Folgerungen für die Gebrauchstauglichkeit
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Folgerungen für die Gebrauchstauglichkeit
Studienarbeit von Felix Winkelnkemper, 6222722 Barrierefreiheit von Websites: Folgerungen für die Gebrauchstauglichkeit Fakultät EIM, Institut für Informatik AG Mensch-Computer-Interaktion und Softwaretechnologie Universität Paderborn Vorgelegt bei: Prof. Dr. Gerd Szwillus 2 Erklärung Ich versichere, dass ich diese Arbeit ohne die Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als den angegebenen Quellen und Hilfsmitteln angefertigt habe. Verwendete Quellen sowie wörtlich oder inhaltlich entnommene Stellen sind als solche kennt lich gemacht. Diese Arbeit hat, soweit mir bekannt, in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungs behörde vorgelegen. ____________________________________ Paderborn im April 2006 3 4 Inhaltsverzeichnis 0 Einleitung................................................................................................................................ 7 0.1 Kontext.............................................................................................................................7 0.2 Ziel und Abgrenzung....................................................................................................... 7 0.3 Struktur.............................................................................................................................9 0.4 Sprachliche Hinweise.......................................................................................................9 1 Grundlagen............................................................................................................................11 1.1 Behinderungen............................................................................................................... 11 1.1.1 Sehbehinderungen................................................................................................... 11 1.1.2 Hörgeschädigte........................................................................................................14 1.1.3 Kognitive Behinderungen....................................................................................... 15 1.1.4 Motorische Behinderungen..................................................................................... 16 1.2 Barrierefreiheit (Accessibility).......................................................................................18 1.2.1 Web Content Accessibility Guidelines................................................................... 18 1.2.2 Barrierefreie Informationstechnik Verordnung.......................................................20 1.3 Gebrauchstauglichkeit (Usability)................................................................................. 21 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen..................................................................................... 23 2.1 Sehbehinderungen.......................................................................................................... 23 2.1.1 Barrieren von Farbfehlsichtigen bei der Benutzung von Websites.........................23 2.1.2 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren von Farbfehlsichtigen............................... 24 2.1.3 Barrieren stark Sehbehinderter bei der Nutzung von Websites.............................. 25 2.1.4 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren stark Sehbehinderter................................. 27 2.1.5 Barrieren Blinder bei der Benutzung von Websites................................................30 2.1.6 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren Blinder...................................................... 36 2.2 Hörschädigungen........................................................................................................... 42 2.2.1 Barrieren bei der Benutzung von Websites.............................................................42 2.2.2 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren................................................................... 42 2.3 Motorische Behinderungen............................................................................................ 43 2.3.1 Barrieren bei der Benutzung von Websites.............................................................43 2.3.2 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren................................................................... 45 2.4 Kognitive Behinderungen.............................................................................................. 46 2.4.1 Barrieren bei der Benutzung von Websites.............................................................46 2.4.2 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren................................................................... 51 2.5 Widersprüche innerhalb der Barrierefreiheitsforderungen............................................ 57 2.5.1 Auswahlboxen in Formularen................................................................................. 57 2.5.2 Links zum Überspringen der Navigation................................................................ 57 2.5.3 Barrierefreie Website oder barrierefreie Version?..................................................57 3 Folgen für die Gebrauchstauglichkeit................................................................................... 59 3.1 Situationsbedingte Sehbehinderungen .......................................................................... 60 3.2 Hörschädigungen und Gebrauchstauglichkeit................................................................63 3.3 Motorische Behinderungen und Gebrauchstauglichkeit................................................ 64 3.4 Kognitive Behinderungen und Gebrauchstauglichkeit.................................................. 64 4 Literatur.................................................................................................................................71 4.1 Buchquellen................................................................................................................... 71 4.2 Onlinequellen................................................................................................................. 72 5 Abbildungsverzeichnis..........................................................................................................75 5 6 0 Einleitung 0 Einleitung 0.1 Kontext Kaum eine technische Entwicklung hat das Alltagsleben in den letzten zehn Jahren so sehr verändert wie das Internet. Ein Großteil der geschäftlichen und privaten Kommunikation läuft heute über das Internet ab, Bücher werden im Internet bestellt und auch die Universitäten ge hen dazu über, ihre Informationen im Internet zu verbreiten. Laut der ARD/ZDF-Online-Studie 2005 sind fast 57% der Erwachsenen regelmäßig online. Während früher in erster Linie bei Jungen und Gebildeten Zuwachsraten zu verzeichnen waren, ziehen jetzt die sogenannten „onlineabstinenten Gruppen“ nach, darunter vor allem die Älteren und Menschen mit einem formal niedrigen Bildungsniveau, also Menschen, die nur eine Volks- oder Hauptschule besucht haben (2001: 17,9% - 2005: 38,5%). Die größte Gruppe unter den Internetnutzern (30%) sind die sogenannten „Randnutzer“. Sie nutzen das Internet nur selten und steuern dabei gezielt für sie interessante Seiten an. Nur 17% der Online-Nutzer gehören zu den „Routinierten Infonutzern“. Ebenfalls aus der Studie geht eine Steigerung der Anzahl der Nutzer hervor, die das Internet mobil nutzen. Bereits 19% der Nutzer hatten der Studie nach bereits mobilen Zugang zum zum Netz. 12% mit dem Handy. [ARD-Onlinestudie05] Die Erkenntnis, dass die Website-Benutzer nicht mehr die Technik-Freaks sind, hat dazu ge führt, dass in den letzten Jahren viel von der Gebrauchstauglichkeit (englisch. Usability) von Websites die Rede ist. Die Anbieter von Websites haben erkannt, dass ihr Angebot auch für unerfahrene Benutzer leicht bedienbar sein muss – vor allem wenn sie etwas verkaufen wollen. Nicht zuletzt aus gesetzlichen Gründen sind auch behinderte Internetnutzer ins Blickfeld ge raten. Gesetze und Verordnungen verlangen in Deutschland, dass die Internetangebote öffent licher Stellen barrierefrei, also so gestaltet sind, dass auch Menschen mit Behinderungen sie nutzen können. 0.2 Ziel und Abgrenzung Mittlerweile gibt es eine große Menge Literatur zu den Themen Barrierefreiheit und Ge brauchstauglichkeit. Dabei verwenden die Autoren sehr unterschiedliche Ansätze: Literatur zur Barrierefreiheit ist sehr textlastig. Die Autoren orientieren sich meist an den existierenden Gesetzen und Verordnungen. Sie erläutern dann, oft mit HTML 1-Quellcodebei spielen, wie man diesen Anforderungen nachkommen kann. Einige Autoren legen den Gesichtspunkt dabei stark auf die Spezifikationen, andere mehr auf die Fähigkeiten der unter stützenden Technologien wie Browsern oder assistiver Technologie wie Screenreadern. Literatur zur Gebrauchstauglichkeit hingegen enthält viele erläuternde Abbildungen und Zeichnungen. Gesetze, Verordnungen und Normen werden, obwohl es sie gibt, meist gar nicht erwähnt. Stattdessen berichten die Autoren über ihre Erfahrungen bei Tests mit Ver 1 HTML ist eine Auszeichnungssprache, die es ermöglicht, Dokumente zu strukturieren und zu gestalten. Die optische Gestaltung wird heute meist mit Stylesheets (CSS) realisiert. CSS-Regeln bestimmen das Aussehen der Elemente auf einer Website. 7 suchskandidaten und schließen daraus auf allgemeine Regeln dafür, wie Websites gestaltet werden sollten, damit sie für die meisten Menschen gut bedienbar sind. HTML-Auszeich nungen und andere technisches Dinge spielen nur ganz am Rande eine Rolle. Zur Verdeutli chung der Regeln werden Abbildungen von guten oder schlechten Beispielen verwendet. Trotz der gänzlich verschiedenen Ansätze fällt schnell auf, dass sich die Hauptaussagen der beiden Disziplinen nahezu gleichen; Regeln, die im Bereich Barrierefreiheit umstritten sind, sind auch im Bereich der Gebrauchstauglichkeit umstritten. Als Beispiel seien hier Auswahlboxen in Formularen genannt. Für Blinde und Sehbehinderte sind sie auf Grund ihrer Komplexität oft nur schwer zu bedienen, Menschen mit kognitiven Einschränkungen werden jedoch gut unterstützt, da Fehleingaben vermieden werden. Im Be reich der Gebrauchstauglichkeit ist der Streitfall ähnlich: Komplexe Listen sind für Nutzer kleiner Bildschirme, speziell von Handys nur schwer bedienbar, vielen anderen Surfern sind sie jedoch eine große Erleichterung, da bei freien Eingabefeldern oft unklar ist, was genau gefragt ist und wie man die Antwort eingeben soll. Aussagen wie „Vermeiden Sie Auswahl boxen!“ oder „Verwenden Sie Auswahlboxen!“ können also weder im Bereich der Bar rierefreiheit noch im Bereich der Gebrauchstauglichkeit Bestand haben. Ziel dieser Studienarbeit ist es, die Gebrauchstauglichkeit mit der Barrierefreiheit zu ver binden. Es soll dargelegt werden, dass auch nicht-behinderte Menschen Websites nicht mit der Aufmerksamkeit und in dem Umfang wahrnehmen können, die sich Webdesigner manch mal wünschen, und aus diesem Grund fast alles, was für die Gestaltung von barrierefreien Websites gilt, auch auf das generelle Gestalten von gebrauchstauglichen Websites übertragen werden kann. Technische Aspekte der Gestaltung von Websites, wie HTML- oder CSS-Code, werden in dieser Studienarbeit nur am Rande angesprochen. Listings mit HTML-Quellcode zur Lösung eines bestimmten Problems können vielen Sammlungen im World Wide Web oder der ein schlägigen Fachliteratur entnommen werden. Moderne Websites enthalten oft viele multimediale Elemente wie Videos, Musikschnipsel oder Flash-Animationen. Den Bereich Multimedia hier komplett abzudecken würde bedeuten, auf viele verschiedene Technologien und Einsatzzwecke einzugehen, was den Umfang dieser Ausarbeitung sprengen würde. Multimediale Elemente werden daher nur am Rande angespro chen und nicht ausführlich behandelt. 8 0 Einleitung 0.3 Struktur Das erste Kapitel führt in die zum Verständnis dieser Arbeit notwendigen Grundlagen ein. Die Begriffe Barrierefreiheit (bzw. Accessibility), Gebrauchstauglichkeit (bzw. Usability) und die dahinter stehenden Gesetze, Verordnungen und Normen werden hier vorgestellt. Einen großen Teil des Kapitels nehmen die Erläuterungen zu den Behinderungen ein, die Menschen bei der Benutzung von Websites zum Nachteil werden können. Kapitel 2 beschäftigt sich eingehend mit dem Thema Barrierefreiheit. Die konkreten Proble me, vor denen Behinderte mit Sehbehinderungen, Hörschäden, kognitiven oder motorischen Behinderungen stehen, werden zunächst jeweils analysiert. Darauf folgen Vorschläge zum Abbau der Barrieren. Im dritten Kapitel wird dann der Weg von der Barrierefreiheit zur Gebrauchstauglichkeit be schritten. Jede der oben genannten Gruppen von Behinderten wird nochmals betrachtet. Es wird analysiert, inwiefern ihre Einschränkungen auch auf andere Webbenutzer zutreffen und inwiefern die Kriterien zum Abbau der Barrieren übernommen werden können. Belegt werden diese Erkenntnisse durch entsprechende Vorschläge aus der GebrauchstauglichkeitsLiteratur. 0.4 Sprachliche Hinweise In dieser Facharbeit ist oft von Menschen mit Behinderungen die Rede. Es ist fast nicht möglich, über behinderte Menschen zu sprechen, ohne eine Formulierung zu benutzen, die nicht von einzelnen Betroffenen oder Gruppierungen als diskriminierend empfunden würde. So wird der Begriff „Behinderter“ von vielen als Beleidigung angesehen. Man definiere einen Menschen dadurch nur über seine Behinderung. Auch der Begriff „behinderter Mensch“ wird aus diesem Grunde kritisiert. Ein nicht diskriminierender Ausdruck sei „Mensch mit Be hinderung“, da der Mensch an erster Stelle stehen müsse. Anhänger der Political Correctness versuchen, auch das Wort „Behinderung“ an sich zu vermeiden und sprechen von „Menschen mit besonderen Befähigungen“ oder „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“. In dieser Arbeit verwende ich die Begriffe „Menschen mit Behinderung“ und „behinderte Menschen“. Allerdings verzichte ich, ohne jemanden diskriminieren zu wollen, auf die Nennung der Person bei den konkreten Behinderungen. Ausdrücke wie „ein Mensch mit Ge hörlosigkeit“ oder „eine Frau mit Erblindung“ wirken unnatürlich und beeinträchtigen den Lesefluss zu sehr. Alle Berufsbezeichnungen und Personenbezeichnungen sind stets geschlechtsneutral zu ver stehen. Auf Grund der leichteren Lesbarkeit habe ich auf die Nennung der jeweiligen weibli chen Form verzichtet. Ein Blinder kann also auch eine Blinde und ein Webdesigner2 durchaus auch eine Webdesignerin sein. 2 Die Berufsbezeichnung Webdesigner steht hier gleichermaßen für den Planer, Gestalter und Programmierer. Auf eine genauere Abgrenzung der einzelnen, nicht wirklich klar definierten, Berufsfelder kann für diese Arbeit verzichtet werden. 9 10 1 Grundlagen 1 Grundlagen Dieses Kapitel vermittelt die zum Verständnis dieser Studienarbeit notwendigen Grundlagen, erklärt die verwendeten Begriffe und informiert über Gesetze, Normen und Empfehlungen. 1.1 Behinderungen Dem Gesetz nach sind Menschen dann behindert, wenn „ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.“ [Behindertengleichstellungsgesetz §3] Der Anteil der Menschen, die durch eine Behinderung in der Benutzung von Websites3 einge schränkt sind, ist nicht genau bekannt. In Deutschland waren im Mai 2003 8,4 Millionen Menschen als schwerbehindert gemeldet [Behindertenstatistik_2003]. Diese Zahl kann jedoch nur als Richtwert gesehen werden. Zum einen gibt es keine Meldepflicht für Behinderungen. Die tatsächliche Zahl der Schwer behinderten ist also höher. Natürlich gibt es unter den behinderten Menschen aber viele, die bei der Bedienung von Websites gar nicht eingeschränkt sind. Eine Person, die ihre Beine nicht bewegen kann, ist natürlich schwerbehindert, hat bei der Webbenutzung dennoch keine Einschränkungen. Auf der anderen Seite sind viele Menschen ohne amtliche Schwerbehinderung von Ein schränkungen betroffen weil sie beispielsweise auf Grund ihres Alters nicht mehr gut sehen können, ohne amtlich als schwerbehindert zu gelten. Eine Studie von Microsoft [MS-Enable] geht davon aus, dass 60% der Berufstätigen von barrierefreier Gestaltung profitieren können. Im Folgenden werden die Behinderungen, die für die Benutzung von Websites von Interesse sind, genauer betrachtet. 1.1.1 Sehbehinderungen Die Einschränkungen von Sehbehinderten reichen von leichten Weit- oder Kurzsichtigkeiten, die mit Brillen und Kontaktlinsen korrigiert werden können, über Farbfehlsichtigkeiten, Blendempfindlichkeiten bis hin zu Schädigungen des Sehnervs und der totalen Blindheit. Farbfehlsichtigkeiten treten bei 8% der männlichen europäischen Bevölkerung auf. Bei Frauen ist der Anteil, genetisch bedingt, viel geringer. Der Anteil derer, die komplett farben blind sind, ist verschwindend gering. Viel häufiger ist eine Rot-, Grün- oder Blauschwäche. Die Betroffenen können also Farben sehen, bestimmte Farbabstufungen aber nicht unter scheiden. [Hellbusch 10,11] In Deutschland leben etwa 145.000 blinde und ca. eine halbe Million sehbehinderte Men schen. Die Sehfähigkeit Sehbehinderter wird in Prozent gemessen. Wenn ein Betroffener einen Gegenstand, den ein Nichtbehinderter aus 100m Entfernung erkennt, erst dann erkennt, wenn er sich auf bis 10m genähert hat, spricht man von einer Sehfähigkeit von 10%. Von 3 Eine Website oder Web-Präsenz ist eine ein zusammenhängendes Projekt aus mehreren Webseiten (englisch Web-Pages), die untereinander verlinkt sind. [Münz 17] 11 starker Sehbehinderung spricht man dann, wenn die Sehfähigkeit trotz Brille nur 5% beträgt. Bei einer Sehfähigkeit von unter 2% spricht man von Blindheit. 4 [DBSV] Websitebenutzer mit starken Sehbehinderungen sind auf extreme Vergrößerungen ange wiesen. Bei der Arbeit am Computer verwenden sie daher Vergrößerungssysteme oder sehr niedrige Bildschirmauflösungen, was den gleichen Effekt, nämlich eine vergrößerte Darstel lung hat. Derartig stark sehbehinderte Menschen stehen in der Bedienung von Websites vor großen Hürden, da sie immer nur Teile einer Seite sehen können, ihnen somit also der Über blick fehlt [Hellbusch 15]. Das Lesen eines Textes unter diesen Bedingungen ist äußerst er müdend, da ständig der Bildausschnitt verschoben werden muss und die Augen somit keinen ruhigen Punkt finden können. (Abbildung 1) Abbildung 1 de.wikipedia.org (Bildschirmlupe, hoher Kontrast, extragroß) Blinde Internetnutzer sind auf Hilfsprogramme, sogenannte Screenreader angewiesen, die ih nen den Inhalt der Websites vermitteln. Der Screenreader überträgt den Inhalt der Seite zum Beispiel auf eine Braille-Zeile, die den Text der Seite in Blindenschrift, der so genannten Braille-Schrift, darstellt. Die Braille-Schrift wurde 1825 von Luis Braille entwickelt. In der einfachsten Form werden die Buchstaben des Alphabets durch 6 Punkte dargestellt. [DBSV_Braille] Abbildung 2 Das Wort Internet in Braille-Schrift Neben der sogenannten Basisschrift, bei der für jeden Buchstaben mindesten ein Braille-Zei chen steht (plus Zusatzzeichen für Großbuchstaben, Zahlen etc.), gibt es eine Vollschrift und eine Kurzschrift. In der Vollschrift gibt es zusätzliche Zeichen für häufige Buchstabenkombi nationen wie „eu“, „au“, „ch“ oder „sch“. Die Kurzschrift ist eine Art Braille-Steno, mit der es Blinden möglich ist, schnell zu lesen und zu schreiben. [Braille_FAQ] Screenreader verwenden momentan nur die Basisschrift. Um zusätzliche Zeichen darstellen zu können, gibt 4 Die verschiedenen Arten der Sehbehinderung sind differenzierter. Manche Sehbehinderte haben beispielsweise einen Tunnelblick, haben also ein eingeschränktes Gesichtsfeld. 12 1 Grundlagen es eine Erweiterung des Systems auf 8 Punkte, die allerdings unter den Lesern der BrailleSchrift sehr umstritten ist. Etwa 10% aller Benutzer mit Sehbehinderungen nutzen zum Lesen einer Internet-Seite eine Braille-Zeile [Clark 27]. Sie besteht aus kleinen Stiften, die ausgefahren werden können und so die Buchstaben darstellen. Andere Blinde und Sehbehinderte lassen sich den Text durch eine synthetische Stimme vorlesen. [Hell 8] Abbildung 3 Braille-Zeile mit 8 Punkten - Quelle: Wikipedia Ein Screenreader interpretiert den Bildschirminhalt und leitet ihn an die Sprachausgabe oder an die Braille-Zeile weiter. Der Benutzer kann mittels Tastatursteuerung Absätze über springen oder in Tabellen navigieren. Die Einschränkungen für die Nutzer von Braille-Zeilen und Sprachausgaben sind enorm. Der Inhalt von Grafiken kann kaum vermittelt werden. Alle Inhalte werden von oben nach unten und von links nach rechts wiedergegeben5. Die Orientierung auf einer Websites ist dadurch extrem schwierig, vor allem wenn Daten tabellarisch dargestellt werden oder schlecht struktu riert sind. 5 Die Elemente werden in der Reihenfolge im HTML-Quelltext wiedergegeben. Werden die Elemente nicht per CSS frei auf der Seite positioniert, entspricht dies dem Lesen von links nach rechts und von oben nach unten. 13 1.1.2 Hörgeschädigte Das heutige Web ist in erster Linie ein visuelles Medium. Daher könnte man zunächst davon ausgehen, dass Gehörlose relativ wenige Einschränkungen bei der Benutzung von Websites zu erleiden haben. Erstaunlicher Weise ist fast das Gegenteil der Fall. Hörgeschädigte werden in auditiv orientierte und visuell orientierte eingeteilt. Auditiv Orientierte nehmen ihre Umwelt trotz Höreinschränkungen mittels eines Hörgerätes über das Ohr wahr. Visuell Orientierte nehmen ihre Umwelt nur über optische Reize wahr und sind da her auf die Gebärdensprache angewiesen. In Deutschland wohnen, nach Informationen des Deutschen Gebärdenwerkes, 14 Millionen Hörgeschädigte. 2,5 Millionen davon sind als Schwerbehinderte anerkannt. Sie sind mittelbis hochgradig schwerhörig oder ertaubt. Rund 80.000 Menschen sind vollständig taub oder haben derart große Einschränkungen, dass die akustische Welt für sie nicht zugänglich ist. [Gebärdenwerk] Die deutsche Gebärdensprache (DGS) ist eine eigenständige Sprache mit eigenem Wortschatz und eigener Grammatik. Die Ausdrucksmöglichkeiten in der Gebärdensprache sind mit denen der gesprochenen Sprache zu vergleichen und nicht etwa auf Alltagsgespräche beschränkt. Im Gegensatz zur deutschen Schriftsprache orientiert sich die Gebärdensprache nicht an den Lauten der gesprochenen Sprache. Menschen, die schon von Geburt an gehörlos sind, haben daher große Schwierigkeiten damit, sich akustisch verständlich zu machen, obwohl sie in der Regel nicht stumm sind. Da die Schriftsprache auf der Laut-Buchstaben-Zuordnung basiert, haben Gehörlose große Probleme beim Lesen und Schreiben. Trotz enormer Anstrengungen kommen 80% der Gehörlosen nicht über das Schreibniveau eines Grundschülers hinaus. [Efa_gehörlos] Entgegen der weitläufigen Annahme stehen Hörgeschädigte damit vor den höchsten Barrieren bei der Benutzung von Websites. Eine befriedigende Abhilfe ist momentan noch nicht in Sicht. Forschungen zur automatischen Umsetzung geschriebenen Textes in Gebärden auf der einen Seite und die automatische Erkennung von Gebärdensprache auf der anderen Seite ste cken noch in den Kinderschuhen. 6 6 An der RWTH Aachen wird in beiden Problemfeldern geforscht. Das Projekt SignRec (www.techinfo.rwth-aa chen.de/Forschung/SLR/VGErkennung/signrec.html) entwickelt ein System zur Erkennung von Gebärden. Die Diplomarbeit von Daniel Stein (http://www-i6.informatik.rwth-aachen.de/~stein/diplomarbeit.pdf) beschreibt ein Projekt zur automatischen Umsetzung gesprochenen Textes in Gebärdensprache. Beide Projekte sind allerdings sehr eingeschränkt. 14 1 Grundlagen 1.1.3 Kognitive Behinderungen Kognitive Behinderungen erschweren das Verstehen von Texten und Zusammenhängen. Oft, vor allem im Zusammenhang mit schulischen Leistungen, wird auch von Lernbehinderungen gesprochen.7 Die einzelnen Behinderungen und Einschränkungen sind vielfältig. Menschen mit einer LeseRechtschreib-Schwäche gehören ebenso dazu, wie Menschen mit Konzentrationsstörungen, mit eingeschränktem räumlichen Vorstellungsvermögen oder mit einer geringen Intelligenz. Einige kognitive Behinderungen lassen sich behandeln oder lindern. Kinder, die an der Kon zentrationsstörung AHDS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) leiden, können zum Beispiel mit Medikamenten oder durch Verhaltenstherapie oft behandelt werden. [Legasthenieinfo_AHDS] AHDS kann zu einer Legasthenie, also einer Lese- und Rechtschreib-Schwäche führen, da die Kinder in der Schulzeit auf Grund ihrer Konzentrationsstörung das Lesen und Schreiben nicht erlernen konnten. Diese Art der Legasthenie lässt sich „heilen“, sobald die AHDS der Betrof fenen unter Kontrolle gebracht ist. Es gibt allerdings auch andere Formen der Legasthenie 8, die sich nicht ohne weiteres heilen lassen. Legastheniker können nur sehr langsam lesen und die Zusammenhänge dabei nur schlecht erfassen. Beim Schreiben machen sie viele Fehler und schreiben oft das gleiche Wort in einem Text auf unterschiedliche Weise falsch. Hinzu kommen weitere Fehler in der Recht schreibung und Zeichensetzung. [BVL_Legasthenie] Neben AHDS und Legasthenie gibt es noch viele weitere Formen geistiger Behinderungen mit oft verblüffenden Folgen. Betroffene können zum Beispiel komplizierte Spiele praktisch erlernen, ohne die Fähigkeit zu besitzen, sie theoretisch erklären oder anhand einer Anleitung lernen zu können. Es gibt kaum wissenschaftlich fundierte Untersuchung über Barrieren bei der Internetnutzung. Empfehlungen decken oft nur einen Teilbereich ab. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung einer einfachen Sprache, die einigen hilft, anderen jedoch keine Verbesserung bringt oder sie sogar behindert. Während einige durch viele Bilder verwirrt werden, sind diese für andere hilfreich. Da viele der Einschränkungen geistig Behinderter für Webdesigner nur sehr schwer nachzu vollziehen sind und somit auf die Bedürfnisse der Behinderten kaum eingegangen wird, sind die Hürden für diese Gruppe oft immens. 7 Gebräuchlich ist auch der Begriff „geistige Behinderung“. Genau genommen sind die kognitiven Be hinderungen eine Untergruppe der geistigen Behinderungen, da sie zum Beispiel emotionale Störungen nicht mit einschließen. 8 Die Fachliteratur unterscheidet zwischen isolierten Leseschwächen, isolierten Rechtschreibschwächen und kombinierten Lese- Rechtschreib-Schwächen. 15 1.1.4 Motorische Behinderungen Motorisch oder körperlich behindert sind Menschen mit Einschränkungen des Bewegungsap parates. Viele dieser Einschränkungen sind für die Bedienung von Websites ohne weitere Be deutung, dazu gehören Gehbehinderte oder Personen mit Gleichgewichtsstörungen. Nutzer mit motorischen Einschränkungen der Arme und Hände haben Schwierigkeiten dabei, mit einer Website zu interagieren. Sie können oft entweder nur die Maus oder nur die Tasta tur verwenden und sind in der Bedienung sehr langsam oder ungenau. Abbildung 4 Eine Großfeldtastatur der Firma Igel. Quelle: www.rz.fhtw-berlin.de/content/helpcenter/medientechnik Abbildung 5 Integramaus und Bildschirmtastatur Quelle: www.lifetool.at 16 1 Grundlagen Spezialanfertigungen wie die IntegraMouse [Hellbusch 21], die mit dem Mund bedient wird, Großfeld-Tastaturen [Hellbusch 22] mit extra-großen oder gut abgesetzen Tasten oder Bild schirmtastaturen [Clark 30] stehen nur wenigen Benutzern zur Verfügung und lösen bei wei tem nicht alle Probleme. Mit der IntegraMouse (siehe Abbildung 5) kann eine Maus komplett ersetzt werden. Der Benutzer steuert den Mauszeiger mit einem Mundstück. Das Klicken der Maustasten wird durch Pusten und Saugen ersetzt. Die IntegraMouse wird in der Regel zusammen mit einer Bildschirmtastatur eingesetzt. Statt auf einer Tastatur zu tippen fährt der Benutzer mit dem Mauszeiger den Buchstaben an und klickt (bzw pustet) diesen dann an. Das Schreiben eines Textes wird so selbst für geübte Nutzer einer IntegraMouse zur Geduldsprobe. Selbst mit Hilfsmitteln stehen motorisch behinderte Nutzer von Websites vor großen Hürden, zum Beispiel bei der Eingabe einer Tastenkombination (wenn man nicht in der Lage ist, meh rere Tasten gleichzeitig zu drücken) oder dem Anklicken eines sehr klein dargestellten Links, wenn man bei der Steuerung des Mauszeigers nur ungenau vorgehen kann. 17 1.2 Barrierefreiheit (Accessibility) Unter dem Begriff Barrierefreiheit (bzw. englisch Accessibility) werden alle Maßnahmen zu sammengefasst, die Umwelt derart zu gestalten, dass sie auch für Menschen mit Be hinderungen ohne große Hürden zugänglich ist. Barrierefreie Websites sind dabei ein relativ neues Feld. Schon länger kennt man zum Beispiel Rampen für Rollstuhlfahrer oder spezielle Formulare für Sehbehinderte in großer Schrift. Die Gestaltung von barrierefreien Websites ist in Deutschland, wie mittlerweile in vielen Staaten, gesetzlich vorgeschrieben. Die allgemeinste Grundlage für die Barrierefreiheit findet sich im Grundgesetz: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ [Grundgesetz, Artikel 3, Absatz 3] Immer noch recht allgemein ist die Definition der Barrierefreiheit nach dem Behinderten gleichstellungsgesetzes (BGG): „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Ge brauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ [Behindertengleichstellungsgesetz, Abschnitt 1, Paragraph 4] Genaueres regelt die Barrierefreie Informationstechnik Verordnung (BITV), die im Wesentli chen eine deutsche Übersetzung der Web Content Accessibility Guidelines des World Wide Web Consortiums (W3C) sind. Auch die Vorgaben vieler anderer Staaten 9 richten sich nach diesem Leitfaden. 1.2.1 Web Content Accessibility Guidelines Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) wurden von der Web Accessibility In itiative (WAI), einer Abteilung des W3C10 entwickelt. Die Web Accessibility Initiative (WAI) entwickelt Strategien, Richtlinien und weitere Materialien, um das Web behinderten Men schen zugänglich zu machen. Die WCAG ist nicht die einzige Richtlinie der Initiative. Zum Angebot gehören auch Richtlinien für Browser, Website-Editoren, Content-Management-Sys teme etc. [WAI1] Die erste und momentan gültige Fassung der WCAG wurde 1999 verabschiedet. Sie richtet sich vor allem an die technischen Gestalter von Websites. [WCAG1] Momentan wird an einer neuen Fassung der WCAG gearbeitet, die sich an ein breiteres Publikum richtet. Die Kriterien aus der alten Fassung werden verallgemeinert und einem der vier Prinzipien Wahrnehm 9 Die in den USA geltende „Section 508“ hat große Schnittmengen mit der WCAG. Schlecht zu überprüfende Forderungen wurden jedoch weggelassen, einige in der WCAG sehr allgemein gehaltene Forderungen hingegen kontretisiert. 10 Das World Wide Web Consortium (W3C) empfiehlt Regeln für das World Wide Web. Oft werden diese Emp fehlungen Standards genannt. Das W3C legt beispielsweise fest, was zum HTML-Standard gehört und was nicht. Das W3C gliedert sich in viele Unterabteilungen. 18 1 Grundlagen barkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit zugeordnet. Diese Prinzipien sind all gemein gehalten, um die Richtlinie kompatibel zu zukünftigen Technologien zu halten. Die erste Version der WCAG enthält 66 Checkpunkte in 14 Themengebieten. [Hell 37] Die Checkpunkte sind in 3 Prioritätsklassen eingeordnet: [WCAG] Priorität 1: Ein Entwickler von Web-Inhalten muss Checkpunkte dieser Priorität erfüllen. Andern falls wird es für eine oder mehrere Gruppen unmöglich sein, auf die Information im Dokument zuzugreifen. Die Erfüllung dieses Checkpunkts ist eine grundlegende Er fordernis, damit bestimmte Gruppen Web-Dokumente verwenden können. Priorität 2: Ein Entwickler von Web-Inhalten sollte Checkpunkte dieser Priorität erfüllen. Andernfalls wird es für eine oder mehrere Gruppen schwierig sein, auf die Information im Dokument zuzugreifen. Die Erfüllung dieses Checkpunkts beseitigt signifikante Hindernisse für den Zugriff auf Web-Dokumente. Priorität 3: Ein Entwickler von Web-Inhalten kann Checkpunkte dieser Priorität erfüllen. Andern falls wird es für eine oder mehrere Gruppen etwas schwierig sein, auf die Information im Dokument zuzugreifen. Die Erfüllung dieses Checkpunkts erleichtert den Zugriff auf Web-Dokumente. Entsprechend zu den Prioritäten gibt es Konformitätsklassen. Werden alle Checkpunkte der Priorität 1 erfüllt, entspricht dies der Konformitätsklasse A. Entsprechend gelten für dir Prio ritäten 2 und 3 die Konformitäten AA und AAA. Die Kriterien der WCAG geben dem Webdesigner zwar eine ganze Reihe von Kriterien an die Hand, ob diese allerdings erfüllt sind, kann oft nicht eindeutig festgestellt werden. Ein Beispiel für einen Checkpunkt der Priorität 1, den also alle Websites erfüllen sollen: 14.1 Verwenden Sie für den Inhalt einer Site die klarste und einfachste Sprache, die angemessen ist. Was ist die klarste und einfachste Sprache? Wann ist Sprache nicht mehr klar und einfach? Welche Sprache ist für wen angemessen? Die Antwort auf diese Fragen ist für den Webdesi gner nur schwer zu beantworten. Um wirklich Klarheit zu haben, ob der Checkpunkt erfüllt ist, müssen Tests mit der Zielgruppe durchgeführt werden. Eine automatische Überprüfung schließt sich mit den heutigen Techniken komplett aus. 19 1.2.2 Barrierefreie Informationstechnik Verordnung Die Barrierefreie Informationstechnik Verordnung (BITV) legt fest, dass seit dem 31.12.2005 alle Websites des Bundes barrierefrei zu gestalten sind. Die übrigen Übergangsfristen sind in zwischen ohne Belang, sie liegen alle in der Vergangenheit. Die Regelungen der Verordnung gelten auch in den meisten Bundesländern für deren Behörden und Stellen. In NordrheinWestfalen beispielsweise gibt es die BITV-NRW, die genau dies regelt. Als Kriterien für die Barrierefreiheit enthält die BITV im Anhang eine Übersetzung der Krite rien der WCAG mit nur leichten Abwandlungen: Zwei Bedingungen wurden vertauscht. Die übrigen Änderungen betreffen die Sprache des Regelwerks. Die Sprache der WCAG ist im Gegensatz zur üblichen Sprache deutscher Gesetze und Verordnungen sehr direkt. Man findet dort direkte Imperative wie „Lassen sie keine Pop-Ups erscheinen [...]“. In der üblichen Spra che einer Verordnung hingegen werden Nominalisierungen und passive Formen wie „Das Er scheinenlassen [...] ist zu vermeiden.“ benutzt.11 Außerdem wurden Hinweise, die auf den vor läufigen Charakter einer Regel hinweisen, entfernt. WCAG (deutsche Übersetzung): 10.1 Lassen Sie keine Pop-Ups oder andere Fenster erscheinen und wechseln Sie das aktuelle Fenster nicht, ohne den Benutzer zu informieren, bis Benutzeragenten es gestatten, die Erzeugung neuer Fenster zu unterbinden. BITV: 10.1 Das Erscheinenlassen von Pop–Ups oder anderen Fenstern ist zu vermeiden. Die Nutzerin/der Nutzer ist über Wechsel der aktuellen Ansicht zu informieren. Im Gegensatz zur WCAG gibt es nur 2 Prioritätsstufen. BITV Priorität 1 entspricht den Priori tätsstufen 1 und 2 der WCAG. BITV Priorität 2 entsprechend der Stufe 3. Eine Website ent spricht der BITV, wenn alle Unterseiten der Priorität 1 entsprechen und zentrale Navigations– und Einstiegspunkte (wie zum Beispiel die Hauptseite oder Suchseiten) zusätzlich der Priori tät 2 entsprechen. [BITV] Auf Grund der großen Ähnlichkeit der Verordnungen bzw. Leitfäden kann internationale Li teratur zur Barrierefreiheit, die auf den Richtlinien der WCAG basiert ohne weiteres auf die deutsche BITV übertragen werden. 11 Ironischer Weise wird durch diese Sprachänderung die eigene Forderung, immer die möglichst einfachste Spra che zu benutzen, nicht mehr erfüllt. 20 1 Grundlagen 1.3 Gebrauchstauglichkeit (Usability) Im Gegesatz zur Barrierefreiheit, bei der die Gesetze, Verordnungen und Normen eine große Rolle spielen, sind Normen zur Gebrauchstauglichkeit (bzw. englisch Usability) kaum be kannt. Sucht man nach festgeschriebenen Regeln, findet man einige ISO-Normen. Die Norm ISO 9241 „Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten“ beschreibt die Anforderungen an Dialogsysteme und gibt eine allgemeine Definition von Gebrauch stauglichkeit. „Usability ist die Effektivität, Effizienz und das Ausmaß der Zufriedenheit, mit denen bestimmte Benutzer spezifizierte Ziele in vorgegebenen Umgebungen erreichen.“ [ISO 9241] Dies einzelnen Forderungen zur Dialoggestaltung können auch auf das Web übertragen werden: [ISO 9241] Aufgabenangemessenheit Ein Dialog ist aufgabenangemessen, wenn er den Benutzer unterstützt, seine Arbeits aufgabe effektiv und effizient zu erledigen. Selbstbeschreibungsfähigkeit Ein Dialog ist selbstbeschreibungsfähig, wenn jeder einzelne Dialogschritt durch Rückmeldung des Dialogsystems unmittelbar verständlich ist oder dem Benutzer auf Anfrage erklärt wird. Steuerbarkeit Ein Dialog ist steuerbar, wenn der Benutzer in der Lage ist, den Dialogablauf zu starten sowie seine Richtung und Geschwindigkeit zu beeinflussen, bis das Ziel er reicht ist. Erwartungskonformität Ein Dialog ist erwartungskonform, wenn er konsistent ist und den Merkmalen des Benutzers entspricht, z. B. den Kenntnissen aus dem Arbeitsgebiet, der Ausbildung und der Erfahrung des Benutzers sowie den allgemein anerkannten Konventionen. Fehlertoleranz Ein Dialog ist fehlertolerant, wenn das beabsichtigte Arbeitsergebnis trotz erkennbar fehlerhafter Eingaben entweder mit keinem oder mit minimalem Korrekturaufwand durch den Benutzer erreicht werden kann. 21 Individualisierbarkeit Ein Dialog ist individualisierbar, wenn das Dialogsystem Anpassungen an die Er fordernisse der Arbeitsaufgabe, individuelle Vorlieben des Benutzers und Benutzerfä higkeiten zulässt. Lernförderlichkeit Ein Dialog ist lernförderlich, wenn er dem Benutzer beim Erlernen des Dialogsystems unterstützt und anleitet. Die Forderungen der Norm richten sich eigentlich nicht an die Designer von Websites. Die Autoren hatten eher an die Entwickler klassischer Dialogsysteme auf Terminals gedacht. Folglich fehlen Konzepte wie eine konsistente Navigation in der Norm oder müssen kom pliziert hergeleitet werden. (Die konsistente Navigation kann zum Beispiel aus den Forderungen zur Erwartungskonformität und zur Lernförderlichkeit geschlossen werden) Derzeit wird eine neue Norm (ISO 23973) entwickelt, die speziell Anforderungen für Benutzungsschnittstellen für das World Wide Web definiert. Sie befindet sich jedoch noch in einem frühen Stadium. In Deutschland wird oft noch die „Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten“, kurz Bildschirmarbeitsverordnung, angebracht. Hauptge sichtspunkt dieser Verordnung ist die Gestaltung von Arbeitsplätzen. So wird geregelt, dass die Helligkeit von Bildschirmen einstellbar sein muss und dass Tastaturen nicht spiegeln. Es wird aber auch festgelegt, dass Zeichen auf dem Bildschirm „scharf, deutlich und ausreichend groß sein sowie einen angemessenen Zeichen- und Zeilenabstand haben“ müssen und das Bild außerdem „stabil und frei von Flimmern sein“ muss. [Bildschirmarbeitsverordnung] Obwohl also Normen und Verordnungen existieren, kann man wohl davon ausgehen, dass sich die Entwickler von Websites in absehbarer Zeit nicht an ihnen orientieren. Dafür sorgt allein schon die zu allgemeine Natur und oft unverständliche Sprache dieser Normen. Im Gegensatz zum Thema Barrierefreiheit, bei der es offizielle und para-offizielle Rege lungen gibt und die Fachliteratur sich an diesen Regelungen orientiert, sind die Schriften zum Thema Gebrauchstauglichkeit weniger klar. Die Autoren entwickelten, zum Teil aus Usabili ty-Tests, zum Teil einfach durch Überlegungen Heuristiken und belegen diese an Beispielen und Gegenbeispielen. 22 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Dieses Kapitel beschäftigt sich eingehend mit dem Thema Barrierefreiheit. Die vier Be hinderungsgruppen Sehbehinderungen, Hörschädigungen sowie kognitive und motorische Be hinderungen werden zunächst jeweils genauer in Bezug auf die Einschränkungen der Betrof fenen bei der Bedienung von Websites untersucht. Darauf folgt dann jeweils ein Unterkapitel, das die Maßnahmen zum Abbau dieser Hürden beschreibt. Die hier angesprochenen Ein schränkunen und Maßnahmen sind die in der Literatur meist genannten. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht nicht. Die Lösungsvorschläge wurden weitgehend der Literatur zum Thema Barrierefreiheit entnom men. Entgegen dem Eindruck, den die Autoren in der Regel vermitteln wollen, sind diese Vorschläge jedoch nicht widerspruchslos. Eine Forderung, die einer Gruppe behinderter Men schen entgegenkommt, kann eine andere zusätzlich behindern. Maßnahmen, die ein Autor für extrem wichtig hält, hält ein anderer für unwichtig. Diese Widersprüche finden ihren Widerhall auch in diesem Kapitel. Die hier angesprochenen Maßnahmen gehen folglich oft über die Einschränkungen der BITV hinaus oder relativieren sie. 2.1 Sehbehinderungen Da es eine Vielzahl von Sehbehinderungen mit sehr verschiedenen Einschränkungen bei der Nutzung von Websites gibt, ist dieses Kapitel in Farbfehlsichtigkeiten, starke Sehbe hinderungen mit Restsehvermögen und Blindheit unterteilt. 2.1.1 Barrieren von Farbfehlsichtigen bei der Benutzung von Websites Ein Nutzer mit einer Farbfehlsichtigkeit kann auf Probleme stoßen, wenn ausschließlich Farbe genutzt wird, um Informationen zu übermitteln. Abbildung 6 images.tchibo.de/eCS/Store/ch/Tarife_HKG_d_2006v3.pdf Abbildung 6 zeigt einen Ausschnitt aus der Tarifliste für Haushaltskleingeräte von Tchibo für das Jahr 2006. Änderungen zum Jahr 2005 sind hier in roter Farbe markiert (zweite und dritte Zeile). Benutzer mit einer Rot-Grün-Schwäche können diese Markierung gar nicht oder nur sehr schwer erkennen. Abbildung 7 zeigt eine Art Fragebogen, bei dem man die Fragen durch Klicken eines roten oder grünen Buttons beantworten soll. Wer diese Farben nicht unterscheiden kann, hat keine Chance den Fragebogen zu nutzen. Beispiele dafür, dass Texte auf Websites auf Grund der Farbenblindheit nicht zu sehen sind, sind im Netz kaum zu finden. Die Beispiele der Fachbücher sind sehr konstruiert. [z. B. Hell busch 85]. Einige der Seiten, die für Normalsichtige auf Grund ungünstiger Farbkombina 23 tionen schwer lesbar sind (zum Beispiel durch rote Schrift auf grünem Grund), sind nach der Simulation einer Farbenblindheit sogar besser lesbar.12 Für Farbfehlsichtige ungünstige Farb kombinationen sind in der Regel auch für Normal-Sichtige schwer erkennbar. Abbildung 7 homepage.hispeed.ch/edu-oekonomie/Wohlstand/wohlstand-2q1.htm 2.1.2 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren von Farbfehlsichtigen 2.1.2.1 Informationen nie nur durch Farbe darstellen Bei der Gestaltung von Websites ist darauf zu achten, dass niemals auf Farbe allein gesetzt wird. Abbuchungen auf einem Konto sollten beispielsweise nicht nur rot dargestellt, sondern zusätzlich mit einem Minus oder dem Wort „Soll“ versehen werden. Die Buttons aus Abbil dung 7 müssten zusätzlich mit dem Text „richtig“ und „falsch“ versehen werden, geänderte Inhalte, wie in Abbildung 6, nicht ausschließlich rot, sondern beispielsweise rot und fett dargestellt werden. Abbildung 8 www.djkrheda.de / de.wikipedia.org 2.1.2.2 Navigation auch ohne Farbe benutzbar machen Besonders wichtig für die Bedienung einer Seite ist, dass Navigationselemente und Links auch ohne Farbe nutzbar sind. In der Wikipedia (Abbildung 8) sind Links lediglich blau dargestellt aber nicht unterstrichen, sind also für einen Benutzer mit Blauschwäche nicht sichtbar. Markierungen, die die aktuelle Position innerhalb der Seite anzeigen (Abbildung 8) müssen ebenfalls so gestaltet sein, dass nicht nur die Farbe diese Information trägt. In diesem 12 Verschiedene Farbfehlsichtigkeiten können unter http://colorfilter.wickline.org simuliert werden. 24 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Beispiel der Website djkrheda.de ist die gelbe Markierung des Punktes „Basketball“ für einen Farbfehlsichtigen nur schwer erkennbar. 2.1.2.3 Ausreichend Farbkontrast sicherstellen Wenn Elemente durch Farbe unterschieden werden müssen, wenn sich Elemente verschie dener Farben überlappen und die Farbe dabei von Bedeutung ist oder wenn farbige Schrift auf farbigem Grund verwendet werden soll, muss darauf geachtet werden, dass auch Farbenblinde sie unterscheiden können. Relativ leicht ist das über die Helligkeit möglich. Dunkles Rot auf hellem Grün ist beispielsweise kein Problem, während diese Kombination bei gleicher Farb sättigung in jedem Falle zu vermeiden ist. Welche Farben gut oder schlecht funktionieren und welche nicht, hängt stark von der Art der Farbfehlsichtigkeit ab. Folgende Kombinationen sind aber zu vermeiden, da sie von vielen Sehbehinderten schlecht erkannt werden können: [Hellbusch 82, Clark 208] • • • Komplementärfarben (wie Rot/Grün und Blau/Gelb) verunsichern sowohl Farbfehl sichtige als auch Normalsichtige. Rot in Kombination mit Schwarz oder Dunkelgrau sollte nicht zusammen verwendet werden, da viele Farbfehlsichtige Rot als Dunkelgrau wahrnehmen. Rot und Grün sollten nicht mit Beige, Gelb oder Orange kombiniert werden, da die meisten Farbfehlsichtigen diese Farben verwechseln. Die Farbkombinationen Schwarz/Weiß, Weiß/Rot, Weiß/Schwarz, Blau/Weiß, Gelb/Blau werden hingegen allgemein gut erkannt. [Hellbusch 83] 2.1.3 Barrieren stark Sehbehinderter bei der Nutzung von Websites Stark sehbehinderte Nutzer benötigen Vergrößerungen, um Texte und Bilder wahrnehmen zu können. Dies geschieht entweder mit Bildschirmlupen oder durch die Verringerung der Auf lösung. Manche Benutzer, die nur gelegentlich Vergrößerungen benötigen, vergrößern die Darstellung im Browser. All diesen Benutzern ist gemein, dass sie nur einen kleinen Aus schnitt einer Website auf einmal sehen können. Daher fällt es ihnen schwer, den Inhalt der Website schnell zu erfassen. Viele der heutigen Websites sind so gestaltet, dass sie eine bestimmte Bildschirmauflösung und eine bestimmte Schriftgröße voraussetzen. Nutzer, die eine niedrige Auflösung, wie bei spielsweise 800x600 Bildpunkte verwenden, sind dann vermehrt gezwungen zu scrollen. Dies ist vor allem dann ärgerlich, wenn Benutzer horizontal scrollen müssen, um den Text auf der Seite lesen zu können. (Abbildung 9) Nutzer einer kleinen Auflösung kommen schnell in Schwierigkeiten bei der Benutzung von dynamischen Websites. Bei dynamischen Seiten ändert sich der Inhalt in Abhängigkeit von Benutzereingaben, ohne dass die Seite neu geladen wird. Dies wird in der Regel per Ja vaScript13 erreicht. Denkbar ist zum Beispiel eine Navigation in 2 Ebenen. Wenn der Benutzer auf der Hauptebene eine Auswahl trifft, ändert sich die zweite Ebene, ohne dass die Seite neu lädt. 13 JavaScript ist eine Scriptsprache. Die Scripte werden im Browser des Betrachters ausgeführt. Per JavaScript la sen sich die Inhalte der aktuellen Seite dynamisch ändern. In modernen Browsern lassen sich auch Seitenteile vom Server nachladen, ohne dass die Seite als ganzes neu geladen werden muss. 25 So eine dynamische Seite ist problematisch für einen Nutzer mit einem Vergrößerungssystem, wenn die Änderungen außerhalb seines Sichtbereichs stattfinden. Für den Nutzer wirkt es dann so, als ob sein Klick in der Navigation funktionslos gewesen wäre. Ein ähnlicher Effekt tritt für Nutzer von Vergrößerungssystemen auf, wenn Meldungsboxen erscheinen oder Aus gaben in der Statusleiste des Browsers gezeigt werden. Gerade im letzten Fall wird ein Nutzer mit einem Vergrößerungssystem die Änderung wahrscheinlich nicht wahrnehmen. Abbildung 9 wwwhni.uni-paderborn.de bei 800x600 Pixeln Das Design vieler Websites gerät aus den Fugen, wenn der sehbehinderte Nutzer die Schrift größe im Browser ändert. Schlimmstenfalls ist die Seite dann gar nicht mehr nutzbar. (Abbil dung 10) Abbildung 10 www.rtl.de bei vergrößerter Schrift im Firefox-Browser 26 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen 2.1.4 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren stark Sehbehinderter Zwar sind die Barrieren für die Sehbehinderten die, über die am meisten geschrieben und gesprochen wird, auf der anderen Seite sind die im Folgenden beschriebenen Maßnahmen gleichzeitig auch die mit am wenigsten umgesetzten. Das liegt an der üblich gewordenen Pra xis der Webdesigner, die Inhalte möglichst pixelgenau zu gestalten und zu positionieren, an statt dem Browser des Betrachters bzw. dem Betrachter selbst die für ihn geeignete Darstel lung zu überlassen. Websites, die die Bedingungen erfüllen, wirken oft langweilig und altmodisch. Es ist an den Webdesignern, hier einen guten Kompromiss zu finden. Manche der in der BITV und in der Fachliteratur vorgeschlagenen und vorgeschriebenen Regeln schießen jedoch auch über das Ziel hinaus bzw. sind inzwischen überholt. Die bekannteste dieser Regeln ist die Vermeidung der Einheit Pixel14 für die Größenangabe, die von strengen Anhängern der WCAG propagiert wird, von vielen Webdesignern jedoch in zwischen als unsinnig und überholt angesehen wird. Unterstützt wird diese Einstellung inzwi schen auch von Autoren von Barrierefreiheitsliteratur wie Joe Clark. [Clark 223] 2.1.4.1 Lesbare Schrift verwenden (Typographie) Zunächst lassen sich allgemeine Regeln für die gute Lesbarkeit von Texten aufstellen. Für Fließtexte auf Websites empfiehlt sich die Benutzung einer serifenlosen Schrift (z. B. Arial) oder für die Bildschirmdarstellung optimierten Schriftart (z. B. Verdana). Serifen sind kleine Haken an den Enden der Buchstaben. Sie erleichtern bei gedrucktem Text den Lesefluss. Am Bildschirm ist auf Grund der geringen Auflösung allerdings eher eine serifenlose Schrift vorzuziehen. [Hellbusch 92] Generell ist bei der Schriftenauswahl Zurückhaltung zu üben. Mehr als zwei Schriften sollten nicht verwendet werden. Text in Times Text in Arial Text in Verdana Abbildung 11 Textbeispiel in verschiedenen Schriftarten Zu lange Zeilen sind zu vermeiden, da sie den Lesefluss behindern. Die optimale Zeilengröße liegt zwischen 30 und 50 Buchstaben, je nach Inhalt. Abbildung 12 de.wikipedia.org/wiki/Internet 14 Durch die Einheit Pixel für die Definition von Größen ist es einem Webdesigner möglich, das Design einer Seite ganz genau im Voraus zu bestimmen. 27 Die Zeilen bei Wikipedia sind in der Länge nicht begrenzt sondern passen sich der Fens terbreite an. Dadurch sind die Zeilen, wie in Abbildung 12 zu sehen, bei hohen Auflösungen extrem lang. Da es auf Websites mit momentaner Technik keine Silbentrennung gibt, ist Blocksatz zu vermeiden, da er fast unweigerlich zu großen Lücken im Text führt, die den Lesefluss dann behindern. Dieses Problem tritt besonders bei schmalen Spalten auf. 2.1.4.2 Skalierbarkeit sicherstellen Einer der wichtigsten Punkte der BITV ist die Skalierbarkeit. Es sind relative anstelle von absoluten Einheiten in den Attributwerten der verwende ten Markup-Sprache und den Stylesheet15-Property-Werten zu verwenden. [BITV Forderung 3.4] In der Realität sind viele Websites für bestimmte Auflösungen optimiert. Für Nutzer mit starken Sehbehinderungen ist das ein Problem. Idealerweise sind Websites so gestaltet, dass sie sich automatisch der Bildschirmbreite an passen. Es gibt jedoch Grenzen hierfür. Wie schon oben dargelegt, dürfen Zeilen nicht zu lang werden, es gibt also eine Obergrenze für die Seitenbreite. Auf der anderen Seite sind Inhalte an eine bestimmte Mindestbreite gebunden. Das trifft zum Beispiel auf Fotos zu, die nicht beliebig verkleinert werden können. Die ideale Lösung wäre also eine Seite, die sich dynamisch der Browserbreite anpasst, eine Mindestbreite nicht unterschreitet und eine Maximalbreite nicht überschreitet. Solche Websi tes lassen sich mit Hilfe von CSS zwar definieren, allerdings verhindern Browserprobleme leider einen praktischen Einsatz16. Ein üblicher Kompromiss ist daher eine Seite mit einer fes ten Breite von etwa 750 Pixeln. Die Überlegung dahinter ist, dass der Anteil der Benutzer, die eine Auflösung von weniger als 800 x 600 Pixeln nutzen, heute sehr gering ist. Abzüglich einiger Pixel für die Scrollleiste kann also eine Seite mit einer Breite von 750 Pixel fast über all gut dargestellt werden. Die zweite Forderung der Skalierbarkeit sind skalierbare Schriften. Forderung 3.4 der BITV wird hier oft derart interpretiert, dass feste Pixel-Angaben für Schriftgrößen nicht verwendet werden dürfen. Das Hauptargument gegen die Verwendung von Pixeln für die Definition der Schriftgröße ist die angeblich nicht mögliche Vergrößerbarkeit. Auf die Diskussion, ob dies nun zutrifft (die meisten Browser vergrößern auch Schriften mit Größenangaben in Pixeln) und ob das Verhalten, Schriftarten in Pixeln nicht zu vergrößern (wie es der Internet Explorer tut), korrekt ist, soll hier nicht weiter eingegangen werden, da sie letztendlich keine neuen Er kenntnisse bringt. 15 Cascading Stylesheets (CSS) sind eine Technik, den Inhalt einer Website von der optischen Darstellung zu trennen. Somit lässt sich das Design einer Seite leicht durch das Austauschen des Stylesheets ändern. 16 Der Internet Explorer unterstützt in den Versionen bis 7 Beta 2 die CSS-Regeln min-width und max-width nicht. Mit diesen Angaben ließen sich Designs erstellen, die sich an die Bildschirmgröße anpassen und trotzdem lesbar bleiben. 28 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Interessanter ist ein Einwand von Joe Clark. Entgegen der Meinung, dass vergrößerbarer Text ein wichtiges Barrierefreiheitskriterium sei, meint Clark: [...] It is further accepted that not every browser can zoom text, and that such a func tion is essential. But I have a newsflash for everyone debating these issues: They are essentially irrelevant to actual visually-impaired people. [Clark 223] Clark gibt zu bedenken, wie Benutzer mit starken Sehbehinderungen Websites nutzen. Wenn die Sehbehinderung derart stark ist, dass sie mit einer niedrigen Auflösung nicht mehr arbei ten können, verwenden sie eine Vergrößerungssoftware. Diese Vergrößerungssoftware vergrößert alles gleichermaßen, nicht nur den Inhalt der Site, sondern auch den Desktop, alle Schaltflächen etc. Nutzer eines Vergrößerungssystems vergrößern also die Schrift der Seite innerhalb des Browsers nicht. Das Funktion ist also für sie gar nicht notwendig. [Clark 224] Mehr und mehr Browser skalieren ohnehin nicht nur die Schrift sondern die komplette Seite inklusive aller Bilder, Schaltflächen etc. Für die Nutzer dieser Browser ergibt sich, ganz un abhängig von allen vorhergehenden Überlegungen, keinerlei Nachteil bei der Verwendung von Pixel-Größen. (Abbildung 13) Abbildung 13 Vergrößerte Darstellung im Internet Explorer 7 und Opera 8 Da Benutzer mit Vergrößerung oder niedriger Auflösung nur einen kleinen Teil der Websites sehen, ergeben sich einige Folgen für die Seitenaufteilung. 2.1.4.3 Zusammenhängende Elemente gruppieren Zunächst ist darauf zu achten, dass zusammengehörende Informationen auch zusammen hängend dargestellt werden. Während ein gut sehender Benutzer mit einer hohen Bildschirm auflösung schnell den Bildschirm überblicken kann, um alle Elemente zu sehen, ist es einem Sehbehinderten nur durch aufwändiges Scrollen möglich. Bei sich dynamisch änderndem Inhalt ist darauf zu achten, dass die Änderungen entweder in der Nähe des auslösenden Elements stattfinden oder aber der Fokus17 auf das geänderte Element gesetzt wird. Der sehbehinderte Websitebenutzer kriegt die Änderung sonst eventuell nicht mit, geht von einer Fehlfunktion aus oder muss die Seite nach Änderungen absuchen. 17 Ein Element einer Website hat stets den Fokus, ist also gerade aktiv. Bei Links wird das in der Regel durch eine Umrandung dargestellt. Fenster zeigen ihren Fokus durch eine Änderung der Farbe der Kopfzeile. Hat ein Ein gabefeld den Fokus, enthält es den Cursor und sind bereit zur Eingabe. Vergrößerungssoftware folgt diesem Fo kus, springt also beispielsweise in eine Dialogbox, wenn sie erscheint. 29 2.1.4.4 Navigation sichtbar machen Der kleine Bildausschnitt hat auch Folgen für die Navigation. Die wichtigsten Navigations elemente sollten links oben auf der Seite erscheinen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Navigation auch von Sehbehinderten mit Vergrößerungssystemen auf Anhieb gesehen wird, diese also nicht erst mühsam danach suchen müssen. 2.1.4.5 Sich bewegende Elemente vermeiden Laufschriften und sich bewegende Elemente sollten vermieden werden. Die Bewegung lenkt stark ab, da die Augen der Bewegung folgen müssen. [CAWS 108] Durch den kleinen Aus schnitt hat das Auge speziell bei Laufschriften gar nicht die Möglichkeit, den Text auf zunehmen, wenn nur ein kleiner Teil der Laufschrift überhaupt zu sehen ist. 2.1.5 Barrieren Blinder bei der Benutzung von Websites Die Beeinträchtigungen Blinder unterscheiden sich total von denen Sehbehinderter. Bei Seh behinderten geht es darum, die Seiten optisch so zu gestalten, dass sie auch mit ihrer einge schränkten Sehfähigkeit gut bedienbar sind. Für Blinde ist die optische Gestaltung gänzlich ohne Bedeutung. Sie sind auf Screenreader angewiesen, die die Seiteninhalte entweder vor lesen oder mittels einer Braille-Zeile anzeigen. Die nächstliegende Einschränkung für Blinde ist das komplette Fehlen von Bildern. Das wird zu einem Problem, wenn die Bilder Informationen tragen und diese Informationen nicht alternativ als Text verfügbar gemacht werden. Viele Bilder haben rein schmückenden Zweck. Hier ist ein Alternativtext nicht notwendig. Besonders wichtig ist ein sinnvoller Alternativ text, wenn Bilder hingegen zur Navigation eingesetzt werden. Abbildung 14 zeigt die Navigation von Spiegel-Online. Wie in der alternativen Darstellung rechts zu sehen ist, sind viele der Links aber nicht mit sinnvollen Alternativtexten hinterlegt. Stattdessen findet sich dort ein bedeutungsloses Größerzeichen. Sehende Websitebenutzer sind es gewohnt, eine Seite zu überfliegen und für sie unwichtiges zu ignorieren. Das ist nicht nur bei Websites, sondern zum Beispiel auch bei der Zeitung so. Eine ganze Seite wird überflogen – dort, wo etwas anhand einer Überschrift oder eines Bildes interessant erscheint, liest man dann genauer. Auf Websites werden Zusammenhänge durch Überschriften, Hinterlegungen, Kästen, Anordnung etc. in der Regel schnell erkannt. [Clark 126] Blinde erleben die Seite ganz anders. Der Screenreader beginnt vorne zu lesen und liest die Seite dann in der Reihenfolge der Inhalte im Quelltext vor. Man spricht hier von Linea risierung. Zwar kann der Benutzer Absätze überspringen – er hat jedoch keine Möglichkeit zu wissen, was hinterher kommt, wenn man ihm keine Hinweise darauf gibt. Speziell auf großen Seiten mit vielen Daten und vielen tabellarischen Strukturen kann man dabei schnell die Orientierung verlieren. Tabellarische Daten sind besonders kritisch, da sie linear vorgelesen oft sinnlos werden (Siehe Abbildung 16 und 17). 30 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Abbildung 14 www.spiegel-online.de für blinde Menschen nicht nutzbar 18 Abbildung 15 www.nba.com/statistics/player/Scoring.jsp Die Reihenfolge der Elemente im Quellcode unterscheidet sich oft von der vom Benutzer wahrgenommenen. In Abbildung 18 ist zu sehen, dass der Abschicken-Button an unlogischer Stelle erscheint. Ein blinder Benutzer würde erst den Namen ausfüllen und dann sofort das Formular abschicken, da er nicht weiß, dass noch weitere Informationen abgefragt werden. Selbst wenn er das wüsste, müsste er den Button zunächst überspringen, das Formular ausfül len und dann zurück navigieren. 18 Diese Darstellung wurde mit dem Opera-Browser erstellt, indem sich die Funktionen des Browsers einzeln ausschalten lassen. Hier wurde ein Textbowser simuliert und zusätzlich noch die Tabellenfunktion ausgeschaltet. Dies entspricht etwa dem, was ein Screenreader ausgeben würde. 31 Abbildung 16 Die gleiche Seite der NBA, wie sie ein Blinder erlebt Abbildung 17 www.alpha-version.de/jahrgang/gaeste buch.php Abbildung 18 Alternative Darstellung Abbildung 19 zeigt ein ähnliches Problem. Der Benutzer wird aufgerufen, seine Sprachen anzugeben. Die Erläuterungen, wie er das tun soll, erfolgen erst hinterher. Ein blinder Benutzer weiß hiervon aber nichts, wenn er das Eingabefeld ausfüllt und muss daher eventuell hinterher korrigieren. Auf ein weiteres Ärgernis stoßen Blinde beim Ausfüllen von Formularen mit vorgewählten Möglichkeiten. Webdesigner setzen diese Möglichkeit gerne ein, um Fehleingaben zu vermeiden. 32 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Abbildung 19 www.rhedalamos.net Abbildung 20 zeigt eine solche Auswahl, die hier allerdings nicht notwendig gewesen wäre. Auf dieser Seite gibt es 332 Auswahlmöglichkeiten in Auswahlboxen. Da sich innerhalb dieser Auswahlboxen nur schwer navigieren lässt, wird das Ausfüllen des Formulars für einen Blinden zur Geduldsprobe, da ihm alle Auswahlmöglichkeiten vorgelesen werden. Notwendig gewesen wären hier nur zwei Auswahlfelder mit jeweils zwei Auswahlmöglichkeiten und drei Eingabefelder. Abbildung 20 www.trinkberater.de Lange Navigationslisten sind ebenfalls ein Problem, weil sie in kompletter Länge vorgelesen werden und nur schlecht übersprungen werden können (wenn der Webdesigner dies nicht vor sieht). Für Blinde ebenso problematisch oder gar problematischer sind Navigationsmenüs, bei denen sich Untermenüs öffnen, wenn mit dem Mauszeiger auf einen Link gezeigt wird. Abbil dung 21 zeigt so ein Menü auf der Website NBA. Abbildung 22 zeigt das Problem einer sol chen Programmierung für blinde Nutzer: Die einzelnen Untermenüs sind nicht voneinander zu trennen. Alle Einträge werden nacheinander vorgelesen. Eine Möglichkeit, ein Menü zu über springen, existiert nicht. 33 Abbildung 21 www.nba.com - Teamauswahl Abbildung 22 Die gleiche Auswahl ist für blinde Benutzer nahezu nicht bedienbar. Der Einsatz von JavaScript ist problematisch, wenn hierdurch Seiteninhalte dynamisch erzeugt werden.19 Der Grund liegt wieder in der linearen Ausgabe. Was passiert beispielsweise, wenn durch das Klicken eines Buttons der Inhalt einer Tabelle geändert wird? Ignoriert der Screenreader die Änderung? Liest er an der Stelle der Änderung weiter? Wird die Seite kom plett von vorn vorgelesen? Um auf komplexen Seiten schnell navigieren zu können, lassen sich Benutzer von Screenrea dern oft eine Liste der Links ausgeben20. Damit diese Liste sinnvoll ist, ist es notwendig, dass jeder Link mit einem aussagekräftigen Linktext versehen ist. Abbildung 23 zeigt ein übliches 19 Gerade durch den neuen Trend AJAX (Asynchronous JavaScript and XML), bei dem per Javascript einzelne Seitenteile nachgeladen werden, ist zu erwarten, dass der Einsatz von Javascript zur dynamischen Generierung von Websites steigt. 20 Eine Liste aller Links auf einer Seite lässt sich zum Beispiel mittels des Browsers Firefox aufrufen. 34 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Problem. Bilder werden ohne Alternativtext als Links verwendet. Andere Links sind mit dem immer gleichen Wort wie „mehr“ oder „lesen“ beschriftet. Auch „Fotos“, wie in diesem Falle, ist nicht eindeutig. Diese Linkliste ist keine Hilfe. Abbildung 23 Bei der Sächsischen Zeitung heißen viele Links "mehr" oder "Fotos" Das Gleiche gilt für Überschriften. Viele Blinde lassen sich eine Liste der Überschriften auf einer Seite ausgeben und entscheiden dann, wo sie weiterlesen wollen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Überschriften im HTML-Quelltext auch als solche gekennzeichnet sind.21 Überschriften sind auf vielen Websites nicht eindeutig und sind für Blinde daher bei ihrer Navigation auf einer Seite keine Hilfe. Als Beispiel zwei Artikelüberschriften von heute.de vom 12.Februar 2006: Stabiles Wachstum der Weltwirtschaft erwartet Diese Überschrift sagt in ihren kurzen Worten aus, worum es geht. Wenn ein Blinder Inter esse an der Wirtschaftsprognose hat, kann er hier weiterlesen. Der nette Herr von nebenan macht Ernst Diese Überschrift sagt nicht aus, worum es eigentlich geht. Ein Blinder ist entweder darauf angewiesen, den Artikel „auf gut Glück“ zu lesen, oder wird ganz darauf verzichten. Die Un terüberschrift wäre eine bessere, wenn auch nicht perfekte Wahl gewesen: „Kombinierer Ge org Hettich blufft die Welteltite [sic!] und holt Gold“ Bei der Ausgabe von Fließtext kann es zu Problemen kommen, wenn die Sprache des Textes nicht angegeben wurde oder der Text stark mit Abkürzungen durchsetzt ist. Bei fehlender 21 Viele sehende Webdesigner sehen Überschriften nur von ihrer optischen Seite. Statt eine Überschrift mit den dazu definierten Elemente <h1>, <h2> etc. zu versehen, verwenden sie einfach nur eine große, fett geschriebene Schrift. Für blinde Surfer enthält so eine Website gar keine Überschriften. 35 oder falscher Sprachangabe wird z. B. ein englischer Text nach deutschen Ausspracheregeln vorgelesen. Auch Nutzer der Braille-Zeile brauchen eine korrekte Sprachkodierung für spezi elle Zeichen wie zum Beispiel die Umlaute. Werden Abkürzungen verwendet, die in der na türlichen Sprache ausgesprochen werden („u. s. w.“, “z. B.“, „UPB“), werden sie von der Sprachausgabe eventuell buchstabiert. 2.1.6 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren Blinder 2.1.6.1 Bilder mit Alternativtexten hinterlegen Damit die Informationen, die in Bildern verborgen sind, auch für Blinde verwertbar sind, müssen sie als Alternative zusätzlich als Text angegeben werden. Die gängigen Möglichkei ten der Einbindung von Bildern auf Websites unterstützen Alternativtexte und lange Beschreibungen. Die Alternativtexte müssen dabei sinnvoll und kurz gehalten werden: [Hellbusch 58] Bilder und Grafiken, die eine Funktion erfüllen, sollten als Alternativtext eine kurze Beschreibung der Funktion, nicht des abgebildeten Gegenstands erhalten. Dient zum Beispiel das Logo einer Firma dazu, zur Startseite zurückzukommen, sollte der Alternativtext besser „Zur Hauptseite“ als „Logo der Firma“ lauten. Das gleiche gilt für Icons (also beispielsweise „Suche“ anstatt „Lupe“) oder Flaggen für die Sprachauswahl (also „spanisch“ anstatt „Spanische Flagge“ oder gar „rot-gelb-rot“). Bilder, die Informationen tragen, wie beispielsweise Fotos, grafische Darstellungen, Dia gramme etc. sollten im Alternativtext mit ihrer Hauptaussage beschrieben werden. Hier sollte also besser „Die Zahl der Studenten ist im letzten Jahr um 10% gestiegen“ als „Diagramm der Studentenentwicklung“ stehen. Grafiken, die nur zur Verschönerung einer Seite eingesetzt werden, enthalten einen leeren Alternativtext. Screenreader ignorieren sie dann gänzlich. Bilder und Grafiken, die eine längere Beschreibung benötigen, können diese zusätzlich erhal ten. Diese Beschreibungen sind in einer zusätzlichen Datei gespeichert. Da die Browserunter stützung für diese Beschreibungen schlecht ist, wird vor allem im amerikanischen Sprach raum ein D-Link vorgeschlagen. [CAWS 86] Gemeint ist ein Link mit dem Buchstaben D neben dem Bild, das beschrieben werden soll. Dieser D-Link ist allerdings auch umstritten. Zum einen ist der Buchstabe D für das deutsche Wort Beschreibung nicht gerade eingängig. Außerdem enthielte die Seite mit D-Links viele Links mit dem gleichen Text (eben diesem D), was, wie in 2.1.6.7 beschrieben, vermieden werden sollte [Clark 75]. Je nach Zweck der Grafik und der Länge der Beschreibung wird es sinnvoll sein, die Beschreibung direkt auf die Seite oder aber in eine Extra-Datei zu schreiben, die dann aber auch mit „Beschreibung zu ...“ betitelt werden sollte. Die Literatur zur Gestaltung barrierefreier Websites beschreibt sehr detailliert, wie Alternativtexte und Beschreibungen erstellt werden. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass Redundanzen zu vermeiden sind [CAWS 83,84]. Dies kommt viel öfter vor, als man zunächst denkt. Ein Beispiel: Eine Website beschreibt einen Rundgang durch eine Stadt und die Atmosphäre in der Innenstadt. Zur Illustration befindet sich auf der Seite auch ein Foto der Innenstadt. 36 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Jede Art von Alternativtext für dieses Bild würde das, was im Text steht, wiederholen. Ein leerer Alternativtext22 ist hier also durchaus vertretbar. Abbildung 24 zeigt ein Bild in einem aktu ellen Artikel. Schon aus der Überschrift geht hervor, dass es sich um Angelika Gem kow handelt und dass sie Behindertenbeauf tragte ist. Der Alternativtext „Angelika Gemkow“, der dem Bild zugeordnet ist, ent hält also keine zusätzlichen Informationen und könnte weggelassen werden, zumal diese Information nochmals im ersten Ab satz des Artikels gegeben wird. Abbildung 24 www.leben-mit-behinderungen.nrw.de Neben dem Bild befindet sich ein D-Link. Klickt man darauf, liest man folgenden Text: „Das Foto zeigt die frühere CDULandtagsabgeordnete Angelika Gemkow, die nun zur Behindertenbeauftragten des Landes NRW ernannt wurde.“ Dieser Text schießt gleich in zweierlei Hinsicht über das Ziel hinaus. Erst einmal beschreibt er mehr, als auf dem Bild überhaupt zu sehen ist (z. B. ist nicht zu sehen, dass es sich um eine ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete handelt), zum anderen wiederholt er zum dritten Mal die gleiche Information. Der D-Link und der Text könnten also ersatzlos entfallen. Das Bild ist ein reines Illustrationsbild ohne zusätzliche Informationen. Abbildung 25 Karte des Islamischen Kalifats (Quelle: Wikipedia) Abbildung 26 Politische Stimmung (Quelle: ZDF Politbaromenter) Natürlich gibt es Grafiken, die nicht als Text beschrieben werden können. Ein Diagramm, dass mehrere Zahlenverläufe zusammenfasst (Abbildung 26), und Karten (Abbildung 25) ge hören zum Beispiel dazu. Zwar ließen sich die Daten beim ZDF Politbarometer auch in Tabellenform anbieten, jedoch ist der Informationsgehalt dann ein anderer. Gerade für blinde Nutzer wären diese Daten, bestehend aus Hunderten von Datensätzen für 5 Parteien, ohnehin nicht aufzunehmen, da in Tabellen die Übersicht verloren geht, wenn sie vorgelesen oder zei lenweise angezeigt werden. Bei Karten gibt es ein ähnliches Problem. Zwar könnten die Karten aus Daten aus einer Datenbank erstellt werden – eine textuelle Ausgabe der ganzen 22 Für Screenreader ist es ein großer Unterschied, ob ein Bild gar keinen oder einen leeren Alternativtext enthält. Fehlt er, wird meist der Dateiname vorgelesen, der aber für Menschen oft keine Hilfe ist. Ist der Alternativtext hingegen leer, wird das Bild vom Reader ignoriert. Die HTML-Empfehlungen des W3C schreiben den Alterna tivtext fest vor. 37 Karte wäre somit möglich – ist der Informationsgehalt der Karte dennoch höher als der der puren Daten. 2.1.6.2 Sinnvolle Anordnung im Quelltext Bei der Gestaltung der Seiten ist sicherzustellen, dass die Elemente in einer sinnvollen Weise im Quelltext angeordnet sind. Die Reihenfolge der Elemente im Quelltext ist die linearisierte Ausgabe, die die Screenreader verwenden. Die Reihenfolge muss dabei durchaus nicht die gleiche sein wie die optische. Ein Navigationsbereich, der im oberen Teil der Seite angezeigt wird, kann im Quelltext der Seite als Letztes auftauchen. [Hellbusch 160,161] Wichtig ist je doch, dass dieser Bereich auch bei Navigation mit der Tastatur erreicht werden kann. (siehe unten). Zur Linearisierbarkeit gehört auch, dass Erläuterungen vor dem zu erläuternden gege ben werden, da ein Blinder nicht wissen kann, was hinterher folgt. 2.1.6.3 Einfache Formulargestaltung Bei Formularen sind die Eingabefelder möglichst einfach zu halten. Komplexe Auswahlfelder sind möglichst zu vermeiden. Wenn sie doch notwendig sind, sollten die wahrscheinlichsten Auswahlmöglichkeiten an den Anfang gestellt werden. [Clark 282] Die Beschriftung eines Formularfeldes und das Formularfeld selbst sollten im Quelltext direkt aufeinander folgen. Die Zusammengehörigkeit kann mit dem Label-Tag23 nochmals definiert werden, um Unklar heiten zu vermeiden. Formularfelder ohne Beschriftung (z. B. oft für die Hausnummer) soll ten mit dem title-Attribut versehen werden. Diese wird dann von Screenreadern ausgegeben. [CAWS 150,153] 2.1.6.4 Spaltenüberschriften von Datentabellen definieren Bei Datentabellen kommt den Spaltenüberschriften eine wichtige Rolle zu. Die meisten Screenreader gehen davon aus, dass in der ersten Zeile und ersten Spalte die Überschriften stehen. Dies kann durch Angabe spezieller HTML-Tags noch unterstützt werden. Es gibt eine Reihe weiterer Techniken anzugeben, welche Überschrift zu welcher Tabellenzelle gehört. Diese Techniken werden zum Teil schlecht von den Browsern und Screenreadern interpre tiert, können und sollten aber bei komplexen Tabellen dennoch verwandt werden. [CAWS 109] Die Daten einer Tabelle können zusätzlich textuell beschrieben werden. Dieses Feature wird aber momentan von den meisten Browsern nicht unterstützt. Problematisch sind komplexe Tabellen. Abbildung 27 zeigt eine solche Tabelle. Nicht nur die erste Spalte und erste Zeile sind Überschriften, sondern auch die Zwischenrubriken (z. B. Arbeit / Wirtschaft). Ein Webdesigner sollte sich hier die Frage stellen, ob eine komplexe Tabelle wirklich die beste Struktur zur Darstellung der Daten ist. Schon allein auf Grund des meist eingeschränkten Bildschirmplatzes sind diese Tabellen auch für Sehende oft nur schwer verständlich. Eine zusätzliche Beschreibung als Text bietet sich hier ebenfalls nicht an. Der beschreibende Text könnte die Tabelle dann komplett ersetzen. 23 Mit dem HTML-Tag label können Beschriftungen und Formularfelder miteinander verbunden werden. 38 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Abbildung 27 www.handelsblatt.com/rd/bm/parteiprogramme.html 2.1.6.5 Inhalte und Linkbereiche überspringbar machen Große Linklisten, wie sie in Navigationsleisten vorkommen, sollten überspringbar sein. [CAWS 114] Sinnvoll ist, wenn man direkt am Anfang der Seite zur Navigation bzw. zum In haltsbereich der Seite springen kann (Siehe Abbildung 28). Die Navigation sollte in Un tergruppen unterteilt werden, die dann einzeln übersprungen werden können, wenn die einzel nen Gruppen groß genug sind. So können auch Blinde schnell navigieren. Abbildung 28 www.djkrheda.de 2.1.6.6 Landmarken definieren Je nach Aufbau der Seite sollten weitere Elemente auf der Seite direkt angesprungen werden können. Diese Elemente nennt man Sprung- oder Landmarken. Wenn eine Seite mehr als eine Navigationsleiste enthält, sollte man von der einen Leiste zur nächsten Leiste springen können. Suchformulare sollten ebenfalls direkt angesprungen werden können. [Clark 157] Ähnliches gilt für Login-Bereiche oder Links auf Kontaktadressen. [Clark 161] 39 Es gibt mehrere Möglichkeiten, diese Landmarken zu realisieren: Die einfachste und kompatibelste Möglichkeit sind Links, die zu einem Anker24 innerhalb der Seite springen. Üblicherweise werden diese Sprunglinks versteckt, da sie für Sehende keinen Funktionsgewinn böten. Es gibt aber auch Gründe, sie sichtbar zu gestalten [Clark 153] (Siehe Kapitel 2.3.2.3) Eine Methode, die in modernen Browsern funktioniert, ist die Definition einer Tabulator-Rei henfolge. Blinde navigieren mit der Tabulator-Taste. Dabei springen sie von Link zu Link. Die Sprungreihenfolge lässt sich so umdefinieren, dass die Landmarken nach Wichtigkeit angesprungen werden. [Hellbusch 167] Eine weitere Methode, die allerdings kaum angewandt wird, sind Access-Keys. Einem Link oder einem Objekt (z. B. einem Eingabefeld) wird ein Buchstabe oder eine Zahl zugeordnet. So kann der Link oder das Objekt direkt angesprungen werden. [Clark 165]. Problematisch ist dabei, dass diese Kombinationen von den heutigen Browsern nicht angezeigt werden und fast alle Tastenkombinationen schon für andere Funktionen des Browsers oder des Betriebssys tems belegt sind. 2.1.6.7 Eindeutige Linktexte und Überschriften verwenden Links müssen eindeutig und „sprechend“ sein [Hellbusch 125]. Das bedeutet, dass ein Linktext für sich Sinn ergeben muss und auf einer Seite nicht zwei Links mit dem gleichen Text auf verschiedene Ziele verweisen dürfen. Gleichzeitig sollten Linktexte nicht zu lang sein. Problematisch sind die „mehr“-Links auf Seiten, auf denen viele Artikel kurz angerissen werden. Diese müssten durch eine Wiederholung der Überschrift ersetzt werden. Allerdings sind „mehr“-Links für alle sehenden Benutzer eine große Hilfe. Eine Lösung, die beiden Gruppen gerecht wird, ist ein sichtbares „mehr“ und dahinter die Originalüberschrift, die allerdings für sehende Nutzer versteckt wird25. Überschriften müssen mittels der nötigen HTML-Elemente als solche markiert werden. Nur so sind sie auch für Blinde hilfreich. Inhaltlich müssen die Überschriften für sich gelesen eindeutig beschreiben, worum es geht. Typisch journalistische Umschreibungen oder Zitate, die die Spannung erhöhen sollen, eignen sich oft nicht gut. 2.1.6.8 Abkürzungen erklären oder vermeiden Abkürzungen sollen laut BITV bei der ersten Verwendung erklärt werden. [BITV] Dieser Forderung liegt die Annahme zu Grunde, dass ein Surfer einen Text auf einer Website kom plett liest. Tut er das nicht, was, wie schon erläutert, oft der Fall ist, geht die Erklärung einer Abkürzung eventuell verloren. Besser ist es, Abkürzungen, die nicht zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören, nur im Ausnahmefall zu verwenden oder auszuschreiben. Gleiches gilt für Abkürzungen, die in der Regel ausgesprochen werden (zum Beispiel „und so weiter“ für „u. s. w. “). Abkürzungen, deren ausgeschriebene Bedeutung nicht relevant ist, müssen auch nicht ausgeschrieben werden (zum Beispiel ist den meisten im Kontext von Internetzu gängen bekannt, was DSL ist. Die Bedeutung „Digital Subscriber Line“ ist hier nicht von Be deutung und wahrscheinlich sogar schlechter verständlich). 24 Ein Anker ist ein Linkziel innerhalb einer Seite. Per CSS können Seitenelemente für die Bildschirmausgabe versteckt werden. Screenreader interpretieren diese versteckten Elemente dennoch. 25 40 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen 2.1.6.9 Sprache des Inhalts angeben Screenreader brauchen für eine korrekte Aussprache und auch für die korrekte Codierung der Buchstaben einer Braille-Zeile eine Angabe über die Dokumentsprache. Wichtig ist, auch eine abweichende Sprache zu markieren. Oft werden zum Beispiel Texte in einer anderen Sprache zitiert oder ein einzelner Text ist mit Worten aus einer anderen Sprache durchsetzt. 41 2.2 Hörschädigungen 2.2.1 Barrieren bei der Benutzung von Websites Hörgeschädigte haben einerseits Probleme mit Videos und Sounddateien. Diese sind natürlich in ihrer Reinform, also ohne zusätzliche Unterstützung durch geschriebenen Text, nutzlos bzw. nur schwer zu verstehen. Vor allem ist das niedrige Sprach-, Lese- und Schreibniveau der Betroffenen problematisch. 80% der Gehörlosen kommen über das Lese- und Schreibni veau eines Grundschülers nicht hinaus. [Efa_Gehörlos] 2.2.2 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren 2.2.2.1 Klang und Videos durch Text hinterlegen Für Hörgeschädigte, die noch ein Resthörvermögen haben oder spät ertaubt sind, also gute Erfahrungen mit Sprache und Schrift haben, ist es sinnvoll, Klang durch Text zu ersetzen. Das kann zum Beispiel durch eine Abschrift oder Video-Untertitelung erfolgen. 2.2.2.2 Gebärdensprachfilme anbieten Problematisch wird es für die visuell Orientierten, also für die Gehörgeschädigten, die sich der Gebärdensprache bedienen. Für sie sind geschriebene Texte schwer zu verstehen. Die optimale Übertragung der Texte ist ein Ge bärdensprachfilm. Ein Text wird dabei von einem Hörenden, der die Gebärdensprache be herrscht, in Gebärdensprache übersetzt und auf Video aufgenommen. Für viele Websites ist dies allerdings nicht praktikabel, da sowohl der fi nanzielle als auch der zeitliche Aufwand zur Er stellung eines Gebärdensprachenfilms enorm ist. [Hellbusch 18] 2.2.2.3 Einfache Sprache als Ausweg? Abbildung 29 Gebärdensprachfilm des Finanz ministeriums Als Ausweg bleibt nur die Verwendung einer einfachen Sprache. Einfache Sprache ist aber eigentlich eine Methode, um kognitiv Behinderten den Zugang zu Informationen zu ermögli chen. Sie als Mittel für Gehörlose zu verwenden, wird von vielen Gehörlosen als Beleidigung angesehen. 42 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen 2.3 Motorische Behinderungen 2.3.1 Barrieren bei der Benutzung von Websites Menschen mit motorischen Einschränkungen können nicht ohne weiteres mit Maus und Tastatur auf der Website navigieren. Sie sind in der Bedienung sehr langsam oder gar auf ExtraAnfertigungen angewiesen. Benutzer, die eine Maus oder einen Mausersatz benutzen, haben vor allem Schwierigkeiten, wenn ein sehr kleines Objekt, zum Beispiel ein kleines Icon, angesteuert werden muss. Abbildung 30 www.tagesschau.de Abbildung 30 zeigt den Kopfbereich der Website der Tagesschau. Ein körperlich behinderter Mausnutzer kann Schwierigkeiten dabei haben, das Fragezeichen oder den Brief (rechts un ten) anzuklicken. Selbst der Textlink „Impressum“ ist sehr klein geschrieben und somit nur schwer zu treffen. Ein weiteres Beispiel ist in Abbildung 31 zu sehen. Es handelt sich um die Website eines Übersetzungsdienstes. Der Originaltext wird links eingegeben, in der Mitte werden Quell- und Zielsprache gewählt. Rechts erscheint dann die Übersetzung. Anstatt die an sich schon kleine Grafik aber anklickbar zu machen, muss der extrem kleine Punkt darüber angeklickt werden. Abbildung 31 www.elmundo.es/traductor Viele Menschen mit motorischen Einschränkungen verwenden zur Navigation auf der Websi te keine Maus, sondern sind auf die Tastatur angewiesen. Sie scrollen mit Pfeiltasten oder springen mit Hilfe der Tabulator-Taste von Link zu Link. 43 Die Links werden dabei im Normalfall in der Reihenfolge im Quelltext angewählt, wenn keine Tabulator-Reihenfolge vorgegeben wurde. Bei ungeschickter Anordnung im Quelltext oder ungeschickter manueller Wahl der Tabulatorreihenfolge kann die Navigation auf der Seite zu einem Ratespiel werden. Problematisch sind große Linklisten, wie sie zum Beispiel in Navigationsleisten vorkommen. Abbildung 32 zeigt eine solche Navigationsleiste. Motorisch behinderte Menschen müssen die komplette Liste „durchklicken“, was, vor allem wenn sie auf Grund ihrer Einschränkung nur sehr langsam mit der Tastatur umgehen können, sehr langwierig werden kann. Abbildung 32 www.drweb.de – Navigation (aus Platzgründen nebeneinander angeordnet) Ein weiteres Problem sind Funktionen, die nur mit der Maus steuerbar sind. Standard elemente, wie Formularbuttons, sind auch mit der Tastatur zu bedienen. Viele Navigations menüs, die auf JavaScript basieren, funktionieren allerdings nur mit der Maus. Abbildung 33 zeigt den Kopfbereich der Website der NBA. Mit der Tabulatur-Taste wurde „TEAMS“ ange steuert. Außer einer Markierung des Links passiert nichts. Wählt man Teams jedoch mit der Maus aus, erscheint ein Menü, vergleichbar wie in Abbildung 21. Abbildung 33 www.nba.com 44 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen 2.3.2 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren 2.3.2.1 Gruppieren und Abstände einfügen Für motorisch behinderte Mausbenutzer sind alle Elemente hin reichend groß und mit hinreichend großem Abstand zu gestal ten. Navigationselemente sollten ferner an einer Stelle gruppiert und nicht auf der ganzen Seite verteilt werden. [Hellbusch 169] 2.3.2.2 Formularfelder und Beschriftung verbinden In Formularen lässt sich die Bedienbarkeit mit der Maus durch den Einsatz des Label-Tags verbessern. Dieses HTML-Element wird verwendet, um ein Formularelement mit seiner Beschrif tung zu verbinden. Die eigentliche Intention des Tags ist die Unterstützung von Screen-Readern, die zu jedem Formularfeld nun die Beschriftung vorlesen können. Willkommener Neben effekt für motorisch behinderte Menschen ist, dass ein Klick auf die Beschriftung den Eingabefokus auf das Formular element lenkt. (Siehe 2.1.6.3) 2.3.2.3 Linkbereiche überspringbar machen Abbildung 34 www.cm4u.net Bereiche mit vielen Links sollten überspringbar sein. Dafür ist es notwendig, dass die Übersprung-Links sichtbar dargestellt werden (Abbildung 35) [Clark 153]. Accesskeys können für motorisch Behinderte ebenfalls eine Hilfe sein. Wird für ein Element der Accesskey „e“ definiert, kann es mit der Tastenkombination Alt+e angesprungen werden. Das Problem bei ihrer Anwendung ist momentan, dass die Browser diese nicht anzeigen und der Benutzer von ihrer Existenz daher nichts weiß. Fast alle Tastenkombinationen mit Alt sind außerdem schon vergeben, sodass letztlich nur die Nummern bleiben (Siehe 2.1.6.5). [Clark 166, 168] Wenn auf die Accesskeys, wie in Abbildung 34 zu sehen, hingewiesen wird, ist das sowohl für Blinde und Sehbehinderte als auch für motorisch Behinderte eine Hilfe. Motorisch Behinderte könnten allerdings ein Problem damit haben, eine Tastenkombination zu betätigen, da zwei Tasten gleichzeitig gedrückt werden müssen. Dieses Problem ist allerdings mit moderner assistiver Technologie lösbar. Abbildung 35 www.acb.org 45 2.4 Kognitive Behinderungen Die Gruppe der kognitiv behinderten Menschen ist die, die momentan am meisten ignoriert wird und der gleichzeitig am schlechtesten beizukommen ist [Clark33]. Objektive Erkennt nisse aus Untersuchungen zu den Einschränkungen kognitiv behinderter Menschen gibt es bisher kaum. Die im Folgenden beschriebenen Barrieren und Lösungsvorschläge sind daher vage und unvollständig. Auch die Kriterien der BITV decken viele Probleme kognitiv Be hinderter nicht ausreichend ab. [Efa_Kognitiv] 2.4.1 Barrieren bei der Benutzung von Websites Menschen mit kognitiven Behinderungen haben Schwierigkeiten damit, den Inhalt der Seite zu verstehen, Zusammenhänge zu erschließen, Strukturelemente zu erkennen oder sich In formationen zu merken. Nutzer mit Konzentrationsproblemen sind leicht ablenkbar. Sie haben Schwierigkeiten, Struk turen zu erkennen und zu behalten. Das kann sowohl das Erkennen einzelner Bereiche auf einer Seite als auch die dahinter liegende Navigationsstruktur betreffen. Abbildung 36 www.tsg-rheda.de Abbildung 36 zeigt die Navigationsstruktur auf der Website eines Sportvereins. Schon auf der Hauptseite kann es für einen kognitiv Behinderten unter Umständen schwierig sein, die Navi gationselemente zu finden. Sie befinden sich im Kopf der Seite unterhalb des Seitentitels. 46 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Nach einem Klick auf Abteilungen erscheint der Hinweis „Klicken Sie eine Abteilung an um mehr über die Sportart sowie die Abteilung zu erfahren...“ Die Erwartung, dass nun eine Liste der Abteilungen folgt, wird nicht erfüllt. Diese Liste ist in extrem kleiner Schrift unterhalb der bisherigen Navigation erschienen. Abbildung 37 www.bahn.de Die Beschriftung und damit die Funktion von Navigationselementen ist oft unklar. Was unter scheidet in Abbildung 37, die die Hauptnavigation der Website der Deutschen Bahn zeigt, „Preise&Angebote“ von „Planen&Buchen“? Deckt ein „Reisebüro“ nicht alle vier Punkte ab? Was bedeutet im Zusammenhang mit der Bahn das Wort „Mobilität“? Was ist unter „Service“ zu verstehen? Nutzer, die die Bahn-Seite oft verwenden, können sich merken, dass die Bahncard unter „Preise&Angebote“ zu finden ist, die Frühbucher-Rabatte jedoch unter „Reisebüro“. Kognitiv Behinderte haben aber unter Umständen Schwierigkeiten, sich das zu merken. Sie müssen je des Mal wieder die ganze Seite absuchen oder die Suchfunktion benutzen. Abbildung 38 www.djk-rhede.de Problematisch sind generische Rubriken in der Navigation. Bei der Bahn ist es die Rubrik „Service“. Die Vereinswebsite in Abbildung 38 enthält die Rubriken „Der Verein“ und „Sons tiges“. Unter „Der Verein“ könnte man alles erwarten, was sich auf dieser Seite befindet, schließlich handelt es sich ja um die Website eines Vereins. Was unter „Sonstiges“ zu finden ist, ist ebenso unklar. Weitere Kandidaten für zu allgemeine Rubriken sind „Informationen“ und „Allgemeines“. 47 Websites mit vielen Querverbindungen können kognitiv behinderte Menschen verwirren. Es entsteht ein Gefühl der Desorientierung. Ein hier nicht gut darstellbares Beispiel ist das Angebot der europäischen Union. Seiten von verschiedenen Organisationen mit verschieden artiger Gestaltung und verschiedenen Navigationssystemen sind miteinander verbunden. Kognitiv eingeschränkte Surfer werden stark behindert, wenn nicht eindeutig klar gemacht wird, welche Optionen zur Verfügung stehen. Auf der in Abbildung 39 dargestellten Seite hat man den Eindruck, es gäbe keine weiteren Informationen. Erst nach einem Klick auf „English“ kommt man an die eigentlichen Inhalte, die man hinter diesem Begriff aber nicht erwartet. Abbildung 39 wwwcs.uni-paderborn.de/cs/ag-platzner/teaching/ws0506/rcVU.html Links sind zum Teil nur schwer zu finden oder erfüllen die von ihnen geweckte Erwartung nicht richtig. Abbildung 40 zeigt die Startseite von NBC Giga. Das Bild mit dem Text „Müssen wir bald gar nicht mehr schlafen?“ ist ein Link, als solcher aber nicht zu erkennen. Wer den Link nun gefunden hat und darauf klickt, landet nicht etwa auf dem Artikel, sondern erneut auf einer Übersichtsseite. Ein kognitiv behinderter Benutzer kann hierdurch verwirrt werden oder erhält den Eindruck, selbst etwas falsch gemacht zu haben. Auf dieser Seite kann man erneut auf das Bild klicken. Zusätzlich gibt es einen Hinweis darauf, dass man den Artikel nun lesen kann – mit „Read Article“ unverständlicherweise aber auf Englisch. Auch dann landet man aber nicht beim Artikel, sondern auf einer Seite, die nur einen Anreißer für den Artikel zeigt. Dort kann man dann auf einen Button zum Weiterlesen klicken, dieses Mal mit „Weiterlesen“ deutsch betitelt. Dieser lange Weg zum eigentlichen Inhalt enthält für kognitiv Behinderte derart viele Hürden, dass davon ausgegangen werden kann, dass diese die eigentlichen Inhalte nie zu sehen kriegen werden. 48 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Abbildung 40 www.giga.de Kognitiv behinderte haben oft ein schlechtes Sprachniveau. Das bedeutet, dass sie Schwierig keiten beim Lesen und Schreiben haben und dazu viel Zeit benötigen. Sie kennen oft nur den Wortschatz aus ihrem direkten Lebensumfeld und können sich nur sehr schwer in andere Be reiche hineinversetzen. Lange „Textwüsten“, also viel unstrukturierter Text, ist für viele kognitiv Behinderte eine große Hürde. Sie lesen langsam, stoßen eventuell auf unverständliche Worte und können Zu sammenhänge nicht herstellen. Der Artikel in Abbildung 41, der hier nur aus Platzgründen nebeneinander gezeigt wird, enthält außer Absätzen keine weiteren Strukturierungen und Verdeutlichungen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ein kognitiv behinderter Mensch Schwierigkeiten damit hat, den Text und seine Inhalte komplett aufzunehmen. Abbildung 41 www.berlinews.de/archiv-2003/1672.shtml Menschen, die nur langsam lesen können, werden durch inhaltsleeren Text unnötig behindert. Abbildung 42 zeigt einen typischen Werbetext ohne Inhalt. Auch das Bild ist inhaltslos und vermittelt keine weiteren Informationen. Abbildung 42 www.ifas.com 49 Übliche Kandidaten für langgezogene oder gänzlich überflüssige Texte sind Einleitungen. Abbildung 43 zeigt eine Willkommensnachricht, die nur sehr wenig Inhalte vermittelt und in erster Linie Fülltext ist. Kognitiv Behinderte verbringen eventuell viel Zeit mit dem Lesen dieses Textes, ohne etwas zu erfahren. Auf Grund ihrer geringen Leseerfahrung brechen sie nicht frühzeitig ab, wie es ein nicht behinderter, erfahrener Surfer tun würde. Schlimmsten falls sind sie dann verärgert und lesen die eigentlichen Inhalte der Website gar nicht mehr. Abbildung 43 Einleitungstext der Website der DJK Rheda 2003 Abkürzungen, Kunstworte und Fachtermini erschweren kognitiv Behinderten das Verständnis von Texten. Es ist ihnen, im Gegensatz zu nicht behinderten Menschen, nicht so leicht möglich, Worte aus dem Zusammenhang zu erklären, Abkürzungen zu erraten oder Anglizis men zu übersetzen. Folgendes Beispiel aus dem Angebot von T-Online enthält einige Anglizismen und Fachbe griffe, die nicht erklärt werden: Hersteller von Antiviren-Software und Microsoft stellen kostenfreie Tools zur Verfü gung, die den Computer automatisch auf eine "Sasser"-Infektion hin untersuchen und den Wurm vom System entfernen. Um die Tools zu verwenden, benötigen Sie keinen Virenscanner des Anbieters. Die Tools werden laufend an neue Varianten des "Sasser"-Wurms angepasst. Die onComputer Redaktion wird deshalb an dieser Stelle stets die akktuellen [sic!] Versionen zum Download bereitstellen. [www2.oncomputer.t-online.de/dyn/c/18/47/38/1847382.html] In diesem Ausschnitt und auch im Rest dieser Seite wird nicht erklärt, was ein Virus ist und was eine Antiviren-Software bewirkt. Begriffe wie Tools, Infektion, Version und System, die nicht zum normalen Sprachgebrauch gehören, können das Verständnis des Textes behindern oder gar ganz unmöglich machen. Das Wort „Wurm“ ist zwar bekannt, dürfte aber gerade deshalb in diesem Zusammenhang für Verwirrung sorgen, da eben nicht das Tier gemeint ist. Hinzu kommt noch das Kunstwort „onComputer“. Der irakische Rat der sunnitischen Gelehrten hat einen "Spiegel"-Bericht zurückge wiesen, wonach ihr Vorsitzender Al-Dhari eine baldige Freilassung der entführten Deutschen signalisiert hat. "Dieser Bericht ist unwahr ", sagte der Sprecher des Rates, Al-Tajbi. Al-Dhari, habe bei einem Treffen mit dem deutschen Botschafter im Irak le diglich seine Hoffnung geäußert, dass die beiden Männer bald freikämen. [www.n-tv.de] 50 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Texte im Nachrichten-Stil können ebenfalls eine große Hürde darstellen. Wie schon im vorhe rigen Beispiel fehlen Erläuterungen zu Fremdworten wie „sunnitisch“. Die größten Probleme bestehen hier aber in der Verwendung unüblicher Wörter wie „baldig“, „signalisieren“ oder „unwahr“. Hinzu kommen komplizierte grammatische Konstrukte wie Nebensätze und Kon junktive („dass die Männer bald freikämen.“) Menschen, die auf Grund ihrer kognitiven Behinderung nur schlecht lesen können, können in der Regel auch nicht gut oder gar noch schlechter schreiben. Dies wird überall da zu einem Problem, wo Eingaben verlangt werden. Das beginnt natürlich mit der Eingabe der Adresse in den Browser. Problematisch sind auch das Suchen (Abbildung 44) oder Einträge in Foren und Gästebücher. Abbildung 44 www.altavista.com 2.4.2 Maßnahmen zum Abbau der Barrieren 2.4.2.1 Navigationsbereiche eindeutig absetzen Navigationsbereiche müssen eindeutig als solche erkennbar sein. Das lässt sich zum Beispiel durch eine farbliche Abgrenzung und eine Positionierung am Rand realisieren. Dabei ist auf gleiche Gestalt zu achten, also dass eine Navigation auf allen Seiten einer Website gleich aus sieht und die gleichen Funktionen erfüllt [Hellbusch 107]. Wichtig, wenn eine große Anzahl an Navigationspunkten existiert, ist die Gruppierung der Links in logisch zusammenhängende Bereiche. Dies erleichtert das Auffinden der gesuchten Rubriken ungemein. [CAWS 124] Abbildung 45 zeigt die Website der Süddeutschen Zeitung. Die Navigation ist klar durch die Positionierung auf der linken Seite und durch die Farbe abgetrennt. Die Links sind nach Ressorts und Services gruppiert. 2.4.2.2 Aktuelle Position in der Seite darstellen Um die Orientierung innerhalb des Angebots zu verbessern, ist die aktuelle Position innerhalb der Navigation hervorzuheben. Abbildung 46 zeigt dies auf der Website der FAZ. In der Hauptnavigation wurde „Aktuell“ gewählt, in der darunter liegenden Unternavigation der Be reich „Wirtschaft“. Unterstützt wird die Navigation durch einen Pfad, einen sogenannten Bread-Crumb-Trail, der den Weg durch die hierarchische Navigation zu dieser Seite angibt. [Hellbusch 107] 51 Abbildung 45 www.sueddeutsche.de Abbildung 46 www.faz.de 2.4.2.3 Selbstbeschreibende Links Nicht nur innerhalb der Navigation ist sicherzustellen, dass Links selbstbeschreibend sind, das heißt auch dann verstanden werden können, ohne den Text oder die Bilder in der Umgebung zu lesen. Idealerweise entspricht der Linktext der Überschrift der Seite, auf die verlinkt wird. [Hellbusch 106] Links müssen immer als solche erkennbar sein. Blau und unterstrichen ist hier die sicherste Variante. Besuchte und bisher unbesuchte Links müssen dabei unterscheid bar sein. Da selbst gut durchdachte Navigationsstrukturen für kognitiv Behinderte eine Hürde dar stellen können, sollte das Auffinden von Informationen durch eine Sitemap und eine Such funktion unterstützt werden. Die Suchfunktion ist fehlertolerant zu gestalten (mehr dazu unter Kapitel 2.4.2.12). 52 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen 2.4.2.4 Lesbare Schrift verwenden (Typographie) Da kognitiv behinderte Menschen oft Schwierigkeiten beim Verständnis von Texten haben, ist darauf zu achten, dass nicht noch zusätzliche Hindernisse durch die Gestaltung des Textes geschaffen werden. Die Zeilenlänge ist zu begrenzen. Mehr als 70 Zeichen pro Zeile be hindern den Lesefluss. Auch Blocksatz und kursive Schrift können das Lesen am Bildschirm zusätzlich erschweren. Blocksatz ist vor allem bei sehr kurzen Zeilenlängen zu vermeiden, da hier dann große Lücken im Text entstehen. Kursive Schrift ist am Bildschirm auf Grund der relativ niedrigen Auflösung im Vergleich zum Druck nur schwer zu lesen. Abbildung 47 www.sueddeutsche.de Text muss so gestaltet werden, dass er kognitiv Behinderten verständlich ist. Je nach Thema wird es hier unumgänglich sein, von der Regel „Eine Version für alle“ abzugehen. Kom plizierte Vorgänge, technische Beschreibungen, wissenschaftliche Texte etc. lassen sich nicht verlustfrei in einfacher Sprache ausdrücken; eine einfachsprachige Version sollte also zusätz lich angeboten werden.26 Auf der anderen Seite können auch diese Texte oft einfacher gestaltet werden, ohne an Informationsgehalt zu verlieren. 2.4.2.5 Inhaltsleeren Text streichen Texte ohne oder mit nur geringem Informationsgehalt müssen gestrichen bzw. zu sammengefasst werden. Das gilt auch für überflüssige Details, die vom Hauptinhalt des Textes ablenken können. [sageseinfach] 2.4.2.6 Komplizierte Worte vermeiden oder erklären Kognitiv Behinderte kennen meist nur die Worte aus ihrer direkten Umwelt. Abstrakte Begrif fe wie „Kündigung“ oder „Einrichtung“ sollten daher vermieden werden. [sageseinfach] Das gilt insbesondere für Fremdworte, Fachjargon, Abkürzungen und Komposita. Fremdworte und Fachbegriffe lassen sich nicht immer vermeiden. Wenn sie sich nicht durch einen normalsprachlichen, deutschen Begriff ersetzen lassen, sollten die Begriffe beim ersten Vorkommen und zusätzlich in einem verlinkten Glossar erklärt werden. [Hellbusch 106]. Komposita wie „Behindertengleistellungsgesetz“ können immer in einzelne Worte wie „Gesetz zur Gleichstellung von Behinderten“ zerteilt werden, wobei das komplizierte Wort „Gleichstellung“ hier noch zu erklären wäre [Hellbusch 112]. Zum Beispiel könnte es der Ausdruck dann durch „Gesetz, das regelt, dass Behinderte und Nicht-Behinderte die gleichen Rechte und Chancen haben“ ersetzt werden. Wichtig ist in dieser Hinsicht, dass immer die gleichen Begriffe für das Gleiche verwendet werden. 26 Ein Beispiel für einen Text, der sich nicht verlustfrei in einfache Sprache umwandeln lässt, ist diese Studien arbeit. Viele der Regeln für einfache Sprache, wie etwa die Vermeidung von Konjunktiven oder passiven Ver ben, sind in wissenschaftlichen Texten nicht möglich. Natürlich ließe sich aber mit einigem Aufwand eine zu sätzliche Version dieser Arbeit in einfacher Sprache erstellen. 53 Abbildung 48 www.tivi.de/fernsehen/logo/start/index.html Es gibt leider nur wenige Websites, auf denen Fachbegriffe erklärt werden. Die meisten stammen direkt dem Umfeld kognitiv Behinderter (z. B. www.lebenshilfe-angesagt.de, ein Online-Magazin für kognitiv Behinderte). Was für kognitiv Behinderte nicht getan wird, findet man jedoch auf Websites für Kinder. Wie in Abbildung 48 zu sehen, werden Fachbe griffe, hier Vogelgrippe, erklärt. Ein Glossar gibt es auf der Logo-Site ebenfalls: es heißt dort Lexikon. 2.4.2.7 Abkürzungen vermeiden Abkürzungen sind nach der BITV beim ersten Mal zu erläutern, also in ihrer Langform aufzu schreiben. Da Texte auf Websites aber oft nicht komplett gelesen werden, kann die Erklärung der Abkürzung eventuell überlesen werden. [Hellbusch 95] [Clark 136] Empfehlenswert ist es daher, auf Abkürzungen, die nicht zum Allgemeinwissen gehören, zu verzichten und die Worte auszuschreiben. Abkürzungen, deren Bedeutung nicht erheblich ist (zum Beispiel ISDN oder DSL), müssen nicht ausgeschrieben werden. Es reicht eine Erklärung im Glossar. 2.4.2.8 Einfache Grammatik verwenden Lange Sätze mit komplizierten Satzgefügen sind zu vermeiden. Grammatische Konstruk tionen wie Konjunktive und passive Verbformen sollten ebenfalls vermieden werden27. Aus sagen werden dadurch unklar und unverständlich [sageseinfach]. Das gleiche gilt für doppelte Verneinungen. Oft ist dadurch nicht mehr klar, ob die Aussage oder ihr Gegenteil gemeint ist [Hellbusch 113]. 27 Diese Forderung ist ein Problem für journalistische Texte. Da hier oft Meinungen und Aussagen anderer wiedergegeben werden, ist die indirekte Rede und damit der Konjunktiv nötig. (Kanzlerin Merkel sei sehr zufrie den gewesen.) Auch Passivkonstruktionen lassen sich in Nachrichten oft nicht vermeiden. (Das Dorf wurde be schossen!) 54 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen Die Sätze müssen mit einfachen Satzzeichen (Punkt, Ausrufezeichen, Fragezeichen, Komma) getrennt werden. Komplexere Zeichen wie Semikolon oder Gedankenstriche sind für Men schen mit Leseproblemen ein zusätzliches Hindernis. Metaphern und Redewendungen sind zu vermeiden, wenn sie nicht sehr verbreitet sind. Sie können dann verwirren, weil sie für wahr genommen werden und vom eigentlichen Inhalt ab lenken. 2.4.2.9 Komplizierte Vorgänge mit Beispielen erklären Abstrakte und komplizierte Vorgänge sind für kognitiv Behinderte unverständlich. Sie müssen daher in praktischen Beispielen erläutert werden. Dabei ist immer davon auszugehen, dass der Leser keinerlei Vorkenntnisse besitzt, also auch scheinbar Eindeutiges erklärt und mit Beispielen belegt werden muss. Querbezüge zu anderen Themen und Seiten sollten dabei vermieden werden, da es vielen kognitiv Behinderten dann schwer fällt, bei einem Thema zu bleiben. 2.4.2.10 Absätze und Zwischenüberschriften einsetzen Jeder Satz sollte nur einen Gedanken beinhalten, jeder Absatz nur einen zusammenhägenden Gedankengang. Um das Erfassen der Zusammenhänge auf der Seite zu erleichtern empfehlen sich Zwischenüberschriften. Diese Überschriften müssen für sich stehend eindeutig sein. [Hellbusch 115] Abbildung 49 verdeutlicht dies an einem Wikipedia-Artikel. Durch die Zwi schenüberschriften ist es schnell möglich, die interessanten Teile des Textes zu finden. Abbildung 49 www.wikipedia.de 2.4.2.11 Bilder und Zeichnungen zur Erläuterung einsetzen Da kognitiv Behinderte mit Texten oft Schwierigkeiten haben, sind reine Textseiten ohne zu sätzliche Erläuterungen durch Bilder und multimediale Elemente zu vermeiden. [Hellbusch 116] Bilder und Fotografien können die Stimmung des Textes unterstützen oder das Ver ständnis für Orte und Gegebenheiten steigern. Zeichnungen können Zusammenhänge, die im Text nur schwierig zu erläutern sind, zusammenfassen. Ein Beispiel zeigt Abbildung 50. Die Schemazeichnung des Atomkraftwerks verdeutlicht den darunter befindlichen Text. 55 Abbildung 50 www.stadtwerke.clausthal.harz.de/wir/enerwin-atom.html 2.4.2.12 Formulareingaben vordefinieren oder korrigieren Kognitiv Behinderte haben in der Regel schlechte Schreibkenntnisse. Darauf muss bei Formu laren geachtet werden. Das kann zum Beispiel durch die Vorgabe von Antworten geschehen. Bei freien Eingabefeldern sollte die Eingabe kontrolliert werden. E-Mail-Adressen können zum Beispiel relativ leicht auf eine korrekte Form (z.B. auf Vorhandensein des @-Zeichens) kontrolliert werden. Bei Suchanfragen muss immer mit Rechtschreibfehlern gerechnet werden. Ein reiner Hinweis „Überprüfen Sie die Schreibweise!“ hilft da nicht weiter, da ein Legastheniker auch in mehre ren Versuchen Schwierigkeiten haben wird. Unterstützung erhält ein kognitiv Behinderter erst durch eine fehlertolerante Suche oder durch Vorschläge der korrekten Schreibweise (Abbil dung 51). Abbildung 51 www.google.de 56 2 Beeinträchtigungen und ihre Folgen 2.5 Widersprüche innerhalb der Barrierefreiheitsforderungen Liest man die Literatur zur Barrierefreiheit, hat man zunächst den Eindruck, es handele sich um ein abgeschlossenes Konzept. Vielfach wird behauptet, ein Webdesigner könne den Interessen aller Behinderungstypen gerecht werden, ohne dass es dabei zu Verschlechterungen für andere Gruppen, seien es behinderte oder nicht behinderte Menschen, komme. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass das so nicht stimmt. Exemplarisch seien hier an drei Beispielen die vielleicht augenfälligsten Widersprüche aufgezeigt. 2.5.1 Auswahlboxen in Formularen Auswahlboxen sind für blinde Nutzer einer Website möglichst zu vermeiden. Ihre Bedienung ist mit assistiven Technologien wie Braille-Zeile oder Sprachausgabe schwierig, da die Listen oft lang und schlecht navigierbar sind. Freie Eingabefelder sind hier eindeutig vorzuziehen. Kognitiv Behinderte jedoch stehen bei freien Eingabefeldern vor großen Schwierigkeiten. Eine Auswahlbox unterstützt sie viel mehr, da hier die möglichen Antworten vorgegeben sind. Probleme mit dem Eingabeformat oder der Rechtschreibung werden so vermieden. 2.5.2 Links zum Überspringen der Navigation Als Hilfe für Menschen mit motorischen Behinderungen sollten sichtbare Links zum Über springen der Navigation bzw. zum Überspringen des Inhaltsbereichs eingefügt werden. Die Betroffenen, die mittels der Tabulator-Taste von Link zu Link springen, können so große Mengen Links überspringen. Für alle anderen sind diese Links sinnlos. Sie sind sogar nachteilig, da sie beim Klicken mit der Maus scheinbar funktionslos bleiben. Was einen nicht behinderten Nutzer nur verwirren mag, kann für einen Nutzer mit kognitiver Behinderung zu einer echten Hürde werden. Ge rade für sie ist darauf zu achten, dass jeder Link eine eindeutige Funktion auslöst. 2.5.3 Barrierefreie Website oder barrierefreie Version? Die Idee, eine barrierefreie Version zusätzlich zur „multimedial aufgepeppten“ Version zu er stellen, wird zu Recht oft kritisiert. Joe Clark beispielsweise drückt es folgendermaßen aus: Seperate “accessible“ pages are wrong in principle, because they cause segregation. You’ve got your back-of-the-bus page for those disabled people and your regular page up front for the real people. [..] The bottom line is that separate is not equal. [Clark 59] Diese Einstellung entspricht dem Geist der Behindertengleichstellung. Schließlich ist ge fordert, dass die Welt behindertengerecht gestaltet wird, nicht etwa dass für die Behinderten eine Parallelwelt geschaffen wird. Kritisiert wird hier, eine Nur-Text-Version als barrierefrei zu bezeichnen. In der Tat ist das nicht der Fall. Eine reine Textversion kann allenfalls für Blinde ein Vorteil sein, wenn über haupt. Kognitiv Behinderte hingegen werden durch diese Version eher benachteiligt, da sie mit großen Textkolonnen in der Regel Schwierigkeiten haben. 57 Ein Problem des Angebots mehrerer Versionen ist, dass zwei Versionen gepflegt und ak tualisiert werden müssen. Abbildung 52 ist ein gutes Beispiel. Dort werden zwei Versionen der Seite angeboten. Abbildung 52 www.asta-bielefeld.de Wer auf „Zur barrierefreien Version“ klickt, erhält folgenden Hinweis: Willkommen auf der Internetpräsenz des 32. AStA der Universität Bielefeld. Diese Plain-Text-Seiten wurden auf der Grundlage der Richtlinien zur Barrierefreiheit im Internet erstellt. Leider ist diese Seite noch nicht fertiggestellt. Ich verspreche jedoch, dass dies nachge holt wird. Vielen Dank für euer Verständnis. Dennoch ist die Regel „Eine Version für alle“ nicht immer einzuhalten. Hörgeschädigte zum Beispiel sind zusätzlich zum Text auf Gebärdensprachfilme angewiesen. (Siehe Kapitel 2.2) Für kognitiv Behinderte sollten Texte in einfacher Sprache bereitgestellt werden. Ein Text in einfacher Sprache kann einen „komplizierteren“ Text aber nicht in jedem Fall komplett ersetzen. Auch hier ist alo eine Extraversion notwendig. (Siehe Kapitel 2.3) 58 3 Folgen für die Gebrauchstauglichkeit 3 Folgen für die Gebrauchstauglichkeit Im vorhergehenden Kapitel, das sich mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigte, war von Menschen mit Behinderungen die Rede. Bei der Gebrauchstauglichkeit hingegen spielen nicht-behinderte Menschen die Hauptrolle. Ziel dieses Kapitels ist es, die Gestaltungshin weise für barrierefreie Websites in Zusammenhang mit Forderungen zur Gebrauchstauglich keit zu bringen. Das Verhältnis der beiden Konzepte zueinander ist durchaus umstritten, wie ein Blick in ein schlägige Online-Magazine und Fachbücher zeigt. Joe Clark betitelt in seinem Buch „Buil ding accessible Websites“ den ensprechenden Absatz nicht ohne eine gewisse Belustigung mit „Philosophy Lesson“, ohne jedoch weiter zur Klärung beizutragen. Die Website Barrierekompass stellt das Verhältnis der beiden Konzepte wie folgt dar: Der Grund für die Schwierigkeiten, einen klaren Trennstrich zwischen Usability und Accessibility zu ziehen, liegt nicht direkt auf der Hand. Usability kümmert sich gar nicht um Accessibility. Die klassische Usability berücksichtigt nur die Menschen, die nicht in ihren Möglichkeiten eingeschränkt sind. [Barrierekompass] Dieser Logik folgend kann die Barrierefreiheit nicht ein Teil der Gebrauchstauglichkeit sein. Shawn Lawton Henry hingegen behauptet im Buch „Constructing Accessible Websites“ ge nau dies: Accessibility is a subset of a more general pursuit: usability. Put simply, usability means disigning a user interface that is effective, efficient, and satisfying. [CAWS 8] Jan Erik Hellbusch sieht in „Barrierefreies Webdesign“, dem deutschsprachigen Standard werk zu diesem Thema, ein Schnittmengenverhältnis zwischen den Konzepten, das er an den Überschneidungen der DIN EN ISO 9241 für Gebrauchstauglichkeit und der BITV für Bar rierefreiheit festmacht. Trotz vieler Überschneidungen wird eine Seite, die streng nach BITV entworfen wird, noch nicht alle Anforderungen der Usability erfüllen. [...] Es ist also immer zu emp fehlen, sich zusätzlich auch mit den Usability-Anforderungen für Webauftritte ausein ander zu setzen. Umgekehrt lässt sich sagen, dass ein Webauftritt, der gemäß den Usability-Richtlinien entworfen wurde, einige wichtige Anforderungen der Bar rierefreiheit erfüllen wird. Einige sehr spezielle Punkte [...] werden jedoch nicht be rücksichtigt. [Hellbusch 49] Der Grund für die verschiedenen Sichtweisen liegt in der unklaren Definition der Gebrauchstauglichkeit. Zwar gibt es auch im Bereich Barrierefreiheit Widersprüche, wenn es um die konkreten Forderungen geht – das eigentiche Ziel, nämlich Websites für Behinderte zugänglich zu machen, ist aber unstrittig. Der Bereich Gebrauchstauglichkeit ist nicht so klar definiert. Gehört zur Gebrauchstauglich keit zum Beispiel die Druckbarkeit einer Website oder die Verwendbarkeit auf einem Mo biltelefon? Ist das Ziel nur der durchschnittliche Nutzer oder sollten möglichst alle berück sichtigt werden. 59 Immer mehr werden Handys und Handheld-Computer für den Internetzugang verwendet. Während also einerseits die Bildschirme moderner Computer immer größer werden, werden immer mehr Geräte mit extrem kleinen Anzeigen für den Webzugang verwendet. Grund genug dafür, dass Autoren von Gebrauchstauglichkeits-Literatur diese Gruppe berück sichtigen [Nielsen 27] und das World Wide Web Consortium eine eigene Mobile Web Initia tive gegründet hat. In einem Dokument, das Empfehlungen zur Gestaltung von Websites für mobile Geräte gibt, wird auch das Begriff Usability auf diesen Bereich verwendet: Site usability relates to the structure, content and layout rules of a site and is a measure of the effectiveness of the mobile web site. [W3C_Mobile] Der folgende Versuch, Barrierefreiheit und Gebrauchstauglichkeit miteinander zu verbinden, basiert auf der Betrachtung von situativen Einschränkungen: [CAWS 13] Die Überlegungen und Folgerungen aus Kapitel 2 basierten auf der Untersuchung der funktionalen Einschränkungen: Menschen mit Behinderung haben eine funktionale Ein schränkung. Sie können schlecht oder gar nicht sehen oder hören, sich nur eingeschränkt be wegen oder haben eine kognitive Einschränkung. Diese Einschränkungen können sie nicht kurzfristig beeinflussen. Situative Einschränkungen betreffen auch Menschen ohne Behinderung im eigentlichen Sinne. Situativ eingeschränkt ist beispielsweise, wer eine Website mit einem Handy betrach tet. Er sieht dann, wie ein Sehbehinderter, nur einen kleinen Teil der Seite. Auch wer eine Website in einer Umgebung mit vielen Ablenkungen nutzt, ist situativ eingeschränkt. Er kann sich nicht konzentrieren und hat Schwierigkeiten, den Zusammenhang eines Textes zu ver stehen – ähnlich wie ein kognitiv Behinderter. Zum Beleg dafür, dass die Ergebnisse dieser Überlegungen sinnvoll sind, werden an entspre chender Stelle Entsprechende Hinweise aus der Gebrauchstauglichkeitsliteratur angegeben. 3.1 Situationsbedingte Sehbehinderungen Jeder kann in vielen Situationen bei der Bedienung einer Website sehbehindert sein. In vielen Situationen ist die Beleuchtungssituation beim Nutzen einer Seite nicht optimal. Laptopnutzer, die auf Fluren oder im Freien arbeiten, wissen, wie schwierig es manchmal ist, etwas zu lesen: Streulicht oder direkte Sonneneinstrahlung sorgen für Spiegelungen auf dem Display. In diesen Situationen, in denen der sichtbare Kontrast stark eingeschränkt ist, ist es wichtig, dass die Website selbst starke Kontraste verwendet. Feine Farbabstufungen können nicht mehr erkannt werden und sind somit auch für sehende Nutzer zu vermeiden, zumindest wenn die unterschiedliche farbliche Darstellung Informationen vermittelt. Komplementäre Farben sind in nahezu jeder Situation schlecht zu erkennen und daher zu vermeiden. (Siehe Kapitel 2.1.2.3) Eine ideale Farbkombination, die auch das Lesen am besten unterstützt, ist laut Nielsen das klassische „Schwarz auf Weiß“, direkt gefolgt von „Weiß auf Schwarz“. Störend sind dem nach komplementäre Farben und unruhige Hintergrundbilder. [Nielsen 126] 60 3 Folgen für die Gebrauchstauglichkeit Farben sind in vielen Fällen nicht zu sehen. Zwar ist der Einsatz von Monochrombild schirmen heute im PC-Bereich wohl eine Ausnahme, verbreitet sind aber noch monochrome Handybildschirme und vor allem Schwarz-Weiß-Drucker. Auch für Nutzer mit einem norma len Sehvermögen muss also darauf verzichtet werden, Informationen nur durch die Farbe zu vermitteln. (Siehe kapitel 2.1.2.1) Die weiteren Kriterien für lesbare Schrift finden sich ebenfalls in der Literatur zur Gebrauch stauglichkeit wieder. Nielsen empfiehlt linksbündigen Text und, gerade bei kleinen Schriften, eine serifenlose Schrift. (Siehe Kapitel 2.1.4.1) Abbildung 53: www.rheda-internet.de/scharnowski Abbildung 53 zeigt einen Ausschnitt einer Website, auf der die Informationen schlecht zu lesen sind, da die obigen Regeln allesamt verletzt wurden. Die Schreibschrift ist generell schwer zu lesen, die übige Schrift ist eine Schrift mit Serifen. Die Kombination rot auf blau ist nur schlecht zu erkennen. Die starke Struktur im Hintergrund tut ihr Übriges. Wenn nun noch schlechte Lichtverhältnisse hinzukommen, wird das Lesen unmöglich. Handys oder PDAs haben Anzeigen mit einer geringen Größe und geringen Auflösung. Nutzer dieser Geräte sind also ähnlich eingeschränkt wie sehbehinderte Nutzer, die eine nied rige Auflösung oder eine Bildschirmlupe einsetzen. Sie sehen nur einen kleinen Teil der We bsite auf einmal, haben also nicht die Möglichkeit, die Seite durch Überfliegen auf einen Blick zu erfassen. Die einzige Möglichkeit, sich einen Überblick zu verschaffen, ist, die Seite abzuscrollen. Die Hinweise zur Skalierbarkeit sind gerade für Handynutzer sinnvoll (Ver gleich Kapitel 2.1.4.2) Moderne Browser für Handys und PDAs verwenden Techniken, um auch Websites, die für die Darstellung auf großen Monitoren gedacht sind, darstellen zu können. Bilder werden automatisch verkleinert, Schriftgrößen angepasst (oder ignoriert) etc. Die Browser des Her stellers Opera haben sogar eine Routine, die Überschriften, die nicht mittels der korrekten Tags definiert wurden, erkennt. (Abbildung 54) [OperaSSR] 61 Fast alle Maßnahmen zur Beseitigung der Barrieren für Blinde können vollständig auch für die Benutzer von Handys und PDA angewandt werden: Die BITV – und damit auch viele Autoren von Litera tur über barrierefreie Websites – schreibt vor, dass Websites auflösungsunabhängig zu gestalten sind. Der Grund hierfür ist, dass sehbehinderte Menschen oft eine geringe Bildschirmauflösung verwenden, damit die Darstellung hinreichend groß ist. (Vergleich Kapi tel 2.1.4.2) Natürlich kann ein Webdesigner generell nicht wissen, welche Bildschirmgröße und welche Auflösung der Benutzer seiner Seite verwendet. Gerade Handys und PDAs haben eine extrem kleine Auflösung. Jakob Nielsen empfielt daher, generell auflösungsunabhän gig zu gestalten, das schließt ausdrücklich die Unter stützung verschiedener Schriftgrößen mit ein. [Nielsen 29] Bilder müssen mit einem Alternativtext hinterlegt werden, wenn sie Informationen tragen. Zwar können Abbildung 54: www.cnn.com im SSR Handys und PDAs Bilder anzeigen, auf Grund der niedrigen Auflösung und der langen Ladezeiten wird diese Funktion aber oft abgeschaltet. (Vergleich Kapitel 2.1.6.1) Textgrafiken sind in jedem Fall zu vermeiden! Diese Textgrafiken können nicht umgebrochen werden und werden auf Handys und PDAs extrem verkleinert. Der Opera-Browser, der inzwi schen auf vielen Handy und PDAs verwendet wird, ignoriert eine solche Grafik sogar ganz. Die Reihenfolge der Elemente im Quelltext muss sinnvoll sein. Browser für Handys und PDAs inter pretieren Stylesheets entweder gar nicht oder igno rieren Angaben zur Positionierung – die Quelltextrei henfolge ist also erheblich für die Anzeige auf dem mobilen Gerät. (Vergleich Kapitel 2.1.6.2) Abbildung 55 zeigt das bereits in Abbildung 18 ge zeigte Gästebuch. Genau wie für blinde Nutzer er scheint der Abschicken-Button auch auf Handys und PDAs an unlogischer Stelle. Abbildung 55: www.jahrgang2001.net 62 Linktexte müssen eindeutig sein. Blinde lassen sich oft nur eine Liste der Links ausgeben, um nicht immer die komplette Seite lesen zu müssen. Sinnfreie Linktexte wie „Klicken Sie hier!“ werden hier zu einem Hindernis. Auch für normalsichtige Menschen müssen Link-Texte sinnvoll sein, da der Benutzer sie zur Orientierung benötigt. (Siehe Kapitel 2.1.6.7) 3 Folgen für die Gebrauchstauglichkeit Nielsen beschreibt es folgendermaßen: Hypertext-Links werden in anklickbarem Text verankert. Dieser Anker sollten nicht übermäßig lang sein. Denn der Benutzer sucht eine Seite auf Links ab, um zu sehen, was er auf ihr alles tun kann. [...] Sie geben dem Auge des Benutzers während des Be trachtens eines Artikels Bezugspunkte. [Nielsen 55] Die Eingabefelder von Formularen müssen einfach gehalten werden. Nutzer von Handys und PDAs können nur kleine Teile eines komplexen Formulars sehen und haben bei der Be dienung großer Auswahlfelder Schwierigkeiten. (Siehe Kapitel 2.1.6.3) Bei Tabellen ist Zurückhaltung geboten. Große Tabellen können auf Handys und PDAs nicht sinn voll dargestellt werden. Abbildung 56 zeigt den Anfang einer Tabelle mit Wahlergebnissen. Auf Grund der geringen Breite und der fehlenden Über sicht sind die Daten nahezu unlesbar. (Siehe Kapitel 2.1.6.4) Große Linkbereiche müssen überspringbar, Haupt navigation und Inhalt direkt anspringbar sein. Nutzern von Handys und PDAs wird so ein langwie riges Scrollen über die komplette Seite erspart. (Sie he Kapitel 2.1.6.5) Dynamische Inhalte mittels Javascript sind zu Abbildung 56: www.stadt-muenster.de/ vermeiden bzw. dürfen nicht der einzige Zugang zu wahlen/land2005/Gesamt den Informationen sein. Handys und PDAs interpretieren Javascript in der Regel nicht. Selbst wenn das der Fall sein sollte, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Änderung außerhalb des Sichtbereichs des Nutzers befindet, sehr groß. Blinde Internetnutzer sind oft auf eine Sprachausgabe angewiesen. Selbst diese Art der Wiedergabe muss nicht unbedingt in einer Nische für Behinderte bleiben. Autofahrer bei spielsweise können, obwohl sie gut sehen können, ihre Augen, aber auch ihre Hände, nicht benutzen. Eine Sprachschnittstelle könnte hier Abhilfe schaffen. [Nielsen 38] 3.2 Hörschädigungen und Gebrauchstauglichkeit Jeder kann in vielen Situationen bei der Bedienung einer Website hörgeschädigt sein. Allerdings sind nicht Behinderte von der Haupteinschränkung vieler Hörgeschädigter, näm lich über schlechte Lese- und Schreibkenntnisse zu verfügen, hier nicht betroffen. Diese Pro blematik wird in Kapitel 3.4 genauer beschrieben. Hier geht es darum, Tonausgaben nicht wahrnehmen zu können. In vielen Situationen ist eine Tonausgabe nicht möglich oder die Umgebungslautstärke zu hoch. In diesen Situationen ist eine Klangdatei sinnlos und ein Video, insofern es nicht über Untertitel verfügt, wahrscheinlich unverständlich. Es muss also, wie für Hörgeschädigte, generell verhindert werden, dass Informationen nur per Ton vermittelt werden. Eine alterna tive Zugangsmöglichkeit über Text ist also Pflicht! (Siehe Kapitel 2.2.2.1) 63 3.3 Motorische Behinderungen und Gebrauchstauglichkeit Jeder kann in vielen Situationen bei der Bedienung einer Website motorisch eingeschränkt sein. Nutzer von Handys und PDAs sind auch hier wieder stark von den Einschränkungen betrof fen, da sie bei der Bedienung ihrer Geräte meist ausschließlich über eine Tastatur verfügen, die zudem auch noch sehr klein ist. Elemente, die nur mit der Maus bedienbar sind, verbieten sich damit. Das betrifft zum einen auf Javascript basierende Menüs, die auf Handys und PDAs in der Regel nicht funktionieren, und serverseitige Imagemaps28. Doch nicht nur Nutzer von mobilen Geräten können motorisch eingeschränkt sein. Viele Menschen, gerade Computerneulinge und ältere Menschen, haben Probleme bei der Be dienung der Maus. Sie können den Mauszeiger nur schwer punktgenau navigieren, vor allem, wenn sie auch noch Klicken müssen. Laptop-Benutzer haben ähnliche Probleme mit Touch pads, mit denen oft nur grob navigiert werden kann. Wie bei motorisch Behinderten sind daher kleine Bereiche zu vermeiden. Links sind ausrei chend groß und in ausreichendem Abstand zu platzieren. Unterstützende Techniken wie der Einsatz von Label-Tags sind auch hier sehr hilfreich. (Siehe Kapitel 2.3.2) 3.4 Kognitive Behinderungen und Gebrauchstauglichkeit Jeder kann in vielen Situationen bei der Bedienung einer Website kognitiv eingeschränkt sein. In vielen Situationen liegt die Aufmerksamkeit eines Webnutzers nicht vollständig bei der Website, die er gerade betrachtet. Er wird zum Beispiel durch seine Umgebung abgelenkt, ist müde, unkonzentriert oder in Eile. Auch Anfänger, die keine Erfahrung in der Bedienung von Websites haben, sind oft nicht mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit bei der Site, da auch die Browserbedienung, die Maus etc. ihre Aufmerksamkeit fordern. Literatur zum Thema Gebrauchstauglichkeit beschäftigt sich sehr intensiv mit dieser Unkon zentriertheit der Benutzer von Websites. Am direktesten drückt es Steve Krug aus, indem er sein Buch über Web-Usability mit „Don't make me think!“ betitelt. Krug, der eine Vielzahl von Usability-Tests durchgeführt hat, stellt fest, dass Websites in der Realität nicht komplett gelesen, sondern eher in Eile überflogen werden. Krug spricht vom „scannen“ und nennt Gründe für dieses Vorgehen: [Krug 22] – – – 28 Benutzer sind normalerweise in Eile. In der Regel sind Benutzer nicht an allem auf einer Seite interessiert. Auch Zeitungen und Zeitschriften werden auf diese Art „gescannt“. Es entspricht also der Gewohnheit. Eine Imagemap ist eine anklickbare Grafik. Je nachdem, wo auf die Grafik geklickt wird, folgt der Browser einem anderen Link. Ein Beispiel ist eine Weltkarte, auf der jeder Kontinent einzeln angeklickt werden kann und der Benutzer dann zu verschiedenen Seiten weitergeleitet wird. Imagemaps können so programmiert werden, dass sie Client-seitig funktionieren, also der Rechner des Benutzers entscheidet, wohin der Link geht, oder aber serverseitig. Dann wird zunächst nur die angeklickte Position übertragen und dann auf die Antwort des Servers gewartet. Nachteil dieser Methode ist, dass keine Alternativtexte angegeben werden können – die Navigation bei Abschaltung von Grafiken also funktionslos wird. 64 3 Folgen für die Gebrauchstauglichkeit Wie für Menschen mit kognitiven Behinderungen ist sicherzustellen, dass Zusammen hängendes auch zusammenhängend dargestellt wird. Speziell muss darauf geachtet werden, dass eine Navigation aus eindeutigen Elementen besteht, die immer gleich funktionieren und immer gleich aussehen. (Siehe Kapitel 2.4.2.1) Genau so schlägt es Krug ebenfalls vor. Elemente, die logisch verbunden sind, müssen auch visuell verbunden sein. Dies könne beispielsweise durch Gruppierung unter einer Überschrift, durch eine klare Positionierung oder einen abgesetzten Stil erreicht werden. [Krug32] (Siehe Kapitel 2.4.2.10) Metaphern sollten für kognitiv Behinderte vermieden werden, da sie eine zusätzliche Über tragungsleistung erfordern. Doch auch anderen Benutzern bereiten die Metaphern Probleme, da sie oft nicht verstanden werden und die eigentlichen Zusammenhänge auf der Website verschleiern. [Nielsen 180] (Siehe Kapitel 2.4.2.8) Abbildung 57 zeigt eine Seite mit einer oft verwendeten Stadt- bzw. Landschaftsmetapher. Diese Metapher ist in fast allen Fällen nicht angebracht. Dass man zum Eintragen in ein Gäs tebuch (ebenfalls eine oft verwendete Metapher, die sich aber durchgesetzt hat) zur Post muss, ist schon unpassend. Dass die Post in einem Turm untergebracht ist, ist ebensowenig ein leuchtend wie eine „Linkrakete“ und „Internet-Ameise“. Diese Metaphern erleichtern den Zugang zu den Informationen nicht, sondern erschweren ihn sogar. Abbildung 57: www.kidsville.de Überschriften müssen auch für nicht kognitiv Behinderte eindeutig sein. Leser von Websites lesen normalerweise eine Seite nicht komplett durch, sondern „scannen“ die Seite ab. Dabei achten sie besonders auf Überschriften. Die meisten Texte werden zunächst gar nicht gelesen. Erst wenn eine Überschrift oder ein Link interessant erscheint, wird dort weitergelesen. Wichtig ist also nicht nur eine Hauptüberschrift, sondern wichtig sind auch Untereinteilungen und Unterüberschriften. 65 Krug beschreibt unter dem Motto, Websites für das Überfliegen, nicht für das Durchlesen zu optimieren, dass man eine klare visuelle Hierarchie aufbauen soll, in der die wichtigsten Überschriften größer und klarer abgesetzt werden, als die unwichtigeren. [Krug 31] Seiten müssen dazu in klar definierte Teile geteilt werden, sodass der Nutzer schnell entscheiden kann, was für ihn interessant ist und was nicht. [Krug 36] Nielsen schlägt konkret drei Über schriften-Ebenen vor. Wie für Sehbehinderte schon gefordert, verlangt er Überschriften, die den Sinn des folgenden Absatzes zusammenfassen: [Nielsen 104] (Siehe Kapitel 2.4.2.10) Man sollte eher sinnvolle als „witzige“ Überschriften wählen. Die Überschrift soll dem Benutzer mitteilen, wovon der nächste Abschnitt handelt. Denn es ist sehr un freundlich, den Benutzer zum Lesen des darunter stehenden Textes zu zwingen. Die Navigation ist das Rückgrat einer Website. Für kognitiv Behinderte ist besonders wichtig, dass die Navigation immer an gleicher Stelle und auf die gleiche Art dargestellt wird. Die ak tuelle Position innerhalb der Navigationsstruktur sollte dargestellt werden, da kognitiv Be hinderte die Struktur der Seite nicht gut behalten können und dann nicht mehr wissen, wie das Angebot strukturiert ist und wo sie sich befinden. (Siehe Kapitel 2.4.2.2) Doch auch nicht kognitiv Behinderte sind auf eine einheitliche Navigation angewiesen. Schließlich kommt man nicht immer über die Startseite zum Inhalt. Wer über eine Suchma schine oder einen direkten Link auf eine Website kommt, ist auf eine gut funktionierende Navigation angewiesen. Eine einheitlich gestaltete Navigation versichert dem Benutzer, dass er sich noch immer auf der gleichen Seite befindet. [Krug 62]. Die Navigation einer Website wird vom Ersteller geplant. Diese Anordnungen sind oft für andere nicht verständlich, da sie anders an ein Thema herangehen. Sie erleben daher auf ihnen unbekannten Websites eine ähnliche Orientierungslosigkeit wie kognitiv Behinderte. Sitemaps und seiteninterne Suchmöglichkeiten helfen daher auch nicht kognitiv Behinderten sehr weiter. Eine klare Auszeichnung von Querverbindungen gehört ebenso dazu. Auch nicht Behinderte sind verwirrt, wenn sie plötzlich an einer anderen „Stelle“ der Website landen, als gedacht. (Siehe Kapitel 2.4.2.3) Benutzer, die abgelenkt oder in Eile sind, durchsuchen eine Website nicht nach eventuell nicht erkennbaren Links. Daher ist für jeden, nicht nur für kognitiv Behinderte, wichtig, dass Links als solche klar erkennbar sind. Das Gleiche gilt natürlich für alles, was klickbar ist, also zum Beispiel auch für Formularbuttons. Sowohl kognitiv Behinderte als auch alle anderen Benutzer von Websites profitieren davon, wenn Links nach der Konvention blau-unterstrichten dargestellt werden. Ebenfalls wichtig ist, dass schon besuchte Links erkennbar sind. Der Konvention nach werden diese Links lila dargestellt. [Nielsen 64] Abbildung 58 zeigt eine verwirrende Website. Die Navigation ist nicht klar abgegrenzt, son dern über die ganze Seite verteilt. Links sind dabei nicht auf Anhieb als solche zu erkennen. Man findet weder blauen noch unterstrichenen Text. Auch die Annahme, dass die Film klappen Links sind, stimmt nur teilweise. „Kino TIPP“ ist nicht verlinkt, ebenso „Holger Delfs Modellbauer“. Darauf, dass der Text „Leider mußte die Premiere verschoben werden...“ ein Link ist, muss gar hingewiesen werden. Besucht man die Unterseiten, stellt man fest, dass es keine konsistente Navigation gibt. Auf manchen Seiten werden Rubriken wiederholt, auf anderen tauchen neue auf. Von manchen Seiten existieren „zurück“-Links, auf anderen nicht. 66 3 Folgen für die Gebrauchstauglichkeit Abbildung 58: www.atlantistime.de Krug empfiehlt den sogenannten Kofferraum-Test. Ein Surfer, der auf eine beliebige Seite ge rät und somit genauso orientierungslos ist wie ein kognitiv Behinderter, sollte folgende Fragen stets beantworten können: [Krug 87] (Siehe Kapitel 2.4.2.2) – – – – – – Auf welcher Website befinde ich mich? Wie ist der Name der aktuellen Seite? Was sind die Hauptsektionen dieser Seite? Was kann ich auf dieser Seite tun? Wo befinde ich mich im Kontext der Website? Wie kann ich suchen? Hilfsmittel wie eine Brotkrumennavigation werden dabei auch nicht Behinderten zur Hilfe [Nielsen 206]. Das Gleiche gilt für Suchmöglichkeiten auf der Seite. Kognitiv Behinderte ver stehen oft den Aufbau einer Website nicht. Nielsen hat aber auch bei seinen Untersuchungen festgestellt, dass sich Benutzer einer Website oft auf einer Seite verirren. Deshalb sollte eine Suchmöglichkeit auf jeder Seite gegeben sein [Nielsen 225] und möglichst für NichtTechniker einfach bedienbar sein. Daraus geht hervor, dass Boolsche Ausdrücke nicht gut ge eignet sein. Eine Suchanfrage nach „Hunde UND Katzen“ beispielsweise führt meistens nicht zum Ergebnis, das sich der Suchende erhofft hat [Nielsen 227]. Kognitiv Behinderte haben Probleme zu lesen. Doch auch nicht Behinderte sind oft nicht sehr leseerfahren. Fachbegriffe, komplizierte Ausdrücke und grammatische Formen, die in ihrer Alltagssprache nicht vorkommen, sind für viele ein großes Hindernis. Daher gelten die Hin weise zur einfachen Sprache auch für nicht kognitiv Behinderte – allerdings mit Ein schränkungen. 67 Kognitiv Behinderte sollten nicht durch inhaltsleeren Text unnötig belästigt werden, da sie oft nicht in der Lage sind, dies sofort zu erkennen und zu überspringen. Doch auch für nicht Be hinderte ist inhaltsleerer Text zu vermeiden, da er die Bedienung der Website verlangsamt. Ein Benutzer muss den Text erst einmal anlesen und geht schlimmstenfalls davon aus, dass auch der Rest der Website ohne Inhalt ist. (Siehe Kapitel 2.4.2.5) Krug formuliert das drastisch: [Krug 45] Get rid of half the words on each page, then get rid of half of what's left. [...] When I look at most Web pages, I'm struck by the fact that most of the words I see are just ta king up space, because no one is ever going to read them. And just by being there, all the extra words suggest that you may actually need to read them what's going on, which often makes pages more daunting than they actually are. Jacob Nielsen begründet das mit der langsameren Lesegeschwindigkeit am Bildschirm. Studien haben demnach ergeben, dass am Bildschirm etwa 25% langsamer gelesen wird als von Papier. Generell werde Lesen am Bildschirm als unangenehmer empfunden, weshalb Texte nicht nur auf 25% sondern auch auf 50% gekürzt werden sollten. Abkürzungen und Fachbegriffe sind für viele Menschen ein Hindernis beim Verstehen der In halte von Website. Auch komplizierte grammatische Gefüge wie Passiv und Konjunktiv können durchaus eine Hürde darstellen. Die Regeln für einfache Sprache, wie man sie für Nutzer mit kognitiven Behinderungen verwenden sollte, können aber nicht ohne weiteres für nicht Behinderte übernommen werden. Nutzer mit einem normalen Sprachvermögen werden vielmehr eher behindert, wenn die Spra che zu einfach gehalten wird. Durch die Verwendung von einfacher Sprache werden Texte sehr lang und mitunter ungenau. Die vielen kurzen Sätze sorgen für eine abgehackte Sprache, die das flüssige Lesen eines Textes behindert. Man betrachte beispielsweise folgenden Text des Gebärdenwerks: [www.dgs-filme.de/GWHomepage/gebaerdensprache_ls.htm] Viele Leute glauben, dass die Gebärdensprache überall auf der Welt gleich ist. Aber das stimmt nicht. Jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache. Eine andere Lösung können Texte in einfacher Sprache sein. Texte mit einfachen Worten und kurzen Sätzen sind leichter zu verstehen. Der Text ist durch die Verwendung der einfachen Sprache für einen nicht kognitiv Be hinderten schwer zu lesen. Zusammenhängendes (oder sich Widersprechendes) lässt sich mit Nebensätzen oft geschickter ausdrücken als mit vielen einzelnen Sätzen (hier also besser: „Aber das stimmt nicht, denn jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache.“ und „Eine ande re Lösung können Texte in einfacher Sprache sein, denn Texte mit einfachen Worten und kurzen Sätzen sind leichter zu verstehen.“). Die Verwendung des Konjunktivs ist bei nichtwörtlichen Zitaten und Meinungsäußerungen vorgeschrieben (hier müsste es heißen: „dass die Gebärdensprache überall auf der Welt gleich sei.“). Nur so kann unterschieden werden, ob ein Autor seine eigene Meinung ausdrückt oder die Meinung eines Anderen wiedergibt. 68 3 Folgen für die Gebrauchstauglichkeit Ähnlich wie für kognitiv Behinderte sollten möglichst keine Kenntnisse vorausgesetzt, kom plizierte Worte und Zusammenhänge immer erklärt und mit Beispielen belegt werden. Jedoch gibt es hier natürlich Unterschiede. Während einem kognitiv Behinderten das Wort „E-Mail“ eventuell erklärt werden muss, kann eine Erklärung für nicht kongitiv Behinderte kurz aus fallen oder ganz wegfallen, je nach Zielgruppe des Textes. (Siehe Kapitel 2.4.2.6) Anders im Beispiel des Newslettereintrags auf der Website drweb.de. Es ist zunächst einmal nicht erklärt, was ein Newsletter ist. Nun kann man dieses Wort gerade auf einer Website über Webdesign, vielleicht voraussetzen. Auf der Seite zum Abonieren findet sich dann aber folgender Hinweis: Achtung: Double Opt-in Verfahren. Sie erhalten nach Abschicken des Formulars eine Email [sic!]. [www.drweb.de/verwaltung/newsletter.shtml] Der Begriff „Double Opt-in“ ist wohl für viele zu erklären. Der folgende Satz erklärt das Prinzip aber nicht ausreichend. Besser wäre hier, auf den unverständlichen Begriff zu verzich ten und den Vorgang in zwei Sätzen zu erklären. Schnelles Lesen und Überfliegen hat zur Folge, dass viele der Hinweise zur Textgestaltung für kognitiv Behinderte auch für andere Nutzer gelten. Da beim Überfliegen eines Textes oft nur der Anfang eines Absatzes gelesen wird, kann ein Hauptinhalt verloren gehen, wenn mehr als eine Idee in einem Absatz behandelt wird. [Nielsen 111] (Siehe Kapitel 2.4.2.10) Nicht nur für kognitiv Behinderte sondern für jeden können Grafiken das Verständnis von Zu sammenhängen und Stimmungen sehr steigern. Sie ermöglichen im Speziellen oft, sich schnell einen Eindruck zu vermitteln oder, bei Schemazeichnungen, Zusammenhänge schnell zu verstehen. (Siehe Kapitel 2.4.2.11) Schreibprobleme betreffen nicht nur kognitiv Behinderte. Gerade Worte, die selten ge schrieben werden, englische Begriffe oder Fachbegriffe, werden oft falsch geschrieben. Tipp fehler oder Flüchtigkeitsfehler passieren jedem. Websites werden außerdem oft auch von Be suchern genutzt, die eine andere Sprache als Muttersprache sprechen. Rechtschreibschwierig keiten in der Fremdsprache sind hier einzukalkulieren. Eine integrierte Rechtschreibkontrolle oder fehlertolerante Suche hilft daher allen. (Siehe Kapitel 2.4.2.12) Fehlerhafte Eingaben sind ebenfalls ein Problem bei Formularen. Formulare sind daher für je den Benutzer von Websites möglichst simpel zu halten. Vorgewählte Antworten aus Aus wahlboxen sind hier eine große Hilfe. Fehleingaben durch falsche Eingabeformate sind so komplett ausgeschlossen. Laut Krug mögen Benutzer Entscheidungen, die kein Nachdenken erfordern. [Krug 41] Andererseits gehören Auswahlboxen zu den Elementen, die ihren Inhalt erst nach Interaktion zeigen. Dadurch lassen sie sich nicht überfliegen, was ihren Einsatz einschränkt, wenn es dar um geht, einen Überblick über die Auswahlmöglichkeiten zu bieten. [Krug 115] Abbildung 59 zeigt diesen Nachteil von Auswahlboxen. Der eigentliche Sinn einer Sitemap, dem Benutzer einen Überblick oder das Angebot der Seite zu verschaffen, ist nicht gegeben, da sich die Inhalte der Auswahlboxen erst durch Anklicken zeigen. 69 Abbildung 59: rwe.de/generator.aspx/cockpit/sitemap/language=de/id=14786/sitemap.html 70 4 Literatur 4 Literatur 4.1 Buchquellen [Nielsen] Designing Web Usability Jakob Nielsen 2001 Markt+Technik Verlag ISBN 3-8272-6206-2 [Krug] Don't make me think Steve Krug 2000 New Riders ISBN 0-7897-2310-7 [Hellbusch] Barrierefreies Webdesign Jan Eric Hellbusch 1. Auflage 2005 dpunkt.verlag GmbH, Heidelberg ISBN 3-89864-260-7 [Clark] Building accessible Websites Joe Clark 2002 New Riders ISBN 0-7357-1150-X [CAWS] Constructing Accessible Web Sites Jim Thatcher, Paul Bohman, Michael Burks, Shawn Lawton Henry, Bob Regan, Sarah Swierenga, Mark D. Urban, Cynthia D. Wadell 1. Auflage 2002 glasshaus Ltd. ISBN 1-904151-00-0 [Münz] Professionelle Websites Stefan Münz 1. Auflage 2005 Addison-Wesley-Verlag ISBN 3-8273-2218-9 71 4.2 Onlinequellen Bei der Auswahl der Onlinequellen wurde darauf geachtet, möglichst beständige Websites als Quelle heranzuziehen. Die angegebenen URLs wurden im März 2006 besucht und enthielten zu diesem Zeitpunkt den angegebenen Inhalt. [Behindertenstatistik_2003] Statistik der schwerbehinderten Menschen 2003 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2005 http://www.destatis.de/download/d/solei/schwerbbehinderte03.pdf [ISO 9241] Die EN ISO 9241 – 10 Zusammenfassung auf KommDesign.de http://kommdesign.de/texte/din.htm [ARD-Onlinestudie05] ARD/ZDF-Online-Studie 2005 Birgit von Eimeren, Beate Frees http://www.daserste.de/service/ardonl05.pdf [Behindertengleichstellungsgesetz] Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen 27. April 2002 http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bgg/gesamt.pdf [Grundgesetz] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 23. Mai 1949 http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf [Barrierekompass] Accessibility im Schatten der Usability Barrierekompass August 2004 http://www.barrierekompass.de/weblog/index.php?itemid=217 [MS-ENABLE] Aging Workforce and Accessible Technology Ellen Mosner, Craig Spiezle Juli 2003 Accessibility at Microsoft http://www.microsoft.com/enable/aging/workforce.aspx [WCAG] Zugänglichkeitsrichtlinien für Web-Inhalte 1.0 (Deutsche Übersetzung) Web Accessibility Initiative – World Wide Web Consortium 5. Mai 1999 http://www.w3.org/Consortium/Offices/Germany/Trans/WAI/webinhalt.html 72 4 Literatur [WAI] Web Accessibility Initiative (WAI) World Wide Web Consortium http://www.w3.org/WAI/ [BITV] Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik Bundesministerium des Innern 2002 http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bitv/gesamt.pdf [DBSV] Wer ist blind, wer sehbehindert? Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. http://www.dbsv.org/infothek/Infothek.html#wer [DBSV_Braille] Die Blindenschrift Gabi Schulze, Dr. Thomas Kahlisch Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. http://www.dbsv.org/infothek/braille.html [Braille_FAQ] Informationen über die Brailleschrift Vivian Aldridge http://www.braille.ch/faqs-d.htm [EFA_Gehörlos] Gehörlose können doch lesen…? Christine Linnartz 05.05.2003 Einfach für alle – Aktion Mensch http://www.einfach-fuer-alle.de/artikel/gehoerlos/ [EFA_Kognitiv] Kognitive Behinderungen Cyndi Rowland, PhD 21.10.2004 Einfach für alle – Aktion Mensch http://www.einfach-fuer-alle.de/artikel/kognitive-behinderungen/ [Gebärdenwerk] Gebärdensprache - was ist das? Gebärdenwerk http://www.dgs-filme.de/GWHomepage/gebaerdensprache.htm?auswahl= [Legasthenieinfo_ADHS] ADHS - Symptomatik, Ätiologie, Diagnostik und Therapie www.legasthenietherapie-info.de http://www.legasthenietherapie-info.de/adhs-ritalin.html 73 [BVL_Legasthenie] Symptomatik Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie http://www.bvl-legasthenie.de/index.php?zwei=true&page=legasthenie [Bildschirmarbeitsverordnung] Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bildschirmgeräten 4. Dezember 1996 http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bildscharbv/gesamt.pdf [statistisches_bundesamt] Mehr als 8 Millionen behinderte Menschen Statistisches Bundesamt Pressemitteilung vom 2. Dezember 2004 http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm2004/p5140085.htm [sageseinfach] Sag es einfach! - Europäische Richtlinien für leichte Lesbarkeit Europäische Vereinigung der ILSMH http://www.inclusion-europe.org/documents/101.pdf Seiten 13 und 14 [OperaSSR] Making Small Devices Look Great My Opera Community http://my.opera.com/community/dev/device/ssr/ [W3C_Mobile] Mobile Web Best Practices 1.0 World Wide Web Consortium 13 January 2006 http://www.w3.org/TR/mobile-bp/ 74 5 Abbildungsverzeichnis 5 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 de.wikipedia.org (Bildschirmlupe, hoher Kontrast, extragroß)........................... 12 Abbildung 2 Das Wort Internet in Braille-Schrift.....................................................................12 Abbildung 3 Braille-Zeile mit 8 Punkten - Quelle: Wikipedia................................................. 13 Abbildung 4 Eine Großfeldtastatur der Firma Igel. ................................................................. 16 Abbildung 5 Integramaus und Bildschirmtastatur ................................................................... 16 Abbildung 6 images.tchibo.de/eCS/Store/ch/Tarife_HKG_d_2006v3.pdf.............................. 23 Abbildung 7 homepage.hispeed.ch/edu-oekonomie/Wohlstand/wohlstand-2q1.htm...............24 Abbildung 8 www.djkrheda.de / de.wikipedia.org ........................................................ 24 Abbildung 9 wwwhni.uni-paderborn.de bei 800x600 Pixeln................................................... 26 Abbildung 10 www.rtl.de bei vergrößerter Schrift im Firefox-Browser.................................. 26 Abbildung 11 Textbeispiel in verschiedenen Schriftarten........................................................ 27 Abbildung 12 de.wikipedia.org/wiki/Internet........................................................................... 27 Abbildung 13 Vergrößerte Darstellung im Internet Explorer 7 und Opera 8.......................... 29 Abbildung 14 www.spiegel-online.de für blinde Menschen nicht nutzbar ............................. 31 Abbildung 15 www.nba.com/statistics/player/Scoring.jsp....................................................... 31 Abbildung 16 Die gleiche Seite der NBA, wie sie ein Blinder erlebt ......................................32 Abbildung 17 www.alpha-version.de/jahrgang/gaestebuch.php.............................................. 32 Abbildung 18 Alternative Darstellung ..................................................................................... 32 Abbildung 19 www.rhedalamos.net..........................................................................................33 Abbildung 20 www.trinkberater.de.......................................................................................... 33 Abbildung 21 www.nba.com - Teamauswahl...........................................................................34 Abbildung 22 Die gleiche Auswahl ist für blinde Benutzer nahezu nicht bedienbar............... 34 Abbildung 23 Bei der Sächsischen Zeitung heißen viele Links "mehr" oder "Fotos"..............35 Abbildung 24 www.leben-mit-behinderungen.nrw.de..............................................................37 Abbildung 25 Karte des Islamischen Kalifats ..........................................................................37 Abbildung 26 Politische Stimmung (Quelle: ZDF Politbaromenter)....................................... 37 Abbildung 27 www.handelsblatt.com/rd/bm/parteiprogramme.html....................................... 39 Abbildung 28 www.djkrheda.de............................................................................................... 39 Abbildung 29 Gebärdensprachfilm des Finanzministeriums....................................................42 Abbildung 30 www.tagesschau.de ...........................................................................................43 Abbildung 31 www.elmundo.es/traductor................................................................................ 43 Abbildung 32 www.drweb.de – Navigation ............................................................................ 44 Abbildung 33 www.nba.com.................................................................................................... 44 Abbildung 34 www.cm4u.net................................................................................................... 45 Abbildung 35 www.acb.org...................................................................................................... 45 Abbildung 36 www.tsg-rheda.de.............................................................................................. 46 Abbildung 37 www.bahn.de..................................................................................................... 47 Abbildung 38 www.djk-rhede.de..............................................................................................47 Abbildung 39 wwwcs.uni-paderborn.de/cs/ag-platzner/teaching/ws0506/rcVU.html............. 48 Abbildung 40 www.giga.de...................................................................................................... 49 Abbildung 41 www.berlinews.de/archiv-2003/1672.shtml...................................................... 49 Abbildung 42 www.ifas.com.................................................................................................... 49 Abbildung 43 Einleitungstext der Website der DJK Rheda 2003.............................................50 Abbildung 44 www.altavista.com.............................................................................................51 Abbildung 45 www.sueddeutsche.de........................................................................................52 Abbildung 46 www.faz.de........................................................................................................ 52 Abbildung 47 www.sueddeutsche.de........................................................................................53 Abbildung 48 www.tivi.de/fernsehen/logo/start/index.html.....................................................54 75 Abbildung 49 www.wikipedia.de............................................................................................. 55 Abbildung 50 www.stadtwerke.clausthal.harz.de/wir/enerwin-atom.html...............................56 Abbildung 51 www.google.de.................................................................................................. 56 Abbildung 52 www.asta-bielefeld.de........................................................................................58 Abbildung 53: www.rheda-internet.de/scharnowski.................................................................61 Abbildung 54: www.cnn.com im SSR......................................................................................62 Abbildung 55: www.jahrgang2001.net..................................................................................... 62 Abbildung 56: www.stadt-muenster.de/ wahlen/land2005/Gesamt..........................................63 Abbildung 57: www.kidsville.de.............................................................................................. 65 Abbildung 58: www.atlantistime.de......................................................................................... 67 Abbildung 59: rwe.de/generator.aspx/cockpit/sitemap/language=de/id=14786/sitemap.html.70 76