SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst

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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
Schweinegrippe und Co.
Wer bestimmt, wogegen geimpft wird?
Autorin: Eva Schindele
Redaktion: Detlef Clas
Sendung: Montag, 6. Dezember 2010, 8.30 Uhr, SWR 2
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Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die aus Zeitgründen in
der ausgestrahlten Sendung gekürzt wurden.
MANUSKRIPT
Atmo: Kinderarztpraxis Sprechzimmer
Sprecherin:
Der eineinhalbjährige Malte sitzt auf dem Schoß seiner Mutter. Er ist ein wenig erkältet
und seine Mutter fragt sich, ob er trotzdem gegen Meningokokken geimpft werden darf,
einem Erreger, der Gehirnhautentzündung verursachen kann.
Atmo: Im Sprechzimmer
Sprecherin:
Der kleine Malte kennt das schon. Vor wenigen Wochen war die Masernimpfung dran.
Jetzt beobachtet er, wie der Kinderarzt Michael Kleppe die Spritze aufzieht und seinen
Oberarm mit Alkohol abtupft. Ihm gefällt das gar nicht gut und er lässt sich auch nicht
von den Seifenblasen beeindrucken, mit denen die Praxismitarbeiterin ihn abzulenken
versucht.
Atmo: Weinen
Ansage:
Schweinegrippe und Co. – Wer bestimmt, wogegen geimpft wird?
Eine Sendung von Eva Schindele
Cut 1: Kleppe
Die Meningokokkenimpfung wird ab einem Jahr geimpft. Es geht um eine Erkrankung,
die ist extrem heimtückisch und die führt einem innerhalb eines halben Tages in
lebensbedrohliche Bereiche ... aber sie schützt nur gegen einen Teil der Krankheiten.
Sprecherin:
Michael Kleppe ist seit 17 Jahren als Kinderarzt in Bremen niedergelassen. Er hält
Impfen generell für sinnvoll und verweist dabei auf den hohen präventiven Nutzen. So
konnten schwere Krankheiten wie Pocken und Kinderlähmung nahezu ausgerottet
werden. Außerdem erkranken viel weniger Kinder heute an Röteln oder Keuchhusten.
Atmo: Kinderarztpraxis
Sprecherin:
In den letzten Jahren sind vermehrt neue Impfstoffe für seltene Erkrankungen auf den
Markt gekommen. Dazu gehört die Impfung gegen Meningokokken. Die Erreger können
in sehr seltenen Fällen zur schweren Hirnhautentzündung und einer Blutvergiftung
führen. Gegen einen Teil der Bakterien kann man nun impfen. Lohnt sich das? Eine
Abwägung, die den Kinderarzt ins Grübeln bringt.
Cut 2: Kleppe
Im Jahr 100 bis 150 Krankheitsfälle. Dann können Sie sich ausrechnen, 700.000 Kinder
geboren, dann können Sie ausrechnen, wie viel man impfen muss, um überhaupt einen
Krankheitsfall, an dem nicht jeder stirbt, zu verhindern. Da kann man als
Gesundheitsökonom sagen: Lohnt sich das, 100 Millionen im Jahr zu zahlen, damit 10
Kinder nicht sterben?
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Sprecherin:
Die Zahlen, die Kinderarzt Kleppe hier nennt, sind schon hochgegriffen – in
Deutschland ist das Risiko für Kinder, an dieser Infektion zu erkranken oder gar daran
zu sterben, noch niedriger. Aber kann, darf man so eine Kosten-Nutzen-Rechnung
überhaupt aufmachen? Oder ist es vielleicht sogar ethisch geboten, darüber
nachzudenken, wie das Geld der Krankenversicherten möglichst gut und gerecht
angelegt wird?
[Cut 3: Kleppe
Die Impfungen empfinde ich alle als sinnvoll. Es gibt Abwägungen. Es gibt sehr
schwere Erkrankungen, die aber sehr selten sind, andere Krankheiten, darüber kann
man diskutieren, ob man z.B. gegen Windpocken impfen muss.]
Sprecherin:
Wofür das Geld der Versicherten ausgegeben werden soll, bestimmt bei Impfungen die
Ständige Impfkommission, kurz Stiko. Sie entscheidet, wogegen in Deutschland geimpft
werden soll. Das ehrenamtlich arbeitende Expertengremium hatte 2006 die
Meningokokken-Impfung als Standardimpfung für Säuglinge und Kleinkinder empfohlen.
Die Stiko ist beim Robert Koch Institut angesiedelt; ihre 16 Mitglieder – es sind meist
Virologen, Ärzte und im Gesundheitsdienst Tätige – werden vom Bundesministerium für
Gesundheit für drei Jahre berufen. Die Stiko – so steht es in ihrer Satzung – entscheidet
unabhängig.
Sprecher:
Gemäß dem unabhängigen Arzneimittelreport erreichten Impfstoffe 2008 einen
Gesamtumsatz von 1,55 Milliarden Euro, ein Jahr später waren es bereits 1,8
Milliarden. Umsatzstärkste Impfstoffe waren die gegen die saisonale Grippe, gefolgt von
dem Vierfach-Impfstoffen gegen Diphterie-Tetanus und der 2006 eingeführten HPVImpfung, die vor Gebärmutterhalskrebs schützen soll.
Cut 4: Kleppe
Die Gesellschaft oder Krankenversicherungen, wir alle zahlen viel mehr Geld für
Impfstoffe als früher ...
Sprecherin:
Der Zuwachs spricht nicht gerade für die oft von Impfexperten beklagte Impfmüdigkeit.
Der Berliner Krebsmediziner Wolf Dieter Ludwig, Vorsitzender der
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:
Cut 5: Ludwig
Impfstoffe gehören zu den Biopharmazeutika. Die Biopharmazeutika sind der Bereich
der Arzneimittel, die in den letzten Jahren geradezu explosionsartig zugenommen
haben. Die Hersteller haben natürlich sehr moderne Fabrikmöglichkeiten jetzt, um diese
Impfstoffe auch herzustellen, sie haben ein großes materielles Interesse daran, diese
Impfstoffe dann auch zu verkaufen. Und ich habe den Eindruck, dass doch auch sehr
merkantile Interessen hinter dieser Impfeuphorie stehen [und man muss natürlich
deswegen auch die Impfstoffe sehr sorgfältig bezüglich ihres Nutzens beurteilen.]
Sprecherin:
Der Kinderarzt Michael Kleppe, der sich auf die Empfehlungen der Stiko verlässt:
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Cut 6: Kleppe
Ich hoffe, dass die Mitglieder der Ständigen Impfkommission so viel Standing haben,
Lobbyismusbestrebungen zu widerstehen und wirklich unabhängige Entscheidungen zu
treffen.
Sprecher:
„Fragwürdige Interessenskonflikte – Unabhängig und neutral sollen die Empfehlungen
... sein. Zunehmend werden aber Zweifel geäußert, ob die Impfstoffkommission wirklich
unabhängig ist.“
Sprecherin:
... schreibt die Berliner Tageszeitung am 16.11.2007. Und die Süddeutsche Zeitung
titelt am 26.1.2008:
Sprecher:
Kleine Stiche, große Freunde – die für Impfungen zuständige Kommission pflegt allzu
enge Industriekontakte und riskiert ihre Glaubwürdigkeit.
Sprecherin:
Kinderarzt Kleppe hat noch die Schlagzeilen der letzten Jahre vor Augen. Es fing damit
an, dass 2007 der langjährige Stiko-Vorsitzende Heinz Josef Schmitt von der
Universität Mainz zur Pharmafirma Novartis wechselte und damit die Stiko verließ.
Novartis stellt auch den Meningokokken-Impfstoff her. Die Impfung war ein Jahr zuvor
von der Stiko empfohlen worden. Außerdem bekam er einen mit 10.000 Euro dotierten
Preis für seine Verdienste um den Impfgedanken. Gesponsert von Sanofi-Pasteur.
Diese Firma brachte mit Gardasil den ersten Impfstoff gegen Humane Pappillom-Viren,
kurz HPV auf den Markt. Auch diese Impfung war 2006 für Mädchen zwischen 12 uns
17 Jahren von der Stiko empfohlen worden. Um diese Impfung entzündeten sich heftige
Konflikte.
Atmo
Musik – Eine Schutzimpfung gegen Krebs – ja die gibt es wirklich. Leider nicht gegen
Krebs allgemein. Aber Mädchen können sich zumindest gegen einen wirklich bösartigen
Krebs – den Gebärmutterhalskrebs impfen lassen (Musik)
Sprecherin:
Viele Fachleute waren erstaunt, als die Stiko so überstürzt die mit 480,-- Euro
unverhältnismäßig teure HPV-Impfung empfahl. Denn Gardasil, so der Produktname
des Impfstoffes, war erst gerade wenige Wochen zuvor von der europäischen
Zulassungsbehörde EMA zugelassen worden. Die Studien, die die Wirksamkeit belegen
sollten, waren noch nicht einmal öffentlich publiziert.
Atmo
In den meisten Fällen sind nämlich sogenannte Humane Papillom Viren die Ursache für
die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs – abgekürzt heißen sie HPV.
Sprecherin:
Aber der Impfstoffhersteller Sanofi-Pasteur hatte bereits eine Werbe-Kampagne in der
Schublade, um den Impfstoff auf dem Markt zu etablieren. Dafür mobilisierte die Firma
viele Unterstützer. Ärzte sowieso, aber auch Promis, Lehrer und die Deutschen
Krebshilfe, die mit ihrer DVD „Mädchen checken das“ in die Offensive ging:
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Atmo
(Trommel) Also jetzt gibt es eine Impfung, die vor der Infektion mit diesen PapillomViren schützt – man nennt sie HPV-Impfung.
Sprecherin:
Der Werbefeldzug schürte bei Frauen die Angst vor Gebärmutterhalskrebs. [Das sollte
er wahrscheinlich auch.] Dabei handelt es sich um eine seltene Krebsart. 6.500 Frauen
erkranken jährlich etwa daran. Anders verhält es sich mit der HPV-Infektion. Etwa zwei
Drittel aller Frauen stecken sich beim Sex an. Doch der Körper wird mit den Erregern in
der Regel gut fertig und die Infektion heilt – ohne dass die Frau überhaupt etwas von
der Ansteckung gemerkt hat - von selbst wieder aus. Nur: Das sagt niemand.
[Mütter heranwachsender Mädchen sind beunruhigt.
Cut 7: Marie-Luise
Ich habe schon viele Spots gesehen - im Fernsehen und überall wurde man damit
konfrontiert und … ich fand sie ein bisschen aufdringlich …
Sprecherin:
sagt Marie-Luise Brecht, deren Tochter gerade 15 geworden ist.
Cut 8: Marie-Luise
…dass wenn man Freundschaften eingeht und sexuellen Kontakt haben wollte, dass
man aufpassen sollte und in der Hinsicht eher impfen lassen sollte, weil die Gefahr des
Gebärmutterhalskrebses auftauchen kann.]
Sprecherin:
Die Kampagne lohnt sich für den Impfstoffhersteller.
Sprecher:
Laut Arzneimittelreport liegen die Gesamtkosten der Impfung bereits im zweiten Jahr
nach der Markteinführung bei 245 Millionen Euro. Dafür wurden 544.000 junge Frauen
geimpft. Der Impfstoff ist mit 480 Euro in Deutschland fast doppelt so teuer wie in den
Niederlanden oder den USA.
Sprecherin:
Hinzu kommt: Die Kampagne für die HPV-Impfung stellt den Nutzen besser dar, als
überhaupt erwiesen ist. Denn bisher schützt die Impfung nur gegen die Ansteckung
durch zwei der 13 krebsauslösenden Papillom-Virenstämme. [Und das auch nur dann,
wenn sich die Frau nicht schon vor der Impfung mit dem Erreger infiziert hat.] Auch
wusste man 2006 noch nicht, wie lange der Impfschutz anhält. Inzwischen rechnet man
übrigens mit mindestens sechs Jahren. Diese Unklarheiten veranlassten
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im November 2008 zu einer spektakulären
öffentlichen Stellungnahme, die als „Bielefelder Manifest“ bekannt wurde. Eine davon
war die Hamburger Gesundheitswissenschaftlerin und Medizinerin Prof. Ingrid
Mühlhauser:
Cut 9: Mühlhauser
Wie das damals von der Industrie gemacht wurde, ... ist inakzeptabel. … Das war der
auslösende Grund für den Initiator des Manifestes dagegen vorzugehen, dass plötzlich
in seiner Schulklasse, wo er unterrichtet hatte, Vertreter der Firma Sanofi-Pasteur
saßen und versucht haben, Einfluss zu nehmen auf die Information der Schülerinnen.
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Das war der Anlass zu kontrollieren, was wissen wir zur möglichen Wirksamkeit und zu
dem Schaden der Impfung? Und da ist man daraufgekommen, dass die Annahmen der
Stiko unzulässig waren.
Sprecher:
Heftige Kritik an Impfempfehlung – Wissenschaftler fordern Neubewertung der HPVImpfung und ein Ende der irreführenden Informationen. … Die Empfehlung der Stiko
muss dringend überprüft werden.
Sprecherin:
... schreibt die Süddeutsche Zeitung am 26. November 2008.
Cut 10: Mühlhauser
Die Empfehlung der Stiko aus der damaligen Zeit basierte auf Hochrechnungen, die
durch wissenschaftliche Daten nicht abgestützt waren. Die Annahmen waren, dass es
einen lebenslangen Impfschutz gibt von über 90 Prozent und dass mindestens 70
Prozent der Mädchen zum Impfen gehen.
Sprecherin:
Im April 2009 bestätigt die Stiko die Empfehlung von 2006 – allerdings auf einer
erweiterten Datenlage. Ein zweiter HPV-Impfstoff war inzwischen in Europa zugelassen
worden. Neue Studien belegen zwar die Wirksamkeit des Impfstoffes gegen einen Teil
der Krebsvorstufen am Muttermund – doch, in welchem Ausmaß die Impfung
Gebärmutterhalskrebs verhindern kann, wird erst in 20 Jahren klar sein. [Falls
überhaupt, denn sie wurde eingeführt ohne Abstimmung mit anderen
Gesundheitsmaßnahmen, die auf das gleiche Organ zielen, wie die
Krebsfrüherkennung. Der jährliche Krebsabstrich am Muttermund wird auch weiterhin
geimpften Frauen empfohlen – da die Impfung keinen Vollschutz gegen die HPVInfektion bietet.] Die Stiko hätte damals die Impfung nur im Rahmen von
qualitätssichernden Maßnahmen empfehlen dürfen, meint die Medizinerin Mühlhauser.
Cut 11: Mühlhauser
Maßnahmen, die berücksichtig hätten werden müssen, sind einerseits die
Dokumentation des Anteils der geimpften Mädchen und Frauen, eine Dokumentation
der Krebsvorstufen und unerwünschten Nebenwirkungen. Ein weiterer wichtiger Punkt,
der nicht erfüllt worden ist, ist die Qualitätssicherung der Früherkennung auf
Gebärmutterhalskrebs … und das ist eine Voraussetzung um Nutzen zu haben aus der
HPV-Impfung.
Sprecherin:
Warum diese überstürzte Einführung der Impfung in Deutschland? Gegenüber dem
Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ räumt der Vorsitzende des Gemeinsamen
Bundesausschusses, in dem Vertreter der Krankenkassen und der Ärzteschaft sitzen,
ein, dass die Empfehlung 2006 unter enormem Druck geschah. Dr. Rainer Hess:
Sprecher:
Es gibt eben Entscheidungen, die nicht evidenzbasiert, sondern aus politischen
Gründen gefällt werden.
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Cut 12: Antes
Da hatte ich Glück, das war vor meiner Zeit. Also ich kam erst in den laufenden Prozess
hinein. Da wird auch die Stiko teilweise zu Unrecht an den Pranger gestellt.
Sprecherin:
... so Dr. Gert Antes, der Ende 2007 in die Stiko berufen wurde. Der Mathematiker leitet
das Cochrane Zentrum in Freiburg. Es gehört zu einem internationalen WissenschaftlerNetzwerk, das sich um mehr Wissenschaftlichkeit und Evidenz in der Medizin bemüht.
Cut 13: Antes
Also einmal ist natürlich klar, dass die Hersteller das Interesse haben, die Impfung
möglichst schnell in den Markt zu drücken … Aber dann übersieht man im nächsten
Moment, dass das Verhalten von Krankenkassen genauso indiskutabel ist, wenn die
auch in einem Stadium, wo es eigentlich viel zu früh ist, solche Entscheidungen zu
fällen, aus Gründen des Kundenfangs, also Wettbewerb zwischen den Krankenkassen,
so eine Impfung in die Erstattung reinnimmt. Und damit praktisch Vorentscheidungen
fällt, wo die Stiko danach nur noch als böser Bube sagen kann. Wir empfehlen jetzt
was, was gegen die scheinbar ja vernünftige Entscheidung von der Krankenkasse steht.
Sprecherin:
Diese Vorgehensweise hat damals Fakten geschaffen. Es war übrigens die
Technikerkasse, die vorgeprescht war und damit warb, die Kosten für die HPV-Impfung
zu übernehmen – ohne die Empfehlung der Stiko abzuwarten.
Cut 14: Antes
Eigentlich müsste die Reihenfolge sein, der Impfstoff wird zugelassen, dann ist natürlich
Werbung erst mal völlig außen vor und dann wird es bewertet und dann sollten die
Kassen sich daran halten … Das ist ja in dem Fall wirklich fürchterlich schiefgegangen.
Sprecherin:
In der Regel werden heute Impfstoffe auf europäischer Ebene von der EMA
zugelassen, das ist die Abkürzung für „European Medicines Agency“ mit Sitz in London.
Mit am Tisch der EMA sitzen die einzelnen EU-Länder, für Deutschland sind es zwei
Vertreter des Paul-Ehrlich-Instituts.
Ein Impfstoff wird dann zugelassen, wenn der Hersteller in Studien belegen kann, dass
sich im Körper der gesunden Testpersonen Antikörper gegen die meist durch Viren
verursachte Erkrankung bilden. Diese Studien finden an ein paar hundert Probanden
statt, zu wenig um unerwünschte Nebenwirkungen eines Impfstoffes herauszufiltern.
Die Verträglichkeit eines Impfstoffes zeigt sich deshalb erst nach der Markteinführung,
wenn zig-Tausende Menschen damit immunisiert worden sind. Deshalb sind neue
Impfstoffe, ähnlich wie auch neue Arzneimittel, immer auch Feldversuche an der
Bevölkerung, meint Prof. Wolf-Dieter Ludwig.
Cut 15: Ludwig
Ich habe mich damals auch dafür stark gemacht, dass auch bei einer Impfung wie HPV,
einer Impfung deren Nutzen wir erst in 2, 3 Jahrzehnten endgültig beurteilen können,
wir ganz sorgfältig auch die unerwünschten Wirkungen dieser Impfung – das heißt
nicht, dass sie auftreten müssen, aber wir wissen es nicht, ob sie auftreten – dass wir
diese unerwünschten Wirkungen registrieren müssen. …
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Sprecher:
Tod nach Krebsimpfung – 15-jährige Britin stirbt nach HPV-Impfung. Die Sicherheit der
Impfstoffe gegen Gebärmutterhalskrebs gerät in Zweifel.
Sprecherin:
... meldete die Wochenzeitung „Focus“ Ende 2007. Und die Osnabrücker Zeitung
schrieb am 3.Juni 2009:
Sprecher:
Junges Mädchen schwer erkrankt – Zusammenhang mit Impfung gegen
Gebärmutterhalskrebs?
Atmo: Kinderarztpraxis
Sprecherin:
Eltern beunruhigen die Berichte über die unerwünschten Nebenwirkungen. Und auch
der Bremer Kinderarzt Michael Kleppe ist verunsichert.
Cut 16: Kleppe
Das war wie eine Welle. Am Anfang viel nachgefragt, dann kamen Veröffentlichungen,
dass irgendwelche Lähmungen auftreten. Dann haben alle erst mal Schiss gehabt –
auch ich habe zu Eltern, die einen Impftermin hatten gesagt: „Okay, lass' uns das erst
mal aussetzen.“ Ich habe das dann nicht mehr aktiv angesprochen.
Sprecherin:
Inzwischen impft Michael Kleppe wieder gegen HPV. Die internationalen
Aufsichtsbehörden haben keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und
Todesfällen festgestellt. In seltenen Fällen litten Mädchen an Lähmungen, dem sog.
Guillain-Barré Syndrom. Diese schwerwiegende Nebenwirkung kann nur durch ein
gutes Meldesystem überhaupt entdeckt werden. Doch ein solches System fehlt in
Deutschland. Ärzte sollen Impfkomplikationen direkt ans Paul-Ehrlich-Institut melden
oder alternativ an die zuständigen Gesundheitsämter. Kritisiert wird seit Jahren, dass
dieses Verfahren nicht zuverlässig funktioniert und dass deshalb viele Nebenwirkungen
nicht erfasst werden.
Cut 17: Ludwig
Es wäre ein leichtes gewesen ein Register einzurichten und diese jungen Mädchen
oder jungen Frauen dann auch über die nächsten Jahre zu verfolgen. ….Aber diese
Register erfreuen sich leider nicht großer Beliebtheit, sie sind natürlich aufwändig, aber
sie sind für mich eine wichtige Informationsquelle um über Nutzen und Risiken von
Impfstoffen oder auch Arzneimitteln zu informieren.
Sprecherin:
Die öffentliche Debatte um Sinn und Unsinn der HPV-Impfung rüttelte an der
Glaubwürdigkeit der Stiko. Man fragte sich, nach welchen wissenschaftlichen Kriterien
die Expertenkommission eine Impfung bewertet und empfiehlt. Doch darüber herrscht
Stillschweigen, kritisiert der Bremer Pharmakologe Prof. Peter Schönhöfer, der sich
auch bei „Transparency international“ engagiert.
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Cut 18: Schönhöfer
Der Vorwurf der Intransparenz ist sicher korrekt. Was ausgehandelt wird, von wem und
wie und was die Argumente für eine Empfehlung sind, wird nicht offengelegt.
Sprecherin:
Auch Stiko-Mitglied Gert Antes gibt zu, dass es keine systematischen Kriterien gibt,
nach denen der Nutzen einer Impfung beurteilt wird. Oft fehlten dazu auch die Studien.
Außerdem wäre die Stiko finanziell und fachlich nicht ausreichend ausgestattet, um
eigene wissenschaftliche Expertisen anstellen zu können. Deshalb orientieren sich die
Ehrenamtlichen gerne an Expertenkommissionen anderer Ländern oder der WHO.
Cut 19: Antes
Das große Problem ist da, wie weit kann ich den Ergebnissen trauen aus anderen
Ländern? Gibt es da vielleicht Einflüsse zum Beispiel von der pharmazeutischen
Industrie oder andere ökonomische Interessen oder hat man dort nicht so genau
hingeschaut auf das, was als wissenschaftliche Grundlage zu berücksichtigen wäre und
deswegen ist das nicht so einfach, wie es ausschaut.
Sprecherin:
Bei der Stiko bemüht man sich zumindest inzwischen um mehr Transparenz, was die
Nebentätigkeiten der Mitglieder anbelangt.
Cut 20: Antes
Sie finden jetzt ja zum Beispiel die Erklärung der Interessenkonflikte von den
Mitgliedern im Internet und zwar schon schmerzhaft lange zurück. Also, sie finden da,
ich glaube über acht Jahre die Erklärungen, an welchen Studien die mitgemacht haben.
Die Entscheidungen selbst werden nicht gefällt mit Mitgliedern, die zu dem Thema eine
Impfstudie durchgeführt haben, das heißt, die sind dann aus dem
Entscheidungsprozess raus.
Sprecherin:
Die Selbstauskünften der ehrenamtlichen Mitglieder zeigen, dass die Mehrheit im
Auftrag von Pharmafirmen Studien durchführt und an Impfforen beteiligt ist, die für das
Impfen werben – gesponsert von der Industrie.
[Sprecher:
Prof. Dr. Ulrich Heininger, Universitätskinderspital Basel, Mitgliedschaft in
Gremien/Tätigkeiten für Gremien: Advisory Board Pseudomonas-Impfung 2004-2006
(Berna, Schweiz); Advisory Board FSME + Meningokokken 2002-2007 (Baxter,
Schweiz); usw.
Prof. Dr. Fred Zepp, Universitätsklinik Mainz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Mitglied im Übersichtsgremium für eine Studie zu
Meningokokken der Firma Baxter (2002/2003); Teilnahme am Pandemic Advisory
Board der Firma Novartis (2007); Mitglied des „Internationalen Editorial Board“ der
Firma Glaxo Smith Kline seit 2008 ...]
Cut 21: Schönhöfer
Was problematisch war und noch immer ist, ist die Tatsache, dass diejenigen, die in der
Stiko arbeiten, gleichzeitig enge Kontakte zu den Herstellern haben und die Hersteller
dort mit materiellen Unterstützungen, Vortragshonoraren, Entgelte für Gutachten,
Einfluss nehmen. Wie kann denn ein Gremium unabhängig ein Produkt werten, wenn
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die Leute, die das entscheiden gleichzeitig Profiteure von den Herstellern sind? Das
geht nicht ... Auch in den USA geht man weiter, und sagt, es ist nicht nur notwendig
anzugeben, dass ein Interessenskonflikt vorliegt, sondern wie sich die materielle
Einflussnahme manifestiert, welche Geldbeträge da fließen.
Sprecherin:
Soweit der Pharmakologe Peter Schönhöfer. Bisher wurde noch keinem Stiko-Mitglied
direkte Bestechlichkeit nachgewiesen. Trotzdem beeinflusst das Umfeld in dem man
sich als Impf-Experte tagtäglich bewegt, auch die Entscheidungen. Deshalb würde mehr
Transparenz auch die Glaubwürdigkeit steigern. Und es könnte die Experten vor
unliebsamer Umgarnung schützen. Denn dass die großen Pharmafirmen versuchen,
massiv Einfluss zu nehmen, zeigt die Impfkampagne zur Schweinegrippe, die vor etwa
einem Jahr die Welt in Panik versetzte. Der Industrie gelang dabei der große globale
Coup, der sie um geschätzte 18 Milliarden Euro reicher machte. Dabei geholfen hat die
WHO mit ihrem Ausruf der höchsten Pandemiestufe 6 und international tätige angeblich
„unabhängige“ Experten, von denen sich im Nachhinein herausstellte, dass sie auf der
Gehaltsliste großer Pharmafirmen standen.
Sprecher:
„Chronik einer Hysterie“. Fast ein Jahr hielt die Schweinegrippe die Welt in Atem. Eine
gigantische Impfkampagne sollte ihr Einhalt gebieten. Dabei handelte es sich nur um
einen eher harmlosen Virenstamm. Wie konnte es zu solch einer Überreaktion
kommen?
Sprecherin:
... fragte der Spiegel im März 2010. Die Antwort gab einige Monate später das britische
Fachblatt „Britisch Medical Journal“:
Sprecher:
Die WHO und das Schweinegrippe-Komplott – wie bis dato für unabhängig gehaltene
Grippe-Experten, die WHO und Regierungen beeinflusst haben.
Sprecherin:
Die Impfstoffhersteller warteten in den Startlöchern, denn schließlich hatten sie bereits
2007 mit EU-Mitteln einen Impfstoff gegen die gefährliche Vogelgrippe entwickelt, die
sich dann aber nicht weiter ausdehnte. Der Grippe-Experte Tom Jefferson: „Alles, was
es jetzt brauchte, um diese Maschinerie in Gang zu bringen, war ein kleines mutiertes
Virus“.
Cut 22: Schönhöfer
Die Manager der Impfstoffhersteller … suchten dann eine solche Grippe, die von dem
Impfstoff, der schon entwickelt wurde abgedeckt wurde. Und dann bot sich eben dieser
H1N1 Virus-Infekt, der in Mexiko aufgetreten war, an. Also wurde ein Experte für
Pandemiefragen – der Sir Roy Anderson, der die englische Regierung berät – dazu
gebracht, diese mexikanische Wintergrippe zur Pandemie zu erklären ... Es wusste
keiner, dass dieser Mann nicht nur Berater der englischen Regierung war, sondern auf
der Payrole der Firma Glaxo Smith Kline stand; und zwar mit einem Betrag von 135.000
Euro pro Jahr. Und dann wundert man sich, dass dieser Mann eine Wintergrippe zur
Pandemie erklärt, die zu der Zeit – das wussten wir bereits – kein Risiko darstellt. So
erfindet man Krankheiten, um den Impfstoff, den man auch mit Hilfe von Regierungen
entwickelt hat, endlich vermarkten zu können.
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Sprecherin:
WHO, EU-Kommission und auch deutsche Politiker und Experten entwickelten
Bedrohungsszenarien mit zig Tausenden von Toten. In Nachbarländern wie
Großbritannien wurden die Bürger richtig moralisch unter Druck gesetzt, sich impfen zu
lassen. Zur gleichen Zeit, also im Spätsommer 2009, wiesen bereits Fachleute wie der
Vorsitzende der Arzneimittelkommission auf den harmlosen Verlauf der Grippe auf der
Südhalbkugel hin. Wolf-Dieter Ludwig:
Cut 23: Ludwig
Man hätte aufgrund dieser Daten natürlich auch sagen können, wir machen ein
abgestuftes Vorgehen, aber die Flexibilität hatte man nicht. Man hatte durch die
Pandemiestufe 6 sozusagen ausgelöst, dass für eine gewisse Zahl der Bevölkerung
Impfstoff beschafft wird, egal wie der weitere Verlauf der Erkrankung ist ….
Aber hier ist es ja nicht nur die Impfstoffbeschaffung gewesen, sondern das ganze
Szenario drumherum [- man hat diese Impfstoffbeschaffung auch mit einer Vielzahl von
Horrorszenarien verbunden, so dass die Bevölkerung verunsichert war und letztendlich
ja aufgrund dieser Unsicherheit auch sich eigentlich gegen eine Impfung entschieden
hat.]
Sprecherin:
Verunsichert war die Bevölkerung auch über die Berichte zu unerwünschten
Nebenwirkungen des Schweinegrippe-Impfstoffes. Ihm war ein Wirkstoffverstärker, ein
sogenanntes Adjuvanz, beigefügt worden, um ihn zu strecken. Dieser Impfstoff war
kaum getestet, trotzdem betonten Politiker und viele Experten seine Unbedenklichkeit.
Cut 24: Ludwig
Es hat sich ja auch gezeigt, dieser Impfstoff hat deutlich häufiger allergische Reaktionen
ausgelöst, Unverträglichkeitsreaktionen. Die waren nicht schwerwiegend, aber ich muss
natürlich einen Bürger darüber informieren, was auf ihn zukommt.
Sprecherin:
Stiko-Mitglied Gert Antes erinnert sich an hektische Abläufe bei der Impfkommission,
die ja bei den Kaufentscheidungen des Impfstoffes vorher gar nicht eingebunden war,
aber jetzt die Impfung empfehlen sollte. Und was nützen Bedenken oder schlechte
Studienlage, wenn es keine andere Option gibt, sprich kaum anderer Impfstoff
verfügbar ist. Aus Vorsicht empfahl die Stiko aber doch zumindest schwangere Frauen
nicht mit dem adjuvanten Impfstoff zu immunisieren.
Cut 25: Antes
Und dann kommt bei so einer hektischen Situation natürlich als nächstes Problem
hinein, dass man plötzlich Impfstoff haben muss, den man auch Monate oder Jahre
vorher in Verträgen irgendwie reserviert hat oder gekauft hat. Das heißt, man kann
dann irgendwann, wenn man … die Entscheidung fällen will, sich nicht mehr frei
bewegen. Dann ist der Handlungsspielraum fast null.
Sprecherin:
Der Skandal um die Schweinegrippe hat an der Glaubwürdigkeit der WHO gekratzt.
Jetzt soll eine unabhängige Untersuchungskommission die genauen Umstände
aufklären. Auch die europäische Zulassungsbehörde EMA verspricht ab Mitte 2011
mehr Transparenz. Jeder Experte muss zukünftig finanzielle Zuwendungen und
Abhängigkeiten von Pharmafirmen öffentlich erklären. Und in Deutschland fordern die
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Gesundheitsminister der Länder eine Aufarbeitung der Vorkommnisse um die
Schweinegrippe. Wenn der Bund Vorgaben formuliert, soll er auch die
Finanzverantwortung tragen, meinen die Bundesländer. Auch solle das
Arzneimittelrecht für den Pandemiefall mehr Flexibilität ermöglichen. Das betrifft auch
die Arbeit der Ständigen Impfkommission, die Ende 2010 neu besetzt wird. Ob dadurch
auch ihre Impf-Entscheidungen transparenter werden, bleibt abzuwarten. Für diese
Grippesaison jedenfalls hat die Stiko einen Grippe-Mix empfohlen, deren Antigene auch
vor Schweinegrippe schützen. Dass sich die Grippeerreger von Jahr zu Jahr etwas
verändern – darauf haben sich übrigens die Impfstoffhersteller längst eingestellt. Doch
dafür, dass der Schweinegrippevirus diesen Winter gefährlicher geworden wäre, gibt es
keinerlei Anzeichen.
Atmo: Kinderarztpraxis: Ciao Malte …
Sprecherin:
Der kleine Malte hat sich wieder beruhigt. An der Hand seiner Mutter, den kleinen Bären
im Arm, verlässt er die Praxis. Der Kinderarzt Michael Kleppe betont noch einmal, wie
wichtig für seinen Alltag die Empfehlungen der Stiko sind und dass er hofft, dass die
Entscheidungen unabhängig geschehen. Die Impfstoffe findet er heute besser als
früher, aber den Preis oft viel zu hoch.
Cut 26: Kleppe
... Ich würde mir wünschen, dass es eine zentrale Einkaufsstelle der Bundesregierung
für Impfstoffe gibt, dass es so eine Art Nachfragemacht gegenüber der Pharmaindustrie
gäbe. Zum Beispiel: Ihr kriegt die allgemeine Impfempfehlung, wenn der Preis halbiert
wird oder so ... Das finde ich total nervig, dass Deutschland eines der Länder ist, wo
Impfstoffe am teuersten auf der ganzen Welt sind
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