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R EI S E M A G A ZIN Reise nach Nagasaki und auf die Gotō-Inseln Eine Perle im Süden (Teil 1) 1 Blick vom Hausberg: Mediterranes Flair Wer Nagasaki besucht, wird Mühe haben mit der Vorstellung, dass diese charmante „Kleinstadt“ vor etwas mehr als sechs Jahrzehnten total zerstört in Trümmern lag. Denn das mit sonnigem Flair und einer farbenfrohen Geschichte gesegnete Nagasaki versteht es, seine Besucher von der ersten Minute an in seinen Bann zu ziehen. Von Gérard Moinat W er von Haneda aus nach einem gut zweistündigen Flug auf dem Flughafen Nagasaki landet und aus dem Flugzeug steigt, stellt fest, dass er sich zwar noch in demselben Japan befindet, das er im entfernten Tokyo hinter sich gelassen hat – etwas hat sich jedoch verändert. Es gibt da etwas, das sich schwer in Worte fassen lässt. Neugierige Blicke und eine unverkrampfte, leichtlebige Herzlichkeit der Leute fallen als Erstes auf. Kommt man schließlich nach einer kurzen Busfahr t am Hauptbahnhof Nagasaki an, findet man sich, wohl entgegen der Erwartungen, in einer relativ urbanen Umgebung wieder. Grund für die Überraschung dürften wohl die Anspielungen japanischer Freunde und Bekannten sein. Denn trotz der gut 5 Nagasakis Tram: Gemütlich wie die Bewohner 500.000 Einwohner und seiner stolzen Geschichte wird Nagasaki von GroßstadtJapanern als tiefste Provinz verschrien. Die Stadt verfügt jedoch aufgrund ihrer Lage im Becken einer lang gezogenen Bucht mit steil ansteigenden, von subtropischen Wäldern überwucherten Bergen, über eine hohe Bevölkerungsdichte und ein Flair, das an die französische Riviera erinnert. Von Nagasakis Hausberg, dem Inasa-san, dessen Aussichtsplattform mit einer Drahtseilbahn erreichbar ist, hat man einen lohnenden ersten Ausblick über die Stadt. Früher westlicher Einfluss Hinzu kommt ein gewisser, für die Verhältnisse einer japanischen Kleinstadt eher unüblicher, internationaler Cha Dezember 2009 J A PA N M A R K T 37 R EI S E M A G A ZIN 1 Ruine der Urakami-Kathedrale: Schicksalhafte Geschichte 1 Meganebashi rakter. Diesen verdankt Nagasaki seiner bewegten Vergangenheit. Daneben steht als weitere Auffälligkeit eine verträumte Gemütlichkeit, die die Stadt ausstrahlt. Diese Gemütlichkeit ist wohl untrennbar mit der gemächlichen und akustisch unverkennbaren Fortbewegungsart der Tram verbunden. Denn diese macht das Pendeln wie vor neunzig Jahren, als die Tramlinien Nagasakis eröffnet wurden, möglich. Auch wenn ausländische Besucher heute meist Tokyo, Kyoto oder Osaka ansteuern, so hatte Nagasaki schon viel früher und fast zu jedem Zeitpunkt seiner Geschichte regen Austausch mit dem Ausland. Nagasaki war lange Zeit eine abgelegene Hafenstadt mit geringer historischer Bedeutung, bis sie Mitte des 16. Jahrhunderts von portugiesischen Handelsschiffen angesteuert wurde. Mit den Händlern reisende Missionare bekehrten lokale Fürsten zum Christentum. In der Folge begann der Handelsaustausch mit Portugal zu blühen. So wuchs Nagasaki schnell zu einer ansehnlichen Stadt heran und erste westliche Gegenstände wie beispielsweise Tabak, Brot oder auch westliche Kleidung gelangten über seinen Hafen ins Landesinnere und wurden dort schnell in den Alltag integriert. Der christliche Einfluss blieb jedoch nicht lange ungehindert. Aus Angst vor der unbekannten Religion und vor westlichen Einflüssen begann bald eine bru38 J A PA N M A R K T Dezember 2009 tale, landesweite Christenverfolgung. Zur Abschreckung wurden Ende des 16. Jahrhunderts 26 christliche Missionare in Nagasaki gekreuzigt. Ein Denkmal für die Märtyrer ist in gut fünf Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt erreichbar. Dejima: Einstiges Nadelöhr zur Welt Trotz der religiösen Auseinandersetzungen konnte der Handel mit dem Westen weitergehen. Um die Wende zum 17. Jahrhundert ergatterten sich niederländische Handelsreisende das alleinige Recht, mit Japan Handel zu treiben. So wurde den Holländern als Handelsstützpunkt die künstliche, ursprünglich für die Portugiesen gedachte Insel Dejima in der Bucht von Nagasaki zugesprochen. In der Mitte des 17. Jahrhunderts ordnete das regierende Shōgunat aus Angst vor weiteren unheilvollen westlichen Einflüssen die Abschottung Japans an. Die Holländer durften jedoch weiterhin ihre Geschäfte treiben und so war Japans Kontakt mit der Außenwelt während der gesamten 200 Jahre der Isolation auf diese kleine Insel in Nagasaki begrenzt. Eine Replik des einstigen Handelskontors kann heute noch besucht werden. Gleich in der Nähe davon liegt die gleichnamige, überaus sehenswerte Hafenpromenade mit ihren zahlreichen Restaurants. Das Handelsmonopol mit Holland hatte zur Folge, dass die Einwohner Nagasakis alle westlichen Ausländer als „Oranda-san“ (Holländer) und alle Steigen in den westlichen Siedlungen als „Oranda-zaka“ bezeichneten. Die bekannteste unter ihnen ist die „Dutch Slope“, eine mit Kopfstein gepflasterte Straße mit leichtem Anstieg. Unweit davon entfernt liegt der wunderschön gelegene Glover Garden mit zahlreichen Gebäuden aus der Meiji-Zeit. Hier lagen die Häuser der ersten ausländischen Einwohner, die sich nach der von außen forcierten Öffnung ab dem 19. Jahrhundert in Nagasaki ansiedelten. Das Berühmteste ist das Glover Mansion, das angeblich älteste im westlichen Stil erbaute Gebäude Japans. Das Haus des britischen Kaufmanns Thomas Blake Glover ist nicht nur von einem ausgedehnten, aufwendig gepflegten Garten umgeben, sondern bietet auch eine wunderschöne Aussicht auf die Stadt und den 5 Modell von Dejima: Tor zum Westen Hafen. Ziemlich genau zwischen diesen zwei Sehenswürdigkeiten befindet sich die von einem französischen Priester zur Erinnerung an die 26 Märtyrer errichtete Kirche von Ōura, das älteste gotische Bauwerk Japans. Doch nicht nur die westliche Kultur hat Nagasaki geprägt, auch der jahrhundertelange chinesische Einfluss ist heute noch präsent. Da ist zum einen das geschäftige, über 300 Jahre alte Chinatown, die zu bekannten lokalen Speisen wie dem Nudelgericht „Champon“ einlädt. Zum andern finden sich viele chinesische Tempel in der Stadt, wie der 1929 erbaute Sofuku-ji. Seine unverwechselbare, farbenfrohe Architektur geht auf die MingDynastie zurück. 1 Chinatown Festivalverrücktes Nagasaki Im Tempelbezirk Nagasakis gibt es noch viele andere berühmte Sehenswürdigkeiten. Eine davon ist der von einem chinesischen Zen-Priester gegründete Kofuku-ji. Auch die meistfotografierte Touristen-Attraktion verdankt Nagasaki den Chinesen: Die aufgrund der Form ihrer Steinbögen und der Reflektion im Wasser liebevoll Meganebashi (Brillenbrücke) genannte Brücke wurde von einem Abt des Kofuku-Tempel gebaut. Es ist übrigens die älteste Steinbrücke Japans im ausländischen Stil. Typisch für das kosmopolitische Nagasaki liegt, wiederum lediglich einen Steinwurf von den zahllosen Kulturgütern ausländischer Herkunft entfernt, das Zentrum der japanischen Tradition: Der Suwa-Schrein. Dieser wurde vom eins- 1 Bunte und laute Feste: Ohrstöpsel nicht vergessen tigen Shōgunat zur Förderung des heimischen Shinto gebaut, um den christlichen Glauben in die Schranken zu weisen. Er ist auch das Epizentrum des überaus beliebten Okunchi-Festivals, das jedes Jahr vom 7. bis 9. Oktober stattfindet und Schaulustige aus ganz Japan nach Nagasaki zieht. Einzelne in den Tänzen dargestellte Figuren sind chinesischer oder europäischer Herkunft und spiegeln die internationale Geschichte Nagasakis wider. Ein weiterer Höhepunkt im Festplan der festivalverrückten Einwohner Nagasakis ist das O-Bon-Festival. Ende August bis Anfang September, das sich als das lauteste Ahnenfest in ganz Japan rühmt. Ohrstöpsel also nicht vergessen. Kathedrale als Zielmarkierung Doch die sonnige Geschichte Nagasakis hat, wie aus den Geschichtsbüchern des 20. Jahrhunderts allgemein bekannt, auch ihre Schattenseiten. Man kann sich bei einem Besuch wohl nur schwer vorstellen, dass die Stadt vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert in Schutt und Asche lag. Denn außer im Friedenspark und dem benachbarten Atombombenmuseum ist heute von den Spuren der Atombombe nicht mehr viel zu sehen. Es empfiehlt sich, das Museum zu besuchen, um sich diese tragischen Ereignisse vor Augen zu führen. Der Besuch ist jedoch nichts für schwache Nerven. Genau dort, wo am 9. August 1945 um 11:02 Uhr die zweite Atombombe auf Japan abgeworfen wurde, steht heute eine schwarze Granitsäule, die an die Katastrophe erinnert. An ihrer Stelle, so wird dem Besucher auf einer Plakette erklärt, stand vorher die katholische Urakami-Kathedrale. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass das größte christliche Bauwerk Ostasiens den Amerikanern als Zielmarkierung diente. Die ursprünglich aus Irland stammenden GIs wussten wohl ebenso wenig von diesem unglücklichen Zusammenhang wie davon, was sie da wirklich abwarfen. Fünf Gehminuten von den Gedenkstädten entfernt, steht heute eine Rekonstruktion der Kathedrale. Direkt am Hafenbecken liegt ein eigentümlich geformter Park, der an diesen Schicksalstag erinnert. Von dort aus hat man Sicht auf den großen Hafen von Nagasaki: Kreuzfahrtschiffe aus aller Welt liegen hier vor Anker. Nicht weit von hier ist auch der kleine, aber belebte Passagierhafen von Nagasaki, der die Provinzhauptstadt mit den vorgelagerten Inseln verbindet. Und dahin geht unsere Reise im zweiten Teil dieser Serie. Im zweiten Teil: Das bietet die Provinz Nagasaki • Ioujima: Die kleine Zwillingsinsel vor Nagasaki ist wie gemacht zum Entspannen. • Verwunschene Inselwelten, traumhafte Strände und japanisch-christliche Kultur: Die Gotō-Inseln bieten alles. • Die heißen Quellen von Unzen. • Huis ten Bosch: Ein Stück Holland in der japanischen Provinz. R EI S E T I P P ANA, JAL und Skynet Asia fliegen mehrmals täglich von Tokyo nach Nagasaki. Von dort aus dauert es mit dem Bus schließlich 45 Minuten bis zum Hauptbahnhof Nagasaki. Mit dem Zug kommt man von Tokyo in etwas mehr als sieben Stunden nach Nagasaki und zahlt 24.680 Yen pro Weg. Von Hakata (Fukuoka) nach Nagasaki dauert die Reise mit dem „Kamome Limited Express“ je nach Verbindung zirka zwei Stunden und kostet 4.710 Yen. Dezember 2009 J A PA N M A R K T 39