Das schwache Pflänzchen Aktienkultur

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Das schwache Pflänzchen Aktienkultur
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21.05.2010
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Dr. Nicolas Sauter
Das schwache Pflänzchen Aktienkultur
B R A NC H EN
Economic Research & Corporate Development
AUTOR:
Dr. Nicolas Sauter
Tel.: +49.89.38 00-2404
Working Paper / Nr. 139 / 21.05.2010
Das schwache Pflänzchen Aktienkultur
EXECUTIVE SUMMARY
•
In den vergangenen 10 Jahren ist der Anteil von Aktien und Investmentfonds am
Finanzvermögen privater Anleger in vielen Industrieländern zurückgegangen.
Treiber dieses Rückgangs ist vor allem eine rückläufige Partizipationsrate, also eine
geringer werdende Anzahl von Haushalten, die Aktien oder Investmentfonds besitzt.
•
Die geringere Bereitschaft in Aktien zu investieren, deutet auf einen Anstieg der
Risikoaversion hin. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass unerfahrene Anleger, die in
der Boomphase der Aktienmärkte 1999/2000 zum ersten Mal Aktien kauften, in den
Jahren nach dem Platzen der dotcom-Blase weiterhin in Aktien investieren,
signifikant niedrig.
•
Die Risikoaversion steigt nicht gleichmäßig über alle Altersgruppen. Insbesondere
bei jüngeren Haushalten unter 40 Jahren ist der Besitz von Aktien oder
Investmentfonds deutlich zurückgegangen.
•
Es ist zu erwarten, dass die aktuelle Finanzkrise das gestiegene Sicherheitsbedürfnis
junger Sparer zusätzlich verstärkt und verfestig. Dies könnte dazu führen, dass sich
bei den heute 35-jährigen langfristig eine Präferenz für risikoarme Anlageformen
herausbildet.
•
Aus dem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis ergeben sich neue Herausforderungen
für die Ausgestaltung von Anlageprodukten. Hält der Trend zu mehr Sicherheit
weiterhin an, so ist zu erwarten, dass insbesondere jüngere Kunden in den
kommenden Jahren verstärkt Produkte nachfragen, die Kapitalsicherung und
garantierte Mindestrenditen beinhalten.
•
Mittelfristig kann sich ein verstärktes Sicherheitsdenken negativ auf die zukünftige
Vermögensentwicklung der privaten Haushalte und die Aktienkultur in
Kontinentaleuropa auswirken. Aufgrund der niedrigeren Renditen risikoarmer
Anlagen stellt sich die Frage, ob das Wachstum des Kapitalstocks junger Haushalte
für die Versorgung im Alter ausreichen wird.
Abnahme der Attraktivität von Aktien und Investmentfonds seit 2000
Seit dem Aktiencrash 2000 verlieren Aktien und Investmentfonds bei privaten Anlegern
in den Industrieländern zunehmend an Attraktivität. So ist ihr Anteil am Finanzvermögen der deutschen Haushalte seit dem Jahr 2000 von 28,3 auf 19,7 Prozent im Jahr 2009
gefallen. Profitiert haben von dieser Entwicklung vor allem Einlagen bei Banken sowie
Ansprüche gegenüber Versicherungen, deren Anteil von 35,1 auf 38,3 Prozent bzw. 28,8
auf 33,5 Prozent des Vermögens anstieg. Sollte diese Entwicklung zu einer dauerhaften
Erhöhung des Anteils risikoarmer Anlageformen in der Vermögensstruktur privater
Haushalte führen, so ist ein geringeres zukünftiges Wachstum der Haushaltsvermögen
zu erwarten, weil die Renditen dieser Anlageformen in der Regel geringer sind als bei
Aktien.
Bleibt das Interesse an Aktien gering, könnte dies auch langfristige Folgen für die in Kontinentaleuropa ohnehin unterentwickelte Aktienkultur haben. Daher ist es wichtig, mögliche Ursachen dieses Trends besser zu verstehen. Der Schwerpunkt dieser Analyse liegt
hierbei auf den folgenden Fragen:
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Economic Research & Corporate Development
Working Paper / Nr. 139 / 21.05.2010
•
Wird der Rückgang verursacht durch eine Risikoreduzierung in den
Vermögensportfolios der Aktienbesitzer, oder sinkt die Anzahl der Besitzer von
Aktien und Investmentfonds?
•
Hat die Enttäuschung über Verluste nach dem Platzen der dotcom-Blase in 20002002 unerfahrene Anleger abgeschreckt?
•
Welchen Altersgruppen sind von diesem Trend besonders betroffen? Welche Folgen
könnten sich daraus für die kapitalgedeckte Altersvorsorge ergeben?
Am Beispiel von Deutschland, Italien, den Niederlanden und den USA werden im Folgenden Trends analysiert, die repräsentativ für die Entwicklungen der Aktienkultur in wichtigen Märkten Kontinentaleuropas und Amerikas sind. Für alle vier Länder existieren
zudem umfassende Datensätze über Haushaltsvermögen auf Mikro- und Makroebene,
die eine genaue Ursachenforschung ermöglichen.
Aktien- und Investmentfondsbesitz der Haushalte
Anteil am aggregierten Haushaltsvermögen
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
Deutschland
Italien
Niederlande
USA
Quellen: Eurostat; US Federal Reserve; eigene Berechnungen.
Getrieben vom Boom an den Aktienmärkten stieg in den vier betrachteten Ländern die
Bedeutung der Aktie als Anlage- und Finanzierungsinstrument zwischen 1995 und 2000
stark an. Weltweit brachen allerdings die Aktienkurse während der lang andauernden
Baisse nach dem Platzen der dotcom-Blase. Gleichzeit sank auch der Aktienanteils am
Vermögen. In Deutschland kam es zu einem Rückgang von 28,3 auf 22,3 Prozent des
Vermögens. Kurzfristig wurden vor allem die Haushalte in den USA getroffen, wo der
Anteil von 32,7 auf 24,3 Prozent fiel, sich in den Folgejahren aber wieder leicht erholte.
Mittelfristig am stärksten betroffen sind die Niederlande wo der Aktienanteil im Jahr
2008 sogar unter das Niveau von 1995 sank. Trotz einer deutlichen Erholung der Aktienkurse zwischen 2003 bis 2007 kam es jedoch nicht zu einem erneuten Anstieg des Aktienund Investmentfonds-Anteils im Haushaltvermögen. Vor allem in Italien und den Niederlanden ging der Aktienanteil weiterhin kontinuierlich zurück. Der sprunghafte Anstieg des Aktienanteils am Vermögen italienischer Haushalte ab 1996 wurde größtenteils
durch die Privatisierung staatlicher Unternehmen und Sparkassen ausgelöst, die insgesamt in einen Umfang von 9 Prozent des BIP hatte (Guiso et al., 2003). Darüber hinaus
hat die Einführung des beitragsbezogenen Rentensystems 1995, welches die Rente nicht
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nur auf Grundlage der letzten 10 Arbeitsjahre, sondern aller im Arbeitsleben eingezahlten Versicherungsbeiträge berechnet, in Italien die Notwendigkeit erhöht, privat für das
Alter vorzusorgen.
Was verursacht den Rückgang des Aktienanteils am Haushaltsvermögen?
Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass entweder (i) viele Anleger wieder steigende
Kurse als Gelegenheit wahrnehmen, Aktien zu verkaufen und so der Anteil von Aktien am
Haushaltsvermögen der Aktienbesitzer gesunken ist, oder (ii) die Partizipation zurückgegangen ist, also weniger Haushalte ihre Ersparnisse in Aktien und Investmentfonds
anlegen. Im ersten Fall schichten Aktienbesitzer ihre Vermögensstruktur zugunsten
risikoärmerer Anlageformen um, wenn z.B. die Erwartungen über zukünftige Kurssteigerungen fallen. So ist anzunehmen, dass es bei vielen Haushalten nach dem Aktiencrash
im Jahr 2000 zu einer Neubewertung der Risiko- und Renditecharakteristiken von Aktien
kam.
Ein Rückgang der Partizipation hingegen deutet auf einen starken Anstieg der Risikowahrnehmung hin, die viele Haushalte gänzlich vom Aktienbesitz abschreckt. Zudem
können augrund der erhöhten Risikoaversion die optimalen Anlagebeträge unter ein
Minimum-Level fallen, so dass sich für viele Haushalte die Anlage in Aktien aufgrund der
anfallenden Transaktions- und Opportunitätskosten nicht mehr lohnt.
Eine Dekomposition der einzelnen Effekte mit Hilfe von Mikrodaten erlaubt es, die
Haupttreiber der fallenden Aktienanteile am Haushaltsvermögen zu identifizieren. Ein
Vergleich der Mikrodaten für Italien und die Niederlande zeigt, dass in beiden Ländern
zwischen 2002 und 2007 bzw. 2008 der Anteil von Aktien und Investmentfonds am Vermögen der Haushalte deutlich zurückging.1 So fiel der durchschnittliche Anteil am
Haushaltsvermögen in Italien um 33,8 Prozent, obwohl bei Wertpapierbesitzern der
Anteil von Wertpapieren am Vermögen im Zuge der Erholung der Aktienmärkte in der
gleichen Periode um 8,1 Prozent anstieg. Der Grund hierfür liegt in einem signifikanten
Rückgang der Partizipation von 12,2 auf 8,1 Prozent der Haushalte, was einer Veränderungsrate von 33,3 Prozent entspricht. Wie in Italien, so deuten auch die Entwicklungen
in den Niederlanden darauf hin, dass die durchschnittliche Abnahme des Aktienanteils
am Haushaltsvermögen zwischen 2002 und 2008 vor allem eine Folge der geringeren
Partizipation ist. Dementsprechend sollte ein Erklärungsversuch der rückläufigen Attraktivität risikoreicher Anlagen insbesondere Partizipationsentscheidungen eine erhöhte
Aufmerksamkeit schenken.
Gemäß der Haushaltsumfrage-Daten machen Aktien und Investmentfonds nur einen unbedeutenden
Teil des Finanzvermögens der Italiener aus. Diese Beobachtung widerspricht den Makrodaten, bei denen
die Italiener sogar einen größeren Teil ihres Vermögens in Aktien halten als Haushalte in den USA. Eine
mögliche Erklärung hierfür könnte substantielles „underreporting“ der Umfrageteilnehmer sein. Ein
derartiger „underreporting bias“ ist ein häufiges Problem von Haushaltsumfragen, wirft jedoch nicht
zwangsläufig Schwierigkeiten für die Interpretation der qualitativen Veränderungen auf, solange angenommen werden kann, dass innerhalb eines Landes der „underreporting bias“ über die Zeit konstant
bleibt.
1
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Veränderungen im Besitz von Aktien und Investmentfonds
in Prozent des…
(Mikro-Daten)
in
Italien
Niederlande
2002
2008
2002
2007
7,9
5,2
11,0
10,2
§ …Anteils am Vermögen der Wertpapierbesitzer
36,6
39,6
36,3
38,6
§ …Anteils an Wertpapierbesitzern
12,2
8,1
28,3
24,5
§ …Anteils am Vermögen
% Veränderung zwischen
§ …Anteils am Vermögen
§ …Anteils am Vermögen der Wertpapierbesitzer
§ …Anteils an Wertpapierbesitzern
2002-2008
2002-2007
-33,8
-7,3
8,1
6,3
-33,3
-13,5
Quellen: Banca d‘Italia, Survey of Household Income and Wealth; De Nederlandsche Bank, DNB Household Survey;
eigene Berechnungen.
Hat der Aktiencrash 2000-2002 unerfahrene Anleger abgeschreckt?
Eine mögliche Erklärung für die rückläufigen Partizipationsraten könnte die Enttäuschung über das Platzen der dotcom-Blase 2000 sein. Nicht zuletzt aufgrund der Privatisierung großer staatlicher Unternehmen in den nationalen Telekommunikations-, Energie-, und Versorgungsindustrien haben Ende der neunziger Jahre viele unerfahrene
Haushalte zum ersten Mal in ihrem Leben Aktien oder Investmentfonds gekauft. So errechnen Guiso et al. (2003), dass in den 1990er Jahren in Deutschland Unternehmen im
Wert von 1,2 Prozent des BIP privatisiert wurden. Gleichzeitig stieg zwischen 1993 und
1998 die Zahl der Aktienbesitzer in Deutschland von 12,0 auf 17,6 Prozent an (BörschSupan und Essig, 2002). Viele Beobachter sahen darin Vorboten einer aufkeimenden
Aktienkultur in Deutschland und anderen Ländern Kontinentaleuropas. Das Platzen der
dotcom-Blase 2000-2002 schreckte allerdings viele dieser unerfahrenen Anleger wieder
ab.
Die Daten der Haushaltsumfrage zu Einkommen und Vermögen in Italien ermöglichen
es, Anlageentscheidung von Haushalten ohne jegliche Vorerfahrung ab dem Jahr des
ersten Aktienkaufs weiter zu verfolgen. Unerfahrene Anleger, die während des Booms im
Jahr 2000 zum ersten Mal ihre Ersparnisse in Aktien oder Investmentfonds angelegt haben, offenbaren eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit in den nachfolgenden
Jahren noch Aktien zu besitzen als Anleger, die entweder vor 1998 bereits Aktien besaßen
oder vor oder nach 2000 zum ersten Mal Aktien erworben haben.
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Anlage in Aktien und Investmentfonds in den Jahren nach dem
ersten Aktienkauf
Anteil der Aktien-/Investmentfonds-Besitzer an den Erstkäufern
80
Erster Aktienkauf:
1998
2000
2002
2004
2006
2008
2006-2008
2004-2008
2002-2008
2000-2008
70
60
50
40
30
20
10
0
2
4
6
8
10
Durchschnitt
Jahre nach dem ersten Aktien-/Investmentfonds-Kauf
Quellen: Banca d‘Italia, Survey of Household Income and Wealth; eigene Berechnungen.
Mit Hilfe eines statistischen Modells wird die Wahrscheinlichkeit geschätzt, dass ein
Haushalt in den Jahren nach seinem ersten Aktienkauf noch Aktien besitzt. Hierbei werden Haushalte, die im Jahr 2000 zum ersten Mal Aktien kauften, mit Haushalten verglichen, die zum ersten Mal 1998 oder 2002-2008 in Aktien investierten. Um für mögliche
Zeittrends in der Anlagewahl zu kontrollieren, wird mit Hilfe von jährlichen fixen Effekten für Schocks kontrolliert, die alle Haushalte gleichzeitig betrafen. Haushaltsspezifische Unterschiede in der Anlagewahl werden durch die sozioökonomischen Charakteristika des Haushalts abgebildet. Im Ergebnis zeigt die empirische Schätzung, dass Haushalte, die im Jahr 2000 zum ersten Mal Aktien kauften, eine 7 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit aufweisen in den nachfolgenden Jahren Aktien zu besitzen als Haushalte,
die in anderen Jahren ihre ersten Erfahrungen mit Aktien und Investmentfonds gemacht
haben.
Alter und Aktienbesitz - ausgewählte Beispiele
Einer der wichtigsten Gründe für die Ersparnisbildung ist es, den privaten Konsum über
den Lebenszyklus bedarfsgerecht zu verteilen. Gerade jüngere Generationen realisieren
zunehmend, dass sie hierbei in stärkerem Ausmaß als ihre Eltern und Großeltern einen
Teil ihrer Altersabsicherung aus eigenen Ersparnissen decken müssen. Trotz der kurzfristigen Kursschwankungen sorgen aktienbasierte Investments bei langfristigen Anlagehorizonten in der Regel für signifikante Überrenditen im Vergleich zu risikoarmen
Anlagenformen. Daher sollten insbesondere jüngere Anleger Aktien für ihre Altersvorsorge bevorzugen. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Rückgangs des Aktienbesitzes
stellt sich daher die Frage, welche Altersgruppen hiervon besonders betroffen sind.
Insgesamt ging in allen vier Ländern in den letzten 10 Jahren die Zahl der Aktienbesitzer
zurück, insbesondere in Italien und Deutschland. In den USA hingegen fiel die durchschnittliche Partizipationsrate nur geringfügig. Aufgrund des höheren Stellenwertes
privater Altersvorsorge sind Aktien traditionell ein wichtiger Bestandteil der Vermögen
der US-Haushalte.
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Working Paper / Nr. 139 / 21.05.2010
Mit Blick auf die Altersgruppen fällt überraschenderweise auf, dass der allgemeine Rückgang vor allem jüngere Haushalte unter 40 Jahren betrifft. In allen vier Ländern hat der
direkte und indirekte Aktienbesitz in den vergangenen Jahren bei den jungen Anlegern
stark nachgelassen, was auf ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis in dieser Altersgruppe
hinweist. Hingegen ist die Partizipation der älteren Haushalte in Deutschland und vor
allem in den USA deutlich gestiegen. Um diese Entwicklungen besser verstehen zu können, muss zwischen Alters- und Kohorteneffekten unterschieden werden. Alterseffekte
bezeichnen die Anlageentscheidungen einzelner Anleger, deren Anlagepräferenzen sich
im Laufe des Lebens und mit den persönlichen Einkommensverhältnissen ändern, während Kohorteneffekte alle Anleger eines Geburtenjahrgangs betreffen und so zum Beispiel Zeichen einer allgemeinen generationsbedingten Niveauveränderung sind. So
könnte ein Kohorteneffekt zum Beispiel Ergebnis eines allgemeinen Vermögenanstiegs
aufgrund wirtschaftlichen Fortschritts sein oder eine höhere Präferenz für Aktien abbilden, die durch die Lebenserfahrung einer ganzen Generation hervorgerufen wurde. Die
wirtschaftswissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass Haushalte ihre einmal getroffenen Anlageentscheidungen nur selten anpassen, selbst wenn sich ihre Lebensumstände ändern (z.B. Agnew et al., 2003). Daher könnte sich eine „Aktienpräferenz“ in Form
eines Kohorteneffekts über mehrere Jahre fortsetzen. So könnte der Anstieg des Aktienbesitzes bei älteren Anlegern zum großen Teil durch ihre Inaktivität verursacht sein, die
dazu führt, dass eine Erhöhung der Aktienquote bei 65-jährigen um die Jahrtausendwende 10 Jahre später zu einem Anstieg des Aktienbesitzes bei 75-jährigen führt, ohne
dass ältere Anleger aktiv Aktien gekauft haben. Dies könnte erklärt werden durch eine
gute Altersversorgung aus Renten- und Pensionsleistungen gepaart mit Vererbungsmotiven, die es älteren Haushalten erlauben, mit Blick auf ihre Erben weiterhin einen großen Vermögensanteil in volatilen Anlagen mit hohen Renditechancen zu sparen. Für die
USA ist zudem bekannt, dass sich viele Haushalte bei Rentenbeginn ihre Ersparnisse aus
IRA- und 401(k)-Altersvorsorgeplänen auszahlen lassen, um sie in Aktien oder Fonds
anzulegen. Eine Ausnahme von diesem Trend bilden italienische Rentner, bei denen die
Aktienkultur weiterhin unterentwickelt ist. Gründe hierfür könnten Unterschiede im
Rentensystem sowie ein höherer Grad der Risikoaversion älterer italienischer Anleger
sein. In den Niederlanden hingegen zeigt sich eine deutliche Korrelation zwischen Alter
und Aktienbesitz. Ein Grund für die mit dem Alter ansteigende Aktienquote könnten
vergleichsweise hohe Rentenersatzquoten sein, die es niederländischen Rentnern erlaubt nur einen relativ kleinen Teil ihres Vermögens für konsumptive Zwecke zu verwenden bzw. bereithalten zu müssen.
Der starke Rückgang des Aktienbesitzes bei jüngeren Anlegern hingegen deutet darauf
hin, dass es in allen vier Ländern weniger Erstkäufer von Aktien und Investmentfonds
gibt. Ein späterer Einstieg der „Generation Praktikum“ in die Erwerbstätigkeit sowie fallende Erwartungen an die staatliche Altersvorsorge und gleichzeitig steigende zukünftig
erwartete Steuerbelastungen führen bei den jüngeren Haushalten offenbar zu einer
Rückbesinnung auf Sicherheit und damit einhergehend einer sinkenden Aktienquote.
Aufgrund der hohen Persistenz vergangener Anlageentscheidungen ist anzunehmen,
dass sich die geringe Zahl junger Erstkäufer in Form eines Kohorteneffektes in den
kommenden Jahrzehnten in fallenden Aktienquoten bei höheren Altersgruppen niederschlägt. Dadurch wird schließlich auch der durchschnittliche Anteil von Aktien und
Investmentfonds am Vermögen der Haushalte fallen.
Sollte aufgrund der angestiegenen Unsicherheit der Aktienmärkte und der erhöhten
Risikowahrnehmung der Haushalte die Zahl der Erstkäufe über längere Zeit hinweg geringer ausfallen, so könnte es zu einer Art „Equity Ageing“ kommen, bei dem sich derzeit
bestehende Aktienquoten einer Generation in Form von Kohorteneffekten über die
kommenden Jahre in höhere Altersgruppen fortpflanzen. Ältere Aktienbesitzer werden
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ihre derzeit hohen Aktienbestände ins Alter mitnehmen, während sich die jetzt Jungen in
den kommenden Jahrzehnten weiterhin nicht in hohem Maße am Aktienmarkt beteiligen werden. Hierdurch könnte die typische umgedreht U-förmige Wölbung des Zusammenhangs zwischen Aktienbesitz und Alter – wie sie für Deutschland, Italien und die
USA zu beobachten ist – bald eher dem niederländischen Muster ähneln, bei dem die
Aktienquote linear mit dem Alter ansteigt.
Wertpapierbesitz in Deutschland
in Prozent der Haushalte bzw. des Vermögens
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
25 - 35
35 - 45
45 - 55
55 - 65
Anteil der Haushalte 2003
Anteil am Vermögen 2003
65 - 70
70 - 80
80 +
Ø
Anteil der Haushalte 2008
Anteil am Vermögen 2008
Quellen: Statistisches Bundesamt, Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS); eigene
Berechnungen.
Besitz von Aktien und Investmentfonds in Italien
in Prozent der Haushalte bzw. des Vermögens
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
31-40
41-50
Anteil der Haushalte 2002
Anteil am Vermögen 2002
51-65
66+
Ø
Anteil der Haushalte 2008
Anteil am Vermögen 2008
Quellen: Banca d‘Italia, Survey of Household Income and Wealth; eigene Berechnungen.
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Economic Research & Corporate Development
Working Paper / Nr. 139 / 21.05.2010
Besitz von Aktien und Investmentfonds in den Niederlanden
in Prozent der Haushalte bzw. des Vermögens
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
<30
31-40
41-50
Anteil der Haushalte 2002
Anteil am Vermögen 2002
51-65
66+
Ø
Anteil der Haushalte 2007
Anteil am Vermögen 2007
Quellen: De Nederlandsche Bank, DNB Household Survey; eigene Berechnungen.
Direkter und indirekter Aktienbesitz in den USA
in Prozent der Haushalte bzw. des Vermögens der Aktienbesitzer (konditional)
70
60
50
40
30
20
10
0
<35
35–44
45–54
Anteil der Haushalte 2001
kond. Anteil am Vermögen 2001
55–64
65–74
75 +
Ø
Anteil der Haushalte 2007
kond. Anteil am Vermögen 2007
Quellen: US Survey of Consumer Finances; eigene Berechnungen.
Implikationen für die Entwicklung des Sparverhaltens
Der rückläufige Besitz von Aktien und Investmentfonds in der jüngeren Generation deutet auf ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis junger Sparer hin. Es ist zu erwarten, dass
die aktuelle Finanzkrise diesen Trend zu mehr Sicherheit noch verstärkt und verfestig.
Die ökonomische Forschung zeigt, dass sich die Risikoneigung in jungen Jahren bildet
und über den gesamten Lebenszyklus Anlageentscheidungen beeinflusst (siehe z.B.
Malmendier und Nagel, 2010). Dies könnte dazu führen, dass bei dem jetzt 35-jährigen
auch mit 55 Jahren noch eine starke Präferenz für kurzfristige, risikoarme Anlageformen
vorherrscht.
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Economic Research & Corporate Development
Working Paper / Nr. 139 / 21.05.2010
Mittelfristig wirkt sich ein ausgeprägtes Sicherheitsdenken der privaten Haushalte negativ auf die zukünftige Vermögensentwicklung der Haushalte aus. Insbesondere ist zu
befürchten, dass die Chancen einer kapitalgedeckten Altersvorsorge gerade von jungen
Haushalten nur unzureichend genutzt werden. Eine solche Entwicklung wäre mit dem
Ziel einer langfristigen Geldvermögensbildung nur bedingt vereinbar und könnte dazu
führen, dass das schwache Pflänzchen Aktienkultur, das in den neunziger Jahren in vielen europäischen Ländern langsame aufblühte, in Kontinentaleuropa wieder langsam
verwelkt.
Zugleich stellt das gestiegene Sicherheitsbedürfnis junger Sparer neue Herausforderungen an die Ausgestaltung von Anlageprodukten. Durch die abnehmenden staatlichen
Rentenbezüge steigt die Notwendigkeit jüngerer Generationen einen größeren Teil ihre
Ersparnisse für die Erhaltung ihres Lebensstandards im Alter zu verwenden. Hält der
Trend zu mehr Sicherheit weiterhin an, so ist zu erwarten, dass insbesondere jüngere
Sparer in den kommenden Jahren verstärkt Produkte nachfragen werden, die Kapitalsicherung und garantierte Mindestrenditen anbieten. Hier ist insbesondere die Versicherungsindustrie gefordert, diese Nachfragebedürfnisse adäquat zu erfüllen.
Literaturverzeichnis
Agnew, Julie; Pierluigi Balduzzi und Annika Sunden (2003), “Portfolio Choice and Trading
in a Large 401(k) Plan," American Economic Review, 93, 193-215.
Börsch-Supan, Axel und Lothar Essig (2002), “Stockholding in Germany”, in Luigi Guiso,
Michael Haliassos und Tullio Jappelli (Hrsg.), Stockholding in Europe, Palgrave: Macmillan.
Guiso, Luigi; Michael Haliassos und Tullio Jappelli (2003), “Equity Culture. Theory and
Cross-Country Evidence”, Economic Policy, 123-170.
Malmendier, Ulrike und Stefan Nagel (2010), “Depression Babies: Do Macroeconomic
Experiences Affect Risk-Taking?”, Quarterly Journal of Economics, im Erscheinen.
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Economic Research & Corporate Development
Working Paper / Nr. 139 / 21.05.2010
Die Einschätzungen stehen wie immer unter den nachfolgend angegebenen Vorbehalten.
ÜBER DIE ALLIANZ
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Compact der Vereinten Nationen sowie die Richtlinien der OECD für multinationale Unternehmen.
Die Allianz SE zählt zu den führenden Unternehmen im Versicherungssektor des Dow Jones Sustainability Index,
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VORBEHALT BEI ZUKUNFTSAUSSAGEN
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Kerngeschäftsfeldern und -märkten, aus Akquisitionen sowie der anschließenden Integration von Unternehmen
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