Big Brother macht Krach
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Big Brother macht Krach
KULTUR NR. 56 | MONTAG, 7. MÄRZ 2016 O „Ich mach’ meine Sache“ -TOn Blind gegenüber der Blindheit Vince Ebert, der coolste Wissenschaftserklärer des Landes, widmet sich in seinem neuen Buch dem Zufall. Er warnt vor großen Plänen und rät, der Unberechenbarkeit des Lebens mit Flexibilität, Neugier und Offenheit zu begegnen. Und er demonstriert unterhaltsame Weise, dass wir oft recht beschränkt sind. Realistisch betrachtet haben wir Menschen ziemlich schlechte Filter, um Wahrheit von absolutem Blödsinn zu trennen. Und das Schlimme ist: Wir haben kaum Möglichkeiten, objektiv herauszufinden, ob etwas kompletter Bullshit ist. Schauen Sie sich Leute an, die eine vollkommen andere Meinung haben als Sie und 100-prozentig überzeugt davon sind. Von etwas, das Sie wiederum für 100-prozentigen Blödsinn halten. Glauben Sie mir: Umgekehrt ist das nicht anders. Wir sind blind gegenüber unserer eigenen Blindheit. Auch das ist wissenschaftlich sehr gut untersucht. Stellen Sie sich vor, Sie sind Anhänger einer kleinen Gruppe von 12 Personen, die sich um einen charismatischen Propheten scharen, der den Weltuntergang für den 24. Februar 2023 voraussagt. Im Laufe der Jahre identifizieren Sie sich immer mehr mit dieser Gruppe. Sie kündigen Ihren Job, verlassen Ihren Partner, geben den Hund ins Tierheim und ziehen mit Ihren 12 Gleichgesinnten in einen abgelegenen Biobauernhof in der Uckermark, um sich fortan als Selbstversorger angemessen auf das Jüngste Gericht vorzubereiten. Irgendwann verkaufen Sie Ihr Haus, lassen sich Ihre Lebensversicherung auszahlen und überweisen Ihr gesamtes Geld auf das Schweizer Nummernkonto des Propheten. Dann kommt es zum 24. Februar 2023 und – nichts passiert. Gar nichts. Der Weltuntergang ist ausgeblieben. Kommen wir nun zur alles entscheidenden Quizfrage: Würden Sie am 25. Februar 2023 aufwachen und sagen: „Meine Güte, was war ich nur für ein unfassbarer Idiot? Dieser miese Schmierenkomödiant hat uns komplett verarscht!“ Möglich wäre es. Viel wahrscheinlicher allerdings ist, dass Sie sagen würden: „Meine Güte, was für ein riesiges Glück, dass wir diese Gruppe gegründet haben! Gott hat unsere Gebete erhört und wegen uns den Weltuntergang abgewendet. Das ist der endgültige Beweis, dass unser Prophet recht hatte.“ Die Psychologie bezeichnet dieses Verhalten als kognitive Dissonanz. Je mehr Energie, Geld, Aufwand oder Schmerzen wir in eine Sache gesteckt haben, desto schwerer fällt es uns einzugestehen, dass wir uns geirrt haben könnten. Niemand steht gerne als Volltrottel da, der sein gesamtes Leben für eine idiotische Schnapsidee gegen die Wand gefahren hat. HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG | Die Energien fließen lassen Im Alter von 86 Jahren ist der Dirigent Nikolaus Harnoncourt in Wien gestorben Der israelische Musiker Idan Raichel im Pavillon Von VolKer haGedorn W ie der sich schon hinsetzt, den engagier’ ich“, murmelte der Chefdirigent der Wiener Symphoniker, als ein Bewerber um die freie Cellostelle sich zum Vorspiel bereit machte – ein 22-Jähriger. Der vergaß den leisen Satz so wenig wie das, was folgte. „Ich hab dann unglaublich lang spielen müssen ... also ich hatte den Eindruck, dass der Karajan gern zugehört hat.“ Der junge Mann bekam die Stelle. Sie bildete die finanzielle Basis für das „Experimentierlabor“, das er in Wien gründete, den Concentus Musicus, ein Ensemble für historische Aufführungspraxis. Daraus wurde eine der größten Revolutionen, die es in der Geschichte der Musik je gab, und ein Dirigent, dessen Einfluss kaum zu ermessen ist: Nikolaus Harnoncourt. Mit 86 Jahren ist er am Sonnabend in Wien gestorben. Normalerweise würde man sagen, dass damit eine Ära zu Ende geht, aber tatsächlich hat dieser Mann so viel angerichtet, in Gang gebracht, so viele Musiker und Hörer beeinflusst, dass es in der Welt kaum einen geben dürfte, vom Solisten bis zum Orchester, bei dem seine Arbeit nicht Spuren hinterlassen hätte. 1929 in Berlin zur Welt gekommen als Johannes Nikolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt, zog er als Zweijähriger mit der Familie nach Graz, bekam beizeiten Cellounterricht und las schon als Schulkind die Schriften von Egon Friedell. Dessen Widerspruchsgeist und auch der seiner Familie prägte ihn früh. „Wenn auch alle, ich nicht“, das sei sein Motto gewesen, erklärte Harnoncourt bei einem Interview vor elf Jahren: „Was die andern machen, ist mir wurscht, ich mach’ meine Sache.“ Und diese Sache war, neben dem ganz konventionellen Weg ins Orchester, zunächst die Musik des Barock. Dass man Bach & Co. nicht so spielen konnte wie Komponisten des 19. Jahrhunderts, wenn sie neben ihnen bestehen sollten, hatten schon andere festgestellt. Die Bemühungen um die Quellen zur Aufführungspraxis, um die Instrumente, für die die „alte“ Musik komponiert wurde, begannen schon zu Richard Wagners Lebzeiten. Und parallel zu Harnoncourt machte sich in Holland der Cembalist Gustav Leonhardt auf einen Weg, von dem heute keiner mehr behaupten würde, er führe ins Museum oder ins „Gaslicht“, wie Karajan gern spottete. Die Grammatik früherer Musiksprachen freizulegen, machte sie lebendig, und dazu gehörten nicht nur Darmsaiten für die Streichinstrumente, „handgebastelt und mißgestimmt“, wie Wolfgang Hildesheimer anfangs spottete. Der spätere Harnoncourt fand sie gar nicht mehr so wichtig: „Ich Von Bert StreBe Nikolaus Harnoncourt probt „Die Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen. mag die Spezialisten nicht. Wenn es jetzt heißt, man müsste die Geige so halten, wie man sie früher vielleicht gehalten hat – da geh’ ich nicht mit. Für mich geht es um die Inhalte.“ Sein Interesse an der „Klangrede“ – meistzitierter Begriff des glänzenden Buchautors, der er auch war – meint noch mehr als den Abschied vom bruchund sprachlosen Schönklang. Musik müsse den Menschen „erschüttern und verändern“. Darum drang er mit allen Mitteln hinter die Noten vor, in den Bereich, aus dem sie hervorkamen, forschend, analysierend, zugleich aber mit größten Charisma – einer Eigenschaft, der er misstraute, die er gerade darum nicht missbrauchte. Weil er nicht der Dogmatiker war, als den ihn die verstörten Mainstreamer gern abgedrängt hätten, grub er ihnen das Wasser ab. Er dirigierte, seinem Concentus stets treu bleibend, die besten Orchester der Welt, kam von Mozart über Beethoven und Bruckner sogar bis zu Richard Wagner – immer ohne Taktstock und mit aufgerissenen, staunenden, neugierigen Augen, sich immer erneuernd. 1993 dirigierte er in Amsterdam den erotischsten „Figaro“, den man je hörte, 2006 in Salzburg den elegischsten. Es war wohl diese singuläre Mischung aus Autorität und Offenheit, Kompromisslosigkeit und Dogmenferne, die Nikolaus Harnoncourt Foto: dpa so glaubwürdig und geradezu zum Inbegriff der Interpretationsrevolution machte, die er ja nicht allein bewirkte. Und Bescheidenheit. „Man überschätzt die Interpreten, und man unterschätzt die Schaffenden“, sagte er mit fast 80 Jahren beim Gespräch in seiner Wiener Wohnung, in der er, vier Treppen hoch, seit Jahrzehnten mit seiner Frau lebte, der Geigerin Alice – er hat sie im Jahr nach seinem Vorspiel bei Karajan geheiratet. „Die Leute in 30 Jahren werden lachen über das, was wir jetzt machen.“ Was ihn betrifft: Sie werden bedauern, ihn nicht erlebt zu haben. Und sie werden, sofern sie mit Musik zu tun haben, noch von ihm lernen können. Bruce Willis sieht rot „Stirb langsam“-Star Bruce Willis (60) könnte bald für eine Remake des RacheThrillers „Ein Mann sieht rot“ vor der Kamera stehen – in der Rolle, die im Original Charles Bronson gespielt hatte. Nach Medienberichten haben die Studios MGM und Paramount das israelische Regie-Duo Aharon Keshales und Navot Papushado („Big Bad Wolves“) für den Films verpflichtet. Dem InfoDienst Deadline.com zufolge sollen die Dreharbeiten im Sommer beginnen. Der geplante Film ist ein Remake des Bronson-Thrillers von 1974 (englischer Titel: „Death Wish“). Darin schließt sich ein normaler Bürger nach einem Überfall auf seine Frau und seine Tochter einer bewaffneten Selbstschutzgruppe an und rechnet mit den Angreifern ab. Der für sein Drehbuch zum Film „Herr der Gezeiten“ bekannte US-Autor Pat Conroy ist tot. Der Verlag Doubleday, bei dem Conroy unter anderem die dazugehörige Romanvorlage „Die Herren der Insel“ und „Der große Santini“ veröffentlichte, bestätigte Conroys Tod am Sonnabend. Er starb am Freitag im Alter von 70 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Nach einer brutalen Kindheit in South Carolina, in der sein bei der US-Marine als Kampfpilot arbeitender Vater ihn und seine Brüder misshandelte, wurde er zu einer wichtigen Stimme der Literatur der Südstaaten. Von KerStin herGt Sie singen von „Gänseblümchen“ und erzählen von Katzenbabys. Sie preisen Vegetariertum und träumen von einer „Zeit der Zärtlichkeit“. Die Feisten sind eigentlich die Soften. Mathias Zeh, genannt C., und Rainer Schacht, haben ihr Programm mit „Versuchslabor“ überschrieben. Doch dahinter steckt weniger ein musikalisches Experiment mit unerwarteten Knallern als vielmehr ein Effekt aus der Waschmittelindustrie: Neu klingt hier nichts. Die Stücke sind nur ordentlich weichgespült. Zeh und Schacht haben sich nach der Auflösung des Göttinger Trios Ganz Schön Feist 2014 dazu entschlossen, als Duo weiterzumachen. „PopACappellaComedy“ war der erklärte Stil von Ganz Schön Feist. Davon ist kaum etwas üb- Die Feisten im Pavillon. Foto: Wallmüller rig geblieben: Beim Auftritt im hannoverschen Pavillon sieht man zwei gut gelaunte Liedermacher, die wortgewandt und charmant in erster Linie einen Beitrag zur Kaschmirisierung des Alltags leisten. Kuschelige WohlfühlWellness-Atmosphäre macht sich breit, wenn Zeh und Schacht raten: „Bleib geschmeidig“ oder „Ich bin ein Gänseblümchen ohne Aggression. Wut, Ärger – was bringt das schon?“ säuseln. Bei Plaudereien zwischen den Liedern sprechen Zeh und Schacht gerade so laut, dass es schon nicht mehr zu verstehen ist, wenn der Sitznachbar mit Bonbonpapier raschelt. Sie sind echte Leisetreter – sanft, entspannt, unaufgeregt und erfrischend wie Mineralwasser mit Ginseng. Im Vergleich zu anderen, vor Selbstinszenierungslust förmlich übersprudelnden Kollegen, ist dieser Auftritt sympathisch. Nur leider werden bei diesem Schonwaschgang auch die schönen satirischen Seitenhiebe in den Songtexten weggespült. Die bissigen Pointen der Anti-Fußballhymne „Fußball-WM is‘ alle Jahre wieder“ oder des Großraumbüro- und Youtube-Hits „Kriech nich’ da rein“ verpuffen bei der demonstrativ relaxten Haltung ihrer Interpreten. Dermaßen schön eingeseift, jubelt das Publikum im ausverkauften Saal am Ende und erklatscht sich drei Zugaben. Nach einer Überdosis „Aphrodisiakum“ schwebt es beseelt nach Hause. Abend spielt Maceo Parker um 20 Uhr z imHeute Pavillon – der Ersatztermin für das im November wegen Terrorwarnung, die vor allem einem Fußball-Länderspiel galt, abgesagte Konzert. Idan Raichel im Pavillon. Foto: Eberstein ihn gar nicht „Schlagzeuger“ nennen. Er geht behutsam, ja, zärtlich mit Trommeln und Becken um, streift sie fast nur mit den Besen, nimmt auch die bloßen Hände. Die Leute gehen nach vorn und tanzen mit seligen Gesichtern. Raichel unterbricht immer wieder, um Geschichten zu erzählen. Von seinen Großeltern, seinem Vater, seinen Töchtern. Von seiner Frau, einer Österreicherin. Ernst ist es übrigens auch. Vor der Tour sei er interviewt worden, berichtet der Musiker. Ob er nicht Angst vor Anschlägen in Europa habe. Er hat geantwortet: „Wir sind Israelis. Wir haben nicht das Privileg, ängstlich sein zu können.“ Das war der Rest vom ernsten Hauch. Ansonsten hauchen an diesem nasskalten Abend warmer Wüstenwind und Palmenduft durch den Pavillon. Big Brother macht Krach John Petrucci und seine Band Dream Theater präsentieren das Konzeptalbum „The Astonishing“ im Kuppelsaal Von Gerd Schild Ein Dröhnen, ein Brummen, ein Bohren, ein Knarzen. Es ist nicht ganz leicht auszumachen, welches Geräusch der Noise Machines besonders an den Nerven sägt. Die fliegenden Maschinen überwachen das Musikverbot, das der Machthaber Lord Nafaryus in seinem Great Northern Empire of the Americas erlassen hat. Die Welt ist hart im Jahr 2285, und sie klingt auch so. John Petrucci hat diese Dystopie erdacht. Der Gitarrist steht mit seiner Band Dream Theater auf der Bühne des Kuppelsaals in Hannover. Die vielleicht wichtigste Band des Progressive-Metal spielt „The Astonishing“, ein gerade veröffentlichtes Doppelalbum. Die New Yorker bringen dieses mehr als zwei Stunden lange Stück werkgetreu auf die Bühne – kein Vorprogramm, keine Zugabe, kaum Interaktion. Die Herangehensweise erinnert an Bands wie Pink Floyd, die zu Petruccis Vorbildern gehören. Der Kuppelsaal mag ein ungewöhnlicher Ort für eine Metalband sein. Für diesen Abend ist er ideal. Hinter der Band ragen fünf hohe LCD-Wände in die Höhe, auf denen animierte Filme die Geschichte illustrieren sollen. Petrucci spielt am linken Bühnenrand, ganz in schwarz mit langem Bart und langem Haar. Sänger James LaBrie, der mit seinem großen Tonumfang zwischen den Rollen des Stücks wechseln kann, hat eine beeindruckende Präsenz, auch wenn er nach praktisch jedem Stück zur Trinkflasche neben dem Schlagzeug geht oder sogar die Bühne verlässt. Keyboarder Jordan Rudess dreht seinen Instrumententisch, der an eine Kommandobrücke eines Raumschiffs erinnert, dank Hydraulik im Minutentakt – und kann das Keyboard sogar seitlich absenken (was alles nichts zur Geschichte oder Musik beiträgt, aber ganz putzig ist). Vor der Band sitzen (!) die MetalFans, im Parkett und den beiden Ober- Hannoversche Allgemeine Zeitung, 7. März 2016 rängen des Saales – einige von ihnen versuchen sich im sitzenden Head-Bangen und schleudern das Haar umher – was auch ganz putzig aussieht. Der Sound im frisch renovierten Kuppelsaal ist exzellent. James LaBrie singt zum Klanggerüst seiner Bandkollegen von Nafaryus und wie er die Welt mit einem computergenerierten Geräuschbrei beschallen lässt. Doch im Dorf Ravenskill wartet Gabriel, der auserwählt ist, seine Stimme zu erheben. „The Astonishing“ ist ein abwechslungsreiches Werk, ein bisschen KlingKlang, dann Klavierballaden, Sanftes zur Akustik-Gitarre, dann wieder schnell gespielter Metal. Der Kitsch zieht sich durch die Geschichte, durch Songzeilen und auch durch die animierten Sequenzen – aber Metal ohne Kitsch gibt es nicht. Die Dystopie Petruccis hält viel Bekanntest parat. Gnadenloser Herrscher, fliegende Überwachungsgeräte. Und das mit dem Auserwählten ist in der Form auch nicht ganz neu. Und doch hat das Album und auch die Show ihren Charme. Der ist freilich auch ein wenig selbstverliebt. Denn die verstummte Welt kommt ausgerechnet 2285 wieder Foto: Jan Philipp Eberstein Autor Pat Conroy gestorben Ein Hauch von Ernst ist beim Betreten des Saals zu spüren. Denn Idan Raichel, der jetzt im Pavillon auftritt, ist ein israelischer Musiker, und israelische Musiker in Deutschland sind immer noch etwas Bemerkenswertes. Zudem: Bei Musik geht es ja auch um Spaß – Israelis und Deutsche, das ist nicht unbedingt spaßig. Dann Weltmusik. Mit dieser Allesind-gleich-Haltung. Auch das ist im Kern sehr ernst. Und es wird völlig anders. Raichel, 1977 geboren, kommt mit Turban und einem Outfit auf die Bühne, das aussieht, als habe sich ein sehr teurer Designer an sehr militärischen Vorgaben abgearbeitet. Man kannte den Musiker, als er 2003 mit seinem Weltmusik-Ensemble Idan Raichel Project auf einen Schlag berühmt wurde (er hat auch mal das Masala-Festival eröffnet!), mit wallenden Dreadlocks. Ja, die seien ab, sagt er, er habe die Energien fließen lassen wollen. Pause. Grinst er? Und seine Frau habe gesagt, er solle sie abrasieren. Pause. Er grinst. Und wer keine Angst vor seiner Frau habe, sei kein richtiger Macho. Der Saal lacht, noch ein wenig befangen. Vielleicht ist es ja doch lustig. Raichel wendet sich verschmitzt wieder dem Grotian-Steinweg zu. Ja, es ist lustig. Und fremd und lebendig und herrlich. Raichels Stücke, zu guten Teilen von seiner neuen CD „At the Edge of the Beginning“, sind sanft und kraftvoll zugleich. Der Pianist hat ganz normale Hände, aber sobald sie sich den Tasten nähern, werden sie zu dem, was man früher „Chirurgenflossen“ nannte, lang und schmal und ungeheuer flink. Immer wieder brechen dem Musiker seine Finger aus, dann legen sie urplötzlich einen chopinesken Lauf über ein arabisch anmutendes Popstück oder geben eine jazzige Tanzeinlage. Seine Mitmusiker stehen dem in nichts nach. Yogev Glusman liefert eine filigrane Grundierung am Bass. Die beiden Sänger Maya Avraham und Avi Wogderess Vasa legen eine Intensität in die Songs, die man spürt, auch wenn man kein Wort Hebräisch versteht. (Und, das sollte nicht verschwiegen werden: Beim Auftritt von Maya Avraham bekommen viele Männer im Saal Stielaugen, beim Auftritt von Avi Wogderess Vasa viele Frauen.) Eine Offenbarung ist Gilad Shmueli an den Drums. Man mag Die Soften Alles so schön weichgespült: Die Feisten auf Kuschelkurs im Pavillon Vince Ebert: „Unberechenbar. Warum das Leben zu komplex ist, um es perfekt zu planen“. Rowohlt Verlag. 316 Seiten. 16,99 Euro. 7 Dream Theater im Kuppelsaal. zu Stimme, 300 Jahre nach der Gründung der Band von Petrucci und Kollegen. Das Album löste unter den Fans einige Diskussionen aus, wie progressiv eine Progressive-Band denn sein darf und ob man die Fans mit dem recht überschaubaren Metal-Inhalt des Albums nicht enttäusche. Das Thema der Kunstfreiheit innerhalb von „The Astonishing“ hat bei den Fans von Dream Theater also bleibende Spuren hinterlassen. Die Freunde der Konzertbewegung bekommen nach der 20-minütigen Pause ihren Einsatz. Das Werk nimmt an Fahrt auf – wie soll es auch anders sein, wenn der Gute dem Bösen das Zepter aus der Hand reißt. Beim großen Finale, dem Andrew-Lloyd-Webber-haften Titelstück „Astonishing“, sitzt kaum noch jemand der Metal-Fans auf den blauen Sesseln. Ende, aus, alles gut. Am Dienstag, 15. März gibt es im Kuppelsaal z um 20 Uhr „Die Nacht der Musicals“.