sucht man eine Frau, muss man ihre Erinnerungen kennen. Im Le Condé kommt der Detektiv Caisley neben einen jungen Mann zu sitzen, der in einem Notizbuch die flatterigen, scheinbar immer flüchtigen Gäste des Le Condé namentlich in der Reihenfolge ihres Eintreffens sowie mit Datum und genauer Uhrzeit akribisch registriert. Es sind solche Einzelheiten, die das Ganze zusammenhalten. Das gilt für das Register des jungen Mannes. Das gilt für den erfahrenen Romancier Modiano im Roman. Das Suchen nach Fixpunkten und deren Verbindung enthält die Frage, ob man sich schon einmal begegnet ist, bevor man am gemeinsamen Ziel eintraf. Das Register des jungen Mannes aus dem Condé vermerkt auch Louki. «18. März, Louki, Rue Fremat Nr. 16, 14. Arrondissement», liest Caisley im Heft. Doch ist dem Detektiv – wie Modiano auch – die eigene Bewegung auf Loukis Spur wichtiger als eine Lösung ihres Falls. Ist sie überhaupt ein Fall? Unwichtig sind auch die kriminalistischen Fragen von Caisley an den Ehemann Choreau: Hat sie ein Scheckheft mitgenommen? Oder den Schlüssel? Es habe viele ALADDIN COLOR / CORBIS Jacquelines in seinem Leben gegeben, sagt der verliebte Detektiv Caisley, als kenne, erkenne er sie sofort, diese Art von Frauen. Frauen wie Bilder, und ebenso schön. Wo ein Bild verschwindet, entsteht eine Geschichte. Zärtlichkeit ist die Erkenntnis, zu der er am Ende seiner, der zweiten Erzählpassage des Romans gelangt: Einem Menschen, den man liebt, muss man erlauben, zu verschwinden. Durch die Stadt streunen «Ich war nur dann wirklich ich selbst, wenn ich ausriss», sagt Louki, die dritte Erzählerstimme in Modianos Roman. Zufluchtsort werden ihr die nächtlichen Strassen von Paris, eine Buchhandlung, ein Kino, das sie wegen der starken Farben in den Filmen besucht, nicht wegen der starken Geschichten. Eine Autowerkstatt, die dem Mann gehört, der nicht ihr Vater geworden ist, und eine Sitzbank, von der aus sie das erleuchtete Fenster der eigenen möblierten Wohnung sehen kann, bieten ebenfalls an, flüchtige Heimat zu sein. Lauter Orte, die auch der Schriftsteller Georges Simenon für sie ausgesucht haben könnte. Eines Tages steht Louki nicht mehr rechtzeitig vom Bett ihres Geliebten Ro- land auf, um zu ihrem Ehemann zurückzugehen. Louki und Roland sind ein Paar, wie man es schon oft bei Modiano kennen gelernt hat. Jung und von einer flirrenden Unwirklichkeit, was ihre Herkunft betrifft, gehen sie Hand in Hand in die Irre. Sie können ohne einander nicht sein, aber das eine gefährdete Wesen kann dem anderen auch nicht helfen. Sie erobern die Stadt, indem sie sie müssig durchstreunen, am liebsten entlang der Seine bei gleissendem Mittagslicht, das ihnen den tiefsten Süden ankündigt, in den sie einmal, aber dann doch niemals reisen werden. Manche Gegenden, die sie erkunden, sind so still, so unwirklich, dass Roland sie mit einem metaphysischen Strich auf einer inneren Landkarte verzeichnet und dieses Gelände dann «neutrale Zonen» nennt. Oder schwarze Löcher, in denen man aufgesaugt werden, ja verschwinden kann. Die Strasse, die mit zwei Reihen Platanen den Friedhof Montparnasse teilt, gehört dazu. Sie war auch die Strasse zu einem von Loukis Hotels. Beim Lesen dachte ich, dass all diese klandestinen Orte selber auf einem Friedhof gelandet sind, so wie Autos oder Menschen auf Friedhöfen landen. Und wenn ich manche Sätze zweimal las, hatte ich das Gefühl, die vier Erzähler des Romans reden als Verschollene vom Rand dieser Orte her zu mir herüber. Mir fiel nur das Wort «Jenseits» dafür ein, und mir wurde kalt. Mit Roland, in den sie nicht nur verliebt, sondern mit dem sie auch verschworen ist, kann Louki, die nur Louki ist, wenn sie ausreisst, nicht einfach Schluss machen. Sie lässt sich eines Tages aus dem Fenster fallen. Aber das ist kein Fall für die Polizei, erzählt Roland in der vierten Erzählerpassage. Sie ist verschwunden, aber zum ersten Mal weiss jemand, wo sie geblieben ist. Das ist eine Liebeserklärung von Louki an ihn. Das macht ihre Beziehung unauflöslich. Wenn er später, also jetzt und heute, durch Paris streift, in dem es nirgendwo mehr nach alten Rohren riecht, und das längst der Gentrifizierung zum Opfer gefallen ist, hört er Loukis Stimme hinter sich, und er antwortet ihr. Du, sagt er. So ist er getröstet und überzeugt von der Idee der ewigen Wiederkehr des Gleichen – solange er sich nicht umdreht. l Judith Kuckart, geb. 1959 in Schwelm (Ruhrgebiet), ist Schriftstellerin und Regisseurin. Sie lebt in Berlin und Zürich. Paris in den sechziger Jahren: In Patrick Modianos Roman reisst eine attraktive Frau aus ihrer Ehe aus. 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5 Belletristik Roman In einem historischen Krimi formuliert Matt Beynon Rees eine weitere Spekulation über das Geheimnis hinter Mozarts Tod Arsen, Blei und Belladonna hauptete, mit Acqua Toffana vergiftet worden zu sein», erzählt Mozarts Frau Constanze ihrer Schwägerin Nannerl, als diese sie gleich nach dem Tod Mozarts aufsucht. Aqua Toffana ist ein giftiges Gemisch: «Arsen, Blei und Belladonna», erfährt Nannerl, «Geschmacklos, farblos. Tödlich.» Vom ängstlichen Verhalten seiner Freunde und von musikalischen Mitstreitern irritiert und von flapsigen Kommentaren seiner Feinde und Schuldner angestachelt, wittert Mozarts Schwester Nannerl hinter dem Tod ihres Bruders ein Geheimnis, das sie mit unerbittlicher Entschlossenheit aufdeckt. Sie verschafft sich Zugang zum Theatermilieu ebenso wie zu den adligen Kreisen von Mozarts Gönnern, deckt Streitigkeiten zwischen Freimaurerlogen und Auseinandersetzungen zwischen gegensätzlichen politischen Kräften auf – und erlebt ein Liebesabenteuer, das ihrem Leben die langersehnte Würze verleiht. In detektivischer Kleinarbeit entwirrt Nannerl ein Geflecht von erotischer Eifersucht, künstlerischem Neid und politischer Konkurrenz, bis sie den wirklichen Grund für das tödliche Komplott gegen Mozart erkennt und den Schuldigen stellt. Matt Beynon Rees: Mozarts letzte Arie. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Klaus Modick. C. H. Beck, München 2012. 317 Seiten, Fr. 25.90. Von Stefana Sabin Schon vor mehr als fünf Jahren gab Matt Beynon Rees seine journalistische Tätigkeit auf (er war Nahostkorrespondent des Nachrichtenmagazins «Time») und etablierte sich als Kriminalschriftsteller. Denn die Mischung aus genauem Hintergrundwissen und prägnanter Darstellung verlieh seinen Krimis nicht nur Lokalkolorit, sondern auch eine aufklärerische Dimension – und sein Hobbydetektiv Omar Yussuf, der erste palästinensische Detektiv der Literaturgeschichte, wurde nach nur vier Romanen zu einer legendären Figur. In seinem neuen Roman nun hat Rees das Milieu seiner bisherigen Romane verlassen und ein Abenteuer riskiert: Statt des ihm politisch, geografisch und zeitgeistig vertrauten Territoriums im Nahen Osten hat er das aristokratische Wien am Ende des 18. Jahrhunderts zum Schauplatz gemacht. Dabei ist er der Gattung des Kriminalromans treu geblieben: Im Mittelpunkt der Handlung steht ein rätselhafter Tod, der für Mord gehalten wird und dessen Aufklärung die Wiener Gesellschaft erschüttert, weil er auf allerlei Intrigen hinweist. Und es ist kein alltäglicher Tod beziehungsweise kein einfacher Mord, der im zeitlich fernen kaiserlichen Wien stattgefunden hat und nun fiktional aufgeklärt wird, sondern es ist einer der berühmtesten Todesfälle der europäischen Geschichte: der Tod Mozarts. Tod durch Vergiften? BRIDGEMAN ART Bis heute ist die Ursache von Mozarts frühem Tod – er war erst 35 Jahre alt – nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Ärzte haben immer wieder die medizinischen Indizien, Historiker die zeitgeschichtlichen Konflikte zu Spekulationen aufbereitet, und Romanciers und Dramatiker haben ihrerseits romantische Verstrickungen und kulturpolitische Intrigen gesehen, die eine Ermordung erklären könnten. Mit einem Stück des russischen Dichters Alexander Puschkin ging 1832 die Vorstellung, Mozart sei von dem Hofkomponisten Salieri vergiftet worden, ins allgemeine Bewusstsein ein. 6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 Salieri war auch in dem Stück «Amadeus» (1979) des englischen Dramatikers Peter Schaffer der Übeltäter: Auf dem Sterbebett gibt Salieri zu, Mozart zwar nicht vergiftet, aber ihn durch eine böswillige Irreführung in den Tod getrieben zu haben. Schaffers «Amadeus» und vor allem die enorm erfolgreiche Verfilmung des Stücks durch Milos Forman 1984 schürten die Spekulation, Mozart sei ermordet worden. Der Roman von Rees bietet eine neue Variante dieser Spekulation: Mozart sei in ein Netz aus preussischen Doppelspionen, Agenten der kaiserlichen Geheimpolizei und freimaurerischen Logenbrüdern geraten, von allen Seiten unter Druck gesetzt und schliesslich umgebracht worden. Zwar hatte der Arzt, der ihn zuletzt behandelte, ein «hitziges Frieselfieber» diagnostiziert und somit eine medizinische Ursache für den überraschenden Tod Mozarts festgehalten, aber es gab auch Kreise in Wien, in denen von Vergiftung und Ermordung gemunkelt wurde. Und zuletzt hatte sich Mozart selber bedroht gefühlt. «Er be- Nur bedingt glaubwürdig Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) soll in Agentenkreise verstrickt gewesen sein. Hier mit seiner Schwester Nannerl, die das Rätsel um seinen Tod lösen wird. Die Szene, in der – wie in einem klassischen Krimi – der Mörder öffentlich blossgestellt wird, findet vor dem Kaiser statt: Nannerl spielt Klavierstücke ihres Bruders, und die Kraft der Musik macht dem Mörder die Ungeheuerlichkeit seiner Tat deutlich. Rees ist ein versierter Krimischriftsteller, und es gelingt ihm, Spannung aufzubauen, Verlangsamungsmomente einzuflechten und eine unerwartete Lösung für den Mord zu finden. Dass es dabei um Mozarts Tod geht, soll dem Roman einen besonderen Rang geben. Aber Rees kann die historische Kulisse, vor der die Handlung spielt, nicht effektvoll evozieren: Die Beschreibungen der Wiener Stadtlandschaft sind wenig suggestiv, die Barone und Prinzen wirken wohlwollend karikaturhaft, und Nannerl, die sich als Detektivin geriert, ist in ihrer emanzipatorischen Aufdringlichkeit nur bedingt glaubwürdig. So fehlt diesem Roman von Matt Beynon Rees gerade jener Reiz, der seine Omar-Yussuf-Krimis besonders macht: Lokalkolorit und ein aufklärerischer Impuls, der durch die detektivische Handlung hindurchschimmert. ● Literarische Reportage Die US-Filmerin Miranda July porträtiert skurrile Kleininserenten Schräge Typen ohne Ende Miranda July: Es findet dich. Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Mit Fotografien von Brigitte Sire. Diogenes, Zürich 2012. 224 Seiten, Fr. 38.90. 2009 versucht Miranda July für ihren zweiten Spielfilm «The Future» (2011) den Zustand eines Mitdreissiger-Paars in einer Sinnkrise zu erfassen. Das Drehbuch ist fast fertig, als sie in ihrem Schreibprozess stagniert, stundenlang ihren eigenen Namen googelt und in einem billigen Inseratenheftchen blättert, in dem Bewohner von L. A. Lederjacken, Leopardenbabys und Haarföhns anbieten. Getrieben von ihrem Interesse für die Tagesabläufe, Hoffnungen und Ängste der Menschen hinter den Objekten setzt sie sich über den unausgesprochenen Grundsatz hinweg, dass man bei Anzeigen «die Nummer nur anrufen darf, um über den angebotenen Artikel zu reden», und beschliesst in einer verblüffenden Mischung aus Schüchternheit und draufgängerischer Offenheit, jeden Inserenten zu treffen, der zu einem Gespräch bereit ist. In der Folge trifft die HUEBNER / DAVIDS Von Simone von Büren Miranda July interessiert, wie sich Menschen durchs Leben schlagen. Filmemacherin, Performerin und Autorin zehn Leute, denen sie sonst nie begegnen würde: Leute, die keinen Computer haben und denen fünf Dollar den Aufwand eines Inserats wert sind. Sie trifft einen Rentner, der für eine Geschlechtsumwandlung spart; einen Mitdreissiger, der nackte Schaufensterpuppen transportiert; einen Kubaner, der in verstörenden Collagen von Mädchen, Babys und Autos seine geheimen Träume zum Ausdruck bringt. Sie bewundert die Kaulquappen eines Te enagers in der Wüste und zittert im Wohnzimmer eines Manns mit Fussfessel, «in dessen Wohnung man unter gar keinen Umständen landen will». Die Idee, die schrägen Figuren in ihren Film einzubauen, verwirft sie bald. Nur ein über 80-Jähriger, der seiner Frau schon seit Jahrzehnten unanständige Valentinskarten schreibt, kommt am Ende in «The Future» vor. Aber liegenlassen konnte die gefeierte Ve rtreterin der antielitären amerikanischen Do-ityourself-Kunstszene die Geschichten und Gesichter offenbar auch nicht. «Es findet dich» gibt Auszüge der Gespräche wieder und Fotos der Inserenten, ihrer Häuser und Artikel. Dazu bringt sich July gewohnt selbstironisch ein: ihre sensible Wahrnehmung, ihre lebhafte Fantasie und ihre eigenwilligen Gedanken über die ungewöhnlichen Begegnungen. «Eigentlich möchte ich immer nur eins wissen, nämlich, wie andere Menschen durchs Leben kommen», gesteht die 38-Jährige. Mit ihrem liebevoll gestalteten Buch gibt sie nicht nur Einblick in die Lebenswirklichkeit der Inserenten, sondern auch in ihre eigene. Und das ist – wie immer bei Miranda July – ein Geschenk. ● Ein Roman · Ein Autor · Zum Entdecken! Der neue Roman des Schweizer Autors Andreas Sommer 400 Seiten ISBN 978-3-7844-3290-8 CHF 29,90 (UVP) Eine Liebe ohne Chance in einem Dorf voller Hass. Bis eine mutige Frau beschließt, ein Tabu zu brechen … <wm>10CAsNsjY0MDAw1TUwNjWwNAEAzSMu4A8AAAA=</wm> <wm>10CFWMMQ7DMAwDXySDoizHqsYiW9ChyO4lyJz_T3G6deBA3oHbll7wy3v97Os3FYALzBE1PbxwaWkRpXVPkJ1QvtTgGpX25ws0msHG4wgo7ENtQjEfWmfh8zA3VHq5jvMGqlKo9YAAAAA=</wm> Filmtrailer und Leseprobe: www.andreassommer.ch LangenMüller 400 Seiten ISBN 978-3-7844-3290-8 CHF 29,90 (UVP) 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7 Belletristik Reisebericht Der grosse Erzähler Patrick Leigh Fermor sieht sich in Nordgriechenland um Auf Homers Spuren Patrick Leigh Fermor: Rumeli. Reisen im Norden Griechenlands. Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. Dörlemann, Zürich 2012. 420 Seiten, Fr. 36.Ω. Von Geneviève Lüscher Wer weiss schon, wo Rumeli liegt? Zumal die Antwort je nach Zeit und Ansicht ganz unterschiedlich ausfällt. Natürlich hält sich Fermor an eine grosszügige Definition und meint damit ganz Nordgriechenland, was dem alten Cau- seur mehr Raum lässt für seine epischen Ausführungen bis weit zurück in die antike Vorgeschichte. Dabei schildert er – in der gewohnt vorzüglichen Übersetzung des Ehepaars Allié-Kempf – Eindrücke und Geschehnisse, die er irgendwann zwischen 1935 und 1966 anlässlich seiner Reisen und Aufenthalte in Griechenland gesammelt hat. In Griechenland ist Fermor eine Legende, nachdem er als britischer Agent auf Kreta den Partisanenkampf gegen die Nazitruppen organisierte und dabei mehr als ein Husarenstück vollbracht hat. Seine drei Jahre in den kretischen Denkbilder Kopfweh in Südkorea Köpfe und Beine marschieren getrennt durch die Landschaft, Körper sind Kugeln aus Blutbahnen. «Brain Ocean 3» ist ein ungemütliches Bild. Die Malerin Chung Suejin will uns vermitteln, wie unser Gehirn funktioniert. Die vielen Synapsen, Leitungen, Schaltstellen, das Geflirr von Impulsen und Störfeldern, das sich gelegentlich zu Informationen und mindestens so oft zu Kopfschmerzen verdichtet, all das möchte die 1969 in Seoul geborene Malerin zu sichtbaren Formen verdichten. «Unser Bewusstsein wird zu Bildern, das erlaubt es mir zu sagen, dass 8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 Bilder auch ausdrücken, was wir denken und wie wir fühlen», sagt sie und sucht nach der «Grammatik dieser Bilder». Geschichten will die in Seoul lebende Malerin vermeiden. Das verbindet sie mit vielen anderen der 30 Künstler, die dieser Band vorstellt. Wer ihn zur Hand nimmt, erhält in Texten und Bildern einen Eindruck von einer vielfältigen Kunstszene, die seit einigen Jahren international Erfolge feiert. Gerhard Mack Miki Wick Kim: Korean Contemporary Art. Prestel, München 2012. 192 Seiten, 150 Farbabb., Fr. 66.90. Bergen tragen Züge einer modernen Illias. Die kretischen Widerstandskämpfer zeigen ebenso Mut wie Verzweiflung, Kühnheit wie List – und er selber ist Held und Homer in einem. Es ist darum auch kein Zufall, wenn in seinen Erzählungen immer wieder Heroen aus den griechischen Freiheitskämpfen gegen die Türken erscheinen. Ihre Spuren finden sich wieder bei den Sarakatsanen, einem nomadisierenden Hirtenvolk, dessen Wanderleben zwischen dem Balkan und Anatolien erst durch die Grenzen der modernen Nationalstaaten ein Ende fand. Eine während Tagen dauernde Hochzeit, die Fermor miterlebte, scheint in einen traumhaften Nebel gehüllt, wodurch die von weither angereisten, knorrigen Hirtenpatriarchen an die geheimnisvollen Hochzeitsgäste des «Grand Meaulnes» bei Alain Fournier erinnern. In Sprache und Verhalten erscheinen diese schweigsamen Männer dem englischen Gast als die «allergriechischsten unter den Griechen». Kein Wunder, dass die geometrischen Muster auf den Kleidern der Frauen ihn an die Motive der geometrischen Keramik vor 3000 Jahren erinnern. Vieles mag vergangen sein. Geblieben ist die Vorliebe für absurde Geschichten, die sich Griechen gerne ausmalen und deren Erzählweise sich Fermor zu eigen macht. So etwa die herrlich unsinnige Diskussion mit dem alten Wirtepaar, warum es in Astakos keinen Hummer gibt, was unmittelbar übergeht in eine ebenso schnurrige Suche nach den Pantoffeln Lord Byrons. Berühmt waren die Männer aus der Kravarna, die als Bettler weite Streifzüge unternahmen, um mit Goldmünzen heimzukehren. Auf abenteuerlichen Wegen gelangen die Bettelargonauten erst nach Bulgarien, Ungarn und Rumänien, dann durch Russland bis nach Sankt Petersburg. Und allmählich ahnt der Leser: Nun ist kein Halten mehr! Durch Sibirien geht’s bis Wladiwostock, wo ein armer Kerl steif gefroren in den Schnee fällt. Weiter geht ja nicht. Fermor, 1915 in London geboren, wanderte, anstatt die Schule abzuschliessen, zwischen 1932 und 1935 nach Konstantinopel. Auf dieser Reise dokumentierte er vieles von einem alten Europa, das kurz vor seinem Untergang stand. Es war der Anfang eines abenteuerlichen Lebens als Geheimagent, Kriegsheld und Reiseschriftsteller, das erst kürzlich, am 10. Juni 2011, sein Ende gefunden hat. Im Vorwort von «Rumeli» stellt Fermor im Jahre 1966 fest, dass sich Griechenland rasch verändert. Wer würde dem, im Jahre 2012, nicht zustimmen! Mit Wehmut liest man Fermors Beschreibungen der Meteoraklöster, durch die sich heute zu jeder Jahreszeit lärmende Touristenströme wälzen. Bei seinem Besuch des Barlaam-Klosters waren Abt und Diakon so einsam, dass Kater Makry während der Morgenliturgie beim Umblättern der schweren Buchseiten noch mithelfen durfte. Das waren noch Zeiten! ● Roman Das neue Buch des Schriftstellers und Psychiaters Ernst Augustin ist eine moderne Robinson-Geschichte ohne roten Faden Achterbahnfahrten durch das Bewusstsein Ständig taucht diese auffällig unauffällige Figur auf, nur um gleich wieder zu verschwinden. In der Wüste nahe Las Vegas rettet Robinson dem Tod das Leben (nachdem er ihn beinahe erschossen hätte), später wird wiederum er vom Tod gerettet, in einer Mafia-Spelunke in der Bronx. «Aber fällig bist du, du bist dran, du bist schon längst dran gewesen», sagt der kleine freundliche Herr, bevor er sich in die Schiesserei stürzt, während Robinson mit dem ältesten Trick der Krimi-Klamottenkiste durchs Klo-Fenster entkommt. Ernst Augustin: Robinsons blaues Haus. C. H. Beck, München 2012. 319 Seiten, Fr. 28.50, E-Book 19.40. Von Sieglinde Geisel Labyrinthisches Erzählen Doch diese Phantasmagorie löst sich in Luft auf, wie alles, was dieser Erzähler uns auftischt. So wird er von zwei Brüdern verfolgt, doch nachdem er ihnen wieder einmal knapp entkommen ist, ruft er ihren Chef an und lässt die beiden feuern. Er lernt Freitag auf dem Schiff des grausamen Käpten Kuk kennen und stürzt sich zusammen mit dem Freund ins Meer, um Kuks Misshandlun- Tod per Tastendruck JOHN ARMSTRONG-MILLAR / GALLERY STOCK Der 85-jährige Schriftsteller und Psychiater Ernst Augustin gehört zu den grossen Aussenseitern der deutschen Gegenwartsliteratur. In seinen Romanen befindet man sich nie auf sicherem Boden – dies gilt auch für sein neues Buch «Robinsons blaues Haus». «Lieber Freitag. Stelle dir einen Mann vor, der sich nirgendwo befindet: Das bin ich (…). Der Mann, der sich nirgends befindet, befindet sich überall.» In dieser eigenwilligen Robinsonade gibt es kein Hier und Dort, kein Vorher und Nachher und schon gar kein Wahr und Falsch. Schauplätze, Zeitebenen und Identitäten wechseln, und als der Ich-Erzähler Robinson wieder in einem Internet-Café mit Freitag chattet, tippt er: «Lieber Freitag, zu diesem Zwecke bist du doch erst erfunden worden, damit du mir meine Geschichten glaubst.» Robinson ist ständig damit beschäftigt, sich wohnlich einzurichten. Das «teefarbene» Licht, der Zimtgeruch der Wandtäfelung aus teurem Dengue-Holz, die illuminierte Perlmutt-Zahnbürste und der Glenfiddich in der Glaskaraffe – die Insignien des Luxus sind so seltsam wie die Behausungen, in denen sie auf den Bewohner warten. Eine Besenkammer unter den Gleisen der mecklenburgischen Grevesmühlen, ein Hotelzimmer in Istanbul, eine Zelle im Gruselkabinett London Dungeon («Selbst die Gummiköpfe waren alle noch vorhanden und blickten mich mit stark abgenutzten Augen an»). In New York will er sich in den obersten sechs Stockwerken eines Wolkenkratzers ein Penthouse bauen lassen, nach Plänen eines modischen Architekten («sowohl unbewohnbar als auch preisverdächtig»), deren Scheusslichkeit nur noch vom schlechten Geschmack des Bauherrn übertroffen wird: «Ich will Marmorbäder, ich will Wandelgänge mit Gemälden, ich will eine Empfangshalle, die nach etwas aussieht.» Robinson und Freitag am Strand – oder bloss Abspaltungen des Ichs? Der Roman von Ernst Augustin lädt den Leser zu psychologischen Gedankenspielen ein. gen zu entgehen – doch dann erfahren wir, dass er der Besitzer des Schiffs ist. Sie retten sich auf eine Insel (die einzige greifbare Reminiszenz an Defoes Roman). Und nachdem Freitag eines Tages verschwunden ist, stellt Robinson fest: «Meine eigene Abreise stellte dann kein Problem dar, in dieser heutigen Welt» – mit dem Handy bestellt er sich ein Flugzeug-Taxi. Begriffe wie «surreal» oder «phantastisch» führen in die Irre, denn in diesem labyrinthischen Erzählen spiegelt sich eine psychologische Wirklichkeit. Der Psychiater Ernst Augustin verstrickt uns in die paradoxe und unberechenbare Logik des Albtraums: Die Figuren sind Abspaltungen des träumenden Ichs, in dessen Innenwelten wir uns bewegen. Für eine Figur allerdings scheint diese Regel nicht zu gelten. Gleich auf der ersten Seite wird uns ein kleiner freundlicher Herr vorgestellt: Er ist der Tod, doch er lässt seinem Erzähler immerhin Zeit, seine Angelegenheiten zu regeln. Die Lektüre ist eine Achterbahnfahrt: Je leichter es einem fällt, sich von der rationalen Logik zu befreien, desto aufregender ist das Schwindelgefühl, das einem solche Finten bescheren, zumal Augustins Sprache ständig durch neue Register überrascht. Der Ich-Erzähler spricht uns direkt an, wirft sich in Pose, kommt im hemdsärmeligem Jargon daher, und gerade dann, wenn man am wenigsten darauf gefasst ist, lässt er ein schockierendes sprachliches Glanzstück aufscheinen: «Unsere liebe Mutter, Ehefrau, Schwester, Schwägerin und ehemals weisser Geist des Hauses war nur noch bettlägerig, ein Trauerspiel», heisst es in einer Kindheitserinnerung. Dass die Behausungen, in denen Robinson es sich bequem zu machen versucht, sein eigenes Ich symbolisieren, erhellt sich erst gegen Ende des Romans. Behausungen sind Welten, einmal bewohnt Robinson ein Haus, das hinten auf einen Weihnachtsmarkt hinaus geht und vorne aufs Korallenmeer. Schliesslich landet Robinson auf «Skull Island», und hier baut er sich, in einer schädelartigen Höhle, sein letztes Heim. Das Haus hat viel Platz «für Banalitäten als auch für das Erhabene» und verschiedene Schlafräume, «je nach Gemütslage, mit und ohne Träume». Ein Keller fehlt, stattdessen gurgeln unter dem Haus schwarze Wasser. «Das sind meine Ängste, die dort herumschwimmen, die verdrückten Gefühle, die Süchte und das ganze Leid.» Der freundliche kleine Herr setzt dem Spuk, der das Leben offenbar ist, mit einer verblüffenden Metapher ein Ende. Während des ganzen Buchs taucht die Vorstellung, das Bewusstsein sei nur eine Computerfunktion, immer wieder auf – nun schlägt dieses vermeintliche Gedankenspiel in abgründigen Ernst um. Ein Tastendruck – und die virtual reality auf dem Festplatten-Ich wird gelöscht, unwiderruflich. In einem Bewusstseinsroman gibt es keinen handelsüblichen Heldentod: Mit Robinsons Tod erlischt die ganze Romanwelt. ● 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9 Belletristik Erzählung Der Bündner Arno Camenisch berichtet vielstimmig und hinreissend vom Stammtisch in einer Dorfbeiz, die ein letztes Mal ausschenkt «Jo kasch tenka!» – «Sep mein i au» Arno Camenisch: Ustrinkata. Engeler-Verlag, Solothurn 2012. 100 Seiten, Fr. 25.–. Von Martin Zingg «Schon nicht zu verstehen, ohne ‹Helvezia›, sperren zu nach hundert Jahren, und dann soll man noch wissen was anstellen den ganzen Tag», sagt Otto. Otto sitzt in der «Helvezia», am runden Stammtisch. Dort sitzen auch Luis, der als Indianer verkleidete Isidor, Alexi und Silvia, die sich ständig neue «Caffefertic» zubereitet. Es werden im Lauf der Stunden noch weitere Gäste hinzustossen, der Giacasep etwa, Gion Baretta, Romedi. Und die Wirtin wird unermüdlich Getränke nachreichen, Bier und Härteres. Die «Helvezia» soll geschlossen werden, für immer, aber bevor hier etwas zu Ende gehen kann, geht es zunächst einmal fröhlich weiter: Die «Ustrinkata» versammelt eine kleine Runde aus einem ungenannten Bündner Dorf um einen Tisch, wo sie «austrinken» – und reden und schweigen, ein letztes Mal. Es sitzen geeichte Trinker am Stammtisch, das macht die Frequenz der Bestellungen schnell deutlich. Und sie erzählen, sie erinnern sich, sie prahlen, sie spotten, sie schweigen vielsagend und fallen einander ins Wort, und zuweilen werden sie melancholisch, wenn auch nie für lange. Sie kennen einander seit Ewigkeiten, und immer noch haben sie etwas zu erzählen, in einem Idiom, das leicht kontaminiert ist vom surselvischen Rätoromanischen und Bündnerischen und das einen ganz unwiderstehlichen Charme hat. In dem Stimmengeflecht, das sich allmählich entwickelt und das über assoziative Wucherungen immer dichter und breiter wird, kommt buchstäblich alles zur Sprache. Da es schon seit Tagen regnet, drängen zwangsläufig Erinnerungen hoch an üble Katastrophen, die das Dorf in vergangenen Zeiten erlebt hat, an rutschende Hänge oder an Lawinenniedergänge. Es sind tief sitzende, hartnäckig wiederkehrende Bilder, die beschworen werden, unklar ist allein die Datierung. Ob jener verheerende Steinschlag im Jahr 1927 war oder schon früher, 1925, darüber muss noch verhandelt werden. 1925 setzt sich endlich durch, «sep mein i au». Die Vergangenheit scheint immer nah, und bisweilen sind längst verstorbene Menschen genauso gegenwärtig wie die noch Lebenden. So gab es im Dorf vor Zeiten einmal einen Dichter, Gion Bi, dem die Runde einmütig zugute hält, dass er nichts erfunden hat: er habe alles «dem Leben abgeschrieben». Und es kann nicht überraschen, dass die Rede auch auf die Auf- und Ausbruchs10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 YVONNE BÖHLER Zum letzten Mal austrinken Arno Camenisch, empathischer Erzähler mit einem Ohr für den Klang der Sprache, schliesst mit «Ustrinkata» seine Bündner Trilogie ab (Aufnahme 2011). versuche jener Dorfbewohner kommt, die ihr Glück ausserhalb des Angestammten gesucht haben. Einige sind gar bis in die USA gereist, und natürlich hat das nicht viel gebracht, «jo kasch tenka». Glück ist jenseits des Dorfes kaum zu finden, das scheint in dieser Runde eine ausgemachte Sache. Bitte: Wozu soll man denn von hier weg? Warum in Genf Möbel herumtragen, wenn man dies auch hier machen kann? Neuzuzüger im Dorf Zu reden geben umgekehrt auch jene, die neu ins Dorf gekommen sind, einmal wird gar «ein Zugezogener aus dem Nachbarsdorf» erwähnt. Oder, schlimmer noch, ein Unterländer, der seine Arbeit als «Günäkolog» aufgegeben hat und nun im Dorf als Bauer arbeitet. Dass der Arglose einmal die unsichtbaren, aber darum nicht minder gut bewachten Grenzen seines Grundbesitzes beim Mähen ein wenig überschritten hat, zahlt ihm sein Nachbar auf gnadenlose Weise heim. Pardon wird nicht gegeben, die Regeln sind mitunter streng, auch in der Gesprächsrunde. Der «Frisör» Alexi bekommt, weil er im Augenblick kein Bier trinken mag, deswegen allerhand Schmähendes zu hören, und nachdem der Busfahrer Romedi am Ende seiner Pause die Runde verlassen hat, um – vermutlich nicht mehr ganz nüchtern – eine nächste Fahrt zu unternehmen, wird sofort über ihn und seine Fahrkünste gelästert. Auch hier haben die Abwesenden Unrecht, wie wohl in jeder Runde. In «Ustrinkata», Arno Camenischs drit- tem Prosaband, entfaltet sich auf knapp hundert Seiten ein ganzes Universum. Camenisch erzählt mit viel Geduld und Empathie, mit einem unglaublich wachsamen Ohr auch für den Klang der Sprache und für die präzis placierten Beiläufigkeiten der Konversation. Da ballen sich Wortwitz und Sarkasmus, und immer wieder blitzen berückende Lebensklugheiten auf. Camenischs Figuren wissen sehr gut damit umzugehen, dass hier etwas zu Ende geht, und zwar mehr als nur eine Beiz. Für diese Ustrinkata-Runde hat der Tod seinen Stachel längst verloren. Und dennoch wird nicht die Vergänglichkeit gefeiert – und wenn schon, ist weniger der Tod das Thema als vielmehr das Vergehen und Sterben. Und dieses kann dauern, das zeigt die Grossmutter, die sogar Mühe mit dem Schlafen hat. «Treis Schnaps», drei Schnäpse bekommt sie, damit sie sich ein wenig hinlegen kann, «und wenn das nicht hilft, dann lasse ich die Kassette mit den Kirchenglocken laufen, auch wenn Sonntag erst übermorgen ist, und sie schläft ein sofort.» Mit «Ustrinkata» rundet Arno Camenisch seine bisherigen Prosawerke zu einer Trilogie. «Sez Ner» steht am Anfang, ein zweisprachiger Text, der von einem Sommer auf der Alp Stavonas erzählt. «Hinter dem Bahnhof» gilt dem kleinen Dorf in der Surselva: Es ist der Ort, wo die «Helvezia» ein letztes Mal geöffnet hat. «Ustrinkata» erzählt davon auf bewegende Weise. Unglaublich, was man aus diesem schmalen Werk alles erfahren kann! ● E-Krimi des Monats Das Schweigen der Mädchen Tess Gerritsen: Grabesstille. Limes, DEREK HENTHORN München 2012. 448 Seiten, Fr. 28.50, E-Book 19.40. Nein, es gibt nicht viele Gründe, die beiden Frauen sympathisch zu finden. Detective Jane Rizzoli ist verbissen ehrgeizig, oft argwöhnisch, immer wieder unzufrieden mit sich selbst und überdies etwas zu klein und zu plump geraten. Die Rechtsmedizinerin Maura Isles ist kühl und unnahbar, superkorrekt und – beinahe – fehlerfrei. Trotzdem schaffen es die beiden Hauptfiguren in Tess Gerritsens Thrillerserie, dass man gebannt mitverfolgt, was ihnen im Beruf widerfährt und ihnen das Leben so bringt. Denn eines sind sie: authentisch. In ihrem neusten Fall, «Grabesstille», landet eine abgetrennte Hand vor ihren Füssen. Sie liegt auf einem Gehsteig in Bostons China-Town. Die dazugehörige Leiche findet Rizzoli etliche Stockwerke höher auf einem Flachdach, mit aufgeschlitzter Kehle: Eine Profikillerin, die selbst zum Opfer wurde. Damit nimmt eine rasante Geschichte ihren Anfang, die mit Leichen gepflastert ist und in der schliesslich um ein Haar auch Rizzoli auf der Strecke bleibt – würde sie nicht von einem scheinbar sagenhaften Wesen gerettet, indem dieses ihren Widersacher kurzerhand enthauptet. Wer's nicht blutig mag, wird sich nicht wohl fühlen in den Welten von Tess Gerritsen, der ehemaligen Ärztin. In «Grabesstille» scheint sich alles um einen Amoklauf zu drehen, der sich vor 19 Jahren in einem China-Restaurant zugetragen hat. Und um eine Kampfkunstsportlerin, die dabei ihren Mann verlor und noch immer nach der Wahrheit sucht. Erst nach 300 Seiten zeigt sich, dass es eigentlich um einen viel spannenderen Fall geht, um Mädchen, die verschwanden – bedauerlich, dass diese Geschichte zu kurz kommt. Schade auch, dass nach der nicht vorhersehbaren Lösung des Falls wenig über Hintergrund und Motiv zu erfahren ist. «Grabesstille» ist nicht Tess Gerritsens bestes Buch, aber ihr persönlichstes; es spielt in jener Welt, in der die chinesisch-stämmige US-Autorin aufwuchs und einen realen Mord in ihrer Bekanntschaft erlebte. An die ersten Rizzoli-Fälle kommt das neue Buch nicht heran – dafür sind diese jetzt auch anders zu haben: Seit Mitte März ermitteln «Rizzoli & Isles» mittwochs bei «Vox». Noch muss sich weisen, ob die zu schöne TVRizzoli ebenso viel drauf hat wie ihr kantiges Vorbild. ● Von Christine Brand Kurzkritiken Belletristik Fred Vargas: Die Nacht des Zorns. Kriminalroman. Aufbau, Berlin 2012. 454 Seiten, Fr. 32.90, E-Book 21.80. Virginia Woolf: Augenblicke des Daseins. Skizzen. Hrsg. Klaus Reichert. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2012. 253 Seiten, Fr. 36.50. Ach, wie oft hat man die Krimis der Französin, die eigentlich Mittelalter-Archäologin ist und Frédérique AudoinRouzeau heisst, empfohlen. Von ganzem Herzen! Bei Fred Vargas ist nicht der Plot König, sondern der mäandrierende Duktus, der ganz den skurrilen Figuren entspricht. Von Magie hat man bei dieser Autorin stets geschwärmt. Wie enttäuscht ist man aber von ihrem neuen Buch mit dem unsympathisch-sympathischen Kommissar Jean-Baptiste Adamsberg. Der Fall ist verzwickt, doch alle Gedanken, alle Schrullen werden erklärt, das Geschehen wird plump ausformuliert, damit auch ja kein Leser ins Nachdenken kommt. «Wolkenschaufler» Adamsberg, der seine Fälle gewissermassen aus den Augenwinkeln und halbwegs genialisch löst, ist in «Die Nacht des Zorns» leider nur noch ein ganz gewöhnlicher Flic. Regula Freuler Drei verschiedene Textgruppen umfasst dieser Band mit autobiografischen Skizzen der britischen Erzählerin Virginia Woolf (1882–1941), die mit Proust und Joyce zu den stilbildenden Figuren ihrer Epoche gehört. Da sind zunächst die frühen Reminiszenzen an ihre Kindheit und Jugend, deren Niederschrift sie als 25-Jährige begann. Ihnen gegenüber stehen umfangreichere, späte Notizen zum gleichen Thema, an denen sie bis kurz vor ihrem Freitod arbeitete. Diese sehr persönlichen, nicht für die Öffentlichkeit geschriebenen Aufzeichnungen zeigen Virginia Woolf auf der Suche nach den Epiphanien des Alltags, den Momenten einer glückhaft gesteigerten Existenz. Das Mittelstück bilden Beiträge für die legendäre «Bloomsbury Group». Sie berichten von den Anfängen dieses literarischen Zirkels und zeigen die Autorin von ihrer scharfsichtigen, spöttischen Seite. Manfred Papst Milena Moser: Montagsmenschen. Roman. Nagel & Kimche, Zürich 2012. 394 Seiten, Fr. 25.90, E-Book 19.40. Albin Zollinger: Die grosse Unruhe. Roman. Hrsg. Dominik Müller. Chronos, Zürich 2012. 233 Seiten, Fr. 38.–. Mit ihrem Buch «Gebrochene Herzen oder Mein erster bis elfter Mord» hat Milena Moser einst jenem Genre den Weg geebnet, das unter dem Label «Freche Frauen» Geschichten versammelt, in denen Männer frisch fröhlich ermordet werden. Die gelernte Buchhändlerin hat Chick-Lit geschrieben, bevor dieses Genre aus dem Angelsächsischen zu uns wanderte, im Rucksack von TV-Serien wie «Sex and the City». Das war neu und eine Art von lustvollem Feminismus, den man gerne teilte. Seither sind 22 Jahre ins Land gegangen, und Chick-Lit gehört zum Mainstream. Das gilt auch für Yoga, Mosers Passion, die sie schon mehrfach literarisch ausgelebt hat. In «Montagsmenschen» wirft sie nun einen kritischen Blick auf scheinheilige Gurus und verzweifelte Wechseljährige. Auch wenn ihre Frauen nicht mehr ganz so frech sind und ziemlich Rost angesetzt haben: Sie kommen einem nah. Regula Freuler Um den grossen Schweizer Erzähler Albin Zollinger (1895–1941) ist es seit dem Abschluss der sechsbändigen Artemis-Werkausgabe (1981–1984) still geworden. In jüngerer Zeit war kein einziges seiner Bücher mehr lieferbar. Das ändert sich nun mit dieser sorgsam kommentierten, mit einem klugen Nachwort versehenen Neuedition des Romans «Die grosse Unruhe». Das Ende 1939 erschienene Werk ist der mittlere von Zollingers fünf Romanen – und wohl sein kühnster. Er erzählt von einem Berner Architekten, der aus seiner Ehe ausbricht und in Paris, wo er sich mit Menschen der internationalen Bohème anfreundet, nach sexuellen Abenteuern sucht. Der Roman spielt vor dem Hintergrund von Hitlers Machtergreifung und den Pariser Unruhen, führt aber auch nach Berlin, Wien und Argentinien. Er überrascht durch Weltoffenheit, dynamischen Duktus, poetische Sprache. Manfred Papst 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11 Essay Kann die Marktwirtschaft Hunger, Arbeitslosigkeit und Klimakatastrophen überwinden? Oder muss der Kapitalismus selbst überwunden werden? Und wenn ja, von wem, wann und wie? Ein Streifzug durch neue Literatur zur wirtschaftlichen Situation. Von Peter Bodenmann Der grüne Kapitalismus steht vor der Tür In meiner Jugend waren im Westen alle Keynesianer. Und fast alle voller Optimismus: Das Heute war gut und das Morgen versprach Fortschritt; der fossile Fordismus galt als Motor des rheinischen Kapitalismus, der unter dem Druck der Sowjetunion und der eigenen Arbeiterbewegung stand. In den letzten 50 Jahren hat sich mehr verändert, als wir damals zu träumen wagten: Drei neue, sichere Volvos saufen so viel Most wie damals ein unsicherer VW Käfer. Jeder auf dem Dachboden entsorgte Computer hat mehr Leistung als die einstigen lochkartengesteuerten IBM-Rechenzentren der ETH. Neue Häuser produzieren nächstens mehr Energie als ihre Bewohner brauchen. Und unsere Hüftgelenke werden heute akkurater ersetzt als früher die Stossdämpfer am Auto. Dank Wissenschaft und Forschung müssten wir uns eigentlich dem nähern, was für die Peter Bodenmann meisten von uns einst als Paradies erschien: Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und Wohlstand für alle. Der Kunstmaler Hans Erni, zeitlebens ein Freund des Fortschritts, ist 103 Jahr alt. Und arbeitet unermüdlich weiter. Der französische Diplomat Stéphane Hessel ist nur acht Jahre jünger. Mehr als 5 Millionen Mal ging seine erst 2010 verfasste, kapitalismuskritische Broschüre «Indignez-Vous» über die Ladentische. Für seinen Freund Manfred Flügge ist «Stéphane Hessel ein glücklicher Rebell». In seinem gleichnamigen Buch – erschienen im einst kommunistischen Aufbauverlag – erzählt Flügge das Leben dieses leichtfüssigen Wanderers zwischen den Welten. In Berlin geboren war Hessel im Zweiten Weltkrieg ein Mann des Widerstands. Vom Exil in London ging der Gaullist zurück in das noch nicht befreite Paris, wurde verraten, landete im Konzentrationslager. Überlebte. Wurde Diplomat unter mehreren französischen Regierungen. Wichtig, aber nie ganz wichtig. Aus dem Gaullisten wurde ein Sozialist, ein Freund von Michel Rocard. Martine Aubry als Präsidentschaftskandidatin wäre Hessel lieber gewesen als François Hollande. Und den Dominique Strauss-Kahn mochte er nie. Hessels Manifest ist keine scharfsinnige Analyse des Kapitalismus. Sein Erfolg spiegelt die Schwäche der Linken, ihrer Theoretiker und ihrer Handwerker. THOMAS ANDENMATTEN Woher kommt der Profit? Peter Bodenmann ist 1952 in Brig geboren. Er studierte Rechtswissenschaft an der Universität Zürich. Von 1987 bis 1997 sass Bodenmann im Nationalrat, von 1990 bis 1997 war er Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz. Seit seinem Ausstieg aus der Politik ist Peter Bodenmann Hotelier in Brig, seit 2002 verfasst er Kolumnen für verschiedene Medien. 12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 Szenenwechsel: In Frankreich bilden Comics und satirische Zeitungen wie der «Canard Enchainé» und der dank seinem Direktor Charb noch frechere «Charlie Hebdo» Bestandteil von Kultur und Politik, sind Teil der politischen Kultur. Der Wirtschaftswissenschafter und Statistiker Michel Husson war einst Mitglied der Vierten Internationale. Er ist heute einer der produktivsten Autoren links der Sozialdemokratie. Sein neuestes Buch heisst «Le Capitalisme en 10 Leçons». Und Charb von «Charlie Hebdo» hat dieses bitterböse illustriert. Eine im deutschen Sprachraum so undenkbare Mischung. Woher hat der Kapitalismus seinen Namen? Woher kommt der Profit? Warum sind die Reichen reich? Welche Bedürfnisse haben wir? Was ist eine Ware? Ist grüner Kapitalismus denkbar? Wohin führt uns die Globalisierung? Wem dient das neoliberale Europa? Was ist eine Krise? Warum fahren wir in die Mauer? Hussons Buch ist eine spannende Reise entlang dieser nur scheinbar banalen Fragen. Er greift zurück auf Marx, referiert die seitherige Wirtschaftsgeschichte und neue Erkenntnisse. Der Kapitalismus steckt in den USA, Europa und Japan in einer tiefen Krise. Im Gegensatz Seit Anfang der 70er-Jahre werden die Reichen reicher, es wird weniger investiert, das Wachstum verlangsamt sich und die Arbeitslosigkeit steigt stetig. zu Ländern wie China, Indien und Brasilien. Während der verbleibende Rest der Menschheit auf den Zuschauerbänken verhungert. Während der goldenen 30 Jahre zwischen 1945 und der Krise Mitte der 70er-Jahre war für einen kurzen Moment alles besser: Das Wachstum betrug fünf Prozent. Die Produktivität stieg – genau wie die Gewinne und die Löhne – um fünf Prozent. Die Inflation baute Schulden ab und erleichterte Anpassungsprozesse. Die Spirale dreht sich aber seit Anfang der 70erJahre, seit der alles entscheidenden Verlangsamung des Wachstums der Produktivität, in die falsche Richtung. Der Übergang vom Fordismus zum Neoliberalismus veränderte den Kapitalismus: Das Finanzkapital bestimmte seither den Gang der Akkumulation. Die Informationstechnologien trieben den technischen Fortschritt voran. Die Flexibilisierung der Arbeitskraft ersetzte den sozialen Kompromiss, die Globalisierung die bisherigen internationalen Beziehungen zwischen Staaten. Marx und Engels Die Folgen: Die Reichen werden reicher. Der Anteil der Löhne an den Bruttoinlandprodukten geht zurück. Es wird weniger investiert. Das Wachstum verlangsamt sich. Die Arbeitslosigkeit steigt. Wenige bewunderten die zerstörerische Kraft des sich in und mittels Krisen erfolgreich KAI NEDDEN / LAIF Aufstand gegen die Finanzmärkte: Protestbewegung Occupy Wall Street im Zuccotti Park in New York, Herbst 2011. 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13 Essay RIA NOVOSTI / KEYSTONE dass verschiedene Formen des Kapitalismus Instrumente zur Lösung oder zur Verschärfung unsere Probleme sind. Und drittens die demokratische Wahl der richtigen Therapie. Leider weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheint in Zürich zweimal jährlich die Zeitschrift «Widerspruch». Herausgegeben von dem aus Brig stammenden PierreAlain Franzen. Die 61. Ausgabe des «Widerspruchs» ist dem Thema «Diktatur der Finanzmärkte, EU-Krise und Widerstand» gewidmet. Neben Marxisten wie Joachim Bischof kommen auch wachstumskritische Keynesianer wie Werner Vontobel zu Wort: Die Schulden der einen sind die Vermögen der anderen, weil die Saldi volkswirtschaftlich immer auf Null aufgehen. Die Unternehmen machen zu hohe Gewinne. Umgekehrt müssen sich die privaten Haushalte und Staaten zu stark verschulden. Dies alles, weil die realen Zinsen höher sind als das reale Wachstum pro Jahr. Vontobels etwas pathetische Schlussfolgerung: «Am Ende der Durststrecke liegt das Ende der Marktwirtschaft … Zeit, dass die Ökonomen endlich das Handwerk lernen.» Wirtschaftspolitische Fehler Bewunderten die Kraft des Kapitalismus: Friedrich Engels (links) und Karl Marx mit seinen Töchtern, London 1864. entwickelnden Kapitalismus mehr als Marx und Engels. Diese Faszination teilt Husson, wenn er im Rückspiegel die Entwicklung der letzten 150 Jahre nachzeichnet. Umso erstaunlicher: Husson traut dem Kapitalismus den notwendigen ökologischen Umbau nicht zu. Grüner Kapitalismus scheint ihm unwahrscheinlich und unmöglich zugleich. Die Fakten legen andere Schlüsse nahe: Vor 2020 wird Solarstrom günstiger sein als Kohlestrom. Vor 2025 werden Batterien Strom dezentral und kostengünstig speichern. Nach Dampfmaschinen, Autos und Computern werden Solarzellen und Batterien ein neues Zeitalter der Akkumulation im doppelten Wortsinn einläuten: Die zweite, die grüne Elektrifizierung des Kapitalismus steht vor der Haustür. Vielleicht, aber immer wahrscheinlicher. Für die Rechten braucht es noch mehr Angebotspolitik, noch mehr Ungleichheit. Für die Keynesianer mehr Regulation. Und für Marxisten wie Husson leidet der Kapitalismus unheilbar an seinem Widerspruch. Für Husson müssten nachkapitalistische Gesellschaften deshalb das Kapital sozialisieren und demokratisieren. Dabei könnten Marktmechanismen bei der Steuerung helfen. Die Alternative bleibt vage, ungenau und eröffnet keine wirklich tragfähigen Perspektiven. Noch entwickelt sich Kapitalismuskritik nach Sprachräumen getrennt. Das ist unverständlich im Zeitalter der Globalisierung. Es zeigt die Marginalisierung des linken Diskurses. Wer Marx weiter denken, oder wer den Marxismus kompetent kritisieren will, kommt trotzdem um dieses Buch nicht herum. Hoffentlich erscheint es bald auf Deutsch und Englisch. Denn noch entwickelt sich Kapitalismuskritik nach Sprachräumen getrennt und deshalb arg 14 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 unterschiedlich. Unverständlich im Zeitalter der Globalisierung und zugleich Zeichen der Marginalisierung des linken Diskurses. Sonst wäre das weitgehend faktenfreie Buch des Philosophen Terry Eagleton «Warum Marx recht hat» so nie geschrieben und vorab so nie publiziert worden. Eagleton über den Kommunismus: «Insofern lässt sich schon behaupten, dass eine kommunistische Gesellschaft alles in allem wohl mehr moralisch höher entwickelte Menschen hervorbrächte, als wir gegenwärtig vorzuweisen haben.» Eagleton über Marx: «Ist irgendein Philosoph jemals so entstellt worden?» Wie unfreiwillig recht er hat, der gute Eagleton. Vertrauensschwund Der unverdächtige Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar schrieb Anfang März 2012 in der deutschen «Financial Times»: «Ich traue den alten Weisheiten nicht mehr, die mich geprägt haben – nachdem sich einige dieser Weisheiten empirisch als falsch erwiesen haben.» Genau um die Zerstörung dieser vermeintlichen Weisheiten geht es dem Chefökonomen der Unctad, Heiner Flassbeck, in seinem neuen Buch «Zehn Mythen der Krise». Wer nach 30 Jahren neoliberaler Hirnwäsche weiter auf den Kapitalismus setzt, müsste in der Logik von Peter Bofinger, einer keynesianischen Referenz, Heiner Flassbeck und Co. eine neue Wirtschaftspolitik einfordern. Dies auf der Basis folgender Erkenntnisse: Deregulierte Finanzmärkte sind ineffizient. Wenn die europäischen Regierungen so weiter machen, droht eine Krise wie in den 30er-Jahren. Die Staatsschulden sind nicht das ursächliche Problem. Sondern die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die Mehrheit der Menschen lebt in Deutschland und der Schweiz nicht über, sondern unter unseren Verhältnissen. Die Deutschen machten mit Tieflohnpolitik die EU und den Euro kaputt. Ohne koordinierte Lohnund Finanzpolitik, ohne Transferunion scheitert der Euro. Für den zunehmend etwas resignierenden Flassbeck braucht es heute drei Dinge: Erstens die richtige ideologiefreie Diagnose der bestehenden Probleme. Zweitens die Erkenntnis, Die Sozialdemokratie wurde – Tony Blair und Gerhard Schröder lassen grüssen – neoliberal. Die zu schwachen Parteien links der heutigen Sozialdemokratie – Oskar Lafontaine grüsst zurück – werden zunehmend sozialdemokratischer. Technokraten des Kapitals übernehmen anstelle von Parteien vorerst in Griechenland und Italien die Regierungsgeschäfte. Gehen Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Sachverstand gemeinsam den Bach runter? Die Erfahrungen der letzten Jahre und Monate zeigen: Relevante Politik wird in relevanten Räumen gemacht. In Europa, somit in der EU. Wegen der stark nachwirkenden neoliberalen Kopfkrankheiten macht Europa – angeleitet durch Angela Merkel – wirtschaftspolitisch zuerst immer alle denkbaren Fehler. Um diese im zweiten oder dritten Nachgang zu korrigieren. Ein Marshall-Plan für Griechenland, Italien, Spanien und Portugal wird so sicher kommen wie das Amen in der Kirche. Heiner Flassbeck wird schneller recht bekommen, als er zu hoffen wagt. Einen weiten Weg vor sich haben die wenigen verbleibenden Freunde von Marx und Engels. In Theorie und Praxis. Dies belegt der Spaziergang durch die Neuerscheinungen zum Thema Kapitalismus dieses Frühlings. l Kapitalismuskritik Manfred Flügge: Stéphane Hessel – Ein glücklicher Rebell. Aufbau, Berlin 2012. 271 Seiten, Fr. 32.90. Michel Husson: Le Capitalisme en 10 Leçons. Petit cours illustré d'économie hétérodoxe. Illustré par Charb. Editions Zones, Paris 2012. 252 Seiten, Fr. 32.90. Terry Eagleton: Warum Marx recht hat. Ullstein, Berlin 2012. 288 Seiten, Fr. 25.90, E-Book 18.10. Heiner Flassbeck: Zehn Mythen der Krise. edition suhrkamp, Berlin 2012. 59 Seiten, Fr. 7.90, E-Book 6.20. Widerspruch Nr. 61: Diktatur der Finanzmärkte, EU-Krise und Widerstand. Herausgegeben von Pierre-Alain Franzen. Zürich 2012. 261 Seiten, Fr. 25.–. Kolumne Charles Lewinskys Zitatenlese GAËTAN BALLY / KEYSTONE Ein Schriftsteller, der nicht mit dem Bus fährt, weiss nicht mehr, wie die Leute reden. Der Autor Charles Lewinsky arbeitet in den verschiedensten Sparten. Seine Zitatenlese für «Bücher am Sonntag» ist soeben als Buch «Falscher Mao, echter Goethe» bei NZZ Libro erschienen. Kurzkritiken Sachbuch Dieter E. Zimmer: Ist Intelligenz erblich? Eine Klarstellung. Rowohlt, Hamburg 2012. 316 Seiten, Fr. 28.50. Masha Gessen: Der Mann ohne Gesicht. Wladimir Putin. Piper, München 2012. 384 Seiten, Fr. 32.90, E-Book 20.60. Der ehemalige Zeit-Redaktor und Wissenschaftsjournalist Dieter E. Zimmer hat sich in vielen Artikeln und Büchern seit über 30 Jahren mit der menschlichen Intelligenz beschäftigt. Der Aufschrei gegen die Thesen von Thilo Sarrazin haben ihn nun bewogen, den in der Wissenschaft längst beigelegten Streit um die Erblichkeit des IQ erneut für Laien darzustellen. Ja, Intelligenz ist erblich, und zwar bei erwachsenen Menschen zu rund 70 Prozent. Was dies bedeutet, klärt Zimmer ebenso sorgfältig wie andere Fragen um den IQ: etwa die umstrittenen LänderIQs und ihr Zusammenhang mit den PisaErgebnissen oder Macht und Ohnmacht von Umweltbedingungen. Zimmer zitiert aus der Fachliteratur: Das heikle Kapitel zur Frage nach ethnischen IQ-Unterschieden montiert dieser vorsichtige Autor, der als Deutscher das Wort Rasse nicht gebrauchen will, glänzend zur Gänze aus Zitaten! Kathrin Meier-Rust Die russische Journalistin Masha Gessen hatte 10 Jahre in den USA gelebt, als sie 1991 mit 24 Jahren nach Moskau zurückkehrte. Seither verfolgt sie das Geschehen in Russland für amerikanische und russische Publikationen. Lebendig, anschaulich und oft sehr persönlich beschreibt sie in ihrer Putin-Monografie die politischen Ereignisse der verflossenen zwei Jahrzehnte. Wie es dazu kam, dass der «Mann ohne Gesicht» im Jahr 2000 an die Macht kam und was er aus Russland gemacht hat: ein Land der Korruption, der unaufgeklärten politischen Morde, der weitgehend unfreien Presse und manipulierten Wahlen. Dass Gessen an Putin kein gutes Haar findet, ist verständlich, dass sie die in Russland reichlich vorhandenen Gerüchte oft als Wahrheit darstellt weniger. Auch die angekündigte Enthüllung bleibt aus in diesem Buch einer engagierten Vertreterin der neuen Bürgerbewegung, das sich jedoch spannend liest. Kathrin Meier-Rust Diane Ducret: Die Frauen der Diktatoren. Ecowin, Salzburg 2012. 352 Seiten, Fr. 35.50. Meshullam da Volterra: Von der Toskana in den Orient. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012. 152 Seiten, Fr. 28.50. Wussten Sie, dass Hitler mehr weibliche Fanbriefe bekam als Mick Jagger und die Beatles zusammen? Hunderte von enthemmten Frauen wünschten sich vom Führer ein Kind, eine Partnerschaft oder anderes mehr. Tausende Briefe trafen jedes Jahr in Hitlers Privatkanzlei ein. Auch der italienische Duce war für viele Frauen ein Gott, den sie anbeteten. Diktatoren konnten und können Frauenherzen erobern – damals wie heute. Diane Ducret, eine französische Dokumentarfilmerin, untersucht die seltsamen Beziehungen zwischen Gewaltherrschern und ihren Frauen, Geliebten, Prostituierten, Gefährtinnen und Verehrerinnen anhand von Tagebüchern, Briefwechseln, Memoiren und anderen Quellen. Neben den beiden Genannten sind es Lenin, Stalin, Salazar, Bokassa, Mao und Ceauşescu. Ein lüsterner Blick durchs Schlüsselloch der Mächtigen und Verruchten. Urs Rauber Meshullam da Volterra war Bankier und Edelsteinhändler im Florenz des 15. Jahrhunderts und einer der angesehensten Juden Italiens. 1481 reiste er über Kairo und Jerusalem bis Damaskus und schrieb über dieses rund sechs Monate dauernde Abenteuer einen Bericht auf Hebräisch. Der Historiker Daniel Jütte hat diesen erstmals auf Deutsch übersetzt und kommentiert. Was den reichen und frommen Meshullam zu dieser Reise ins Heilige Land veranlasst hat, bleibt unklar; jüdische Pilger waren damals eher selten. Meshullam ist ein interessierter, kritischer Beobachter, der aber gegenüber Islam und Christentum von Vorurteilen nicht frei ist. Er berichtet über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Orient und über seine Glaubensgenossen in den unterwegs besuchten Orten. Natürlich begegnet er Seeräubern wie Banditen und wäre einmal um ein Haar ertrunken! Geneviève Lüscher Harold Pinter Es gibt zwei Gruppen von Menschen, die neue Worte entwickeln. Einerseits besonders gescheite – oder sich besonders gescheit fühlende – Akademiker, die felsenfest davon überzeugt sind, ihre Gedanken seien auf so einmalige Weise bedeutungsvoll, dass das bestehende Vokabular nicht ausreiche, um sie wirklich exakt auszudrücken. Was dann meistens nur, wie Kurt Tucholsky das schon vor achtzig Jahren in der «Weltbühne» formulierte, zum «Missbrauch einer zu diesem Zweck erfundenen Terminologie» führt. Die anderen Worterfinder sind junge Leute. Für sie ist Sprache ganz selbstverständlich etwas Plastisches, das man jederzeit nach Lust und Laune spielerisch verändern kann. (Natürlich betätigen sich auch Werbeleute gern sprachschöpferisch. Aber das bestätigt meine These nur. Werber vereinen die beiden Gruppen in sich. Sie sind kindliche Wesen, die sich und ihren Kunden einreden, sie betrieben eine exakte Wissenschaft.) Nein, die wahren Spracherfinder sind Teenager. Ob ein Wort im Duden steht, oder eine grammatikalische Konstruktion von irgendwelchen beamteten Oberlehrern als korrekt anerkannt wird, das ist ihnen total … Total was? Ich habe keine Ahnung, welches Synonym man in dieser Generation gerade für «egal, gleichgültig, am Arsch vorbei gehend» benutzt. Ich weiss nur: Bis ein Wort bis zu mir altem Sack durchgedrungen ist (und das Altsacktum, so scheint mir, beginnt immer früher), ist es bei seinen Erfindern bestimmt schon längst wieder aus der Mode gekommen. Es gibt ein paar wenige Autoren, die über das beneidenswerte absolute Gehör für aktuelle Sprachformen verfügen. Die sich einfach in den Bus setzen und beim Belauschen fremder HandyPlaudereien die Sprache der Gegenwart akzentfrei erlernen können. Die meisten von uns sind für alle Zeiten in der Formulierungsweise gefangen, die wir in der eigenen Jugend gebraucht oder selber erfunden haben. Wenn wir versuchen, so zu reden, wie wir es naiver Weise für heutig halten, ernten wir zu Recht nur mitleidige Blicke. Eigentlich ist das ja auch kein Problem. Ausser wenn wir in unseren Texten versuchen, die Sprache junger Menschen nachzuahmen. Dann machen wir uns rettungslos lächerlich. Oder, wie die Teenager in diesem Jahr statt «lächerlich» sagen … Ich muss zugeben: Ich habe keine Ahnung, wie sie es sagen. 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15 Sachbuch Antizionismus Der Publizist Henryk M. Broder rechnet mit der Linken in Deutschland ab Scharf beobachtet, überspitzt formuliert Henryk M. Broder: Vergesst Auschwitz! Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage. Knaus, München 2012. 176 Seiten, Fr. 24.50, E-Book 16.90. Von Klara Obermüller Er ist provokativ, sarkastisch und ungerecht. Aber er verfügt über einen scharfen Blick und eine bestechende Logik. Er sieht vieles richtig. Aber er übertreibt und spitzt zu, bis auch das Richtige falsch wird. 25 Jahre nach Erscheinen seines Pamphlets «Der ewige Antisemit» fährt der deutsche Publizist Henryk M. Broder erneut eine Breitseite gegen die deutsche Linke, hinter deren antizionistischer Haltung er die Fratze des Antisemitismus zu erkennen glaubt. Der Golfkrieg und die Gaza-Flotille, die Debatte um das Holocaust-Mahnmal in Berlin und die nicht abreissende Kette deutscher Gedenkveranstaltungen und Friedensdemonstrationen haben ihm dazu Belege ohne Ende geliefert. Broder hat sich über die Jahre einen Zitaten- Henryk M. Broder schatz zugelegt, den er abrufen kann, wann immer er Munition für eine Polemik braucht. Und die braucht er oft. In seinem neuesten Buch hat der 1946 in Polen geborene und in Deutschland aufgewachsene Publizist wiederum all jene im Visier, die glauben, aus der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel ein besonderes Recht auf Kritik an Israel ableiten zu dürfen: jene, die die Israelis ihrer Besatzungspolitik wegen mit Nazis vergleichen, jene, die das Elend der Palästinenser mit dem Leiden der Juden während des Holocaust gleichsetzen, jene, die es Israel nicht verzeihen, dass es sie für immer an Auschwitz erinnert. In diesem Sinne ist auch der provokative Titel des Buches zu verstehen. «Vergesst Auschwitz!» – damit wird nicht der Schlussstrichmentalität rechtsnationaler Kreise das Wort geredet. Broders Kritik gilt vielmehr dem «deutschen Erinnerungswahn», wie er sich ausdrückt, der in seiner Fixierung auf die Verbrechen der Vergangenheit die Gefahren nicht sieht, die dem Staat Israel heute drohen. «Vergesst Auschwitz! Denkt an Israel – bevor es zu spät ist», so lautet der vollständige Satz, der dem Buch den Titel gegeben hat. MARCO LIMBERG Alle in den gleichen Topf Henryk M. Broder spricht ein Tabuthema an. Ein soeben veröffentlichter Expertenbericht hat ergeben, dass der Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft von rechts bis links noch fest verankert ist. Forschungen betreibt vor allem das «Zentrum für Antisemitismusforschung» in Berlin. Wolfgang Benz, bis 2010 dessen Leiter, ist Autor von «Handbuch des Antisemitismus», «Der Hass gegen die Juden» und neu «Antisemitismus und Islamkritik». Über die These, die Moslems seien die Juden von heute, wird zurzeit in Deutschland heftig debattiert. 16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 In diesem Konnex liegt die Provokation von Broders Buch, aber auch das zutiefst Ungerechte seiner Polemik. Nicht jeder, der Kritik an Israels Politik übt und sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt, tut dies aus antizionistischen oder gar antisemitischen Motiven. Nicht jedem, der deutsche Schuld verinnerlicht hat, ist vorzuwerfen, ihm sei an toten Juden mehr gelegen als an den lebenden. Und nicht jeder, der vor einer Verteufelung des Islams warnt, nimmt die islamistische Vernichtungsrhetorik gegenüber Israel billigend in Kauf. Dies aber unterstellt Broder seinen Gegnern und wirft sie alle in einen Topf. Er macht keinen Unterschied zwischen berechtigter Kritik und dumpfem Ressentiment. Er verurteilt pauschal und sieht hinter jeglichem Bemühen um einen Frieden im Nahen Osten die verkappte Sehnsucht nach einer «Endlösung der Israel-Frage», wie es der Untertitel des Buches suggeriert. Es ist schade, dass Broder nicht bereit ist zu differenzieren. Denn viele seiner Anliegen sind berechtigt, die Beispiele, die er anführt, erschreckend. Etwa, wenn auf Transparenten Sätze zu lesen sind wie: «Gestern Dresden – heute Gaza». Oder: «Hitler ist Vergangenheit. Aber Israel ist Gegenwart. Nicht noch einmal». Was für Vergleiche werden da gemacht und welche Parallelen gezogen! «So denkt es in ihnen», kann man da nur in Anlehnung an Rainer Werner Fassbinder feststellen. Broder hat ein Ohr für dieses verkappte Denken in den Köpfen seiner Landsleute, darin liegt seine besondere Stärke. Er hat Sinn für die Ambivalenzen der Sprache. Er hört Eine Chance Unstatthafte Vergleiche Nein, die Israeli sind nicht die Nazis von heute, und Gaza ist nicht zu vergleichen mit dem Warschauer Ghetto. Aber zu behaupten, die Deutschen seien froh über die miese Behandlung der Palästinenser, weil sie sich selbst dann weniger schuldig fühlen müssten, ist reichlich gewagt. Nein, die Muslime von heute sind nicht gleichzusetzen mit den Juden von gestern. Aber Ähnlichkeiten zwischen Antisemitismus und Islamphobie lassen sich nicht übersehen. Und nein, es darf nicht noch einmal zu einem Boykott jüdischer Waren in Deutschland aufgerufen werden. Aber ist wirklich jedem der Wunsch nach einer Liquidierung Israels zu unterstellen, der sich ernsthaft Gedanken um ein Ende der Besatzungspolitik macht? So fühlt man sich bei der Lektüre des Buches ständig hin und her gerissen zwischen Ärger und Zustimmung – und als nichtdeutsche Leserin auch manch- mal etwas aussen vor gelassen. Natürlich ist das Verhältnis der Deutschen gegenüber Israel und den Juden ein besonderes. Nur, Antisemitismus, Antizionismus und Judenfeindlichkeit gibt es auch anderswo, und es wäre zweifellos erhellend gewesen, die von Broder geschilderten Phänomene in einen gesamteuropäischen Kontext gestellt zu sehen. Dabei wären Parallelen und Unterschiede zu Tage getreten und Motive – politische und religiöse – deutlich geworden, die jetzt unter den Tisch fallen. Doch Broders Auseinandersetzung mit der deutschen Linken ist ebenso obsessiv wie das Verhältnis mancher Deutscher gegenüber Israel und den Juden. Darüber hinaus sieht er nichts oder will er nichts sehen – auch nicht die eigenen Beweggründe, die zu dieser Obsession geführt haben. Hinter Broders offenkundigem Zynismus verbirgt sich eine tiefe Angst, stehen Verletzungen, die er bis heute nicht überwunden hat. Er ist das Kind traumatisierter Holocaust-Überlebender. Deutschland hat er schon einmal den Rücken gekehrt und ist nach Israel gezogen. Heute lebt er wieder in Deutschland, wo er sich übelsten antisemitischen Attacken ausgesetzt sieht. Das hinterlässt Spuren. Es wäre gewiss aufschlussreich, mehr darüber zu erfahren. Vielleicht liesse sich dann auch der Furor dieses Buches besser verstehen. l für die Liebe! Mit Selbsttest: Wo steht Ihre Beziehung? CHF 19.90 broschiert, 252 Seiten 978-3-280-05459-8 Randi Gunther kennt die Beziehungsfallen, die sich Paaren stellen, wenn diese länger zusammen sind. Anhand von einfachen Tests und Fallbeispielen zeigt sie, welche Stolpersteine die Beziehung gefährden. Ein Buch für alle, die neuen Schwung in ihre Beziehung bringen wollen. In der Debatte um das HolocaustMahnmal erkennt der jüdische Publizist Henryk M. Broder den aufflammenden Antisemitismus. Mama und Papa haben immer recht! <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0MzAzNQcAIryRuA8AAAA=</wm> <wm>10CEXKOw6AIBBF0RUxeQ8ZPk4pUBFj1Lj_pUhsLG5xkzOGqeBra_vdTiMQ1DEiajKqSsFCS1mFRWlz1IN-nS6HyAT7vduqu4AOPKActb9RRl92XwAAAA==</wm> CHF 19.90 broschiert, 208 Seiten 978-3-280-05453-6 Scharfsinnig und aufschlussreich vermittelt Katy Albrecht gebeutelten Eltern Abhilfe gegen allzu gut gemeinte Ratschläge. In humorvollen Anekdoten werden die Besserwisser entlarvt. Die pointierte Typologie sorgt dafür, dass Sie nicht mehr von den kleinen Gemeinheiten des Alltags auf dem falschen Fuß erwischt werden und gibt Ihnen unentbehrliche Tipps – für eine wirksame Firewall gegen den Erziehungsspam! PIOTR MALECKI / PANOS den Subtext mit, das Ungesagte, Uneingestandene, und er pocht auf sein Recht, Antisemitismus dort zu erkennen, wo er ihn sieht. Solche Schärfe des Blicks und solche Wachsamkeit tun Not. Übertreibungen sind manchmal nützlich, um sich anbahnende Gefahren besser zu erkennen. Nur, Unterstellungen und furchtbare Vergleiche sollte man meiden, wenn man selbst dieses Mittel bei anderen so scharf kritisiert. www.ofv.ch 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17 Sachbuch Musik Der 85-jährige, schwarze Sänger Harry Belafonte beschreibt sein rauschhaftes Leben zwischen Zorn und Gewaltlosigkeit, zwischen Politik und Performance Sein gellendes «Day-o!» vibriert bis in die Fingerspitzen Belafonte im Fernsehen die Hand auf den Unterarm legte, während wir Schweizer Kids ahnungslos «Downtown» pfiffen. Spätestens seit dem blutigen Sommer 1964 hätten alle schwarzen Amerikaner mit Gewissen die Bewegung zu ihrer Sache gemacht, schreibt Belafonte. Darüber hinaus muss die Einsamkeit einer Kindheit zwischen karibischer und amerikanischer Kultur sowie zwischen Schwarz und Weiss jenen Zorn genährt haben, der ihm sein Leben lang erhalten geblieben ist, auf den er stolz ist, ohne seine «zwanghafte Seite» zu übersehen. Als deren familiäre Opfer rücken dabei im Buch unübersehbar die vier Kinder aus drei Ehen ins Licht. Harry Belafonte (mit Michael Shnayerson): My Song. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012. 630 Seiten, Fr. 35.50. Von Martin Walder Wer hat es nicht im Ohr, das gellende «Day-o!» der Pflücker, das im «Banana Boat Song» den Tallyman der United Fruit Company zur Kontrolle der Bananenernte aufruft: «Daylight come an’me wan’ go home». Es ist die eine, bis in die Fingerspitzen vibrierende musikalische Seite des Weltstars Harry Belafonte mit der begnadeten, seidig-rauen Stimme, der, als Spross illegaler Einwanderer in Harlem geboren, zeitweilig bei der Grossmutter auf Jamaica aufgewachsen ist, weil dort zehn amerikanische Cents den Wert eines ganzen Dollars hatten. Den Mister Tallyman und die frühmorgens erschöpft Heimkehrenden hat der Bub da selber erlebt. Harry Belafontes andere, politische Seite erklingt als Variation dieses seines – neben «Matilda» – berühmtesten Songs als Hymne der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre in den USA: «Freedom come an’ it won’t be long!». Wenige haben das Spannungsfeld zwischen Künstler und politischem Aktivist so nutzen und fruchtbar machen können wie Harry Belafonte: Nach 600 Seiten legt man seine zum 85. Geburtstag (am 1. März) erschienene Autobiografie beeindruckt und erschöpft aus der Hand. Zuerst nur Pausennummer Der Star ist sich des Rauschhaften, «einer gewissen Selbstherrlichkeit seiner Person» durchaus bewusst, unvermeidbar angesichts seiner öffentlichen Persona, sieht man ihn doch bei der Lektüre quasi imaginär als globalen Politmanager an einem riesigen Büro mit Dutzenden von Telefonen und Laptops thronen und Dinge in Gang bringen: «Als politischer Aktivist und Künstler besass ich ein Adressbuch, das Angehörige aller Klassen und Berufsgruppen verzeichnete bis hinauf in manches präsidiale Büro» – John F. Kennedy und vor allem dessen Bruder Bobby mit eingeschlossen. Belafonte wusste sein Netzwerk brillant zu nutzen; fesselnd ist zu lesen, wie damals im Weissen Haus der Post-McCarthy-Zeit zögerliches realpolitisches Kalkül und emanzipatorische Power aufeinanderprallten. Wann und wo immer es darum geht, die Bürger- und Menschenrechtsbewegung zu unterstützen, in den USA, in Afrika, namentlich dem Apartheidstaat Südafrika – Harry Belafonte organisiert und ist dabei. Und mag dabei die Erzäh18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 KPA Früher Networker lung im letzten Drittel des Buchs auch ausfransen, so liefert im breiten Mittelteil die dramatische Geschichte der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den USA Geschichte aus erster Hand. Es ist die blutige Geschichte gewichtiger Organisationen wie Martin Luther Kings Southern Christian Leadership Conference (SCLC). Es ist die Geschichte beharrlichen Muts angesichts rassistischer Demütigung in einem sich urdemokratisch nennenden Land. Und es ist die Geschichte von vereinter Kraft, dann aber auch der Zersplitterung ob der strategischen Frage der Gewalt. Malcolm X und Stokely Carmichael sind hier die charismatischen Figuren; Belafonte bleibt dem Baptisten-Pastor aus Atlanta und seiner Idee der Gewaltlosigkeit im zivilen Ungehorsam treu. Man reibt sich die Augen, dass dies alles kaum fünfzig Jahre her sein soll, welchen Skandal es etwa auslöste, als die Sängerin Petula Clark dem farbigen Sänger, Schauspieler, Unterhalter: Harry Belafonte mit seiner Tanztruppe in der Fernsehshow «Tonight with Belafonte», Juli 1960. Dem persönlichen Entwicklungsroman des mausarmen Jamaikaners zum gefeierten Schauspieler und Performer geben die ersten Kapitel Raum: bis zu jener Chance des Lebens, als der Tenorsaxophonist Lester Young ihn auf der Bühne sah und ihn als Pausennummer in den New Yorker Nachtclub Royal Roost vermittelte. Belafonte schildert es als Schlüsselerlebnis für sein Leben – und später die eigene Rolle als Entdecker und Türöffner, etwa für Miriam Makeba. Dass er, der erst in der Tradition Woody Guthries und Pete Seegers, dann im Calypso seiner Heimat die eigene Authentizität entdeckte, seine stilbildende Rolle als Weltmusiker («We are the World») im Folk-Bereich gar tiefschürfend reflektieren würde, lässt sich freilich nicht behaupten. Auf Jamaika sang man die Lieder künftig nicht in der überlieferten, sondern in Belafontes WeltVersion. Authentisch war nun er – immerhin mit politisch-künstlerischer Durchschlagskraft! Kalkuliert und leitmotivisch wiederkehrend setzt Belafonte die Marksteine des eigenen Lebens. Und nennt die ihn prägenden Persönlichkeiten: Sidney Poitier, Martin Luther King und der mächtige schwarze Bassist und Kämpfer gegen den Rassismus Paul Robeson, die Vaterfigur. Und wie steht es, am Ende, mit jenen Schwarzen, die im letzten Jahrzehnt amerikanische Politik gemacht haben? Condoleezza Rice und Colin Powell kommen als Söldner von Bush junior nicht gut weg. Und der erste schwarze Präsident des Landes? «Seiner Gewandtheit und seines Intellekts zum Trotz scheint es Barack Obama an einer grundsätzlichen Empathie für die Besitzlosen zu fehlen, gleichgültig, ob weiss oder schwarz.» Harry Belafontes detailreich, aber flüssig erzähltes Buch ist voller Empathie, wiewohl uns diese mitunter fast schwindelerregend globalisiert entgegentritt. ● Syrien Erschütternder Report der Schriftstellerin Samar Yazbek aus dem Zentrum des Aufstandes Den Horror in Worte fassen Samar Yazbek: Schrei nach Freiheit. Bericht aus dem Innern der syrischen Revolution. Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Nagel & Kimche, München 2012. 217 Seiten, Fr. 25.90, E-Book 15.30. «Blut klebte an ihren Körpern, frisches Blut, trockenes Blut, tiefe Wunden zeichneten sich auf ihren Leibern ab, wie willkürlich mit einem Pinsel da hingemalt. Ihre Gesichter waren zu Boden gerichtet, sie waren bewusstlos und schaukelten hin und her wie Schlachtvieh. Ich schreckte zurück, da packte mich einer der Männer und schob mich wieder nach vorne, schweigend.» Samar Yazbek ist in eines der Gefängnisse in Damaskus gebracht worden, aber nicht, weil man sie dort behalten will, sondern zur Abschreckung oder wie es der Offizier zynisch ausdrückt: «Eine kleine Exkursion. Damit du besser schreiben kannst.» Und dies tut sie. Die 41-jährige Autorin, die sich kurz nach dem Beginn der Revolution in Syrien hinter die Protestbewegung gestellt hat, schreibt auf, was sie hört und sieht, fühlt und erlebt. Sie schreit ihre Wut und Verzweiflung hinaus und gewinnt der Angst die Bedeutung ab, «dass du inmitten all dieser Trümmer noch immer ein Mensch bist.» Im Juli letzten Jahres hat sie mit ihrer Tochter und den Notizen das Land verlassen und ist nach Paris gereist, wo sie seither lebt. Ihr Tagebuch, das die ersten hundert Tage des Volksaufstands umfasst, ist nun unter dem Titel «Schrei nach Freiheit» erschienen. Die deutsche Übersetzung ist die weltweit erste Veröffentlichung, auf Arabisch erscheint das Buch demnächst in Beirut, Übersetzungen ins Englische und Französische sind in Ar- SILVAN FESSLER / EX-PRESS Von Susanne Schanda Samar Yazbek schreibt über die Revolution in Syrien (29.2.2012). beit. Darin finden wir zahlreiche Berichte von Aktivisten, Journalistinnen, Ärztinnen und Deserteuren, die Yazbek aufgezeichnet hat, um sie an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Wir erfahren von Blitzdemonstrationen in Damaskus, Geheimambulanzen für die Verwundeten in Deraa, von der Arbeit der Koordinationskomitees und der Initiative «Syrische Frauen zur Unterstützung des Aufstands». Deutlich wird auch die Zerstrittenheit der Opposition und Yazbeks Enttäuschung über die Passivität der Intellektuellen. Samar Yazbek eckte bereits vor der Revolution an, mit ihren Fernsehsendungen, Artikeln und Romanen. Da sie wie das Regime der alawitischen Minderheit angehört, konnte sie sich mehr erlauben als andere. Aber mit ihrem Engagement für die Protestbewegung hatte sie die rote Linie überschritten. Auf der Website des Geheimdienstes wird sie als Verräterin bezeichnet und für vogelfrei erklärt. Sie muss abtauchen und im Untergrund weiterarbeiten. Doch bald erhält sie Drohanrufe, und eines Tages stehen zwei Männer vor ihrem Haus, die sie nicht mehr aus den Augen lassen. Ihre alawitische Familie und alte Freunde sagen sich von ihr los. Ein regimetreuer Bekannter rät ihr dringend, sich öffentlich mit dem Regime zu versöhnen oder das Land zu verlassen, wenn sie am Leben bleiben wolle. Samar Yazbeks Aufzeichnungen machen auch deutlich, wie sehr sie versucht, das Schreiben als Waffe einzusetzen. Nicht nur, um der Propaganda des Regimes ihre Sicht entgegenzuhalten, sondern auch, um in der sie umgebenden Brutalität, Verzweiflung und Angst nicht verrückt zu werden. Sie sucht ihre verlorene Leidenschaft für die Worte, tastet nach dem Rhythmus der Buchstaben, vermisst ihre Romanfiguren: «Alle warten dort an einem bestimmten Ort in meinem krankhaft sich nach ihnen sehnenden Hirn auf mich.» Doch sie kann nicht schreiben, kann nicht schlafen. Was ihr zu tun bleibt, ist das unermüdliche Sammeln von Zeugenaussagen, das oft qualvolle Transkribieren, «die Schmerzen in Worte zu fassen.» Aus diesen Aufzeichnungen spricht die Not, spricht unmittelbar der Horror. Eine literarische Verarbeitung des Erlebten bräuchte eine Distanz, die es jetzt noch nicht gibt. ● Selbsttötungen Der Basler Psychiater Thomas Haenel untersucht Massensuizide Wenn sich Menschen auf Befehl selbst umbringen Thomas Haenel: Amok und Kollektivsuizid. Selbsttötung als Gruppenphänomen. NZZ Libro, Zürich 2012. 175 Seiten, Fr. 29.–. Von Tobias Kaestli Der Basler Psychiatrie-Professor Thomas Haenel schreibt in seiner kleinen Aufsatzsammlung nicht über «private» und individuelle Morde und Selbstmorde, sondern über solche, die gleichsam zuhanden der Öffentlichkeit inszeniert wurden. Er beginnt mit einer kurzen Abhandlung über das Verhältnis von Körper und Geist in der Antike. Damals galt die Selbsttötung noch als akzeptabel. Offenbar auch bei den Juden. Berühmt ist der «Massensuizid» in der Felsenfes- tung Masada am Toten Meer, wo im Jahr 73 n. Chr. die Verteidiger, statt sich den Römern zu ergeben, auf Befehl ihres Anführers Eleazar sich entweder selbst umbrachten oder von den eigenen Leuten umgebracht wurden. Gibt es eine Ähnlichkeit zwischen dem Geschehen am Toten Meer und dem «Massensuizid» von Guayana? Dort vergifteten sich im Jahr 1978 Hunderte von Mitgliedern der GuttemplerSekte, und zwar auf Befehl ihres Führers Jim Jones, der sich strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sah. Wer sich weigerte, das Gift zu nehmen, wurde erschossen. Ein Parallelfall war der «Massensuizid» der Sonnentempler in den Kantonen Freiburg und Wallis im Jahr 1994. Was sind die Hintergründe solcher Tragödien? Gibt es eine besondere Per- sönlichkeitsstruktur, die zum «erweiterten Selbstmord» neigt, das heisst, nicht nur sich selbst umbringen, sondern die ganze Entourage mit in den Tod reissen will? Haenel hat die Literatur zu Fallbeispielen wie Hitler (1945), Sektenführer David Koresh (Waco-Massaker 1993), Amokläufer von Littleton (20. April 1999, an Hitlers Geburtstag!) und anderen gesichtet. Er sucht nach Gründen: Liegen sie bei Killerspielen, Internetforen, narzisstischen Störungen, posttraumatischen Störungen? Mangels ausreichender Daten bleibt aber alles auf der Ebene von Mutmassungen. Ebenso vage bleiben Haenels Vorschläge für Präventivmassnahmen. Nützlich ist seine Literaturliste, die es ermöglicht, sich zu einzelnen Themen genauer kundig zu machen. ● 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19 Sachbuch Erinnerungen Zum achtzigsten Geburtstag legt Judith Giovannelli-Blocher ihre Lebensgeschichte vor Gefangen in religiösen und familiären Wertvorstellungen Judith Giovannelli-Blocher: Der rote Faden. Die Geschichte meines Lebens. Nagel & Kimche, Zürich 2012. 251 Seiten, Fr. 27.90. Von Urs Rauber Mehrere Bücher hat die Sozialarbeiterin Judith Giovannelli-Blocher in den letzten Jahren publiziert, darunter zwei autobiografisch gefärbte Romane: «Das gefrorene Meer» (1999) und «Das ferne Paradies» (2002), sowie drei teils sehr persönlich gehaltene Ratgeber «Das Glück der späten Jahre» (2004), «Woran wir wachsen» (2007) und «Die einfachen Dinge» (2010). Nun also folgt ihre Autobiografie. Braucht es das alles? Ist das Lebenswerk von Judith Giovannelli-Blocher derart einzigartig, dass sich diese Publikationskadenz und Ausführlichkeit rechtfertigt? Mit leichter Skepsis nimmt man sich das neueste Buch vor – und wird zum eigenen Erstaunen mit zunehmender Lektüre in die Schilderung dieses Frauenlebens hineingezogen. Es ist die Geschichte der ältesten Tochter einer 13-köpfigen Pfarrersfamilie, einer Tochter, die zeitlebens die Rolle der behütenden «grossen Schwester» nicht ablegen konnte. Die statt eine Ausbildung zu erhalten den Dienst im elterlichen Grosshaushalt leisten musste. Die geprägt, aber auch gefangen war ANINA GMÜR/DANIEL AUF DER MAUER Beduinen Frauen brechen auf «Am Abend will ich mich duschen, das ist besser als Ziegen hüten», sagt Sa’ida. Die junge Beduinenfrau vom Stamm der Mzayna steht kurz vor ihrer Eheschliessung und hat bestimmte Vorstellungen, was ihre Zukunft angeht. Diese zeigen deutlich den Wandel, dem die traditionelle Lebensweise der Beduinen im Sinai unterworfen ist. Sa’ida ist eine der Interviewpartnerinnen, mit denen Katrin Biallas über den Alltag gesprochen hat. Es ist vor allem die weibliche Lebenswelt, welche die Ethnologin interessiert. Behutsam fotografiert haben Anina Gmür und Daniel Auf der Mauer, entstanden ist ein Band mit berührenden Texten und einprägsamen Bildern bunt gekleideter Menschen in einer überaus kargen Landschaft. Seit Jahrhunderten leben die 20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 Beduinen nach den Regeln ihrer Stammeskultur: Viehzucht, Religion und Familie bestimmen den Tag. Diese Regeln lösten sich heute allmählich auf, machen doch moderne Medien, westliche Werte und urbane Lebensweisen vor der Wüste nicht halt. Vor allem für die Frauen verändert sich die Welt. Sie denken über die Beschneidung nach, über Zwangsheirat und Kindererziehung und wagen es, ihre Gedanken – mindestens der Europäerin gegenüber – auch zu äussern. Geneviève Lüscher Anina Gmür (Hrsg.): Mzayna. Beduinen im Sinai – von alten und neuen Tagen. Mit Fotografien von Anina Gmür und Daniel Auf der Mauer; Texte von Katrin Biallas und Anina Gmür. Benteli, Sulgen 2012. 144 Seiten, 94 farbige Abbildungen, Fr. 48.–. von religiösen und familiären Werten ihrer starken Eltern. Die möglicherweise – das wird nur angedeutet – als Jugendliche Opfer einer ausserfamiliären Vergewaltigung wurde. Und die, als sie schliesslich von zuhause wegzog, eine elfjährige Psychotherapie benötigte, bis sie endlich zu sich selber fand. Dieses aussergewöhnliche, wenn auch nicht einmalige Schicksal eines unter harten Bedingungen während der Vorkriegs- und Kriegsjahre aufgewachsenen Grossfamilienkindes – Judith Blocher wurde 1932 in Wettswil (ZH) geboren und verlebte die Jugendjahre in Laufen am Rheinfall und in Uhwiesen (ZH) – vermag zu fesseln durch seine schlichte Schilderung der Erlebnisse und Stimmungen von damals. Vieles ist aus ihren früheren Werken bereits bekannt. Die Autorin schreibt auch hier einen flüssigen Stil und durchsetzt ihre Erinnerungen mit erzählerischen Exkursen, deren Realitätsgehalt allerdings nicht ganz klar wird: dient die Fiktion zur Verdeutlichung der Wirklichkeit oder geht sie darüber hinaus? Das Leben dieser in ihren ersten 40 Jahren wenig selbstbewussten, alleinstehenden, einsamen Frau steht für eine ganze Generation von Frauen der unmittelbaren Nachkriegszeit, denen Bildung und politische Rechte versagt waren und die ihre dienende Rolle meist klaglos, oft aber auch freudlos ausübten. Dass die reformierte Pfarrerstocher ihre erste grosse und längere Affäre ausgerechnet mit dem (verheirateten) schweizerischen Chefmarxisten Konrad Farner (1903–1974) hatte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Erst Farner habe ihr, so schreibt sie, «die Augen für die Menschlichkeit geöffnet». Im Alter von 48 Jahren fand sie dann zu einer beglückenden Partnerschaft mit ihrem heutigen Ehemann Sergio Giovannelli, einem italienischen Feinmechaniker, der seit 1963 in der Schweiz lebt und vor zwei Jahren ebenfalls seine Memoiren «Va’ pensiero» (2008) publiziert hat. Auf ihren acht Jahre jüngeren Bruder Christof kommt Judith Blocher nur zwei, dreimal – im positiven Sinne – zu sprechen. Einmal, als sie erzählt, wie sie vom «Blick» hereingelegt worden sei, als sie 2006 einen kritischen Text zum Asylgesetz schrieb und das BoulevardBlatt entgegen der Abmachung mit der Schlagzeile «Blochers Schwester wäscht dem Bruder den Kopf» an den Kiosken dafür warb. Das sieht sie heute als Fehler. Sie entschuldigte sich bei ihrem Bruder, der ihr «anständig» geantwortet und bloss kritisiert habe, dass sie diese Folgen hätte voraussehen können. Ja, meint sie heute: «Er hatte leider recht». Wer die früheren Bücher von Giovannelli-Blocher nicht kennt, wird dieses neue zweifellos mit Gewinn lesen. ● Stromversorgung Der frühere Nationalrat Rudolf Rechsteiner skizziert die Energiewende Dunkle Mächte im Spiel Rudolf Rechsteiner: 100 Prozent erneuerbar. So funktioniert der Umstieg auf saubere, erschwingliche Energie. Orell Füssli, Zürich 2012. 224 S., Fr. 29.90. Es ist kein Buch zum Durchlesen, das der frühere SP-Nationalrat und Energieexperte vorlegt. Auf der Hälfte der gut 200 Seiten finden sich nämlich gleich zwei Schautafeln zu jedem schier denkbaren Aspekt des Energieverbrauchs. Wie der Autor schreibt, stammt das reiche Material aus Lehrveranstaltungen im Rahmen der «Greenpeace Energy Academy» an den Universitäten Basel und Bern. Die oft komplexen, aber klar gestalteten Grafiken erfordern ein vertieftes Studium, und gelegentlich wünscht man sich jemanden, der eine Voraussetzung oder eine Masseinheit näher erklärt. Das Werk wird so zum Lehrbuch, das wohl in Schulen grossen Anklang finden wird. Für den Gebrauch als Nachschlagewerk, den der Autor suggeriert, würde man sich allerdings ein Sachregister oder zumindest ein Abbildungsverzeichnis wünschen. Das Thema dieses besonderen Lehrbuchs ist jedoch nicht Energie, sondern die Energiewende, der radikale Umstieg auf ausschliesslich saubere und – wie der Ökonom Rechsteiner unablässig betont – erschwingliche Energiequellen. Diese Wende ist ja inzwischen erklärtes Ziel der schweizerischen Energiepolitik, und Rudolf Rechsteiner zeigt, wie es erreichbar ist. Beziehungsweise wie es erreichbar wäre, wenn nicht die bösen Beharrungskräfte, die Stromkonzerne und ihre Atomlobby, immer wieder Sand ins Getriebe streuen würden. Wind, Sonne, Wasser Das Plädoyer für den raschen Umstieg in sechs Teilen beginnt selbstverständlich mit: «Fukushima verändert die Welt». Die Welt präsentiert sich in der Folge aber doch eher als die Schweiz plus Westeuropa. Der Autor geht weder darauf ein, dass sich der Fukushimabedingte Atomausstieg auf Deutschland und die Schweiz beschränkt, noch auf neuere Entwicklungen wie etwa den Erdgas-Boom in den USA. Schon im Einführungsteil macht er hingegen klar, was für den Energieumstieg in der Schweiz das Wichtigste sei: «Der Deckel muss weg!» Die Beschränkung der Bundesgelder für die kostendeckende Einspeisevergütung – auch sie Resultat «der von der Atomlobby angeheizten Skepsis im Parlament» – soll aufgehoben werden, damit die Tausenden von angemeldeten Kleinstanlagen für Strom aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse endlich gebaut werden können. Im zweiten Teil wird nachgedoppelt, weshalb die Energiewende unausweichlich sei: Die Kosten der nichterneuerbaren Energien sind unbezahlbar. Erneut JEAN-CHRISTOPHE BOTT / KEYSTONE Von Thomas Held stehen die Risiken der Kernkraft im Mittelpunkt, aber konsequenterweise geisselt Rechsteiner auch die Umweltfolgen der fossilen Energieträger. In den Teilen drei und vier geht es um die Potenziale und Strategien des Umstiegs. Der Akzent liegt hier weniger auf den Einsparungen – Rechsteiner spricht edel von der «Kultur des Vermeidens». Nein, die Kernthese behauptet, dass die Schweiz den Strombedarf fast allein aus Wind und Sonne decken könnte. In alternativen, aber für den Autor noch akzeptablen Szenarien wird der Strommix entweder mit Windkraft aus der Nordsee, d. h. mit einer europäischen Vernetzung, oder mit Wärme-Kraft-Koppelung aus Gaskraftwerken ergänzt. Im fünften, quasi taktischen Teil macht sich Rechsteiner nochmals für eine Ausweitung der Subventionen für den Solarstrom nach deutschem Vorbild stark – die aktuellen Schwierigkeiten der dortigen Solarstrom-Industrie kommen allerdings nicht zur Sprache. Die Parole heisst, nun etwas weniger ökonomisch: Die Mehrkosten von heute sind die Ersparnisse von morgen. Die andere politische Forderung nach deutschem Vorbild ist ein Abschaltbeschluss für die schweizerischen KKW. Im letzten Kapitel weitet der Autor die Diskussion auf interessante Fragen neuer Energiespeicher wie des synthetischen Methans aus und streift die erneuerbaren Energien bei Gebäuden und im Verkehr. Der Titel «Schädliche Agrotreibstoffe» spricht wieder für seine Konsequenz. Nicht nur konsequent, sondern eher fundamentalistisch wirkt aber seine Dauerempörung über die Stromkonzerne, die als Rudolf Rechsteiner plädiert für Strom aus Zehntausenden von demokratisch kontrollierten Kleinstanlagen. Hier die höchstgelegene Windturbine auf dem Nufenenpass (2465 m über Meer). antidemokratische Macht das Land zu beherrschen scheinen. «Eine Koexistenz von erneuerbaren Energien kann es auf die Dauer nicht geben» heisst es im allerletzten Abschnitt. Verschwörungstheorien Rechsteiners Vision ist nicht einfach der Ersatz von Energieträgern, sondern der Ersatz der «Konzerne» durch Tausende, nein Zehntausende von «Anlagen in Bürgerhand», eine «demokratisch kontrollierte Stromerzeugung», in der jeder gleichzeitig Konsument und Produzent ist. Die Frage der Netzstabilität und der dafür nötigen Regelenergie, der Zusammenhang zwischen Grösse und Wirtschaftlichkeit, die Pfadabhängigkeit des historisch gewachsenen Netzes – all diese Fragen diskutiert der Autor nicht vertieft. Aus seiner verschwörungstheoretischen Perspektive sucht er die Gründe, weshalb sich die doch so überlegene erneuerbare Technologie nicht wirklich durchsetzen konnte immer wieder beim Todfeind «Atomlobby». Aber die Frage bleibt offen, wie aus öffentlichen Stromunternehmen, die letztlich von gewählten Kantonsregierungen und Parlamenten kontrolliert werden, die dunkle Macht werden konnte, die uns alle Energie-Übel eingebrockt hat. Waren da die freien Bürger und Konsumenten, die nun das utopische Energieszenario von Rudolf Rechsteiner umsetzen sollen, nicht auch ein wenig beteiligt? ● Thomas Held hat ein Büro für Analysen und Strategien; er war bis 2010 Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse. 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21 J U B I L Ä U M SA N G E B OT – F E I E R N S I E M I T U N S Scharf beobachtet, spitz gezeichnet Chappattes persönliche Auswahl seiner besten Karikaturen Für Leserinnen und Leser der «NZZ am Sonntag» zum Jubiläumspreis von Fr. 10.– statt Fr. 24.– Seit der ersten Ausgabe am 17. März 2002 prägen die Karikaturen von Patrick Chappatte die «NZZ am Sonntag». Im Buch «100 Karikaturen» zeigt er eine persönliche Auswahl seiner besten Karikaturen der letzten zehn Jahre aus der «NZZ am Sonntag». Sein unverkennbarer Stil kombiniert die Schärfe seiner Beobachtungsgabe und die Sensibilität seiner zeichnerischen Ausführung. Ob Sarkozy, Merkel oder Blocher: Er arbeitet die Eigenheiten seiner Figuren pointiert aus, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0M7A0swQA24VYfw8AAAA=</wm> <wm>10CFWMMQ6DQAwEX-TTrn02OC4RHaJA9NdEqfP_KpCOYpuZ0W5becN_y7qf61EEugsDGVme3nSKmlUb-lQwpoL6ovXZI8FHL2CGwcbdCEyYgyaXR440H9T74WLdEe37_vwAfLBFNIAAAAA=</wm> Chappatte – 100 Karikaturen aus der «NZZ am Sonntag» ▶ 2012, 120 Seiten, 100 farbige Karikaturen. Format 20,5×21 21 cm, gebunden, ISBN 978-3-03823-783-9 Bestellung Bitte senden Sie mir mit Rechnung: Chappatte – 100 Karikaturen Patrick Chappatte, *1967 in Karachi (Pakistan) als Sohn eines Schweizers und einer Libanesin. Aufgewachsen in Singapur und in der Westschweiz. Veröffentlicht mit 21 Jahren erste Karikaturen in der «La Suisse». Heute zeichnet er für die «Herald Tribune», «Le Temps» und die «NZZ am Sonntag». Er lebt mit seiner Familie in Genf. Fr. 10.–* statt Fr. 24.– (zuzüglich Versandkosten Fr. 8.–) für Leserinnen und Leser der «NZZ am Sonntag», ISBN 978-3-03823-783-9 Bestellung per Mail: [email protected] mit Vermerk «Jubiläumsangebot» Vorname, Name Strasse, Nr. PLZ, Ort E-Mail Telefon Datum, Unterschrift NZZ Libro «Jubiläumsangebot NZZ am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 044 258 15 05, Fax 044 258 13 99 * Angebot nur in der Schweiz gültig, solange Vorrat. Die Lieferung erfolgt innerhalb von 14 Tagen. ✃ Einsenden an: Sachbuch Ökonomie Alain de Botton präsentiert ein bunt komponiertes Genrebild der modernen Berufswelt Alain de Botton: Freuden und Mühen der Arbeit. Fischer, Frankfurt am Main 2012. 352 Seiten, Fr. 32.90. Von Kirsten Voigt Rund um die Uhr wird weltweit gearbeitet. Um sich dessen bewusst zu werden, muss man nachts nicht einmal aus dem Fenster in die Homeoffices der fleissigen Nachbarn schauen, sondern nur Licht oder Radio einschalten, und man wird bemerken, dass der Mann im EWerk und die Redaktorin im Sender Dienst tun. Der in der Schweiz geborene, in England lebende Philosoph Alain de Botton eröffnet sein neues, lesenswertes Buch mit dem Titel «Freuden und Mühen der Arbeit» buchstäblich aus höherer Warte – im Sinkflug über London. Es entsteht ein Panorama des Gleichzeitigen. Wir sehen Wasserspeicher, Parks und Leichenhallen, Sandwich-Fabriken, Kriminelle, Postboten und Zimmermädchen, Kantinen, Museen, Fahrschulen, Geburten und die Queen, Parlamentarier und Psychoanalytiker bei der Arbeit. Ein Schiff läuft in den Hafen ein. Es ist das Produkt eines kostspieligen Herstellungsprozesses und schafft Waren aus Yokohama, Mumbai und Rotterdam heran. Schuhe, Rechner und Plüschtiere umweht plötzlich eine abenteuerliche Romantik des Reisens. Und künftig wird ihnen vielleicht eine noch abenteuerlichere Geschichte zuwachsen. Bottons zuweilen eher literarisch ambitioniertes als philosophisch tiefgründiges Genretableau der globalisierten Arbeitswelt vermittelt Einblicke und versagt sich Generalisierungen. Es ist angeregt von jenen würdevollen, atmosphäresatten Bildern tätiger Menschen des niederländischen Goldenen Zeitalters und zuweilen ähnlich ausschnitthaft, intim. Häufig vergleicht der Autor voll ansteckender Ehrfurcht die Kreativität und Intelligenz, die Menschen in wundersame moderne Arbeitsabläufe investieren, ganz zu Recht mit Höchstleistungen im Feld der Künste. Während man einst jedoch über die Waren, die man erwarb, gut informiert war, verliert sich heute die Kenntnis über Herkunft und Hersteller auf weiten Wegen. Das aus Essays, Impressionen und Fotos von Richard Baker komponierte Buch hebt dieses Phänomen ins Bewusstsein. Die Auswahl der Güter und Industriezweige fällt amüsant, zufällig, skurril unsystematisch aus. Thunfisch, Kekse, Raketen und Flugzeuge, Logistikunternehmen und Arbeitsberater beschäftigen den Autor. Er folgt einem exzentrischen Fan von Hochspannungsmasten, der Überlandleitungen abwandert, und sieht einem Maler über die Schulter, der seit zwei Jahren eine 250 Jahre alte Eiche im Wechsel des Lichts und der Jahreszeiten malt. Überall erhebt sich die Frage, wann Arbeit als sinnerfüllt erlebt wird. Botton reflektiert in bester ReporterManier beim Blick hinter Fassaden elegant beiläufig ökonomische, soziale und psychologische Bedingungen heutiger Produktionsprozesse. Sie werden von Menschen aufrechterhalten, die er in verständnis- und respektvollen, manchmal kritischen, ja überraschend sarkastisch getönten Porträts beschreibt – Erfolgshungrige, Einfallsreiche, Begeister- RICHARD BAKER Arbeit bietet einen Schutz gegen Todesangst Arbeiterinnen in der belgischen Fabrik United Bisquits. Der Sinn ihres Tuns ist offensichtlich, was nicht bei jeder Arbeit der Fall ist. te, Tagträumer, Gescheite, Gescheiterte und Gelangweilte, die durch ausgeklügelt vielteilige Verfahren so weit von den Produkten abrücken, dass sie dem Sinn ihres Tuns entfremdet werden. Arbeit zu vergeuden, da stimmt Botton emphatisch John Ruskins Überlegungen aus dem Jahr 1866 zu, heisst Leben vernichten. Und er kann sich über Manager empören, die das, fixiert auf ihre Bilanzen, ignorieren. Gerade dem Leben dient Arbeit nämlich in einem für Botton äusserst gewichtigen Sinn: Sie ist auch der wirkungsvollste Schutz gegen unsere Todesangst. Dennoch – daran lässt der finale Streifzug des melancholischen Autors über einen Flugzeugfriedhof keinen Zweifel – enden auch die grossartigsten Ergebnisse unserer Anstrengungen irgendwann auf dem Müll. ● Biografie Eine neue Monografie zum 50. Todesjahr des «Steppenwolf»-Autors Hermann Hesse in Selbstzeugnissen Gunnar Decker: Hermann Hesse. Der Wanderer und sein Schatten. Biografie. Hanser, München 2012. 704 S., Fr. 35.90. Von Thomas Feitknecht Hermann Hesse hat ungezählte illustrierte Manuskripte mit «Zwölf Gedichten» angefertigt – keines ist gleich, doch alle sind sie ähnlich. So verhält es sich auch mit vielen Hesse-Biografien, die in den vergangenen Jahren von wechselnden Verfassern herausgegeben worden sind: Leben und Werk werden chronologisch geschildert, Krisen und Freundschaften getreulich registriert. Eine von Volker Michels besorgte Ausgabe der «Sämtlichen Werke» und die vielen Briefeditionen der jüngsten Zeit haben die Dokumentenbasis erheblich verbrei- tert, aber die Analyse nicht immer im gleichen Ausmass vertieft. Zum 50. Todesjahr 2012 haben sich zwei Autoren an die Beschreibung von Hesses Opus und Vita herangemacht: Heimo Schwilk, u. a. Biograf Ernst Jüngers, und Gunnar Decker, Redaktor der Zeitschrift «Theater der Zeit», Herausgeber eines Hesse-ABC und Verfasser biografischer Bücher, darunter eines zu Ernst Jünger. Decker ist nicht nur umfangreicher und ausführlicher als Schwilk, es gelingt ihm auch besser, die Chronologie zu durchbrechen und übergreifende Schwerpunkte zu setzen. So werden etwa die Psychotherapie bei Josef Bernhard Lang, die Freundschaft mit Thomas Mann und die Verlagsgeschichte um Peter Suhrkamp in längeren, die Jahre übergreifenden Passagen geschildert und gewertet. Obschon sich Decker sehr stark auf Selbstzeugnisse Hesses stützt, bemüht er sich bei seiner Darstellung wohltuend um Distanz. Zu kurz kommen Hesses Nachwirkung und sein Stellenwert in der Literatur und Kulturgeschichte. Die HesseRezeption in den USA beschränkt sich auf die Äusserungen des Drogen-Gurus Timothy Leary und des «Steppenwolf»Filmregisseurs Fred Haines. Weil Briefzitate häufig als Versatzstücke verwendet und an der «passenden» Stelle eingesetzt werden, wird das Netzwerk nicht sichtbar, das sich Hesse mit seinen Freundschaften schuf. Seine reiche Korrespondenz mit Schriftstellern, Malern, Künstlern und Intellektuellen in der ganzen Welt, aber auch mit unbekannten Lesern und Leserinnen, hat wohl massgeblich dazu beigetragen, dass das Interesse an Hesse ungebrochen ist. ● 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 23 Sachbuch Nachrichtendienst Der «New York Times»-Reporter Tim Weiner legt ein Standardwerk zur Geschichte des FBI vor Mächtiger als der amerikanische Präsident Tim Weiner: FBI. Die wahre Geschichte einer legendären Organisation. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2012. 695 Seiten, Fr. 32.90, E-Book 33.30. «Es gibt Angriffsziele in den USA, die wir treffen könnten, aber es ist noch nicht so weit», verriet 1998 ein Verhafteter nach dem Bombenanschlag von AlQaida auf die amerikanische Botschaft in Nairobi. Das FBI beachtete die Warnungen allerdings kaum: Es war damit beschäftigt, Konkurrenten von der CIA zu bekämpfen und Präsident Bill Clinton bei seinen Sexspielen mit einer Praktikantin zu bespitzeln. Solche Geschichten finden sich viele in der schwergewichtigen Geschichte des Federal Bureau of Investigation, die Tim Weiner vorlegt. Der Reporter der «New York Times», für seine Geschichte der CIA mehrfach ausgezeichnet, sprach mit 200 Insidern und wertete 70 000 Seiten Dokumente aus, darunter – nach 26 Jahren Kampf um die Offenlegung – auch die Geheimdossiers des langjährigen Direktors J. Edgar Hoover. Mit seinem akribisch recherchierten Wälzer fordert Weiner den Leser, leistet aber einen wichtigen Beitrag zur Debatte über ein Problem, das schon die Gründerväter der Vereinigten Staaten erkannten: die Spannung zwischen Sicherheit und Freiheit. So schrieb Alexander Hamilton, die Bedrohung zwinge auch freiheitsliebende Nationen, «um BETTMANN / CORBIS Von Markus Schär Wie alle Präsidenten musste auch Richard M. Nixon zuhören, wenn J. Edgar Hoover, der Direktor des FBI, etwas zu sagen hatte. Hier am 28. Mai 1969 im Weissen Haus. der Ruhe und Sicherheit willen zu Einrichtungen Zuflucht zu nehmen, die tendenziell ihre bürgerlichen und politischen Rechte gefährden». Fast ein Jahrhundert lang galt für das FBI die Sicherheit alles, und zwar fast ausschliesslich jene vor der kommunistischen Gefahr. Dafür sorgte 48 Jahre lang der allmächtige Direktor: «Hoover steht im Zentrum des amerikanischen Jahrhunderts wie eine dreckverkrustete Statue», schreibt Weiner. Hoover kam 1917 als 22-Jähriger ins Justizministerium, leitete ab 1919 «mit einer einzigartigen Machtfülle» die Radical Division im Kampf gegen die Kommunisten und herrschte ab 1924 als Direktor des FBI. Unter – oder besser: neben – Präsident Franklin D. Roosevelt wuchs Hoover zum wohl wichtigsten Mann im Staat heran. Und er nötigte später mit seinem Geheimwissen die Präsidenten Lyndon B. Johnson und Richard Nixon, ihm seine Macht lebenslang zu sichern. Nixon nannte ihn einen Mann, «der, wenn er stürzt, den Tempel niederreisst und damit auch mich». So starb Hoover 1972 im Schlaf als Herrscher im FBI und damit in den USA. Durch das ganze Buch zieht sich der Kampf gegen die kommunistische Bedrohung. Weiner erzählt – gelegentlich unterhaltsam, oft aber auch ermüdend – bedenkliche Geschichten: Wie das FBI Zehntausende von Verdächtigen bespitzelte oder verhaftete, aber keinen Spion der Sowjets in der Regierung fand. Wie es einen Agenten als US-Botschafter in die Dominikanische Republik schickte, um Diktator Rafael Trujillo zu stürzen – und eine ebenso brutale Regierung an die Macht zu bringen. Oder wie es, um den Einfluss von Moskau auf die Bürgerrechtsbewegung zu beweisen, im Sexleben von Martin Luther King herumschnüffelte, den Hoover einen «streunenden Kater mit zwanghaften, degenerierten sexuellen Neigungen» nannte. Der Autor will die Quellen für sich sprechen lassen, enthält sich also eines Urteils. Wie er es mit Sicherheit und Freiheit hält, lässt er aber am Schluss durchblicken. Er weist darauf hin, dass das FBI – nachdem es nicht vor den Anschlägen von 9/11 gewarnt hatte – die Folterverhöre von Terrorverdächtigen verweigerte. Und er stellt fest, dass Barack Obama das FBI 2008 bei seiner 100-Jahr-Feier ermahnte: «Wir müssen die Wahl zwischen unserer Sicherheit und unseren Idealen als falsche Alternative ablehnen.» ● Essays Die Argentinierin María Sonia Cristoff denkt über das Verhältnis von Mensch und Tier nach Meinen Kater kuriere ich im Zoo María Sonia Cristoff: Unbehaust. Was Menschen mit Tieren machen. Berenberg, Berlin 2012. 93 Seiten, Fr. 28.90. Von Regula Freuler Manchmal fühlt sich María Sonia Cristoff so elend, als presse ihr eine Maschine die Brust zusammen. Dann geht sie in den Zoo. Dort, so schreibt die herausragende argentinische Schriftstellerin, lasse der Druck allmählich nach. «Wofür weniger der Anblick der Tiere selbst sorgte als vielmehr das starke Verbundenheitsgefühl, das sich dabei in mir regte: Ich war nicht als Einzige fehl am Platz hier.» Aber wenn auch der Zoobesuch unerträglich wird (wie lange hält man schon sein Spiegelbild aus?), versucht sie an Situationen zu denken, bei 24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 denen Tiere für Aufruhr gesorgt oder Schaden angerichtet haben. Oder einfach abgehauen sind wie jener Schimpanse, der 1951 zweimal aus dem Londoner Zoo entlief – woraufhin die Zooleitung den Affen als «nicht integrationswillig» töten liess. Die zehn Kapitel, in denen die 47-Jährige über das Verhältnis von Mensch und Tier nachdenkt, sind wie ein langer Seufzer, aber auch ein ärgerliches Faustauf-den-Tisch-hauen. Hier muss sich eine Person Luft verschaffen in der lärm- und abgasverpesteten Metropole Buenos Aires, in die sie einst als junge Frau aus ihrer gottverlassenen Heimat Patagonien geflohen ist. Es sind lose zusammenhängende Texte, ein Rätsel hält sie wie eine Klammer zusammen: Woher kommt das Beischlaf-Gestöhne, das Cristoff jede Nacht exakt um 3 Uhr in der Früh weckt? Auf der Suche nach den Ur- hebern betreibt die Autorin jene wunderbare Erzählweise des Abschweifens. «Unbehaust» ist auch ein spielerischer Gang durch die Mensch-Tier-Abteilung der Literaturgeschichte, von Peter Høegs Roman «Die Frau und der Affe» über Patricia Highsmiths «Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde» bis zu J. M. Coetzees literarischer Erzählung «Das Leben der Tiere». Dabei kehrt Cristoff immer wieder zum eigentlichen Thema – der Frage: Wie sollen wir leben? – zurück. Sei’s auch mit Metaphern wie auf jenem Hinweisschild, welches das Zoopersonal über die Handhabung aufmüpfiger Insassen instruiert. Darunter kritzelte jemand von Hand: «Wir sind doch keine Tiere!» Aber, könnte man mit Cristoff anfügen, manchmal fühlen wir uns wie solche. Vor allem wie solche, die von Menschen gefangen gehalten werden. ● Seefahrt Warum die Katastrophe der Titanic vor 100 Jahren die Menschen noch immer beschäftigt Untergang der Unsinkbaren Linda Maria Koldau: Titanic. Das Schiff. Der Untergang. Die Legenden. C. H. Beck, München 2012. 303 Seiten, Fr. 28.50. Harro Hess, Manfred Hessel: Die Titanic von A bis Z. Herbig, München 2012. 256 Seiten, Fr. 37.90. Als der als «unsinkbar» geltende Passagierdampfer Titanic bei seiner Jungfernfahrt nach New York am 14. April 1912 kurz vor Mitternacht einen Eisberg rammte und, begleitet von den Klängen der Bordkapelle, innerhalb von knapp drei Stunden in den eisigen Fluten versank, konnte niemand ahnen, dass dieses Ereignis einmal als grösste Schifffahrtskatastrophe der Geschichte gelten würde. Und das aus gutem Grund: Wie Linda Maria Koldau in ihrem Buch «Titanic. Das Schiff. Der Untergang. Die Legenden» ausführt, waren Schiffskollisionen mit Eisbergen und dadurch bedingte Untergänge zur Jahrhundertwende keine Seltenheit. Selbst die 1500 Toten des Unglücks nehmen sich im Vergleich zu späteren Katastrophen wie dem Untergang der philippinischen Fähre Doña Paz 1987 mit rund 4400 Opfern fast «bescheiden» aus. Eine griechische Tragödie Warum die Titanic im kollektiven Bewusstsein trotzdem bis heute als SuperGAU der Seefahrt fest verankert ist, führt Koldau schlüssig auf den «geradezu klassischen Erzählrhythmus» der Abläufe zurück. «Der strahlende Beginn mit den hohen Erwartungen an das neue Schiff, das heiter-ruhige Leben an Bord, dann die Kollision, die ironischerweise nur von Wenigen wahrgenommen wird. Anschliessend das langsame Erwachen, das von Neugier über Beunruhigung in Verzweiflung mündet, zuletzt aber in Ruhe und würdeloser Annahme des Schicksals ausklingt»: Dieser Ablauf, den Koldau als «Hochmut, Fall und Läuterung» mit der griechischen Tragödie – Hybris, Nemesis und Katharsis – in Beziehung setzt, machten die Titanic zum gefundenes Fressen für die Presse. Notwendig für das mediale Drama war zudem, dass es bei der Titanic – anders als bei zahlreichen früheren Katastrophen – rund 700 Menschen gab, die davon zu berichten wussten: als Überlebende vornehmlich der Ersten Klasse, oder als Hochstapler, wie der angebliche Titanic-Offizier Max Dittmar-Pitman, der mit gefälschten Erlebnisschilderungen Säle füllte und dem Romancier Josef Pelz von Felinau für seinen heute noch erhältlichen Bestsellerroman von 1936 «Titanic. Die Tragödie eines Ozeanriesen» zentrale Informationen lieferte. Wie Koldau aufzeigt, kam die Mythisierungsmaschinerie der Titanic unmittelbar nach dem Untergang in Fahrt: bedingt durch die relativ neue Technik der Funkübertragung, welche die Notrufe UNIVERSAL IMAGES GROUP / GETTY IMAGES Von Thomas Köster Das letzte Bild der Titanic beim Auslaufen aus dem Hafen von Queenstown in Irland am 11. April 1912. Nur vier Tag später sank das Schiff. eines Schiffs ebenso wie Falschmeldungen von seiner Rettung erstmals nahezu in Echtzeit in die Redaktionsstuben brachte. Bereits einen Monat nach dem Unglück hatte zudem der Stummfilm «Saved from the Titanic» mit der Schauspielerin und Überlebenden Dorothy Gibson Premiere, die dort sogar dieselben Kleider trug, die sie an Bord getragen hatte. Über zahlreiche Zeugnisse in Literatur, Kunst und Kultur schlägt Koldau den Bogen bis zu James Camerons Film «Titanic», dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist, mitsamt der mitunter pseudo-religiösen Verkitschung des Untergangskults, die im Fahrwasser der Hollywood-Schnulze begann. Parallel hierzu aber erzählt sie auch die Geschichte der wirklichen Titanic, die damit nicht immer harmoniert. Dabei beschreibt Koldau die Geburt des transkontinentalen Dampfers aus dem hart geführten Wettbewerb der Reedereien ebenso wie seine in drei Klassen unterteilte Architektur als Mikrokosmos der damaligen Gesellschaft. Vor allem aber schildert sie die letzten Stunden des Schiffs im Umfeld der Kollision – und räumt dabei mit mancher Legende auf, die erst durch die Vertuschungsversuche der beklagten Reederei, die retrospektive Verklärung Überlebender oder durch journalistische Sensationsgier entstand. Ähnlich akribisch wie Koldau zeichnen auch Harro Hess und Manfred Hessel in «Die Titanic von A bis Z» das tragische Geschehen nach. Warum sie dabei allerdings auf lexikographische Strukturen von A wie «Abenteuer» bis Z wie «Zwischendeck» zurückgreifen, ist schleierhaft. Dem Lesefluss jedenfalls ist der dadurch bedingte Aufbruch der Chronologie ebenso abträglich wie die zahlreichen Doppelungen innerhalb verschiedener Einträge. Trotzdem vermittelt das Buch als Ganzes einen gelungenen Überblick über das Geschehen und lässt erahnen, welch komplexes Zusammenspiel unterschiedlichster Komponenten nötig war, um aus der Titanic jenes Phänomen zu machen, das aus ihrem Untergang erwuchs. Etwas versteckt unter «O» findet sich in ein ganz entscheidender Eintrag: der zur nahezu baugleichen Olympic nämlich, deren Stapellauf ihrem Schwesterschiff Titanic voranging. Der als «Wunder» an Technik und Luxus bestaunte Dampfer – damals der grösste seiner Art weltweit – war die eigentliche Sensation der Reederei. Als die Olympic 1911 zu ihrer ersten Reise nach New York aufbrach, standen weitaus mehr Schaulustige am Pier als kurz darauf bei der Titanic: Deren Ausfahrt gehörte bereits zur maritimen Routine. Ruhm nur wegen Untergang Wie die Autoren aufzeigen, war es ein medialer Fehler der Olympic, ihren Dienst über mehr als drei Jahrzehnte nahezu unbeschadet zu versehen: «Insgesamt legte das Schiff etwa vier Millionen Kilometer zurück und überquerte 500mal den Atlantischen Ozean». So blieb es ihr Schicksal, nach dem Untergang der Titanic als Tragödien-Double herzuhalten: Viele Postkarten, Zeitschriftenfotos und Filmszenen im Umfeld der Titanic-Katastrophe zeigen eigentlich die Olympic. Hätte die Titanic «wie ihr Schwesterschiff Olympic ihren Dienst treu und brav versehen», heisst es auch bei Linda Maria Koldau, «niemand hätte je danach gefragt». Vielleicht ist dies die entscheidende Lehre, die man aus beiden Büchern ziehen kann: Dass offenbar nur der zum unsinkbaren Mythos taugt, der dramatisch untergeht. ● 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25 Sachbuch Lyrik Eine Einführung in Leben und Werk des römischen Dichters Ovid begeistert Liebespoesie im alten Rom Katharina Volk: Ovid – Dichter des Exils. Philipp von Zabern, Darmstadt 2012. 173 Seiten, Fr. 28.50. Von Kathrin Meier-Rust Die historischen Fakten sind überaus spärlich: Publius Ovidius Naso, kurz Ovid, wurde 43 v. Chr. geboren, verbrachte nahezu sein ganzes Leben als populärer und gut vernetzter Dichter in Rom, bis er im Jahre 8 n. Chr. von Kaiser Augustus nach Tomis (heute der rumänische Badeort Constanza) am Schwarzen Meer verbannt wurde, wo er etwa zehn Jahre später verstarb. Selbst der Grund für diese Verbannung liegt im Dunkeln: «carmen et error» – ein Lied und ein Fehler – lautet die einzige, kryptische Erklärung, die uns der Dichter in seinem Klagelied Tristia hinterlassen hat. Ob es um biografische Umstände geht, um die dichte- rische Berufung des jungen Mannes – «was ich auch sagen wollte, es wurde immer ein Vers draus» – oder um das kecke Selbstbewusstsein dieses grossen Sängers der Liebe (Amores, Ars amatoria), der Mythen (Metamorphosen) und des Exil-Schmerzes (Tristia), es ist deshalb in erster Linie das (bekanntlich eher unzuverlässige) lyrische Ich, auf das sich stützen muss, wer Ovid und seinem Schicksal näherkommen möchte. Katharina Volk, Professorin an der Columbia University in New York, schöpft aus allem, nutzt, wendet, diskutiert überaus präzise jeden Hinweis und jedes Detail, um Leben und Werk ihres erklärten Lieblingsdichters darzustellen. Kundig führt sie ein in «sein» Versmass der Elegie, oder erklärt, wie Ovid die Mythen der Antike in seinen berühmten Metamorphosen nicht nur sammelt und auf originelle neue Art erzählt, sondern zu einer eigentlichen Universalgeschichte der Menschheit formt. Ein schönes Kapitel gilt den unermüdlich besungenen Frauen, die bei Ovid immer in einem erotischen Kontext auftreten: als glühend verehrte Adressatinnen seiner Liebe und seiner Ratschläge, etwa zu Frisur, Kleidung oder Gesichtscreme, oder, wie in einer Vielzahl der Mythen, als Opfer von Vergewaltigung. Ob diese Liebe des Dichters zu Frauen nun als prae-feministisch oder als sexistisch zu deuten sei – darüber streitet die Wissenschaft. Die Autorin überlässt das Urteil Ovids Leserinnen. Den Schluss bildet eine Übersicht über die 2000-jährige Ovid-Rezeption bis hin zum Phänomen der zahlreichen «Ovidromane» des letzten Jahrzehnts: einerseits Krimis, die das Rätsel seiner Verbannung endgültig zu lösen vorgeben, andererseits hochliterarische Spurensuchen. Mit alledem erreicht die Autorin ihr erklärtes Ziel glänzend: Sie erzeugt den dringenden Wunsch, sofort selbst Ovid zu lesen. ● Das amerikanische Buch Winzige Heimstätten für eine nachhaltige Zukunft Ein Titel, der nur als Druckausgabe erscheint, vom Verleger persönlich in Buchläden gebracht wird und dennoch bessere Absätze erzielt, als so mancher Titel auf den Bestsellerlisten: Mit Tiny über 250 000 Käufern legte «Shelter» den Grundstein für Kahns Tätigkeit als Verleger. Selbst ein leidenschaftlicher Surfer und Skateboard-Fahrer, hat Kahn zwischen 1980 und 2000 eine Reihe enorm erfolgreicher Fitnessbücher geschrieben und publiziert. allen Regeln des US-Buchgeschäftes. Anfang Februar erschienen, hat er die 15 000 Exemplare der Erstauflage seines neuen Buches binnen Tagen verkauft und auch die zweite findet beim Publikum und der Kritik begeisterte Resonanz. So würdigt selbst das konservative «Wall Street Journal» Kahns Buch als faszinierend und zeitgemäss. Erst danach widmete Lloyd Kahn sich wieder dem Bauen von Häusern und kam dabei auf die in «Shelter» umrissenen Ideen zurück. Kahn hat darin einen alternativen Pragmatismus amerikanischer Prägung entwickelt, der die von einem Ralph Waldo Emerson gepriesene Selbstgenügsamkeit als Leitstern begreift, aber für eine moderne Sinnlichkeit offen ist: Eigeninitiative, Lebenslust und Experimentierfreude sollen auch den Hausbau prägen. Dieser Ansatz findet in «Tiny Homes» einen anregenden Ausdruck. Von Walknochen über Holzpaletten bis Wellblech sind der Fantasie bei den Materialien keine Grenzen gesetzt. Gleichzeitig bilden die Wiederverwendung von Baustoffen und der Einsatz von Solarzellen als Energiequelle einen roten Faden durch sämtliche Kapitel. Dabei liegen die Kosten bei der Mehrzahl der Gebäude nicht zuletzt dank der Eigeninitiative der Konstrukteure erstaunlich niedrig. Homes: Simple Shelter. Scaling Back in the 21st Century (Shelter Publishing, 215 Seiten) spottet Lloyd Kahn derzeit Mit dem grossformatigen Bildband fordert der 77-jährige Pionier einer alternativen Architektur seine Landsleute zu einer kreativen Schrumpfkur auf. «Tiny Homes» stellt in acht Kategorien winzige bis kleine Wohnstätten vor, die ein naturnahes und ökologisch verträgliches Leben ermöglichen. Neben Häuschen Marke Eigenbau auf Rädern, auf dem Wasser und in Bäumen zeigt das Buch Entwürfe von Architekten sowie vorfabrizierte Sets und Heime aus Erde und Stroh. Die Fotos werden mit kurzen Texten ergänzt, und mitunter dokumentieren Serien von Bildern auch den Bau eines Gebäudes. Die Mehrzahl der Beiträge stammt von den Baumeistern selbst und hat den Autor Kahn als digitale «Fan-Post» für seinen Blog erreicht. So kann der Publizist erfreut notieren, dass seine seit 1973 veröffentlichten Bücher über Leben und Wohnen viele Entwürfe in «Tiny Homes» inspiriert haben. Kahn hat nach seinem Militärdienst im kalifornischen Bohème26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25. März 2012 Ein Beispiel der «tiny homes» aus dem Buch von Lloyd Kahn. Sie sollen durch moderne Sinnlichkeit, Lebenslust und Experimentierfreude geprägt sein. Unten der Autor. Paradies Big Sur Bauprojekte mit Materialien aus Abbruchhäusern umgesetzt, ehe er mit dem Publizisten und Theoretiker Stewart Brand zusammenarbeitete. Dessen «Whole Earth Catalogue» wurde zu einer Bibel der Hippie-Ära und listete eine grosse Anzahl «nützlicher Werkzeuge» für ein Leben ausserhalb der Konsumwelt auf. AppleGründer Steve Jobs hat den Katalog als Urahnen des Internets bezeichnet. Lloyd Kahn übernahm darin die Kategorie «Shelter» (Wohnstätte, Unterkunft) und veröffentlichte 1973 ein Buch gleichen Titels. Es wurde ein Plädoyer für die Wiederentdeckung traditioneller Architektur in allen Teilen der Welt und bot neben zahlreichen Fotografien auch Baupläne und Anleitungen für Profis und Autodidakten. Als Dauerseller mit Nicht jedes der «tiny homes» überzeugt als Vorlage für umweltbewusste Bauherren. Etliche Wohnstätten erinnern an heimelige Hobbit-Häuschen aus dem «Herr der Ringe» und wirken eher wie die Realisierung von Jugendträumen. Doch etliche der Bauten etwa eines texanischen Architektenteams liessen sich problemlos in alle Welt exportieren. ● Von Andreas Mink Agenda Agenda April 2012 Thomana Kirche, Schule, Chor Ganze Schweiz Montag, 23. April Unesco-Welttag des Buches. Anlässe in mehreren Städten der Schweiz. Info: www.welttagdesbuches.ch. GESINE BÄNFER Basel Mittwoch, 11. April, 19 Uhr Annette Pehnt: Chronik der Nähe. Lesung, Fr. 17.–. Literaturhaus, Barfüssergasse 3, Tel. o61 261 29 50. Mittwoch, 18. April, 20 Uhr Michèle Roten: Wie Frau sein – Protokoll einer Verwirrung. Lesung, Fr. 15.–. Thalia, Freie Strasse 36, Tel. 061 264 26 55. Dienstag, 24. April, 19 Uhr Andrea Maria Schenkel: Finsterau. Lesung, Fr. 17.–. Literaturhaus (s. oben). Bern sich von einer Armenschule zum humanistischen Gymnasium mit landesweiter Ausstrahlung, aus dem Schulchor wurde einer der renommiertesten Knabenchöre der Welt. Doris Mundus hat eindrückliche Bilder zu den drei Institutionen zusammengetragen. Unser Bild zeigt Kirche und Schule in einem kolorierten Kupferstich von Balthasar Friedrich Leizelt aus dem Jahr 1785. Manfred Papst Doris Mundus: 800 Jahre Thomana. Lehmstedt, Leipzig 2012. 192 Seiten, 188 Abb., Fr. 35.50. Bestseller März 2012 Belletristik Sachbuch 1 Dtv. 588 Seiten, Fr. 17.90. 2 Deuticke. 205 Seiten, Fr. 23.90. 3 Nagel & Kimche. 394 Seiten, Fr. 25.90. 4 Carl’s Books. 412 Seiten, Fr. 19.90. 5 Diogenes. 309 Seiten, Fr. 27.90. 6 C. H. Beck. 402 Seiten, Fr. 25.90. 7 Dtv. 588 Seiten, Fr. 18.–. 8 Kiepenheuer & Witsch. 242 Seiten, Fr. 25.50. 9 Dtv. 458 Seiten, Fr. 18.–. 10 Diogenes. 345 Seiten, Fr. 35.90. 1 Orell Füssli. 208 Seiten, Fr. 26.90. 2 Hanser. 246 Seiten, Fr. 21.90. 3 Riva. 176 Seiten, Fr. 15.90. 4 Hanser. 447 Seiten, Fr. 34.90. 5 Hanser. 368 Seiten, Fr. 29.90. 6 Riva. 200 Seiten, Fr. 14.90. 7 Bertelsmann. 701 Seiten, Fr. 35.50. 8 Droemer/Knaur. 250 Seiten, Fr. 30.50. 9 Piper. 400 Seiten, Fr. 35.90. 10 Campus. 320 Seiten, Fr. 35.50. Jussi Adler-Olsen: Das Alphabethaus. Daniel Glattauer: Ewig Dein. Milena Moser: Montagsmenschen. Jonas Jonasson: Der Hundertjährige. Paulo Coelho: Aleph. Catalin D. Florescu: Jacob beschliesst zu lieben. Jussi Adler-Olsen: Erlösung. Christian Kracht: Imperium. Jussi Adler-Olsen: Schändung. Lukas Hartmann: Räuberleben. Dienstag, 3. April, 19.30 Uhr Endo Anaconda: Walterfahren. Lesung, Fr. 15.–. Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland. Info: www.zpk.org. Montag, 23. April, 19 Uhr Andri Perl: Die fünfte, letzte und wichtigste Reiseregel. Lesung. SBB Historic Infothek, Bollwerk 12. Tel. 051 220 22 12. Mittwoch, 25. April, 20 Uhr Heinz Däpp, Fernand Rausser: Der alltägliche WahnSinn. Buchvernissage, Musik Christine Lauterburg. Gratistickets im Vorverkauf. Thalia im Loeb, Spitalgasse 47/51, Tel. 031 320 20 40. Zürich Montag, 2. April, 20 Uhr Walter Wittmann: Superkrise. Daniela Kuhn: Zwischen Stall und Hotel. Lesung, Fr. 15.–. Buchhandlung Sphères, Hardturmstr. 66. Info: www.spheres.cc/. Rolf Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens. Mittwoch, 4. April, 19.30 Uhr Barney Stinson: Das Playbook. Tomas Sedlacek: Die Ökonomie von Gut und Böse. Peter von Matt: Das Kalb vor der Gotthardpost. Barney Stinson: Der Bro Code. Walter Isaacson: Steve Jobs. Petra Bock: Mindfuck. Remo H. Largo: Jugendjahre. David Rock: Brain at Work. Erhebung Media Control im Auftrag des SBVV; 13. 3. 2012. Preise laut Angaben von www.buch.ch. Kathrina Redmann: Zwei Schuhe, ein Schritt; Madlaina Brogt Salah Eldin: Liebe zwischen Halbmond und Kreuz. Lesungen. ZSV, Forum Gartensaal, Cramerstr. 7. Info: www.zsv-online.ch. Dienstag, 24. April, 20 Uhr Zeruya Shalev: Für den Rest des Lebens. Lesung, Fr. 25.–. Kaufleuten, Festsaal, Pelikanplatz 1, Tel. 044 225 33 77. Donnerstag, 26. April, 20 Uhr Jürg Laederach: Harmfuls Hölle. Lesung, Fr. 18.– inkl. Apéro. Literaturhaus, Limmatquai 62, Tel. 044 254 50 00. KEFALAS / KEYSTONE Die Stadt Leipzig feiert dieses Jahr ein dreifaches Jubiläum: Die Thomaskirche, der Thomanerchor und die Thomasschule blicken auf ihr 800-jähriges Bestehen zurück. Alle drei Institutionen haben eine bewegte Geschichte hinter sich. In der Thomaskirche hielt Martin Luther am 25. Mai 1539 die Pfingstpredigt und brachte die Reformation nach Leipzig. Hier wirkte Johann Sebastian Bach von 1723 bis zu seinem Tod im Jahr 1750 als Thomaskantor und machte die Stadt zu einem musikalischen Zentrum der Welt. Die Thomasschule entwickelte Bücher am Sonntag Nr. 4 erscheint am 29. 4. 2012 Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60 oder E-Mail [email protected]. Oder sind – solange Vorrat – beim Kundendienst der NZZ, Falkenstrasse 11, 8001 Zürich, erhältlich. 25. März 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27 <wm>10CAsNsjY0MDQx0TWyNLcwMAAAqEZn6w8AAAA=</wm> <wm>10CEXKOw6AMAwE0RPFWq-cHy4hVBEFIE6AqLl_BaKhmOZpevco-BrbsrfVFWoWWHPB6zUKc_JCCiw7yEwoB6UmixX0_w7jFDZwBg6o3Of1AFqu_pldAAAA</wm> Die vielen Gourmet-Produkte von Sélection gibts in grösseren Migros-Filialen und auf www.leshop.ch www.migros.ch / selection stehen den, war eine Verlockung, der ich nicht wider «Die Aromen von Käse und Wein zu verbin Jahres gekür t wurde. des ation innov Käse zur ion Kreat n konnte», erzählt Käser Ueli Moser, desse stimmigste Wein vielen Degustationen musste zuerst der Doch bis dahin war es ein langer Weg. In en länger. Wann wurd te Näch rs Mose Ueli und an tieren gefunden werden. Dann fing das Experimen n. «Dass Frage über n sich Schimmel und Hefe? Frage muss der Käse ins Weinbad? Wie verhalten Kunden, der Lob das mich freut mehr natürlich. Doch viel meine Arbeit honoriert wurde, ehrt mich eiden besch er meist Käse der meint , ssen» genie und die meine einmalige Kombination schätzen Käserei. und verschwindet in den Gängen seiner