Das Gleichnis von der Libanonzeder

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Das Gleichnis von der Libanonzeder
Das Gleichnis von der Libanonzeder
Bibeltexte:
Predigttext:
Lukas 1,46-55; Philipper 2,5-11
Hesekiel 17,22-24
I) Die Libanonzeder
Heute schauen wir auch wieder ein Bild, ein
Baumbild, an. Das letzte Mal hatten wir ja den
Feigenbaum vor Augen. Noch vorher den Baum
des Lebens aus Offenbarung 22. Heute geht es
um einen anderen Baum, die Zeder, genauer
um die Libanonzeder.
Ganz malerisch wird sie in der Bibel einmal so
beschrieb (Hesekiel 31,3-7): Wem bist du gleich
in deiner Herrlichkeit? Siehe, einem Zedernbaum auf dem Libanon. Die Pracht ihrer Äste
gab reichlichen Schatten. Hoch war ihr Wuchs
und in die Wolken ragte ihr Wipfel. Das Wasser
machte sie groß. Die Flut in
der Tiefe ließ sie hoch emporwachsen. Die Tiefe ließ
ihre Ströme fließen rings um
den Ort, wo sie gepflanzt war,
sie leitete (von dort) ihre Kanäle zu allen anderen Bäumen
des Feldes. So war sie höher
gewachsen als alle anderen
Bäume des Feldes. Ihre Zweige wurden sehr zahlreich und
ihre Äste breiteten sich aus
wegen des Reichtums an
Wasser, als sie emporwuchs. Alle Vögel des
Himmels hatten ihr Nest in den Zweigen. Alle
wilden Tiere brachten unter den Ästen ihre
Jungen zur Welt. All die vielen Völker wohnten
in ihrem Schatten. Schön war sie in ihrer Größe
mit ihrem breiten Geäst; denn ihre Wurzeln
hatten viel Wasser.
Die Libanonzeder – ein Bild für Pracht und
Schönheit, für Grösse und Herrlichkeit. Davon
redet auch das Gleichnis, das Gott dem Propheten Hesekiel sagte mit dem Auftrag, es weiter zu erzählen. Wir finden es im 17. Kapitel des
Hesekielbuchs:
22 Der Herr, der mächtige Gott, sagt: ›Ich werde einen zarten Spross aus dem Wipfel der
hohen Zeder brechen und ihn auf einem hoch
ragenden Berg einpflanzen. 23 Auf dem Berg in
der Mitte Israels werde ich ihn einpflanzen und
er wird Zweige treiben und Frucht tragen und
zur prächtigen Zeder werden. In ihren Zweigen
werden alle Arten von Vögeln wohnen. 24 Dann
werden alle Bäume auf dem Feld erkennen,
dass ich, der Herr, den hohen Baum erniedrigt
und den niedrigen Baum erhöht habe, den
Baum mit saftigem Grün verdorren und den
verdorrten Baum von neuem grünen ließ. Ich,
der Herr, sage das und tue es auch.‹«
Vertrocknetes bringt Gott zum Blühen; Grünes
lässt er vertrocknen. Mit diesem Gleichnis malt
Gott uns sehr anschaulich vor Augen, wer er ist
und wie er handelt. Dabei wird klar: Gott liebt
das Kleine, Niedrige, ja er selbst wurde klein
und niedrig.
II) Vertrocknetes bringt Gott zum Blühen
Wir machen einen Sprung in die Zeit Hesekiels.
Vom mächtigen Reich Juda-Israel zu Zeiten
Davids und Salomos sind nur
noch Bruchstücke übrig. Im
6. Jahrhundert v. Chr. ist das
Königtum endgültig am Boden, Juda unterworfen vom
Heer Nebukadnezars, Jerusalem mit dem Tempel zerstört, die königliche Familie
und die ganze Elite der jüdischen Gesellschaft nach Babel deportiert. Not und Elend
bestimmt das Leben der Zurückgebliebenen, tiefe Hoffnungslosigkeit erfüllt sie. Dürre. Der Wipfel des
einst so prachtvollen Baumes abgebrochen und
weggebracht. Die früher so herrlich blühende
Zeder verdorrt.
Aber da – wie sprudelndes, neues Leben weckendes Wasser – Gottes Verheissung: ‚Ich
werde einen feinen Schössling nehmen und in
Jerusalem einpflanzen. Er wird wachsen, Zweige treiben, Frucht tragen, eine herrliche Zeder
werden und allerlei Vögel Lebensraum sein.‘
Will heissen: Ich habe euch nicht vergessen.
Ich habe euch nicht einfach den Machtspielen
fremder Herrscher überlassen. Ich habe das
Heft fest in der Hand. Ihr werdet es sehen, ich
werde euch in eurer alten Heimat einen Neuanfang schenken. Einen neuen König, einen Friedenskönig, aus dem Hause Davids, werde ich
einsetzen, und ein neues Reich, ein Friedensreich werde ich errichten. Seht ihr die Libanonzeder? Ihr wird seine Herrlichkeit gleichen: Die
Pracht ihrer Äste gibt reichlichen Schatten.
Hoch ist ihr Wuchs und in die Wolken ragt ihr
Wipfel…, höher als alle anderen Bäume des
Feldes. Ihre Zweige werden sehr zahlreich und
ihre Äste breiten sich aus. Alle Vögel des Him1
mels haben ihr Nest in den Zweigen. Alle wilden Tiere bringen unter den Ästen ihre Jungen
zur Welt. All die vielen Völker wohnen in ihrem
Schatten. Schön wird sie in ihrer Größe mit
ihrem breiten Geäst sein.
Was für ein gewaltiges Hoffnungsbild! Gott ein
Gott, der Dürres zum Blühen bringt, der das
Vertrocknete grünen lässt, der das Niedrige,
Kleine, Elende gross macht! So ist Gott. Das ist
sein Wesen. Das ist seine Art. Gott liebt das
Kleine, und das Dürre ist bei ihm noch längst
nicht abgeschrieben. Es gibt Hoffnung! So handelt Gott im Grossen: am Gottesvolk – am jüdischen Volk und an der Kirche –, an den Nationen, an der Welt. Dass es den Staat Israel wieder gibt, ist ein sichtbares Zeichen davon. So
handelt er auch im Kleinen, an einzelnen Menschen, an dir und mir, damals und heute. Ein
eindrückliches Zeugnis ist Marias Lobgesang.
„Er hat mich, seine Dienerin, gnädig angesehen, eine geringe und unbedeutende Frau… Er,
der Mächtige, hat Grosses an mir getan.“ (Lukas 1,48f*) Res hat diesen Lobgesang vorhin
gelesen. Dass dies wahr ist, dass da und dort
Vertrocknetes zu grünen und zu blühen beginnt, erfahren auch Menschen unter uns. Im
Heilungsgebet am vergangenen Montagabend
haben wir davon gehört, und von grosser
Dankbarkeit Gott gegenüber. Glaubende Augen
sehen es: da eine Knospe und dort eine, feine
Zweige, da eine Blüte und dort eine, reifende
Früchte. Gelt, unsere Hoffnung hat gute Gründe!
III) Der Sämling ist eingepflanzt
Allerdings, wir müssen eingestehen: Den erwarteten, prachtvollen Baum sehen wir noch nicht.
Im Gegenteil, immer noch überall Verdorrtes,
Kaputtes – im Kleinen wie im Grossen. Die Zeitungen sind voll davon. Man muss sich schon
Mühe geben, dazwischen auch das Grünende,
Aufblühende zu entdecken. Das verheissene,
weltweite Friedensreich ist noch nicht durchgebrochen, auch nach 2500 Jahren noch nicht.
Wir warten immer noch darauf, und wir leiden
am Dürren in der Welt und auch am Vertrockneten in unserer eigenen, kleinen Welt.
Und doch, als Christen wissen wir: Gott hat sein
Versprechen eingelöst und den Sämling eingepflanzt, ein feines, bedrohtes Pflänzlein – Christus ist gekommen, damals, abseits des grossen
Weltgeschehens in einer Futterkrippe. Nur wenige erfuhren davon, darunter ein paar unbedeutende Schafhirten.
Vorher habe ich gesagt: Gott liebt das Kleine,
Niedrige, Elende. Ja, er liebt es so sehr, dass
er sich nicht nur von oben herunter beugte,
sondern selber klein, niedrig, elend wurde. Jesu
Leben zeigt es ganz deutlich: Er wurde arm,
machtlos, verachtet. Sein Ende: das Kreuz. Er
war sanftmütig und von Herzen demütig – man
könnte auch mit ‚niedrig‘ übersetzen. Demütig,
niedrig, ohnmächtig, unbedeutend – Übersetzungsmöglichkeiten desselben griechischen
Wortes. Ja, bedeutungslos in den Augen der
Welt, die so sehr das Grosse, Aufsehenerregende, Mächtige, Erfolgreiche sucht.
Aber gerade so kam er den Menschen nah,
besonders jenen, die unter den Grossen litten,
besonders den niedrigen und verachteten. „Der
Herr hat mich gesandt“, sagte Jesus einmal von
sich, „mit dem Auftrag, den Armen gute Botschaft zu bringen. Den Gefangenen zu verkünden, dass sie frei sein sollen, und den Blinden,
dass sie sehen werden, den Unterdrückten die
Freiheit zu bringen, und ein Jahr der Gnade des
Herrn auszurufen“ (Lukas 4,18f). Und das tat
er. Menschen wurden an Leib und Seele heil –
Zeichen des kommenden Friedensreiches Gottes. Knospen, feine Zweige, Blüten, Früchte an
der aufkeimenden Libanonzeder. Oder mit dem
Bild Jesu: Zweige am Senfstrauch, in denen die
Vögel nisten.
Ja, da und dort blühte Vertrocknetes auf, und
auch heute blüht es da und dort auf, als Zeichen davon, dass der Baum am Wachsen ist.
Gott hält, was er verspricht. Unsere Hoffnung
hat Gründe. Darum sind Christen guter Hoffnung. In Jesus Christus haben sie den Sämling
erkannt, und da und dort in der Welt, in der
Gemeinde, im eigenen Leben eine Knospe,
einen feinen Zweig, ein Blüte, ein Frucht. Er
wachst! Lasst uns fröhlich weiter hoffen! Lasst
uns mit Leib und Seele nach dem verheissenen, wachsenden Baum Ausschau halten.
Lasst uns fröhlich hoffen, weil wir erfahren haben: Gott lässt Vertrocknetes aufblühen!
Aber auch das Andere gehört zu Gottes Wesen:
IV) Gott lässt Grünes vertrocknen
Ich habe es gesagt: Vom einst mächtigen Reich
Juda-Israel waren zur Zeit Hesekiels nur noch
Bruchstücke übrig. Im Bild: Der Wipfel der früher so prachtvollen Zeder ist abgebrochen und
weggebracht worden, und was übrig blieb, verdorrte. Und Gott hat es zugelassen.
Warum? Die Propheten sagen uns: Weil die
damaligen Verantwortlichen in Juda – zuerst
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König Jojakim und nach ihm König Zedekija –
meinten, sie bräuchten Gott nicht. Stattdessen
setzten sie auf die eigene Kraft und trafen Entscheidungen, die Gottes Willen widersprachen.
So sägten sie am eigenen Baum. Und Gott bewahrte sie nicht länger vor den selbstzerstörerischen Konsequenzen.
Fremden? Wie äussert es sich dazu? Was sind
die Beweggründe?
Das Grüne, das Gott vertrocknen lässt, ist hier
Bild für ein Gross-werden-Wollen, ein Grünenund-blühen-Wollen statt aus Gottes Kraft aus
eigener Kraft. Und – die Erfahrung zeigt es –
das ist immer ein Grosswerden auf Kosten anderer. Wenn ich mich selbst gross mache,
muss ich andere klein machen.
V) Aufblühen als Dienende
Schaut einmal dieses
Foto an! – Unser Text
sagt: Solche Bäume lässt
Gott verdorren. Gott
bringt das Vertrocknete
zum Blühen und lässt das
Grüne vertrocknen, das
Grüne, das meint, auf die
Lebenskraft, die Gott
schenkt, verzichten zu
können.
Hier sind bestimmte Verhaltensweisen der Menschen angesprochen,
durch die sie das Grüne der Gefahr aussetzen
zu vertrocknen. Wie? Menschen brauchen ihre
Mitmenschen nur insofern, als jene ihnen helfen, ihre eigenen Ziele zu erreichen, ihre eigenen Pläne zu verwirklichen, gross heraus zu
kommen. Aber sie fragen jene nie: Was hast du
nötig? Wie kann ich für dich da sein? Achtet in
euren Gesprächen einmal darauf: Wie viel
Raum gebt ihr den anderen, in dem sie erzählen können, was sie beschäftigt? Und wie viel
Raum beansprucht ihr mit euren Themen?
Kirchen und Gemeinden setzen das Grüne so
der Trockenheit aus: Sie setzen die eigenen
Bedürfnisse – z.B. das Bedürfnis nach Geborgenheit und einem Zuhause – und das eigene
Wohlgefühl vor die Bedürfnisse der Menschen
ausserhalb der Gemeinde. Achten wir einmal
darauf: Wenn wir in der Gemeinde Entscheidungen treffen oder kommentieren – von welchen Argumenten und Gefühlen lassen wir uns
leiten?
Staaten setzen das Grüne so der Trockenheit
aus: Aus Angst, etwas zu verlieren, wehren sie
das Fremde – ausländische Arbeitende,
Migranten, Andersgläubige und Andersdenkende – ab und verschliessen sich ihm. Achten wir
einmal darauf: Wie stellt sich unser Land zum
Gott warnt: Ich lasse das Grüne, das aus eigener Kraft und auf Kosten anderer wachsen,
gross werden und blühen will, verdorren.
Aber soweit soll es nicht kommen! Darum
mahnt Jesus einmal: „Der Grösste unter euch
aber soll euer Diener sein. Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich
selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Matthäus 23,11f). Und Paulus schrieb – wir haben
es gehört: „Das ist die Haltung, die euren Umgang miteinander bestimmen soll; es ist die
Haltung, die Jesus Christus uns vorgelebt hat…
Er verzichtete auf alle seine Vorrechte und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener“ (Philipper 2,5.7).
Wo einzelne Menschen, wo christliche Gemeinden, wo Staaten sich nach dem Wachstum, das Gott schenkt, ausstrecken und beginnen, die anderen höher zu achten als sich
selbst, fürsorglich für diese da zu sein und deren Wohl zu dienen, wo sie anfangen, in der
Haltung, die Jesus Christus vorgelebt hat, zu
leben, und so Gottes Willen tun, da lässt es
Gott grünen, da lässt er Knospen aufbrechen
und Zweige spriessen, da lässt er es blühen
und Früchte wachsen – Zeichen seines kommenden Friedensreichs.
Was tun Menschen, die sich nach Gottes Lebenskraft ausstrecken? In ihren Begegnungen
mit anderen Menschen machen sie sich bewusst: Dieser Mensch bedeutet Gott unendlich
viel. Und sie geben ihm Raum in ihrem Herz
und fragen aus echtem Interesse: Wie kann ich
für dich da sein?
Was tut eine Gemeinde, die sich nach Gottes
Lebenskraft ausstreckt? Wenn sie ihr Programm plant, wenn sie ihre Anlässe gestaltet,
überhaupt wenn sie Entscheidungen trifft, fragt
sie: Was haben die Menschen, die noch kein
Zuhause bei Jesus Christus haben, nötig? Und
wie können wir noch besser für die Bedeutungslosen in unserer Gesellschaft da sein?
Wie können wir für sie glaubwürdige und einladende ZeugInnen von Gottes kommendem
Friedensreich sein? Entsprechend gestaltet sie
das Gemeindeleben.
Was tut ein Staat, der sich nach Gottes Lebenskraft ausstreckt? Er weiss, dass sein
Wohlstand und seine Ressourcen nicht sein
Verdienst, sondern von Gott anvertraute Gaben
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und Lebensmöglichkeiten sind. Er geht haushälterisch und verantwortungsvoll mit ihnen um.
Gleichzeitig setzt er sie grosszügig zum Wohl
aller ein, auch zum Wohl des Fremden, das ihm
auch von Gott anvertraut ist. So lebt er Solidarität, Nehmen und Geben.
Ich komme zum Schluss:
VI) In seinem Schatten leben
„Dann werden alle Bäume des Feldes erkennen, dass ich, der HERR…“ Wozu all das? Wozu lässt Gott vertrocknen, was meint, ohne seine Lebenskraft auszukommen? Wozu bringt
Gott die Bedeutungslosen, die Dienenden, die,
die nicht auf die eigene Kraft, sondern allein auf
seine Lebenskraft vertrauen, zum Blühen? Wozu wird er selbst niedrig, elend und arm? Wozu
wurde es Weihnacht? Wozu all das? Damit die
ganze Welt erkennt: Er ist der Herr! Damit alle
Geschöpfe ihn loben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden…“. Damit alle ihn
gross machen und unter dem prächtigen Zedernbaum wohnen und im Schatten seiner Ästen leben für immer. Amen!
14. Dezember 2012 / Pfr. Stefan Zürcher
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