Wohlstand und Lebensqualität - The Boston Consulting Group
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Wohlstand und Lebensqualität - The Boston Consulting Group
Wohlstand und Lebensqualität Deutschland im internationalen Vergleich 1 | T B C G The Boston Consulting Group (BCG) ist eine internationale Managementberatung und weltweit führend auf dem Gebiet der Unternehmensstrategie. BCG unterstützt Unternehmen aus allen Branchen und Regionen dabei, Wachstumschancen zu nutzen und ihr Geschäsmodell an neue Gegebenheiten anzupassen. In partnerschalicher Zusammenarbeit mit den Kunden entwickelt BCG individuelle Lösungen. Gemeinsames Ziel ist es, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu schaffen, die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern und das Geschäsergebnis dauerha zu verbessern. BCG wurde 1963 von Bruce D. Henderson gegründet und ist heute an 78 Standorten in 43 Ländern vertreten. Das Unternehmen befindet sich im alleinigen Besitz seiner Geschäsführer. Für weitere Informationen: www.bcg.de 2 | T B C G WOHLSTAND UND LEBENSQUALITÄT DEUTSCHLAND IM INTERNATIONALEN VERGLEICH CARSTEN KRATZ PHILIPP GERBERT DOUGLAS BEAL ENRIQUE RUEDASABATER A | BCG.COM © 2013 The Boston Consulting Group. Alle Rechte vorbehalten Für Nachbestellungen und Nachdruckgenehmigungen wenden Sie sich bitte an BCG unter folgender Adresse: The Boston Consulting Group GmbH Marketing & Communications/Rechte Ludwigstraße 21 80539 München Fax: +49 89 2317-4718 E-Mail: [email protected] 4 | T B C G INHALT 6 AUF EINEN BLICK 7 EINLEITUNG 9 SEDA: EIN MASSSTAB FÜR LEBENSQUALITÄT Sustainable Economic Development Assessment: Ein multidimensionaler Ansatz Einkommen und Lebensqualität 13 LEBENSQUALITÄT IM WELTWEITEN VERGLEICH Globale Perspektive SEDA-Werte im europäischen Vergleich 19 LEBENSQUALITÄT IN DEUTSCHLAND Überblick Ökonomische SEDA-Dimensionen Nicht-ökonomische SEDA-Dimensionen 47 AUSBLICK 48 ANHANG 52 LITERATURVERZEICHNIS 54 AN DEN LESER 5 | T B C G AUF EINEN BLICK T HE BOSTON CONSULTING GROUP BCG hat mit dem Sustainable Economic Development Assessment (SEDA) einen Maßstab entwickelt, der es ermöglicht, Wohlstand und Lebensqualität in Volkswirtschaen zu vergleichen, Fortschritte sichtbar zu machen und die Nachhaltigkeit der Lebensqualität zu untersuchen. Der vorliegende Report stellt die Resultate der ersten SEDA-Analyse mit besonderem Fokus auf Deutschland vor. An den Ergebnissen lässt sich ablesen, wie eng ökonomische und gesellschaliche Entwicklungen miteinander verknüp sind. In vielen Feldern zeigt sich, dass Deutschland sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt hat; in einigen Bereichen wird sichtbar, wo Handlungsbedarf besteht. Dazu zählen neben Bildung und Gesundheitswesen beispielsweise der Ausbau der Infrastruktur, Maßnahmen zugunsten einer höheren Erwerbsbeteiligung einiger Bevölkerungsgruppen und eine Stärkung der Zivilgesellscha . Im internationalen und europäischen Vergleich wird sichtbar, dass einige andere Länder vor ähnlichen Herausforderungen stehen und teils unterschiedliche Konzepte verfolgen, um diese zu bewältigen. Darin liegt der wesentliche Beitrag, den SEDA als Instrument zum Ländervergleich leisten kann: das Blickfeld zu erweitern und die Diskussion über die weitere sozioökonomische Entwicklung in Deutschland zu bereichern. 6 | W U L EINLEITUNG » Das Wohlergehen eines Volkes kann kaum von einem Maß des nationalen Einkommens abgeleitet werden. « Simon Kuznets, Entwickler des Bruttoinlandsprodukts (BIP), im Jahre 1934 D AS ZIEL ÖKONOMISCHER Entwicklung ist in jeder Volkswirtscha die Verbesserung des gesellschalichen Lebensstandards – des Wohlstands im weit gefassten Sinne des Begriffs. Bis heute gilt als gebräuchlichster Indikator für Wohlstand das Bruttoinlandsprodukt (BIP). In den meisten industrialisierten Ländern hat sich dieser Wohlstand seit 1960 in etwa verdreifacht, in Japan sogar mehr als verfünffacht. Daneben sind in den vergangenen Jahren zahlreiche unterschiedliche Konzepte entwickelt worden, um Wohlstand und die Entwicklung von Volkswirtschaen mit erweiterten oder alternativen Indikatoren zu beschreiben. Dazu zählen etwa die Ansätze zur (Brutto-) Inlandsproduktrechnung – sogenannte BIPRevisionen – und nicht-monetäre Wohlstandsindikatoren wie der Human Development Index (HDI), die neben ökonomischen vor allem soziale und kulturelle Faktoren berücksichtigen. Auch die OECD und eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit alternativen Methoden zur Erfassung von Wohlstand und Lebensqualität beschäigt. SEDA zielt auf eine qualitative Erweiterung des Wohlstandsbegriffs. In der Kritik an der Verwendung des BIP als maßgeblichen Indikator für Wohlstand und Lebensqualität spiegelt sich nicht zuletzt die fortschreitende Entwicklung der industrialisierten Länder: Nachdem sich materieller und nicht-materieller Wohlstand lange Zeit parallel entwickelten, löst sich dieser Zusammenhang mehr und mehr auf – trotz des 7 | T B C G steigenden BIP werden die Zugewinne an materiellem Wohlstand in der Bevölkerung nicht immer als Zugewinne an Lebensqualität wahrgenommen. The Boston Consulting Group (BCG) beschäigt sich seit vielen Jahren mit den Beziehungen zwischen ökonomischen, gesellschalichen und sozialen Faktoren und unterstützt in einer Vielzahl von Initiativen weltweit Entwicklungsprojekte in der Zusammenarbeit mit Regierungen und unabhängigen Organisationen. Mit dem Sustainable Economic Development Assessment (SEDA) hat BCG einen Maßstab entwickelt, der Wohlstand und Lebensqualität in Volkswirtschaen misst und Veränderungen im Zeitverlauf sichtbar macht. SEDA beurteilt Wohlstand und Lebensqualität einer Volkswirtscha anhand von zehn Dimensionen, die in den meisten Ländern der Welt als wesentliche Faktoren der Entwicklung einer Gesellscha betrachtet werden. Dazu zählen unter anderem Umwelt, Bildung und Gesundheit ebenso wie eine aktive Zivilgesellscha und die Integrität und Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen. Vor allem aber zeichnet sich SEDA durch drei Merkmale aus, die das Konzept von anderen Maßstäben unterscheiden: Zum einen bezieht SEDA eine zeitliche Betrachtung ein, die neben Aussagen zum Status quo auch die Dynamik der Veränderung erfasst. Um langfristige Entwicklungslinien umfassend einzuschätzen, genügt es nicht, einen Zustand zu beschreiben – selbst wenn diese Bestandsaufnahme regelmäßig aktualisiert werden kann. Weiterhin ermöglicht SEDA, materiellen Wohlstand und Lebensqualität im weiteren Sinne ins Verhältnis zu setzen. Und schließlich erlaubt die Erfassung von zehn Dimensionen eine weit gespannte Be- trachtung der Lebensqualität eines Landes – sowohl im Detail als auch im Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren. bzw. schlechte Abschneiden eines Landes in einer Dimension der Lebensqualität zu beleuchten. Das SEDA-Konzept zielt damit auf eine qualitative Erweiterung des Wohlstandsbegriffs, die einem veränderten Verständnis Rechnung trägt und Wohlstand nicht auf rein ökonomische Faktoren reduziert. Der Ansatz versteht sich als Beitrag zu einer umfassenden Bewertung der sozioökonomischen Entwicklung, wie sie insbesondere von Ökonomen wie Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Jean-Paul Fitoussi gefordert wird. In seiner Methodik orientiert sich der SEDA-Index am Anspruch der Transparenz – sowohl in der Auswahl der Indikatoren als auch in der Darstellung der Datenbasis, auf die sich die Ergebnisse stützen. Verwendet werden ausschließlich öffentlich zugängliche Daten, die für alle einbezogenen Länder vorliegen und eine jährliche Aktualisierung ermöglichen. Wir beabsichtigen, die SEDAMethodik fortlaufend zu optimieren sowie Anregungen aus der Praxis, Wissenscha und Wirtscha aufzunehmen. Die vorliegende Studie stellt die Ergebnisse des ersten SEDA-Reports vor, erweitert um ergänzende Analysen zu Deutschland. Eine elementare Frage allerdings schwingt bei dieser Betrachtung mit: Kann man Lebensqualität objektiv definieren? Eine Stärke der neu entwickelten Konzepte zur Messung von Wohlstand ist zweifellos die Vielfalt und Breite der Lebensbedingungen, die sie über rein materielle Daten hinaus erfassen. Zugleich werfen die alternativen Ansätze ein grundsätzliches Problem auf: Die Definition von Wohlstand und die Auswahl der relevanten Faktoren für Lebensqualität in einer Volkswirtscha hängen maßgeblich von kulturellen Prägungen ab. So akzeptieren beispielsweise angelsächsische Gesellschaen ein deutlich höheres Maß an materieller Ungleichheit, als dies in Skandinavien oder Deutschland der Fall ist. Umgekehrt wird in Deutschland oder den skandinavischen Ländern stabilen sozialen Beziehungen oder Bereichen wie Freizeit und Umweltschutz ein höherer Wert und damit Einfluss auf die Lebensqualität zugemessen. Ein dynamischer Vergleich von Volkswirtschaen zeigt Stärken und Handlungsbedarf. Das SEDA-Konzept ermöglicht mehrdimensionale und dynamische Vergleiche des Wohlstands und der Lebensqualität zwischen Ländern oder Ländergruppen. Die Resultate, die sich daraus ergeben, liefern wichtige erste Erkenntnisse für die Identifikation von Fokusbereichen und Verbesserungspotenzialen für die Lebensqualität in einem Land. Basierend auf den SEDA-Ergebnissen können so weitere Analysen durchgeführt werden, um die Ursachen für das gute 8 | T B C G Im ersten Teil werden die SEDA-Resultate zur sozioökonomischen Entwicklung von Volkswirtschaen weltweit und in Europa dargestellt. Der zweite Teil betrachtet die Situation in Deutschland im Vergleich zu ausgewählten Referenzgruppen. Dabei zeigt sich, dass Deutschland in den vergangenen Jahren in vielen Feldern im internationalen wie europäischen Vergleich eine beachtliche Entwicklung vorweisen kann; ebenso geben die Ergebnisse Aufschluss darüber, in welchen Feldern Handlungsbedarf erkennbar ist. Dazu zählen beispielsweise die „Großbaustellen“ Bildung und Gesundheitswesen, eine höhere Erwerbsbeteiligung oder der Erhalt und Ausbau der Infrastruktur. Der wesentliche Beitrag, den Ländervergleiche wie der vorliegende leisten können, besteht im „Blick über den Tellerrand“ – der Erweiterung der Binnenperspektive. Wie gehen andere Volkswirtschaen mit vergleichbaren Herausforderungen um? Wo werden neue Konzepte erprobt, und mit welchem Erfolg? Daraus lassen sich Anregungen gewinnen, welche die Diskussion über die künige sozioökonomische Entwicklung in Deutschland erweitern und bereichern können. Das SEDA-Konzept richtet sich nicht allein an die politischen Entscheidungsträger, sondern ebenso an die Unternehmensführungen. Insbesondere Unternehmen, die international tätig sind und langfristige Investitionsentscheidungen treffen müssen, können die auf der SEDA-Analyse basierenden Prognosen zur langfristigen Entwicklung eines Landes nutzen. SEDA EIN MASSSTAB FÜR LEBENSQUALITÄT D AS SEDAKONZEPT, DAS von einem BCG-Forschungsteam in Singapur entwickelt wurde, beurteilt Wohlstand und Lebensqualität einer Volkswirtscha anhand von zehn Dimensionen (s. Abbildung 1). Dabei basiert SEDA auf einem westlichen Verständnis von Wohlstand und Lebensqualität, das beispielsweise umweltfreundliches Wirtschaen und die Gleichberechtigung der Geschlechter positiv bewertet. Bild der sozioökonomischen Lage in Volkswirtschaen, ist aber kein absolutes Maß für Lebensqualität, sondern versteht sich als relatives Analyseinstrument. Sustainable Economic Development Assessment: Ein multidimensionaler Ansatz Die zehn SEDA-Dimensionen sind: (1) Einkommen, (2) Wirtschasstabilität, (3) Arbeitsmarkt, (4) Einkommensverteilung, (5) Zivilgesellscha , (6) Staatsapparat, (7) Bildung, (8) Gesundheit, (9) Umwelt und (10) Infrastruktur. Darüber hinaus zeichnet sich SEDA dadurch aus, dass ökonomischer Wohlstand zu Lebensqualität in einem weit gefassten Verständnis ins Verhältnis gesetzt werden kann. SEDA liefert ein multidimensionales ABBILDUNG 1 | Die zehn Dimensionen des SEDA Vergleicht das Level der allgemeinen Infrastruktur; beispielsweise bzgl. Wasser, Transport, Abwasser und Kommunikation Vergleicht das Einkommen anhand des BIP pro Kopf Vergleicht die Wirtschaʶsstabilität einschließlich der Inʴationsrate und der Volatilität des BIP-Wachstums SEDA Sustainable Economic Development Assessment Vergleicht den Zugang zu Bildung und die Bildungsqualität Vergleicht die Eʫektivität und Qualität von staatlichen Einrichtungen sowie Transparenz, Stabilität und Freiheitsrechte Quelle: BCG 9 | T B C G Arbeitsmarkt Vergleicht den Zugang der Bevölkerung zur Gesundheitsversorgung, Sterblichkeitsraten und Erkrankungsraten Gesundheit Vergleicht die Qualität der Umwelt sowie gesetzliche Schutzmaßnahmen Vergleicht die Beschäʶigungsverhältnisse Vergleicht die Einkommensunterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen Vergleicht den gesellschaʶlichen Zusammenhalt, beispielsweise den Grad des Zusammenhalts zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, Bürgerbeteiligung und Geschlechtergleichheit Nicht-ökonomische Dimensionen Ökonomische Dimensionen Die ersten vier Dimensionen messen die Lebensqualität unter ökonomischen Aspekten: Einkommen ist der maßgebliche Faktor für den Zugang zu materiellen und immateriellen Gütern in einer Volkswirtscha; Wirtschasstabilität umfasst Indikatoren wie Inflation und die Volatilität des BIP-Wachstums. Der Arbeitsmarkt ist ein entscheidender Faktor für die Stärke einer Volkswirtscha; zudem wird die subjektive Lebensqualität von der Beschäigungssituation erheblich beeinflusst. Die Einkommensverteilung gibt Auskun darüber, wie materieller Wohlstand in der Gesamtbevölkerung verteilt ist. Sechs weitere Dimensionen erfassen gesellschaliche und politische Faktoren, die für die Lebensqualität in einer Volkswirtscha – aus westlicher Sicht – von maßgeblicher Bedeutung sind: Eine funktionierende Zivilgesellscha versetzt die Bürger eines Landes in die Lage, die öffentliche Sphäre, die ihre Lebensumstände beeinflusst, mitzugestalten. Gesellschaliches Engagement und Vertrauen in die öffentlichen Institutionen sowie Gleichberechtigung der Geschlechter spielen dafür eine wichtige Rolle. Ein funktionierender Staatsapparat – gemessen an Kriterien wie Korruption, Rechtsstaatlichkeit, Stabilität und Freiheitsrechten – wird als eine weitere Grundvoraussetzung für Lebensqualität angesehen. Ebenso gilt, dass die Qualität von und der Zugang zu Bildung entscheidende Komponenten der Lebensqualität in modernen Gesellschaen darstellen. Bildung beeinflusst das Einkommen sowie Chancen auf gesellschaliche Teilhabe und wird zugleich als Wert an sich wahrgenommen. Die Dimension Gesundheit umfasst Indikatoren wie Kindersterblichkeit und Krankheitsraten sowie den Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Dimension Umwelt berücksichtigt unter anderem den Schutz vor schädlichen Emissionen und den Anteil naturgeschützter Flächen in den einbezogenen Ländern. Schließlich wirken sich Qualität und Verfügbarkeit der Infrastruktur sowohl auf den Wohlstand wie auch auf die Lebensqualität aus. Um Volkswirtschaen im Zeitverlauf bewerten und innerhalb geeigneter Referenzgruppen vergleichen zu können, werden die einzelnen Dimensionen quantitativ erfasst. Die Daten, aus denen sich die Länderwerte für jede der Dimensionen ableiten, wurden nach drei Kriterien ausgewählt: (1) Sie müssen aus öffentlich zugänglichen und verlässlichen Quellen stammen, (2) jährlich aktualisiert werden und (3) für eine große Zahl von Ländern verfügbar sein. Insgesamt 51 Indikatoren wurden für die Bewertung der zehn Dimensionen herangezogen. Dazu zählen neben Daten der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds vor allem Zahlen der Vereinten Nationen, beispielsweise zu Bildung und Gesundheit, sowie des jährlich vom World Economic Forum erstellten „Global Competitiveness Report“, z. B. zur Bewertung von Staatsapparat und Infrastruktur (s. Anhang). » Eine der großen Stärken des SEDA ist sein umfangreiches Datenfundament. Hinter den zehn Dimensionen liegen 51 Indikatoren, die alle aus öffentlich zugänglichen Quellen renommierter Institutionen wie IWF, OECD oder Weltbank gebildet werden. Diese fundierte Datenbasis ermöglicht komplexe und nachvollziehbare Analysen. « Enrique Rueda-Sabater (Senior Advisor, Washington, D.C.) 10 | T B C G Anders als viele Konzepte, die sich auf jährlich aktualisierte, statische Bewertungen beschränken, analysiert SEDA die sozioökonomische Entwicklung einer Volkswirtscha bezogen auf drei unterschiedliche Zeithorizonte. Der erste Horizont nimmt das aktuelle Level der sozioökonomischen Entwicklung in den Blick; der zweite Horizont beschreibt die Fortschritte, die ein Land hinsichtlich der einzelnen Dimensionen der Lebensqualität in den zurückliegenden fünf Jahren erreicht hat. In einem weiteren, dritten Zeithorizont werden Aussagen über die Nachhaltigkeit der Lebensqualität getroffen. Dabei fließen zusätzliche Indikatoren und Annahmen ein, die sich auf Forschungen zur sozioökonomischen Entwicklung von Volkswirtschaen sowie Ergebnisse aus BCG-Projekten im öffentlichen Sektor in verschiedenen Ländern stützen. SEDA-Werte beziehen sich auf Relationen, das heißt den Vergleich verschiedener Länder. Erhält ein Land die höchste SEDAPunktzahl (100) in einer Dimension, so besagt dies, dass es relativ zu den anderen 149 Ländern in dieser Dimension besser abschneidet, nicht jedoch, dass damit ein „Idealzustand“ erreicht wäre. Aus den SEDA-Werten wird insbesondere im zweiten Zeithorizont, der die Fortschritte im Fünahresvergleich bewertet, erkennbar, in welchen Bereichen ein Land auf einem guten oder weniger guten Weg der Entwicklung ist. Mit dem Ziel der Förderung von Wohlstand und Lebensqualität in einer Volkswirtscha lässt sich durch den Vergleich mit Referenzgruppen ableiten, auf welchen Feldern die (relativen) Stärken und Schwächen liegen und wo entsprechende Schwerpunkte gesetzt werden können. Mit SEDA soll in erster Linie nicht ein weiteres Instrument vorgestellt werden, das Auskun über die „Position“ eines Landes in einem – unterschiedlich definierten – Wettbewerb gibt. Vielmehr zielt SEDA darauf ab, die möglichen Ursachen für das relative Abschneiden in den einzelnen Dimensionen zu beleuchten und die Diskussion um Hinweise auf vergleichbare, in manchen Gebieten besonders erfolgreiche Volkswirtschaen zu bereichern. » SEDA besticht durch eine vielschichtige Beurteilung der Lebensqualität entlang von zehn verschiedenen Dimensionen. Dabei betont SEDA nicht allein ökonomische, sondern auch nicht-ökonomische Aspekte, die nur gemeinsam ein Abbild der Lebensqualität ergeben. Gleichzeitig liefert SEDA keine Momentaufnahme, sondern erlaubt eine dynamische Evaluation über drei Zeithorizonte: Fortschritt, aktuelles Level und Nachhaltigkeit. « Douglas Beal (Partner, Dubai) 11 | T B C G Einkommen und Lebensqualität Zu den Besonderheiten des SEDA-Konzepts zählt die Verknüpfung von ökonomischem Wohlstand und Lebensqualität im Hinblick auf die zehn definierten Dimensionen. Mit Hilfe zweier Koeffizienten können Aussagen darüber getroffen werden, wie gut es einer Volkswirtscha gelingt, ökonomische Entwicklungen in Veränderungen der Lebensqualität zu übersetzen. Zu diesem Zweck wurden zwei Kennziffern gebildet: Der Wohlstand-Lebensqualität-Koeffizient setzt den aktuellen SEDA-Wert eines Landes in Relation zu dem Wert, der aufgrund seines Pro-Kopf-BIP zu erwarten wäre; der Wachstum-Lebensqualität-Koeffizient vergleicht den SEDA-Wert eines Landes bezogen auf die jüngsten Fortschritte mit dem Wert, der aufgrund des Wachstums des Pro-Kopf-BIP geschätzt wird. veau des weltweiten Durchschnitts bewegt. Ist der Wert größer als 1, zeigt dies, dass die Lebensqualität eines Landes höher ist, als es das Pro-Kopf-BIP erwarten ließe; umgekehrt signalisiert ein Koeffizient unter 1, dass die Lebensqualität in einem Land geringer ist, als man aufgrund der ökonomischen Situation annehmen würde. Gleiches gilt für die Rückschlüsse, die der Wachstum-Lebensqualität-Koeffizient erlaubt: Liegt der Wert über 1, so ist es einer Volkswirtscha gelungen, die Lebensqualität stärker zu verbessern, als dies gemessen am BIP-Wachstum zu erwarten wäre; ein Koeffizient unter 1 dagegen zeigt an, dass die Volkswirtscha weniger erfolgreich dabei war, BIP-Wachstum in steigende Lebensqualität umzusetzen, als der Durchschnitt der betrachteten Länder. Ein Wohlstand-Lebensqualität-Koeffizient von 1 bedeutet, dass ein Land sich im Hinblick auf die Übersetzung von materiellem Wohlstand in Lebensqualität auf dem Ni- Abbildung 2 fasst die SEDA-Methodik zusammen und stellt die Bedeutungen der zentralen SEDA-Begriffe Zeithorizont, Dimension und Indikator einander gegenüber. ABBILDUNG 2 | Die SEDA-Methodik auf einen Blick SEDA Das BCG Sustainable Economic Development Assessment ist ein dynamisches Auswertungskonzept zum Vergleich der Lebensqualität einer Vielzahl von Ländern entlang mehrerer Zeithorizonte und Dimensionen Fortschritt Zeithorizont Alle Länder werden dynamisch mittels dreier Zeithorizonte verglichen Dimension SEDA analysiert Lebensqualität basierend auf zehn Dimensionen Indikator Bewertet die sozioökonomische Weiterentwicklung eines Landes in einem Fünʰahreszeitraum (2006 – 2011) Ökonomische Dimensionen Die SEDA-Dimensionen basieren auf 51 Indikatoren aus renommierten Quellen Wohlstand-Lebensqualität-Koeʯzient Der Wohlstand-Lebensqualität-Koeʯzient vergleicht den aktuellen SEDA-Wert eines Landes mit dem Wert, der aufgrund seines ProKopf-BIP zu erwarten wäre. Dies ermöglicht eine Aussage darüber, wie gut es einer Volkswirtschaʶ gelingt, materiellen Wohlstand in Lebensqualität für die Bevölkerung umzusetzen. Quelle: BCG 12 | T B C G Aktuelles Level Evaluiert den aktuellen sozioökonomischen Entwicklungsstand der 150 untersuchten Länder Einkommen (BIP pro Kopf) Wirtschaʶsstabilität Arbeitsmarkt Einkommensverteilung Nichtökonomische Dimensionen Nachhaltigkeit Untersucht, ob zentrale Nachhaltigkeitsfaktoren für zukünʶige sozioökonomische Entwicklung erfüllt sind Zivilgesellschaʶ Staatsapparat Bildung Gesundheit Umwelt Infrastruktur Siehe Abbildung 1 Den Zeithorizonten Aktuelles Level und Fortschritt unterliegen dieselben Indikatoren Der Zeithorizont Nachhaltigkeit bezieht weitere Indikatoren ein Siehe Tabelle 1 im Anhang Siehe Tabelle 2 im Anhang Wachstum-Lebensqualität-Koeʯzient Der Wachstum-Lebensqualität-Koeʯzient vergleicht den SEDA-Wert eines Landes (Zeithorizont Fortschritt) mit dem Wert, der aufgrund des Wachstums des Pro-Kopf-BIP zu erwarten wäre, und zeigt, wie gut ein Land Wohlstandsgewinne in Verbesserungen der Lebensqualität umsetzen konnte. LEBENSQUALITÄT IM WELTWEITEN VERGLEICH D AS SEDAKONZEPT ERLAUBT vergleichende Betrachtungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. So können Volkswirtschaen weltweit, nach Regionen oder spezifischen Referenzgruppen verglichen werden. Darüber hinaus können SEDA-Werte entlang der drei Zeithorizonte und zehn Dimensionen evaluiert werden, ebenso das Verhältnis von Wohlstand und Wachstum bezogen auf die Lebensqualität. Globale Perspektive Im weltweiten Vergleich der SEDA-Werte für den aktuellen Status der Volkswirtschaen ergibt sich ein wenig überraschendes Bild (Abbildung 3). Im obersten Quintil finden sich die entwickelten Industrienationen, darunter die USA, die skandinavischen Länder, Japan und Deutschland. Norwegen erreicht den SEDA-Höchstwert von 100. Im untersten Quintil sind afrikanische Länder anzutreffen, aber auch Pakistan, Jemen oder der Irak. Obwohl der weltweite Vergleich auf den ersten Blick der Rangfolge des BIP pro Kopf zu folgen scheint, lassen sich Unterschiede zu gängigen Wohlstandsmessungen erkennen: So finden sich beispielsweise die nördlichen Länder Südamerikas, die Mongolei oder auch Äquatorialguinea im mittleren Quintil mit deutlich höheren SEDA-Werten als Länder mit ähnlich niedrigem BIP pro Kopf, wie etwa Laos oder die Republik Kongo. ABBILDUNG 3 | SEDA-Werte im weltweiten Vergleich – Aktuelles Level Lebensqualität Aktuelles Level Höchste 20 % Zweite 20 % Dritte 20 % Weltweite Quintile Vierte 20 % Niedrigste 20 % Keine Daten Quelle: BCG-Analyse 13 | T B C G Zu einem deutlich anderen Ergebnis führen die SEDA-Werte bezogen auf den zweiten Zeithorizont, der die Fortschritte in den vergangenen fünf Jahren betrachtet (Abbildung 4). Hier dominieren Länder in Südamerika, einige ost- und vereinzelte westeuropäische Staaten. Diese Staaten haben – relativ betrachtet – die größten Verbesserungen erzielt. Auffällig ist, dass sich in der Spitzengruppe Länder mit sehr unterschiedlichen Einkommensniveaus finden. Sowohl afrikanische Staaten mit einem BIP pro Kopf von weniger als US-$ 1.000 als auch die Schweiz mit mehr als $ 80.000 erreichen hohe SEDAWerte im Zeithorizont Fortschritt. Deutschland findet sich in dieser Betrachtung nicht auf den vorderen Rängen, sondern liegt auf Platz 63 und damit hinter Österreich und der Schweiz, allerdings vor den USA. Den höchsten SEDA-Wert im Zeithorizont Fortschritt verzeichnet Brasilien. Ein Vergleich mit den anderen BRIC-Ländern zeigt: Obwohl die größte südamerikanische Volkswirtscha nur ein mittelmäßiges BIPWachstum aufweist, erreicht Brasilien hohe SEDA-Werte in Dimensionen wie Staatsapparat, Umwelt oder Infrastruktur. In der Schlussgruppe der SEDA-Werte für Fortschritt finden sich neben Ländern aus Afrika oder Asien auch einige westliche Nationen wie die USA, Irland und Dänemark. ABBILDUNG 4 | SEDA-Werte im weltweiten Vergleich – Fortschritt Lebensqualität Fortschritt Höchste 20 % Zweite 20 % Dritte 20 % Weltweite Quintile Vierte 20 % Niedrigste 20 % Keine Daten Quelle: BCG-Analyse Wieder ein anderes Bild liefert der SEDAHorizont Nachhaltigkeit, der Werte der einzelnen Länder für eine nachhaltig positive zukünige Entwicklung der Lebensqualität gegenüberstellt (Abbildung 5). Hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie im Vergleich der SEDA-Werte für das aktuelle Level: Die Industriestaaten Westeuropas, Nordamerikas und aus dem pazifischen Raum finden sich in den obersten Quintilen, während vornehmlich afrikanische Staaten das letzte Quintil bilden. Norwegen führt die Liste 14 | T B C G wiederum an, Deutschland folgt auf Platz 13 vor den USA (18). Dennoch zeigen sich im Vergleich auch hier überraschende Ergebnisse: So platziert sich Malaysia beispielsweise im zweithöchsten Quintil. Dies lässt sich im Wesentlichen darauf zurückführen, dass das Land in den Dimensionen Bildung und Infrastruktur hohe SEDA-Werte erreicht, unter anderem aufgrund einer für die Region hohen Einschulungsrate von Mädchen und einer sehr hohe Internetnutzerquote. ABBILDUNG 5 | SEDA-Werte im weltweiten Vergleich – Nachhaltigkeit Lebensqualität Nachhaltigkeit Höchste 20 % Zweite 20 % Dritte 20 % Weltweite Quintile Vierte 20 % Niedrigste 20 % Keine Daten Quelle: BCG-Analyse Neben den drei Zeithorizonten untersucht SEDA, wie gut es einer Volkswirtscha gelingt, Einkommen und Wirtschaswachstum in Lebensqualität zu übersetzen. Abbildung 6 stellt den Wohlstand-Lebensqualität-Koeffizienten dar. Dabei wird der SEDAWert im Zeithorizont Aktuelles Level dem BIP pro Kopf gegenübergestellt. Die rote Regressionskurve zeigt die zu erwartende Positionierung, wenn die Übersetzung von Einkommen in Lebensqualität dem Durchschnitt entspricht. Volkswirtschaen wie Frankreich, Japan oder die USA erreichen geringere Werte. Dagegen zeigt sich, dass Länder mit deutlich niedrigeren Einkommensniveaus, darunter die osteuropäischen Staaten Polen, Ungarn oder Lettland, hohe Ergebnisse in dieser Betrachtung aufweisen. Sie erzielen einen durchschnittlichen Wohlstand-Lebensqualität-Koeffizienten von 1,2; im Durchschnitt liegt der Wohlstand-Lebensqualität-Koeffizient ihrer Einkommensgruppe (zwischen $ 12.000 und $ 27.000) bei 0,9. Im Vergleich der 150 Länder lassen sich vier Segmente erkennen: Westeuropa, Osteuropa, die afrikanischen Länder und die Golfstaaten. Große Teile Westeuropas überzeugen durch eine effiziente Umsetzung von materiellem Wohlstand in Lebensqualität und positionieren sich mit Wohlstand-Lebensqualität-Koeffizienten von teilweise weit über 1 in der internationalen Spitzengruppe. Deutschland erzielt einen Koeffizienten von 1,1 und übersetzt damit sein hohes BIP etwas besser in Lebensqualität als der Länderdurchschnitt. Viele vergleichbar hoch entwickelte Diese Ergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, dass ein hohes BIP pro Kopf nicht zwangsläufig mit einer hohen Lebensqualität einhergeht. Viele ölreiche Golfstaaten erreichen zwar ein hohes Pro-KopfBIP, jedoch nur niedrige SEDA-Werte für Lebensqualität. So liegt etwa Kuwaits BIP pro Kopf bei $ 41.690; im SEDA-Vergleich erzielt Kuwait jedoch einen WohlstandLebensqualität-Koeffizienten, der nur leicht oberhalb von 0,7 liegt. Ein ähnliches Bild zeigt die SEDA-Betrachtung für eine Reihe ressourcenreicher afrikanischer Länder. 15 | T B C G ABBILDUNG 6 | Wohlstand-Lebensqualität-Koeffizient WohlstandLebensqualitätKoeʯzient Große Teile Westeuropas stechen durch eʯziente Umsetzung von Einkommen in Lebensqualität heraus SEDA-Wert Aktuelles Level Norwegen 1,2 Schweden 100 Schweiz Deutschland Große Teile Osteuropas mit ähnlicher Eʯzienz wie Westeuropa bei der Umsetzung von Einkommen in Lebensqualität 80 70 Japan Spanien Italien Hongkong Polen Lettland 1 USA Frankreich Ungarn 1,1 0,8 0,7 Brasilien 50 Golfstaaten mit geringer Eʯzienz, bei hohem Einkommen Lebensqualität zu erzielen Russland 40 30 China 0,6 0,5 Niedrige Eʯzienz bei der Umsetzung von Wohlstand in Lebensqualität 0,4 Südafrika Ressourcenreiche afrikanische Staaten mit Verbesserungspotenzial bei der Umsetzung von Einkommen in Lebensqualität 20 10 bei der Umsetzung von Wohlstand in Lebensqualität 0,9 Kuwait 60 Hohe Eʯzienz Indien 0 0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000 40.000 45.000 50.000 Einkommen (BIP pro Kopf in $ bei Kauʲraʶparität)1 Osteuropa und Zentralasien Afrika südl. der Sahara Ozeanien Süd- und Ostasien Nordafrika und Naher Osten Lateinamerika und Karibik Westeuropa ASEAN Einwohner 90 1,3 Nordamerika 1. Die BIP-Levels von Katar ($ 102.943), Luxemburg ($ 80.119) und Norwegen ($ 53.470) wurden auf das Maximum der Matrix angepasst ($ 50.000). Anmerkung: Rote Linie basiert auf Regressionsanalyse (Polynom 2. Ordnung). Quelle: BCG-Analyse 16 | T B C G ABBILDUNG 7 | Wachstum-Lebensqualität-Koeffizient WachstumLebensqualitätKoeʯzient Steigerung der Lebensqualität (SEDA-Wert Fortschritt) Polen Brasilien 100 80 1,1 1 Äthiopien Indonesien 90 1,2 Angola 0,8 0,7 China Indien 60 0,6 Russland Italien 0,5 50 Mexiko 40 Irland Bahrain 30 bei der Umsetzung von Wachstum in Steigerung der Lebensqualität 0,9 Deutschland Frankreich 70 Hohe Eʯzienz 0,4 Sudan USA Niedrige Eʯzienz bei der Umsetzung von Wachstum in Steigerung der Lebensqualität 0,3 20 0 -2,5 0,0 2,5 5,0 10,0 7,5 12,5 Wachstum des BIP pro Kopf (%) Osteuropa und Zentralasien Afrika südl. der Sahara Ozeanien Süd- und Ostasien Nordafrika und Naher Osten Lateinamerika und Karibik Westeuropa ASEAN Einwohner Madagaskar 10 Nordamerika Anmerkung: Rote Linie basiert auf linearer Regression. Quelle: BCG-Analyse Analog ermittelt der Wachstum-LebensqualitätKoeffizient, wie Wirtschaswachstum (durchschnittliche Steigerung des BIP pro Kopf im Fünahreszeitraum) in eine Verbesserung der Lebensqualität (SEDA-Punktzahl des Fortschritts-Horizonts) umgesetzt wird. Die rote Regressionsgerade in Abbildung 7 zeigt die durchschnittlichen Werte aller Länder. Anders als beim Wohlstand-LebensqualitätKoeffizienten bilden hier Länder aus sämtlichen Erdteilen das oberste Quintil. Polen, Albanien, Indonesien und Kambodscha rangieren in den Top 20, ebenso wie die Schweiz, Neuseeland oder Kenia. Deutsch- 17 | T B C G land erzielt in dieser Betrachtung ebenfalls eine Positionierung unter den Top 20 mit einem Koeffizienten von 1,2. Auf dem ersten Platz findet sich erneut Brasilien mit einem Wachstum-Lebensqualität-Koeffizienten von 1,5. Im Zeitraum von 2006 bis 2011 erzielte Brasilien ein jährliches BIP-Wachstum von durchschnittlich 5,1 Prozent. Gleichzeitig verbesserte sich die Lebensqualität so deutlich, wie es bei einem Wirtschaswachstum von durchschnittlich 13 Prozent zu erwarten wäre. Brasilien setzte sein Wachstum also sehr effizient in eine Steigerung der Lebensqualität entlang fast aller SEDA-Dimensionen um. ABBILDUNG 8 | Wohlstand und Lebensqualität im europäischen Vergleich Aktuelles Level Fortschritt Nachhaltigkeit Lebensqualität Höchste 20 % Zweite 20 % Dritte 20 % Europäische Quintile Vierte 20 % Niedrigste 20 % Keine Daten Quelle: BCG-Analyse SEDA-Werte im europäischen Vergleich Es liegt auf der Hand, dass die Aussagekra von SEDA als Maßstab für Wohlstand und Lebensqualität einer Volkswirtscha mit der Begrenzung auf Regionen und vergleichbare Volkswirtschaen steigt. Im Blick auf die europäischen Länder ergeben sich für die drei SEDA-Zeithorizonte die in Abbildung 8 gezeigten Einstufungen. Deutschland bildet hier gemeinsam mit der Schweiz, Österreich, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern die 18 | T B C G Spitzengruppe im SEDA-Horizont Aktuelles Level, findet sich jedoch im Hinblick auf die SEDA-Horizonte Fortschritt und Nachhaltigkeit nicht im obersten Quintil. Frankreich zählt in allen SEDA-Horizonten zum zweiten Quintil; Großbritannien gehört bei den Horizonten Aktuelles Level und Nachhaltigkeit zum zweiten, im Horizont Fortschritt zum dritten Quintil; Spanien und Italien finden sich im Fortschritts-Horizont sogar in der Gruppe der europäischen Länder mit den niedrigsten SEDA-Werten. LEBENSQUALITÄT IN DEUTSCHLAND Überblick A LS RELATIVER INDEX beziehen sich die SEDA-Werte auf den Vergleich zwischen Ländern, sodass die Auswahl der Referenzgruppe entscheidend ist für die Aussagekra der SEDA-Werte. Insbesondere für die deutsche Volkswirtscha , die aufgrund ihrer Exportorientierung in hohem Grade in die globalen ökonomischen Verflechtungen eingebunden ist, wäre eine Verengung des Blicks auf die Binnensicht wenig sinnvoll. Sowohl die Entwicklung der Volkswirtschaen in Europa als auch die Entwicklung der Schwellenländer beeinflussen maßgeblich die nachhaltige Leistungsfähigkeit und die Zukunsperspektiven der deutschen Ökonomie. Für eine vergleichende Betrachtung der Lebensverhältnisse in Deutschland bieten sich drei Referenzgruppen an. • Eine erste Gruppe (A) umfasst neben Deutschland die vier EU-Länder Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien, die aufgrund ihrer Größe und ihres politischen Systems mit Deutschland vergleichbar sind. Abbildung 9 zeigt, dass Deutschland in allen drei SEDA-Horizonten höhere Werte erreicht als der 19 | T B C G Durchschnitt dieser vier Länder. Besonders deutliche Unterschiede werden im SEDA-Horizont Fortschritt sichtbar: Hier liegen die SEDA-Werte der großen EULänder um 10 Punkte niedriger als für Deutschland. • Eine zweite Referenzgruppe (B) bildet eine Gruppe von Ländern, die im SEDAIndex besonders hohe Werte erreichen. Dazu zählen Norwegen, Schweden, Finnland, Österreich, die Niederlande und die Schweiz. Diese Länder finden sich im SEDA-Horizont Aktuelles Level im höchsten Quintil der europäischen Länder und zählen auch in der globalen Betrachtung von insgesamt 150 Staaten zur Spitzengruppe. • Eine dritte Referenzgruppe (C) besteht aus den Industrieländern USA, Japan und Südkorea, die sich im Hinblick auf Wirtschasstärke oder technologische Entwicklung auf ähnlichem Niveau befinden wie Deutschland. Im SEDAHorizont Aktuelles Level gehören diese drei Volkswirtschaen weltweit zum obersten Quintil. ABBILDUNG 9 | SEDA-Werte für Deutschland im Vergleich zu Referenzgruppen A Große EU-Länder FRA ESP B GBR ITA Größte westeuropäische EU-Länder mit einer mit Deutschland vergleichbaren Wirtschaʶsstärke SEDA-Ergebnis Ø A Aktuelles Level Fortschritt Nachhaltigkeit 83 Sehr hoch bewertete europäische Staaten1 NOR NLD CHE SEDA-Ergebnis 81 AUT Ø B 96 Aktuelles Level Fortschritt 60 FIN SWE Europäische Staaten im obersten europäischen Quintil des SEDA-Horizonts Aktuelles Level2 Nachhaltigkeit 67 C Große internationale Industrieländer USA SEDA-Ergebnis Aktuelles Level Fortschritt 95 JPN KOR Größte internationale Industrieländer im obersten weltweiten Quintil des SEDAHorizonts Aktuelles Level Nachhaltigkeit Ø C 85 65 82 1. Im SEDA-Horizont Aktuelles Level 2. Ohne Island, da Bevölkerung < 400.000 Anmerkung: Dargestellt ist die Durchschnittspunktzahl der jeweiligen Länder der Referenzgruppen im Vergleich zu Deutschland. Quelle: BCG-Analyse Neben einem Überblick bezogen auf die SEDA-Zeithorizonte lässt sich ein Vergleich Deutschlands innerhalb der drei Referenzgruppen auf Ebene der einzelnen SEDA-Dimensionen vornehmen. Dabei wird sichtbar, dass Deutschland in einigen Dimensionen zur Spitzengruppe zählt, in anderen Feldern dagegen vergleichsweise niedrige SEDA-Werte erreicht. In der Dimension Einkommen (gemessen am BIP pro Kopf) liegt der SEDA-Wert für Deutschland im Zeithorizont Aktuelles Level niedriger als der Wert der Referenzgruppen B und C und über dem Durchschnitt der Referenzgruppe A, zu der die neben Deutschland vier größten EU-Mitgliedsländer zählen (s. Abbildung 10). Die SEDA- 20 | T B C G Werte für Wirtschasstabilität sind innerhalb der Referenzgruppen ähnlich hoch. In der Dimension Arbeitsmarkt findet sich die Bundesrepublik mit einer besonders guten Positionierung: Deutschland ist eines der wenigen Länder, die auch in der Krise ihren Arbeitsmarkt stabilisieren und die Arbeitslosenzahlen niedrig halten konnten. Auch im Hinblick auf die Einkommensverteilung belegt Deutschland innerhalb der Vergleichsgruppen eine gute Position: In der Bundesrepublik sind die Einkommen gleichmäßiger verteilt als in den großen EU-Staaten sowie in den USA, Japan und Südkorea. Vor allem die nordeuropäischen Staaten erreichen in dieser Dimension jedoch erheblich bessere SEDA-Werte als Deutschland. ABBILDUNG 10 | Aktuelles Level: SEDA-Werte für Deutschland im Vergleich zu Referenzgruppen SEDA-Horizont Aktuelles Level 100 95 Ø B 90 85 80 75 Ø C 70 Ø A 65 60 0 Einkommen Wirtschaʶsstabilität Deutschland A Arbeitsmarkt Große EU-Länder Einkommensverteilung B Zivilgesellschaʶ Staatsapparat Sehr hoch bewertete europäische Staaten Bildung C Gesundheit Umwelt Infrastruktur Große internationale Industrieländer Anmerkung: Dargestellt sind die Durchschnittspunktzahlen der jeweiligen Länder der Referenzgruppen. Quelle: BCG-Analyse In den SEDA-Dimensionen Zivilgesellscha und Staatsapparat rangiert Deutschland ebenfalls deutlich vor den großen EUMitgliedsländern und den internationalen Industrieländern, jedoch hinter den sehr hoch bewerteten europäischen Staaten. Auffällig – wenn auch wenig überraschend – ist, dass die Bundesrepublik vor allem in der SEDA-Dimension Bildung gegenüber allen Referenzgruppen zurückliegt. Die aus den USA, Japan und Südkorea bestehende Gruppe erzielt hier das beste Durchschnittsresultat. In den Dimensionen Gesundheit, Umwelt und Infrastruktur dagegen findet sich Deutschland vor den Durchschnittsbewertungen aller Referenzgruppen. 21 | T B C G Zu den Besonderheiten des SEDA-Profils für Deutschland zählt, dass die Unterschiede zwischen den SEDA-Werten in den einzelnen Dimensionen geringer sind als in vielen anderen Ländern. Ein direkter Vergleich Deutschlands mit den USA illustriert diesen Befund (s. Abbildung 11). Während die Differenz zwischen dem höchsten SEDA-Wert der Vereinigten Staaten in der Dimension Bildung und dem niedrigsten SEDA-Wert im Bereich Einkommensverteilung ganze 47 Punkte ausmacht, ist diese Spannweite im Falle Deutschlands deutlich geringer: Sie beträgt 28 Punkte für die Differenz zwischen den SEDA-Werten für die Dimensionen Umwelt und Einkommen. Dies lässt sich dahingehend interpretieren, dass Deutschland eine vergleichsweise ausgewogene Entwicklung von Wohlstand und Lebensqualität, wie sie in den zehn SEDA-Dimensionen erfasst werden, aufweist. ABBILDUNG 11 | SEDA-Werte für Deutschland im Vergleich zu den USA SEDA-Horizont Aktuelles Level 95 90 85 28 Punkte 80 75 70 47 Punkte 65 60 55 50 0 Einkommen Wirtschaʶsstabilität Arbeitsmarkt Einkommensverteilung Zivilgesellschaʶ Staatsapparat Bildung Gesundheit Umwelt Infrastruktur Quelle: BCG-Analyse Im SEDA-Horizont Fortschritt (s. Abbildung 12) wird erkennbar, dass sowohl Deutschland als auch die Referenzgruppen in vielen SEDA-Dimensionen im Fünahreszeitraum von 2006 bis 2011 teilweise deutliche Fortschritte verzeichnen. Besonders positive Ergebnisse erzielt Deutschland in den Dimensionen Arbeitsmarkt und Umwelt; eine negative Entwicklung zeigt sich in der Dimension Einkommensverteilung. Im Vergleich aller Referenzländer findet sich Deutschland hier auf dem vorletzten Platz. Die Diskrepanz 22 | T B C G zwischen Deutschlands vorteilhaer Position im SEDA-Horizont Aktuelles Level und der weniger vorteilhaen Position im SEDAHorizont Fortschritt für die gleiche Dimension (Einkommensverteilung) illustriert die Vorzüge des SEDA-Index: Ein statischer Blick würde zu einer positiven Aussage führen, aus der sich keine Änderungsnotwendigkeit ableiten lässt; der entwicklungsbezogene Blick erfasst dagegen die (negative) Dynamik, die in diesem Feld zu erkennen ist – und die auf deutlichen Handlungsbedarf hinweist. ABBILDUNG 12 | Fortschritt: SEDA-Werte für Deutschland im Vergleich zu Referenzgruppen SEDA-Horizont Fortschritt 100 95 90 85 80 75 70 Ø B 65 60 55 Ø A 50 45 40 Ø C 35 30 25 0 Einkommen Wirtschaʶsstabilität Deutschland A Arbeitsmarkt Große EU-Länder Einkommensverteilung B Zivilgesellschaʶ Staatsapparat Sehr hoch bewertete europäische Staaten Bildung C Gesundheit Umwelt Infrastruktur Große internationale Industrieländer Anmerkung: Dargestellt sind die Durchschnittspunktzahlen der jeweiligen Länder der Referenzgruppen. Quelle: BCG-Analyse Ähnlich fallen die SEDA-Werte für Deutschland auch im Zeithorizont Nachhaltigkeit aus (s. Abbildung 13). Gute SEDA-Bewertungen in diesem Horizont signalisieren, dass die Lebensqualität für zukünige Generationen 23 | T B C G erhalten oder gesteigert werden kann. Hier findet sich Deutschland überwiegend im (teils oberen) Mittelfeld; angeführt wird der SEDAVergleich im Horizont Nachhaltigkeit von den west- und nordeuropäischen Ländern. ABBILDUNG 13 | Nachhaltigkeit: SEDA-Werte für Deutschland im Vergleich zu Referenzgruppen SEDA-Horizont Nachhaltigkeit 98 96 94 Ø B 92 90 88 86 84 82 80 78 76 Ø C Ø A 74 72 70 68 66 64 62 0 Einkommen Wirtschaʶsstabilität Deutschland A Arbeitsmarkt Große EU-Länder Einkommensverteilung B Zivilgesellschaʶ Staatsapparat Sehr hoch bewertete europäische Staaten Bildung C Gesundheit Umwelt Infrastruktur Große internationale Industrieländer Anmerkung: Dargestellt sind die Durchschnittspunktzahlen der jeweiligen Länder der Referenzgruppen. Quelle: BCG-Analyse Anhand der Ergebnisse des SEDA in den drei Horizonten lassen sich „grobkörnige“ Aussagen darüber treffen, wie es um Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland bestellt ist im Vergleich zu ähnlich großen Volkswirtschaen, europäischen Nachbarn oder Ländern, die in dieser Betrachtung eine besonders hohe Bewertung erzielen. Erst eine detaillierte Analyse der SEDA-Werte für Deutschland entlang der zehn für diesen Index ausgewählten Dimensionen kann Hinweise darauf liefern, wo es Handlungsfelder gibt, die Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland positiv beeinflussen können. Ökonomische SEDA-Dimensionen Einkommen Das Einkommen einer Volkswirtscha gemessen am BIP pro Kopf ist eine Standardgröße, um den materiellen Wohlstand zu erheben und zu vergleichen. 24 | T B C G Deutschlands BIP pro Kopf (bei Kauraparität) lag im Jahr 2011 bei $ 37.897 und damit höher als in den meisten anderen Staaten der Welt. Auch im Vergleich zu vielen europäischen Nachbarn erwirtschaften die Deutschen ein hohes Inlandsprodukt und konnten dessen Wert bisher fast jedes Jahr steigern. Die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtscha erklärt sich aus mehreren Faktoren: Neben dem vergleichsweise hohen Industrialisierungsgrad zählt Deutschland aufgrund der Stärke seiner Schlüsselindustrien – darunter Automobil, Chemie, Maschinen- und Anlagenbau – zu den Gewinnern der Globalisierung. Als Lieferanten von Investitionsgütern, Infrastruktur und Technologien für den Energie- und Rohstoffeinsatz haben sich viele deutsche Unternehmen eine starke Position in ihren Branchen gesichert. Dies gilt sowohl für international tätige Konzerne als auch für die zahlreichen „Hidden Champions“ des deutschen Mittelstands. Ein statischer Ländervergleich des BIP, wie er im SEDA-Horizont Aktuelles Level dargestellt ist, erlaubt nur begrenzt Aussagen zu künigen Schwerpunkten und Handlungsfeldern, um die materielle Basis von Wohlstand und Lebensqualität in einer Volkswirtscha zu erhöhen. Vielfach sind die Unterschiede zwischen dem BIP pro Kopf der Volkswirtschaen auf Besonderheiten zurückzuführen, die sich nur bedingt beeinflussen lassen. Dazu zählen neben Größe, Geschichte und Industrialisierungsgrad der Länder beispielsweise auch Rohstoffvorkommen. So weisen im SEDA-Vergleich der Einkommen weltweit eine Reihe von Ländern wie die USA oder nordeuropäische und arabische Staaten besonders hohe BIPWerte auf, die unter anderem auf Rohstoffreichtum basieren. Für die Detailbetrachtung Deutschlands in der SEDA-Dimension Einkommen rücken daher insbesondere die Ergebnisse der SEDA-Horizonte Fortschritt und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt. Im SEDA-Horizont Fortschritt erreicht Deutschland gegenüber den Referenzgruppen höhere Werte: Zwischen 2006 und 2011 ist das BIP pro Kopf in Deutschland stärker gestiegen als im Durchschnitt bei allen drei Referenzgruppen. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass Deutschland den Wirtschaseinbruch der Krisenjahre 2008 und 2009 – als eine von wenigen Ausnahmen unter den OECD-Ländern – vergleichsweise gut bewältigt hat. Dabei profitierte die deutsche Wirtscha sowohl von einer raschen und angemessenen Reaktion der Politik auf die Krise (beispielsweise mit Hilfe der Abwrackprämie und Regelungen zur Kurzarbeit) als auch von ihrer exportorientierten Struktur. Im SEDA-Horizont Nachhaltigkeit zeigt sich, dass Deutschland seinen hohen SEDA-Wert in erster Linie den überdurchschnittlichen Bruttoinvestitionen verdankt. Negativ beeinflussen drei Faktoren die zukunsgerichtete Bewertung: die hohe Staatsverschuldung von über 80 Prozent des BIP, das schlechte Abschneiden Deutschlands in der Dimension Bildung sowie die demographische 25 | T B C G Entwicklung. Die Staatsverschuldung wird künige Handlungsspielräume für öffentliche Investitionen erheblich einschränken; die Schwächen des deutschen Bildungssystems beeinflussen unmittelbar das Angebot an qualifizierten Arbeitskräen; der Wandel der Altersstruktur verändert das Zahlenverhältnis von Erwerbstätigen zu NichtErwerbstätigen. Eine nachhaltig leistungsfähige, starke deutsche Wirtscha bildet eine wichtige Voraussetzung für die Erhaltung und Steigerung der Lebensqualität in Deutschland. Trotz der guten Position, in der sich Deutschland im Ländervergleich aktuell befindet, zeigen die SEDA-Horizonte auch Herausforderungen auf, die bewältigt werden müssen, um die hohe Leistungsfähigkeit zu sichern. Neben den seit Jahren intensiv diskutierten Risiken, die aus der fortschreitenden Schuldenkrise resultieren, sowie den Zukunsaufgaben im Hinblick auf die Alterung der Bevölkerung und das fragmentierte Bildungssystem in Deutschland kann eine Optimierung der technologiepolitischen Rahmenbedingungen dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit der Wirtscha zu erhalten und auszubauen. Innovation und technologischer Vorsprung bleiben die wesentlichen Wachstumstreiber einer eng in die internationale Arbeitsteilung eingebundenen deutschen Wirtscha . Deutschlands Selbstverständnis als führendes Industrieland erfordert kontinuierliche Innovationen, welche zu neuen Produkten oder Dienstleistungen und mittelbar zu Arbeitsplätzen führen können. Eine Optimierung der gegenwärtigen Industrieförderpolitik, wie sie von Institutionen wie beispielsweise der Forschungsunion Wirtscha – Wissenscha mit konkreten Vorschlägen angestrebt wird, kann hier einen nachhaltigen Beitrag leisten. NEUER ROHSTOFFREICHTUM IN DEN USA BEGÜNSTIGT NACHHALTIG HOHES BRUTTOINLANDSPRODUKT Mit einem kaurabereinigten BIP pro Kopf von fast $ 48.387 (2011) rangieren die USA in der Spitzengruppe innerhalb der westlichen Industrienationen. Hinsichtlich der künigen Entwicklung der US-Volkswirtscha rückt vor allem der neue Gasund Ölreichtum in den Blick: Durch die riesigen Schiefergas- und Ölfunde können die USA bis 2020 vom größten Energieimporteur der Welt zu einem Exporteur von Öl und Gas werden. Möglich wird dies durch neue Technologien wie z. B. Fracking: Dabei werden Rohstoffe mit Horizontalbohrungen unter Einsatz von hohem Druck, Chemikalien und Wasser aus dem Schiefergestein gelöst. Die Vorkommen sind nach Einschätzung der Internatio- nalen Energieagentur (IEA) so groß, dass die USA bis zum Jahr 2020 Russland und Saudi-Arabien als größte Ölproduzenten einholen könnten. Als Folge der steigenden Eigenproduktion von Öl und Gas ist zu erwarten, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtscha erheblich verbessern wird. Bis zum Jahr 2020 wird in den Vereinigten Staaten mit rund drei Millionen neuen Arbeitsplätzen gerechnet, weil die Stromkosten für die Industrie schon heute nur knapp 60 Prozent des deutschen Niveaus betragen und besonders energieintensive Unternehmen deshalb in den USA einen attraktiven Standort sehen. Vor allem die amerikanische Chemieindustrie erlebt derzeit eine Renaissance. INNOVATIVER BIOTECHNOLOGIESEKTOR IN DER SCHWEIZ WIRKT SICH POSITIV AUF DIE WIRTSCHAFTSKRAFT AUS Das kaurabereinigte BIP pro Kopf liegt in der Schweiz mit $ 43.470 (2011) im europäischen und internationalen Vergleich sehr hoch. Dies lässt sich auf eine ganze Reihe von Faktoren zurückführen. Dazu zählen unter anderem die starke Pharmaindustrie mit weltweit operierenden Konzernen wie Roche und Novartis, die den Auau von – in erster Linie medizinischen – Biotech-Clustern in Zürich, Basel und Genf begünstigten. Diese Cluster bieten eine hohe Konzentration von Investitionskapital und Know-how mit einer engen Verknüpfung zwischen universitärer und angewandter Forschung. Die Schweizer Biotech-Branche wird darüber hinaus bei der Grundlagenforschung mit Geldern aus dem Schweizerischen National- 26 | T B C G fonds (SNF) unterstützt. Gefördert wird die Schweizer Wirtscha , insbesondere im Biotech-Bereich, zudem durch eine vergleichsweise liberale Gesetzgebung – beispielsweise in der Stammzellforschung – sowie eine unternehmensfreundliche Politik mit niedrigen Steuersätzen, unkomplizierten Unternehmensgründungen und Steuerbegünstigungen für Unternehmen in der Auauphase. Viele große Biotech-Fonds und Biotechnologie-Unternehmen wie Actelion oder Merck-Serono haben ihren Sitz in der Schweiz. Der weltweit größte Pharmakonzern Roche entwickelte außerdem einen Biotechnologie-Schwerpunkt und übernahm 2008 den US-Pionier Genentech. Wirtschasstabilität Eine stabile Wirtscha wirkt sich positiv auf das Vertrauen von Kreditgebern aus, was staatliche Handlungsmöglichkeiten erhöht und Regierungen dabei unterstützt, unvorhergesehene wirtschaliche Schwankungen abzumildern oder gar zu verhindern. SEDA bewertet die Wirtschasstabilität in Deutschland in der aktuellen Betrachtung als durchschnittlich. Die Inflation ist in Deutschland traditionell auf einem stabilen Level gering; auch die Entwicklung des Arbeitsmarktes in den vergangenen Jahren hatte positive Effekte auf die wirtschaliche Stabilität der Bundesrepublik. Während vor allem in den südeuropäischen Ländern die Arbeitslosigkeit mit der Krise anstieg, konnte Deutschland diese sogar senken. Vor allem die Ausweitung der Kurzarbeit federte negative Einflüsse ab (s. Abbildung 14). ABBILDUNG 14 | Die Ausweitung der Kurzarbeit stabilisierte den Arbeitsmarkt Arbeitslosenquote in Deutschland (in %) 11 10 2,6 9 8 1,4 0,2 7 1,1 6 5 4 7,5 7,8 7,1 3 6,0 2 1 0 2008 2009 2010 2011 Hypothetische zusätzliche Arbeitslosigkeit1 Tatsächliche Arbeitslosigkeit 1 Bandbreite der zusätzlichen hypothetischen Arbeitslosigkeit unter der Annahme, dass betroffene Arbeitnehmer (zum Teil) erwerbslos geworden wären, sofern die Möglichkeit zu ausgeweiteter Kurzarbeit nicht bestanden hätte. Quelle: Statistisches Bundesamt; BCG-Analyse Während sich die Bundesrepublik im SEDA-Horizont Fortschritt im Mittelfeld der Referenzgruppen positioniert, zeigt sich im Zeithorizont Nachhaltigkeit, welche Faktoren die stabile Entwicklung tragen. Dazu gehört die breite Exportdiversifikation deutscher Unternehmen, durch die sich die Abhängigkeit von Nachfrageschwankungen in einzelnen Produktbereichen verringert; ebenso positiv wirken sich die im interna- 27 | T B C G tionalen Vergleich gute Infrastruktur und politisch stabile Lage aus – beides Faktoren, die für langfristige Investitionen und Standortentscheidungen relevant sind. Zu den negativen Einflussfaktoren zählt neben den vergleichsweise geringen Währungsreserven vor allem der hohe Schuldenstand der öffentlichen Haushalte, der die Spielräume für (Krisen-)Interventionen einschränkt. GERINGE STAATSVERSCHULDUNG IN AUSTRALIEN UNTERSTÜTZT WIRTSCHAFTLICHE STABILITÄT Australien nimmt unter den Industriestaaten im Hinblick auf die Nachwirkungen der Finanzkrise eine Sonderstellung ein. Während in den USA und im Euroraum die Wirtscha durch historisch niedrige Leitzinsen gestützt wurde und die Volkswirtschaen teils drastische Einbrüche erlebten, stieg das australische BIP in den Nachkrisenjahren an. Vor der Krise hatte die australische Wirtscha eine 17 Jahre währende Wachstumsphase erlebt und hohe Haushaltsüberschüsse erzielt. Besonders auffällig ist im Vergleich zu den USA und Westeuropa die geringe Schuldenquote. Mit 32,5 Prozent (2013) des BIP beträgt die Staatsverschuldung nur ca. ein Drittel des OECD-Durchschnitts. Eine zweite Ursache für die australische Wirtschasstabilität ist der Rohstoffreichtum des Kontinents. Auf dem Weltmarkt sind Japan, China, Südkorea und Indien die größten Partner – rund 80 Prozent der australischen Eisenerze gehen nach China. KANADAS WIRTSCHAFT WIRD VON ROHSTOFFEXPORTEN UND SOLIDEM BANKENSEKTOR STABILISIERT Wie Australien kam auch Kanada nahezu unbeschadet durch die globale Rezession 2008 und kann auf ein solides Wirtschaswachstum zurückblicken. Für internationale Ratingagenturen zählt Kanada zu den kreditwürdigsten Schuldnern der Welt. Das Land gilt als langfristig politisch und wirtschalich stabil – besonders auch aufgrund stetig sinkender Staatsschulden. Zudem ist Kanada reich an vielen stark nachgefragten natürlichen Ressourcen. Während sich zahlreiche westliche Industrienationen durch ihre Energieabhängigkeit zunehmend verschulden, hat Kanada als Lieferant dieser Rohstoffe eine zusätzliche Einnahmequelle. Kanada verfügt über die drittgrößten Erdölreserven weltweit nach Saudi-Arabien und Venezuela und ist der drittgrößte Erdgasförderer der Welt. Darüber hinaus ist Kanada größter Produzent von Uran, zweitgrößter Förderer von Nickel und rangiert auf Rang drei bei Aluminium, Platin und Titan; mehr als die Häle der weltweiten Reserven an Seltenen Erden – außerhalb Chinas – wird in Kanada vermutet. Kanada besitzt aber nicht nur Rohstoffe, sondern auch einen der solidesten Bankensektoren weltweit. Während der Finanzkrise wurde für keine einzige kanadische Bank eine staatliche Rettungsaktion notwendig. Arbeitsmarkt Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sowohl unmittelbare ökonomische Auswirkungen als auch einen direkten Einfluss auf die Lebensqualität des Einzelnen sowie im Blick auf die Gesellscha . Über die Kopplung zwischen Arbeitsverhältnissen und Einkommen hinaus sind in den meisten entwickelten Ländern gesellschalicher Status und Selbstverständnis an die berufliche Position geknüp . Die sozialen Folgen hoher Arbeitslosenzahlen, insbesondere bei den neu in den Arbeitsmarkt Eintretenden, zeigen sich gegenwärtig in den von der Schuldenkrise 28 | T B C G besonders betroffenen Ländern. SEDA bewertet den Arbeitsmarkt in Deutschland im Vergleich mit den Referenzländern als durchschnittlich. Die Beschäigungslage ist besser als in den EUNachbarstaaten; die Unterschiede zwischen den SEDA-Werten lassen sich primär aus der geringeren Arbeitslosenquote erklären. Im Zeithorizont Fortschritt erzielt Deutschland mit Abstand die höchste SEDA-Punktzahl unter den Vergleichsländern; auch im Gesamtranking aller 150 untersuchten Nationen erreicht die Bundesrepublik hier Platz 5. Wie kaum einem anderen Land ist es Deutschland gelungen, trotz Wirtschaskrise die Arbeitslosenrate zu reduzieren (s. Abbildung 15). Dies lässt sich auf die relativ stabile wirtschaliche Lage zurückführen sowie insbesondere auch auf die Reformen der Agenda 2010, die eine weitreichende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zum Ziel hatten. Inzwischen zeigen sich jedoch Nebeneffekte, die Handlungsbedarf erkennen lassen. So ist der Niedriglohnsektor in Deutschland massiv gewachsen, ebenso der Anteil Vollzeit-Erwerbstätiger, die auf staatliche Unterstützungszahlungen angewiesen sind. Eine aktuelle Studie der Universität Jena beziffert die Zahl dieser Unterstützungsempfänger auf fünf Millionen. ABBILDUNG 15 | Arbeitslosigkeit ist in Deutschland in der Krise gesunken Veränderung der Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2010 (in Prozentpunkten) Deutschland -0,4 Südkorea +0,6 Österreich +0,6 Schweiz +0,9 Norwegen +1,0 Japan +1,1 Niederlande Italien +1,4 +1,7 Frankreich +1,9 Finnland +1,9 Großbritannien Schweden USA Spanien +2,2 +2,4 +3,8 +8,7 Quelle: Economist Intelligence Unit Die SEDA-Bewertung zur Nachhaltigkeit fällt durchschnittlich aus. Entlang fast aller Indikatoren erreicht Deutschland SEDAWerte, die im Mittelfeld der Vergleichsländer liegen. Dies ist – wenig überraschend – erneut auf die hohe Staatsverschuldung zurückzuführen, die den SEDA-Wert negativ beeinflusst, da Handlungsspielräume, etwa für konjunkturbedingte Förderprogramme (z. B. eine Ausweitung der Kurzarbeit), dadurch eingeschränkt werden. Trotz guter SEDA-Ergebnisse bestehen Herausforderungen für den deutschen Arbeitsmarkt. Zwar weist die Bundesrepublik mittlerweile historisch niedrige Arbeits- 29 | T B C G losenraten auf; in anderen Staaten nimmt aber o ein höherer Bevölkerungsanteil am Erwerbsleben teil. Die Alterung der Gesellscha , gepaart mit einer niedrigen Geburtenrate, führt schon heute dazu, dass viele Stellen in deutschen Unternehmen nicht besetzt werden können. Das Hamburgische WeltWirtschasInstitut ermittelte, dass rund zwei Millionen Deutsche stärker in den Arbeitsmarkt einbezogen werden könnten: Frauen, Einwanderer und ältere Arbeitnehmer. Abbildung 16 verdeutlicht exemplarisch, dass die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland teils erheblich geringer ist als in anderen Volkswirtschaen. ABBILDUNG 16 | Deutschland liegt bei der Erwerbsbeteiligung älterer Menschen zurück 73 Schweden Norwegen 70 70 Schweiz 65 Japan 62 Südkorea 60 USA 60 Deutschland 57 Finnland 57 Großbritannien 56 Niederlande 45 Spanien 42 Österreich 41 Frankreich 38 Italien 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 Beschäʶigungsrate der Bevölkerung im Alter von 55 bis 64 Jahren, 2011 (in %)¹ 1. Anzahl Beschäigter der Altersgruppe 55 – 64 dividiert durch die Gesamtbevölkerung der 55- bis 64-Jährigen. Quelle: OECD; Eurostat Die Förderung der Integration von Frauen, älteren Arbeitnehmern und Immigranten in die Gruppe der Erwerbstätigen ist im Hinblick auf zukünige Herausforderungen essenziell, um langfristig das hohe Niveau der Lebensqualität in Deutschland zu halten. Dazu zählen neben den vieldis- kutierten familienpolitischen Maßnahmen insbesondere eine Zuwanderungspolitik, die den Zugang von Migranten zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert, sowie eine Flexibilisierung der Rentenpolitik, um die Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer zu fördern. NORWEGEN FÖRDERT FAMILIEN UND DIE BESCHÄFTIGUNG VON FRAUEN INTENSIV Seit Jahren führt Norwegen internationale Rankings an, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Dieses Ergebnis ist Resultat politischer Entscheidungen – Gleichberechtigung rangiert in Norwegen seit Jahrzehnten weit oben auf der Regierungsagenda. So wurden in Norwegen bereits 1993 die Vätermonate der Elternzeit eingeführt, es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, und auch das Arbeitsleben ist deutlich besser an die Bedürfnisse von Familien angepasst als in vielen anderen 30 | T B C G Industrienationen. Norwegische Arbeitgeber sind auf Familienauszeiten eingestellt – diese stellen also kein Karrierehindernis dar. Mehr als 90 Prozent der norwegischen Väter nehmen mindestens drei Monate Elternzeit – in Deutschland gilt dies nur für ein Viertel der Männer. Ebenso sind in Norwegen flexible Arbeitszeiten nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Knapp die Häle aller norwegischen Arbeitnehmer arbeiten auch von zu Hause aus – bei Spitzenverdienern sind es sogar 60 Prozent. SCHWEDEN UNTERSTÜTZT AUSLÄNDISCHE ARBEITNEHMER DURCH FORTSCHRITTLICHE IMMIGRATIONSPOLITIK Schweden ist mit gut neun Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Skandinaviens. In den letzten Jahren erreichte der Zuzug von Einwanderern Rekordwerte – dank tatkräiger Unterstützung durch eine aktive Immigrationspolitik. Frühzeitig kam die schwedische Regierung zu der Diagnose, dass auf dem heimischen Arbeitsmarkt qualifizierte Arbeitskräe zur Besetzung wichtiger Stellen fehlten. Schweden hat seinen Arbeitsmarkt umgehend für Staatsangehörige der EU-Beitrittsländer von 2004 und 2007 geöffnet. Anders als etwa in Deutschland konnten Personen aus den Erweiterungsländern sofort nach Schweden einreisen und arbeiten, ohne zuvor eine Arbeitserlaubnis beantragen zu müssen. Erst kürzlich erleichterte die Regierung zudem die Zuwanderung von Arbeitskräen aus Nicht-EU-Staaten. Die Arbeitsimmigration wird dabei fast ausschließlich von der Nachfrage der schwedischen Arbeitgeber abhängig gemacht; staatliche Steuerungsmöglichkeiten sind stark begrenzt. Eine Prüfung durch die Arbeitsmarktbehörde, ob die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte wirtschalich erforderlich ist, findet nicht mehr statt. Wenn ein Arbeitgeber eine Stelle nicht direkt mit einem schwedischen Arbeitnehmer besetzen kann, ist er zunächst verpflichtet, sie über die Arbeitsmarktbehörde öffentlich und EUweit auszuschreiben. Gelingt auch dann eine Besetzung nicht, darf der Arbeitgeber einen Bewerber aus jedem beliebigen Land der Welt anwerben. Gegenüber der Migrationsbehörde muss er lediglich nachweisen, dass die Stelle tatsächlich mindestens zehn Tage lang EU-weit ausgeschrieben war. So wird das Prinzip des Vorrangs für einheimische Arbeitssuchende und EU-Bürger berücksichtigt. Die neuen Immigrationsregeln kennen keine Unterschiede hinsichtlich des Ausbildungsstands der Antragsteller. Auch Arbeitskräe mit niedrigem oder gar keinem Bildungsabschluss können einwandern, wenn die Arbeitgeber entsprechende Stellen zu besetzen haben. Zudem erhalten alle Wirtschasmigranten Zugang zu den gleichen sozialen Rechten wie die übrige Bevölkerung des Landes. Die Arbeitsimmigranten dürfen vom ersten Tag an ihre Ehegatten mitbringen, die dann ebenfalls freien Zugang zum schwedischen Arbeitsmarkt bekommen. Mit einem Arbeitsvertrag ist eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung von zwei Jahren verbunden. Nach einmaliger Verlängerung wird die Aufenthaltsgenehmigung unbefristet gültig. ÄLTERE ARBEITNEHMER PROFITIEREN IN SCHWEDEN VON EINER FLEXIBLEN RENTENPOLITIK Schwedische Arbeitnehmer haben ab dem 61. Lebensjahr Anspruch auf eine gesetzliche Rente. Altershöchstgrenzen existieren jedoch nicht, und der Renteneintritt kann individuell flexibel erfolgen. Es bestehen finanzielle Anreize zur Verlängerung der Erwerbstätigkeit – die Rentenzahlungen erhöhen sich stetig mit zunehmendem Renteneintrittsalter. Bei krankheitsbedingter Verminderung der Erwerbstätigkeit werden die staatlichen Zuwendungen 31 | T B C G befristet, und es finden jährlich medizinische Überprüfungen statt. Ziel ist es, die Frühverrentung zu minimieren und dem offiziellen Renteneintrittsalter anzugleichen. Arbeitgeber erhalten staatliche Förderungszahlungen, sofern sie partiell erwerbsunfähige Arbeitnehmer weiterbeschäigen, sodass ein Verbleib am Arbeitsplatz oder eine schnelle Rückkehr ins Erwerbsleben unterstützt wird. BCGSTUDIE VERDEUTLICHT VERBESSERUNGSPOTENZIALE BEI INTEGRATION VON FRAUEN IN DEN ARBEITSMARKT Frauen in Führungspositionen sind in Deutschland immer noch eher die Ausnahme als die Regel. Obwohl Frauen in den unteren bis mittleren Gehaltsklassen mittlerweile gut vertreten sind, ist die Zahl derer, die das mittlere Management oder gar Vorstandspositionen erreichen, gering. Nur 13 Prozent der oberen Führungskräfte deutscher Unternehmen sind weiblich; und das, obwohl Frauen mittlerweile die Mehrheit der Studierenden und auch der Absolventen an deutschen Universitäten ausmachen. Die Studie „Shattering the Glass Ceiling“ der Boston Consulting Group beleuchtet die Ursachen für diese Befunde und zeigt Verbesserungsmaßnahmen auf. Führungskräe aus 44 multinationalen Unternehmen weltweit wurden interviewt und ihre Aussagen mit quantitativen und qualitativen Erfahrungswerten aus BCGProjekten zusammengeführt, um individuelle und soziale Hindernisse in den Karrie- ren von Frauen aufzudecken. Gleichzeitig enthält die Studie Handlungsempfehlungen für Unternehmen, die helfen können, Barrieren abzubauen. Entscheidend ist es, die Umstände zu erkennen, die dazu führen, dass Frauen im eigenen Unternehmen benachteiligt werden, und geeignete Lösungen zu entwickeln, um diese Umstände zu beseitigen. Arbeitgeber sollten Frauen vor allem flexible Arbeitszeitmodelle anbieten. Vorschrien, die lange physische Anwesenheit am Arbeitsplatz erfordern, benachteiligen insbesondere weibliche Mitarbeiter. Zudem ist es essenziell, Modelle zu entwickeln, die es Frauen erleichtern, für gewisse Zeiten (z. B. bei Geburt eines Kindes) ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Doch auch Wiedereingliederungsmodelle nach längeren Auszeiten (z. B. Elternzeit) sind wichtig, sodass Anreize für weibliche Mitarbeiter bestehen, wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren und ihre Karriere – auch in die höheren Etagen – fortzusetzen. DEUTSCHE UNTERNEHMEN BENÖTIGEN HOCHQUALIFIZIERTE ARBEITSKRÄFTE Die weltweite Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräen ist über die letzten Jahre deutlich angestiegen. Diese Entwicklung wird sich mittel- bis langfristig spürbar verstärken und so die Talentlücke für Arbeitgeber immer weiter vergrößern. Der „Global Talent Risk“-Report der Boston Consulting Group, der in Zusammenarbeit mit dem World Economic Forum erstellt wurde, prognostiziert allein für Westeuropa einen Bedarf von 45 Millionen zusätzlichen Arbeitskräen bis zum Jahr 2030. Bei sinkenden Geburtenraten und einer zunehmenden Überalterung der eigenen Bevölkerung blicken immer mehr Länder bei der Suche nach hoch ausgebildeten Arbeitskräen auch ins Ausland. In Zeiten wachsender Globalisierung nimmt damit 32 | T B C G auch der globale Wettbewerb um Talente deutlich zu. Wie Länder auch zukünig die Talentlücke auf ihren heimischen Arbeitsmärkten schließen können, sei es durch richtiges Setzen von Anreizen für hochqualifizierte Arbeitskräe aus dem Ausland oder durch eigene Ausbildung, fasst die Studie in einem Sieben-Punkte-Plan zusammen. Dazu gehört unter anderem die strategische Belegschasplanung als konkrete Aufgabe für Unternehmen, die Vereinfachung von Migrationsbestimmungen durch die Gesetzgebung und die Ausweitung des Talentpools zur verbesserten Einbeziehung von Frauen, Migranten und älteren Menschen in die Erwerbsbevölkerung. Einkommensverteilung Nicht nur die durchschnittliche Wirtschasleistung pro Kopf, sondern auch die Verteilung des materiellen Wohlstands auf die Bürger einer Gesellscha spielt eine Schlüsselrolle für das Verhältnis von Wohlstand und Lebensqualität in einer Volkswirtscha . SEDA bezieht sich in der Definition von Lebensqualität explizit auf die Lebensverhältnisse einer breiten Bevölkerung. Die SEDA-Werte für Einkommensverteilung im Zeithorizont Aktuelles Level bescheinigen Deutschland eine gute Position: Im Vergleich zu den großen EU-Ländern sowie vielen Industrienationen weltweit sind die Einkommen in Deutschland gerechter verteilt. Allerdings trübt sich das Bild beim Blick auf die SEDA-Horizonte Fortschritt und Nachhaltigkeit: Gegenüber den drei Referenzgruppen findet sich Deutschland gemessen am Fortschritt auf dem vorletzten Platz (s. auch Abbildung 17). Auch die mittelmäßige Positionierung in der zukunsbezogenen Nachhaltigkeits-Betrachtung zeigt, dass dieser Faktor stärkerer Beachtung 33 | T B C G bedarf – ein Befund, der von zahlreichen Studien bestätigt wird, unter anderem dem 2013 veröffentlichten „Vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“. Zwar lässt sich feststellen, dass sich seit knapp acht Jahren die Einkommensschere in Deutschland nicht weiter geöffnet hat, doch wäre vor dem Hintergrund der bemerkenswert positiven Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt ein Rückgang bei den Lohndifferenzen zu erwarten gewesen. Insbesondere die ungleiche Verteilung von Privatvermögen hat in Deutschland deutlich zugenommen: 1970 besaß das reichste Zehntel der (West-)Deutschen 44 Prozent des gesamten Nettogeldvermögens; 2011 waren es 66 Prozent. Von 1993 bis 2007 stieg daher der Gini-Koeffizient für die Verteilung der individuellen Nettovermögen in Deutschland von 0,62 auf 0,80. Der Anteil, den die untere Häle der Vermögensbesitzer am Gesamtvermögen der Deutschen hat, ist im gleichen Zeitraum von 6 Prozent auf unter 1 Prozent gesunken. ABBILDUNG 17 | Deutschlands Bewertung in der Dimension Einkommensverteilung im Vergleich zu den Referenzgruppen (indexiert) B A C C Höhere SEDABewertung als Deutschland B B A A Niedrigere SEDA-Bewertung als Deutschland C Aktuelles Level Fortschritt Nachhaltigkeit A Große EU-Länder B Sehr hoch bewertete europäische Staaten C Große internationale Industrieländer Quelle: BCG-Analyse Ursächlich für den steigenden Beschäigungsgrad bei gleichzeitig sinkenden durchschnittlichen Realeinkommen sind weniger die niedrigen Lohnabschlüsse als vor allem die erhebliche Zunahme atypischer Beschäigungsformen wie Minijob, Zeitarbeit und befristete Arbeitsverträge. Im Jahr 2010 stieg beispielsweise die Zahl der abhängig Beschäigten in Deutschland um insgesamt 322.000 – davon entfielen jedoch 182.000 auf Zeitarbeitnehmer, weitere 121.000 auf befristet Beschäigte. Die sehr geringe Zunahme unbefristeter Vollzeitstellen bei einem Wirtschaswachstum von 3,6 Prozent würde eine Verschärfung der Ungleichverteilung des Wohlstands in Deutschland in den kommenden Jahren zur Folge haben, falls sich diese Entwicklung fortsetzt. Nach der aktuellsten europäischen Lohnstrukturerhebung aus dem Jahr 2010 mussten in Deutschland 22,2 Prozent aller Beschäigten mit einem Niedriglohn auskommen (1995 waren es erst 14,4 Prozent), das heißt, sie verdienten weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns, welcher in den westdeutschen Bundesländern knapp 34 | T B C G € 11 und in den ostdeutschen Bundesländern € 8,30 betrug. Damit hat die Bundesrepublik den siebtgrößten Niedriglohnsektor in der EU. Weitere Reformen sind angezeigt, um die Verdienst- und Aufstiegschancen der unteren Einkommensgruppen zu verbessern und die wachsende Einkommensungleichheit zu stoppen oder zumindest zu verringern. Anders als in Deutschland existieren in 21 der 28 EU-Länder flächendeckende Mindestlöhne; in letzter Zeit wurden Mindestlöhne auch für eine Reihe von Branchen in Deutschland festgelegt. Die OECD weist seit längerem darauf hin, dass ein angemessen angesetzter Mindestlohn eine sinnvolle Ergänzung zum Kombilohnmodell sein kann, wie es in Deutschland das Arbeitslosengeld II darstellt, wenn es ergänzend zu Erwerbseinkommen gewährt wird. Dadurch würde verhindert, dass staatliche Unterstützungszahlungen in Lohnsubventionierungen umgewandelt werden. Die Zahl der Haushalte mit mindestens einem erwerbstätigen Hartz-IV-Bezieher – sogenannten Aufstockern – hat sich von 2007 bis 2010 in den ostdeutschen Bundesländern um 11, in den westdeutschen Ländern um 14 Prozent erhöht. Die Einführung einer gesetzlichen Lohnuntergrenze würde nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit die Einkommenssituation für rund 1,5 Millionen Arbeitnehmer verbessern. Insgesamt zeigen die relativen Ergebnisse der ökonomischen SEDA-Betrachtung im Ländervergleich, dass Deutschland sich in einer guten Situation befindet. Der Blick auf die SEDA-Horizonte Fortschritt und Nachhaltigkeit verdeutlicht, wo Herausforderungen bestehen, wenn die vergleichsweise hohe Lebensqualität in Deutschland erhalten und ausgebaut werden soll. Die Beleuchtung der Indikatoren und Ursachen, die hinter den jeweiligen SEDAWerten stehen, macht sichtbar, wie eng die ökonomische Entwicklung an gesellschalich-soziale Faktoren wie Bildung geknüp ist (und umgekehrt). Im folgenden Abschnitt werden wir die Werte für Deutschland in den weiteren SEDA-Dimensionen vorstellen, welche die Lebensqualität wesentlich beeinflussen. » Deutschland steht im globalen und europaweiten Vergleich aktuell gut da – insbesondere wirtschalich. Für die Beurteilung der Lebensqualität ist allerdings eine Analyse ausschließlich wirtschalicher Kenngrößen nicht ausreichend. Auch die nicht-ökonomischen Dimensionen spielen hier eine wichtige Rolle. Themen wie Bildung und Forschung, Gesundheit, Infrastruktur und Umweltschutz müssen weit oben auf unserer Agenda stehen, wenn wir die Lebensqualität in Deutschland langfristig und nachhaltig bewahren und steigern wollen. « Carsten Kratz (Senior Partner, Frankfurt) Nicht-ökonomische SEDA-Dimensionen Zivilgesellscha Jede Gesellscha ist auf das zivilgesellschaliche Engagement ihrer Bürger angewiesen. In Deutschland engagiert sich jeder Dritte für das Gemeinwohl, vor allem in der Sportund Freizeitgestaltung, der Kinder- und Jugendarbeit, im Gesundheits- und Sozialbereich oder für Kultur und Bildung. Der Zivilgesellscha – dem „dritten Sektor“ zwischen Staat und Markt – kommt auch eine volkswirtschaliche Bedeutung zu: Auf über 4,6 Milliarden geleistete Arbeitsstunden pro Jahr wird der bürgerschaliche Einsatz geschätzt. Damit beläu sich das ehrenamtlich geschaffene volkswirtschaliche Vermögen auf € 35 Milliarden – rund 2 Prozent des deutschen Volkseinkommens, wie aus den Daten des „ZiviZ-Survey 2012“ hervorgeht, der von der Bertelsmann Stiung gemeinsam mit dem Stierverband für die Deutsche Wissenscha und der Fritz Thyssen Stiung publiziert wurde. 35 | T B C G Obwohl die Bedeutung der Zivilgesellscha allgemein anerkannt wird, sind Ausprägung und Weiterentwicklung des gemeinnützigen Sektors in Deutschland geringer als in vergleichbaren Ländern. Im SEDA erreicht Deutschland gegenüber den Referenzgruppen hier leicht unterdurchschnittliche Werte. Dies gilt sowohl für das Aktuelle Level als auch für die SEDA-Horizonte Fortschritt und Nachhaltigkeit. Zu dieser unterdurchschnittlichen Bewertung tragen neben anderen Indikatoren die Daten zum Bildungssektor sowie zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen bei. So hat sich die „Lohnlücke“ (Gender Pay Gap) in Deutschland vergrößert: Nach Angaben der OECD (2012) verdienen vollzeitbeschäigte Frauen in Deutschland im Schnitt fast 22 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen – ein Befund, den auch die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts bestätigen. Im „Global Gender Gap Report“ des Weltwirtschasforums aus dem Jahr 2012 verschlechterte sich Deutschland von Rang 5 (2006) auf Rang 13. Die Ursachen verweisen auf die Befunde in den SEDA-Dimensionen Arbeitsmarkt und Einkommensgleichheit: Frauen arbeiten häufiger als Männer in schlecht bezahlten Berufen, im Niedriglohnsektor sowie in Teilzeit- und Minijobs. Sie unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Familie – mit gravierenden Folgen: Die „Rentenlücke“ betrug im Jahr 2012 fast 60 Prozent. Im Durchschnitt liegt die gesetzliche Rente von Frauen heute in Deutschland bei € 645, die Durchschnittsrente von Männern bei € 1.595. Die steigende Bedeutung der Zivilgesellscha spiegelt sich auch in einer verstärkten Aufmerksamkeit der Politik für dieses Thema wider. Seit dem Bericht der EnqueteKommission des Deutschen Bundestags zur „Zukun des Bürgerschalichen Engagements“ aus dem Jahr 2002 sind eine Reihe von Gesetzesänderungen erfolgt und Modellprogramme aufgelegt worden, um das zivilgesellschaliche Engagement zu fördern. Dazu zählen die Erhöhung der Übungsleiterpauschale ebenso wie Reformen des Stiungsrechts, die zum Boom bei Stiungsgründungen beigetragen haben. DER SCHWEDISCHE STAAT SETZT AUF INTENSIVE KOOPERATIONEN MIT VEREINEN UND VERBÄNDEN Schweden weist im europäischen Vergleich sowohl eine überdurchschnittlich hohe Vereinsmitgliederdichte als auch eine sehr hohe Zahl an bürgerschalich engagierten Einwohnern auf. Rund 90 Prozent der Bevölkerung sind Mitglied in mindestens einem Verein; im Durchschnitt gehört jeder Einwohner 3,2 Vereinen an. Insgesamt gibt es in Schweden ca. 200.000 Vereine. Die Quote derjenigen, die sich über die reine Mitgliedscha in Vereinen und Organisationen hinaus bürgerschalich engagieren, liegt bei 48 Prozent. Diese Zahlen sind seit zwei Jahrzehnten stabil, unabhängig von Regierungskonstellationen und wirtschalichen Krisen. Mit einer 2008 geschlossenen Vereinbarung wurde die Zusammenarbeit zwischen Regierung, zivilgesellschalichen Organisationen im sozialen Sektor und kommunalen Spitzenverbänden auf eine neue Grundlage gestellt. Darin werden sechs Prinzipien formuliert: Autonomie und Unabhängigkeit, Dialog, Qualität, Kontinuität, Transparenz sowie Vielfalt. Diese nationale Vereinbarung ist seither durch Vereinbarungen auf lokaler und kommunaler Ebene spezifiziert und konkretisiert worden. Eine nationale Arbeitsgruppe überprü regelmäßig die Einhaltung der Vereinbarung. 36 | T B C G Im Jahr 2009 wurde ein Gesetz unter dem Namen „Eine Politik für die Zivilgesellscha“ beschlossen. Ziel des Gesetzes ist es, die Bedingungen für die Zivilgesellscha in Schweden weiter zu verbessern und diese stärker als eigenen Sektor zu verstehen. So wurde ein gemeinsames Forum für den Dialog zwischen Regierung, Kommunen und zivilgesellschalichen Organisationen geschaffen, wodurch die Konsultationen zwischen Staat und Zivilgesellscha stärker formalisiert wurden. In regelmäßigen Konferenzen werden seitdem grundsätzliche Themen wie die Wohlfahrtsentwicklung, die Zukun der schwedischen Demokratie und Finanzierungsfragen diskutiert. Mit dem Gesetz ist auch das Bestreben verbunden, zivilgesellschaliche Organisationen aus dem sozialen Sektor stärker an der Erbringung sozialer Dienstleistungen zu beteiligen. Öffentliche Ausschreibungsverfahren wurden so verändert, dass sich auch zivilgesellschaliche Organisationen – in Konkurrenz zu privaten Unternehmen – um Auräge staatlicher Stellen zur Erbringung sozialer Dienstleistungen bewerben können. Staatsapparat Ein funktionierender Staatsapparat ist sowohl für die Bürger als auch für die Unternehmen eines Landes von herausragender Bedeutung. In Deutschland existiert eine stabile Demokratie mit gesicherten Eigentumsrechten, was zu der hohen Punktzahl im SEDA-Horizont Aktuelles Level beiträgt. Im engeren Vergleich mit den drei Referenzgruppen rangiert die Bundesrepublik direkt hinter den sehr hoch bewerteten europäischen Staaten. Dieses Ergebnis verdankt sie vor allem der gut bewerteten Korruptionskontrolle. Im SEDA-Horizont Fortschritt verändert sich das Bild und zeigt, dass sich die Länder der Referenzgruppen in den zurückliegenden Jahren vorteilhaer entwickelt haben als Deutschland. Auch der Indikator, der die (politische) Bürgerbeteiligung misst, trägt zu den weniger positiven Werten in der dynamischen Betrachtung bei: Auffällig ist die sinkende Demokratiezufriedenheit der Deutschen (s. Abbildung 18). Viele Befragte beantworteten die Frage „Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie in Ihrem Land?“ vergleichsweise negativ. Die Bundesrepublik erreicht hier nur knapp fünf von zehn möglichen Punkten, während der entsprechende Wert beispielsweise in der Schweiz über sieben liegt. Länder wie Norwegen, Schweden oder Finnland, die im Fortschritts-Horizont des SEDA klar dominierend sind, platzieren sich auch in dieser Dimension sehr weit vorn. ABBILDUNG 18 | Demokratiezufriedenheit in Deutschland Schweiz Norwegen Schweden Finnland Niederlande Österreich2 Italien Spanien Deutschland Großbritannien Frankreich 3,0 3,5 4,0 4,5 5,0 5,5 6,0 6,5 7,0 7,5 Zufriedenheit mit Demokratie 2010/2011¹ 1. Die Zufriedenheit mit der Demokratie wird gemessen auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 sehr hohe Zufriedenheit impliziert. 2. Werte aus den Jahren 2008 und 2009 Quelle: European Social Survey Round 4 (2008/2009) und 5 (2010/2011) Zu einem ähnlichen Befund führt die Betrachtung im Zeithorizont Nachhaltigkeit. Auch hier erreicht Deutschland einen unterdurchschnittlichen SEDA-Wert, der nur von den großen EU-Ländern Spanien, Italien, Großbritannien und Frankreich noch unterboten wird. Vor allem das schlechte 37 | T B C G SEDA-Ergebnis der Bundesrepublik in der Dimension Bildung, die erheblichen Einfluss auf politische Beteiligung, auf das Interesse an politischen Entscheidungen und Abläufen sowie auf das Politikverständnis haben kann, wirkt sich negativ auf die Gesamtbewertung im Zeithorizont Nachhaltigkeit aus. IN NEUSEELAND HERRSCHEN EINE HOHE POLITISCHE STABILITÄT UND EINE SEHR GERINGE KORRUPTION Neuseeland erreicht in der SEDA-Dimension Staatsapparat eine sehr gute Platzierung. Das Land überzeugt vor allem mit äußerst niedrigen Korruptionswerten und einer ausgesprochen hohen politischen Stabilität. In der Forbes-Liste der „Best Countries for Business“ 2012 etwa belegte Neuseeland den ersten Platz – Deutschland befindet sich hier auf Platz 21. Auf der gleichen Position rangiert das Land im „Doing Business“-Bericht der Weltbank in der Kategorie „Schutz für Investoren“. Im „Global Peace Index“ 2013, für den 158 Länder erfasst wurden, gilt Neuseeland als drittsicherstes Land der Welt, gleich hinter Island und Dänemark; Deutschland findet sich in diesem Ranking auf Platz 15. Auch im „Global Corruption Index“ von Transparency International steht Neuseeland an der Spitze; zusammen mit Dänemark und Finnland gilt es als das Land mit der geringsten Korruption. Für diese guten Platzierungen Neuseelands gibt es eine Reihe von Ursachen. Dazu gehören unter anderem die langen Amtsperioden vergangener Regierungen. Häufig wurden Regierungen bei Wahlen bestätigt und waren so mehr als eine Wahlperiode im Amt – im Durchschnitt seit 1960 sieben Jahre. Diese langen Zeitspannen sichern einen kontinuierlichen Kurs, politische Stabilität und somit Planungssicherheit für Unternehmen und Investoren. Eine weitere stabilitätsfördernde Eigenscha des neuseeländischen Systems ist die Parteienlandscha. Bis Mitte der 1990er Jahre kennzeichnete ein Zweiparteiensystem – Labour und National – die politische Landscha; bis heute dominieren diese großen Parteien die inzwischen entstandene Reihe kleinerer politischer Gruppierungen. Darüber hinaus beteiligt sich die neuseeländische Bevölkerung stark am politischen Prozess. Eine im internationalen Vergleich gleichbleibend hohe Wahlbeteiligung von 75 bis 80 Prozent sichert der Regierung den Zuspruch und die Unterstützung der Bürger. Bildung Lebensqualität ist untrennbar mit Bildung verbunden. Viele hoch entwickelte Länder, die in der SEDA-Bewertung die obersten Ränge besetzen, steigern ihre Bildungsinvestitionen Jahr für Jahr. Im SEDA-Horizont Aktuelles Level liegt Deutschland in der Dimension Bildung am Ende der Bewertungsskala hinter allen drei Referenzgruppen. Insbesondere die Bildungsbeteiligung im Tertiär-, also dem Hochschulbereich, ist in Deutschland geringer als in anderen Ländern. Auch in den Zeithorizonten Fortschritt und Nachhaltigkeit zeigt sich, dass seit dem „PISA-Schock“ die Schwächen des deutschen Bildungssystems zwar weithin erkannt wurden, die bisher eingeleiteten Reformen aber nicht ausreichend sind. Das deutsche Bildungssystem weist im Ländervergleich eine niedrigere durchschnittliche Leistungsfähigkeit der Schüler, geringere Spitzenleistungen und insbesondere eine 38 | T B C G ungerechte Verteilung der Bildungschancen auf. Im Gegensatz dazu besuchen in Schweden oder Finnland die Kinder von Arbeitern fast genauso häufig Hochschulen wie die Kinder von Akademikern. Wie eng die ökonomische Leistungsfähigkeit Deutschlands mit der Dimension Bildung verknüp ist, belegt die Studie „Standortfaktor Bildungsintegration“ der Boston Consulting Group. Der Hochlohnstandort Deutschland ist besonders stark auf einen hohen Anteil gut und sehr gut ausgebildeter Arbeitnehmer angewiesen, um seine Attraktivität aufrechtzuerhalten. Andere Länder haben schon vor Jahren begonnen, diesem Trend Rechnung zu tragen. In Kanada beispielsweise besitzen etwa 55 Prozent aller 25- bis 34-Jährigen eine hohe berufliche Qualifikation; Japan hat die Rate der Hochqualifizierten in den letzten 30 Jahren mehr als verdoppeln können. Die Kombination aus fehlenden Bildungschancen auf der einen Seite und einer steigenden Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern auf der anderen Seite wird sich schon in wenigen Jahren deutlich auswirken: Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt werden immer weiter auseinanderklaffen. Damit steigen die Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland erheblich: Firmen müssen um Arbeitskräe kämpfen und Defizite des Bildungssystems durch eigene Weiterbildungsprogramme kompensieren. Internationale Unternehmen werden ihre Produktionsstätten zunehmend dorthin verlagern, wo qualifizierte Mitarbeiter in ausreichender Zahl verfügbar sind. Diese wenig erfreulichen Aussichten könnten durch gezielte Maßnahmen abgemildert werden, die sich insbesondere auf den Elementar- und Primarbereich richten – dort erhalten die Bildungsinstitutionen in Deutschland nach wie vor die geringsten Mittel. Zu diesen Maßnahmen zählen unter anderem qualifizierte Ganztagsangebote, durchgehende Sprachförderung, differenzierter Unterricht durch Co-Teaching, eine Anpassung der personellen Ausstattung an die besonderen Erfordernisse von „Brennpunktschulen“ und der Ausbau nachträglicher Qualifikationsmöglichkeiten. GLEICHE BILDUNGSCHANCEN FÜR ALLE FINNLAND FÖRDERT SEINE SCHÜLER Zentrales Ziel der finnischen Bildungspolitik ist die Sicherung gleicher Bildungschancen für alle Bürger, unabhängig von Geschlecht, wirtschalicher Situation und sozialem Status. Die Bildungsförderung umfasst in Finnland umfangreiche kostenfreie Leistungen. Dazu gehören der Schulunterricht, warmes Schulessen, Lehrmittel sowie Schülertransport. Darüber hinaus werden vom finnischen National Board of Education spezielle Unterstützungsprogramme angeboten, etwa zur Förderung der Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaen. Mit hohen Investitionen (6,4 Prozent des BIP im Vergleich zu 5,3 Prozent in Deutschland) baut Finnland seine gute Position im Bildungsbereich kontinuierlich aus und rangiert in den PISA-Studien der OECD – zusammen mit Japan, Korea, Kanada und den Nieder- 39 | T B C G landen – regelmäßig in der Spitzengruppe. Finnland verzeichnet die niedrigste Analphabetengruppe innerhalb der OECD (0 Prozent). 95 Prozent der finnischen Schüler erreichen die Hochschulzugangsberechtigung; in Deutschland sind es nur 38 Prozent. Zu den Besonderheiten des finnischen Bildungssystems zählt außerdem die integrative Gesamtschule bis zur neunten Klasse mit individualisierten Lehrplänen. Das Erlernen von zwei Fremdsprachen (in der Regel sind dies Schwedisch und Englisch) ist Pflicht. Ein konsequent durchgestaltetes Ausbildungssystem für Lehrer, die unter anderem ihre pädagogische Befähigung in Eignungstests nachweisen müssen, gehört ebenfalls zu den Merkmalen des finnischen Bildungssystems. Gesundheit Das deutsche Gesundheitssystem ist nach denen der USA und der Schweiz das drittteuerste der Welt. Trotz eines anerkannt hohen Standards der Gesundheitsversorgung wächst angesichts der Kostensteigerungen aufgrund einer alternden Gesellscha die Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit und nachhaltigen Finanzierbarkeit des deutschen Gesundheitswesens. SEDA bewertet das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich als gut. Im Horizont Aktuelles Level erreicht Deutschland sogar einen besseren Wert als alle Referenzgruppen. Betrachtet man den Horizont Fortschritt, so bewegt sich das deutsche Gesundheitswesen im Mittelfeld der internationalen Vergleichsgruppe, ohne besondere Auffälligkeiten auf Indikatorebene. Auch im Zeithorizont Nachhaltigkeit rangiert Deutschland im Mittelfeld, deutlich hinter den sehr hoch bewerteten europäischen Staaten. Das Gesundheitssystem vor dem Hintergrund des demographischen Wandels nachhaltig zu finanzieren, ohne erhebliche Qualitätseinbußen in Kauf zu nehmen, wird eine der bedeutendsten Aufgaben sein, denen sich Deutschland in den kommenden Jahren stellen muss. Schweden führt mit seinem auf Kosteneffizienz und Qualitätsmaximierung (ValueBased Health Care, VBHC) basierenden Gesundheitswesen die Rangliste an. Vor einigen Jahren wurden in Schweden umfangreiche Reformen eingeleitet, die ein detailliertes System der statistischen Datenerhebung umfassen, um Krankheitsbilder, Diagnosen, Behandlungsmethoden und -resultate über lange Zeitreihen und zahlreiche Patienten hinweg analysieren zu können. Dies führte nicht nur zu verbesserten Behandlungserfolgen, sondern auch zu erhöhter Kosteneffizienz. REFORMFREUDIGES SCHWEDEN EFFIZIENZ ERMÖGLICHT EIN ZUKUNFTSFÄHIGES GESUNDHEITSSYSTEM Schweden gilt, wenn es um die Umgestaltung des Gesundheitssystems geht, als Inbegriff der Reformfreudigkeit. Um dem demographischen Wandel zu begegnen, wurde der schwedische Gesundheitsbereich binnen weniger Jahre zu einem staatlichen Gesundheitssystem mit Selbstbeteiligungen, starken Anreizsystemen, Wettbewerb auf nahezu allen Ebenen und strenger Fokussierung auf Qualitätssteigerung bei gleichzeitiger Kosteneffizienz umgebaut. Das schwedische Gesundheitssystem finanziert sich zum größten Teil aus Steuern. Es ist in drei Ebenen gegliedert: Während die Nationale Behörde für Gesundheit und Wohlfahrt die zentrale 40 | T B C G Beratungs- und Kontrolleinrichtung der Regierung im Bereich der Gesundheitsleistungen ist, obliegt die Verantwortung für die Erbringung von Gesundheitsleistungen und die Verteilung der Mittel den Räten der 21 schwedischen Provinzen. Krankenhäuser, Gesundheitszentren und andere Einrichtungen gehören den Räten der Landkreise und werden von diesen betrieben – auch wenn sie, um den Wettbewerb zu beleben, zunehmend auf private Leistungsanbieter setzen und mit diesen entsprechende Verträge schließen. Die subventionierten Leistungen des schwedischen Gesundheitssystems können alle Einwohner Schwedens unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen. Bis zum Erreichen eines bestimmten Jahressatzes wird bei jedem Arztbesuch sowie bei verordneten Arzneimitteln eine Selbstbeteiligung erhoben. Säuglings- und Kleinkindfürsorge, Schwangerenbetreuung sowie die Zahnbehandlung bis zum 20. Lebensjahr sind dagegen kostenlos. Viele der Reformen des schwedischen Gesundheitssystems folgen dem Konzept einer „nutzenbasierten Gesundheitsversorgung“ (Value-Based Health Care), also der Qualitätssteigerung der Behandlungsergebnisse bei Konstanthaltung oder sogar Verringerung der Kosten. Die Studie „Progress Toward Value-Based Health Care“ der Boston Consulting Group bezeichnet Schweden als den internationalen Vorreiter in Sachen nutzenbasierter Gesundheitsversorgung. Deutschland rangiert hier gemeinsam mit Ungarn auf dem letzten Platz der zwölf untersuchten Länder. Die sehr gute Positionierung Schwedens gründet auf mehreren Faktoren: Es ist das einzige Land, das detaillierte Statistiken auf Basis der Behandlungsergebnisse erstellt. Seit den frühen 1970er Jahren werden zudem Krankheitsregister geführt. Heute sind es ca. 90 Register, die mehr als 25 Prozent der gesamten nationalen Gesundheitsausgaben abbilden. Diese Register führen Statistiken von Patienten mit der gleichen Krankheit, ähnlichen Krankheitsbildern, Diagnosen oder Behandlungsresultaten zusammen. Anhand der Auswertung dieser Daten lassen sich wertvolle medizinische Erkenntnisse gewinnen, die nicht nur die Behandlungsresultate für Patienten steigern, sondern auch zu einer Verbesserung der Behandlungseffizienz und -effektivität führen. Eine weitere Analyse der Boston Consulting Group mit Fokus auf Schweden, „From 41 | T B C G Concept to Reality – Putting Value-Based Health Care into Practice in Sweden“, kam zu dem Ergebnis, dass beispielsweise Nebenwirkungen bei Operationen des grauen Stars durch die detaillierte Analyse dieser über lange Zeiträume erhobenen Datenreihen verringert werden konnten. Eine weitere Besonderheit in Schweden ist die Einführung einer ergebnisabhängigen Bezahlung von Anbietern der Gesundheitsversorgung durch die Provinzialparlamente und Gemeinden. Diese haben die Möglichkeit, einen prozentualen Anteil der Behandlungsrechnungen einzubehalten, bis das zuvor definierte Behandlungsziel erreicht ist. Zudem wurden Kontrollmechanismen eingeführt. So überwacht beispielsweise die Medical Products Agency laufend die Wirkung von Medikamenten im Hinblick auf deren Effizienz und Effektivität. Doch auch in Schweden ist die Gesundheitsversorgung nicht ohne Mängel. Zwar scheint das schwedische Gesundheitssystem nach seiner radikalen Reform auf sozialverträgliche Weise den künigen Anforderungen gewachsen zu sein, dennoch haben die Einsparungen der letzten zehn Jahre zu Engpässen in der Patientenversorgung geführt. Wettbewerb und freie Arztwahl werden teilweise von überlasteten Notaufnahmen, Personalund Bettenmangel sowie langen Wartezeiten auf Fachärzte und Operationen konterkariert. Auch ist die statistische Datenerhebung noch nicht vollständig ausgerei. Einige Bereiche der medizinischen Versorgung wie z. B. die Psychiatrie oder die Primärversorgung sind bislang nicht im Datensystem erfasst. Außerdem könnten Prozesse durch die Einführung eines national vereinheitlichten IT-Systems effizienter und erneut kostengünstiger gestaltet werden. Umwelt Klima- und Umweltschutz spielen über die letzten Jahre in der öffentlichen Diskussion eine immer prominentere Rolle. Von Ozonwerten über CO2-Ausstoß, Feinstaubfilterung und Erderwärmung bis hin zur Energiewende – Umweltpolitik beherrscht im Alltag eine Vielzahl an Themen. Deutschland setzt hier mit 94 Punkten im SEDA-Horizont Aktuelles Level internationale Standards. Ein wichtiger Aspekt deutscher Umweltpolitik ist die Sauberkeit der Lu . Die Luverschmutzung in Deutschland hat sich über die letzten Jahrzehnte stark verringert. Dabei basieren die umweltpolitischen Maßnahmen zur Lureinhaltung auf vier Eckpfeilern: der Festlegung von Luqualitätsstandards, emissionsbegrenzenden Anforderungen nach dem aktuellsten Stand der Technik, Produktregelungen sowie der Festlegung von Emissionshöchstgrenzen. Deutschland gehört bei der Umsetzung europäischer Grenzwerte zu den Ländern mit der schnellsten Überführung in nationales Recht. Auch die Förderung von Naturschutzgebieten ist in der Bundesrepublik besonders ausgeprägt. Der „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ ist seit 1994 als Staatsziel in Artikel 20a des Grundgesetzes verankert. Die Fläche der Naturschutzgebiete in Deutschland hat sich seit 1995 auf rund 1,2 Millionen Hektar fast verdoppelt und beträgt damit rund 3,6 Prozent der Gesamtfläche (2010). Zusätzlich zu staatlichen Aktivitäten arbeiten in Deutschland auch große Naturschutzorganisationen wie NABU oder BUND mit Hunderttausenden von Mitgliedern an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Deutschland gilt darüber hinaus international als eine der Vorreiternationen beim Klimaschutz und als Pionier beim Ausbau erneuerbarer Energien. 2011 beschloss die Bundesrepublik als erste Industrienation den Ausstieg aus der Atomenergie. Die Kernenergie, die im Jahr 2011 noch rund 18 Prozent des verbrauchten Stroms lieferte, wird laut Planung der Bundesregierung innerhalb von elf Jahren unter anderem durch erneuerbare Energien, ein ausgebautes Stromnetz und neue Speicher für Ökostrom ersetzt werden. Lediglich der CO2Ausstoß – gemessen an der CO2-Intensität – ist in der Bundesrepublik höher als in den 42 | T B C G meisten Vergleichsländern. Dies lässt sich unter anderem auf die hohe Industriedichte und den erheblichen Anteil konventioneller Energieerzeugung durch Kohlekrawerke zurückführen. Im Horizont Fortschritt liegt Deutschlands SEDA-Wert für die Dimension Umwelt im Vergleich zu den Referenzländern im oberen Drittel. Vor allem die Fläche der Naturschutzgebiete ist seit 2006 deutlich stärker gewachsen als in den meisten Vergleichsstaaten. Die Fortschritte bei der Verringerung des CO2-Ausstoßes in der Bundesrepublik bewertet SEDA dagegen nur als minimal überdurchschnittlich. Hier bleibt abzuwarten, ob die Energiewende künig zu den erhoen Verbesserungen führen wird. Deutschlands SEDA-Bewertung im Zeithorizont Nachhaltigkeit rangiert hinter jenen der meisten Referenzländer. Insbesondere der unterdurchschnittliche Wert bei der Beurteilung des deutschen Bildungssystems kann sich negativ auf die Bemühungen um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und das Verständnis für umweltfreundliche, wenn auch scheinbar unpopuläre Reformen auswirken. Auch die vergleichsweise geringe Bürgerbeteiligung bewertet SEDA negativ, da sie das Umweltbewusstsein der Bevölkerung mindern und ein Hindernis für wichtige Reformprojekte wie die Energiewende darstellen kann. Umweltinvestitionen sind von großer Bedeutung für die langfristige Erhaltung der Lebensqualität in Deutschland. Damit Deutschland seine Vorreiterrolle in den Bereichen Umwelt-, Klima- und Naturschutz behalten kann, ist eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende wesentlich. Im Aurag des Bundesverbands der Deutschen Industrie hat die Boston Consulting Group eine energie- und gesamtwirtschaliche Bewertung der Energiewende durchgeführt und die Ergebnisse in der „Trendstudie 2030+“ zusammengefasst. Umweltinvestitionen sind – ähnlich wie Investitionen in Bildung – äußerst nachhaltig und bedeutsam für die langfristige Erhaltung der hohen Lebensqualität in Deutschland. Auch für andere SEDA-Dimensionen wie beispielsweise Gesundheit spielt eine intakte Umwelt eine große Rolle. Eine breite Unterstützung umweltpolitischer Vorhaben durch Bürger und Unternehmen wirkt sich positiv auf die Akzeptanz und die Erreichung der gesetzten Umweltziele aus. Folglich kann die Bundesrepublik insgesamt davon profitieren, wenn deutsche Unternehmen bei Umwelttechnologien erfolgreich auf den Weltmärkten agie- ren. Dies erfordert eine gezielte staatliche Förderung sowie die Schaffung von Investitionsanreizen. Entscheidend ist dabei eine Fokussierung der Unterstützungsmaßnahmen auf Bereiche, in denen deutsche Firmen langfristig international wettbewerbsfähig sein können. Andernfalls drohen Fördermaßnahmen nur kurz- oder bestenfalls mittelfristig positive Wirkungen zu generieren. Subventionsprogramme sollten daher regelmäßig überprü und an veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden. » Die Energiewende bedeutet für Deutschland langfristig eine große Chance und kann sich positiv auf die Lebensqualität auswirken. Doch kurz- und mittelfristig sind einschneidende Veränderungen notwendig – Fehler müssen korrigiert und innovative Systemlösungen erarbeitet werden. Nur so können wir Herausforderungen wie die Eindämmung der Kostenexplosion, die Gewährleistung der Stromversorgung und Planungssicherheit für Industrie und Energiewirtscha meistern. « Philipp Gerbert (Senior Partner, München) NUR DEUTLICHE VERÄNDERUNGEN KÖNNEN DIE ENERGIEWENDE ZU EINEM ERFOLG MACHEN Die „Trendstudie 2030+“ beleuchtet sowohl die langfristig mit der deutschen Energiewende verbundenen Chancen als auch zentrale Herausforderungen sowie kurz-, mittel- und langfristigen Änderungsbedarf. Neben einer Reduktion des CO2-Ausstoßes und anderer schädlicher Emissionen kann die Energiewende weitere positive Effekte erbringen: Die Importmengen fossiler Brennstoffe können durch den Ausbau erneuerbarer Energien bis 2030 um über 30 Prozent reduziert werden, sodass die Energiewende auch langfristig zu Kostenvorteilen führen und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringern kann. Zudem erfordern vielfältige Energietechnologien weitere Investitionen, die langfristig deutschen Unternehmen zugute kommen können. Zudem kann die Energiewende Marktanteile deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt für Energietechnologien sichern – dies gilt verstärkt, wenn andere Länder Elemente 43 | T B C G der deutschen Energiewende aufgreifen. Im Ganzen lassen sich die Effekte der Energiewende schwer vorhersehen; eine Steigerung des BIP, die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie – damit verbunden – eine Verbesserung der Lebensqualität in Deutschland sind jedoch realistischerweise zu erwarten. Die Studie macht allerdings auch deutlich, dass die Energiewende erhebliche Risiken birgt. So hat BCG ermittelt, dass die Kosten der Stromversorgung real 15 – 35 Prozent höher liegen werden als heute. Berechnungen ergeben einen Anstieg der Strompreise für Industrie und Haushalte um real 25 – 35 Prozent bis 2020 – dies würde indessen geringere Teuerungsraten bedeuten, als sie in den letzten Jahren zu beobachten waren. In der Folge ist die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien und der industriellen Wertschöpfungsketten in Deutschland bedroht – der Wegfall der Entlastung energieinten- siver Industrien wäre für viele Unternehmen existenzgefährdend. Darüber hinaus ist die Planungssicherheit äußerst gering, da verlässliche Zusagen über zukünige Rahmenbedingungen ausbleiben. Und schließlich erfordert die Energiewende einen weitreichenden Aus- und Umbau der Übertragungs- und Verteilnetze in der Bundesrepublik. Die „Trendstudie 2030+“ nennt eine Reihe von Vorschlägen, die von der deutschen Politik vorrangig angegangen werden müssen, um die Energiewende zu einem Erfolg zu machen und negative Auswirkungen abzuschwächen. Neben Effizienzsteigerungen im Strom- und (Gebäude-) Wärmebereich sind insbesondere zwei kurzfristige Maßnahmen erforderlich: Zum einen muss das EEG-Gesetz mit dem Ziel einer Verbesserung der Kosteneffizienz reformiert werden. Zum anderen ist der Auau einer strategischen Reserve zur Vermeidung der Abschaltung von Krawerken aufgrund mangelnder Wirtschalichkeit notwendig. Ebenso muss mittelfristig ein nachhaltig tragfähiges Design für den Strommarkt durch eine gesamthae Neugestaltung erreicht werden. Grundsätzlich sind außerdem eine Integration und Harmonisierung des Strommarktdesigns im europäischen Umfeld sowie die Schaffung verlässlicher ordnungspolitischer Rahmenbedingungen für marktwirtschaliche Lösungen unabdingbar. Infrastruktur Eine moderne Infrastruktur ist ein entscheidender Standortfaktor im globalen Wettbewerb. Aufgrund seiner zentralen Lage in Europa und seines Status als Exportnation ist Deutschland in besonderem Maße auf eine gute Infrastruktur angewiesen. Investitionen in die Verkehrswege sind deshalb gesellschaliche Zukunsinvestitionen. Dies betri auch Investitionen in die Kommunikationstechnik. Deutschland rangiert hier im SEDA-Zeithorizont Aktuelles Level vor allen Referenzgruppen – insbesondere Deutschlands Straßenund Schienennetze werden gut bewertet. Die Bundesrepublik verfügt mit 12.800 Kilometern Autobahn und 39.700 Kilometern Bundesstraßen über eines der dichtesten Straßennetze Europas; dies entspricht einem Wert von 0,15 Kilometer Straße pro Quadratkilometer Fläche. Zum Vergleich: Frankreich verfügt mit 0,06 Kilometern über weniger als halb so viele Straßenkilometer pro Quadratkilometer. Die jährlichen Investitionen in Fernstraßen betrugen in Deutschland 2009 insgesamt € 6,2 Milliarden, in den Folgejahren € 5,5 Milliarden (2010) bzw. € 5,2 Milliarden (2011). Hinzu kommen Investitionen in das Schienennetz, die sich im gleichen Zeitraum von € 4,2 Milliarden (2009) auf € 4,5 Milliarden (2010) bzw. 44 | T B C G € 4,6 Milliarden (2011) erhöhten. Pro Tag nutzen rund sieben Millionen Fahrgäste die Bahn – mehr als doppelt so viele wie in Frankreich (drei Millionen). Ein ganz anderes Bild allerdings ergibt sich beim Blick auf den SEDA-Horizont Fortschritt. Hier zeigt sich, dass die Länder sämtlicher Referenzgruppen in den letzten Jahren deutlichere Verbesserungen in der Dimension Infrastruktur erreichen konnten als Deutschland – die höchsten SEDA-Werte erzielen die großen EU-Länder Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien. Bei der Verbesserung der Breitbandversorgung schneidet Deutschland dem SEDA-Wert zufolge nur mittelmäßig ab. Die höchste Bewertung erreicht hier Frankreich – hohe Investitionen in die Internetinfrastruktur in Deutschlands westlichem Nachbarland wirken sich positiv aus. Im Horizont Nachhaltigkeit weisen die sehr hoch bewerteten europäischen Staaten die höchsten Punktzahlen auf. Eine geringe Staatsverschuldung und hohe Bruttoinvestitionen sichern dort zukünige Investitionsspielräume. Deutschland positioniert sich jedoch deutlich vor den Referenzgruppen A und C (s. Abbildung 19). ABBILDUNG 19 | Deutschlands Bewertung in der Dimension Infrastruktur im Vergleich zu den Referenzgruppen (indexiert) A C Höhere Punktzahl als Deutschland B B B A C A Aktuelles Level Fortschritt C Niedrigere Punktzahl als Deutschland Nachhaltigkeit A Große EU-Länder B Sehr hoch bewertete europäische Staaten C Große internationale Industrieländer Quelle: BCG-Analyse Trotz teils guter Ergebnisse steht Deutschland im Bereich Infrastruktur vor großen Herausforderungen. Die Aussichten darauf, die gute Positionierung im aktuellen Zeithorizont auch in Zukun zu halten, scheinen durch die schlechteren SEDA-Ergebnisse in den Horizonten Fortschritt und Nachhaltigkeit gedämp . Eine Reihe von Entwicklungen, denen sich die Bundesrepublik gegenübersieht, werden die Infrastrukturpolitik der nächsten Jahre bestimmen. Die hohe Staatsverschuldung beispielsweise schränkt die Investitionsvolumina zunehmend ein. Dies kann sich negativ auf die Qualität des Straßen- und Schienennetzes auswirken – teilweise sind Qualitätsprobleme bei der Verkehrsinfrastruktur schon heute erkennbar. Nachbarländer wie Frankreich, die Schweiz oder auch Österreich wirken den sinkenden Finanzierungsmöglichkeiten für den Straßenbau durch Einnahmen aus Mautzahlungen entgegen. Eine weitere große Herausforderung stellt die Energiewende in Deutschland dar. Das 45 | T B C G Stromnetz – ein wichtiger Bestandteil der deutschen Infrastruktur – muss den neuen Anforderungen entsprechend ausgebaut werden. Dies macht weitere Investitionen unabdingbar, damit Ökostrom dorthin transportiert werden kann, wo Energie benötigt wird, und die Netze auch für dezentrale Energieerzeugung gerüstet sind – die BCG-“Trendstudie 2030+“ verdeutlicht den umfangreichen Nachholbedarf. Auch der Ausbau der Mobilfunknetze und der Internetversorgung in Deutschland hin zu schnelleren Übertragungsstandards erfordert weitere Investitionen. Lange Zeit war Europa Vorreiter in der Telekommunikationsindustrie, entwickelte sich aber zuletzt zum Nachzügler; die Vorreiterrolle haben jetzt asiatische Länder und die USA übernommen. Gerade beim Ausbau der Hochgeschwindigkeits-Datennetze ist Deutschland heute weniger gut aufgestellt als andere Länder. Die Studie „Reforming Europe’s Telecom Regulation“ der Boston Consulting Group rechnet vor, dass im europäischen Telekommunikationsmarkt ein mögliches Wachstumsvolumen von € 750 Milliarden und 5,5 Millionen Jobs durch fehlende Investitionen in diesen Bereich bedroht sind. Deutschland kommt hierbei ein entscheidender Anteil zu. Die Studienautoren fordern daher nicht nur eine Erhöhung der Investitionsbudgets, sondern auch eine Überarbeitung der regulato- rischen Rahmenbedingungen in Europa mit dem Ziel, bessere Voraussetzungen für eine weitere Expansion europäischer Anbieter zu schaffen. Eine gute Mobilfunk- und Breitbandversorgung ist für den Wirtschasstandort Deutschland essenziell. Um diese Versorgung nachhaltig konkurrenzfähig zu gestalten, bedarf es einer gezielten staatlichen Förderung. BAHN UND AUTO EXZELLENTE INFRASTRUKTUR IN DER SCHWEIZ Die Schweizer Verkehrspolitik orientiert sich am Grundsatz der Nachhaltigkeit: Demnach ist die Verkehrsinfrastruktur so zu gestalten, dass für die Bevölkerung ein optimales Angebot besteht und der stetig zunehmende Verkehr effizient und umweltfreundlich bewältigt werden kann. Als Grundsatz gilt: „Besser nutzen hat Vorrang vor neu bauen.“ Besonders auf der Schiene hat die Schweiz international gesehen qualitativ die Spitzenreiterrolle eingenommen. Die Eidgenossen investieren jährlich rund CHF 2 Milliarden (ca. € 1,6 Milliarden, 3 Prozent des Schweizer Bundesbudgets) in das Schienennetz. Damit liegen die staatlichen Investitionen in die Schieneninfrastruktur deutlich höher – um den Faktor 1,3 – als die Investitionen in das Straßennetz. In Deutschland beträgt dieses Verhältnis 0,8 – das heißt, es fließt mehr Geld in das Straßen- als in das Schienennetz. Größere Erweiterungsinvestitionen werden in der Schweiz über spezielle Fonds Zusammenfassend zeigt die Betrachtung der nicht-ökonomischen Dimensionen, dass Deutschland zahlreiche Stärken besitzt, auf denen es weiter auauen kann. In vielen Feldern zeichnet sich jedoch eine Lücke ab zwischen dem aktuell deutlich positiven Bild und jenem Bild, das sich in der dynamischen Betrachtung von Fortschritt und Nachhaltigkeit ergibt. Neben den seit langem bekannten enormen Herausforderungen im Bildungs- und Gesundheitssystem sind auch auf traditionell starken Feldern – wie Infrastruktur und Zivilgesellscha – 46 | T B C G finanziert, unter anderem über den 1998 aufgelegten FinöV-Fonds mit einem Investitionsvolumen von CHF 32,1 Milliarden, der die Realisierung von Eisenbahn-Großprojekten ermöglicht. Über ein Landesverkehrsabkommen mit der EU ist die Schweiz in den europäischen Schienenverkehr eingebunden. Dies sichert einen europaweit freien Netzzugang im Güterverkehr und gemeinsame Maßnahmen für eine koordinierte Verkehrspolitik. Das Straßennetz wird vornehmlich durch Steuereinnahmen und die in der Schweiz geltende Pkw-Maut von CHF 40 (rund € 33) pro Jahr und Krafahrzeug finanziert. Die Einnahmen aus der Maut werden vollständig für den Bau, Betrieb und die Unterhaltung der Nationalstraßen eingesetzt und nicht zweckentfremdet. Mit Blick auf die Zukun verfolgt die Schweiz neue Konzepte wie das Mobility Pricing, eine elektronische Erfassung und individuelle Verrechnung aller Mobilitätsleistungen des Einzelnen – sowohl auf der Straße wie auf der Schiene. Anstrengungen erforderlich, um das Erreichte zu halten und auszubauen. Angesichts angespannter öffentlicher Haushalte ist hierbei eine intensivere Kooperation zwischen staatlichem Sektor, Wirtscha und Zivilgesellscha unabdingbar. Die raschen und mutigen Entscheidungen vor allem in der Energiepolitik und bei der Abfederung der Wirtschaskrise zeigen, dass durch gemeinsames Handeln aller Akteure große Herausforderungen erfolgreich bewältigt werden können. AUSBLICK » Ökonomie ist die Kunst, das Beste aus unserem Leben zu machen. « George Bernard Shaw Der vorliegende Report stellt die Ergebnisse der ersten SEDA-Analyse vor. Die Werte für Deutschland zeigen, dass sich die Bundesrepublik verglichen mit anderen Volkswirtschaen in einer guten Situation befindet. Deutschland hat sich, nimmt man die Bandbreite der Dimensionen in den Blick, deutlich ausgeglichener entwickelt als viele andere Länder. Die Betrachtung der jüngsten Fortschritte und der Nachhaltigkeit des Erfolgs offenbart jedoch, dass in einer Reihe von Feldern Handlungsbedarf besteht. Beim Vergleich mit europäischen und internationalen Referenzgruppen wird deutlich, dass andere Länder in einigen Bereichen interessante Konzepte verfolgen, deren genauere Analyse und Überprüfung einen Beitrag zu Lösungskonzepten für Deutschland leisten kann. Von den Erfolgen lässt sich dabei ebenso viel lernen wie von den unerwünschten Nebenwirkungen mancher Reformen. Gerade in Anbetracht der wirtschalich und gesellschalich schwierigen Situation, welche durch zunehmende Ungleichheiten in der Welt und Europa forciert wird, profitieren die Bürger eines Landes von mutigen und konsequent umgesetzten Konzepten. Hierbei ist eine zukunsgerichtete Perspektive entscheidend – die Bewältigung kurz- und mittelfristiger Herausforderungen darf langfristigen Visionen nicht im Wege stehen. 47 | T B C G ANHANG TABELLE 1 | Indikatoren der Zeithorizonte Aktuelles Level und Fortschritt Dimension Indikatoren Einkommen BIP pro Kopf ($ bei Kauraparität) Internationaler Währungsfonds Inflation, durchschnittliche Konsumentenpreise (Änderung in %) Internationaler Währungsfonds Inflationsratenvolatilität (Standardabweichung) Internationaler Währungsfonds, BCG-Analyse BIP-Wachstumsvolatilität (Standardabweichung) Internationaler Währungsfonds, BCG-Analyse Arbeitslosenrate (% der Erwerbstätigen) Weltbank Beschäigungsrate der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren (%) Weltbank, BCG-Analyse Gini-Koeffizient (0 – 100) Weltbank, Eurostat Bürgerbeteiligung (0 – 1) Indices of Social Development Sicherheit und Vertrauen (0 – 1) Indices of Social Development Innerer Zusammenhalt (0 – 1) Indices of Social Development Geschlechtergleichheit (0 – 1) Indices of Social Development Wirtschasstabilität Arbeitsmarkt Einkommensverteilung Zivilgesellscha Korruptionskontrolle (-2,5 – 2,5)1 Worldwide Governance Indicators Rechtsstaatlichkeit (-2,5 – 2,5) Worldwide Governance Indicators Politische Stabilität sowie Abwesenheit von Gewalt und Terrorismus (-2,5 – 2,5) Worldwide Governance Indicators Mitspracherechte und Verantwortung (-2,5 – 2,5)2 Worldwide Governance Indicators Pressefreiheit (0 – 100) Freedom House Eigentumsrechte (0 – 100) Heritage Foundation 1 Staatsapparat Primärquellen 2 Bildungszugang Bildung Schulzeit primär bis tertiär ( Jahre) Weltbank Bildungsbeteiligung im Tertiärbereich (% der Schüler) UNESCO Bildungsqualität Ergebnis Mathematik- und Naturwissenschastest PISA (Punkte) OECD Schüler-Lehrer-Relation im Primärbereich Weltbank 48 | T B C G TABELLE 1 | Indikatoren der Zeithorizonte Aktuelles Level und Fortschritt (Forts.) Dimension Indikatoren Primärquellen Sterblichkeitsraten Lebenserwartung bei Geburt ( Jahre) Weltbank Kindersterblichkeitsrate < 5 Jahre (pro 1.000 Kinder) Weltbank Krankheitsraten Gesundheit HIV-Infektionsrate der Bevölkerung im Alter von 15 bis 49 Jahren (% der Bevölkerung) Weltbank Tuberkuloseerkrankte (pro 100.000 Einwohner) Weltbank Unterernährte Bevölkerung (% der Bevölkerung)3 Weltbank Übergewichtige Bevölkerung (% der Bevölkerung mit einem BMI ≥ 30)3 WHO Zugang zu Gesundheitsversorgung Impfrate Diphtherie bei Kindern zwischen 12 und 23 Monaten (%)4 Weltbank Impfrate Masern bei Kindern zwischen 12 und 23 Monaten (%) Weltbank Ärztedichte (pro 1.000 Menschen) Weltbank Krankenhausbetten (pro 10.000 Menschen) Weltbank Auswirkungen der Luverschmutzung auf Menschen (0 – 100) Environmental Performance Index (Yale University) Naturschutzgebiete (% der Gesamtfläche eines Landes) Weltbank CO2-Intensität (kg CO2 pro kg öl-äquivalenter Energieverbrauch) Weltbank 4 Umwelt Infrastrukturniveau Kommunikation Internetnutzer (pro 100 Menschen) Weltbank Mobiltelefonie-Vertragskunden (pro 100 Menschen) Weltbank Infrastrukturniveau Transport Infrastruktur Qualität des Straßennetzes (1 – 7) World Economic Forum Qualität des Schienennetzes (1 – 7) World Economic Forum Infrastrukturniveau Versorgung Zugang zu Trinkwasser (% der Bevölkerung mit Zugang) Weltbank Zugang zu sanitären Anlagen (% der Bevölkerung mit Zugang) Weltbank 1. SEDA kombiniert Indizes zu Korruptionskontrolle und Rechtsstaatlichkeit zu einem Indikator. 2. SEDA kombiniert Indizes zu Mitspracherechten und Verantwortung sowie Pressefreiheit zu einem Indikator. 3. SEDA kombiniert Indizes zu Unterernährung und Übergewicht zu einem Indikator. 4. SEDA kombiniert Impfraten gegen Diphtherie und Masern zu einem Indikator. Anmerkung: Der Zeithorizont Fortschritt verwendet die fünährige Entwicklung der Indikatoren, die im Zeithorizont Aktuelles Level betrachtet werden (außer in der Dimension Gesundheit, da keine historischen Daten zur HIV-Infektionsrate und zu Tuberkuloseerkrankten verfügbar sind). Quelle: BCG 49 | T B C G TABELLE 2 | Indikatoren des Zeithorizonts Nachhaltigkeit Dimension Einkommen Wirtschasstabilität Arbeitsmarkt Einkommensverteilung Zivilgesellscha Indikatoren Primärquellen Bewertung Bildung SEDA1 Bewertung Gesundheit SEDA1 Vom Bankensektor bereitgestellte inländische Kredite (% des BIP) Weltbank Ausländische Direktinvestitionen (netto in % des BIP) Weltbank Bruttoinvestitionen (% des BIP) Economist Intelligence Unit Rohstofferträge (% des BIP) Weltbank Bruttoverschuldung des Staates (% des BIP) Internationaler Währungsfonds Bewertung Staatsapparat SEDA1 Qualität des Straßennetzes (1 – 7) World Economic Forum Geschästätigkeitsrankings Doing Business Economy Rankings Innovationsindex The Global Innovation Index, 2011 (INSEAD) Verhältnis von Berufstätigen zu Rentnern und Pensionären (0 – 1) United Nations, BCG-Analyse Ergebnis Mathematik- und Naturwissenschastest PISA (Punkte) OECD Vom Bankensektor bereitgestellte inländische Kredite (% des BIP) Weltbank Bruttoverschuldung des Staates (% des BIP) Internationaler Währungsfonds Staatsquote (% des BIP) Internationaler Währungsfonds Bewertung Staatsapparat SEDA1 Bewertung Infrastruktur SEDA1 Exportdiversifikation (0 – 1) UNCTAD Währungsreserven (% des BIP) Weltbank, BCG-Analyse Tuberkuloseerkrankte (pro 100.000 Einwohner) Weltbank Vom Bankensektor bereitgestellte inländische Kredite (% des BIP) Weltbank BIP pro Kopf ($ bei Kauraparität) Internationaler Währungsfonds Bruttoinvestitionen Economist Intelligence Unit Bewertung Staatsapparat SEDA1 Innovationsindex The Global Innovation Index, 2011 (INSEAD) BIP-Wachstumsvolatilität (Standardabweichung) Internationaler Währungsfonds, BCG-Analyse Ergebnis Mathematik- und Naturwissenschastest PISA (Punkte) OECD Ärztedichte (pro 1.000 Menschen) Weltbank Zugang zu sanitären Anlagen (% der Bevölkerung mit Zugang) Weltbank Internetnutzer (pro 100 Menschen) Weltbank Bewertung Zivilgesellscha SEDA1 Einkommensteuerrate (%) KPMG Bewertung Bildung SEDA1 Grundschulbeteiligung Mädchen (% netto) Weltbank Bewertung Gesundheit SEDA1 Eigentumsrechte (0 – 100) Heritage Foundation Ethnolinguistische Heterogenität (0 – 1) Alesina et al., „Fractionalization“ Bewertung Arbeitsmarkt SEDA1 50 | T B C G TABELLE 2 | Indikatoren des Zeithorizonts Nachhaltigkeit (Forts.) Dimension Staatsapparat Bildung Indikatoren Ergebnis Mathematik- und Naturwissenschastest PISA (Punkte) OECD Schuljahre primär bis tertiär ( Jahre) Weltbank BIP pro Kopf ($ bei Kauraparität) Internationaler Währungsfonds Handelsfreiheitsindex Heritage Foundation Bewertung Zivilgesellscha SEDA1 Bewertung Wirtschasstabilität SEDA1 Grundschulbeteiligung Mädchen (% netto) Weltbank Bewertung Gesundheit SEDA1 BIP pro Kopf ($ bei Kauraparität) Internationaler Währungsfonds Bruttoverschuldung des Staates (% des BIP) Internationaler Währungsfonds Staatsquote (% des BIP) Internationaler Währungsfonds Korruptionskontrolle (-2,5 – 2,5) Worldwide Governance Indicators Rechtsstaatlichkeit (-2,5 – 2,5) Worldwide Governance Indicators Internetnutzer (pro 100 Menschen) Weltbank Gini-Koeffizient (0 – 100) Weltbank, Eurostat Grundschulbeteiligung Mädchen (% netto) Weltbank Bewertung Bildung SEDA1 BIP pro Kopf ($ bei Kauraparität) Internationaler Währungsfonds Bruttoverschuldung des Staates (% des BIP) Internationaler Währungsfonds Korruptionskontrolle (-2,5 – 2,5) Worldwide Governance Indicators Rechtsstaatlichkeit (-2,5 – 2,5) Worldwide Governance Indicators Zugang zu Trinkwasser (% der Bevölkerung mit Zugang) Weltbank Zugang zu sanitären Anlagen (% der Bevölkerung mit Zugang) Weltbank Schuljahre primär bis tertiär ( Jahre) UNESCO Bewertung Staatsapparat SEDA1 Internetnutzer (pro 100 Menschen) Weltbank Bürgerbeteiligung (0 – 1) Indices of Social Development Bruttoinvestitionen (% des BIP) Economist Intelligence Unit BIP pro Kopf ($ bei Kauraparität) Internationaler Währungsfonds Bruttoverschuldung des Staates (% des BIP) Internationaler Währungsfonds Staatsquote (% des BIP) Internationaler Währungsfonds Geschästätigkeitsrankings Doing Business Economy Rankings 2 2 Gesundheit 2 2 Umwelt Infrastruktur Primärquellen 1. SEDA-Punktzahl der Dimension im Zeithorizont Aktuelles Level berechnet auf Basis der Indikatoren in Tabelle 1. 2. SEDA kombiniert Indizes zu Korruptionskontrolle und Rechtsstaatlichkeit zu einem Indikator. Quelle: BCG 51 | T B C G LITERATURVERZEICHNIS Alesina, A. et al., „Fractionalization“, National Bureau of Economic Research, Cambridge (Mass.), NBER Working Paper 9411, www.nber.org/papers/w9411.pdf. The Boston Consulting Group und Bundesverband der Deutschen Industrie, „Trendstudie 2030+ – Kompetenzinitiative Energie des BDI“, BCG-Studie, März 2013. Bertelsmann Stiung, Stierverband der Deutschen Wissenscha und Fritz Thyssen Stiung (Hg.), ZiviZ Survey 2012, http:// www.zivix/info/publikationen Bundesagentur für Arbeit, „Arbeiten in Norwegen“, Juli 2013, http://www.baauslandsvermittlung.de/lang_de/nn_958/ DE/LaenderEU/Norwegen/Arbeiten/arbeiten-knoten.html__nnn=true. 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Weltbank, „Doing Business 2012 – Doing Business in a More Transparent World“, Juni 2013, http://www.doingbusiness.org/reports/ global-reports/doing-business-2012. AN DEN LESER Weiterführende Literatur Zum Sustainable Economic Development Assessment (SEDA) der Boston Consulting Group sind bisher folgende englischsprachige Berichte erschienen: From Wealth to Well-Being— Introducing the BCG Sustainable Economic Development Assessment Ein Report der Boston Consulting Group November 2012 Über die Autoren The New Prosperity— Strategies for Improving Well-Being in Sub-Saharan Africa Eine Studie der Boston Consulting Group in Kooperation mit der Tony Blair Africa Governance Initiative Mai 2013 Carsten Kratz ist Senior Partner und Managing Director im Frankfurter Büro der Boston Consulting Group. Seit Januar 2013 ist er Vorsitzender des Management-Teams für Deutschland und Österreich. Douglas Beal ist Partner und Managing Director der Boston Consulting Group in Dubai und weltweiter Leiter des Themenbereichs ökonomische Entwicklung des Unternehmens. Philipp Gerbert ist Senior Partner und Managing Director im Münchner Büro der Boston Consulting Group Group. Er leitet die Praxisgruppe Strategie in Deutschland und Österreich. Enrique Rueda-Sabater ist Senior Advisor bei der Boston Consulting Group. Zuvor war er Leiter der Strategieabteilung der Weltbank. Danksagung Unser besonderer Dank gilt dem Einsatz unserer BCG-Kollegen Ulrich Pidun, André Kronimus, Christoph Schlüter, Shu Ling Heng, Viola von Berlepsch und Martin Heese. Kontaktinformationen Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an die Autoren dieses Reports: Carsten Kratz Senior Partner und Managing Director BCG Frankfurt +49 69 9150-2159 [email protected] Douglas Beal Partner und Managing Director BCG Dubai +971 4 4480 408 [email protected] Philipp Gerbert Senior Partner und Managing Director BCG München +49 89 2317-4299 [email protected] Enrique Rueda-Sabater Senior Advisor [email protected] 54 | T B C G Eine vollständige Liste von BCG-Publikationen und Hinweise zur Anforderung von Broschüren finden Sie auf unseren Internetseiten www.bcg.com/publications und www.bcg.de Abu Dhabi Amsterdam Athens Atlanta Auckland Bangkok Barcelona Beijing Berlin Bogotá Boston Brussels Budapest Buenos Aires Canberra Casablanca 56 | T B C G Chicago Chennai Cologne Copenhagen Dallas Detroit Dubai Düsseldorf Frankfurt Geneva Hamburg Helsinki Hong Kong Houston Istanbul Jakarta Johannesburg Kiev Kuala Lumpur Lisbon London Los Angeles Madrid Melbourne Mexico City Miami Milan Minneapolis Monterrey Montréal Moscow Mumbai Munich Nagoya New Delhi New Jersey New York Oslo Paris Perth Philadelphia Prague Rio de Janeiro Rome San Francisco Santiago São Paulo Seattle Seoul Shanghai Singapore Stockholm Stuttgart Sydney Taipei Tel Aviv Tokyo Toronto Vienna Warsaw Washington Zurich bcg.com