Grenzen der konservativen Frakturenbehandlung am Oberarm
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Grenzen der konservativen Frakturenbehandlung am Oberarm
FRAKTURENBEHANDLUNG 21 CME Grenzen der konservativen Frakturenbehandlung am Oberarm Peter Illing Die obere Extremität ist bei Kindern häufig von Unfällen betroffen. Aufgrund der Remodellierungspotenz des wachsenden Skeletts können Frakturen zu einem großen Teil konservativ behandelt werden. Umso wichtiger ist es zu wissen, wann eine Fehlstellung nicht mehr toleriert werden kann. Im Folgenden wird dies für die drei Regionen des Oberarms dargestellt. 1a 1b 1c 1d Proximaler Humerus 4 % aller Extremitätenfrakturen im Kindesalter betreffen den proximalen Oberarm. Die höchste Inzidenz liegt in den Altersgruppen < 3 und > 12 Jahren. Die Leitsymptome sind schmerzhafte Bewegungseinschränkung, Schwellung und (seltener) Deformierung. Mitunter kann ein kompletter Funktionsverlust im Sinne einer Pseudoparalyse beobachtet werden. Geburtstraumatisch bedingte Frakturen werden oft als Plexuslähmung fehlgedeutet [1]. Diagnostik Die Röntgendiagnostik erfolgt als a.p.- und axiale oder tangentiale YAufnahme. Eine transthorakale Aufnahme ist wegen der hohen Strahlenbelastung zu unterlassen. Die schräg projizierte Fuge darf nicht mit einer Fraktur verwechselt werden. Der Fugenschluss erfolgt zwischen dem vierzehnten bis sechzehnten Lebensjahr. Klassifikation Die Einteilung erfolgt nach der AOoder Lila-Kinderklassifikation [2,3]. In der Regel handelt es sich um Epiphysenlösungen mit einem metaphysären Keil (Salter-Harris II) oder um metaphysäre Grünholz- oder Abb. 1: Subcapitale Humerusfraktur, 13 J., konservative Behandlung im Gilchrist-Verband 2a 2b 2c Abb. 2: Subcapitale Humerusfraktur, 12 J., Dislokation 60°, geschlossene Reposition, ESIN Wulstfrakturen. Seltener liegt eine vollständige metaphysäre Fraktur vor. Die pathologische Fraktur bei juveniler Knochenzyste ist eine Besonderheit. Sie ist in der Regel nicht disloziert. Therapie Die Art der Behandlung richtet sich nach dem Alter des Patienten, dem Dislokationsgrad und eventuellen Begleiterkrankungen. Konservativ Da die proximale Fuge am Humerus zu 80 % des Längenwachstums beiträgt, besteht bei der offenen Fuge ein großes Potenzial für eine Spontankorrektur. Deshalb ist diese Region eine Domäne der konservativen Therapie mit einem GilchristVerband. Durch das Gewicht des Armes stellen sich die Fragmente von selbst achsengerecht ein. Bei primärer Dislokation erfolgt 2-3 Tage Medizinisch-Orthopädische Technik 02/2016 22 FRAKTURENBEHANDLUNG CME < 10 Jahre Dislokation um Schaftbreite Verkürzung bis 2 cm Varus bis 60° in der Frontalebene Valgus < 10° > 10 Jahre Dislokation < halbe Schaftbreite in der Frontalebene: Varus < 30° Valgus < 10° Tabelle 1: Tolerable Abweichungen am proximalen Humerus 3a 3c 3b 3d 4a 4c 4b 4d Abb.4: Neugeborenes, geburtstraumatische Humerusschaftfraktur, Ruhigstellung im Hemdchen nach Anlage des Verbandes eine Röntgenkontrolle. Bei Nachweis einer achsengerechten Stellung im Verband erübrigt sich eine Operation (Abb.1). Operativ Bei Überschreiten der Grenzwerte [Tab. 1] ergibt sich die Indikation zur operativen Behandlung. Bei Adoleszenten > 13 Jahre wird die Indikation aufgrund der eingeschränkten Remodellierung und des höheren Anspruchs an eine rasche Mobilisierung eher gestellt. Das Standardverfahren ist die geschlossene Reposition und die retrograde Elastisch-Stabile-Intramedulläre Nagelung (ESIN) [4]. Die Hautinzision erfolgt proximal des Condylus radialis. Über zwei separate Kortikalisperforationen werden zwei Nägel eingebracht, welche im proximalen Fragment aufspreizen. Dabei kann die proximale Fuge folgenlos gequert, die Kortikalis des Humeruskopfes darf nicht perforiert werden. Es handelt sich um eine übungsstabile Osteosynthese, welche bei Schmerzfreiheit keiner weiteren Ruhigstellung bedarf (Abb.2). Bei kleineren Kindern kann ein Nagel ausreichen. Äußerst selten ist bei interponierter langer Bicepssehne die offene Reposition erforderlich. Die früher übliche K-Draht-Osteosynthese, welche eine zusätzliche Ruhigstellung erfordert, ist verlassen. Bei Adoleszenten werden Ausrisse der Apophysen mit Zugschrauben refixiert. In diesem Alter können epiphysäre Mehrfragmentfrakturen mit einer winkelstabilen Plattenosteosynthese versorgt werden [5]. Nachbehandlung Wegen der metaphysären Lokalisation heilt die Fraktur schnell. Bei der konservativen Therapie kann die Ruhigstellung bei Schmerzfreiheit beendet und die Spontanmobilisation gestattet werden. Wenn die Medizinisch-Orthopädische Technik 02/2016 Röntgenkontrolle 6 Wochen nach der ESIN eine ausreichende Kallusbildung zeigt, kann die Metallentfernung ambulant geplant werden. Krankengymnastik ist in beiden Fällen nicht erforderlich. Probleme Eine posttraumatische Deformität kann bei Adoleszenten resultieren, wenn die Grenzen der konservativen Therapieoption nicht beachtet werden. Sie ist ein kosmetisches und kein funktionelles Problem. Bei der ESIN kann ein nicht ausreichend gekürzter Nagel Weichteile und Haut irritieren und zu Serom, Hautirritation oder -infektion führen. Bei zu proximaler Implantation besteht die Gefahr einer Radialisläsion. Pathologische Frakturen bei juvenilen Knochenzysten erfordern ein eigenes Behandlungskonzept. Humerusschaft Lediglich 2 % aller Extremitätenfrakturen betreffen den Humerusschaft. Die Häufigkeit nimmt mit dem Lebensalter zu. Diagnostik Obligatorisch ist die Überprüfung von Durchblutung, Sensibilität und Motorik (N. radialis). Die Röntgenaufnahme erfolgt in 2 Ebenen mit beiden angrenzenden Gelenken. Klassifikation Die Einteilung erfolgt nach der AOoder Lila-Kinderklassifikation [2,3]. Beim Säugling überwiegen Spiralfrakturen infolge indirekter Krafteinwirkung. Hier ist immer an ein Battered-child Syndrom zu denken. Beim älteren Kind kann infolge eines Verkehrsunfalls im Rahmen einer Mehrfachverletzung eine Schaftfraktur resultieren. Pathologischen Frakturen bei Knochenzysten geht kein adäquates Trauma voraus. FRAKTURENBEHANDLUNG 23 CME Therapie Das Korrekturpotenzial ist am Schaft geringer als am proximalen Humerus. Dabei wird ein Varusfehler eher ausgeglichen als eine Valgusabweichung. Der Muskelmantel des Oberarms überdeckt eine radiologisch nachzuweisende leichte Achsabweichung. Konservativ Die primäre Behandlung ist, abgesehen von der offenen Fraktur, immer konservativ. Es wird ein Gilchristverband angelegt (Abb. 3). Bei Vorhandensein starker Schmerzen erfolgt dies in Schmerzmedikation ohne Repositionsversuch. Beim Säugling wird ein Desault-Äquivalent (Hemdchen) konstruiert (Abb. 4). Nach 2-4 Tagen erfolgt eine radiologische Stellungskontrolle. Beim älteren Kind kann der Verband nach 10 Tagen durch einen Oberarm-Brace ersetzt werden, welcher schmerz- und altersadaptiert bis zur 3. bis 4. Woche nach dem Trauma verbleibt [6]. Operativ Die Operationsindikation ergibt sich bei Überschreiten der tolerablen Grenzwerte [Tab. 2]. Eine primäre Läsion des N. radialis ist kein Grund für eine operative Revision, da die Spontanheilung innerhalb von 3 Monaten erfolgt. Dies muss mit den Eltern und dem Patienten jedoch von Beginn an besprochen werden. Das Standardverfahren ist die ESIN. Frakturen im proximalen und mittleren Drittel werden retrograd (eine Hautinzision proximal des Condylus radialis), eine Fraktur im distalen Drittel antegrad (eine Hautinzision in Höhe des Ansatzes des M. deltoideus) stabilisiert (Abb. 5). Die Kortikalis wird jeweils für beide Nägel separat perforiert. Ein Nagel wird C-förmig, der andere S-förmig aufgespannt, sodass eine übungs- 5a 5b 5c 5d 5e Abb.5: Humerusschrägfraktur distales Drittel, 8 J., Gilchrist, wegen Valgusabweichung Wechsel auf antegrade ESIN stabile Osteosynthese resultiert, welche keiner weiteren Ruhigstellung bedarf. Bei höhergradig offener Fraktur ist der Fixateur externe eine Alternative. Beim Adoleszenten ist bei der distalen Fraktur mit Einbeziehung der Condylen die winkelstabile Plattenosteosynthese die Therapie der Wahl. Nachbehandlung Auch nach übungsstabiler Osteosynthese kann eine Ruhigstellung zur Schmerzfreiheit sinnvoll sein. Wenn die Röntgenkontrolle nach 34 Wochen eine ausreichende Kallusbildung zeigt, kann sportliche Betätigung wieder gestattet werden. Nach 3-6 Monaten erfolgt nach radiologischem Konsolidierungsnachweis ambulant die Metallentfernung. Probleme Bei der Metallimplantation ist eine iatrogene Läsion des N. radialis zu vermeiden. Die Nagelenden sind so zu kürzen, dass keine Irritation von Weichteilen und Haut entsteht. Anderenfalls ist eine Revision mit weiterem Einschlagen oder Kürzen der Nägel erforderlich. Das Überschreiten der proximalen Humerusfuge ist bei der Schaftfraktur nicht erforderlich. Traumatisch und sekundär bedingte Läsionen des N. radialis erholen sich in einem hohen Prozent- konservativ undisloziert Achsenfehler < 10° Achsenfehler > 10° OP-Indikation offene Fraktur pathologische Fraktur relative OP-Indikation Mehrfachverletzung Versatz um Schaftbreite Tabelle 2: Die Operationsindikation ergibt sich bei Überschreiten der tolerablen Grenzwerte 6a 6c 6b 6d Abb.6: supracondyläre Humerusfraktur Typ II, 8 J., stellt sich im Cuff-and-collar gut ein satz (89-93%) spontan. Die Nervenregeneration beginnt nach 7 Wochen und ist nach 6 Monaten abgeschlossen. Bei fehlender Spontanheilung erfolgt nach 8 Wochen die verzögerte Exploration. Medizinisch-Orthopädische Technik 02/2016 24 FRAKTURENBEHANDLUNG CME 7a 7c 7b 7d Diagnostik Regelmäßig müssen die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität überprüft werden. Die Röntgenaufnahme erfolgt in 2 Ebenen. Wenn allerdings nach einer Ebene die Operationsindikation offensichtlich ist, kann zur Vermeidung weiterer Schmerzen die zweite Ebene in Narkose nachgeholt werden. Dem in der Kindertraumatologie Unerfahrenen können die Vielzahl und das zeitlich unterschiedliche Auftreten der Ossifikationskerne Schwierigkeiten in der Abgrenzung zum Normbefund bereiten. Wegen der auch interindividuell großen Schwankungen bringt die Röntgenaufnahme der Gegenseite keinen Informationsgewinn und ist deshalb zu unterlassen. Supracondyläre Humerusfraktur Abb. 7: Supracondyläre Humerusfraktur Typ IV, 7 H., geschlossene Reposition und Kirschnerdraht-Osteosynthese Distaler Humerus Frakturen in diesem Bereich zählen zu den häufigsten Extremitätenfrakturen im Kindesalter [7,8]. Sie sind selten Folge direkter Gewalt, sondern entstehen durch indirekte Krafteinwirkung beim Sturz auf den ausgestreckten Arm. Während es beim Jugendlichen dabei zu ligamentären Verletzungen kommt, resultiert beim Kind eine Fraktur. 8a 8b Sie ist nach der distalen Unterarmfraktur die zweithäufigste Fraktur an der oberen Extremität und die häufigste im Ellenbogenbereich. Betroffen sind Kinder von 3 bis 10 Jahren, der Gipfel liegt um das 6. Lebensjahr. Klassifikation Beim Sturz auf den ausgestreckten Arm kommt es zur Extensionsfraktur (98%), beim Sturz auf den gebeugten Ellenbogen zur Flexionsfraktur (2%). Die Einteilung erfolgt nach der AO-Kinderklassifikation [3], in der Praxis hat sich die Klassifikation nach v. Laer bewährt [Tab. 3]. 8c 8d Abb. 8: Fraktur des Condylus radialis humeri Typ Jakob I, Behandlung im Oberarmgips Medizinisch-Orthopädische Technik 02/2016 Therapie Ziel ist die möglichst achsengerechte Wiederherstellung des physiologischen humerocondylären Winkels mit Verhinderung des ulnaren Abkippens, welches zum Cubitus Varus führen würde, und der Verdrehung des radialen Condylus, welche in einem Rotationsfehler resultieren würde. Die Therapieoptionen ergeben sich aus der v. Laer-Klassifikation [9]. Konservativ Typ I Die Röntgenaufnahme zeigt keinen Achsenfehler. Mitunter ist lediglich ein „fat-pad-sign“ als indirektes Frakturzeichen zu sehen. Diese Frakturform ist stabil. Die Ruhigstellung erfolgt in einer Oberarmgipsschiene, je nach Alter für 2 bis 4 Wochen. Auf eine Röntgenkontrolle kann auch verzichtet werden. Typ II Diese Form ist nur in der sagittalen Ebene nach dorsal disloziert. Jede Extensionsstellung soll wieder in den physiologischen Winkel überführt werden. Auch eine Achsenabweichung > 20° kann primär konservativ in einem Cuff-and-collar-Verband in spitzwinkliger Stellung behandelt werden. Hierdurch wird das distale Fragment nach volar gezogen. Durch den bei der supracondylären Humerusfraktur intakt gebliebenen dorsalen Periostschlauch und den Halt durch den M. trizeps besteht keine Gefahr der Dislokation in eine andere Ebene. Regelmäßig sind die Durchblutung und Sensibilität zu prüfen. Am dritten Tag wird der Verband nachgezogen. Mit einer lediglich seitlichen Röntgenaufnahme wird überprüft, ob sich die Achse richtig eingestellt hat. Wenn dies der Fall ist, kann die Behandlung bis zur Konsolidierung nach 3 Wochen so fortgesetzt werden (Abb. 6). Der Verfahrenswechsel auf eine Gipsruhigstellung ist FRAKTURENBEHANDLUNG 25 CME möglich, aber nicht erforderlich. Zudem geht er mit neuerlichen Schmerzen einher. Wegen des Risikos einer Dislokation ist zudem eine erneute Röntgenkontrolle erforderlich. Lässt sich auf diese Weise die Fraktur nicht einstellen, muss sie reponiert werden. Da hierzu eine Narkose erforderlich ist, wird sie wie eine Typ III – Fraktur retiniert, um eine sekundäre Dislokation mit der Notwendigkeit einer nochmaligen Reposition zu verhindern. Operativ Typ III Hier liegt eine Dislokation in 2 Ebenen vor. Diese kann zum einen in der sagittalen Ebene (Antekurvation) mit Rotationsfehler bestehen. Zum zweiten kann sie in der sagittalen und in der frontalen Ebene ohne Rotationsfehler (Fehlstellung nach ulnar oder radial) erfolgen. Die beiden Fragmente haben aber Kortikaliskontakt. Es besteht eine dringliche Operationsindikation [10]. Typ IV Es liegt eine Dislokation in allen 3 Ebenen vor, wobei die Fragmente noch Kontakt haben, aber auch vollständig disloziert sein können. In diesen Fällen und bei Vorhandensein von Gefäß- oder Nervenläsionen ist die Notfallindikation gegeben. Immer ist zu bedenken, dass bei zunehmender Schwellung die geschlossene Reposition erschwert sein kann. Vorgehen Primär wird ein geschlossenes Verfahren angestrebt. Durch ausreichend langen Zug und Gegenzug am relaxierten Patienten wird die Fraktur reponiert. Eine Achsenabweichung oder Rotation des distalen Fragmentes kann durch Pronation des Unterarmes (seltener Supination) korrigiert werden. Der in- takt gebliebene dorsale Periostschlauch unterstützt die Retention. Bei der Durchleuchtung ist auf die achsengerechte Einstellung sowohl in der sagittalen als auch in der frontalen Ebene zu achten. Die Fragmente werden in präliminär spitzwinkliger Stellung des Unterarms fixiert. Die Retention erfolgt durch 2 in dieser Stellung perkutan eingebrachte Kirschnerdrähte, zuerst von radial, dann von ulnar. Ulnarseitig ist der Sulcus ulnaris zu palpieren und der N. ulnaris mit dem Finger des Operateurs zu schützen. Ist dies nicht möglich, muss der Epicondylus ulnaris durch eine Miniinzision dargestellt und der Draht unter Sicht aufgesetzt werden. Die Drähte dürfen sich nicht im Frakturpalt kreuzen [11]. Die Drähte können entweder unter das Hautniveau versenkt (Nachteil: weitere Narkose zur Metallentfernung) oder über Hautniveau gekürzt werden (Vorteil: keine Narkose zur Metallentfernung, Nachteil: Hautirritation, Infektion [12]). Die Spitzwinkelstellung wird aufgehoben und die Durchblutung palpatorisch und dopplersonographisch überprüft. Anschließend erfolgt die 9a 9c 9b 9d Abb.9: Fraktur des Condylus radialis humeri Typ Jakob III, 5 J., offene Reposition, Zugschrauben-Osteosynthese Ruhigstellung im Oberarmgips bei 90° Beugung (Abb. 7). Lässt sich die geschlossene Reposition nicht durchführen, muss offen reponiert Therapie Typ I undisloziert Typ II Dislokation in einer Ebene Typ III Typ IV Gips in 90° Dislokation in 2 Ebenen Antekurvation Cuff and collar Rekurvation Reposition und Osteosynthese Antekurvation + Rotationsfehler Reposition und Osteosynthese Rekurvation + Rotationsfehler Reposition und Osteosynthese Antekurvation + Fehlstellung in der Frontaleben Reposition und Osteosynthese Rekurvation + Fehlstellung in der Frontaleben Reposition und Osteosynthese mit Fragmentkontakt Reposition und Osteosynthese ohne Fragmentkontakt Reposition und Osteosynthese Dislokation in 3 Ebenen Tabelle 3: Klassifikation der supracondylären Humerusfraktur nach v. Laer [9] Medizinisch-Orthopädische Technik 02/2016 26 FRAKTURENBEHANDLUNG CME Zusammenfassung: Der Humerus ist bei Kindern nach dem Unterarm am zweithäufigsten von Frakturen betroffen. Viele Frakturen sind nicht disloziert und können konservativ therapiert werden. Wegen der zu 80% am Wachstum beteiligten proximalen Fuge und des hohen Remodellierungspotenzials ist die Therapie in diesem Bereich fast ausschließlich konservativ. Die Fraktur des Schaftes kann ebenfalls überwiegend konservativ in einem Gilchristverband behandelt werden. Am distalen Humerus ist die Interpretation des Röntgenbildes wegen der verschiedenen Knochenkerne manchmal schwie- werden. Dieses Vorgehen kann auch bei der häufig schwer zu reponierenden Flexionsfraktur erforderlich werden. Der Zugang erfolgt von lateral und von ulnar, da so der beste Überblick gegeben ist. Wenn bei primär pulslosem und blassem Arm dieser Zustand auch nach der Reposition persistiert, wird über einen anteromedialen Zugang die A. brachialis exploriert und versorgt. Gute Alternativen zur gekreuzten 10a 10b rig. Hier erfolgt keine Remodellierung, so dass Dislokationen nur bis zu einem geringen Ausmaß toleriert werden können und einer operativen Therapie zugeführt werden müssen. Schlüsselwörter: Oberarmfraktur im Kindesalter, Subcapitale Humerusfraktur, Humerusschaftfraktur, Supracondyläre Humerusfraktur, Codylus-radialis-humeri-Fraktur Epicondylus-ulnaris-Fraktur Kirschnerdrahtosteosynthese sind die antegrade Elastisch-Stabile-Intramedulläre Nagelung [7] und die Osteosynthese mit einem Fixateur externe [13]. Nachbehandlung Bei der Kirschnerdrahtosteosynthese erfolgt immer die Ruhigstellung auf einer Oberarmgipsschiene für 3 bis 4 Wochen. Bei radiologisch nachgewiesener Kallusbildung 10c 10d Abb. 10: Malunion nach Fraktur des Condylus radialis humeri Typ I, 6 J., nach 5 Wochen percutane Zugschrauben-Osteosynthese 11a 11b 11c 11d Abb.11: Abriss des Epicondylus ulnaris humeri nach Ellenbogenluxation, 12 J, offene Reposition und Zugschrauben-Osteosynthese mit Antirotationspin Medizinisch-Orthopädische Technik 02/2016 kann die Metallentfernung erfolgen. Anschließend wird die Spontanmobilisation gestattet. Zu diesem Zeitpunkt besteht noch eine deutliche Bewegungseinschränkung, welche sich bis zur 8. bis 10. Woche bessern wird. Hierüber sind die Eltern bereits zu Behandlungsbeginn zu informieren. Krankengymnastik ist erst dann in seltenen Fällen bei persistierender Bewegungseinschränkung zu verordnen. Probleme Immer ist an Gefäßläsionen (Spasmus, Einklemmung, Intimaläsion) zu denken [14]. Wegen des Kompartementsyndroms und der “Volkmannschen“ Ischämie darf primär nie ein geschlossener Gips angelegt werden. Nervenläsionen sind mit 10-20% relativ häufig und können alle Nerven betreffen. Bei postoperativ persistierenden starken Schmerzen soll die Revision der Osteosynthese vorgenommen werden. Ansonsten erholen sich Nervenläsionen innerhalb von 3-4 Monaten spontan [15]. Bei iatrogen verursachter Läsion des N. ulnaris soll bei der Metallentfernung die Neurolyse erfolgen. Wird eine Extensionsfehlstellung unzureichend korrigiert, verbleibt ein Beugedefizit. Bei Belassen eines Rotationsfehlers kann es zum kosmetisch störenden Cubitus varus oder zum weniger störenden Cubi- FRAKTURENBEHANDLUNG 27 CME tus valgus kommen [16]. Bei Bedarf kann eine Korrekturosteotomie frühzeitig diskutiert werden, da sich aufgrund der niedrigen Wachstumspotenz der Fugen von 20% in diesem Bereich keine Spontankorrektur einstellt. Condylus-radialis-Fraktur Sie ist die zweithäufigste Fraktur im Bereich des Ellenbogens. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 6. und 10. Lebensjahr. Diagnostik Klinisch finden sich eine lateralseitige Schwellung und ein mehr oder weniger ausgeprägtes Hämatom. Beim narkotisierten Kind lässt sich die Krepitation palpieren. Die Röntgenaufnahme des Ellenbogens erfolgt in 2 Ebenen. Eine nur gering dislozierte Fraktur ist primär oft schwer zu erkennen. Klassifikation Die Therapieentscheidung erfolgt aufgrund der Klassifikation von Jakob [Tab. 4]. Typ I Die nicht dislozierte Fraktur wird auf einer Oberarmgipsschiene im 90°-Winkel ruhig gestellt [7]. Um eine sekundäre Dislokation auszuschließen, erfolgt eine gipsfreie Röntgenkontrolle nach 5 Tagen. Steht die Fraktur unverändert, erfolgt die weitere Ruhigstellung im Gips (Abb. 8). Typ II Zeigt sich primär oder beim Kontrollröntgen ein zentraler Frakturspalt von 2 mm, wird geschlossen reponiert und perkutan mit einer Zugschraube (bei größerem Fragment) oder Kirschnerdrähten (kleines Fragment) fixiert [17,18]. Typ III Die instabile, verdrehte und dislozierte Fraktur muss offen reponiert und mit einer Zugschraube (Abb. 9) oder beim kleineren Kind mit 2 Kirschnerdrähten fixiert werden [18]. Es handelt sich nicht um eine Notfalloperation, so dass der Eingriff elektiv vorgenommen werden kann. Nachbehandlung Bei der nichtdislozierten Fraktur ist die Ruhigstellung über 3 Wochen ausreichend. Bei der sicheren Zugschraubenosteosynthese ist die Ruhigstellung lediglich bis zur Schmerzfreiheit sinnvoll. Nach radiologischer Konsolidierungskontrolle kann nach 6 Wochen ambulant die Metallentfernung durchgeführt werden. Bei der Kirschnerdrahtosteosynthese verbleibt der Gips bis zur radiologischen Konsolidierungskontrolle mit anschließender Metallentfernung nach 4 bis 6 Wochen. Probleme Eine verzögerte Heilung kann bei übersehener Dislokation bei konservativer Behandlung beobachtet werden. Die Patienten weisen per sistierende Schmerzen auf. Während bei einem Abstand von unter 3 Wochen zum Trauma Einigkeit in Bezug auf die operative Stabilisierung besteht (Abb. 10), wird die Behandlung jenseits dieses Zeitraums wegen des Risikos der avaskulären Nekrose kontrovers diskutiert [19]. Bei resultierendem Cubitus varus oder valgus mit entsprechender klinischer Symptomatik ist eine Umstellungsosteotomie zu diskutieren. Abriss des Epicondylus ulnaris Diese dritthäufigste Verletzung am distalen Humerus kommt jenseits des 10. Lebensjahres vor allem nach stattgehabter Ellenbogenluxation vor [20,21]. Diagnostik Es bestehen Schmerzen und eine ausgeprägte Schwellung im Ellenbogengelenk. Der abgerissene Epicondylus kann ins Gelenk interponiert sein, als Repositionshindernis fungieren und sich der radiologischen Darstellung entziehen. Bei der Röntgenaufnahme des Ellenbogens in 2 Ebenen, welche in der Regel nach der Reposition einer Luxation erfolgt, ist sorgfältig nach einem Abriss zu suchen. Therapie Konservativ Die Ruhigstellung auf einer Oberarmgipsschiene kann in seltenen Fällen bei nicht dislozierten Frakturen erfolgen. Sie soll 2 bis 3 Wochen nicht überschreiten, um keine Bewegungseinschränkung zu verursachen. Operativ Die Reposition der Luxation erfolgt in Analgesie am Unfallort, ansonsten notfallmäßig mit anschließender Diagnostik und Operation. Ist der dislozierte Epicondylus nicht ins Gelenk interponiert, erfolgt die offene Reposition am Folgetag. Zunächst ist der N. ulnaris darzustellen und zu schonen. Beim Kleinkind mit einem kleinen Fragment erfolgt die Fixierung mit 2 divergierenden Kirschnerdrähten, welche die Gegenkortikalis perforieren. Ein großes Typ I Knorpelscharnier erhalten Gips Typ II Knorpelscharnier zerrissen Osteosynthese Typ III vollständig disloziert offene Repostion und Osteosynthese Tabelle 4: Klassifikation der Condylus radialis-Fraktur nach Jakob. Medizinisch-Orthopädische Technik 02/2016 28 FRAKTURENBEHANDLUNG CME Fragment wird mit einer Zugschraube anatomisch reponiert [22] (Abb. 11). Nachbehandlung Ein isolierter Epicondylus-ulnarisAbriss wird zusätzlich mit einem Oberarmgips für 3-4 Wochen ruhiggestellt. Nach einer Ellenbogenluxation muss dagegen frühzeitig mit der Mobilisierung in der Bewegungsschiene begonnen werden. So kann bei den meist größeren Kindern einer Gelenksteife und Bewegungseinschränkung vorgebeugt werden. Bei dieser Fraktur ist frühzeitige krankengymnastische Behandlung indiziert. Die Metallentfernung erfolgt nach radiologischer Konsolidierung nach 6 Wochen. Probleme Da bei einer Ellenbogenluxation eine erhebliche Kapsel- und Weichteilverletzung vorliegt, dauert die Zeit bis zur vollständigen Wiederherstellung länger. Gelegentlich kann ein Streckdefizit verbleiben. Literaturverzeichnis Oberarm 1. David, S.; Kuhn, C.; Ekkernkamp, A. (2006): Proximale Humerusfraktur des Kindes und Adoleszenten. Chirurg 77 (9), S. 827–834. 2. 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