Warum Old Shatterhand ein Ossi war
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Warum Old Shatterhand ein Ossi war
Zum 100. Todestag von Karl May Warum Old Shatterhand ein Ossi war Foto: wikipedia Er erfand Winnetou, Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar und wurde mit seinen Abenteuerromanen zum vermutlich meistgelesenen deutschen Schriftsteller: Karl May. Am Freitag vor genau 100 Jahren starb der Autor, der lange Zeit von sich behauptet hatte, als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi alle Abenteuer selbst erlebt zu haben. Was wenige wissen: Karl Mays Spur führt auch nach Passau! Warum ich über Karl May schreibe? Ich habe zwar schon seit Ewigkeiten kein Buch mehr von ihm gelesen, aber als Junge habe ich sämtliche Werke von ihm verschlungen. Ich erfüllte einige Klischees eines typischen Karl-May-Lesers: Als Bub habe ich tatsächlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke noch weitergeschmökert, als ich schon längst hätte schlafen müssen. Winnetou-Briefmarke Mein Vater hatte die wichtigsten Werke im Bücherregal. Von meinem hart ersparten Taschengeld oder Geburtstagsgeld habe ich mir die restlichen Bücher zugelegt – insgesamt waren es über 70 Bände. Ich habe alle mehrmals gelesen, konnte auswendig alle Buchtitel chronologisch runterrattern und kann nach wie vor Hadschi Halef Omar bei seinem vollständigen Namen benennen: Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Mit den berühmten Filmen mit Pierre Brice und Lex Barker habe ich nie so viel anfangen können: Obwohl ich die Schauspieler nach wie vor als Idealbesetzung empfinde, kannte ich die Originalbücher einfach zu gut – in den Filmen war von der Originalhandlung und dieser ganz eigenen Karl-May-Magie meiner Meinung nach nicht mehr viel wiederzufinden. Mein Vorliebe für Karl May kam mir bei meiner Facharbeit im Leistungskurs Deutsch zugute. „Karl May und seine Wirkung auf die Jugend" lautete das Thema. Tatsächlich ist dieser Karl May bis heute einfach nicht totzukriegen. Ich sage nur: „Der Schuh des Manitu" von Bully Herbig, der mit rund 12 Millionen Kinobesuchern zum erfolgreichsten deutschen Film seit Ende des 2. Weltkriegs wurde. Wer war dieser Karl May, der laut wikipedia einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache ist und laut UNESCO als einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller gilt? Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen allein in Deutschland. Zwei berühmte Karl May-Fans: Albert Einstein und Adolf Hitler. Der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer nannte seine Tochter „Maria Winnetou". Karl May – eigentlich Carl Friedrich May – wurde 1842 in Hohenstein-Ernstthal bei Zwickau in ärmlichen Verhältnissen geboren. Er studierte zunächst Lehramt, begann aber zugleich mit diversen Betrügereien, Diebstählen und Hochstapeleien und wurde als Kleinkrimineller schließlich sogar steckbrieflich gesucht. Beispiel gefällig? 1869 „fahndete" May als „Polizeilieutenant von Wolframsdorf" bei einem Gastwirt nach Falschgeld, beschlagnahmte zehn Taler und eine angeblich gestohlene Uhr, eskortierte den Mann nach Claußnitz und setzte sich anschließend ab. Wegen verschiedener Klein-Delikte, die May größtenteils auf ähnliche Art und Weise „kreativphantasievoll" umsetzte, musste er ingesamt sage und schreibe rund sechseinhalb Jahre (1865 bis 1868, 1870 bis 1874) im Gefängnis absitzen. Bei seinem ersten längeren Knast-Aufenthalt schaffte er es wegen guter Führung zum Verwalter der Anstaltsbibliothek und nutzte die Zeit zum Lesen – vor allem Reiseliteratur hatte es ihm angetan. Als Redakteur 1875: Das vermutlich erste Foto von Karl May Nach seiner Entlassung 1874 startete er seine „seriöse" Karriere: Er begann als Jungredakteur zu schreiben und wurde schließlich 1878 zum freien Schriftsteller. Seine unzähligen Abenteuerund Reiseromane wurden immer erfolgreicher, bis er in den 1890er-Jahren ein regelrechter Superstar geworden war. Viele seiner Bücher waren in der „Ich"-Form geschrieben und die Leser glaubten, er habe die Reisen in den Wilden Westen und in den Orient tatsächlich unternommen und die Abenteuer wirklich erlebt. Und Karl May? Der strickte an seiner Legende eifrig mit. Seinen Fans verklickerte er, dass er tatsächlich Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi sei! Er ließ sich eigene Kostüme inklusive Waffen wie Henrystutzen, Silberbüchse und Bärentöter anfertigen, posierte als Westernheld Old Shatterhand auf Fotos, nannte sich plötzlich „Dr." Karl May und teilte seiner Leserschaft mit: „Ich spreche und schreibe: Französisch, englisch, italienisch, spanisch, griechisch, lateinisch, hebräisch, rumänisch, arabisch 6 Dialekte, persisch, kurdisch 2 Dialekte, chinesisch 2 Dialekte, malayisch, Namaqua, einige Sunda-Idiome, Suaheli, Hindostanisch, türkisch und die Indianersprachen der Sioux, Apachen, Komantschen, Snakes, Uthas, Kiowas nebst dem Ketschumany 3 südamerikanische Dialekte. Lappländisch will ich nicht mitzählen." Er verschickte sogar Pferdehaare als vermeintliche Locken von Winnetou! Karl Mays einziges Foto mit echten Indianern bei seiner Amerika-Reise 1908 Tatsächlich war er 1899/1900 zum ersten Mal im Orient und reiste 1908 als alter Mann für einige Wochen das einzige Mal nach Amerika. Während seiner Orientreise waren seine Vorstrafen publik geworden und seine „Old-Shatterhand-Legende" stürzte in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Seine erste Ehe ging in die Brüche, Karl May wurde von der Presse zerrissen und ihm wurde in diversen Prozessen unterstellt, „Schundliteratur" verbreitet zu haben. Bis zu seinem Tod am 30. März 1912 war er mit gerichtlichen Auseinandersetzungen beschäftigt, starb allerdings als reicher Mann. Sein Haus in Radebeul-Dresden hatte er „Villa Shatterhand" getauft. Auch mit Passau gibt es eine Verbindung: Heinrich Wagner (1868 - 1922), Chefredakteur der damaligen Passau „Donau-Zeitung", gilt als „Verteidiger Karl Mays": 1906 nahm Wagner Kontakt zu Karl May auf und veröffentlichte schließlich mit Mays exklusiven Informationen eine Artikelserie in der Donau-Zeitung mit dem Titel „Karl May und seine Werke. Eine kritische Studie", die als Vorläufer von Karl Mays Selbstbiographie gilt. Zudem druckte Wagner weitere Schriften von May ab und fädelte aufgrund seiner Beziehungen eine neuerliche Zusammenarbeit von Karl May mit dem „Deutschen Hausschatz" (Katholische Wochenzeitschrift aus dem Verlag Friedrich Pustet) ein. Was mich nach wie vor – außer angenehmen Leseerinnerungen an meine Kindheit – an Karl May fasziniert, ist seine schillernde Lebensgeschichte. Allen Karl-May-Fans sei an dieser Stelle wärmstens die offizielle Karl-May-Wiki empfohlen, in der man wirklich sämtliche Details seines Lebens und seiner Werke nachlesen kann. Karl May im Jahre 1907 Als Bub bin ich übrigens auch mal kurzzeitig der Old-Shatterhand-Legende aufgesessen und habe mir zumindest eingeredet, dass Karl May vielleicht doch das eine oder andere Abenteuer tatsächlich erlebt haben könnte. Als ich dann das erste Mal die historischen Fotos von Karl May im Western-Look sah und den schmächtigen Mann erblickte, der da Old Shatterhand sein wollte, war das relativ enttäuschend. Das endgültige „Aha"-Erlebnis hatte ich allerdings, als mir bewusst wurde, dass Karl May ein Sachse war. Somit hätte logischerweise auch sein Alter Ego Old Shatterhand „sächseln" müssen. Old Shatterhand als ein sächselnder Ossi? „Winnedüh"? Sorry Karl May, das habe ich dir wirklich nicht abkaufen können.