Neugier, Musik und Technik - HDTV

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Neugier, Musik und Technik - HDTV
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SWITZERLAND
ANALOGUE
AUDIO
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Verein zur Erhaltung und Förderung der analogen Musikwiedergabe
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HiFiction: Perfektionierung ohne Kompromisse
Fest, aber wie? Plattenbefestigung
Die sinfonische Welt Gustav Mahlers
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Technik und Tipps
Fotos aus dem Besitz von Albrecht Gasteiner
Albrecht Gasteiner: Neugier, Musik und Technik
(EM) Vor Jahrzehnten hat man ihm den Namen «Digitalpapst» angehängt. Heute wird er oft «Mister Hochaufgelöst»
genannt. Doch solche Etiketten greifen zu kurz. Der gebürtige Salzburger Albrecht Gasteiner ist schlicht ein Mensch, der
stets von der Neugier nach technischen Entwicklungsmöglichkeiten angetrieben wurde. So hat er beispielsweise die ersten
Quadro-Aufnahmen in der Schweiz gemacht, hat zu einer Zeit, als es erst Gerüchte gab, einen Digitalrecorder aus Japan
geholt und in Chicago und in der Schweiz der Öffentlichkeit die erste CD vorgeführt. Er ist aber auch ein Pionier in Sachen
Fernsehen in HD Qualität – seit 10 Jahren verkörpert er das HDTV-Forum Schweiz. Dass er zudem ein erfolgreicher Tonmeister war und ist, dürfte einigen bekannt sein. Nur wenige wissen indessen, dass seine Kompetenz in Sachen klassische
Musik und Wissen um Aufnahmegeräte und Speichermedien ihn zu einem der gefragtesten Restaurateure von Tonaufnahmen gemacht hat, die aus Künstlernachlässen stammen und unbedingt für die Nachwelt zu retten sind.
Albrecht Gasteiner scheint für mich als Redaktor die ideale Person zu sein, um wieder einmal über den analogen Tellerrand
hinaus zu blicken und das Gespräch mit einem literarisch gebildeten Menschen zu suchen, für den Musik letztlich Erfüllung
und Passion ist und einzig das Wort Pension ein Fremdwort sein dürfte. Spricht man persönlich mit diesem Menschen, wird
rasch klar, dass das musikalische Erlebnis bei ihm stets Vorrang vor der Technik hat. Letztlich war sein Interesse an neuen
technischen Möglichkeiten – ob Quadro, Surround oder was auch immer – stets getrieben von dem Bestreben, Wege zu
finden, dem potentiellen Hörer näher zu kommen, ihn durch möglichst wenige Filter hindurch mit Musik zu berühren.
habe ich mich enthusiastisch und neugierig hineingestürzt. Und
um Ihre Liste etwas zu ergänzen: Mit 13, 14 Jahren habe ich
mich auch intensiv mit allen Aspekten von Fotografie und Film
beschäftigt, hatte eine eigene Dunkelkammer und bald auch
eine Doppel-Acht Filmkamera. So konnte ich während meines
Studiums nebenbei als Fotoreporter arbeiten und später ein paar
Promotion-Videos drehen, die in allen PAL-Ländern der Welt gezeigt wurden. Und heute? Heute beobachte ich mit altersmildem
Lächeln, mit welch sektiererischer Vehemenz erbitterte Glaubenskriege über Marginalien wie etwa die klanglichen Einflüsse verschiedener Netzleisten ausgefochten werden.
Ernst Müller: Ihnen haftete stets das Image eines Pioniers an. Dies
begann schon vor über 40 Jahren, als Sie 1970 gemeinsam mit
Jürg Jecklin die ersten Quadro Aufnahmen machten und diese
bei Thürlemann Discount in Basel vorstellten.
Albrecht Gasteiner im Gespräch
Ernst Müller: Sie waren in Ihrem bisherigen Leben Musiker, Hi-FiManager bei Sanyo Europa, Tonmeister, Produzent, Publizist und
wohl noch anderes, wovon ich nichts weiss. Als was sehen Sie
sich (heute) vor allem?
Albrecht Gasteiner: Ach wissen Sie, ich bin zu vielen Dingen
unfähig, vor allem aber zum Fachidiotismus. Es haben mich immer verschiedene Themen gleichzeitig interessiert. Und immer
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Albrecht Gasteiner: Das war sogar noch bevor Jürg und ich
einander kennengelernt haben. Ich hatte von Quadro gehört
und wollte es sofort selber ausprobieren. Also habe ich mir AKG
Kondensatormikrofone, eine 4-Kanal 38cm Teac Bandmaschine
und externe Dolby-Systeme besorgt und damit losgelegt. Die erste Aufnahme war «Heiner Kühner spielt Bach an der SilbermannOrgel der Basler Leonhardskirche». Das gab einen grossen Presseerfolg und es hat auch allerhand Verkäufe nach sich gezogen.
EM: Warum ist dann Ihres Erachtens Quadro eine Randerscheinung geblieben?
Albrecht Gasteiner: Dafür haben eine ganze Reihe von Gründen
ineinander gespielt. Vor allem gab es mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln der Analogtechnik keine Möglichkeit,
4-Kanal Audio mit genügender Tonqualität und Kanaltrennung
einigermassen preiswert zu vervielfältigen. Drei konkurrierende
und technisch unzulängliche Schallplattensysteme, SQ, QS und
CD-4, stifteten Verwirrung und das einzig qualitativ befriedigende Distributionsformat, nämlich 4-Kanal Tonband, war viel zu
unpraktisch und zu teuer. Und schliesslich war das Installieren
zusätzlicher Verstärker und Lautsprecher den Leuten im Verhältnis zu dem damit erreichbaren Erlebnisgewinn einfach zu
aufwändig. So ist diese an sich gute Sache in einen langen
Dornröschenschlaf gefallen. Wieder aufgeweckt wurde sie aus
diesem erst im Digitalzeitalter, aber nicht von der Musikbranche,
sondern von der bedeutend innovationsfreudigeren Filmindustrie.
Die Filmleute hatten keine Schwierigkeiten, einen «Center»-Kanal
für die Dialoge hinzufügen, ausserdem einen «Subwoofer» für
das Rumpeln in der Magengrube. So wurde aus Quadrophonie
Surroundsound.
Ob an der deutschen Tonmeistertagung oder – wie hier – als „KeynoteSpeaker“ einer Fachveranstaltung der SRG: Gasteiner gilt auch als gefragter
und charismatischer Vortragsredner.
EM: 1979 haben Sie die ersten Aufzeichnungen mit einem Digitalrecorder gemacht, ich glaube zusammen mit Jürg Jecklin.
Geschah dies aus eigenem Antrieb oder im Auftrag?
Albrecht Gasteiner: Ja, das war der Beginn unserer intensiven
Zusammenarbeit, aus der eine jahrzehntelange Freundschaft geworden ist. Ich weiss noch genau, wie das angefangen hat:
Der Oboist Heinz Holliger kam gerade aus Japan zurück, wo er
Aufnahmen für Denon gemacht hatte. «Merkwürdig, die nehmen
dort auf Videorecordern auf», sagte er. «Wie denn das?» fragte
ich mich und stürzte mich voller Neugier auf das ganz neue
und damals hoch exotische Thema «Digital Audio». Dank meiner
guten Beziehungen zu japanischen Chefetagen konnte ich kurz
darauf den ersten 14 Bit PCM-Prozessor in die Schweiz bringen und Jürg Jecklin im Basler Studio M1 aufs Mischpult stellen.
Hier haben wir auf Beta-Videorecordern die ersten Digitalaufnahmen realisiert. Wenig später kamen dann die ersten «Beta
HiFi»-Videorecorder. Die enthielten zwei ziemlich hochwertige
Audio-Kanäle und auf der Videospur konnten wir PCM-Audio
aufnehmen. Damit hatten wir plötzlich ein praktisches, preiswertes 4-Kanal Aufnahmesystem zur Verfügung und mit diesem hat
Jürg zum Beispiel etliche Konzerte der Luzerner Musikfestwochen
in Quadro aufgenommen. Und weil sein Pioniergeist bei den
Radioleuten damals hoch angesehen war, bekam er von seinen
Oberhäuptlingen in Bern sogar die Erlaubnis, eine veritable Sen-
Zur Person Albrecht Gasteiner
Geboren und aufgewachsen in Salzburg. Schon während der
Gymnasialzeit Musikstudium an der Akademie Mozarteum in
Salzburg (Dirigieren, Klavier, Violine, Orgel, Schlagzeug, Gesang – nicht abgeschlossen). Gasteiner war Mitglied der Salzburger Festspiele (auch unter Karajan) und auf Europatournee
mit dem Wiener Kammerorchester. Als Jazzschlagzeuger gab
er Konzerte und machte Rundfunkaufnahmen. In Klassik-, Jazzund in den unterschiedlichsten Popmusik-Formationen entstand
sein Interesse für Liveelektronik und Aufnahmetechnik. Parallel
dazu intensive Beschäftigung mit Fotografie und Film.
Umzug in die Schweiz und Beginn der Verkaufstätigkeit in der
Audio-/Videobranche. Leitende Funktion in einer grösseren
Handelskette, schliesslich HiFi-Chef eines japanischen Milliardenkonzerns für Europa. Umfangreiche publizistische Tätigkeit
auf dem Gebiet der Heimelektronik, aber auch als Musikkritiker. Vorträge, Interviews in Radio und Fernsehen in vielen
europäischen Ländern.
Musikproduktionen als Aufnahmeleiter und Tonmeister. Erste
Quadrophonie-Aufnahme der Schweiz (1970), erste Schweizer Digital-Musikaufnahme (1979). Erste Vorführung eines CDSpielers am Schweizer Fernsehen (1981). Produktion mehrerer
Videofilme. Eigene Produktionsfirma OMNIPHON. Zahlreiche
Aufnahmen für CD-Firmen und Rundfunkstationen in Deutschland, Finnland, Österreich, Frankreich, Grossbritannien, Korea,
Japan, den USA und der Schweiz. Dabei Zusammenarbeit
mit Künstlern wie den Brüdern Capuçon, Heinrich Schiff, José
Cura, Thomas Quasthoff, Ruggiero Raimondi, Nello Santi,
Franz Welser-Möst, Sir Neville Marriner, David Zinman, Nikolaus Harnoncourt und vielen anderen.
1997 Gründung des DVD-Forum Schweiz, 2004 des HDTVForum Schweiz. Albrecht Gasteiner geniesst grosse Popularität
und eine einzigartige Wertschätzung.
sation zu verwirklichen: Die erste Quadrophonie-Radiosendung
in Europa. Das Verfahren war primitiv, aber genial: Die beiden
Front-Kanäle als konventionelle Stereo-Sendung auf DRS 2, die
beiden Rückkanäle parallel dazu auf DRS 1. Weil natürlich nur
ganz wenige Leute eine echte Quadroanlage zu Hause hatten,
haben wir den Interessenten im Vorfeld empfohlen, über ihre Stereoanlage DRS 2 zu hören, auf ihrem Portable-Stereoradio DRS
1 einzustellen und sich diesen auf dem Fussboden vor die Füsse
zu legen. Das ergab ein ungeheuer positives Presseecho und ich
bezweifle, dass das Schweizer Radio jemals wieder dermassen
viele begeisterte Zuschriften erhalten hat.
Albrecht Gasteiner präsentiert die Neuheiten CD und Micro-Kassette von
Sanyo
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EM: Auch bei der Einführung der CD waren Sie an vorderster
Front.
Albrecht Gasteiner: Ja, freilich. Ich hatte bereits eine Menge Vorträge über Digitaltechnik gehalten, von Polen bis Portugal und
von Island bis Israel. Dieses Thema war mir also geläufig und
so vertrauten mir die Japaner ihren allerersten, handgestrickten
Prototypen eines CD-Players an, den ich im Juni 1981 in Chicago vorführen sollte. Weil das ein Erfolg war, durfte ich dieses
Gerät dann in die Schweiz bringen, wo ich anlässlich der FERA
und im Schweizer Fernsehen die Leute mit der allerersten CDDemonstration überraschen konnte.
über das hinausgeht, was für Musik «benützbar» ist. Das Kleingedruckte hat sich erst in späteren Jahren herumgesprochen…
Wie immer in solchen Situationen hat sich auch damals die Frage der Verhältnismässigkeit von Aufwand und Ertrag gestellt. Je
näher man an das Optimum heranmöchte, umso irrwitziger wird
der Aufwand, den man treiben muss um auch nur ein einziges
Promille dazu zu gewinnen. Man hat damals einen Kompromiss gesucht in Sachen Tonqualität, Spieldauer, Fertigungskosten
etc. Und wenn Sie heute die Leute auf der Strasse fragen, wie
unglücklich sie mit den 16 Bit seien, wird man Sie gross anschauen. So mies kann der Kompromiss also nicht sein. Und ich
denke, selbst Sie als «Analogpapst» werden einräumen müssen,
das Sie in Ihrer eigenen CD-Sammlung auch ganz hervorragend
klingende Exemplare haben.
EM: Nun ja, der Titel «Häuptling der Analogfreunde» wäre mir
lieber. Schliesslich ist analog nicht unfehlbar und auch nicht der
einzige Weg zur Musik! Aber als Analogfreund frage ich Sie
nun doch: Woran lag es denn, dass in den ersten Jahren der CD
eine Geige oft wie eine Trompete klang?
Es bleibt in der Familie: Albrecht Gasteiner als Fotograf und Werbetexter für
die Neuheit CD, Fotomodell ist eine der vier Gasteiner-Töchter
Albrecht Gasteiner: Kaum an den technischen Daten, eher an
der Gedankenlosigkeit von Tonmeistern beim CD-Mastering.
Jeder in der Analogzeit ausgebildete Tonmeister wusste, dass
nach der Aufnahme Kopierschritte, Bearbeitungsschritte, Pressung, Abtastung usw. folgen und überall auf diesem Weg eine
Kleinigkeit vom Original auf der Strecke bleibt. Man hat also
bei der Aufnahme bereits «vorkompensiert», damit am Schluss
bei der Abtastung der Platte herauskam, was man haben wollte.
Vorkompensieren heisst: ein wenig zu viel Kanaltrennung, ein
bisschen zu viel Höhen etc. Wenn man nun (wie dies in frühen
Jahren häufig gemacht wurde) aus diesem Masterband direkt
CDs macht, erhält man eine überkompensierte, unangenehm,
schrill und aufsässig klingende CD.
EM: Aus heutiger Sicht ist beim Standard der CD damals einiges
schief gelaufen. Wie sehen Sie dies heute?
EM: Hohe digitale Auflösung bringt meinem Ohr z.B. bei Violinen ein «richtigeres» Klangerlebnis als die CD dies liefert.
Albrecht Gasteiner: Das kommt auf den Blickwinkel an. Heute
würde man manches sicher anders konzipieren. Aber damals
war das nicht einfach ein Fortschritt, sondern ein ganz gewaltiger und mutiger Quantensprung – und das sogar bezahlbar!
Und ausnahmsweise einmal kein Formatwirrwarr, sondern ein
allseits akzeptierter Weltstandard. Stellen Sie sich doch vor:
Plötzlich keine mechanische Abnützung mehr, kein Rumpeln, kein
Rauschen, kein Knistern, kein tangentialer Spurfehlerwinkel, keine Masseträgheit, keine Gleichlaufschwankungen und so weiter
und so weiter. Dafür ein linealgerader Frequenzgang bis weit
unter und über das Hörspektrum, jederzeit perfekte Impulstreue
und Kanaltrennung, dazu Laufzeitanzeige und präzises Springen auf beliebige Tracks. Wenn ich damals in einer Fernsehsendung spasseshalber Marmelade auf die CD gestrichen und
draufgebissen habe oder wenn ich mit einer Bohrmaschine ein
Loch durch die CD gebohrt und sie dann störungsfrei abgespielt
habe, waren die Leute starr vor Staunen.
Sie müssen bedenken: Als man sich auf 16 Bit und 44,1 kHz als
Standard geeinigt hat, lag dies deutlich oberhalb dessen, was
damals auch in den modernsten Studios noch üblich war. PCMAufnahmen wurden ja generell mit 14 Bit gemacht, ganz am Anfang sogar mit 12 Bit. Die 16 Bit, die Sony eingeführt hat, galten
bereits als «exotisch» und Erfüllung aller Träume. Damit bekommt
man ja auf dem Papier eine dynamische Bandbreite, die weit
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Albrecht Gasteiner: Freilich. Das liegt zu einem guten Teil daran, dass die Leute, die diese High-Resolution Produkte herstellen, es dem Massenmarkt mit seinen Smartphones, Autoradios
und Ghettoblastern gar nicht recht machen wollen. Ihr Ziel ist es
nicht, mit Filterung und Kompression massetaugliche Fliessbandware zu produzieren. Sie wenden sich ausschliesslich an Menschen, die bewusst und konzentriert auf einer guten Anlange Musik hören und dafür setzen sie die technischen Mittel mit grosser
Zurückhaltung und Sensibilität ein. Nur: Wenn diese Leute mit
derselben Sorgfalt von derselben Musik eine CD produzieren,
wird auch die verdammt gut klingen.
EM: Noch höher aufgelöste Digitalwiedergabe hat sich weder
in Form der SACD noch später in Gestalt der DVD-Audio (die ja
die CD des 21. Jahrhunderts werden sollte) durchgesetzt. Warum eigentlich nicht?
Albrecht Gasteiner: Zwei simple Antworten: Erstens hat hier wieder einmal ein Formatwirrwarr die potenziellen Käufer verunsichert. Und zweitens – und vor allem – war und ist die grosse
Mehrheit – ob uns das passt oder nicht – offenbar völlig zufrieden mit den Qualitäten und Möglichkeiten der CD.
weniger Musik, aber konzentriert. Und
so habe ich in meinem Studio so wenige
Geräte wie nur möglich, dafür aber die
allerbesten.
EM: Ist der Tonmeister der Regisseur für
die Heimwiedergabe?
In der zum Regieraum umfunktionierten Loge
des Opernhauses Zürich. Kaum zu erkennen:
Gasteiner hält in der linken Hand eines seiner
ganz kleinen, hochwertigen Schoeps Mikrophone, die er an der Bühnenkante unauffällig
zur Aufnahme des Bühnengeschehens einsetzt.
Im eigenen Tonstudio, am Tag bevor es auf
24/96 aufgerüstet wurde.
EM: Sie schätzen ganz allgemein das im
positiven Sinne Elitäre. Wie äussert sich
dies in Ihrem eigenen Tonstudio?
Albrecht Gasteiner: Ach wissen Sie, das
Wort «elitär» hat so einen antidemokratischen Beigeschmack. Dabei bedeutet
es bei mir nur, dass ich keine Lust habe,
meine Zeit mit Zweitklassigem zu vertrödeln, wenn ich auch Erstklassiges haben
kann. Sie sprechen Tonstudios an: Wenn
Sie einen schlagenden Beweis für die
These suchen, gemäss derer der einzige
Unterschied zwischen kleinen Buben und
erwachsenen Männern im Preis ihrer jeweiligen Spielsachen besteht, müssen Sie
nur in ein Tonstudio für Popmusik gehen.
Da begeistern sich grossgewordene Buben in der Rolle des Herrschers über ein
geheimnisvolles Reich aus möglichst vielen
und noch mehr Maschinen, Reglern, Bildschirmen, Prozessoren, flackernden Lämpchen und obskuren Knöpfen. Zweifellos
ein herrlicher Spielplatz. Aber so etwas
brauche ich nicht, denn tatsächlich ist
Quantität für mich kein Wert an sich, nur
die Qualität zählt. Ergo trinke ich lieber
wenig Wein, aber guten, ich höre lieber
Albrecht Gasteiner: Kommt drauf an. In
der Trivialmusik sicher. Bei Popmusik und
Schlagern gibt es keinen Originalklang,
sondern nur eine Menge voneinander isolierter Tonspuren. Die haben irgendwelche Musiker, die einander oft gar nicht
kennen, zu verschiedenen Zeiten in der
inspirations- und spontaneitätsfeindlichen
Operationssaal-Atmosphäre schallisolierter Kabäuschen aufgenommen. Der Tonmeister muss nun versuchen, aus diesem
sterilen Material einen Klang zusammen
zu künsteln, der dem gerade vorherrschenden Massengeschmack entspricht.
Dafür ist jedes Mittel recht, auch noch so
massiver Einsatz elektronischer Klangbeeinflusser. Ganz anders bei «klassischer»
Musik, mit der ich mich ausschliesslich befasse. Da geht es darum, den von den
Musikern im Konzertsaal erzeugten Klang
mit so wenig Veränderung wie nur irgend
möglich ins Wohnzimmer zu transferieren.
Dort will man ja die Interpretation des
Dirigenten hören und nicht, was der Tonmeister daraus gemacht hat. Also soll sich
der Tonmeister hier nicht als Überdirigent
aufspielen, sondern, um im Kinojargon zu
bleiben, nur als sorgfältiger, diskreter Kameramann dienen.
so entscheidend für die Qualität der Aufnahme. Da darf man nicht auf den Preis
schauen. Selbstverständlich muss man von
allen Modellen ihre besonderen Eigenheiten kennen, um sie sinnvoll einsetzen zu
können. Wie viele Mikros man braucht?
Für das optimal ausbalancierte Ensemble
im optimal klingenden Raum nur zwei, sofern man sie am optimalen Aufstellungsort
platzieren kann. Das ist die Theorie. In
der Praxis kommt diese optimale Situation
aber kaum jemals vor. Und dann gibt es
da noch etwas zu bedenken: Bei einer reinen Audioübertragung fehlt die optische
Komponente, die dem Konzertbesucher
hilft, Nuancen wahrzunehmen, die an seinem Platz eigentlich gar nicht hörbar sind.
Da ist der Tonmeister gefordert, diskret
unterstützend zu wirken. Beides verlangt
nach ein paar zusätzlichen Mikrofonen.
Die sollten aber so subtil dazu gemischt
werden, dass man als Hörer überhaupt
nicht bemerkt, dass da Technik und Techniker am Werk waren.
Mit Alexander Pereira, Intendant des Zürcher
Opernhauses von 1991 bis 2012, Foto 2013
Positionieren der Mikrofone für eine Aufnahme
in der Tonhalle Zürich
EM: Wie halten Sie es mit dem Thema
Anzahl und Beschaffenheit von Mikrofonen bei Ihren Aufnahmen?
Albrecht Gasteiner: Mikrofone sind in
ihrer Charakteristik so verschieden wie
Objektive beim Fotografieren und eben-
EM: In der Ära Pereira haben Sie am
Zürcher Opernhaus mehr als ein Dutzend
Opern aufgenommen, zunächst gemeinsam mit Jürg Jecklin, später allein. Was
bedeutet Ihnen die Oper?
Albrecht Gasteiner: Wenn da alle erdenklichen Künste zusammenwirken: Orchester, Gesang, Schauspielerei, Architektur,
Malerei, Lyrik, Couture, Maquillage, Licht
und wasweissich sonst noch alles, dann
verschmilzt das Ganze an glücklichen
Abenden für diesen einen Moment zu einem Ganzen, das ungleich mehr ist als
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nur die Summe seiner Einzelteile. Nämlich ein einzigartiges,
ungeheuer spannendes Gesamtkunstwerk. Vergessen Sie nicht:
Der Gesang ist in der Lage, Empfindungen auszudrücken, für
die es keine Worte gibt. Das ist mitreissend und tief berührend.
EM: Was fasziniert Sie an Musik?
Albrecht Gasteiner: Wie soll ich das erläutern ohne ausufernd
und pathetisch zu werden? Bei Hofmannsthal und Strauss heisst
es in der «Ariadne»: «Musik ist eine heilige Kunst», und in Schuberts «An die Musik» stehen zeitlos gültige Zeilen dazu. Musik
kann tiefere Bewusstseins- und Empfindungsschichten erreichen
als irgendeine andere Kunst. Sie kann einen Menschen ganz
profund im Innersten seines Wesens berühren. Ein letztlich nicht
erklärbares Wunder, dem man nur mit demütigem Staunen begegnen kann. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich daran
teilnehmen darf, Menschen dieses Wunder näherzubringen.
Tonmeister Albrecht Gasteiner (in der Mitte mit Krawatte) nach einer
Produktion des Zürcher Opernhauses von Pietro Mascagnis «L'Amico
Fritz» im Jahre 1994. Rechts hinter Gasteiner Intendant Pereira. Zu den
Sängern gehörten Daniela Dessi, Vincenzo La Scola und Cheyne Davidson. Manfred Honeck (3.v.l.) dirigierte.
Für das Archivieren wertvoller Tondokumente hat Albrecht Gasteiner
in seinem Studio zahlreiche Bandmaschinen zur Verfügung. Links eine
grosse Seltenheit: Eine Tascam 8-Kanal Maschine, die auf ½“ Band
aufnimmt. Mit der Teac-Maschine rechts wurden vor mehr als 40 Jahren die ersten Quadro-Aufnahmen der Schweiz gemacht.
Eine von drei verschiedenen Studer-Bandmaschinen, alle unübertroffen
zuverlässig, vielseitig und «Kuhn-gepflegt».
EM: Sie sind nicht bloss ein Audiomensch, sondern auch ein
Mensch des Auges. Dies sieht man ja auch an den alten Fotound Filmkameras, die hier in Ihrem Studio stehen. Schon 1997
haben Sie das DVD- Forum Schweiz gegründet und seit 2004
betreiben Sie das HDTV-Forum Schweiz. Seither gelten Sie als
«Mister Hochaufgelöst». Wie ist das gekommen?
Albrecht Gasteiner: Ich habe eben auch eine Vergangenheit mit
Fotografie und Video. Und nachdem mir spätestens seit 1981
viele Journalisten die Etikette «Digitalpapst» angehängt hatten,
war es für mich naheliegend, nach der Audiowelt nun auch die
Videotechnik beim Einstieg in das Digitalzeitalter aktiv zu begleiten. Diese Internetseiten sind ein riesiger Erfolg geworden. Dies
nicht zuletzt, weil ich da strikt firmenneutral arbeite. Wenn Sie
«www.hdtv-forum.ch» anklicken, haben Sie die Gewähr, dass
niemand versuchen wird, Ihnen irgendetwas anzudrehen. Es gibt
keine Werbung und keinen Verkauf, auch keine unreflektierte
Euphorie, sondern nichts als saubere, gesicherte Information.
Diese aber so aufbereitet, dass man sich auch als nichttechnischer Normalmensch etwas darunter vorstellen kann. Das schätzen Journalisten ebenso wie Händler und Endverbraucher. Im
Grunde tue ich da eigentlich nichts anderes, als was ich immer
schon getan habe: Ich spiele Blindenhund durch den Dschungel
der neuen Technik.
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PCM-Prozessor und Beta-HiFi-Videorecorder in PAL und NTSC stehen
zur Verfügung zum Abspielen von Quadroaufnahmen aus den 1980erJahren.
150 Kilo solide, japanische Präzision: 24-Spur Bandmaschine mit 2“
Band von Otari
EM: In den letzten Jahren haben Sie sich
auch noch ein weiteres, bedeutendes Tätigkeitsgebiet erschlossen.
DAT-Recorder von Sony und Technics sowie ein
Mini-Disc Gerät von Technics
Noch eine japanische Seltenheit: Otari 8-Spur
Maschine mit 1“ Band
Albrecht Gasteiner: Das stimmt. Für eines
der weltweit bedeutendsten Musikarchive
arbeite ich daran, das akustische Gedächtnis des 20. Jahrhunderts zu erhalten. Die grössten Komponisten, Dirigenten
und Solisten dieser Epoche haben ja Unmengen an Tonträgern hinterlassen. Von
belanglosen Telefongesprächen bis hin
zu bisher unbekannten Klangdokumenten
von unschätzbarem Wert. Diese Aufnahmen kommen auf den unterschiedlichsten,
teils auch sehr exotischen Platten, Bändern
und Kassetten bei mir an, gelegentlich
auch in absolut fürchterlichem Zustand.
Sie werden katalogisiert und in der bestmöglichen technischen Qualität auf Harddisks überspielt, für den alltäglichen Gebrauch auch auf CDs. Schliesslich landen
alle Informationen in der Fonoteca Svizzera in Lugano, gespiegelt auf einem grossen Server in einem atombombensicheren
Bunker irgendwo im Gotthard-Massiv,
sodass sie dauerhaft gesichert und der
Wissenschaft zugänglich sind. Klar, dass
diese verantwortungsvolle Arbeit sehr viel
Geduld und Sorgfalt erfordert und dass es
nicht schadet, wenn man sich dabei auf
etliche Jahrzehnte praktischer Erfahrung
mit seltsamen Dingen wie etwa Tonbändern auf Papierbasis abstützen kann. Klar
auch, dass ich mir dafür mit der Zeit ein
ganzes Arsenal unterschiedlichster, auch
exotischer Bandmaschinen, Disc-Player
und Kassettengeräte angeschafft habe.
Da gibt es Seltenheiten wie DCC-Recorder, ADAT, Telcom C4 und dergleichen.
Im Moment müssen es so um die 30 Geräte sein. Sie sehen, mir wird nicht langweilig.
Es passiert nur ganz selten, aber manchmal
sind auch die raffiniertesten Bemühungen vergebens, ein bestimmtes akustisches Dokument
für die Nachwelt zu retten. Hier ein besonders
krasses Beispiel einer Direktschnittplatte von
1934, bei der sich die Lackschicht vom Aluminium-Träger gelöst hat.
EM: Nebenbei: Wie steht ein technisch
vorwärts orientierter und gleichzeitig
im guten Sinne elitärer Mensch wie Sie
zur drahtlosen Vernetzung des ganzen
Einfamilienhauses?
Albrecht Gasteiner: Da muss man differenzieren. Ein Heimnetzwerk, in dem ich
Fotos vom Computer drahtlos auf den
Fernseher holen kann und in dem der
Grill meinem Smartphone eine Nachricht
schickt, wenn der Braten gar ist, halte ich
heute für so selbstverständlich wie Strom
und Heizung in allen Räumen. Doch beim
Gedanken daran, von irgendwelchen Beschallungen durchs ganze Haus verfolgt
zu werden, bekomme ich Pickel. «Hintergrundmusik» ist für mich ein Schimpfwort.
EM: Sie haben viele Aufnahmen gemacht. Welche ist Ihnen persönlich am
wichtigsten?
Albrecht Gasteiner: Gegenfrage: Welches Ihrer Kinder ist Ihnen das liebste?
Klar, das können Sie nicht beantworten,
weil Ihnen alle bei all ihrer Verschiedenheit gleichermassen ans Herz gewachsen
sind.
EM: Aber Sie werden doch sicher mit der
einen oder anderen Produktion besondere
Erinnerungen verbinden.
Eines der Geräte-Racks: Studer CD-Recorder,
Marantz Doppel-Cassettendeck, Alesis 24Spur Recorder für 24 Bit 24-Spur Aufnahme auf
Harddisks und Tascam DA-78 für 24 Bit 8-Spur
Aufnahme auf Hi-8 Cassetten
Arbeiten am akustischen Gedächtnis des 20.
Jahrhunderts: Bei Gasteiner stapeln sich Dokumente, die auf Harddisk gespeichert und künftig in Musikarchiven wie der «Fonoteca Svizzera» u.a. für Forschungszwecke stehen werden.
Albrecht Gasteiner: Ja, das ist so. Mein
Leben lang begleiten wird mich zum Beispiel ein magischer Moment: Nach einer
Aufnahme in Albisrieden habe ich die
Sopranistin Lucia Popp nach Zürich in ihr
Hotel gefahren. Es war eine Vollmondnacht und ich habe sie auf den leuchtenden Vollmond hingewiesen. Und da hat
die wunderbare Lucia Popp mir, nur mir
allein, im Auto ganz leise das «Lied an
den Mond» aus Dvoráks «Rusalka» vorgesungen. Ich habe geweint vor Glück.
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EM: Welche Ihrer Aufnahmen hat in der Fachwelt die grösste
Resonanz gefunden?
Albrecht Gasteiner: Das war wohl meine Aufnahme der gerade
wiederentdeckten Operette «Simplicius» von Johann Strauss II.
Eine sehr anspruchsvolle und heikle Produktion aus dem Opernhaus Zürich. Die ging als Live-Sendung sowohl fürs Radio als
auch fürs Fernsehen in 26 europäische Länder und sogar live
nach Japan, obwohl die dort um diese Zeit tiefe Nacht hatten.
Ausserdem waren für die EMI CDs und DVDs zu produzieren.
Mehr Stress geht eigentlich nicht, und dass diese CDs mit dem
Deutschen Schallplattenpreis ausgezeichnet worden sind, freut
mich wirklich. (EMI 5 57009 2, 2 CDs)
EM: Was ist für Sie die Quintessenz und Erkenntnis aus 50 Jahren zur Frage: Audio analog oder digital?
Albrecht Gasteiner: Die Wiedergabe ist ja immer analog, wir
sprechen hier also nur über Bearbeitung und Speicherung. Und
da gibt es für mich kein apodiktisches Entweder-Oder. Jedes
Werkzeug hat seine Eigenheiten. Wenn man die kennt, kann
man sie nutzbringend einsetzen. Aber letztlich ist nicht das
Werkzeug entscheidend, sondern was man damit macht. Den
einzig wahren und allein seligmachenden Weg gibt es nicht, da
halte ich es durchaus mit Lessings Ring-Parabel.
EM: Sehen Sie in der Audiotechnik in den nächsten Jahren noch
ein zusätzliches Potential?
Albrecht Gasteiner: Eine dramatische Verbesserung der Übertragungsqualität erwarte ich nicht und ich sehe sie auch als nicht
zwingend geboten an. Denn was wir heute mit hochaufgelöstem Audio zur Verfügung haben, ist nur mit ungeheuerem Mehraufwand so zu übertreffen, dass man die Verbesserung nicht
nur messtechnisch nachweisen, sondern auch akustisch wahrnehmen kann. Da sind wir dann wieder bei der Frage nach
der Verhältnismässigkeit von Aufwand und Ertrag. Nach wie vor
sind Verbesserungen bei den Wandlern zu erhoffen, den ewigen Sorgenkindern. Aber weder Ionen-Hochtöner noch LaserMikrofone haben bisher den Sprung in den Markt geschafft,
Revolutionen dauern manchmal eben etwas länger.
Was ich hingegen durchaus sehe, ist eine Vervielfältigung der
Übertragungskanäle. Heute haben wir zwischen zwei und sieben, Auro 3D arbeitet mit 11.1 und bei Ultra-High-Definition Video sind 22 Audiokanäle auf drei Ebenen plus 2 Subwoofer
spezifiziert. Und dass es eines Tages eventuell noch weiter gehen könnte, zeigen Systeme wie Wellenformsynthese und das
«Objekt-basierende» Audio in der Art von Dolby Atmos. Dabei
fällt wieder einmal auf, dass die Weiterentwicklung der Audiotechnik schon seit langem fast ausschliesslich von der Kinoseite
her kommt! Und ja, die Übertragung von Musik wird immer mehr
von irgendwelchen Bildern begleitet sein.
EM: Punkto Perfektion und Durchhörbarkeit bieten gute Aufnahmen mehr als man im Konzertsaal hören kann. Wird High-Resolution Audio mit der Zeit zur Konkurrenz fürs Konzert?
Albrecht Gasteiner: Ganz sicher nicht! Wir dürfen den Stellenwert der elektroakustischen Übertragung nicht überschätzen.
High Fidelity eignet sich ganz hervorragend zum Kennenlernen
und zum Vergleichen, meinetwegen auch zum Geniessen. Aber
ob all der Faszination dieses Hobbys dürfen wir doch bitte nicht
unter den Tisch kehren, dass wir auch bei Pure Audio, High
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Resolution Downloads und all diesen anderen schönen Dingen
letztlich nur Konsumenten industrieller Massenprodukte sind. Das
Abspielen einer solchen Konserve klingt jedes Mal ganz genau
gleich, vorhersehbar, ohne die Chance einer Überraschung.
Ausserdem hören Sie bei Stereowiedergabe nur wie aus einer
Loge in den Konzertsaal hinein. Sie sind nicht wirklich drin, sondern nur aussenstehender Beobachter. Es ist ein bisschen wie
bei einer Ansichtskarte von, sagen wir einmal, Venedig. Die ist
bei herrlichem Wetter grossartig fotografiert, aufwändig nachbearbeitet und zu einer schon fast wirklichkeitsfernen Überperfektion veredelt worden, einfach toll. Doch jedesmal, wenn Sie
sie hervornehmen, sieht sie ganz genau gleich aus, sie hat Ihnen
nichts Neues zu sagen. Und ohnehin kann sie nur einen entfernten Eindruck davon vermitteln, was alles zum spannenden
Erlebnis des Dort- und Dabeiseins gehört: Wind und Wetter, die
Wechsel von Temperaturen und Tageszeiten, kreischende Möwen, mannigfache Gerüche, einfach all das Unvorhersehbare,
das Unwiederholbare dieses einen Moments.
Sie merken schon, worauf ich hinaus will: Das Erlebnis Musik
beschränkt sich nicht auf das Wahrnehmen von Frequenzen und
Amplituden. Ebenso gehört dazu die Spannung vor Beginn der
Aufführung, die Ungewissheit, was wohl kommen wird, das Verfolgen, wie die Saalakustik den Klängen Farbe und Räumlichkeit
verleiht, die Magie der subtilen Interaktion zwischen Interpreten
und Publikum – einfach das Bewusstsein, gemeinsam mit anderen Menschen diesen einzigartigen und unwiederbringlichen
Moment mit allen Sinnen zu erleben. Routinierte Perfektion ist da
nicht gefragt, eher risikofreudige Hingabe. Und jeden Abend
gibt es die Chance auf eine ganz persönliche, kostbare Sternstunde.
Discs und Downloads sind für mich also so etwas wie «Ansichtskarten von Musik». Nichts gegen eine reichhaltige Ansichtskartensammlung. Aber dann und wann sollte man schon auch noch
die Original-Schauplätze besuchen, das bringt ein ganz anderes Erlebnis!
EM: Sie gelten als Pionier und Spezialist auf dem Gebiet der
Technik, aber die ganz grosse Begeisterung leuchtet in Ihren
Augen erst auf, wenn es um Musik geht.
Albrecht Gasteiner: Freilich. Technik für sich allein betrachtet ist
nüchtern und kalt. Man kann damit allerhand Interessantes anstellen, aber sie liefert letztlich nur die Verpackung für die Musik.
Dazu habe ich eine kleine Geschichte für Sie: Als die HiFi-Ausstellung in Regensdorf noch recht neu war, haben die Veranstalter mich eingeladen, dort einen Vortrag zu halten. Das habe
ich getan, allerdings mit einem Titel, der in der Höhle der HiFiLöwen als unverschämte Frechheit empfunden werden musste:
«Ist High-Fidelity überflüssig?» Der Vortrag musste aber zweimal
stattfinden, weil der Publikumsandrang dermassen gross war.
Nun gut, ich habe dort etliches an Studiotechnik mitgebracht
und versucht, den Leuten zu vermitteln, dass der Inhalt wichtiger
ist als die Verpackung. Als Beleg für diese Behauptung habe ich
zum Beispiel eine neue, sehr schöne, saftige, räumliche und ausgewogene Stereoaufnahme der «Eroica» vorgeführt und danach
dasselbe Stück in Toscaninis NBC-Aufnahme von 1948. Die war
natürlich in Mono, mit allerhand Verzerrungen und lächerlichem
Frequenzumfang – eine Zumutung in diesen Kreisen. Aber schon
bei den ersten beiden Es-Dur Akkorden hat die unerbittliche,
kompromisslose Intensität dieses Musizierens die Leute aus den
Kontrollhören nach einer Aufnahmesession in der kurzzeitig zum Kontrollraum umfunktionierten
Sakristei der Protestantischen Kirche in Arlesheim (BL). Stehend hinter Gasteiner ist der erwähnte
Geiger Antonio Nuñez zu sehen. Davor sitzend der Kontrabassist Christian Sutter, links aussen
der Akkordeonist Sergej Simbirev, stehend die Pianistin Patricia Draeger und ganz rechts Desirée
Meiser (Schauspielerin, Sängerin und heute künstlerische Leiterin des «Gare du Nord – Bahnhof
für neue Musik» in Basel).
Socken gehauen. Da hat die Kostbarkeit des Inhalts augenblicklich die Primitivität der
Verpackung vergessen lassen. Und dann Bach. Da habe ich die Aufnahme einer Solosonate vorgespielt, die ich mit dem ersten Konzertmeister des Basler Sinfonieorchesters
und seiner wunderbaren Stradivari-Geige gemacht hatte, dem Instrument übrigens,
das Admiral Lord Nelson gehört hatte und das bei der Schlacht von Trafalgar aus
seinem sinkenden Schiff gerettet worden war. Das Publikum war begeistert von der
grandiosen Kirchenakustik der Aufnahme – bis ich den Hallregler heruntergerissen und
erklärt habe, dass ich diese Aufnahme bei mir zu Hause im Wohnzimmer gemacht
hatte. Verpackung kann eben auch elektroakustische Mogelpackung sein. Und dann
dies: Der besagte Geiger Antonio Nuñez ist ein lieber Freund von mir, er hatte die
ganze Zeit über unerkannt in der ersten Reihe gesessen. Doch nun stand er auf, nahm
seine Strad und spielte dasselbe Stück noch einmal, in der miserablen Akustik eines
Hotelsaales, direkt vor den Leuten, ohne irgendwelche technische Verpackung. Und
was passierte? Ich wurde von den Hi-Fi-Löwen nicht geteert, gefedert und zum Teufel
gejagt. Stattdessen kam der Chefredakteur einer Zeitschrift auf mich zu, er bedankte
sich wortreich und hatte Tränen der Rührung in den Augen.
EM: Nun gut, Ihr Plädoyer für «live» überzeugt. Aber da kann die ketzerische Frage
nicht ausbleiben: Gibt es etwas noch Stärkeres als den unmittelbare Kontakt mit Musik
im Konzert?
Albrecht Gasteiner: Allerdings: Gemeinsam mit Gleichgesinnten selber singen und spielen. Wissen Sie, es gibt im Leben ein paar Dinge, bei denen Selbermachen viel, viel
toller ist als nur Zuschauen wie es andere tun. Sex zum Beispiel. Dort und eben auch
in der Musik ist zum Glücklichwerden überhaupt nicht die technische Perfektion hartgesottener Profis gefragt, sondern einzig die restlose Hingabe mit sämtlichen Sinnen.
Glauben Sie mir, ich weiss, wovon ich spreche.
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