6 000 Jahre Holzbacköfen – Entwicklung von Tradition, Kultur und
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6 000 Jahre Holzbacköfen – Entwicklung von Tradition, Kultur und
6 000 Jahre Holzbacköfen – Entwicklung von Tradition, Kultur und Technik Dr. Andrea Fadani Direktor des Museums der Brotkultur Zur Herstellung von Brot war und ist ein geschlossener Backraum notwendig. Die Entwicklung des Brotes und des Backofens sind miteinander verbunden. Grundvoraussetzung für die Beherrschung des Backens war die Beherrschung, Bewahrung und Erzeugung von Feuer zur Nutzung seiner Wärme. Dies zählt zu den wichtigsten Schritten in der Entstehung menschlicher Kulturen und Zivilisationen. Nachweislich hat der Homo erectus bereits vor mehr als etwa 790 000 Jahren Nahrung mit Feuer bzw. Wärme verändert1. Aber die ältesten Ofenfunde sind nur ca. 7 000 Jahre alt. In der frühsteinzeitlichen Fundstätte von Çatal Hüyük in der Türkei wurden zwei Arten von Öfen nebeneinander gefunden. „Der eine hat die üblich gewölbte Form des Backofens. Der zweite ist insofern anders, als er über eine Brennkammer verfügte, die durch einen halben Ziegel von etwa fünfzehn Zentimetern Höhe unter der Hauptkammer in zwei Hälften geteilt wurde. Die Vorderteile dieser Back- und Brennöfen, die augenscheinlich einst in den Raum hineingeragt haben, sind nicht erhalten; offenbar ließen sie sich entfernen, um die jeweilige Brandware, seien es Gefäße oder Brote gewesen, herauszuholen2. Beim nächsten Befeuerungs- und Brennvorgang wurde die Front wieder geschlossen, was sich mit Lehm natürlich leicht bewerkstelligen lässt.“ Die Entdeckung von Keramik als Töpferware ist wahrscheinlich unabhängig voneinander in mehreren Regionen erfolgt. Im Nildelta tritt Keramik erstmals im 9. 8. Jahrtausend v. Chr. auf. Um 7 000 v. Chr. ist Keramik in den jungsteinzeitlichen Kulturen des Vorderen Orients nachzuweisen. Frühe Töpferware wurde zuerst im „Offenen Feldbrand“ hergestellt. Erst im 6. Jahrtausend verbreiteten sich die Töpferöfen. Ihre Verbreitung in den Kulturen der Jungsteinzeit verdanken Keramikgefäße den verbesserten Möglichkeiten zur Vorratshaltung, die sich bei gleichzeitiger Sesshaftwerdung durchsetzten, da sie zuvor als Transportbehälter zunächst ungeeignet waren. Das Brennen von Töpferware und das Backen von Brot sind wahrscheinlich eng miteinander verbunden, auch wenn die Temperatur beim Brennen von schwach gebrannter Irdenware bei 650 - 800° Celsius liegen muss. Die Zähmung von natürlich auftretenden Feuern, wie zum Beispiel nach einem Blitzschlag, und später die Fertigkeit, Feuer eigenständig zu entfachen, waren 1 Naama Goren-Inbar et al.: Evidence of Hominin Control of Fire at Gesher Benot Ya`aqov, Israel. Science, Band 304, 2004, S. 725-727 2 Fred Matson (Hg.) Ceramics and Man, London, 1961 wichtige Schritte der Menschwerdung. Trotzdem wird die Bedeutung des Feuers in zahlreichen Mythen verklärt, wie etwa dem Mythos des Feuerbringers Prometheus oder des Vogels Phönix, der aus der Asche steigt. Dies ist nur mit der natürlichen Angst des Menschen vor der Naturgewalt Feuer zu erklären. Die göttliche Naturgewalt Feuer wird durch den, in der griechischen Mythologie als Freund und Kulturstifter der Menschheit erscheinende Prometheus symbolisiert. Er bringt den Menschen das Feuer als Kulturstifter. Der Backofen ist der Hort der Kultur. In der 6 000-jährigen Geschichte des Brotbackens sind die Zutaten und die Arbeitsgänge im Wesentlichen unverändert geblieben. Die Konstruktion des Backofens und die Art der Beheizung jedoch haben sich geändert. Dies vor allem in den letzten 120 Jahren mit der Einführung des Perkins-Ofens – in Deutschland auch als Dampfbackofen bezeichnet –, der zum ersten Mal das Backen in einem indirekt beheizten Ofenraum erlaubte und damit einen neuen Standard beim Backen in einem sauberen, hygienischen und fortlaufenden Backbetrieb ermöglichte. Der gelockerte Brotteig benötigte bis 1890 zum Backen einen rundum direkt aufgeheizten Ofen. In Europa war das Prinzip des römischen Backofens, der mit Holz befeuert wurde, von der Antike bis ins Industriezeitalter vorherrschend. Vor dem gemauerten Dampfbackofen, der die moderne Backofenentwicklung zulässt, sind die Kennzeichen der (Holz-)Backöfen: • Backraum und Feuerung finden im gleichen Raum statt (direkte Beheizung) • eine Dampferzeuger, wie sie heute im modernen Etagenbackofen Standard ist, war in den herkömmlichen Holzbacköfen nicht gegeben. Das nasse Auswischen des Backraums diente nur der Säuberung der Backfläche. • Holz diente als Energiequelle anstatt der heutigen Brennstoffe Öl, Gas und Elektrizität • Die Ofenbeschickung erfolgt durch ein enges Ofenloch damit die Wärme nicht entweichen kann • Es gibt grundsätzlich nur Strahlungshitze als Heizprinzip. Erst die neuen Dampfbacköfen erbringen große Arbeitserleichterung, und steigern die Wirtschaftlichkeit des Backens. Der Holzbackofen ohne Abzug wird nach seiner äußeren Form „Kuppelbackofen“ genannt. Er wird direkt beheizt; der Rauch entweicht durch das Ofenloch. Der Kuppelbackofen ist in ländlichen Gebieten des Mittelmeerraums bis heute in Gebrauch. Der Backofen ohne Abzug sieht im Schnitt wie folgt aus: 1 Backraum -2- Der mittelalterliche Backofen war in kleineren Bäckereien und mit technischen Verfeinerungen sogar in Großbäckereien noch bis ins 20. Jahrhundert in Gebrauch. Er konnte den Rauch über einen Rauchabzug oder Kamin ableiten. Als „Backhaus“ hat sich diese Backofenart auf dem Lande bis heute erhalten. 1 2 3 Backraum Rauchabzug Vordach 1 2 3 Backraum Rauchabzug Kamin Um die Hitze im Backofen zu halten und Luftzug zu vermeiden, wird der Backofen verschlossen. Ursprünglich dienten lose Deckel aus den verschiedensten Materialien als Verschluß. Mit dem Ofen verbundene, feuerfeste Türen und Klappen kamen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Gebrauch. Sonderformen des Brotbackens waren im alten Ägypten und im alten Griechenland verbreitet. Mobiles Backen mit erhitzten Tontöpfen oder die Entwicklung des Tonnenofens blieben über Jahrtausende hinweg nahezu unverändert und werden heute noch eingesetzt. Allerdings sind die darin gebackenen Brote eher einfache Fladenbrote, die nur kurze Backzeiten brauchen. Eine besondere Sonderform ist die Backglocke, die einer umgedrehten Schüssel ähnelt, mit der ein Backraum geschaffen wird. In Südosteuropa sind Backglocken seit mehr als 3000 Jahren nachgewiesen. In entlegenen Gebieten sind sie auch heute noch in Gebrauch. 1 2 3 4 erhitze Steinplatte Teig Backglocke heiße Asche Eine Grabbeigabe aus dem alten Ägypten zeigt eine weibliche Dienerfigur beim Erhitzen von Backtöpfen. Dabei wurde zum Backen eine erhitzte Tonform mit Teig -3- gefüllt und in glühende Holzkohle gebettet. Um die Hitze richtig zu nutzen, stülpte man eine zweite erhitzte Tonform darauf. Die Figur schürt das Feuer unter einem Stapel von Töpfen. Eine Grabbeigabe aus dem alten Griechenland zeigt eine Frau beim Fladenbacken. Das Backen von Brot als kultische Handlung für die Reise in das Totenreich. Weibliche Dienerfigur beim Erhitzen von Backtöpfen, Ägypten, 6. Dynastie, 3. Jahrtausend v. Chr., Holz bemalt, Sammlung Museum der Brotkultur Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. gründeten die Römer in den wachsenden Städten die ersten gewerblichen Bäckereien. In Rom steht das reichverzierte Grabmahl eines Bäckers. Das Fries des Grabmals des Bäckers Marcus Vergilius Eurysaces, Rom, 50 - 25 v. Chr. zeigt verschiedene Arbeitsschritte vom Mahlen des Mehls bis zum Backen der Brote in einem Kuppelbackofen auf quadratischem Sockel. Hier ist der Standard mit dem römischen Kuppelbackofen erreicht. Lithographie des Reliefs vom Grabmahl des Bäckers Eurysaces, um 1850, Sammlung Museum der Brotkultur -4- Ein fahrbarer Backofen ist als kolorierter Holzschnitt im Konzilienbuch von Ulrich von Richental (gedruckt 1482) zu erkennen. Die große Anzahl von Menschen zum Konzil in Konstanz konnten nur mittels zusätzlicher „fahrbarer“ Bäckereien versorgt werden. In der historischen Quelle heißt es: „Auch waren Brotbäcker in Konstanz, die hatten Ringe und kleine Öfen, die fuhren sie auf Stoßkärren durch die Stadt und backten darin Pasteten und Ringe und Brezeln und ähnliches Brot...“ Anonym “Fahrbarer Backofen”, Augsburg 1483, Holzschnitt koloriert, Sammlung Museum der Brotkultur Die bekannteste Darstellung des Backens stammt von Jost Amman (1539 - 1591) „Pistor. Der Bäcker“, 1574 aus der Piazza Universale, „Allgemeiner Schauplatz, Marckt und Zusammenkunfft aller Professionen, Künsten, Geschäften, Handeln und Handwercken“, Frankfurt am Main 1659. Der Holzschnitt ist eine Illustration aus einem Ständebuch, in dem die verschiedenen Handwerke vorgestellt wurden. Deutlich zu erkennen ist der Kuppelbackofen. Jost Amman (1539 - 1591) „Pistor. Der Bäcker“, 1574 -5- In einem Pariser Stundenbuch von 1518 wird der Monat Dezember mit dem Brotbacken verziert. Das Stundenbuch (Horarium) ist ein Gebetbuch für Laien in Anlehnung an den Psalter. Es enthält neben den Gebeten für die verschiedenen Anlässe und Tageszeiten (daher der Name) einen immerwährenden Kalender. Die Stundenbücher der Laien wurden schnell zu Prestigeobjekten, die oft üppig illustriert waren. In der Regel wurden die Monate mit den entsprechenden Arbeiten des Jahres versehen. Die übliche Arbeit im Dezember, die dargestellt wurde, ist das Schlachten von Schweinen. Manchmal findet man auch eine Backstube mit dem wärmenden Ofen. Sehr selten aber ist die Bäckerei so detailliert ausgeführt wie hier. Aber auch hier ist der Backofen nur angeschnitten. Obwohl der Ofen maßgeblich über die Güte des Produktes entscheidet, erscheint er nur als eine Frontansicht. Jean Pichore „Stundenbuch“, 1518, Sammlung Museum der Brotkultur Auf dem Land, wo es keine gewerblichen Bäckereien gab, richtete man sich ein Backhäuschen außerhalb des Wohnhauses ein. Einzelne Familien und ganze Dorfgemeinschaften nutzten es. Hermann Sondermann (1832 – 1901) zeigt in seinem Bild „Rückkehr vom Backhaus“ aus dem Jahre 1860 eine solche Szene. Das Gemeindebackhaus steht aus Feuerschutzgründen isoliert. Es hatte nicht nur eine praktische, sondern auch eine soziale Funktion als Treffpunkt. Allerdings überhöht er die Personen – er stellt sie im besten Sonntagsstaat dar. Ein direkt befeuertes Backhaus führt beim Anheizen zu Qualm und Rauch, welcher sich in der Kleidung verfängt, ebenso das Ausräumen der Asche führt leicht zur Verschmutzung der Kleidung. Eigentliches Thema des Bildes ist das Glück des im kleinen Kreis der Familie, der dörflichen Gemeinschaft geborgenen Lebens. Und wenn nun der Kleinste vor Eifer hinfällt und der Hund seine Brezel wegschnappt, dann ist dies nur -6- der Kontrapunkt, der die friedliche Stimmung noch intensiver strahlen läßt. Alles ist eingefangen von der Natur und soll das Natürliche, den Blick auf das Ursprüngliche ausdrücken. Hermann Sondermann (Berlin 1832 - Düsseldorf 1901) Rückkehr vom Backhaus, Öl auf Leinwand, 1860, Sammlung Museum der Brotkultur In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts drohte Europa, vor allem in den Großstädten, eine Versorgungskrise mit Brennmaterial. Neben der drängenden Nahrungsmittelversorgung, der stark angewachsenen Bevölkerung Europas, kam es zu massiven Problemen bei der Energiebereitstellung für die Haushalte und die Gewerbebetriebe. Die stark übernutzten Forstflächen konnten den Bedarf an der klassischen Energieressource Holz nicht mehr decken. Erst die Erschließung der Steinkohlevorkommen und deren Verhüttung brachten den Durchbruch zur Industrialisierung. Die drohende Energiekrise wurde durch technische Innovationen abgewendet. Während man im ländlichen Raum, wie zum Beispiel Württembergs, die Bevölkerung anhielt, Gemeinschaftsbacköfen zu betreiben, um den Holzbedarf zu minimieren, wurde das klassische Feuerungsmaterial Holz für die städtischen Bäcker im 18. und 19. Jahrhundert immer teurer, so dass bei der Befeuerung von Backöfen mit Torf, Braunkohle und Steinkohle experimentiert wurde. Die erste bekannte Kohlenfeuerung wurde in England angewendet. Die Notwendigkeit, ein billigeres -7- Heizmaterial zu finden, aufgrund des ständig ansteigenden Preises, zwang die Backofenbauer, die Kohlenfeuerung nutzbar zu machen. Letztlich führte die Entwicklung zum Perkins-Ofen, also ein Ofen mit indirekter Befeuerung, der zur Unabhängigkeit vom Holz führte. Als letzte bildliche Spur des Holzbackofens zeigt uns der französische Maler Eugène Chapéron (1857 - 1938) die Arbeit einer französischen Militärbäckerei, die das Kommisbrot (frz. „pain de munition“) herstellt. Auf dem großformatigen Bild sind alle Arbeitsgänge der Brotproduktion exemplarisch zusammengefasst und systematisch vom Bildhintergrund nach vorn angeordnet: Der ganze Prozess vom Kneten des Teiges bis zum Reinigen des gebackenen Brotes wird dargestellt. Bemerkenswert an dem Bild Pain de munition ist der sachliche, objektive Ton, in dem die Herstellung des Kommissbrotes in einer Militärbäckerei geschildert wird. Der Künstler malt den direkt befeuerten Ofen, in den der gelockerte Teig eingeschossen wird, in leuchtenden Farben, so als sei ein Licht im Ofenraum. Chaperon, Eugène ((1857 - Paris - 1898) Pain de munition (Französische Militärbäckerei), Öl auf Leinwand, 1888, Sammlung Museum der Brotkultur In der künstlerischen Darstellung des Holzbackofens findet sich nicht die schmutzige Arbeit des Anfeuerns, noch der Umgang mit Asche beim Säubern des Ofens vor dem Einschießen. Bis 1890 war der Holzbackofen Standard und ohne Alternative in der Backstube für die Brotherstellung. Unser Eindruck der Ursprünglichkeit und Natürlichkeit wird durch die künstlerische Intension des idyllischen oder arbeitsreichen Raums verstärkt. -8- Der Übergang zur modernen Backstube und die indirekte Befeuerung findet sich in den kulturgeschichtlichen Darstellungen nicht mehr. Die Fotografie hält Einzug in die Backstube, soll aber von der Modernität des Bäckers und seiner Innovationsfreude künden. Der moderne Bäcker des frühen 20. Jahrhunderts hat sich vom Rauch und der Asche verabschiedet, er will modern, sauber und hygienisch backen. Die Renaissance des Holzbackofens beginnt erst Ende des 20. Jahrhunderts mit den, wieder in Stand gesetzten Gemeinschaftsbackhäusern im ländlichen Raum, die das Brotbacken als Traditionspflege und zum Teil auch als Werbung für ihr „naturnahes“ und „ursprüngliches“ Leben nutzen. Das Image des sogenannten Holzofenbrots wird hier durch neu befeuert. Quelle: Fritz Blühmel und Waldemar Boog „5000 Jahre Backofen“, Deutsches Brotmuseum Ulm, 1977, 294 Seiten Carl Mohr „Die Entwicklung des Backofens vom Backstein zum selbsttätigen Backofen – Eine kulturgeschichtliche Studie“, Werner & Pfleiderer Verlag, Stuttgart-Cannstatt, 1922, 158 Seiten C. Schinz „Anleitung zur Erbauung und Benützung der Gemeinde-Backöfen, Obstdarren, Waschanstalten und anderer Feuerungsanlagen“, Friedrich Ebner Verlag Ulm, 1848, 92 Seiten A. Zimmermann „Backofenbau“, Reprint-Verlag-Leipzig, Original von 1929, Seiten 27 – 102 und Seiten 239 - 310 -9-