Der Anstoß stellt vor Markus Erhard von "Ornito"

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Der Anstoß stellt vor Markus Erhard von "Ornito"
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Inhaltsverzeichnis
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Leserbrief
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Homosexualität und Strafrecht in der Bundesrepublik
Alles was RECHT ist?
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Statements der SpitzenkandidatInnen der Parteien zur Trierer Stadtratswahl am 7. Juni 2009
Wie werden Sie sich für die Belange der schwul-lesbischen Bürger in Trier einsetzen?
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Blutspenden in Deutschland
Ein Fallbeispiel alltäglicher Homophobie
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Lesbisches Kreuzworträtsel
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Lesben in Japan
Ein Essay (nicht nur) über Missverständnisse
17
Der Anstoß stellt vor
Markus Erhard von "Ornito"
19
Pam Ann live
Die Fleisch gewordene politische Unkorrektheit tourt durch Europa
21
Gedicht
Nächstenliebe
Anstoß - Triers neue unabhängige Zeitschrift für Lesben und Schwule
Nr. 34, Sommer 2009
Herausgeber:
Redaktion:
Layout:
Titelseite:
Autonomes SchwulenReferat und Autonomes feministisches Frauen- und Lesbenreferat im
AStA der Universität Trier
Corinna Weiler (cw), Raphael Konietzny (rk), Verena Maser (vm), David Kötz (dk), Burkhard Vogel (bv)
Raphael Konietzny
Max Auerswald (Foto: © Juan Llauro - Fotolia.com)
Anschrift der Redaktion:
Redaktion Anstoß
c/o Autonomes SchwulenReferat im AStA der Uni Trier
Universitätsring 12 b
54286 Trier
Telefon: 0651/201 35 75 Anzeigen-Telefon: 0651/601 48 84
Fax: 0651/201 39 02
E-Mail: [email protected]
Auflage:
Druck:
500 Exemplare
PrintIn, Trier
Der Anstoß erscheint zweimal pro Jahr und wird kostenlos in Trier und Umgebung verteilt.
LeserInnenbriefe senden Sie bitte an die oben genannte Anschrift.
Wenn Sie den Anstoß mit einer Anzeige oder als Redakteur unterstützen möchten, schreiben Sie uns bitte eine E-Mail.
3
Leserbrief
Zum Artikel „Wie haben Lesben Sex?“,
Ausgabe 33
Eine lediglich „vermutete Mehrheitsmeinung“ taugt
meiner Ansicht nach nicht als Grundlage für einen
Artikel. Gut finde ich, dass Cora ihre persönliche
Einschätzung wenigstens kenntlich macht, statt –
wie es immer wieder getan wird – den Eindruck zu
erwecken, dass es sich hier um empirisch überprüfte
Einstellungen handle.
Andererseits frage ich mich, ob die Mehrheit
unseres Kulturkreises tatsächlich der offensichtlich
absurden Vorstellung, Lesben hätten keinen
„richtigen“ Sex, anhängt.
In der eingestreuten Bemerkung, Heteros würden
„eher für ein freies Tibet irgendwo weit weg als
gegen
Homophobie
im
eigenen
Land
demonstrieren“, schwing ein vorwurfsvoller
Unterton mit, den ich problematisch finde. Sicher
kann man mangelnde Solidarität beklagen, dabei
sollte man sich allerdings nicht abwertend über
anderweitiges politisches Engagement äußern (was
von Cora bestimmt nicht intendiert war, aber so
aufgefasst werden kann). Rein theoretisch könnte
ich ja auch argumentieren, der Einsatz für die
Rechte von Homosexuellen sei ein nachrangiger
Luxus, solange jedes Jahr Millionen von Tieren in
der industriellen Massenvernichtung gequält und
ermordet werden. Tue ich aber nicht, denn das wäre
arrogant.
Nach der Lektüre insbesondere des vorletzten
Absatzes werden die LeserInnen sich die Frage
„Wie macht ihr das eigentlich?“ bei der nächsten
Gelegenheit sicherlich verkneifen. „Was du nicht
willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen
zu.“, dieses Sprichwort erweist sich immer wieder
als goldene Regel für ein besseres Zusammenleben
aller Wesen. Klingt pathetisch, ist aber so.
Solidarische Grüße,
Alex
5
Homosexualität und Strafrecht in der Bundesrepublik
Alles was RECHT ist?
Bedenkt man, dass der § 175 des Strafgesetzbuches
(StGB) bis zum 10. März 1994 in der
Bundesrepublik Deutschland existiert hat, wirkt die
einstige strafrechtliche Verfolgung homosexueller
Handlungen gar nicht so fern, wie es sich heute in
Momenten knallbunter CSD-Paraden schnell mal
anfühlt.
Zunächst ein rechtsgeschichtlicher Abriss: Besagter
§ 175 StGB stammt in der ursprünglichen Fassung
von 1871 aus dem Strafgesetzbuch des
Norddeutschen Bundes, das 1872 zu dem
Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches wurde und
geht zurück auf den § 143 des Allgemeinen
Preußischen Landrechts. Die Aufnahme erfolgte im
Übrigen entgegen der Auffassung der Gutachter der
so genannten Preußischen wissenschaftlichen
Deputation für Medizinalwesen, und zwar unter
Rückgriff auf das „Rechtsbewusstsein im Volke“,
das diese Handlungen als Verbrechen beurteile. Der
Tatbestand im Reichsstrafgesetzbuch lautete bis zur
Verschärfung durch die Nationalsozialisten 1935
folgendermaßen: „Die widernatürliche Unzucht, welche
zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von
Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu
bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte erkannt werden.“ Das Rechtsbewusstsein
des Volkes war also dahingehend kodifiziert
worden, dass nur männliche Homosexualität
strafbar war. Diese unterschiedliche Behandlung, die
allen Fassungen des § 175 StGB gemein war,
versuchte das Bundesverfassungsgericht noch 1957
in dem berühmt-berüchtigten „HomosexuellenUrteil“ unter anderem damit zu rechtfertigen, dass
die „Gefahr der Verbreitung der Homosexualität
beim Manne weit größer ist als bei der Frau“ unter
Verweis auf das „hemmungslose Sexualbedürfnis“
des homosexuellen Mannes. Mit Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte sind vor allem der Entzug
des Wahlrechts und die Aberkennung akademischer
Titel gemeint. 1935 verschärften die Nazis den §
175 durch Heraufsetzen des Strafmaßes. Die
Höchststrafe wurde auf fünf Jahre Gefängnis
festgesetzt. Außerdem genügten nunmehr bereits
die „wollüstige Absicht“ und die „objektive“
Verletzung des „allgemeinen Schamgefühls“. Der
neu eingeführte qualifizierte Tatbestand (§ 175a
StGB),
der
die
Ausnutzung
eines
Abhängigkeitsverhältnisses,
homosexuelle
Handlungen mit Männern unter 21 Jahren und die
männliche Prostitution ahndete, wies sogar ein
Strafmaß von bis zu zehn Jahren Zuchthaus auf.
Diese Gesetze wurden in das Recht der
Bundesrepublik übernommen. Nach einer 1955
eingelegten Verfassungsbeschwerde kam es zu der
oben bereits erwähnten Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichtes von 1957 (Fundstelle:
BVerfGE 6, 389-443). Darin heißt es, dass die
Strafvorschriften
gegen
die
männliche
Homosexualität nicht gegen den speziellen
Gleichheitssatz der Absätze 2 und 3 des Artikel 3
des Grundgesetzes verstoßen, weil der biologische
Geschlechtsunterschied
den
Sachverhalt
so
entscheidend präge, dass etwa vergleichbare
Elemente daneben vollkommen zurücktreten.
Insbesondere sei auch kein Verstoß gegen das
Grundrecht auf die freie Entfaltung der
Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG festzustellen,
da die homosexuelle Betätigung gegen das
Sittengesetz verstoße und nicht eindeutig
festgestellt werden könne, dass ein öffentliches
Interesse an ihrer Bestrafung fehle. Der Einwand
gegen die Geltung der §§ 175, 175a StGB wegen
des nationalsozialistischen Ursprunges sei gemäß
Art. 123 Abs. 1 unbegründet, da es genüge, dass
diese Bestimmungen beim Zusammentritt des
Bundestages formell noch gegolten haben und von
den Gerichten angewandt worden sind. Neben der
Begründung
der
Ungleichbehandlung
von
männlicher und weiblicher Homosexualität, sticht
besonders die Aussage des Verfassungsgerichts ins
Auge, die sich auf das Recht auf freie Entfaltung
der Persönlichkeit bezieht. Es räumt nämlich im
Urteil explizit ein, dass der Bereich des
„Geschlechtlichen“ zu diesem Grundrecht zähle,
jedoch das Sittengesetz demgegenüber die
rechtliche Schranke sei. Neben der langen Liste
damals angehörter Sachverständiger fällt vor allem
der Bezug zu der Haltung der Kirchen auf. Ab 1969
waren dann nur noch die qualifizierten Fälle
(früherer § 175a StGB) strafbar. 1973 erfolgte eine
zweite Reformierung, nach der nur noch der Sex
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mit Minderjährigen strafbar war, wobei das
Schutzalter von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt wurde.
Erst 1994 wurde dann § 175 StGB ersatzlos
aufgehoben. Der Münchner Rechtsanwalt Dr.
Johannes Wasmuth bezeichnet anlässlich einer
Tagung, die 50 Jahre nach dem zitierten
Verfassungsgerichtsurteil stattfand, das in der
Bundesrepublik verübte Homosexuellenstrafrecht
(über 50.000 Verurteilungen) die „mit Abstand
größte Menschenrechtsverletzung in der Geschichte
der Bundesrepublik“. Abgesehen von den
einschneidenden Folgen einer Verurteilung, die weit
mehr als die eigentliche Freiheitsstrafe umfassten,
war wohl das Leben mit der ständigen Angst
entdeckt zu werden, insbesondere für die Zeit im
Nationalsozialismus prägend; aber auch noch lange
genug danach. Die Denunziation durch die lieben
Nachbarn
war
sehr
oft
Anlass
eines
Ermittlungsverfahrens.
Und
ein
Ermittlungsverfahren in dem Bereich des absolut
Intimen ist mindest genauso entwürdigend wie die
unverhohlen verächtlichen Blicke der Denunzianten
oder derer, die sich mit Gerede begnügten. Nicht
selten gerieten Menschen in Situationen von
Erpressbarkeit und sogar des Verlustes von
Lebensmut. Zwar waren nicht alle Richter von der
Verfassungsmäßigkeit des § 175 StGB überzeugt,
was die Vorlage des Amtsgerichts Eutin an das
Bundesverfassungsgericht von 1972 zeigt, doch
blieb dies eine Ausnahme und änderte die
Auffassung des Verfassungsgerichtes in keiner
Weise. Auch in einem Urteil des Wehrdienstsenates
des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1983
wird ein Bescheid des Bundesministers der
Verteidigung wiedergegeben, in dem es bezüglich
des
„Sicherheitsrisikos“
der
homosexuellen
Veranlagung eines Berufssoldaten hieß, dass der
notwendigerweise durch eine homosexuelle
Veranlagung bedingte Mangel an vertrauensvollem
und kameradschaftlichem Kontakt dazu führe, dass
entsprechend veranlagte Offiziere in der
Bundeswehr fern liegende Kreise gedrängt würden.
Es würde daher als ungebracht empfunden werden,
wenn diese dieselben Sicherheitsstufen wie alle
anderen Offiziere zuerkannt erhielten und ihnen
der Zugang zu Verschlusssachen eröffnet würde.
Das Gericht beanstandete diese Einstufung nicht.
Wie hier straften faktisch nicht nur die
Strafgerichte, sondern auch Verwaltung und
Bundeswehr
das
Ausleben
von
gleichgeschlechtlicher
Liebe
ab.
Dabei
sanktionierten sie auf ihre eigene Art und dies mit
unerschütterlicher Überschreitung von Grenzen der
Intimsphäre und – wie die Zitate auffallend belegen
– ohne jeglichen Vorbehalt, sich mit lapidaren
Einschätzungen, beispielsweise bezogen auf die
Kameradschaftlichkeit,
der
Lächerlichkeit
preiszugeben.
Dies ist also zumindest rechtliche Vergangenheit.
Jedoch besteht im Grundgesetz immer noch kein
explizites
Diskriminierungsverbot.
Der
Grundrechtsschutz für Homosexuelle wird auf das
allgemeine Persönlichkeitsrecht gestützt, abgeleitet
aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1
Absatz 1 Grundgesetz. Für Eingriffe in den
Schutzbereich dieses Rechts kann nach Wortlaut des
Artikel 2 Absatz 1 theoretisch auch das Sittengesetz
noch herangezogen werden. Zwar besteht in
Rechtsprechung und Lehre mittlerweile die Ansicht,
dass die Schranke des Sittengesetzes keine
eigenständige Bedeutung mehr hat. Allerdings wäre
es daher umso wünschenswerter, wenn dieses
verschwommene und wenig griffige Wort gar nicht
mehr im Grundgesetz zu lesen wäre. Darüber
hinaus wäre eine ausdrückliche Ergänzung des
Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz ein unübersehbares
Zeichen in Richtung Toleranz. Zwar gelten die
Grundrechte unmittelbar nur für das Verhältnis von
Staat zu Bürger, jedoch würde dieser deutliche
Schritt mittelbare Wirkung für das Verhältnis der
Bürger
untereinander
bedeuten
und
die
Vorbildfunktion des Staats unterstreichen. Die
relativ liberale Einstellung in großen Teilen der
heutigen Gesellschaft ist keineswegs für immer
gewonnen. Meinungen ändern sich, die Gesellschaft
verändert sich und damit auch Gesetze und
Rechtsprechung. In einem Artikel der Zeitschrift
„DIE ZEIT“ aus dem Jahre 1999 berichtet ein
Mann, dass es in den Zwanziger Jahren Leute gab,
die sich für schwul ausgaben, weil es „schick“
gewesen sei. 15 Jahre später hätten sie dies wohl
kaum noch getan. Schwul- bzw. Lesbischsein ist
keine Mode, kein Trend, sondern eine Anlage, die
niemandem Schaden zufügt und zählt zum
Ureigensten und Elementarsten des Menschen an
sich. Es gehört zu den Menschenrechten, dies
auszuleben. Menschrechte sollten aber weder kurznoch
langfristig
Meinungsschwankungen
unterliegen, sondern unerschütterlich sein, so sie
einmal aufgedeckt wurden. (dk)
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Statements der SpitzenkandidatInnen der Parteien zur
Trierer Stadtratswahl am 7. Juni 2009
Wie werden Sie sich für die Belange der schwullesbischen Bürger in Trier einsetzen?
"In den vergangenen Jahren hat unsere Gesellschaft sich
dankenswerterweise positiv dahingehend entwickelt, dass das Thema
schwule oder lesbische Mitbürger frei von Emotionen diskutiert
wird; ja, man kann sagen, dass das Verhältnis, jedenfalls, was unsere
Stadt Trier betrifft, insgesamt unverkrampft geworden ist. Unter
Berücksichtigung dieser Sicht der Dinge denke ich, dass es müßig
geworden ist, darüber noch längere Diskussionen zu führen.
Selbstverständlich werde ich mich auch weiterhin gegen Intoleranz
in jeder Form verwahren."
Bertrand Adams, Spitzenkandidat der CDU
"Toleranz gegenüber der Meinung des anderen ist seit
der Gründung der UBM Kennzeichen unserer
Kommunalpolitik. Gleichgeschlechtliche und bisexuelle
Partnerschaften sind ein Bestandteil unserer Gesellschaft.
Die UBM und ich als Spitzenkandidatin für die
Stadtratswahl gehen in unserer politischen Arbeit offen
auf diese Situation ein und treten für die gesellschaftliche
Akzeptanz von lesbischen und schwulen Menschen ein.
Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften sind immer
noch nicht als gleichberechtigte Lebensform in der
Öffentlichkeit anerkannt. Deshalb hat sich die UBM in
der Vergangenheit und wird sich auch in Zukunft dafür
einsetzen, dass die spezifischen Problemlagen von
Lesben und Schwulen sensibler wahrgenommen und sie
vor Ausgrenzung oder Diskriminierung geschützt
werden. Wir als Freie Wähler vertreten die Auffassung,
dass zur Freiheit und Würde eines jeden Menschen auch die Selbstbestimmung der sexuellen Identität und
Orientierung gehört. Deshalb wird sich die UBM im Stadtrat nach wie vor um die Anliegen der Lesben und
Schwulen kümmern. Wir sehen gerade auf kommunaler Ebene die Möglichkeit, Vorurteile und
Diskriminierung durch Aufklärungsarbeit und die Akzeptanz fördernde Maßnahmen sowie durch direkte
Umsetzung der Verbesserungsvorschläge von Schwulen und Leben zu beseitigen. Wir begrüßen
ehrenamtliche Initiativen die versuchen, Probleme aufzuzeigen und konstruktive Lösungen zu entwickeln."
Christiane Probst, Spitzenkandidatin der UBM
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"Einige Punkte, die uns wichtig erscheinen:
• Unterstützung des CSD (Christopher Street Day); wir waren dort
noch jedes Jahr mit einem Stand vertreten
• Unterstützung der gemeinnützigen Tätigkeiten der SchMIT e.V.
(z.B. Rosa Telefon)
• Regelmäßiger Austausch mit Vertretern aus den verschiedenen
schwul-lesbisch-bisexuellen Gruppen (z.B. in Rahmen unseres AKKommunal, der montags in der Gaststätte Frankenturm stattfindet
und immer einem zentralen Thema gewidmet ist. Kontakt über
unsere Geschäftsstelle im Rathaus).
• Hinwirken auf eine(n) feste(n) Ansprechpartner(in) in der Verwaltung und auch in unserer Fraktion
Unterstützung heißt dabei für uns nicht immer finanziell (z.B. über den einen oder anderen kommunalen
Topf), sondern auch ideell mit unserer Präsenz oder dadurch, dass wir bestimmte Themen politisch
aufgreifen und regelmäßig auch unsererseits in Kontakt treten."
Anja Matatko, Spitzenkandidatin der Grünen
"Trier muss sozialer, gerechter und offener werden. Diese Offenheit
unserer Gesellschaft zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass Toleranz
und Gleichberechtigung gestärkt werden. Die Trierer SPD tritt daher
dafür ein, dass Institutionen wie die AIDS-Hilfe oder das Schmit-Z,
und dort angeschlossene Vereine, mit der Stadt rechnen können.
Ebenso wollen wir, dass die Stadt Trier den jährlichen CSD als
wichtige kulturelle, gesellschaftliche aber auch politische Institution
entschlossen unterstützt. Für mich ist klar, dass wir in unserer Stadt
Vielfalt, ob in Kultur oder Sexualität, stärker leben und akzeptieren
sollten. Denn nur eine vielfältige Gesellschaft, in der Familie überall
dort ist, wo Menschen sich umeinander kümmern und füreinander
da sind, ist für die Trierer SPD und mich lebenswert. In Trier geht
mehr, jedoch nur, wenn die SPD im neuen Stadtrat stärker vertreten ist. Treten Sie mit uns in Kontakt,
lernen Sie uns kennen und überzeugen Sie sich selbst davon, dass wir Trier gemeinsam mit Ihnen weiter
bringen wollen. Wir würden uns freuen, wenn auch Sie unseren Slogan unterstützen und für ein offeneres
Trier eintreten, indem Sie rufen: „Trier – da geht mehr! Am 7.6. wähle ich Sven Teuber und die Trierer
SPD."
Sven Teuber, Spitzenkandidat der SPD
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"Die FDP verfolgt eine Politik, die Menschen in ihrer Vielfalt berücksichtigt, anerkennt und fördert.
Chancengleichheit und die Möglichkeit zum selbst bestimmten Leben, unabhängig von Geschlecht,
ethnischer Herkunft, Alter, sexueller Ausrichtung, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, sind
zentrale liberale Ziele. Deshalb tritt die FDP etwa seit langer Zeit dafür ein, dass gleichgeschlechtliche
Beziehungen und Partnerschaften nicht schlechtergestellt sein dürfen als die Ehe zwischen Mann und Frau.
Entsprechende Gesetzesinitiativen sind bereits mehrfach gestartet und teilweise auch umgesetzt worden.
Hierzu werden Sie sicherlich einiges im Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl finden. Auf
kommunaler Ebene sind die politischen Einflussmöglichkeiten eher gering. Selbstverständlich gibt es keinen
Grund, schwule oder lesbische Menschen wegen ihrer Sexualität in irgendeiner Form zu benachteiligen. Sie
haben die gleichen Rechte und Pflichten wie jede/r andere auch. Deshalb werden wir uns, soweit wir als
Stadtratsmitglieder in irgendeiner Form betroffen sind, auch auf kommunaler Ebene dafür einsetzen, dass
egal ob im Bereich der städtischen Verwaltung oder sonst im öffentlichen Leben auf die Grundsätze der
Gleichbehandlung geachtet wird."
Thomas Egger, Spitzenkandidat der FDP
Anmerkung der Redaktion:
Selbstverständlich hatten wir auch den Spitzenkandidaten der Partei DIE LINKE um
ein Statement gebeten. Trotz mehrfacher Aufforderung wurde uns dies bis
Redaktionsschluss allerdings nicht zugesandt.
(rk)
Blutspenden in Deutschland
Ein Fallbeispiel alltäglicher Homophobie
Geht man durch Trier, sieht man oft Plakate, auf
denen zur Blutspende aufgerufen wird. Dieser Aufruf
richtet sich freilich nicht an die schwulen Trierer,
denn diese sind dauerhaft von der Blutspende
ausgeschlossen.
Wer einmal zur Spende war, weiß, dass vor dem
Aderlass ein Fragebogen auszufüllen ist, bei dem
Angaben
zur
eigenen
Gesundheit
und
Infektionsrisiken gemacht werden müssen. Dort
wird unter anderem gefragt, ob man zur Gruppe der
„Drogenabhängigen, männlichen oder weiblichen
Prostituierten, Strafgefangenen oder homo- und
bisexuellen Männer“ gehört. Kreuzt man hier „ja“
an, ist man schon ausgeschieden aus dem Kreis der
Auserwählten, die Blut spenden „dürfen“, denn laut
den Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK)
haben diese Personen ein gegenüber der
Gesamtbevölkerung erhöhtes Übertragungsrisiko
für das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) und
das Hepatitis B- (HBV) und C-Virus (HCV). Laut
Deutscher AIDS-Hilfe (DAH) soll man sich deshalb
aber nicht grämen, denn man befindet sich
schließlich mit der Queen und dem deutschen
Außenminister, die beide (aus anderen Gründen) in
Deutschland auch nicht spenden dürften. Ob dies
ein Trost ist, ist fraglich.
Um es von vorne herein klarzustellen: Natürlich ist
es unerlässlich, dass das Risiko der Übertragung
einer Infektionskrankheit möglichst gering gehalten
wird. Im Folgenden soll es auch eher darum gehen
aufzuzeigen, dass leider bei der Erstellung der
entsprechenden Gesetze und Richtlinien Sexismus
und Homophobie an der Tagesordnung sind. Allein
die Tatsache, dass homo- und bisexuelle Männer auf
jedem Fragebogen bei Blutspendeaktionen in einem
Atemzug mit den anderen genannten Gruppen
genannt werden, zeugt nicht gerade von Taktgefühl.
Die Gewinnung von Blut, Blutbestandteilen und
Blutprodukten wird in Deutschland seit 1998 durch
10
das Transfusionsgesetz (TFG) geregelt. § 5 spricht
der BÄK die Kompetenz zu, Richtlinien zu
erstellen, welche Personen zur Blutspende
zugelassen werden dürfen und welche nicht. Diese
Aufgabe nimmt sie in Zusammenarbeit mit dem
Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und dem Robert-KochInstitut
(RKI)
wahr,
die
beide
dem
Bundesministerium für Gesundheit unterstellt sind.
Nach diesen Richtlinien haben sich alle
Institutionen zu richten, die Blutspenden
durchführen (wie z.B. das Deutsche Rote Kreuz).
Das Gesetz schreibt weiterhin vor, dass jede
Blutspende zumindest auf HIV, HBV und HCV
untersucht werden muss. Man könnte sich daher
fragen, wieso Schwule pauschal von der Blutspende
ausgeschlossen werden, wenn ohnehin jede
Blutspende getestet wird. Das Problem ist das
Zeitfenster, das zwischen einer Infektion und deren
Nachweisbarkeit liegt. Hat sich jemand frisch mit
HIV infiziert und geht zur Blutspende, kann ein
Test durchaus negativ ausfallen, auch wenn eine
Infektion bereits vorliegt. Ob heterosexuelle
Personen einem potentiellen Infektionsrisiko durch
ungeschützten
Geschlechtsverkehr
ausgesetzt
waren, wird nicht gefragt – ob man intimen Kontakt
mit einer der o.g. Personengruppen hatte allerdings
schon. Hierbei kommt es dann nicht darauf an, ob
dieser Kontakt geschützt oder ungeschützt war.
Somit wird impliziert, dass ungeschützter
heterosexueller Verkehr mit wechselnden Partnern
als sicherer eingeschätzt wird, als geschützter
Kontakt zwischen zwei Männern, die eine
monogame Beziehung führen.
Während die BÄK „homo- und bisexuelle Männer“
pauschal ausschließt, sind RKI und die DeutscheAids-Hilfe da schon etwas differenzierter. Sie reden
von MSM, d.h. „Männer, die Sex mit Männern
haben“. Damit wird dem Problem Rechnung
getragen, dass es auch Personen gibt, die dieser
Gruppe angehören, sich selbst aber nicht als schwul
oder bisexuell bezeichnen und somit beim
Fragebogen auch entsprechend mit „nein“
antworten würden. Des Weiteren weisen beide
Institutionen darauf
hin, dass auch für
heterosexuelle Personen ein Risiko besteht, nämlich
wenn sie häufig wechselnde Sexualpartner haben.
Diese Nuancierung weist bereits in die richtige
Richtung: nicht die sexuelle Orientierung soll
ausschlaggebend sein für die Eignung als Spender,
sondern die Häufigkeit wechselnder Sexualkontakte,
egal ob gleich- oder verschiedengeschlechtlich. Die
aktuelle Regelung unterstellt Schwulen pauschal
einen
promiskuitiven
und
unreflektierten
Lebenswandel. Leider wird auch in der Broschüre
zum aktuellen Wissensstand über HIV und AIDS
der Deutschen Aidshilfe immer noch das Klischee
bedient, dass Schwule im Gegensatz zu
Heterosexuellen keine monogamen Beziehungen
führen. Dort wird beiden Gruppen empfohlen,
beim Verkehr mit Gelegenheitspartnern Safer Sex
zu betreiben. Den Heterosexuellen wird diese
Praktik darüber hinaus auch bei neuen Beziehungen
bis zum gesicherten Ergebnis eines HIV-Tests nahe
gelegt. Da man(n) (mit Frau) danach laut AIDSHilfe ungeschützten Verkehr betreiben kann, wird
impliziert,
dass
heterosexuelle
Beziehungen
automatisch monogam sind. Bei den Empfehlungen
für MSM kommt das Wort „Beziehung“ gar nicht
erst vor - anscheinend geht man davon aus, dass
Schwule sowieso keine Beziehungen führen, ohne
dass nebenbei noch Sex mit anderen Partnern
praktiziert wird.
Fraglich ist, wie lange Deutschland es sich noch
leisten kann, pauschal schwule Männer von der
Blutspende auszuschließen. Laut einer Studie der
Universität Greifswald werden schon 2010 in
Mecklenburg-Vorpommern 35% der benötigten
Blutkonserven fehlen. Durch den medizinischen
Fortschritt und die steigende Zahl komplizierter
Operationen werden in Zukunft immer mehr
Blutkonserven benötigt werden und das bei
schwindender Bereitschaft bei der jüngeren
Bevölkerung, Blut zu spenden.
Wirft man einen Blick auf andere europäische
Länder, dann sieht man, dass man dort teilweise
schon weiter ist. In Italien sind Schwule seit 2001
zur Blutspende zugelassen. Dort wird bei der
Spenderbefragung das individuelle Risikoverhalten
ermittelt, egal ob hetero oder homo. Im ersten Jahr
stieg die Zahl der Spenden um signifikante 20% und
die Zahl der infizierten Spenden ging dabei sogar
leicht zurück. Auch in Spanien ist das Verbot längst
aufgehoben worden.
Es ist also an der Zeit, die pauschale Verurteilung
von Schwulen als promiskuitiv und unfähig, das
eigene Sexualverhalten einzuschätzen, zu beenden
und zeitgemäße Richtlinien für die Blutspende zu
erstellen. (bv)
11
12
1. Verstorbene Freundin der Fotographin Annie
Leibovitz
2. Ort, an dem sich frustrierte Single-Lesben nicht
schreiben
3. Leider (?) einzig relevantes überregionales rein
lesbisches Presseerzeugnis
4. Eiskalte Regenbogen-Lobbyisten (Abk.)
5. Dank Finanzkrise neue lesbische
Spitzenpolitikerin
6. US-amerikanische Vorzeigelesbe vom Dienst
7. Ausweitung medialer Präsenz per Satellit
8. „Das Private ist...“
9. Ex-Frontfrau der Rainbirds
10. DAS kulturelle Highlight in Trier
11. Vater Thomas, Bruder Klaus
12. Expertin für Lesbenpornos
13. Insel mit (selbstempfundenen) Imageproblemen
14. Nicht nur Tochter
15. Eigentlich anspruchslos, trotzdem findet's (fast)
jede Lesbe toll
16. Lesben zu konservativ, Konservativen zu
lesbisch (Tochter eines US-Amerikaners)
17. Textete unter anderem für Pink
18. Rothaarige Schönheit, üblicherweise im
Vierergespann unterwegs
19. Szene-Mittelpunkt Triers
20. Versuchte durch Attentat auf Andy Warhol dem
utopischen Ziel einer männerfreien Gesellschaft
näherzukommen
21. Lesbische Tennislegende
22. Hedonistische Glatzenträgerin
23. Kondom für Frauen
24. Junge Frauen in Einheitskleidung
25. Dunkelblaue Mädchen
26. Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der
Männer
27. Durchgeknallt!
28. Wagen den Spagat zwischen Papst und
Regenbogen
29. DVD-Serie nach gleichnamiger
Kuchendekoration
30. Film: Nicht hier, sondern drüben
31. Film über skurriles Ex-Gay-Camp
32. Film: Flucht vor dem Kopftuch als Mann
verkleidet
33. Kanadische Singer-Songwriterin (Nachname)
34. Spielte lesbische Fechtlehrerin in "Die another
day"
35. Als Clarice Starling auf den Spuren eines
Menschenfressers
36. Früheste lesbische Dichterin
37. Sollte jede ordentliche Lesbe zur
Selbstverteidigung in der (Hand)tasche tragen
38. Itty Bitty ___ Committee
39. Vermeintlich schwul-lesbisches Wohnviertel in
Trier
40. Dafür steht das S in AStA
41. Pseudo-lesbische russische Mädchenband
42. Weitere Pseudo-Lesbe – hope her boyfriend
don't mind it
43. Better than ____
44. Erinnerungen eines kleinen Haustiers
45. Lesbischer Homosella-Film 2008
46. Ninas himmlische ___
Auch diesmal gibt es einen großartigen Preis zu gewinnen:
Eine Rolle qualitativ hochwertige, multifunktionale Frischhaltefolie
Schickt die Lösung mit euren Kontaktdaten bis zum 13. Juli 2009
an [email protected].
Die/Der GewinnerIn wird am 16. Juli im Café Queer des Schwulenreferats
(ab 13 Uhr, Studihaus oben links) bekannt gegeben.
Viel Glück!
(cw/vm)
13
Lesben in Japan
Ein Essay (nicht nur) über Missverständnisse
Gibt es in Japan Lesben? Diese Frage scheint einfach,
ist aber kaum zu beantworten. Eigentlich müsste die
Antwort "Ja" lauten, schließlich leben auch in Japan
Frauen, die Frauen lieben. Aber das ist auch schon
das Problem: Sind diese Frauen wirklich "Lesben"?
Das heißt, definieren sie sich als solche? Und wenn
nein, als was definieren sie sich dann? Leider hat sich
bisher kein/e Wissenschaftler/in daran getraut, dieser
Frage nachzugehen. Somit können wir an dieser
Stelle nur festhalten: In Japan ist für gewöhnlich die
Frage, mit wem man das Bett teilt für die eigene
Identität unerheblich. Über lesbisches Leben in Japan
zu schreiben, gestaltet sich also höchst schwierig.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war es auch unnötig,
sich über Liebe zwischen Frauen Gedanken zu
machen. Zwar kursierten einige erotische
Holzschnitte (shunga) und – wenn man dies als
Beweis für die Existenz "lesbischer" Frauen sehen
will – hölzerne Dildos. Auch gab es Gerüchte über
Frauenliebe bei buddhistischen Nonnen und unter
den Frauen und Mätressen des Shōgun
(militärischer Herrscher). Aber sehr viel mehr
Sichtbarkeit war der "lesbischen" Liebe nicht
gegönnt. Was wenig verwundert, denn Frauen im
allgemeinen wurde keine Sexualität zugestanden.
Zurückhaltung und Unterordnung unter den Mann
waren geboten.
Anstoß zur Veränderung kam aus dem Westen, der
1868 Japan gewaltsam aus seiner über 200-jährigen
Isolation holte und es allen Einflüssen des Auslands
öffnete. Eines der Resultate war der Ausbau des
Bildungswesens. Erstmals hatten nun auch Mädchen
die Chance auf Bildung – hier dominierte allerdings
das Leitbild der "Guten Ehefrau und weisen
Mutter" (ryōsai kenbo), welches die Regierung
zwischen 1890 und 1910 förderte. Gleichzeitig
führte diese Bildungsexpansion aber zu neuem
Freiraum für die Mädchen, zunächst natürlich vor
allem für jene aus wohlhabenden Familien. Da viele
aus den Provinzen in die Hauptstadt Tōkyō kamen,
wo damals (und auch heute) der Puls der Zeit
schlug, waren sie zum ersten Mal der Kontrolle der
Familie entzogen. Da sie aber noch nicht verheiratet
waren, standen sie auch noch nicht unter Aufsicht
eines Ehemanns. Diese Mädchen lebten meist in
Wohnheimen, die teils den Schulen angegliedert
waren, teils zu Organisationen wie der YWCA
(Young Women's Christian Association) gehörten.
Diese
Mädchen
wurden
auch
bald
als
Konsumentinnen entdeckt und bekamen eigene
Zeitschriften. Und man gab ihnen einen neuen
Namen: shōjo – noch nicht ganz weibliche Frauen,
wie es die Wissenschaftlerin Jennifer Robertson
übersetzt.
Liebe zwischen Mädchen oder Frauen war vor allem
in den Wohnheimen präsent. In der Presse waren sie
immer wieder Thema, vor allem dann, wenn es
wieder einmal einen Doppelselbstmord(-versuch)
von zwei Mädchen oder Frauen gegeben hatte. Auf
der anderen Seite hielten aber viele Wissenschaftler
der damaligen Zeit die Liebe zwischen Mädchen für
harmlos, da platonisch. Auf die unschuldige Natur
verweist auch der Name für diese Beziehungen: esu,
also "S", als Abkürzung für sister, Schöne oder auch
shōjo.
Yoshiya Nobuko
Nichtsdestotrotz gab es aber auch damals schon
Frauen, die man als echte "Lesben" bezeichnen
kann, auch wenn sie sich selbst wohl nie so genannt
haben. Prominenteste Vertreterin ist Yoshiya
Nobuko (1896-1973). Yoshiya ist die (in Japan)
bekannteste Vertreterin der shōjo-Literatur, Romane
geschrieben für eben jene jungen Mädchen, die nach
einem neuen Ort nur für sich selbst suchten. Ihre
bekanntesten Werke (die allerdings nie in westliche
Sprachen übersetzt wurden) sind die dreibändige
Sammlung
"Hana
monogatari"
("Blumengeschichten") und der Roman "Yaneura no
ni shojo" ("Zwei Jungfrauen auf dem Dachboden").
Für den modernen (westlichen) Betrachter sind
14
Yoshiyas Geschichten eher verwirrend: sie triefen
geradezu vor großen Emotionen und Symbolen.
Die Mädchen schauen mit großen Augen auf zum
Mond, vergießen viele Tränen, riechen nach Flieder
und sind so unschuldig wie man nur sein kann.
Oder wie eine japanische Kommentatorin meinte:
sie existieren nur bis zum Bauchnabel. Das schließt
allerdings nicht aus, dass sie sich in ihre
Mitschülerinnen oder Lehrerinnen verlieben. Die
Geschichten enden meist tragisch, aber auch das
eine oder andere Happy End ist dabei. Was nicht
verwundert, wenn man bedenkt, dass Yoshiya seit
ihrem 27-ten Lebensjahr mit der Lehrerin Monma
Chiyo liiert war, die sie später adoptierte, um mit ihr
als Familie leben zu können (gleichgeschlechtliche
Hochzeiten waren und sind in Japan legal nicht
möglich). Yoshiya war der Überzeugung, dass Liebe
zwischen Mädchen in der Schulzeit wichtig sei für
deren emotionale Entwicklung und die Formung
ihres Charakters. Wie sie über ihre eigene Beziehung
dachte, ist nicht überliefert oder zumindest noch
nicht erforscht worden. In einigen ihrer
Geschichten
deutet
sie
aber
an,
dass
gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen eine
Art zweiter Lebensweg sein kann, der Akzeptanz
verdient, da die sexuelle Orientierung angeboren sei.
In den 1930er Jahren wandte sich Yoshiya dann von
der Mädchenliteratur und der Liebe zwischen
Frauen ab und schrieb Romane für erwachsene
Frauen und Mütter. Hier wurden starke
Frauenfreundschaften (oder sogar Liebe) als
Grundlage eines glücklichen Lebens dargestellt und
dauerten das ganze Leben lang.
Auch ein Mann thematisierte literarisch die Liebe
zwischen Frauen. Tanizaki Jun'ichirō, besser
bekannt als Autor von "Naomi oder eine
unersättliche Liebe", schrieb 1928 den Roman
"Manji" (deutsch "Wirrsal", eigentlich "Swastika").
Das Buch erzählt von einer Vierecksgeschichte
zwischen Sonoko, ihrem Mann, der jungen Mitsuko
und dem Studenten Watanuki – und nichts ist
wirklich so wie es zu sein scheint. Die Geschichte
wurde in Japan seit 1964 viermal verfilmt, zuletzt
2006.
Erwähnenswert im Zusammenhang mit Japan vor
dem Zweiten Weltkrieg ist außerdem das
Takarazuka-Theater. Es wurde von einem
Eisenbahn-Tycoon aus Ōsaka gegründet und
existiert bis heute. Das besondere an diesem
Theater: alle Rollen werden von Frauen gespielt.
Die Schülerinnen spezialisieren sich im Laufe ihrer
Ausbildung im hauseigenen Internat auf Männeroder Frauenrollen, treten nach dem Abschluss in
eine der fünf Theatertruppen ein und ziehen sich
nach einigen Jahren dann wieder von der Bühne
zurück. Auch hier gilt: das Aussehen der
Schauspielerinnen mit den durch Schminke
überbetonten Augen ist für uns Westler erst mal
verwirrend, gleiches gilt für das oft quietschbunte
Dekor. Aber auch Takarazuka darf man nicht
missverstehen: es ist mitnichten so, dass die
Schauspielerinnen alle oder fast alle "lesbisch" wären
– auch nicht die in den männlichen Rollen. Ebenso
sind die Fans nicht alle lesbisch. Das Theater ist
vielmehr
ein
Hinweis
darauf,
dass
Geschlechterrollen in Japan flexibler sein können als
in Europa.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es dann lange
ruhig. Sehr ruhig. Was eigentlich kein Wunder ist,
schließlich gab und gibt es in Japan kein Gesetz, das
Homosexualität verbieten würde. Unterdrückung
und Protest waren und sind also eigentlich
überflüssig. Die Geisteshaltung der meisten Japaner
zum Thema Homosexualität kann man getrost mit
"Übersehen" charakterisieren.
Das zeigt sich auch an der Sprache. Das heutige
Wort für Homosexualität, dōseiai (wörtlich "Liebe
für das gleiche Geschlecht") wurde zu Beginn des
20. Jahrhunderts von der Sexualwissenschaft
geprägt. "Lesben" wurden später zunächst als
rezubian betitelt – die japanische Umschrift des
englischen Wortes lesbian. Schnell wurde daraus
aber das Schimpfwort rezu gemacht. Die
japanischen Lesben drehten daraufhin den Spieß
(bzw. das Wort) um, indem sie sich einfach selbst als
bian bezeichneten. Allerdings herrscht auch heute
noch in der "Szene" (soweit man davon sprechen
kann) Uneinigkeit darüber, welches Wort man
korrekterweise benutzen sollte. Im Internet machen
es sich viele daher leicht und schreiben einfach
"♀♀". Übrigens gibt es in der japanischen
"lesbischen" Szene eine starke Tendenz, strikt nach
butch und femme zu unterteilen (japanisch tachi
und neko). Dass man keiner der beiden Kategorien
angehört (das heißt riba), ist eher selten anzutreffen.
Dem Durchschnittsjapaner ist das alles unbekannt,
er/sie kennt meist nur die Begriffe rezu und dōseiai.
Die neue Sichtbarkeit verdankten die japanischen
15
"Lesben" im Nachkriegsjapan den Manga (Comics).
In den 1970er thematisierten diese plötzlich
Liebesbeziehungen zwischen Mädchen und vor
allem Jungen. Ein schlechtes Ende war zumeist mit
inbegriffen (siehe dazu auch weiter unten). In den
1980er Jahren waren dann kurze Zeit "lesbische"
Pornos populär.
Ende der 1980er schwappte schließlich die USamerikanische gay pride-Bewegung nach Japan. In
Tōkyō wurde im März 1986 OCCUR gegründet.
Die NPO unterstützt Lesben und Schwule in Japan
im Kampf gegen Diskriminierung. Im Juni 1995
gründeten dann drei japanische Lesben den Verein
LOUD ("Lesbians of undeniable drive"). Ziel des
Vereins ist die Unterstützung von lesbischen und
bisexuellen Frauen, sowie sexuellen Minderheiten
allgemein. Der Verein unterhält in Tōkyō einen
Versammlungsort mit einer integrierten kleinen
Bibliothek. Man muss jedoch klar sagen, dass beide
Organisationen keinen großen Einfluss hatten und
wohl auch nie haben werden.
"Lesbisches" Leben machte sich auch an den
Kiosken breit – zumindest an einigen ausgewählten.
Es begann 1995 mit "Phryne", die als "lesbische
Zeitschrift für Frauen" konzipiert war. Inhaltlich
wurde aber eher Unterhaltung in Form von Comics,
Romanen und Essays geboten. Der Verkauf lief
schlecht und das Team wechselte nach zwei
Ausgaben den Verlag. 1996-1997 brachte es die eher
politisch orientierte "Anise" heraus, die neben
praktischer Beratung auch Diskussionen und
Adressen von Frauenbars enthielt. Auch hier lief
der Verkauf nur schleppend, das Magazin wurde
eingestellt und erlebte 2001-2003 ein kurzes Revival
in neuem Format. Wer heute nach "lesbischem"
Lesestoff à la L-Mag sucht, wird enttäuscht sein:
abgesehen von "Carmilla", einer Zeitschrift im
Buchformat mit eher erotischem Inhalt, findet man
nichts mehr. Die Bars aber haben sich zumeist
gehalten. In Tōkyō konzentrieren sie sich im
"schwullesbischen" Viertel Shinjuku Ni-chōme.
Dieses umfasst drei Häuserblocks mit etwa 300
Männer- und um die 10 Frauenbars, sowie zwei
"schwullesbischen" Läden.
Sichtbar wird die "Szene" (in Tōkyō) einmal im Jahr.
Bis 2006 zog im August die TLGP, die Tōkyō
Lesbian and Gay Parade durch die Straßen. Die
Teilnehmerzahlen lagen damals bei um die 4000
Personen, ein Teil davon neugierige Ausländer wie
Tokyo Lesbian and Gay Parade
Foto: vm
ich. Die Parade bestand aus mehreren Wagen, die
Straßen wurden dafür aber nicht gesperrt. So kam
es, dass man zu zehnt einem Wagen hinterherlief,
aber nicht erkennen konnte, ob und wie viele
andere denn sonst noch teilnahmen. Auch das
öffentliche Interesse war eher gering. Zuschauer
scharten sich vor allem um den Ausgangs- und
Endpunkt der Parade, den Yoyogi-Park in Harajuku.
Inzwischen wurde die Veranstaltung umbenannt in
"Tōkyō Pride Festival". Es findet erstmals dieses
Jahr im Mai statt, soweit man aber aus der Webseite
schließen kann, scheint genau das gleiche geboten
zu werden wie auf der TLGP. Nicht vergessen
werden soll das auch diesen Juli wieder
stattfindende "Tōkyō Lesbian and Gay Film
Festival", das in einem kleinen Kino vor allem
amerikanische lesbischwule Filme zeigt – und die
ein oder andere japanische Produktion.
2005 wurde lesbisches Leben (diesmal auch im
westlichen Sinn) dann auch in der Politik sichtbar,
als sich die Abgeordnete des Parlaments der
Präfektur Ōsaka, Otsuji Kanako, als lesbisch outete
und ein Buch über ihre "Reise zur Entdeckung
meiner Selbst" schrieb. Die japanische Ausgabe der
Newsweek brachte sie unter der Überschrift "Gay in
Japan" groß aufs Titelblatt und Otsuji tourte mit
Vorträgen über gay pride durch Japan und die USA.
2007 gab sie ihren Sitz im Präfekturparlament
Ōsaka auf und stellte sich als Kandidatin der
Demokratischen Partei Japans zur Wahl für die
zweite Kammer des japanischen Parlaments. Sie
erhielt jedoch nicht genug Stimmen, um ins
Parlament einzuziehen (am Ende reichte es für Platz
29, jedoch durften nur 20 Kandidaten der Partei ins
16
Oberhaus).
Und dann waren da noch die Manga. Hier gibt es
zwei gegensätzliche Trends: zum einen die
realistischen Geschichten über lesbische Liebe im
modernen Japan, die vor allem von der Zeichnerin
Yamaji Ebine stammen. Ihr Erstling, "Love my life"
wurde zwar noch nicht ins Deutsche übersetzt, die
Realverfilmung ist aber auf Deutsch als "Love my
life – Du bist mein Herzschlag" erhältlich.
der
Realität
des
komplizierten
Geschlechterverhältnisses in Japan zu sehen – und
haben auch viele männliche Fans.
All dies zeichnet ein höchst ambivalentes Bild von
"Lesben" im modernen Japan. Und doch stellt sich
immer noch die gleiche Frage wie zu Beginn: Gibt
es Lesben in Japan? Oder gibt es nur Frauen, die
Frauen lieben? Könnte dieses Modell auch in
Europa funktionieren? Bisher hat es auch die
japanologische
Forschung
vermieden,
sich
eingehender mit "lesbischem Leben" in Japan zu
beschäftigen. Ein Grund ist sicher die geringe
Sichtbarkeit und somit die Frage, wie man an
geeignetes
"Forschungsmaterial"
herankommt.
Vielleicht ist es auch die Angst der Wissenschaftler
davor "in die Gender-Schublade gesteckt zu
werden". Dabei wäre es wichtig zu wissen, wie sich
die japanischen "Lesben" selbst sehen. Sind die
wirklich apolitisch? Spielt für sie die Frage nach
sexueller Identität wirklich keine Rolle? Und wenn
ja, wie sehen sie die Bemühungen von Otsuji
Kanako und Co.? (vm)
Love my life - Du bist mein Herzschlag
Zum Weiterlesen (alle Bücher sind aus der UniBibliothek entleihbar):
McLelland, Mark (2000): Male homosexuality in
modern Japan. Cultural myths and social
realities, Richmond
Robertson, Jennifer (1998): Takarazuka. Sexual
politics and popular culture in modern Japan,
Berkeley
Robertson, Jennifer (2004): Yoshiya Nobuko. Out
and Outspoken in Practice and Prose, In:
Walthall, Anne (Hg.): The Human Tradition in
Modern Japan, Lanham u.a., S. 155-174
Suzuki, Michiko (2006): Writing Same-Sex Love:
Sexology and Literary Representation in
Yoshiya Nobuko's Early Fiction, In: The Journal of
Asian Studies 65 (3), S. 575-599
Tanizaki Jun'ichirō (1991): Svastika, Paris (Achtung:
Französisch!)
Auf der anderen Seite finden wir das yuri-Genre,
das es bisher auch kaum über die japanischen
Landesgrenzen geschafft hat. Manche würden
sagen, das ist auch gut so. Denn yuri repräsentiert
so ziemlich alles, was hiesige Lesben aufschreien
lassen würde: Reinheit, Schönheit, Niedlichkeit und
Lifestyle sind die obersten Gebote dieser
gezeichneten Mädchen, unschuldiges Anhimmeln
geht ihnen über alles – und das meist auch in
rosanem oder zumindest pastellfarbenem Dekor.
Wie für ihre "echten" Schwestern ist Politik kein
Thema für sie – aber auch nicht die Auflehnung
gegen die Imperative, die an sie gestellt werden. Mit
der Welt der Erwachsenen müssen sie sich nie
auseinandersetzen, denn Erwachsene gibt es in
diesen Werken nicht. Wer einen Eindruck von
dieser Welt bekommen möchte, kann zum Beispiel
"Maria-sama ga miteru" ("Die Jungfrau Maria sieht
euch zu", deutsch als "Rosen unter Marias Obhut")
von Konno Oyuki lesen. Aber auch hier muss vor
einem Missverständnis gewarnt werden: Diese
Geschichten richten sich nicht an ein lesbisches
Publikum und wurden auch nicht von lesbischen
Autorinnen erdacht. Sie sind mehr als Flucht vor
Im Internet (teilweise nur auf Japanisch):
www.space-loud.org/loud
www.occur.or.jp
http://metropolis.co.jp/tokyo/585/lastword.asp
www.tokyo-pride.org/festival/index.html
http://kageki.hankyu.co.jp (Website des TakarazukaTheaters)
17
Der Anstoß stellt vor
Markus Erhard von "Ornito"
Seit drei Jahren hat der Diplom-Modedesigner
Markus Ehrhard auf dem Petrisberg sein Atelier
„Ornito“, wo er seine Kreationen entwirft. Der
Anstoß sprach mit dem Mann, der Trier wenigstens
ein bisschen den Hauch von Pret-à-porter und Haute
Couture spüren lässt…
„Der Hutmacher der Weltstars“ – so hat Dich
die Rhein-Zeitung in einem Artikel 2007
bezeichnet. Da würde man spontan vermuten,
dass Du Dein Atelier in Paris, Mailand oder
London hast und nicht im beschaulichen Trier.
Wie passt das zusammen?
Der Artikel war, zugeben, etwas übertrieben
aufgemacht, kam auch nicht sehr positiv an, zumal
ich kein Hutmacher bin, sondern Designer. Vor
kurzer Zeit hat mich „Die Welt“ zu den sechs
exklusivsten Hutdesignern ernannt, ich fühle mich
dabei eher komisch als gebauchpinselt. Klar würde
sich eine gute Geschäftsadresse besser anhören,
aber um meinen Online-Shop und meine Händler
optimal zu betreuen muss ich nun wirklich nicht in
Berlin-Mitte sitzen. Während ich in München,
Frankfurt und in London lebte, habe ich festgestellt,
dass es zwar ein gutes Gefühl ist, in einer
Grossstadt zu sein und zu jeder Zeit in eine
Ausstellung oder in einen Club gehen zu können.
Aber genutzt habe ich es durch das Alltagsleben
dann doch nicht. Nach acht Monaten habe ich in
London zum ersten Mal die Tower Bridge gesehen.
Wenn ich heute in eine Metropole reise, gehe ich
ganz gezielt los und habe dann auch einen grösseren
Nutzen der Möglichkeiten. Durch meinen Freund
bin ich dann wieder nach Trier, wir haben uns vor
zwölf Jahren im Schmit-Z kennengelernt, und wir
fühlen uns hier sehr wohl.
Gib uns doch mal einen kleinen Einblick in
Dein Leben als Modedesigner. Wie sieht ein
typischer Arbeitstag bei Dir aus? Und von
woher bekommst Du Deine Inspirationen?
Als freiberuflicher Designer gibt es bei mir keinen
typischen
Arbeitstag
mit
einem
immer
wiederkehrenden Ablauf. Jeder Tag bietet eine neue
Situation auf die ich mich einstellen muss. Jedoch
beginne ich jeden Morgen im Internet, mit einem
Online-Shop ist man eben 24/7 präsent. Ausserdem
muss ich den Markt sehr genau beobachten, einige
Zeit geht daher auf das Researching. Ebenfalls viel
Zeit verwende ich auf meine Kundenpflege,
dadurch erfahre ich, was gebraucht wird und
wonach Bedarf besteht, damit ich augenblicklich
reagieren kann. Da der Entwurf und die Umsetzung
meiner Ideen sozusagen ein zwanghaftes Verhalten
von mir ist, habe ich gelernt das zu kanalisieren. Aus
diesem Grund muss ich nicht warten bis mich
endlich die Muse (Gibt es da eigentlich eine
männliche Form von?) küsst, sondern ich kann
meine Kreativität wie auf Knopfdruck abrufen. Für
meinen Männerschmuck schaue ich mir sehr gerne
die floridianischen Beachboys und Skater an, denn
die Grundidee kommt aus diesen Richtungen.
Ausserdem interessiere ich mich sehr für
afrikanische Kulturobjekte, für Raumfahrt und die
Tierwelt,
das
sind
Themen
mit
einer
unerschöpflichen Vielfalt an Formen und
Materialien, was auch meine Arbeiten letztendlich
von anderen Produkten unterscheiden lässt.
Die meisten von uns kennen die große
Modewelt nur aus dem Fernsehen oder Filmen
wie „Der Teufel trägt Prada“ - Du hingegen
hast unter Anderem für Escada und Valentino
Couture gearbeitet, Hüte die Du für Philip
Treacy in London gefertigt hast wurden von
Diana Ross, Naomi Campbell oder Grace Jones
getragen. Wie ist es denn nun wirklich hinter
den Kulissen der Modeschauen?
Als ich zum ersten Mal den Film „Der Teufel trägt
Prada“ gesehen habe, fand ich den gar nicht lustig.
Einige sehr unangenehme Erfahrungen sind wieder
in mir aufgestiegen als ich die Sprüche von Miranda
hörte und erkannte mich in den aussichtslosen
Situationen eines Assistenten wieder. Wenn man in
dieser Branche arbeitet muss man wissen, dass es
keine Mode an sich gibt, sondern es existiert nur ein
Bild davon. Und dieses Bild ist manipuliert und auf
Perfektion poliert. Kein Mensch der Welt sieht so
aus wie ein Model, zum Beispiel auf einem
Hochglanzfoto. Als Macher muss bei mir beruflich
18
der Lack stimmen, privat bin ich der Typ mit einem
grauen Kapuzensweatshirt. Ich strahle meinen
Beruf sicherlich nicht aus und trage ihn auch nicht
vor mir her. Das heisst man arbeitet als Designer
mit Oberflächen und Erscheinungsformen. Auf
den Schauen in Paris und London, bei denen ich
mitgearbeitet habe, bin ich sehr extremen
Menschen begegnet, die die Mode in aller
Konsequenz betreiben und wenn man dahinter
schaut ist man mit Dingen konfrontiert die man im
Film vielleicht witzig findet, nicht aber in der
Realität. Nach meinem Studium an der Trierer FH
war ich sehr schnell in dieser Welt, weit oben in
diesem Dunstkreis, mein Lack und mein Können
haben gestimmt und ich hatte den Job, den jeder
gerne möchte. Natürlich bin ich stolz auf meine
Referenzen und finde das cool, wenn man zum
Beispiel mit Naomi Campbell als Model arbeitet,
aber letztendlich nimmt einem diese Scheinwelt
seine ganze Kraft und Substanz - und finanziell war
das bestimmt nicht interessant. So hatte ich dann
auch viel früher als geplant mein eigenes Label mit
Schmuck und Accessoires, darin habe ich den Inhalt
und die Substanz gefunden, was ich in der Mode
eigentlich immer suchte. Übrigens stellt das
Stadtmuseum Simeonstift in "Rendezvous auf dem
Laufsteg. 50 Jahre Trierer Mode - 50 Jahre Barbie"
den Prototypen des Kleides aus, das ich für Grace
Jones gefertigt habe. Mitten in der Nacht habe ich
sie in Philip Treacys Wohnung in London
massgenommen,
was
sehr
natürlich
und
ungezwungen war. Sie ist absolute klasse und vor
allem: Sie liebt schwule Männer. (rk)
Markus Erhard, Foto: Ornito
Im Internet: www.ornito.com
19
Pam Ann Live
Die Fleisch gewordene politische Unkorrektheit
tourt durch Europa
exklusiv von ihr bedient. Die drei Reihen dahinter
sind die „Business Class“, was gerade noch in
Ordnung ist, aber auch schon mit abschätzigen
Blicken bedacht wird. Pech hat, wer in „Economy“
sitzt (also alle anderen Zuschauer), denn für diese
Fluggäste hat Pam Ann nichts als Verachtung übrig.
Sie schließt ihren „invisible curtain“, um nicht mehr
von den Discount-Passagieren belästigt und gesehen
Die Flugbegleiterin Pam Ann (ein Wortspiel mit
zu werden, borgt sich von einer Zuschauerin in der
dem Namen der Fluggesellschaft „Pan Am“), die
ersten Reihe ein Sektglas, klopft mit dem Mikrofon
man vom äußeren Erscheinen und wegen ihrer
dagegen und spottet: „You
spitzen Zunge durchaus für
hear that, economy? This is
eine
Drag-Queen
halten
real glass!“.
könnte,
erzählt
den
Sie erzählt von ihrem Auftritt
Zuschauern vom alltäglichen
in Amsterdam, wo Ratten
Wahnsinn
des
Fliegens.
durch den Saal gelaufen sind,
„Welcome to Pam Ann
weswegen sie nun froh sei, an
Airlines, the world's most
einem Ort zu sein, der
experienced airline - the fact is
„Cologne“ heißt, weil sie sich
we don't make the same
in der Stadt, die 4711 erfunden
mistake more than three
hat, mehr Hygiene verspricht.
times... maybe four“ - mit
Außerdem amüsiert sie sich
diesem
schon
allseits
darüber, dass in großen
bekannten
vom
Tonband
Lettern das Wort „Gloria“ an
eingespielten Slogan beginnt
der Wand des Zuschauersaales
das
etwa
100minütige
zu sehen ist, was sie als sehr
Programm. Als Pam Ann
schwul ansieht. Daraufhin
daraufhin die Bühne betritt, in
stimmt sie das gleichnamige
einem Retro-Outfit aus pinken
Pailletten und einer Frisur, als
Nimmt kein Blatt vor den Mund: Lied von Laura Branigan an.
ist
sie
gut
wäre sie gerade dem Film
Caroline Reid als Pam Ann Überhaupt
informiert
über
lokale
„Hairspray“ entsprungen, ist
Besonderheiten, denn sie weiß
das Publikum nicht mehr zu
z.B.
Bescheid
über
die
Hass-Liebe die die Kölner
halten. Eine Welle des Applauses und der Jubelrufe
mit ihren Düsseldorfer Nachbarn verbindet.
bricht auf den Stargast ein. Da geschätzte 99% des
Natürlich
dürfen
auch
ihre
üblichen
Publikums aus Schwulen besteht, ist der Auftritt für
Verunglimpfungen anderer Fluggesellschaften nicht
Pam Ann ein Heimspiel. Dabei beschränkt sie sich
fehlen. So fragt sie sich, wie denn bitteschön
nicht darauf, das Programm ihrer 2007 erschienen
Lufthansa Italia, die 2009 neu gegründete
Live-DVD „Come Fly With Me“ eins zu eins
italienische Marke der Lufthansa, funktionieren
abzuspulen, sondern fährt mit einer gelungenen
könne, wenn zwei so unterschiedliche Mentalitäten
Mischung aus neuen und alten Gags auf und dies
aufeinander treffen. Dann ergeht sie sich in
natürlich, wie es üblich ist für sie, ohne das
Klischees über die immerpünktlichen Deutschen
Publikum zu schonen. Die Gäste in den ersten
(„THE REASON YOU DON'T SEE A WATCH
beiden Zuschauerreihen dürfen sich glücklich
IS BECAUSE I AM A WATCH!“) und die Italiener,
schätzen, denn sie sitzen „First Class“ und werden
In den englischsprachigen Ländern längst zur
Kultikone geworden, avanciert die australische
Comedian Caroline Reid mit ihrem Alter Ego „Pam
Ann“ auch hierzulande zum Liebling der Schwulen
und Lesben. Am 29.03.2009 war sie im Zuge ihrer
Europatournee im Kölner Gloria Theater zu Gast.
20
personifiziert durch die Flugbegleiterin Maria, die
natürlich viel zu spät auf der Vespa aufs Rollfeld
gefahren kommt und wieder komplette Unordnung
in die Lufthansa-Maschine bringt. Dabei geht jedes
mal ein Jubel durch den Saal, wenn Pam Ann im
deutschen Militärston „LUFTHANSAAA“ ins
Mikro brüllt.
Als sie endlich ihr Bedien-Wägelchen auf die Bühne
holt, kommt Freude auf – denn die meisten wissen,
was nun kommt. Als Flugbegleiterin sei man ja
immer so „beschäftigt“, klagt sie auf Deutsch,
wobei sie starke Schwierigkeiten mit der Aussprache
hat, so dass es am Ende zu einem „be-jetski“ wird.
„I'm sooo be-jetski“ sagt sie immer wieder und um
dies zu veranschaulichen berührt sie den Trolley,
geht zum roten Samtvorhang, der auf der GloriaBühne die Bordküche darstellen soll, berührt diesen
und geht wieder zum Trolley zurück, begleitet von
ihren berühmten Worten: „Touch trolley. Then run
to the galley. Touch galley, and back to the trolley.“
Das macht sie ein paar mal um dann zu sagen: „See
how many times you can do that without serving
anybody at all.“ Das Publikum ist begeistert.
Politische
Unkorrektheit,
Herumreiten
auf
Klischees und derbe Witze – das ist das
Erfolgsrezept von Pam Ann, das auch in Köln
einwandfrei funktioniert. Als sie zweimal an die
Grenzen des guten Geschmacks stößt und
Anspielungen auf Keller in Österreich und
Natascha Kampusch und Witze über die nur Tage
zuvor in Japan explodierte Fedex-Maschine macht
(„The Japanese are still waiting for the „Hello Kitty“
delivery“), geht ein leichtes Raunen durch den Saal,
aber das Publikum nimmt ihr die Fehltritte nicht
übel.
Zum Abschluss gibt sie wie immer den Patsy
Gallant-Song „From New York to L.A.“ und
stimmt mit dem Publikum ein „Happy Birthday“ für
einen ihrer beiden Tänzer an um danach leider ohne
Zugabe von der Bühne zu verschwinden.
Pam Ann – im März, April und Juni ist sie in
Europa vor ausverkauften Häusern aufgetreten und
hatte im Mai ein Layover in Kanada. Wer sie
verpasst hat, sollte sich unbedingt die DVD
besorgen, oder sich bei Youtube die Videos
anschauen! (bv)
Im Internet: www.pamann.com
21
Nächstenliebe
Was kann ich schon dafür, dass ich mal Menschen liebe?
Falls aber ich und sie zugleich auch Männer sind,
versetzt man uns dreist böse Hiebe.
Und das alles gern mit Blick auf Sitte und Moral,
was, bei genauerer Betrachtung, aus Menschenmunde ironisch und banal.
Ich sag’ es Ihnen ehrlich, ohne Lamentieren,
dass Sie – ob man daran auch Anstoß nimmt – mich akzeptieren,
finde ich in Gänze mehr als nur sympathisch.
Denn ein jeder hat die Wahl – oder etwa nicht?
Es gibt Länder dieser Zeit und Welt,
wo der Richter unser Todesurteil fällt,
Da dort das Recht ein and’res ist,
obwohl der Mensch derselbe
und wohl kaum gemeingefährlich küsst.
Auch in diesen Kreisen müssen Moral und Religion es richten.
Man sucht mit aufgeblähtem Fleiß nach Recht und Pflichten,
die man beschwört, und dient ergeben einem Gott.
Am Ende aber bedient der Mensch alleine das Schafott.
D. K.