Antibiotikaresistenz - Klinik

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Antibiotikaresistenz - Klinik
MEDIZIN INDIVIDUELL
SOMMER 2002
editorial
inhalt
4
spendenprojekte
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
· Menschliche Medizin braucht privates
„Fass das nicht an – da sind Bazillen dran !“
und soziales Engagement
Zu meiner Erinnerung an die 50er Jahre gehört dieser
Schreckensruf. Unsichtbar lebten die Bazillen in der schmuddeligen Schattenseite jener leuchtenden Fortschrittswelt,
die uns das „strahlendste Weiß Ihres Lebens“ und die
hygienische, abwaschbare Verpackung bescherte. Die Fantasie, was die Unsichtbaren so treiben – vor allem wenn sie
auch auf uns herumzukrabbeln beginnen – rührte an UrÄngste: Schlagt das Ungeziefer tot! Zum Glück gab es das
Penicillin, die scharfe Waffe gegen die Erreger allen Übels,
die der weißgekleidete Dr. Fleming gefunden hatte. Sein
markantes Profil im „Reader’s Digest“ hat sich mir tief
eingeprägt.
· Mit Thymian gegen gefährliche Keime
neues aus herdecke
5
· Das Gemeinschaftskrankenhaus
Herdecke feiert seinen 33-sten
Geburtstag
· Neuer Datenhighway
6
· Betriebseurythmie fördert soziale
Kompetenzen
· Berichtigung zum Thema „Kopfschmerzen“
7
· Darf der Mensch alles tun, was er
Doch die scharfe Waffe wird stumpf: Immer häufiger versagen Antibiotika gegen Bakterien, besonders bei schwer
kranken Menschen, deren Immunabwehr stark geschwächt
ist. Die Erkenntnis, dass die Bakterien resistent werden,
lehrt uns, dass etwas an diesem Kinderglauben, dem Feindbild der Bakterien falsch sein muss.
tun könnte?
wenn antibiotika versagen
8
10
· Bakterien sind ganz anders
· Leben in der Isolation
· Die heimliche Macht der MRSA
11
· Die Mittelohrentzündung –
13
· Immunabwehr und
ein Zivilisationsphänomen ?
Antibiotikabehandlung
14
· Besser auf Holzbrettchen
frühstücken
· Mit Pflanzen gegen Bakterien & Co.
15
· Homöopathie im Schweinestall
16
· Bakterien und ihre Unempfind-
18
· Hygiene zu Hause ohne Antiseptika
· Buchhinweise
nachgefragt
19
· „Wir Physiotherapeuten sind auch
Ansprechpartner für seelische
Konflikte”
medizin magazin
20
· Ordnung schaffen und
21
· Wei-Qi, Schutzschirm
sauber machen
gegen Erkältung
ernährung
22
· Ballaststoffe in der Nahrung
MEDIZIN INDIVIDUELL
SOMMER 2002
Titelbild: Das Bakterium Pseudomonas aeruginosa in 6000facher Vergrößerung
lichkeit gegen Antibiotika
Christoph Rehm zeichnet in seinem Artikel auf Seite 8 ein
anderes Bild der Bakterien: „Ihre überwiegende Rolle besteht darin, gesundes höheres Leben zu ermöglichen.“ Der
Feind ist in uns, wir leben in seiner Biosphäre. Eine Symbiose mit den Bakterien gelingt aber nur, wenn unsere
Immunabwehr reaktionsfähig ist. Ärztliche Kunst besteht
darin, die Abwehrlage des Kranken zu beachten und die
Therapie daran zu orientieren: die Immunabwehr anregend, unterstützend oder entlastend. Christoph Schnürer
und Arndt Büssing beschreiben Therapie als „risikoadaptiertes Vorgehen“: ganz nah am Patienten, aufmerksam
begleitend und die Wirkung beobachtend. Dazu gehören
Maßnahmen, die den ganzen Menschen ansprechen.
So lassen sich Antibiotika gezielt genau dann einsetzen,
wenn sie wirklich erforderlich sind.
Merke: Wer mit sich selbst nicht im Reinen ist, findet
überall Feinde. (Chinesisches Sprichwort)
Peter Zimmermann
Vorstand des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke
Telefon (0 23 30) 62-3638
Freundeskreis des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke
Menschliche Medizin braucht
Ihr persönliches Engagement
Wir möchten Sie herzlich in unseren vielen Unterstützer des GemeinschaftsFreundeskreis einladen.
krankenhauses schafft die Grundlage,
diese besondere Güte und Qualität
Mehr Zeit für ganzheitliche Behandlung, anbieten zu können.
mehr Zeit für besondere Pflege, mehr
Zeit für Gespräche – das kann für jeden Unser Freundeskreis unterstützt das
von uns einmal wesentlich sein. Das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke,
persönliche Engagement aller Mitarbei- damit auch zukünftig mehr Zeit für den
ter und Mitarbeiterinnen sowie das der einzelnen Patienten ermöglicht wird
und vielen Patienten und Patientinnen auf
ihrem individuellen
Weg durch
Kurt Tucholsky
menschliche
Medizin geholfen werden kann.
Freundschaft ist wie Heimat.
Foto: Weleda
spendenprojekte
Forscher brauchen Spenden
Mit Thymian gegen
gefährliche Keime
Immer mehr Keime werden widerstandsfähig gegenüber Antibiotika. Die pharmazeutische Industrie kann nicht mehr
schnell genug neue Antibiotika entwickeln. Eine der wichtigsten Medikamentengruppen der Neuzeit verliert
an Wirkung. Wir brauchen dringend
alternative Methoden zur Behandlung
bakterieller Infektionen. Es ist zwar
schon längere Zeit bekannt, dass
Pflanzenauszüge, die ätherische Öle
enthalten, zum Beispiel der Thymian
(Thymus vulgaris), Bakterien abtöten
können, doch systematische klinische
Untersuchungen stehen bislang aus.
In einer Pilotstudie wollen Ärzte,
Mikrobiologen und Hygieniker des
Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke
Ihr Engagement im Freundeskreis:
Ein kleiner Beitrag für Sie, eine große
Hilfe für uns. Als kleines Dankeschön werden wir Ihnen regelmäßig
„Medizin individuell“ zusenden und
Sie gerne zu interessanten Veranstaltungen in unserem Haus einladen.
zunächst die Wirkung von Thymianextrakten auf die normale Hautflora von
einzelnen gesunden Probanden untersuchen. Es folgen Untersuchungen
an pathogenen Keimen, die hochresistent gegen Antibiotika sind und auf
gesunde Haut aufgebracht werden.
Diese Experimente sind unabdingbare
Wir freuen uns, wenn Sie unsere
Gemeinschaft mit Ihrer Persönlichkeit bereichern. Bitte rufen Sie uns
an, wir geben Ihnen gerne weitere
Informationen.
Voraussetzung für die eventuelle Unter-
Martina Oster und Stephan Rotthaus
Telefon (0 23 30) 62-3062 | E-Mail:
[email protected].
fortgesetzt werden! Durch die Arbeit
suchung an infizierten Wunden.
Helfen Sie mit, diese wichtige Pilotstudie zu ermöglichen, denn ohne Ihre
Unterstützung kann das Projekt nicht
dieser Forscher kann unter Umständen
vielen Menschen eine langwierige und
schmerzhafte Infektion erspart oder
Foto: Stephan Brendgen
sogar ihr Leben gerettet werden.
Ein kleiner Beitrag für Sie. Eine große
Hilfe für uns.
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Bitte geben Sie auf dem Überweisungsträger das Stichwort „ThymianForschung“ an.
Dr. Christoph Rehm und Franz Sitzmann
neues aus herdecke
11. bis 16. November 2002 – Termin bitte vormerken!
Das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke
feiert seinen dreiunddreißigsten Geburtstag
Aktiv und besinnlich, mit künstlerischen Projekten und Diskussionsforen:
so feiert das Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke in diesem Herbst sein
33-jähriges Bestehen. Mit der Rückbesinnung auf den Gründungsimpuls
Gerhard Kienles im einleitenden Abendvortrag von Peter Selg ist die Frage
verbunden nach dessen Weiterwirken
in die Zukunft. Vorträge von Michaela
Glöckler und Johannes Stüttgen sollen
zur Auseinandersetzung damit anregen.
Außerdem finden viele andere Aktivitäten statt: künstlerische Kurse, Diskussionsrunden zu aktuellen gesundheitspolitischen Themen, eine humoristische Abendveranstaltung, das Entstehen eines Farbraumes und vor allem
Begegnung.
Im Austausch aller Beteiligten soll
ermöglicht werden, dass viele Farben
in das Zukunftsbild des Gemeinschaftskrankenhauses eingebracht werden
können. Nach 33 Jahren muss der Impuls der Gründerpersönlichkeit verwan-
Hand in Hand – Schulmedizin und erweiterte Medizin
am Gemeinschaftskrankenhaus
delt werden. Welche Form ist geeignet,
alle Kräfte und Motive zu umfassen?
Welche heutige Form der Zusammenarbeit birgt den Keim einer nachhaltigen Zukunft in sich?
Dazu sind nicht zuletzt vor den veränderten gesundheitspolitischen Gegebenheiten neue Ideen und neue Fähigkeiten erforderlich. Im Miteinander
Neuer Datenhighway
Vier EDV-Mitarbeiter und ein Auszubildender betreuen und organisieren die
Computeranlagen des Gemeinschaftskrankenhauses. Damit die elektronischen
Daten zukünftig noch schneller ans Ziel
kommen, wurde am 2. April ein neues
Krankenhausinformationssystem in
Betrieb genommen. Orbis, so heißt die
neue Software, soll helfen, Informationen zur richtigen Zeit am richtigen
Ort zur Verfügung zu stellen. Durch
die bessere Vernetzung der einzelnen
Abteilungen können Informationen
wie zum Beispiel Laborergebnisse oder
Röntgenbilder zukünftig effizienter
ausgetauscht werden. Das spart Kosten
und Zeit. Zeit, die wir dann wieder für
unsere Patienten nutzen können. NA
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Foto: Stephan Brendgen-
wird es möglich sein, diese zu entwickeln. Dazu soll die Woche vom 11. bis
16. November 2002 einen Impuls geben.
Wir freuen uns über jeden, der daran
mitgestalten möchte.
Barbara Trapp-Hoyer | Heileurythmistin
am Gemeinschaftskrankenhaus
Telefon (0 23 30) 62-3507
Foto: Stephan Brendgen
neues aus herdecke
Betriebseurythmie fördert soziale Kompetenzen
Die Angebote des
Gemeinschaftskranken-
In ihrem Buch „Betriebseurythmie – ein
Übungsweg zu Teambildung und beweglicher Arbeitsorganisation” möchten
die Autoren Michael Brater, Ute Büchele
und Ralf Gleide die Betriebseurythmie
als ein Mittel zur besseren Kommunikation vorstellen. Betriebseurythmie
ist ein künstlerischer Übungsweg, der
berufsbezogen eingesetzt wird. Sie
kann in Unternehmen und Einrichtungen durchgeführt werden. Sie schult
in ganz eigener Weise kommunikative
und soziale Kompetenzen sowie die
Fähigkeit, als Teil einer Arbeitsgemeinschaft situationsbezogen zu handeln.
Betriebseurythmie kann die auf dem
Gebiet der Arbeitsorganisation lange
vernachlässigten dialogischen und sozialen Dimensionen der menschlichen
Vernunft neu wecken.
Anstelle eines Vorwortes schildert Annemarie Ehrlich in einem Interview ihre
Erfahrungen, die sie seit 1989 drei- bis
viermal im Jahr für je drei Tage im
Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke
im Rahmen der Betriebseurythmie
machte. FS
Foto: Stephan Brendgen
hauses Herdecke
Zentrale (0 23 30) 62-0
www.gemeinschaftskrankenhaus.de
[email protected]
Chirurgie und Urologie
56 Betten, (0 23 30) 62-3444
Dialyse
8 Plätze, (0 23 30) 62-3596
Frauenheilkunde
23 Betten, (0 23 30) 62-3456
Geburtshilfe
30 Betten, (0 23 30) 62-3456
Innere Medizin
85 Betten, (0 23 30) 62-3596
Kinderheilkunde
32 Betten, (0 23 30) 62-3907
Klinische Frührehabilitation
32 Betten, (0 23 30) 62-3332
Neurochirurgie
32 Betten, (0 23 30) 62-3414
Neurologie
27 Betten, (0 23 30) 62-3501
Psychosomatische Medizin
16 Betten, (0 23 30) 62-3037
Abteilung für
Querschnittgelähmte
Michael Brater, Ute Büchele, Ralf Gleide,
„Betriebseurythmie - ein Übungsweg zu Teambildung und beweglicher Arbeitsorganisation“
Verlag Freies Geistesleben Stuttgart
ISBN: 37 72 51 10 90 | 9,90 Euro
20 Betten, (0 23 30) 62-3425
Psychiatrie
•
Kinder- und Jugendliche
38 Betten, (0 23 30) 62-3909
und Tagesklinik
•
Junge Erwachsene
26 Betten, (0 23 30) 62-3027
•
Erwachsene
34 Betten, (0 23 30) 62-3406
•
Psychiatrische Tagesklinik
20 Plätze, (0 23 02) 91 49 50
Berichtigung zum Thema „Kopschmerzen“
Kooperationen
Bei der Erstellung der Artikel in Heft 7
zum Thema: „Wenn der Kopf schmerzt”
und „Was tun bei akuten Schmerzen?”
sind auf den Seiten 14 und 15 leider Fehler unterlaufen. Richtigzustellen sind
folgende angeführte Therapiehinweise:
Thrombozytenaggregation durch Hemmung der Prostaglandinsynthese.
2. Für die Pfefferminzanwendung gilt
die Empfehlung, dass zur Selbstmedikation bei leichten Kopfschmerzen
Pfefferminzöl hilfreich ist, das auf Stirn
1. Aspirin senkt keinesfalls den Cho- und Schläfen aufgetragen wird. Tees
lesterinspiegel, sondern hemmt die sind zu niedrig konzentriert.
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•
Radiologische Praxis
Dr. Pallapies und Dr. Behring
- Computertomograph
- Kernspintomograph
•
Kardiologische Praxis
Dr. Liebermann und Dr. Arens
- Herzkatheterlabor
•
Pulmologische Privatpraxis
Dr. Schnürer
neues aus herdecke
Gründung des Institutes Mensch, Ethik und Wissenschaft in Berlin
Darf der Mensch alles tun, was er tun könnte?
Menschen, die nicht selbst entscheiden
können, was sie möchten und was
nicht, haben in unserer Gesellschaft,
die oftmals ein reduktionistisches
Menschenbild (der Mensch ist nicht
mehr als die Summe seiner Teile) vertritt, einen schweren Stand. In den
Jahren 1997 und 1998 wurde anlässlich
der so genannten Bioethik-Konvention
des Europarates bei vielen Kongressen
und Tagungen über die vorgesehene
Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen diskutiert. Bei diesen
Tagungen wurde die Funktion der Ethik
als reine Legitimationsdisziplin deutlich. Doch wer bestimmt, was ethisch
vertretbar ist? Darf alles getan werden,
was technisch möglich ist? Wo sind
die Grenzen der modernen Medizinforschung?
Um Menschen in diesen Fragen
Unterstützung zu geben, um Richtungen aufzuzeigen, wurde jetzt nach
jahrelanger Vorbereitungszeit, ein EthikInstitut gegründet, angeregt von Prof.
Dietrich Dörner (ehemaliger Chefarzt
der Psychiatrie Gütersloh und Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der
Universität Witten/Herdecke) und Dr.
Paolo Bavastro (Leitender Arzt der Inneren Abteilung an der Filderklinik
und Landesvorsitzender des Deutschen
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes
Baden-Württemberg). Das Institut
bekennt sich klar zu einem umfassenden, nicht reduktionistischen Menschenbild. Nicht die faktische Macht
des Machbaren zu akzeptieren und zu
schauen, was man am besten daraus
machen kann, sollte die Aufgabe
sein, sondern die faktische Macht
des Machbaren selbst zu hinterfragen.
Ein drittes starkes Element des Institutes ist es, die Verbände der Schwächeren
in unserer Gesellschaft zu integrieren –
gerade als Signal in der Gesellschaft.
So sind zum Beispiel die Bundesgemeinschaft für Behinderte und der
Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte Gesellschafter des Institutes.
Das Institut trägt bewusst den Namen
„Mensch” an erster Stelle, um zu signalisieren, dass der Mensch in seiner Ganzheit, in seiner Komplexität stets im Zentrum der Bemühungen des Institutes
stehen wird.
Dott. Paolo Bavastro
Filderklinik in Filderstadt
Wettbewerb: „Was ist das?“
Oft sind es die kleinen Dinge, die uns
zum Staunen bringen können.
deten Buches „Menschen im Gemeinschaftsrankenhaus. Innenansichten
einer anderen Medizin“. Die Gewinner
Versuchen Sie doch einmal herauszu- werden in der nächsten Ausgabe veröffinden, zu welchem Bereich in unserem fentlicht.
Haus die abgebildete Detailaufnahme
gehört. Als kleiner Tipp: „In unserem Viel Glück wünscht Ihnen der FreundesHaus“ bedeutet nicht unbedingt „im kreis des Gemeinschaftskrankenhauses.
Haus“...
MO
Bitte schicken Sie die Lösung bis zum
27. August 2002 an den Freundeskreis
des Gemeinschaftskrankenhauses
Herdecke, z.Hd. Martina Oster. Vergessen Sie nicht, Ihren Namen und Ihre
Anschrift anzugeben.
Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir drei Exemplare des abgebil-
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Foto: Stephan Brendgen
antibiotikaversagen
Bakterien sind ganz anders
Bakterien sind zwar mikroskopisch klein und deshalb fast immer
unsichtbar, aber: Ohne diese allgegenwärtigen Organismen gäbe
es keine Erdgeschichte, ohne sie keine Evolution von Pflanzen,
Tieren und Menschen. Ohne sie könnte kein Leben auf der Erde
existieren. Gegenüber dieser überragenden Bedeutung für alles
Leben auf unserem Planeten stellen die Krankheitserreger unter
ihnen eher ein Randphänomen dar.
Bakterien und Evolution
Von allen Organismen, die sich heute auf unserer Erde finden,
gelten Bakterien als die ältesten. Ihre Entstehung liegt mehr
als vier Milliarden Jahre zurück. Bakterien sorgten in der
frühen Erdgeschichte bereits für den Aufbau von Gesteinen.
Ein Beispiel sind die so genannten Stomatholithe – durch
Cyanobakterien ausgefällte Kalkablagerungen, die auch heute
noch entstehen können. Bakterien bewirkten aber vor allem
die Bildung einer Sauerstoff-
atmosphäre – eine Voraussetzung für die weitere Entwicklung
pflanzlichen und tierischen Lebens. Außer der Photosynthese
(der Fähigkeit, aus CO2 und Wasser, Zucker und Sauerstoff
herzustellen) entwickelten die Bakterien grundlegende Prinzipien
des zellulären Energiestoffwechsels und der Zellatmung. Und
die dritte große Errungenschaft: die Entwicklung des genetischen Codes, der für alle späteren höheren Organismen seine
Gültigkeit behalten hat.
Zwischen Pflanzen und Tieren besteht eine globale Stoffwechsel-Beziehung: Pflanzen synthetisieren aus Wasser
und Kohlensäure (CO2) Zuckerstoffe, so genannte Kohlenhydrate. Dazu nutzen sie als Energiequelle das Sonnenlicht. Bei dieser Photosynthese entsteht gleichzeitig der Sauerstoff
unserer Atmosphäre. Dieser
Sauerstoff wird von Mensch
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antibiotikaversagen
und Tier eingeatmet und bei der „Verbrennung” der Nahrungsstoffe in den Körperzellen verbraucht. Die gewonnene Energie dient den physiologischen Leistungen des
Organismus: Wachstum, Regeneration, Muskelbewegung,
Wärmehaushalt, Abwehr, Ausscheidung und anderem. Die
bei der inneren Verbrennung entstehende Kohlensäure
wird ausgeatmet und steht den Pflanzen wieder für die
Photosynthese zur Verfügung. Ein faszinierender Kreislauf
des Lebens.
Bakterien schützen Haut und Schleimhäute von Tier und
Mensch – ohne schützende Bakterien werden vor allem die
Schleimhäute, zum Beispiel die Mundschleimhaut des Menschen, krank und anfällig für Infektionen durch schädliche
Mikroorganismen wie Hefepilze oder Viren. Im Darm von
Tieren und Menschen erzeugen Bakterien ein Milieu, das
zur gesunden Verdauung notwendig ist. Bakterien regen
das Immunsystem von Tier und Mensch an, wodurch es
zur Abwehr von Infektionen gestärkt wird.
Auf welchem Wege aber konnten die Pflanzen die Fähigkeit
zur Photosynthese in der Evolution entwickeln? Die Organellen, welche in der Pflanzenzelle die Photosynthese
ermöglichen, werden als Chloroplasten bezeichnet – in
ihnen ist der grüne Farbstoff, das Chlorophyll, enthalten,
das die Energie des Sonnenlichtes einfangen kann. Es ist
heute bewiesen, dass die Chloroplasten ursprünglich Bakterien waren. Diese kleinen, einst freilebenden Bakterien
sind in die Vorläufer der Pflanzenzellen eingewandert. Die
spätere Pflanzenzelle hat ihre Photosynthesefähigkeit also
nicht selbst entwickelt, sondern nur durch den Einbau von
Bakterien erlangt. Durch diesen synthetischen Evolutionsschritt haben Bakterien ihre besondere Fähigkeit zur
Verfügung gestellt und so die Pflanzenentstehung erst ermöglicht!
Bakterien sind in der gesamten Biosphäre an den Kreisläufen von Stickstoff, Phosphor, Kohlenstoff und Schwefel
maßgeblich beteiligt. Bakterien erzeugen unter bestimmten Bedingungen im Meer, in Seen und im Erdboden Stoffe,
die in die Atmosphäre aufsteigen und dort zur Wolkenbildung
führen. Diese von den Bakterien gebildeten Stoffe wirken
als Kondensationskeime in der wasserdampfgesättigten
Luft: Dadurch üben Bakterien einen erheblichen Einfluss
auf das Wettergeschehen aus!
In der Ernährung spielen Bakterien seit Menschengedenken eine große Rolle. Sie kommen bei der Erzeugung und
Konservierung verschiedener Nahrungsmittel zur Anwendung (zum Beipiel bei Sauermilchprodukten, Käse, Sauerkraut, Sauerteigbrot und Essig). Darüber hinaus haben Bakterien eine breite Anwendung in biotechnologischen ProAuf welche Weise haben die höheren Organismen in
zessen gefunden. Die industrielle Synthese von zum Beider Evolution ihre Fähigkeit zur Zellatmung und zum
spiel Vitaminen, Hormonen, Antibiotika, Aminosäuren und
damit verbundenen Energiestoffwechsel erworben? Eben- Enzymen wird heute ganz oder in Teilschritten von Baktefalls durch Bakterien! Die so genannten Mitochondrien, die rien vollzogen.
„Kraftwerke“ der Zelle, in denen die „Verbrennung“, der
Sauerstoffverbrauch stattfindet, sind ebenfalls Zellorganel- Bakterien sind also nicht in erster Linie zu bekämpfende
len, die ursprünglich als Bakterien in synthetischer Evolu- Krankheitserreger. Sie sind vielmehr in ihrer Vielseitigkeit
tion in die Zellen aufgenommen wurden.
und Unentbehrlichkeit einzigartig. Weder eine Evolution
des Lebens noch das heutige Leben auf unserem Planeten
Bakterien waren es also, die mit Photosynthese und Zellwären ohne sie denkbar. Sie durchdringen alle Räume der
atmung die unabdingbaren Grundlagen für alles höhere
Biosphäre. Ihre überwiegende Rolle besteht dabei darin,
Leben in der Evolution entwickelt und eingebracht haben! gesundes höheres Leben zu ermöglichen. Sie „verzichten”
Noch heute leisten vor allem in den Weltmeeren photodabei auf die Ausbildung einer eigenen Gestalt und sind
synthetische Cyanobakterien einen erheblichen Beitrag zur weitgehend im Unsichtbaren tätig – oft nur an ihren WirVersorgung unserer Atmosphäre mit Sauerstoff.
kungen bemerkbar. Es besteht Grund, ihnen die größte
Bewunderung zu zollen.
Bakterien in der Biosphäre
Neben ihrer herausragenden Rolle in der Evolution des
Lebens sind Bakterien bei einer Vielzahl von Lebensvorgängen in unentbehrlicher Weise beteiligt. Dazu gehören
unter anderem die Verwitterungsvorgänge von Gesteinen
und die Verrottung organischen Materials zu Humus, dem
lebentragenden Bestandteil aller fruchtbaren Böden.
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Dr. Christoph Rehm | Mikrobiologe
Laborleiter am Gemeinschaftskrankenhaus
Telefon (0 23 30) 62-3600
Foto: eye of science
antibiotikaversagen
Patientenporträt: Markus Schenderlein
Leben in der Isolation
Die Station für Rückenmarkverletzte am Gemeinschaftskrankenhaus:
Türen rechts und links. Es riecht nach Krankenhaus. Etwas unterscheidet
diese Station von anderen: An manchen Türen hängen auffällige rote Schilder. Hinter einer dieser Türen liegt Markus Schenderlein. Seit einem halben
Jahr lebt er hier, von jedem direktem Kontakt abgeschlossen. Vor seiner
Tür steht ein fahrbarer Tisch mit Desinfektionsmitteln, Handschuhen, Kitteln und Mundschutz. Jeder der in sein Zimmer will, muss sich hier „verkleiden“. Denn Markus Schenderlein hat eine bakterielle Infektion, deren
Ausbreitung verhindert werden soll. Der Keim, der ihn befallen hat, heißt
MRSA. Es wird vermutet, dass mehr als ein Drittel der deutschen Bevölkerung diesen Keim im Körper hat, ohne dass er Schaden anrichtet. MRSA
kann aber für immungeschwächte Patienten zum Problem werden. Vor
allem deshalb ist Markus Schenderlein isoliert: Es soll verhindert werden,
dass sich andere Patienten anstecken.
Die heimliche
Macht der MRSA
Die Abkürzung MRSA bezeichnet Bakterien, die zur Gruppe der Staphylokokken
gehören und gegen eine bestimmte
Antibiotikumgruppe widerstandsfähig
geworden sind. Staphylokokken, speziell der Staphylococcus aureus (Bild
oben), sind sowohl innerhalb wie
auch außerhalb der Krankenhäuser
ein sehr häufiger Erreger bakterieller
Infektionen. Etwa 30 bis 40 % der
deutschen Bevölkerung sind mit Staphylococcus aureus besiedelt, ohne
dass diese Besiedelung direkt eine
Seine eigene Krankengeschichte beginnt im Sommer 1995. Da war er als
Betreuer mit Jugendlichen auf einer Ferienreise. Er fuhr mit dem Motorrad voraus, der Rest der Gruppe in PKWs hinterher. In einer scharfen
Rechtskurve kommt ihm ein Auto auf seiner Spur entgegen. Markus
Schenderlein versucht noch auszuweichen – zu spät. Seit über sechs
Jahren sitzt er nun im Rollstuhl. Er kann seine Arme normal einsetzen,
seine Beine sind gelähmt. Der Krankenpfleger hat sein Leben umgestellt.
Er machte eine zusätzliche pädagogische Ausbildung und bildet seitdem
junge Menschen in Krankenpflegeschulen aus. Wo er
sich den MRSA-Erreger eingefangen hat, lässt sich
heute nicht mehr nachvollziehen. Aufgefallen ist er
erst hier im Krankenhaus.
Markus Schenderlein wurde vor knapp einem halben Jahr eingeliefert,
weil er sich vier offene Stellen an den Knöcheln und am Gesäß zugezogen
hatte. Auf einem Rutschbrett sitzend hatte er Parkett in seinem neuen
Haus verlegt und dabei wohl einige Körperteile zu stark belastet. Die
offenen Wunden müssen abheilen, erst dann darf Markus Schenderlein
das Krankenhaus verlassen. Aber der MRSA-Erreger verzögert die Wundheilung spürbar. Er hat sich in der einen immer noch offenen Wunde
festgesetzt. Eine Therapie mit Antibiotika ist kaum möglich. Gegen viele
Präparate ist der Keim resistent geworden. Um nicht auch noch die letzten
wirksamen Waffen zu verlieren, gehen die Ärzte mit dem Einsatz der wenigen Reserve-Antibiotika äußerst sparsam um. Nur in der ersten Woche
hat Markus Schenderlein ein Präparat erhalten, um eine lebensgefährliche
Blutvergiftung abzuwenden. Jetzt wird er mit homöopathischen Mitteln
behandelt, die sein Immunsystem anregen sollen, eigene Abwehrkräfte zu
bilden. Nach nun fast sechs Monaten hat Markus Schenderlein die Isolation
satt. Er sehnt sich nach einem normalen Leben zu Hause. Danach, mit seiner
Familie oder Freunden etwas zu unternehmen. Den geliebten VfL Bochum
mal wieder live zu sehen. Ganz normale Dinge eben, die ihm jetzt noch
verwehrt sind.
Es gibt nur noch
sehr wenige wirksame
Medikamente
Stephan Rotthaus und Nadine Schmitt
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Krankheit auslöst. Seit Anfang der
70er Jahre haben aber einige Staphylokokken-Stämme Resistenzen gegen
die üblicherweise eingesetzten Antibiotika entwickelt, und zwar gegen den
Wirkstoff Methicillin. Diese Stämme
werden seitdem Methicillin-resistenteStaphylococcus-aureus genannt (=
MRSA). Die krank machenden Eigenschaften der MRSA unterscheiden
sich nicht von denen anderer Staphylokokken. So sind Atem- und
Harnwegsentzündungen häufige Erscheinungsbilder. Treten solche Symptome
im Rahmen einer Infektion durch
MRSA auf, können sie nicht mit den
üblichen wirksamen Antibiotika behandelt werden. Die Infektion kann sich
ausbreiten und zu ernsthaften Erkrankungen wie Lungenentzündung oder
Blutvergiftung führen. Nur sehr wenige
Medikamente können dann noch eingesetzt werden. Diese haben allerdings
deutlich mehr Nebenwirkungen und
sind sehr teuer. Einige MRSA-Stämme
haben die Eigenschaft, sich unter den
besonderen Bedingungen des Krankenhauses schnell auszubreiten, insbesondere bei chronisch Kranken und
Patienten mit herabgesetzter Abwehr.
Um die Zahl MRSA-infizierter Patienten so gering wie möglich zu halten,
werden in Krankenhäusern strenge Isolierungs- und Behandlungsmaßnahmen
durchgeführt. FS
antibiotikaversagen
Die Mittelohrentzündung – ein Zivilisationsphänomen ?
Der an der Kinderambulanz des Gemeinschaftskrankenhauses praktizierte
zurückhaltende Umgang mit Antibiotika im Rahmen der anthroposophisch
erweiterten Medizin ist lange erprobt. Er hat aber auch kritische Reaktionen
in Fachkreisen provoziert. Am Beispiel der Mittelohrentzündung kann
anhand neuerer Untersuchungen gezeigt werden, dass der eingeschlagene
Weg nicht ins Abseits geführt hat.
Ohrenschmerzen gehören zu den häufigsten Gründen für
einen Arztbesuch im Kindesalter. Meist verbirgt sich dahinter eine Entzündung des Mittelohres, die nicht selten mit
erheblichem Leidensdruck einhergeht. Der Schmerz
hält oft nur kurz an, ist aber heftig und in der Regel begleitet
von Fieber und einem allgemeinen Krankheitsgefühl. Die
Mittelohrentzündung kommt insbesondere bei kleinen
Kindern vor und ist im ersten Lebensjahr am häufigsten.
Ein Grund dafür mag sein, dass die so genannte Tube, das
rohrartige Verbindungsstück zwischen Rachenhinterwand
und Mittelohr, im frühen Kindesalter noch sehr kurz ist:
Man mutmaßt, dass Infektionen aus dem Rachenbereich
leichter in das Mittelohr gelangen können. Dies allein
kann aber nicht Grund dafür sein, dass sich die Zahl von
Mittelohrentzündungen in den letzten Jahren erhöht hat:
In den USA hat sich die Anzahl der Besuche beim Hausarzt
wegen einer „Otitis media“ von 1975 bis 1990 fast verdreifacht. Auch in Finnland konnte zwischen 1974 und 1995
eine annähernde Verdoppelung der Neuerkrankungen
an Mittelohrentzündung festgestellt werden. Zwar zeigte
sich, dass Nichtstillen, der Gebrauch eines Schnullers und
ein früher Kindergartenbesuch zu einem gehäuften Auftreten der Krankheit disponieren. Diese Faktoren allein aber
dürften in den letzten 20 Jahren weder in Finnland noch in
den USA erheblich zugenommen haben.
Die Frage nach der Entstehung und der Häufigkeit von
Mittelohrentzündungen hat aller Wahrscheinlichkeit nach
auch etwas zu tun mit der Behandlung dieser Erkrankung.
Mittelohrentzündungen heilen zwar meist schnell ab,
können aber auch in kürzeren Abständen wieder auftreten.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die in
Deutschland und in vielen anderen Ländern übliche Behandlung mit Antibiotika unter Umständen sogar mit dafür verantwortlich ist, dass die Gesamtzahl der Erkrankungen zugenommen hat. Seit langem ist bekannt, dass der häufige Gebrauch
von Antibiotika auch bei Kindern dazu führt, dass die Erreger von Entzündungen immer schlechter durch die eingesetzten Präparate bekämpft werden können. In vielen Ländern
hat dies dazu geführt, dass Basisantibiotika wie Penicillin
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kaum mehr wirksam sind. Wenn man in der medizinischen
Fachliteratur nach Daten sucht, die eine positive Wirkung
von Antibiotika bei der Mittelohrentzündung zeigen, so
wird man enttäuscht. Große so genannte Meta-Analysen
von vergleichenden Studien zeigen, dass der Behandlungserfolg sich nicht wesentlich unterscheidet bei Patienten,
die Antibiotika erhalten haben, gegenüber solchen, die nur
mit so genannten symptomatischen Maßnahmen behandelt wurden. Genauer ausgedrückt: Statistisch betrachtet
müssen 20 Kinder frühzeitig mit einem Antibiotikum
behandelt werden, damit eines von ihnen bereits am ersten
Tag der Erkrankung schmerzfrei ist. Demgegenüber zeigt
sich, dass mindestens eines dieser 20 Kinder an Übelkeit
und Durchfällen leiden wird, wenn alle mit Antibiotika
behandelt werden – quasi ein statistisches Nullsummenspiel... Auch die Gefahr von Komplikationen wie Hirnhautoder Knochenentzündung kann – anders als jahrzehntelang
immer wieder behauptet – durch den Einsatz von Antibiotika
nicht wirklich eingedämmt werden.
Viele Patienten behalten Recht, wenn sie auf einen zurückhaltenden Einsatz von Antibiotika drängen. Wir Ärzte sollten sie besser aufklären darüber, welche Krankheitszeichen
am Ende doch so schwerwiegend sind, dass die Gabe von
Antibiotika in Erwägung zu ziehen ist. Vielleicht gibt es dann
irgendwann auch wieder weniger Mittelohrentzündungen...
Dr. Stefan Schmidt-Troschke | Kinderarzt am
Gemeinschaftskrankenhaus | Telefon (0 23 30) 62- 3907
Grundsätze der Behandlung im
Gemeinschaftskrankenhaus
Arzt und Eltern begleiten und beobachten das Kind in den
ersten 48 Stunden der Erkrankung ohne Antibiotikagabe.
Zur Schmerzlinderung ein Zwiebelsäckchen oder Kartoffelwickel auf das Ohr, innerlich rhus toxicodendron als
homöopathisches Medikament. Die Entzündung wird mit
Medika-menten der anthroposophischen Medizin behandelt, zum Beispiel Levisticum (Liebstöckel) D 3.
antibiotikaversagen
Immunabwehr und Antibiotikabehandlung
Gibt es alternative Therapien zu den Antibiotika? Und welche Rolle spielen
psychische Faktoren bei der Entstehung und Behandlung von Infektionskrankheiten? Diesen und anderen Fragen gehen Priv. Doz. Dr. Arndt
Büssing und Dr. Christof Schnürer in einem Gespräch mit Dr. Christoph
Rehm nach.
Rehm: Viele Fachleute und Laien sind beunruhigt darüber,
dass Bakterien gegen die Behandlung mit Antibiotika resistent werden. Man weiß, dass eine Ursache für diese Resistenzbildung eine ungezielte und zu freigiebige Verordnung
von Antibiotika ist. Welche anderen Therapiemöglichkeiten
gibt es? Hilft es uns heute, dass wir die Prozesse der Immunabwehr besser verstehen? Welchen Einfluss haben psychische
Vorgänge auf das Immunsystem?
Schnürer: Vor der Frage nach Alternativtherapien ist erst einmal zu fragen: Wie erreichen wir, dass die schulmedizinischen Standards in die Praxis umgesetzt werden, das heißt,
dass die Antibiotika nur dann verordnet werden, wenn sie
wirklich notwendig sind. Was sind Gründe für die vielen
unnötigen Behandlungen mit Antibiotika? Viele Patienten
erwarten bei Infekten von ihrem Arzt die Gabe von Antibiotika – teils aus der Sorge, ohne diese nicht wieder gesund
werden zu können, teils, weil sie glauben, damit schneller
Schnürer: Belastung und Stress machen den Menschen in- wieder arbeitsfähig zu werden. Vielen Ärzten fällt es schwer,
fektanfälliger. Das ist ein jahrhundertealtes Wissen der
„nichts“ zu verschreiben und den Patienten mit allgemeinen
Erfahrungsheilkunde. Es gibt aber auch die heilsame Bela- Hinweisen „abzuspeisen“. Da gibt es zweifellos eine breite
stung, den so genannten Eu-Stress. Vor allem bei den alltäg- Spanne zwischen eindeutig notwendiger, weil lebensrettenlichen Infekten, zum Beispiel Erkältungen, kann eine seelische der Antibiotikagabe und überflüssiger. Es ist deshalb wichtig,
Anforderung, etwa die Vorbereitung auf eine Prüfung,
den Patienten genau zu beobachten. Ich kann Ihnen von
den Ausbruch der Krankheit verhindern. Die meisten so
einer Patientin berichten, die mit immer wieder aufflakgenannten Erkältungskrankheiten sind virale Infekte. Eine kernden Infekten der Bronchien, zuletzt durch multipel resi„Rosskur”, ein Saunabesuch oder Schwitzpackungen, eine
stente Keime, recht verzweifelt zu mir kam. Da war der erste
durchtanzte Nacht oder ähnliches erhöhen die KörpertemSchritt, der Patientin Sicherheit zu vermitteln: Ein Behandperatur und schwächen dadurch die Vermehrungsfähigkeit
der Viren, regen den Stoffwechsel und damit auch das
Immunsystem an. Bei schweren Infekten oder chronischen
Erkrankungen kann eine solche physische oder seelische
Belastung dagegen die Abwehr des Organismus überfordern.
Hier sind Bettruhe, allgemeine unterstützende Maßnahmen
und gegebenenfalls eine gezielte antibiotische Behandlung
angesagt.
Rehm: Welche Therapiealternativen gibt es, wenn wir davon
ausgehen, dass weniger Resistenzen entstehen würden,
wenn weniger Antibiotika verordnet würden?
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antibiotikaversagen
lungsversuch ohne Antibiotika ist grundsätzlich möglich. Es
braucht dazu den regelmäßigen Kontakt mit dem Arzt, der
die Wirksamkeit der Maßnahmen beobachtet. Die Maßnahmen
betreffen den ganzen Menschen: die Atemwege müssen von
Schleim befreit, die Bronchien zum Beispiel durch Inhalation
weitgestellt werden. Durch Wickel und andere naturheilkundliche Maßnahmen werden die Vitalkräfte und die Durchblutung angeregt. Medikamenteaus allen Naturreichen, teils
homöopathisiert, können die Selbstregulierungskräfte stärken.
Nur wenn diese Maßnahmen nicht reichen, würde eine gezielte
Antibiose eingesetzt werden. Eine solche Therapie kann man
als „risikoadaptiertes Vorgehen“ bezeichnen.
Rehm: Schwächt die Behandlung mit Antibiotika das
Immunsystem?
Priv. Doz. Dr. Arndt Büssing | Krebsforschung Herdecke
Telefon (0 23 30) 62-3246 (rechts)
Dr. Christof Schnürer | Internist am Gemeinschaftskrankenhaus | Telefon (0 23 30) 62-3216 (Mitte)
Büssing: Es gibt Antibiotika, die bestimmte Aspekte der
Immunabwehr schwächen und es gibt andere, die sie stärken
können. Wenn ein Antibiotikum indiziert ist und richtig
eingesetzt wird, dann kann es den Körper bei seiner Abwehr- können bestimmte Medikamente, zum Beispiel ein Langarbeit unterstützen – so dass er besser mit der Krankheit
zeitgebrauch von Kortison, aber auch ausgeprägte Stressfertig werden kann.
situationen die Abwehr schwächen.
Schnürer: Im Alltag finden wir häufig das Problem, dass bei
viralen Infekten Antibiotika gegeben werden. Antibiotika
senken die Körpertemperatur, sie unterbrechen die Fieberkaskade, Entzündungsprozesse kommen nicht an ihr Ende,
sie „entgleisen”, werden schleichend und können chronifizieren. In solchen Fällen führt ein Antibiotikum zu einer
Störung der Immunabwehr. In der Vorgeschichte von Patienten mit Asthma und Allergien sind solche Behandlungen
nicht selten.
Rehm: Allgemein anerkannte Leitlinien empfehlen heute
zum Beispiel beim unkomplizierten Harnwegsinfekt die
Therapie mit dem Antibiotikum Nitrofurantoin. Naturheilkundliche Maßnahmen wie das Trinken von bestimmten
Tees gelten als wissenschaftlich nicht gesichert.
Büssing: Eine Leitlinie soll dem Wildwuchs von Therapieideen begegnen. Nicht alles ist eine wirkliche Alternative
zur konventionellen Therapie. Aber alles was die Abwehrkräfte des Körpers unterstützt, kann eine sinnvolle begleitende Therapiemaßnahme sein, die immer einen Versuch
wert ist. Aus meiner Sicht ist die Beobachtung der Abwehrlage des Patienten ganz entscheidend. Ich brauche eine Einschätzung, wie gut das Abwehrsystem des Patienten ist.
Wenn sich hier Defizite ergeben, dann kann der Arzt zur
Unterstützung und Anregung so genannte Immunmodulatoren einsetzen, zum Beispiel pflanzliche Medikamente
oder bestimmte bakterielle oder menschliche Eiweiße.
Er kann auch das Fieber ausnutzen. Diese Maßnahmen
können einzelne Komponenten des Immunsystems positiv
im Sinne einer Stärkung der Abwehr beeinflussen. Dagegen
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Schnürer: Wir brauchen einen erweiterten Begriff von
Immunabwehr: Wie stärke ich meine Lebenskräfte zum
Beispiel durch meine Lebensführung, wenn ich die körpereigenen Rhythmen beachte? Wie entwickle ich eine Wahrnehmung davon, dass auch seelische Stimmungen mich
körperlich beeinflussen? Auch krisenhafte biografische Entwicklungen stellen mir die gleiche Frage: Wie gehe ich mit
mir, das heißt auch mit meinem Körper, mit seinen Eigengesetzlichkeiten um? Immer wenn ich dazu eine aufmerksame, bewusstere Haltung entwickle, kann ich auch meine
Immunabwehr stärken.
Das Gespräch führte
Dr. Christoph Rehm (oben links).
Tetracyclin (hier die chemische Struktur) ist ein
Breitbandantibiotikum, das die Eiweißbildung
in der Bakterienzelle und so deren Vermehrung
kommt.
Antibakterielle Wirkung von Holz nachgewiesen
Besser auf Holzbrettchen
frühstücken
Johanniskraut (hypericum perforatum)
Foto: Weleda
antibiotikaversagen
Mit Pflanzen gegen
Bakterien & Co.
Heilpflanzen, bereits in der Antike
bedeutende Arzneimittel, haben auch in
der modernen Medizin ihren Platz. Die
Behandlung mit Pflanzen, Phytotherapie
genannt, erlebt in jüngster Zeit dank
intensiver Forschung eine Renaissance.
So sucht man gegen antibiotikaresistente
Erreger die vielen Substanzen, die sich
erfolgreich einsetzen lassen.
Viele kennen sicherlich das goldgelb
blühende Johanniskraut. Doch nur
wenige wissen, dass es auch therapeutisch einsetzbar ist. Einem bakteriellen
Nährmedium zugemischt, ließ sich die
Wirksamkeit von Johanniskraut auf Sta-
Am 13. Juni 2001 fand in Braunschweig an der Biologischen
Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) ein
internationaler Workshop über die hygienischen Eigenschaften von Holz statt. Wissenschaftler und Experten aus
sechs Ländern tauschten ihre Erfahrungen aus und gelangten zu der Kernaussage: Auf Holzbrettern wachsen Bakterien nur gebremst.
phylokokken nachweisen. Staphylokokken sind Bakterien, die schwere Hautund Allgemeininfektionen auslösen
können, die nun zum Teil mit Johanniskraut behandelbar sind. Beim Wirkstoff
der Johanniskrautpflanze, dem Hyperforin, fanden Wissenschaftler auch
Hinweise auf eine Wirkung gegen
Angeregt wurde dieser Workshop durch ein Forschungsprojekt, das die Biologin Annett Schönwälder seit vier
Jahren bearbeitet. In ihrer phytosanitären [die Gesundheit
der Pflanzen betreffenden] Studie konnte zur Überraschung
aller gezeigt werden, dass die Hygieneeigenschaften von
Holz wesentlich besser sind als bisher angenommen: Kiefernholz hat – im Gegensatz zu Kunststoffen – antibakterielle
Eigenschaften. Das Holz besitzt eigene Abwehrstoffe, eben
auch ein Immunsystem, das Bakterien angreift. Im Workshop wurde dieser Aspekt lebhaft diskutiert, denn die Verwendung von Holz im Lebensmittelbereich und als Verpakkungsmaterial wird durch deutsche und EU-weite Regelungen
vielfach ausgeschlossen. Die Experten sprachen die Empfehlung aus, Holz den Kunststoffen zumindest gleichzustellen,
um so die hygienischen Vorteile von Holz zu nutzen. FS
den methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA, siehe Beitrag
auf Seite 10).
Teebaumöl ist aus vielen Kosmetik- und
Pflegeprodukten bekannt. Doch es
kann noch viel mehr: In Versuchen
konnte eine ausgeprägte Wirkung des
australischen Teebaumöls gegen Viren
und Bakterien nachgewiesen werden.
Teebaumöl wirkt zum Beispiel gegen
die Viren einer Herpesinfektion an der
Lippe. Die genauen Inhaltsstoffe, die für
die antivirale Wirkung verantwortlich
sind, konnten noch nicht identifiziert
werden. Auch im Kampf gegen Pseu-
Weitere Informationen: Biologische Bundesanstalt
für Land- und Forstwirtschaft
Messeweg 11-12 | 38104 Braunschweig
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monaden, eine gegen viele Antibiotika
resistente Bakteriengattung, zeigt sich
das Teebaumöl als wirksame „Waffe”. FS
antibiotikaversagen
Homöopathie im Schweinestall
Große Mengen Antibiotika im Tierfutter unserer Nutztiere
sind eher die Regel als die Ausnahme. Alarmiert durch
mögliche Risiken für den Menschen haben sich Landfrauen aus dem Landkreis Warendorf zusammengeschlossen und nach Alternativen gesucht. Und auch gefunden:
Homöopathie kann Antibiotika im Schweinestall ersetzen,
lautet ihr Fazit.
zurückgegriffen. Bei der Mehrzahl der Tiere kommen statt
dessen die Wehen nach Verabreichung des Homöopathikums Caulophyllum wieder in Gang. „So viel Homöopathie
wie möglich, so wenig Antibiotika und Hormone wie nötig“,
lautet das Motto des von den Landfrauen im Landkreis
Warendorf initiierten Projektes.
Der Verbraucher kann somit auf weitgehend rückstandsSeit Jahrzehnten werden in den Industrieländern gesunden freie Nahrungsmittel zurückgreifen. Aber auch Tiere und
Zuchttieren wie Schweinen, Rindern und Geflügel große
Landwirte profitieren unmittelbar: Die Tiere, weil sie nicht
Mengen Antibiotika ins Futter gegeben. Die Tiere sollen
mehr unnötig mit chemischen Medikamenten vollgepumpt
dadurch weniger fressen, trotzdem schneller wachsen und werden. Die Landwirte, weil sich die Tierarztkosten verringesund bleiben.
gern und die Anzahl der erfolgreich aufgezogenen Ferkel
erhöht hat. Durch die Reduzierung von Antibiotika und
Weltweit beobachten Wissenschaftler die zunehmende Re- anderen synthetischen Arzneimitteln auf ein Mindestmaß,
sistenz, das heißt Widerstandsfähigkeit von Keimen gegen soll die Gefahr der Resistenzbildung von Keimen und
Antibiotika. Die einst schlagkräftigen Medikamente verlie- die Gefahr von Rückständen in Lebensmitteln minimiert
ren an Wirkung. Es setzt sich immer mehr die Erkenntnis werden. Der Einsatz der Homöopathie in der Tierhaltung
durch, dass es einen Zusammenhang zwischen der Antinimmt somit direkten Einfluss auf den Verbraucherschutz,
biotikabeimischung zum Tierfutter und der zunehmenden die Lebensmittelsicherheit und den Tierschutz.
Resistenzbildung geben muss.
Gibt es keine anderen Möglichkeiten in der landwirtschaftlichen Tierzucht als die Zugabe von Antibiotika im
Futter? Doch, die gibt es! In einem Projekt
der Carl und Veronica Carstens-Stiftung
und der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe konnte nachgewiesen werden,
dass Homöopathie die Gabe von Antibiotika im Schweinestall weitgehend
ersetzen kann. Den Tieren wurden
keine künstlichen Antibiotika
und Hormone prophylaktisch
ins Futter gegeben und auch
bei Krankheit der Tiere wurde
zunächst homöopathisch
behandelt. So wird zum
Beispiel bei Wehenschwäche
der Sau nur noch in Ausnahmefällen auf das synthetische
Hormon Oxytocin
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Nadine Schmitt
antibiotikaversagen
Bakterien und ihre Unempfindlichkeit
gegen Antibiotika
Schon bald nach der klinischen Einführung der Antibiotika machte sich
eine gewisse Ernüchterung breit. Es zeigte sich nämlich, dass Bakterien
gegen Antibiotika resistent werden können. Was ist mit „Resistenz” eigentlich gemeint und welche Konsequenzen hat dies?
Um was handelt es sich bei Antibiotikaresistenzen?
terienresistenz gegenüber einer immer größer werdenden
Dr. Michael Laubmeister: Resistenz bezeichnet in diesem
Anzahl von Antibiotika geführt. Die Pharmaindustrie kann
Falle die Unempfindlichkeit von Bakterien gegenüber Anti- nicht mehr schnell genug neue Ersatzprodukte entwickeln.
biotika. Dies bedeutet, dass Antibiotika bei immer mehr
Diese Entwicklung beunruhigt die Fachwelt, aber zunehKrankheitserregern wirkungslos bleiben. Seit dem Beginn mend auch die Bevölkerung.
des Einsatzes der Antibiotika in der Humanmedizin
musste die Erfahrung gemacht werden, dass stets innerViele Menschen erleben bei einem Schnupfen oder griphalb weniger Jahre nach der Einführung einer neuen Subpalen Infekt eine Besserung und eine Beschleunigung des
stanzklasse Keime auftraten, die Resistenzen ausgebildet
Heilungsverlaufes durch die kurzfristige Einnahme von Antibiotika. Was kann daran falsch sein?
hatten, so dass eine Behandlung unwirksam wurde.
Portsteffen: Bei einem ungezielten Einsatz fehlt die KonseAntibiotikaresistenzen sind ein weltweites Problem. Welche quenz. Der verantwortungsvolle Umgang mit Antibiotika
ist sehr wichtig, um die Gefahr einer Resistenz zu minimieAuswirkungen hat dies für den einzelnen Menschen?
Dr. Christoph Rehm: Zunächst ist festzustellen, dass antibio- ren. Hierzu gehört, sowohl Überdosierungen als auch Untertikaresistente Bakterien keineswegs pathogener, das heißt
dosierungen zu vermeiden. Außerdem muss Missbrauch
krankmachender sind als normale Keime. Deshalb sind sie verhindert werden, das heißt Antibiotika sollten nur bei
Infektionen angewandt werden, die wirklich mit antibiofür den gesunden Menschen in keiner Weise gefährlicher.
Dies gilt zunächst auch für den Kranken. Das einzige Protischen Substanzen therapiert werden können. Bei Infekblem ist, dass die Wahlmöglichkeit bei der Behandlung von tionen durch Viren, das sind meist Durchfälle, grippale
Patienten mit einer Infektion bei resistenen Keimen gerin- Infekte und Schnupfen, haben sie überhaupt keinen therager ist.
peutischen Wert – denn Viren sind keine Bakterien! Durch
den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika kann
Dr. Andreas Portsteffen: Meine Erfahrung als Apotheker
das persönliche, als auch das allgemeine Risiko für eine
Resistenzentwicklung bedeutend reduziert werden.
bezieht sich auf den Intensivpatienten, der noch andere
Schwierigkeiten hat und durch diese mögliche Infektion
mit einem schwerer behandelbaren Bakterium eine höhere Gibt es bei Antibiotikaresistenzen einen Zusammenhang
Gefährdung haben kann.
zwischen den in der Humanmedizin und der Tiermedizin
verabreichten Antibiotika?
Rehm: Es gibt einen Zusammenhang. So ist in Dänemark
Franz Sitzmann: Die Anwendung von Antibiotika bei der
die Zahl antibiotikaresistenter Bakterien in Schweinen und
Behandlung von infektiösen Krankheiten hat Millionen
Hühnern seit dem Verbot von Antibiotika im Tierfutter
von Menschenleben gerettet. Doch werden diese Mittel
1995 drastisch gesunken. Das besagt eine Untersuchung
auch zunehmend zur Vorbeugung und sogar als Zusatz für von Tierärzten. Bislang hielten es Wissenschaftler für eher
Tiernahrungsmittel zur Förderung des Wachstums verwen- fraglich, ob man die einmal aufgebaute Bakterienresistenz
det. Diese Missbräuche haben zu einer zunehmenden Bak- wieder rückgängig machen kann.
Hat sich das Problem in den letzten Jahren verschärft?
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antibiotikaversagen
Doch weltweit werden fast überall noch Antibiotika im
Was kann der Patient selber tun?
Futter zugegeben, um das Tierwachstum zu beschleunigen. Sitzmann: Grundsätzlich ist niemand davor geschützt, sich
Die Forscher sind skeptisch, ob man das Verbot auch
mit resistenten Keimen anzustecken oder Erreger zu beherin anderen westlichen Ländern durchsetzen kann. Denn bergen, die Resistenzen entwickeln. Die Vorstellung: „Sobald
anders als in Dänemark - sind dort die Fleischkontrollen
es mir wieder gut geht, kann ich die Antibiotika-Therapie
meist nicht so streng.
abbrechen”, ist nicht nur unüberlegt, sondern auch enorm
gefährlich. Bei manchen Infektionen wirken Antibiotika
Sehen Sie unabhängig von der Entwicklung neuer wirkungs- sensationell gut und schnell. Beschwerdefreiheit bedeutet
voller Antibiotikaklassen andere Wege aus dieser Misere?
nicht, dass die Krankheitserreger in jedem Fall schon
Rehm: Sinnvoll erscheinen Forschungen zur Anwendung
besiegt sind. Die Wirkung eines Antibiotikums beruht oft
von Pflanzenauszügen, die bakterienhemmende Substanauf der Hemmung des Bakterienwachstums und damit auf
zen enthalten und zur Unterstützung der Schutzfunktion
der Reduktion der Keimzahl. Das Absetzen des Antibiofür die Haut. Die normale Bakterienbesiedlung unserer Haut tikums kann dazu führen, dass die übriggebliebenen Erreund Schleimhaut schützt uns üblicherweise vor Infektionen ger sich wieder von neuem vermehren können und die
mit Krankheitserregern. Wichtig ist die Frage, wie sich diese Infektion erneut, meistens sogar schlimmer, ausbricht. Der
Schutzflora verbessern lässt.
Volksmund spricht in solchen Fällen von einem „Rückfall”.
Um die krankmachenden Keime wirksam zu beeinflussen,
Welche Behandlungsmöglichkeiten ohne Einsatz von Antimuss die Antibiotikatherapie auf jeden Fall vorschriftsbiotika halten Sie für erfolgversprechend?
mäßig zu Ende gebracht werden. Außerdem besteht die
Sitzmann: Gelingt es den Erregern, von einer nekrotischen Gefahr, dass nach einer „Therapiepause” die übriggeblieaus abgestorbenem Gewebe bestehenden Wunde auf das
benen Keime Strategien zum Überleben entwickelt haben.
Gewebe überzugreifen, entsteht Wundinfektion. Dies kann Durch diese „Resistenzen” wird das Antibiotikum wirkungslos.
lebensbedrohliche Folgen haben. Erstes Ziel einer Wundbehandlung ist deshalb die Verhinderung einer solchen Wund- Eine andere falsche Vorstellung ist, nichts verschwenden zu
infektion über den ober-flächlichen Bereich hinaus. Das
wollen und angebrochene Antibiotika aufzuheben und „bei
Grundproblem hierbei ist die Unwirksamkeit lokaler anti- Bedarf ” zu verwenden. Antibiotika sind aber keine Medikabiotischer Therapien.
mente, die wie eine Kopfschmerztablette bei Bedarf eingenommen werden sollten. Nur der Arzt kann beurteilen,
Hervorragende klinische Erfolge liegen dagegen bei der
ob ihre Einnahme überhaupt nötig ist, welches AntibioFliegenmaden-Therapie, der so genannten lokalen Biotikum geeignet ist und vor allem, wie lange es eingenomchirurgie, vor. Zugegebenermaßen ist diese Therapie eine
men werden muss. Deshalb: Angebrochene Packungen am
gewöhnungsbedürftige Form der Wundbehandlung.
besten in die nächste Apotheke zum Entsorgen bringen
Lebende Fliegenmaden werden auf nekrotisches Gewebe
und bei Beschwerden den Arzt konsultieren.
aufgebracht und durch einen Verband eingeschlossen.
Die Mitglieder der Hygienekomission
Die Made sondert in der Wunde ein spezielles Speicheldes
Gemeinschaftskrankenhauses:
sekret ab. Darin enthaltene Enzyme verflüssigen die
Nekrosen. Die Flüssigkeit wird von den Maden aufgenomDr. Michael Laubmeister | Internist und ärztlicher Leiter
der Intensivstation
men. Nach drei bis vier Tagen werden die Maden entfernt
Dr. Christoph Rehm | Laborleiter und Bakteriologe
oder gegebenenfalls durch neue ersetzt. Vorteil gegenüber
Dr. Andreas Portsteffen | Leiter der Krankenhausapotheke
konventionellen Wundheilungsmethoden ist, dass die
Franz Sitzmann | Hygieneberater
Maden ausschließlich nekrotisches Gewebe angreifen.
Das Gespräch führte Peter Zimmermann.
Zudem wirken sie antibakteriell, reduzieren die Keimbesiedelung und fördern die Wundgranulation [Wundverfestigung].
Portsteffen: Ein weiterer Weg ist die Silbertherapie. Winzige
Körnchen aus metallischem Silber sollen Patienten vor
gefährlichen Krankheitskeimen schützen. Diese winzigen
Partikel werden in Materialien eingearbeitet, aus denen
Implantate und Prothesen bestehen. Auch in Schläuchen
und Verbandstoff kann Silber eingebracht werden. Das
Silber hält die Geräte steril und antibakteriell. Auf ihrer
Oberfläche können sich weder antibiotikaresistente Bakterien noch andere Keime ansiedeln.
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antibiotikaversagen
Hygiene zu Hause ohne Antiseptika
buchhinweise
In 30 Tagen das Immunsystem optimal stärken
Wir schwächen unser Immunsystem,
In der spiegelblanken Welt der Reinigungsmittelhersteller marschieren
der General im Schulterschluss mit Meister Proper durch unsere Küchen
und Bäder. Neue wissenschaftliche Untersuchungen beweisen allerdings,
dass uns durch die Werbung ein eher krankmachendes Verständnis von
Hygiene suggeriert wird. Die Studien empfahlen ein vernünftiges Maß
an Sauberkeit zu Hause.
wenn wir ihm nicht die notwendigen
Nährstoffe geben oder weil wir unter
körperlichem und seelischem Stress
leiden. Die richtige Ernährung ist wie
ein Sicherheitsventil: Sie sorgt dafür,
dass das Immunsystem nicht kämpft,
wenn es keine Feinde gibt (wie z.B. bei
Die Küche
Autoimmunkrankheiten und Allergien)
Die Angst vor Magen- und Darminfektionen lässt manche Küche zu
einem Testfeld für Desinfektionsmittel werden – doch diese Sorge ist
unbegründet, wenn einige einfache Regeln beachtet werden:
• Vor dem Umgang mit Nahrungsmitteln Hände mit normaler Seife
waschen und mit einem sauberen Handtuch abtrocknen.
• Putz-, Spül- und Geschirrtücher nach dem Benutzen schnell trocknen
und alle zwei Tage auswechseln und waschen.
• ungespültes Geschirr nicht lange stehen lassen
• Messer etc. nach Kontakt mit rohem Fleisch direkt spülen
• Kühlschrank regelmässig reinigen – auch dort können sich Bakterien vermehren.
• Küchenschneidebretter aus Holz sind weniger von Keimen bewohnt
als Kunststoffschneidebrettchen. Hier verhindern die natürlichen
Gerbstoffe das Wachstum von Keimen.
erreger sofort erkennt und wirksam
und dass es andererseits Krankheitsbekämpft. L.Vanderhaeghe: Für immer
gesund; Haug Vlg.; 224 S.; 14,95 Euro
Das Immunsystem als Bindeglied zwischen Körper
und Seele
Das Buch informiert nicht nur über den
grundlegenden Aufbau des Immunsystems, über seine Entwicklungsgeschichte und Aufgaben, wie z.B.
das Erkennen von Selbst und Fremd,
sondern beschreibt darüber hinaus
die vielfältigen Verbindungen und
Toilette und Bad
Abhängigkeiten, die zwischen den
Auf glatten Fliesen, Toiletten, Waschbecken, Duschen und Badewannen
fühlen sich Bakterien nur in feuchtem Milieu wohl. Auf trockenen Oberflächen können sie sich kaum vermehren. Antibakterielle oder desinfizierende Reinigungsmittel sind daher überflüssig. Zuviel Körperpflege
beeinträchtigt das empfindliche Gleichgewicht unserer Haut:
• Beim täglichen Duschen oder Baden Seife nur für die Regionen einsetzen, in denen sich besonders viele Schweissdrüsen befinden.
• Auf jede Art von desinfizierenden Feuchttüchern sollte ganz verzichtet
werden!
chen Systemen des Menschen bestehen.
psychischen-seelischen und körperliK. Zänker: Das Immunsystem des Menschen; Beck Vlg.; 136 S.; 7,50 Euro
Alte Hausmittel – die bewährten Hilfen gegen Krankheit
und Stress
Die Autorin zeigt, wie unkompliziert es
ist, sich mit Hilfe von Wickeln, Tees
Hausstaub
oder Bädern ohne großen Aufwand
Erholung und Entspannung zu verschaf-
Nicht der Staub an sich macht den Allergikern zu schaffen, sondern die
Ausscheidungen der Hausstaubmilben, die in kleinste Partikel zerfallen
und eingeatmet werden. Das Volk der Hausstaubmilben besiedelt Teppiche, Polster, Bettdecken und Matratzen und ernährt sich von winzigen
Essensresten und organischen Partikeln wie Hautschuppen oder Haaren.
• Staubsauger mit Feinstaubfilter helfen , damit die aufgesaugten Partikel
nicht wieder in die Raumluft geblasen werden
• Regelmässiges Lüften senkt die Luftfeuchtigkeit
• Kissenbezüge, Decken usw. bei mindestens 60° waschen
• Stofftiere für einen Tag ins Gefrierfach legen
Elke Malitz | Assistentin der Geschäftsführung
Telefon (0 23 30) 62-3982
MEDIZIN INDIVIDUELL
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fen. Für individuelle Wohlfühlmomente
oder auch zur Hilfe gegen Stress und
Krankheiten finden sich hier zahlreiche
Anregungen. H. Bausinger: Das natürliche Wohlfühlbuch; Aethera Vlg.; 91
S.; 12,90 Euro
Herdecker
Bücherstube
am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke
Telefon (0 23 30) 7 39 15
herdecker-buecherstube @t-online.de
www.uni-buecher.de
nachgefragt
„Wir Physiotherapeuten sind auch Ansprechpartner
für seelische Konflikte“
Der Therapie querschnittsgelähmter Patienten kommt
am Gemeinschaftskrankenhaus eine große Bedeutung
zu. Schwierig wird die Situation für alle Beteiligten,
wenn eine schwer zu behandelnde MRSA-Infektion hinzukommt.
Sie arbeiten als Physiotherapeut unter
auf, die freundschaftlich, ja fast schon
anderem auch mit querschnittsgelähm- familiär ist. Wenn die isolierten Patienten Patienten, die eine MRSA-Infektion
haben. Was ist bei der Therapie mit den
deshalb isolierten Patienten anders?
Heinz Peters: Unsere Arbeit ist extrem
eingeschränkt. Wir müssen uns zur
Therapie mit den betroffenen Patienten ausschließlich in deren Zimmer
aufhalten. Die krankengymnastischen
Maßnahmen, die wir gerne durchführen würden, sind zu einem großen
Teil nicht möglich, da es an unterstützenden Hilfsmitteln fehlt. Auch
das Erlernen der Handhabung des
Rollstuhles ist auf 15 Quadratmetern
kaum möglich. Querschnittspatienten,
die zusätzlich MRSA haben, werden
um Wochen, manchmal um Monate in
ihrer Rehabilitation zurückgeworfen.
Was sagen Sie Patienten, die angesichts dieser Situation zu resignieren
drohen?
Peters: Das ist meist sehr schwierig. Wir
Physiotherapeuten geraten oft auch
in die Rolle eines Psychotherapeuten,
der wir nur bedingt gerecht werden
können. Die Patienten sind teilweise
über ein halbes, manchmal länger
als ein dreiviertel Jahr auf unserer
Station. Sie bekommen zweimal täglich
Krankengymnastik. Da baut sich eine
ganz besondere Beziehung zueinander
MEDIZIN INDIVIDUELL
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ten in depressive Stimmungen abrutschen, ist es wichtig, ihnen Mut zu
machen, Zuspruch zu geben. Man
muss versuchen, am eigentlichen therapeutischen Thema weiterzuarbeiten,
Floskeln nach dem Motto: „Dat wird
schon wieder!“, sind vollkommen fehl
am Platz.
Reagieren die isolierten Patienten
anders auf tägliche Begegnung in
der Therapie als die nichtisolierten
Patienten?
Peters: Ja, unbedingt! Sie freuen sich
noch mehr. Krankengymnastik in der
Therapie von Querschnittsgelähmten
ist ein unbedingtes Muss und wird
meist sehr gut aufgenommen. Die Leute
lernen mit uns, ihre größtmögliche
Selbstständigkeit wiederzuerlangen.
Stellen Sie sich mal vor, Sie sind über
Wochen oder Monate auf ein kleines
Zimmer beschränkt, können da nicht
raus. Ich glaube, dann freut man sich
schon sehr, wenn jemand kommt und
versucht, den eintönigen Tagesablauf
zu durchbrechen.
Haben Sie selbst Angst, in die isolierten
Zimmer zu gehen?
Peters: Nein. MRSA ist nur gefährlich
für immungeschwächte, nicht für ge-
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sunde Menschen. In diesem Satz liegt
meiner Meinung aber auch eine Gefahr.
Die Grenze verschwimmt immer mehr.
Wer ist denn heute noch ganz gesund?
Viele Mitarbeiter haben häufige grippale Infekte und kommen trotzdem zur
Arbeit. Ich finde, dass das Risiko für
diese so immungeschwächten Mitarbeiter schon erhöht ist.
Heinz Peters | Physiotherapeut am
Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke
Das Gespräch führten Stephan Rotthaus
und Nadine Schmitt.
Fotos: Kaiserswerther Diakonie
medizin magazin
Ordnung schaffen und sauber machen...
Mit diesen grundlegenden Tugenden
Organisation. Zudem leistete sie für die der Umgebung dieser SchimmelpilzKolonie erschienen die Bakterien-KoloKrankenhaushygiene Wesentliches: nien durchsichtig, als ob sie aufgelöst
Sie sorgte für Sauberkeit im Kranken- worden waren, die Bakterien waren
zimmer, für genug frische Luft und tot. In Studien beobachtete er später,
gleichzeitig Wärme, für gelüftete Betten, dass der Stoff besonders auf die eitererkeinen Lärm, angemessene Kranken- regenden Staphylo-, Strepto- und Pneukost, aber auch Blumen und Bilder. Sie mokokken wachstumshemmend wirkt.
legte Wert auf die Verlässlichkeit der Pfle- Fleming nannte das neue Medikament
genden und hob die außerordentliche Penicillin, nach dem Schimmelpilz
Bedeutung der Beobachtung des Kran- Penicillium.
ken hervor.
Von der wissenschaftlichen Welt wurde
Eine weitere moderne Aufgabe erfüllte seine Entdeckung zunächst wenig zur
sie in der Qualitätssicherung. Nach Kenntnis genommen. Erst im zweiten
der Rückkehr vom Kriegseinsatz bear- Weltkrieg begann der Siegeszug des
beitete sie Zahlenmaterial über das Medikaments. Seine Verwendung löste
Gesundheitssystem in England. Die eine Revolution in der Medizin aus: Es
von ihr gesammelten Daten wurden entstand die Vorstellung, grundlegende
ausgewertet und zum Teil erstmals vorbeugende Hygiene vernachlässigen
grafisch gestaltet, um als Argumen- zu können. Doch das oft segensreiche
tationsgrundlage zur Verbesserung Medikament wurde zu häufig eingesetzt,
des maroden Gesundheitssystem zu mit der Folge, dass Bakterien resistent
dienen.
wurden – nicht nur gegen die Penizillinbehandlung.
Der Bakteriologe Alexander Fleming
Franz Sitzmann | Telefon (0 23 30) 62-3902
(1881-1955) entdeckte das Penicillin
eher zufällig. Fleming beobachtete
Dem Text liegen Beiträge zugrunde aus:
A Med-World AG | http://www.m-ww.de
bei seiner Laboratoriumsarbeit mit
Staphylokokken, dass eine fremde Kolonie auf seinen gezüchteten Bakterien
angegangen war. Es handelte sich offensichtlich um einen Schimmelpilz. In
erreichten Florence Nightingale und Dr. Entwicklung der Grundprinzipien einer
Alexander Fleming ihre Erfolge, jeder
auf einem völlig unterschiedlichen
Arbeitsgebiet.
Ihre organisatorische und praktische
Sorge um die Verwundeten im Krimkrieg begann für Florence Nightingale
1854 in der Türkei. Die in Paris und Kaiserswerth bei Düsseldorf ausgebildete
Krankenschwester aus London, erlebte
den Krimkrieg des Osmanischen Reiches mit seinen Verbündeten England
und Frankreich gegen Russland. Das
englische und türkische Sanitätswesen
war auf einen solchen Krieg mit Zehntausenden von Verletzten nicht vorbereitet. In englischen Militärlazaretten
starben dabei mehr Soldaten durch
Krankheiten als im eigentlichen Kriegsgeschehen. Katastrophale hygienische
und organisatorische Verhältnisse
sowie die extrem hohe Verletztensterblichkeit schrien nach grundlegenden
Reformen.
Florence Nightingale (1820-1910) zeigte
als erste, was eine straffe Organisation
in den Lazaretten leisten kann: Die
Verluste an Menschenleben wurden
erheblich reduziert. Sie betonte die
Notwendigkeit strikter hierarchischer
MEDIZIN INDIVIDUELL
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SEITE 20
medizin magazin
Immunsystem – ein Zugang über die Traditionelle Chinesische Medizin
Wei-Qi, Schutzschirm gegen Erkältung
Unsere westliche Medizin ist eine soma- schließlich jede Körperzelle von Qi
tische, dass heißt eine auf den Körper erreicht wird.
bezogene Medizin. Sie ist geprägt von
einem mechanistischen Menschenbild, Ältere Menschen, Leistungssportler, die
in dem Kranksein gleichgesetzt wird ihre Energie ständig in Bewegung um-
mit einer Fehlfunktion von physikalisch- setzen oder Patienten mit energiezehren-
den, chronischen Erkrankungen haben
einen Mangel an Energie. Bei diesen MenAnders in der Traditionellen Chinesi- schen kommt es deswegen zu einer chroschen Medizin (TCM). Hier stehen nischen Unterversorgung der Haut und
lebendige Abläufe, die Relation zur Um- der Schleimhäute mit Abwehr-Wei-Qi.
welt und das seelische und geistige
Befinden als Grundlage von Untersu- Psychische Probleme können zu einer
chung und Therapie im Mittelpunkt.
Einschnürung des Energieflusses im
Brustkorb führen und so den EnergieDer Mensch als Mikrokosmos wird als fluss zur Körperoberfläche übergeordGanzheit in Bezug zur Umwelt als Makro- net hemmen. Fehlt es jedoch an Abwehrkosmos, als ein von Energie durchflos- energie an den äußeren Grenzen des
senes Gefüge betrachtet. Es besteht Körpers, können äußere krankmchende
eine Wechselbeziehung und ständige Faktoren wie Kälte und Nässe jederWandlung von Yang-Qi (Energie) und zeit widerstandslos in den Körper einYin (Materie), welche sich erst durch dringen und zu Infekten führen. So
ihre Gegensätzlichkeit definieren. Diese macht der Ausdruck „Erkältung“ aus
Erkenntnis, Energie sei eine andere Sicht der TCM einen klaren Sinn.
Form von Materie, wurde erst Jahrhunderte später naturwissenschaftlich Mit feinen Nadeln wird bei der Akudurch den Physiker Albert Einstein punktur durch Manipulation von Enerbeschrieben.
giedurchflusspunkten der Flussdruck
Gesundheit ist das harmonische Gleich- von Qi im Transportsystem erhöht, um
gewicht von Yin und Yang. Das Sammel- den Fluss zur Oberfläche zu beschleunibecken der Energie Yang-Qi ist der gen. Auch Heilkräuter, wie die schon
Brustkorb. Hier mischt sich die Erbener- vor Jahrhunderten eingesetzte Zimtgie mit der durch Atmung und Nahrung baumrinde, öffnen die Energiestraßen
erworbenen Energie. Die Lunge hat für Abwehr-Wei-Qi. Der Aufguss der Ingdie Aufgabe, diese Energie in die Tiefe werwurzel ist ein altbekanntes Mittel,
des Körpers abzusenken und an die um das Abwehr-Wei-Qi generell zu verOberfläche des Körpers zu verteilen. mehren. So sind zwei Scheiben frischer
Die Lunge verteilt so das Yang-Qi Ingwer in heißem Wasser ein guter
unter anderem in Form von Abwehr- Schutz gerade in der kalten Jahreszeit.
Wei-Qi zur Bekämpfung von Infekten Der Arzt verschreibt diese Rezeptur mit
durch äußere krankmachende Fakto- dem poetischen Namen „Schutz aus Jade
ren an Haut und Schleimhäuten.
gegen den kalten Wind“.
Die Abwehrenergie Wei-Qi fließt im
Körper auf meist paarig angeordneten
Bahnen, den sogenannten Meridianen.
Ähnlich unserem Straßensystem verästeln sich die Meridiane über immer
feiner werdende Energiestraßen, bis
MEDIZIN INDIVIDUELL
SOMMER 2002
SEITE 21
Dr. Hans Michael Koch | Chefarzt und
Dozent für traditionelle chinesische Medizin
in Bramsche und Radevormwald
Telefon (0 54 61) 80 51 76
Fotos: XXX
chemischen Zuständen.
impressum
ernährung
Ballaststoffe in der Nahrung
Medizin individuell
Nr. 8 | Sommer 2002 | 4. Jahrgang
ISSN 1439-3220
Die Zeitschrift „Medizin individuell“ wird herausgegeben für die Patient/innen, Freund/innen und Förderer des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke. Über die Zusendung von
Leserbriefen freuen wir uns. Bitte verstehen
Sie aber, dass wir nicht jeden Beitrag veröffentlichen können und eventuell Kürzungen
vornehmen müssen. Der Nachdruck und die
Vervielfältigung von Artikeln (auch auszugsweise) ist nur nach vorheriger Genehmigung
durch den Herausgeber gestattet.
Ballaststoffe sind Bestandteile in der
Nahrung, die nicht verdaut und nicht
aufgenommen werden können. Es gibt
lösliche Ballaststoffe wie zum Beispiel
die Pektine des Apfels, und unlösliche
Ballaststoffe wie die Zellulosen, die in
Gemüse vorkommen. Reich an Ballaststoffen sind alle Gemüse, Obst und Vollkornprodukte. Arm an Ballaststoffen
sind Weissmehlprodukte, frei davon
sind Fleisch, Milch, Eier, Fette sowie
viele „künstliche“ Nahrungsmittel wie
zum Beispiel Schokolade, Pudding und
Eis. Was bewirken Ballaststoffe in der
Nahrung? Pektine quellen im Darm auf,
binden Wasser und vermehren dadurch
die Darmfüllung. Zellulosen quellen
ebenfalls auf und bieten als unlösliche
Fasern der Darmwand Widerstand und
Anregung. Beides führt zu einer Verdauungsbeschleunigung und verhindert auf diese Weise Verstopfung. Zu
viele Ballaststoffe können zu einer
sehr schnellen Darmpassage der Nahrung führen, bis hin zu Durchfall oder
Blähungen.
Eine völlig ballaststofffreie Ernährung
lässt den Verdauungstrakt erlahmen
und macht ihn krank.
Ballaststoffe stellen für den Darm offenbar einen notwendigen Anreiz für seine
Leistungsfähigkeit dar – so wie die
Betätigung der Muskeln für diese selbst
unabdingbar ist: Wer lange nur liegen
muss, dessen Beinmuskeln werden
schwach und schwinden. Training
stärkt die Muskulatur, ein Übermaß
an Belastung führt zu Schäden. Beides
scheint für ein gesundes Dasein des
Menschen unentbehrlich zu sein. Das
gilt auch für den Darm.
MEDIZIN INDIVIDUELL
SOMMER 2002
Wie viel Ballaststoffe braucht nun der
Mensch? Eine Vielzahl ernährungsphysiologischer und statistischer Untersuchungen hat bisher zu keinen eindeutigen und allgemein verbindlichen
Aussagen geführt.
Zu einem Urteil darüber, inwieweit
eine ballaststoffreiche Ernährung zu
Leistungsfähigkeit, Wohlbefinden und
Gesundheit führt, kann man am besten
durch eine sorgfältige Selbstbeobachtung kommen. Ob man vor einer Bergtour besser ein Vollkornbrot, ein Müsli
oder ein Weißbrötchen mit Marmelade isst, muss man schlicht ausprobieren. Ob und nach welcher Mahlzeit
Völlegefühl, Blähungen, Verstopfung,
Initiativlosigkeit, Infektneigung oder
Schlaflosigkeit auftreten, muss man
selbst beobachten.
Viele Diätempfehlungen stellen hervorragende Hinweise und Anregungen
dar, gerade dann, wenn sie auf Beobachtungen und wissenschaftlichen
Untersuchungen aufbauen. Ein Beispiel: Messungen im Blut haben
ergeben, dass der Verzehr eines
Marmeladenweißbrötchens zu einem
steilen Blutzuckeranstieg führt, der
durch eine starke reaktive Insulinausschüttung in einen plötzlichen Blutzuckerabfall mündet – und dies erzeugt
von neuem Hunger. Ein Vollkornbrötchen mit Butter und Quark führt nicht
zu diesem steilen Blutzuckeranstieg –
es sättigt statt dessen nachhaltiger.
SEITE 22
Dr. Christoph Rehm | Laborleiter
am Gemeinschaftskrankenhaus
Telefon (0 23 30) 62-3600
Herausgeber und Verlag
Gemeinnütziger Verein zur Entwicklung
von Gemeinschaftskrankenhäusern e.V.
Gerhard-Kienle-Weg 4 | 58313 Herdecke
Telefon (0 23 30) 62-3638
www.gemeinschaftskrankenhaus.de
[email protected]
Redaktion
rotthaus.com wirtschaftsredaktion
Nadine Schmitt (NA), Martina Oster (MO),
Stephan Rotthaus
Telefon (0221) 43 09 19-0
www.rotthaus.com
Redaktionsrat
Elke Malitz
Dr. Christoph Rehm
Stephan Rotthaus
Franz Sitzmann (FS)
Peter Zimmermann
(PZ; v.i.S.d.P.)
Gestaltung
hilbig | strübbe
Frank Scheele, Carsten Strübbe
www.hilbig-struebbe.de
Titelfoto
www.eyeofscience.com
Illustration
Charlotte Wagner
Lithografie und Druck
Enßendruck, Hattingen
Erscheinungsweise
Die nächste Ausgabe
erscheint im September 2002
Redaktionsschluss (nächste Ausgabe)
15. Juli 2002
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Therapeutische Gemeinschaft
für Kinder- und Jugendpsychiatrie
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Telefon (07 67 39) 93 17 97
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Homöotherapeutische Abteilung
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Alexander von Humboldt Klinik
Abteilung für geriatrische Rehabilitation
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