Integrationsjournal Dezember 2010

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Integrationsjournal Dezember 2010
INTEGRATIONSJOURNAL
Der Stadtschulrat für Wien informiert
Dezember 2010
Foto Deckblatt: Weihnachtskerze
© Gerda Kargl
INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
INHALTSVERZEICHNIS
Wahlfreiheit!?............................................................................................................ 4
Präambel zum Erfahrungsbericht „Wien“ .............................................................. 5
Wien........................................................................................................................... 5
"auch das gibt es noch ..." in Zeiten der UN Konvention................................... 13
Herausforderungen bei der schulischer Integration von Kindern und
Jugendlichen mit autistischer Wahrnehmung ..................................................... 15
Zur schulischen Integration eines ganz besonderen jungen Mannes ............... 22
„Ich bin dabei!“ ....................................................................................................... 29
Integration – Gedanken einer Beratungslehrerin ................................................ 40
Ein kurzer Rückblick: Integration eines blinden Schülers in die AHS ............... 43
Das Büro für Inklusive Bildung (BIB) an der PH Wien......................................... 45
„Differenz und Inklusion“ als Thema der hochschulischen LehrerInnenbildung
– am Beispiel der Ausbildungscurricula der Pädagogischen Hochschulen in
Österreich................................................................................................................ 48
Leserbriefe .............................................................................................................. 53
Liebe Leserin! Lieber Leser!.................................................................................. 54
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DEZEMBER 2010
Wahlfreiheit!?
Die ersten Maßnahmen zur Integration (gemeinsamer
Unterricht behinderter und so genannter nicht
behinderter Kinder) bezogen sich primär auf
„schwerstbehinderte“ Kinder (Unterricht nach dem
Lehrplan der Schule für schwerstbehinderte Kinder).
Wenn man nach einem Vierteljahrhundert bilanziert,
so stellen diese „schwerstbehinderten“ Kinder mit
6 Prozent nur einen unbedeutenden Anteil an der
Gesamtzahl
der
integrierten
Kinder
mit
sonderpädagogischem Förderbedarf dar.
Die Zahl der Kinder in den Sonderschulen für schwerstbehinderte Kinder nimmt seit Jahren
kontinuierlich zu. Es stellt sich die Frage nach den Ursachen dieses Phänomens.
1. „Gesamtpaket“ Sonderschule
Die Wiener Sonderschulen für schwerstbehinderte Kinder sind geografisch gut über Wien
verteilt (Bezirke 2, 3, 14, 19, 21). Diese Schulen bieten ein ganztägiges Programm und
das kontinuierlich über 12 Schuljahre hinweg. Die standortspezifischen Angebote sind
meist sehr qualitätvoll und haben neben den pädagogischen auch therapeutische
Angebote.
2. Integration
Die integrativen Angebote für schwerstbehinderte Kinder sind besonders im
Volksschulbereich in Wohnortnähe. Das gemeinsame Lernen, Spielen und Leben mit so
genannten nicht behinderten Kindern bietet ein großes Maß an „Normalität“.
Da aber schwerstbehinderte Kinder in I-Klassen oft gemeinsam mit SPF- Kindern
unterrichtet werden, die anderen Lehrplänen (ASO, VS) zugeordnet sind, kann durch
diese oft solitäre Position so etwas wie ein „Vereinsamungseffekt“ auftreten.
Generell fehlen an vielen der Integrationsstandorte eine adäquate Ganztagsbetreuung
und entsprechende regionale therapeutische Angebote. Verschärft wird die Situation in
der Sekundarstufe, wo das Anliegen eines gemeinsamen Unterrichtes durch das
FachlehrerInnensystem massiv erschwert wird.
Die bestehenden Regelungen für die 9. Schulstufe und darüber hinaus machen eine
Integration für schwerstbehinderte Jugendliche fast unmöglich. So ist die einjährige
Schulform der Polytechnischen Schule für Eltern schwerstbehinderter Kinder, in
Anbetracht der gesetzlichen Regelung, dass weitere Schuljahre dann nur an einer
Sonderschule absolviert werden dürfen, nicht besonders attraktiv.
3. Notwendige Änderungen
Um Eltern von Kindern mit schwereren Behinderungen zum Besuch einer I-Klasse zu
bringen, muss „Chancengleichheit“ zwischen integrativen Angeboten und den
Sonderschulen bestehen. Dazu gehören:
- Ganztägige Angebote
- Therapeutische Angebote
- Integrative Angebote ab der 9. Schulstufe
Die bisherigen langjährigen Erfahrungen zeigen, dass die Idee vom gemeinsamen Unterricht
behinderter und nicht behinderter Kinder alleine nicht ausreicht, um Eltern behinderter Kinder
zu überzeugen, dass die Integration die „Normalität“ widerspiegelt.
Es gibt noch viel zu tun, meint
Gerhard Tuschel
(Landesschulinspektor)
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DEZEMBER 2010
Präambel zum Erfahrungsbericht „Wien“
Lothar Oppitz, als Heilpädagoge und Sonderschullehrer in der Schweiz / St. Gallen tätig,
nützte die Gelegenheit während seines Bildungsurlaubes in Wien unterschiedliche Modelle
der schulischen Betreuung von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf
kennen zu lernen.
Anbei drucken wir den Erfahrungsbericht, den er uns zur Verfügung gestellt hat, ab.
Wir möchten darauf hinweisen, dass manche Formulierungen sichtlich dem "Schweizer
Deutsch" entspringen und für uns etwas fremd klingen. Im Sinne der Authentizität des
Berichtes und da das Verständnis dadurch nicht eingeschränkt wird, haben wir alle
Formulierungen so, wie vom Autor getroffen, belassen.
Wien
Für meine Zeit in Wien habe ich vorgängig mit dem Stadtschulrat in Wien, speziell mit Frau
Stender auf der Integrationsberatungsstelle, Kontakt aufgenommen. Frau Stender hat mir
freundlicher Weise Kontakte zu drei verschiedenen Sonderpädagogischen Förderzentren
(SPZ) ermöglicht.
Kurze Begriffsklärung Sonderpädagogisches Zentrum (SPZ):
Sonderpädagogische Förderzentren sind in aller Regel Sonderschulen, die vom
Stadtschulrat in Wien (Landeschulrat in den anderen Bundesländern) die spezifische
Aufgabe übertragen bekommen haben, durch Bereitstellung und Koordination
sonderpädagogischer Maßnahmen in anderen Schularten dazu beizutragen, dass Kinder mit
sonderpädagogischem Förderbedarf in bestmöglicher Weise auch in allgemeinen Schulen
unterrichtet werden können. Der Leiter der betreffenden Sonderschule ist dann auch Leiter
des Sonderpädagogischen Zentrums.
Die Hauptaufgaben des Sonderpädagogischen Zentrums bestehen in einem
sonderpädagogischen Kompetenztransfer und in einer Sicherstellung sonderpädagogischer
Betreuungsqualität. Darüber hinaus sollen SPZ´s LehrerInnen und Eltern unterstützen und
beraten sowie materielle und personelle Ressourcen zur Unterstützung der Regelschulen bei
der Förderung von Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarf bereitstellen.
Jedem SPZ ist eine Anzahl von benachbarten Regelschulen der Region zugeordnet, die mit
dem SPZ in Kontakt stehen und für die das regionale SPZ alle Integrationsklassen
gemeinsam mit den DirektorInnen betreut. Auch Einzelintegrationen werden gemeinsam
organisiert.
Woche vom 1. – 5. März 2010, SPZ 2, Holzhausergasse Wien
Am Berufsvorbereitungslehrgang „JOBFIT“ des SPZ 2 werden rund 60 Jugendliche betreut,
die nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule (ASO) bzw. nach dem Lehrplan der
Schule für Schwerstbehinderte (SSO) unterrichtet werden und nach Beendigung der
allgemeinen Schulpflicht (nach dem 9. Schuljahr) noch weitere freiwillige Schuljahre in
Anspruch nehmen wollen (bis zum 12. SJ möglich).
Im Vordergrund steht das Training von berufsrelevanten Selbst- und Sozialkompetenzen.
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Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf stellen auf dem Arbeitsmarkt eine
benachteiligte Randgruppe dar. Die Möglichkeit direkt nach der Pflichtschulzeit auf dem
„Ersten Arbeitsmarkt“ Fuß zu fassen erscheint utopisch. Vom Gesetzgeber und
verschiedenen Trägerorganisationen wurden so in den letzten Jahren neue
Ausbildungsformen und -projekte für diese Zielgruppe ins Leben gerufen. JOBFIT ist eines
dieser Modelle im Wiener Schulwesen.
Diese Schule bietet seinen SchülerInnen die Möglichkeit zur persönlichen Nachreifung mit
besonderer Förderung im kognitiven, lebenskundlichen und handwerklichen Bereich. Ziel ist
der Aufbau eines realen Selbstbewusstseins, die Qualifikation von Schlüsselkompetenzen,
wie Flexibilität, Verlässlichkeit, Teamarbeit, Übernehmen von Verantwortung und
Frustrationstoleranz. (Lehrgangsleitbild)
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Folgend ein gekürzter Auszug aus meinem Tagesprotokoll vom Dienstag 2. März 2010
Wien – SPZ Holzhausergasse
Ich besuche an diesem Vormittag verschiedene Seminare:
Bücherwurm – hier arbeiten 6 SchülerInnen in der Bibliothek:
Bücher werden gestempelt und angeschrieben – Regalbeschriftungen angefertigt – Listen
erstellt und im Schulhaus verteilt – Bücher eingeordnet, etc.
In jedem Seminar werden verschiedene Fähigkeiten und Fertigkeiten geschult – hier zum
Beispiel: Genauigkeit – Ausdauer – Kommunikation
Flach – gelegt: Hier arbeiten die SchülerInnen in einer Werkstatt – Keramikplatten werden
zerkleinert und anschließend als Mosaik an die Wand gegipst – ein Teil der Schülerinnen hat
einen Blumentopf ebenfalls mit kleinen Keramiksteinen oder Mosaiksteinen begipst und
reinigt nun mit Stahlwolle die Keramikstücke vom überflüssigen Gips.
Fähigkeiten welche hier gefördert werden: Körperliche Beanspruchung – Ausdauer –
Handwerkliche Geschicke….
Kaffeestube – hier nehmen die SchülerInnen im
Laufe des Vormittages Kaffeebestellungen bei den
Lehrpersonen auf – kochen anschließend diese
versch. Kaffees und liefern diese dann aus –
wunderbar mit Tablett, Stück Kuchen und
Mozartkugel; sieht toll aus – anschließend Geld
kassieren – abrechnen – Geschirr wieder holen,
abwaschen, aufräumen, etc.
Hier werden hauptsächlich Kommunikation,
Sauberkeit und Haushaltsfertigkeiten gefördert.
Sch…..matz – Dieses Seminar bekocht die Mensa
der Schule – nachmittags haben ca. 20
SchülerInnen Unterricht und so kocht diese Gruppe
für die SchülerInnen und die Lehrpersonen das
Mittagessen. Das Mittagessen wird gekocht – incl.
Einkauf hierfür – Tisch gedeckt – Essen
ausgegeben – Getränke verkauft – anschl.
Abwasch und Aufräumen.
Die Organisation ist einfach aber klar strukturiert
und klar an den Fähigkeiten der SchülerInnen
orientiert - toll!
Die Lebenspraktische Orientierung in dieser Schule
ist sehr gut – ganz gezielt werden hier Fähigkeiten
und Fertigkeiten für die Zeit nach der Schule
gefördert.
Die SchülerInnen arbeiten hier auch an Ihren
Bewerbungen, suchen Praktikumsstellen, erstellen
ein Portfolio ihrer Fähigkeiten, Vorlieben, Stärken,
besuchte Seminare etc. Gefällt mir sehr gut!
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Nachmittags gehen wir mit einer Gruppe von 8 SchülerInnen ins MuMoK (Museum für
moderne Kunst) – gehört von Zeit zu Zeit zur Programmgestaltung am Nachmittag –
gezielte Förderung des Interesses an der Kunst – Orientierung im öffentlichen Raum –
Kommunikation, etc.
Der Umgang mit den Jugendlichen ist sehr von Wertschätzung geprägt (alle Jugendlichen
werden mit „Sie“ angesprochen) – die Jugendlichen sind auch alle freiwillig in dieser
Institution – es handelt sich hierbei ja um ein Angebot nach der obligatorischen Schulzeit.
Bestandteil der Unterrichtswoche am SPZ 2 Holzhausergasse
ist auch ein so genanntes „Realprojekt“. Dies ist ein
Großprojekt, welches einen hohen Anteil der inhaltlichen und
zeitlichen Auseinandersetzung der SchülerInnengruppe
einnimmt und „Realitätscharakter“ besitzt.
So finden jeweils donnerstags die Juniorfirmen statt – diese
Firmen werden innerhalb der Schule von den Schülern selbst
geführt. Zurzeit bestehen im Haus vier Juniorfirmen; diese
werden nach wirtschaftlichen Grundsätzen geführt, sind sogar
als Firmen angemeldet und dürfen somit auch kleine Gewinne
erwirtschaften. Alle Firmen stellen kleine Materialien,
Werkstücke
oder
Kunstgegenstände
(Geldbörsen,
Osterkarten, bedruckte Textilien, Alltagsgegenstände, etc.)
her, welche sie dann einerseits innerhalb der Schule an
Lehrpersonen oder SchülerInnen verkaufen oder an
geeigneten Schulanlässen zum Verkauf anbieten.
Von der Idee her wirklich eine tolle Sache – die
Ausführung hängt jedoch auch stark von den
Jugendlichen und den Lehrpersonen ab – pro
Juniorfirma arbeiten zwei Lehrpersonen mit ca. 7 –
12 SchülerInnen. Je nach Leistungsvermögen der
Jugendlichen, geht die Initiative wirklich von den
SchülerInnen aus – oder eben mehr von den
Lehrpersonen. Die Aufgabe der Lehrpersonen ist in
diesem Bereich jedoch mehr die eines Coaches.
Die SchülerInnen bewerben sich in der Regel für
eine Juniorfirma für die Dauer eines Quartals –
haben jedoch die Möglichkeit durch „Kündigung“
und „Bewerbung“ den Arbeitsplatz zu wechseln.
Obwohl das SPZ 2 keine Integration im herkömmlichen Sinn anbietet, leistet diese
Einrichtung meines Erachtens einen sehr großen Beitrag zur Integration von Jugendlichen
mit sonderpädagogischem Förderbedarf für die Zeit nach der Schule. Hier werden die
Schülerinnen und Schüler auf sehr kompetente und lebensnahe Art und Weise auf die
Erfordernisse des Berufsalltages (mit Ziel einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt)
vorbereitet. Die angebotenen praktischen und realitätsnahen Lerninhalte sowie die
angewandten
Arbeitsund
Teamformen
mit
immer
wieder
wechselnden
Zusammensetzungen stärken das Selbstbewusstsein durch selbstverantwortliches Agieren
und unterstützen die Lernenden bei der Findung von individuellen Problemlösungsstrategien.
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DEZEMBER 2010
Woche vom 8. -12. März 2010 SPZ 3 Petrusgasse
In dieser Woche kann ich an verschiedenen Volks- und Mittelschulen, welche dem SPZ 3
zugeordnet sind hospitieren.
Insgesamt sehe ich unterschiedlich Formen der Integration von Kindern mit Behinderungen –
teilweise sind die SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf gut in die Klassen
integriert und erhalten dort ihrem Leistungsstand entsprechend anpasste Förderangebote –
zum Teil sehe ich jedoch auch eine klare separate Förderung in Kleingruppen mit nur
punktuellen gemeinsamen Angeboten in der Gesamtklasse.
Schulbesuche in dieser Woche:
Volksschule Eslarngasse
Volksschule Kolonitzgasse
Mittelschule Hörnesgasse
Mittelschule Hainburgerstrasse
Mehrstufenklasse Petrusgasse
Ganz besonders gut gefallen hat mir der Besuch an der Mittelschule Hörnesgasse. An dieser
Mittelschule gibt es so genannte Dalton-Plan-Klassen; diese vier Klassen werden alle als
Integrationsklassen (mit 20 SchülerInnen) geführt.
Beim Daltonunterricht müssen sich die SchülerInnen den Lernstoff teilweise selbst
erarbeiten. Die Rolle der Lehrpersonen ändert sich: Sie geben Hinweise, helfen weiter und
aktivieren immer wieder das Lernen der SchülerInnen. Natürlich erklärt die Lehrperson die
nächsten Schritte, wenn Hinweise nichts helfen. Selbstverständlich suchen die Kinder auch
Hilfe bei ihren MitschülerInnen; d.h. Zusammenarbeit ist nicht nur möglich, sondern auch
ausdrücklich erwünscht. Sie muss natürlich bestimmten Regeln unterliegen, damit sie auch
effektiv ist. Hierzu gibt es drei Prinzipien: Freiheit (Wahlfreiheit der Aufgabenfolge),
Kooperation (Partner- oder Gruppenarbeit – mit wem arbeite ich) und das Zeitmanagment
(selbständige Planung der Arbeit).
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Die ersten Schulstunden morgens sind jeweils als
Klassenstunden geführt – ab der 2. – 4. Schulstunde
arbeiten die SchülerInnen dann nach dem Dalton Plan.
Alle SchülerInnen haben einen der Klassenstufe
entsprechenden Arbeitsplan – dieser gilt für eine
Lernzeit von drei bis sechs Wochen – in diesem Plan
sind die zu erledigenden Aufgaben nach Fächern und
Lerninhalten aufgelistet, welche die SchülerInnen zu
bearbeiten haben. Die Abfolge und die Zeit, sowie die
Arbeitsformen können die SchülerInnen selbst
bestimmen. Die eigentlichen Klassenzimmer werden
dann zu Fachräumen, in welchen die jeweiligen Lernmaterialien vorhanden sind und eine
Lehrperson zur Hilfestellung anwesend ist. Einzelne Lerninhalte oder Einführungen in ein
neues Thema werden auch durch die Lehrpersonen in kleinen Gruppen vorgängig erarbeitet.
So ist es dann möglich, dass zum Beispiel im Mathematikzimmer SchülerInnen von vier
verschiedenen Klassenstufen an verschiedenen Lerninhalten arbeiten. Die Integration von
SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist bei dieser offenen
Unterrichtsgestaltung sehr gut möglich – einzelne (zum Teil individuell betreute)
SchülerInnen mit Beeinträchtigungen arbeiteten nach ihren individuellen Daltonplan
gemeinsam mit allen anderen SchülerInnen.
15. -19. März 2010 Integrative Lernwerkstatt Brigittenau Wien 20
Die Lernwerkstatt ist eine öffentliche Volksschule der
Stadt Wien mit durchgängiger reformpädagogischer
Orientierung mitten im 20. Wiener Wohnbezirk
Brigittenau. Sie ist die einzige öffentliche Schule, in der
alle Klassen (als Stammgruppen) durchgehend integrativ
und
altersgemischt
im
Rahmen
des Wiener
Schulversuchs
„Mehrstufenklassen
mit
reformpädagogischem Schwerpunkt“ geführt werden.
Der gemeinsame Unterricht von sechs- bis zwölfjährigen
Kindern, behinderten und nicht behinderten SchülerInnen
aus verschiedenen kulturellen Hintergründen in
10 Stammgruppen Mehrstufenklasse 1. – 4. Klasse und zwei Stammgruppen Mittelstufe 4. –
6. Kl. macht die Integrative Lernwerkstatt Brigittenau (ILB) zu einem Ort der Vielfalt.
Jede Stammgruppe wird von einem Kernteam, bestehend aus VolksschullehrerIn und
IntegrationslehrerIn geführt. Die Teams haben sich zusätzlich auf verschiedene
reformpädagogische Richtungen spezialisiert, sodass Elemente der Montessori-, Freinetund Jena-Plan-Pädagogik den Unterricht bestimmen. Diese besonderen Schwerpunkte
ermöglichen allen Kindern nach Interessens- und Begabtenförderung, Einzelförderung und
Kurssystem unterrichtet zu werden.
Erspart bleibt den Kindern in der Lernwerkstatt auch das permanente Klingeln nach 50
Minuten. Es gibt einen Lernblock am Vormittag, von 8.30 bis 10 Uhr, dann eine halbe Stunde
Pause, weiter geht's mit spielerischem Lernen bis Mittag.
Ich bin bei meinem Besuch der Stammgruppe B zugeteilt – eine Mehrstufenklasse mit 24
SchülerInnen (wovon mehrere Kinder einen ausgewiesenen Sonderpädagogischen
Förderbedarf haben). Der Klasse stehen insgesamt 66 Lektionen verteilt auf 4
LernbegleiterInnen zur Verfügung (bei 26 Lektionen Unterricht)
Der Unterrichtsvormittag ist hier jeweils in verschiedene Teile gegliedert. Begonnen wird mit
einem Morgenkreis – anstehende Aufgaben und der Tagesablauf werden hier besprochen.
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Anschließend arbeiten die Kinder in der so genannten Schreibwerkstatt – hier werden Texte
bearbeitet (Aufgaben im Bereich Deutsch-Rechtschreibung). Einige Schüler und
Schülerinnen erarbeiten hier auch zu verschiedenen Themenbereichen einen kleinen
Vortrag, welchen sie im Laufe der Woche den MitschülerInnen vorstellen werden. Diese
Arbeitsphase dauert bis zur Pause um etwa 10 Uhr.
Da die meisten SchülerInnen ihre Aufgaben des Tagesoder Wochenplans selbständig erledigen, bleibt für
einen/eine
LernbegleiterIn
(meist
der/die
SonderschullehrerIn) Zeit, sich den SchülerInnen mit
besonderen Lernbedürfnissen zu widmen – hier werden
dann individuelle Aufgaben mit besonderer Hilfestellung
bearbeitet (meist in Kleingruppen).
Nach der Pause arbeiten die Kinder wiederum an ihren
Aufgaben des Wochenplans, beschäftigen sich mit den
vorhandenen reformpädagogischen Lernmaterialien zu
einer bestimmten Aufgabenstellung (Üben des Einmaleins
mit Montessorimaterial, Kennenlernen der Stadtbezirke
Wiens mithilfe eines Puzzles, etc.).
Im Unterricht integriert sind über die Woche verteilt auch
weitere Unterrichtsangebote; z. B. Tanz und Bewegung,
Werken und Handarbeit, Lernausgänge, etc.
Die Integrative Lernwerkstatt ist eine offene Volksschule
mit flexibler Nachmittagsbetreuung für die Kinder. So gibt
es auch die Möglichkeit, an einzelnen Tagen oder die
ganze Woche über von Unterrichtsschluss bis 17.30 Uhr
nachmittags in der Schule betreut zu werden. Hierzu
werden so genannte Nachmittags-LernbegleiterInnen
eingesetzt. Der nachmittägliche Betreuungsteil schließt
direkt an den Vormittagsunterricht an.
Die Kinder werden von ihrer/ihrem zugeordneten NAMLernbegleiterIn direkt von ihrem Stammgruppenraum abgeholt
und zum Mittagessen begleitet.
Das Mittagessen wird im Speisesaal eingenommen. Die
SchülerInnen wählen sich ihren Essplatz aus (manchmal bei
FreundInnen aus anderen Stammgruppen) und holen sich ihr
Essen selber. Der Mittagstisch wird vom Elternverein der Schule
organisiert.
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Der anschließende Freizeitteil gestaltet sich dann dem Wochentag entsprechend:
Montag:
Freie Angebote nach Bedarf, sowie Kursangebote;
Tischfussball, Kinderküche, Spielplatz, Turnsaal, Werkräume,
Theater- oder Tanzraum stehen zur Verfügung.
Dienstag:
Lernstundentag!
Die SchülerInnen und NAM-LernbegleiterInnen, sowie ein/e VOMLernbegleiterIn treffen sich in ihrem Stammgruppenraum. Die Zeit
von 14h - 15:40 wird individuell gestaltet.
Mittwoch:
Ausflugstag!
Beginnt vorzugsweise um 14Uhr nach dem Mittagessen und endet
zwischen 17:00 und 17:30h (je nach Rückkunft der einzelnen Gruppen)
Donnerstag: Lernstundentag, aber nebenbei Kursangebote
Freitag:
Freie Angebote nach Bedarf
Fazit Wien
In Wien konnte ich wie bereits in Südtirol als auch im Raum Winterthur überaus vielfältige
und spannende Erfahrungen bezüglich der Integration von Kindern und Jugendlichen mit
Behinderung machen. Für die Förderung von Menschen mit Beeinträchtigung gibt es in Wien
weiterhin die Wahlmöglichkeit zwischen Sonderschule und Beschulung in einer
Integrationsklasse. Beeindruckend für mich war hier die große Anzahl von unterschiedlichen
Möglichkeiten der Integration – es war mir gar nicht möglich überall einen Einblick zu
erhalten. Viele Integrationsklassen sind als Mehrstufenklassen geführt – dies bedingt bereits
ein hohes Maß an innerer Differenzierung und erleichtert meines Erachtens eine Integration
enorm. Des Weiteren fiel mir eine große Bereitschaft für die Anlehnung an unterschiedlichste
(Reform-)Pädagogische Konzepte auf – ich beobachtete in ein und derselben Schule
mehrere verschieden Pädagogische Konzeptionen in jeweils unterschiedlichen Klassen oder
Stufen. Viele Unterrichtseinheiten waren sehr offen geführt – individuelles Arbeiten der
SchülerInnen ihrem Lerntempo und ihren Fähigkeiten entsprechend wird überall stark
gefördert. Die räumlichen Gegebenheiten in der Stadt waren nicht überall gleich
zufriedenstellend – die personellen Bedingungen hingegen erschienen mir meist
ausreichend.
Die Verteilung der Aufgaben zur Abklärung, Zuteilung und Verteilung der Ressourcen über
die Integrationsberatungsstelle des Stadtschulrates Wien, die Sonderpädagogischen Zentren
und dann die jeweiligen Schulen scheint weitgehend zu klappen – so ist in Wien ein
flächendeckendes System von integrativen Angeboten vorhanden, welches die meisten
Elternwünsche betreffend einer integrativen Beschulung ihrer behinderten Kinder erfüllt.
In einem sehr informativen Gespräch in der Integrationsberatungsstelle des Stadtschulrats
Wien mit Frau Judith Stender konnte ich einerseits meine gemachten Eindrücke der
Hospitationen in Wien reflektieren, andererseits erhielt ich noch einige konkreten Zahlen und
Fakten zum Stand der Integration in der Stadt Wien. Im Schuljahr 2009/2010 werden 711
Integrationsklassen an Wiener Volks- (350) und Sekundarschulen (361) geführt. Erstaunlich.
Autor: Lothar Oppitz
Heilpädagoge und Sonderschullehrer in St. Gallen (CH) [email protected]
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"auch das gibt es noch ..."
in Zeiten der UN Konvention
Am „ TAG DER WIENER SCHULEN“, war ich damit beschäftigt, Materialien für meine
textilen Werkgruppen herzurichten.
Vor der Tür stand ein Mädchen, ca. 10
Jahre alt und schaute herein. Ich
sagte zu ihr: „Komm nur herein, ich
beiße nicht!" Doch sie verschwand
sofort. Gleich habe ich mich über mich
selber geärgert. Warum sage ich so
etwas? Ich schaute auf den Gang. Da
kam mir schon die Mutter des
Mädchens entgegen und erklärte mir:
„Wissen Sie, sie traut sich nicht rein,
weil eigentlich darf sie in ihrer Schule
nicht in den Werkraum!“
Auf meine Frage warum, erzählte mir
die Mutter, dass das Mädchen
Rheuma in den Händen hätte, nicht
häkeln und stricken wie andere Kinder
könnte und deswegen habe sie die
Werklehrerin
vom
Werkunterricht
ausgeschlossen ... befreit!!
Ich war sprachlos!!! Gibt es das wirklich immer noch?
Es ist mir gelungen das Kind zu mir in den Werkraum zu holen. Sie sah die Nähmaschinen
und meinte sofort, dass sie so gerne mit der Nähmaschine nähen möchte, denn die Oma
hätte eine und da hat sie es schon versucht.
Wir haben lange geplaudert und
ich erzählte ihr von meiner
schweren
Allergie
gegen
Tierhaare und dass ich deshalb
nicht filzen kann, weil ich durch
die
Schafwolle
Atemnot
bekomme.
Ich konnte ihr vermitteln, dass wir
alle irgendwo ein Handicap
haben. Aber, dass es trotzdem
immer eine Möglichkeit gibt,
seine Kreativität ausleben zu
dürfen. Sie ging strahlend weg,
später habe ich sie dann im
technischen Werkraum mit Ton
arbeiten
gesehen,
völlig
versunken
und
mit
einem
Lächeln.
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DEZEMBER 2010
Bei den Seminaren „ Hände sind zum Schreiben da! Oder….“, die ich gemeinsam mit
meinen Kollegen Thomas Urschitz und Philipp Wuscher, beide Sonderpädagogen, an der
Päd. Hochschule in Wien 10 anbiete, hören wir immer wieder von WerklehrerInnen, die
Kinder mit ihren IntegrationslehrerInnen rausschicken und meinen, sie wären nicht
zuständig!!!!
Die Integrative Lernwerkstatt Brigittenau ist nun im 13. Schuljahr und jedes Kind, sei es auch
noch so ein „schwieriger Fall“ (gewesen), durfte am textilen und technischen Werkunterricht
teilnehmen. Niemand wurde je ausgeschlossen.
Im Gegenteil, schon oft haben jene Kinder gerade über die „Schiene“ des
technischen Werkens den Zugang zum Lernen gefunden.
textilen und
Inklusiver Werkunterricht mag für viele Menschen noch ein Traum sein, wir wissen, dass es
möglich ist und haben schon viele Beweise dafür.
Autorin: Gabriele Reithofer, Textile Werklehrerin
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DEZEMBER 2010
Herausforderungen bei der schulischer
Integration von Kindern und Jugendlichen mit
autistischer Wahrnehmung
Einleitung
Im Rahmen meiner Ausbildung an der Kirchlich Pädagogischen Hochschule in Strebersdorf
hatte ich die Möglichkeit innerhalb meiner Schulpraxis mit autistischen Kindern
zusammenzuarbeiten. Nach anfänglicher Unsicherheit in Bezug auf den „richtigen“ Umgang
mit der Andersartigkeit dieser Kinder stellte sich die Arbeit als faszinierend, aber gleichzeitig
sehr fordernd heraus. In allen Fällen hatten die Kinder ein auffälliges Kommunikations- und
Interaktionsverhalten, was die Zusammenarbeit im Unterricht oft erschwerte. Da der Großteil
der Wissensvermittlung in der Schule jedoch auf verbaler Kommunikation und sozialer
Interaktion basiert, stellte ich mir die Frage, wie diese Kinder trotz ihrer Beeinträchtigungen
bestmöglich gefördert werden können. Ich begann mich also näher mit der Thematik
auseinanderzusetzen und entschied, Autismus zum Thema meiner Forschungsarbeit zu
machen und formulierte meine Forschungsfrage wie folgt:
„Welche Auffälligkeiten sind bei Kindern und Jugendlichen mit autistischer Wahrnehmung im
Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation zu erkennen, wie äußern sich diese in
der Schule und welche Herausforderungen ergeben sich daraus resultierend für
Integrationslehrer/Innen?“
Zielsetzungen der Forschungsarbeit
Grundsätzlich werden in der Arbeit zwei zentrale Zielsetzungen verfolgt. Zum einen soll im
theoretischen Teil genauer auf das Erscheinungsbild Autismus eingegangen werden.
Spezielle Aufmerksamkeit wird hier den Beeinträchtigungen im Bereich der sozialen
Interaktion und Kommunikation gewidmet. Anschließend wird kurz auf die Entwicklung des
Integrationsgedankens eingegangen und im Zusammenhang damit, kurz das Wiener Modell
zur Integration von Kindern mit autistischer Wahrnehmung vorgestellt. Zum anderen soll in
den empirisch – qualitativen Kapiteln der Arbeit mit Hilfe der durchgeführten Interviews
herausgefunden werden, welche Auffälligkeiten Kinder/Jugendliche im Bereich der sozialen
Interaktion und Kommunikation haben können und welche Herausforderungen diese für die
betreuenden Integrationslehrer/Innen mit sich bringen. Welche Vorbereitungen müssen im
Vorfeld getroffen werden und wo gibt es Schwierigkeiten beziehungsweise Probleme, die
durch das Verhalten der Kinder hervorgerufen werden?
THEORETISCHER TEIL
Sich mitteilen zu können – bedeutet am Leben beteiligt zu sein
Autistische Störungen sind immer durch tief greifende Beeinträchtigungen der Entwicklung,
die bereits im frühen Kindesalter beginnen und in deren Zentrum eine schwere Beziehungsund Kommunikationsstörung steht, gekennzeichnet. Die Auswirkungen dieser Störungen
behindern auf eine vielfältige Art und Weise die Beziehungen zur Umwelt, die Teilnahme am
Leben in der Gemeinschaft und die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft, da
sowohl kognitive, als auch sprachliche, motorische, emotionale, soziale und kommunikative
Dimensionen betroffen sind.
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DEZEMBER 2010
(Grade der Beeinträchtigungen, DODD 2007, S.97)
Beeinträchtigungen im Bereich der Kommunikation und Sprache
Grundsätzlich haben Menschen mit Autismus ein großes Kommunikationsdefizit, welches
sowohl die expressive, sowie die rezeptive Sprachfähigkeit und den verbalen wie
nonverbalen Ausdruck, betrifft. Unter expressiver Sprache versteht man die Fähigkeit,
Sprache oder andere Kommunikationsmittel verwenden zu können, um etwas auszudrücken.
Der Begriff rezeptive Kommunikation meint den Prozess, in dem eine Botschaft von einem
anderen Menschen interpretiert und verstanden werden kann.
Diese Kommunikationsdefizite äußern sich in den unterschiedlichsten Ausprägungen und
lassen sich auf einem Kontinuum darstellen, von Autisten, die nicht in der Lage sind verbal
zu kommunizieren, bis hin zu Betroffenen, die über einen großen Wortschatz verfügen und
ausgiebig über ihre Interessensgebiete reden können. Das bedeutet die
Kommunikationsentwicklung verläuft bei jedem Menschen mit einer Autismus-SpektrumStörung individuell anders und ist von der intellektuellen und sozialen Entwicklung der
Betroffenen abhängig. Sie weicht aber in jedem Fall von der Normalentwicklung ab.
Die genauen Ursachen für die abnorme Sprech- und Sprachentwicklung bei Autisten sind
noch unbekannt. Es scheinen unterschiedliche Bedingungen für sie verantwortlich zu sein,
aber gerade die Probleme soziale Beziehungen gestalten zu können, dürfen auch die
Kommunikation schwerwiegend beeinträchtigen. (DODD 2007, S.68ff.)
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Beeinträchtigungen im Bereich der sozialen Interaktion
„Soziale Kompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, sich auf soziale Situationen und soziale
Interaktionen einzustellen und sich an sie anzupassen. Anders als die kognitive und
sprachliche Entwicklung, die auf Regeln basiert, unterliegt die soziale Entwicklung einem
ständigen Wandel.“ (QUILL 2000 zit. v. DODD 2007, S.93)
Menschen mit Autismus wird häufig eine Unfähigkeit oder ein fehlender Wunsch zur
Interaktion mit ihren Mitmenschen nachgesagt. Autismus gilt als eine grundlegende
Beeinträchtigung des Sozialverhaltens, da die betroffenen Personen stark in ihrer
Kommunikationsfähigkeit und in der Entwicklung von Beziehungen mit anderen
beeinträchtigt sind und nur sehr eingeschränkt auf ihre Umwelt reagieren können.
(HÄUSSLER 2003, S.13)
Möglichkeiten der Kompensation von Interaktions- und Kommunikationsstörungen
Wie bereits erwähnt fällt es Menschen mit Autismus schwer, sozial korrekt und
wünschenswert zu interagieren und zu kommunizieren. Um die Defizite in diesen beiden
Bereichen zu kompensieren beziehungsweise auszugleichen, müssen Strategien aufgezeigt
werden, welche dies ermöglichen. Folgende Methoden können hier zum Beispiel gezielt zum
Einsatz kommen:
Social Stories
Unter einer Social Story versteht man eine Lerngeschichte, die durch bestimmte
Charakteristika definiert ist. Eine Social Story beschreibt eine soziale Situation in Form einer
kurzen Geschichte, so dass dem Kind mit autistischer Wahrnehmung, deren Regeln, der
Aufbau und die Anforderung an das eigene Verhalten verständlich werden. (MATZIES 2008)
Comic Strip Conversation
Comic Strip Conversations sind verbildlichte Interaktionen, die kommunikative Fähigkeiten
bei Menschen mit Autismus fördern. Ein Gespräch findet in Form von wechselseitigen
Zeichnungen statt. Die Abbildungen sollen helfen, die Kommunikation zwischen Menschen
darzustellen und diese zu verdeutlichen. (MATZIES 2008)
Theory of Mind
Unter Theorie of Mind versteht man die Fähigkeit deuten zu können, was andere Menschen
denken, fühlen oder beabsichtigen. Mangelnde Fähigkeiten in diesem Bereich führen sehr oft
zu sozialen Missverständnissen und weiteres zu großen Schwierigkeiten in der Interaktion
und Kommunikation. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Fähigkeit zur Theory of Mind
mit Hilfe diverser Übungseinheiten, die aufeinander aufbauen, trainiert wird. (MATZIES 2008)
PECS (Picture Exchange Communication)
Bei diesem System handelt es sich um eine alternative Kommunikationshilfe in Form von
Bildkarten, die es den Betroffenen ermöglicht eigene Wünsche und Bedürfnisse zu äußern
oder zu kommentieren. Bei diesem Ansatz steht nicht der Spracherwerb selbst im
Mittelpunkt, sondern die funktionale, spontane Kommunikation mit anderen Menschen.
(MATZIES 2008)
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TEACCH- Ansatz (Treatment and Education of Autistic and related Communication
handicapped Children)
Der TEACCH-Ansatz ist eine Methode, die es den betroffenen Personen ermöglicht, trotz
ihrer Beeinträchtigungen im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation ein
Höchstmaß an Selbstständigkeit und Lebensqualität zu erreichen. (MATZIES 2008)
Durch das Lernen funktionaler Verhaltensweisen, soll das Kind unabhängiger und somit
selbstständiger werden. Mit Hilfe klarer Strukturierung, sowohl zeitlich, als auch räumlich, soll
dem Kind Orientierung und Sicherheit geboten werden. Die meisten Kinder mit autistischer
Wahrnehmung haben sowohl beim Überschauen zeitlicher Abläufe, als auch mit der
Organisation von Handlungsabläufen und Reihenfolgen Schwierigkeiten. Anhand von Plänen
und anderen Hilfen sollte versucht werden, diesen Problemen entgegen zu steuern, um den
Kindern eine für sie angenehme Situation zu ermöglichen. (HÄUSSLER 2003, S.31ff.)
Das Wiener Schulwesen
Das Wiener Schulwesen zeichnet sich durch ein differenziertes Angebot zur bestmöglichen
Förderung aller Schüler und Schülerinnen aus. Bereits im Schuljahr 1986/87 wurden in Wien
Integrationsklassen für den gemeinsamen Unterricht für Kinder mit und ohne
Beeinträchtigungen ins Leben gerufen. Eine qualitätsvolle Beschulung von Kindern mit
autistischer Wahrnehmung stellt in diesem Zusammenhang eine große Herausforderung dar.
Das Wiener Modell zur Integration von Kindern mit autistischer Wahrnehmung
Die Schaffung der Möglichkeit des integrativen Schulbesuchs für autistische Kinder begann
im Jahre 1994/95 aufgrund der Initiative von Gerhard TUSCHEL (Landesschulinspektor für
Sonderschulen und Integration) in Zusammenarbeit mit Univ.-Doz. Dr. BERGER (Leiter des
Neurologischen Krankenhauses am Rosenhügel – bis Frühjahr 2007), Dr. LENZ (ehemaliger
Präsident der Autistenhilfe), Trixi MLCZOCH (ehemalige Präsidentin der Österreichischen
Autistenhilfe) und Brigitte MÖRWALD (Integrationsberatung des Stadtschulrates).
Inspektorat für Sonderschulen und Integration
SSR für Wien
Landesschulinspektor Gerhard Tuschel
Integrationsberatungsstelle
des SSR für Wien
Österreichische Autistenhilfe
1010 Wien, Eßlinggasse 17
Brigitte Mörwald
AssistentInneneinsatz
Familienberatungsstelle
BezirksschulinspektorInnen
und
SPZ - LeiterInnen
Ausbildung / Fortbildung
Irmi Güttner /Mag. Rainer Grubich:
Blockseminar (PH 10)
(Modell: Prof. Dr. Feuser ) und 3
Einzelmodule (PH 21) (Referent/innen:
verschiedene Mentor/innen)
Spitäler und
Fachambulatorien in Wien
(medizinische Abklärung und Beratung)
INTEGRATION
von
KINDERN
mit
ASS
MentorInnen
Pflichtschulbereich:
Irmi Güttner, Mag. Rainer Grubich,
Susanne Otruba, Andrea Ackerer,
Sabrina Haider, Mag. Claudia Kaluza,
Dr. Edeltraud Wedl, Andrea Lanner,
Tine Weigel, Gabi Hirsch
Für den AHS Bereich:
Mag. Wegenast, Mag. Trettenhahn
MentorInnentreffen
Austauschplattform für Mentor/innen
ca. einmal monatlich
Leitung: Brigitte Mörwald
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
EMPIRISCHER TEIL
Forschungsdesign
Ich habe mich im Rahmen der Forschungsarbeit für eine qualitative Erhebungsmethode, das
offene Interview, entschieden, da diese den Vorteil hat, dass sie einen hohen Freiheitsgrad
bei der Beantwortung der Fragen bietet, weil sie gänzlich ohne Antwortvorgaben auskommt.
(MAYRING 2002, S.66f.)
Die Interviews wurden mit drei Wiener Integrationslehrerinnen geführt, die jeweils in ihrer
Klasse ein Kind mit autistischer Wahrnehmung unterrichten. Die durchgeführten Interviews
dauerten durchschnittlich jeweils 50 Minuten, wobei die Lehrerinnen einmalig zu ihrem
subjektiven Erleben im Umgang mit diesen Kindern befragt wurden.
Ein Interviewleitfaden ist für eine gewisse Strukturierung des Interviews verantwortlich und
soll die bestimmten abfragbaren Themen der Interviewproblematik enthalten. Er wurde in
Anlehnung an den Fragebogen „autistische Kinder und Jugendliche“ (DIESTELBERGER &
ZÖTTL 2005, S.14f.) verfasst.
Zum Festhalten der geführten Interviews wurde ein Tonband verwendet. Das gewonnene
Datenmaterial wurde im Anschluss wortwörtlich transkribiert.
Innerhalb der Interviews wurden verschiedene Kategorien gebildet, wobei der erste Block
allgemeine Fragen zum Kind (Alter, Geschlecht, Diagnose, Interessensgebiete und
Stereotypien) umfasst. Der zweite Block beschäftigt sich mit der familiären Situation der
Kinder und ihrem Umfeld. Der dritte Block widmet seine Aufmerksamkeit dem
Kommunikationsverhalten der Kinder. Der vierte Block setzt sich mit dem
Interaktionsverhalten der autistischen Kinder auseinander und dem fünften Block sind
Fragen zur Schulsituation zugeordnet.
Beantwortung der Forschungsfrage
Genannte Auffälligkeiten des Kommunikationsverhaltens
Wie erwartet zeigten sich bei allen drei Kindern mit autistischer Wahrnehmung Auffälligkeiten
in den Bereichen der sozialen Interaktion und Kommunikation. Aufgrund der
unterschiedlichen Diagnosen und Lebensgeschichten der betroffenen Kinder sind
verschiedene Ausprägungsgrade dieser Auffälligkeiten zu beobachten. Im Bereich der
Kommunikation waren zwei Schüler weitgehend unauffällig. Sie sind in der Lage Sprache zu
bilden und verwenden diese auch dem Alter und Entwicklungsstand entsprechend. Ihre
Lehrerinnen sprechen in diesem Zusammenhang sogar von ausgezeichneter Sprache. Beim
dritten Schüler sind im Vergleich dazu größere Auffälligkeiten im Sprachverhalten
beobachtbar. Dieser Junge verwendet Sprache nicht zielgerichtet. Er antwortet zwar, wenn
er etwas gefragt wird, aber ansonsten spricht er kaum. Gesprächssituationen scheinen für
ihn eine große Stresssituation darzustellen, weswegen er diese auch zu meiden versucht.
Auch das Halten von Blickkontakt ist für zwei der Kinder ein großes Problem. Sie können
ihren Gesprächspartnern nicht ins Gesicht sehen, stattdessen fixieren sie den Boden oder
andere Gegenstände. Zum dritten Kind gibt es diesbezüglich keine Angaben der Lehrerin.
Weiters ist auffällig, dass alle drei Jungen Probleme beim Verständnis von
Aufgabenstellungen und Anweisungen während des Unterrichts haben. Sie benötigen hier
oft eine Eins-zu-Eins- Betreuung durch den Lehrer. Zusätzlich ist es hilfreich, wenn wichtige
Informationen an die Tafel notiert beziehungsweise öfter wiederholt werden.
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Genannte Auffälligkeiten des Interaktionsverhaltens
Im Bereich des Interaktionsverhaltens sind Auffälligkeiten innerhalb der Mimik und Gestik der
Kinder zu beobachten. Teilweise ist es sehr schwierig die Gefühlslage der Kinder anhand
ihres Gesichtsausdrucks zu erkennen, da sie oft teilnahmslos und emotionslos wirken.
Gewaltige Emotionen bringen sie jedoch unmissverständlich zum Ausdruck, wobei in diesem
Zusammenhang aggressives Verhalten der Kinder ein großes Problem darstellt. Sind die
Jungen mit autistischer Wahrnehmung mit einer Situation überfordert, so reagieren diese oft
mit aggressivem Verhalten, wobei sie sich teilweise auch selbst verletzen. Ansonsten
nehmen sie eher passiv am Unterrichtsgeschehen teil. Sie haben oft Schwierigkeiten
Freunde und Bezugspersonen innerhalb der Klasse zu finden und sie gehen nicht von sich
aus auf MitschülerInnen zu, sondern verbringen den Großteil der Zeit alleine. Es fällt ihnen
auch schwer mit anderen Kindern zusammenzuarbeiten und sie haben aus diesem Grund
auch Probleme mit Gruppenarbeiten. Sie arbeiten größtenteils lieber alleine, da sie da auf
niemanden Rücksicht nehmen müssen und Arbeitsaufträge nach ihren eigenen
Vorstellungen erfüllen können. Zusätzlich waren bei den Schülern auch stereotype
Verhaltensweisen beobachtbar, die häufig bei Unsicherheit, Überforderung oder Angst
hervorgerufen werden.
Zu bewältigende Herausforderungen im Schulalltag
Durch die angeführten Auffälligkeiten im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation
ergeben sich einige Herausforderungen für die betreuenden LehrerInnen in
Integrationsklassen. Grundsätzlich ist es wichtig, dass für Kinder mit autistischer
Wahrnehmung ein angenehmes Klassen- und Unterrichtsklima geschaffen wird. Im
Klassenraum sollten alle Dinge ihren Platz haben und wenn nötig sollten zusätzliche
Orientierungshilfen für autistische Kinder angeboten werden. Prinzipiell sind Chaos und
Unordnung in jeder Art und Weise zu vermeiden. Auch der Unterricht selbst muss gut
geplant und strukturiert sein, sodass er nachvollziehbar für die Kinder mit speziellen
Bedürfnissen ist. Aufgabenstellungen und Anweisungen während des Unterrichts müssen
kurz und klar formuliert werden. Zusätzlich sollten diese auch durch visuelle Hilfen und
mehrmalige Wiederholungen unterstützt werden. Da Veränderungen des Schulalltags
autistische Kinder leicht aus ihrem Konzept bringen, ist es förderlich, diese den betroffenen
SchülerInnen rechtzeitig mitzuteilen, sodass sich die Kinder auf diese einstellen können und
Verwirrung und Stress vermieden werden. Wenn möglich, ist eine große Schülerzahl zu
vermeiden, da diese oft Überforderung bei autistischen Kindern hervorruft und zu Ablenkung
führt. Mögliche Ängste der betroffenen Kinder müssen frühzeitig erkannt und abgebaut
werden. In diesem Fall ist die Zusammenarbeit mit Eltern und Erziehungsberechtigten
unumgänglich. Zusätzlich ist es wichtig, dass man in diesem Zusammenhang das Gespräch
mit dem betroffenen Kind sucht und sein Verhalten genau beobachtet. Auch der Umgang mit
dem teilweise sehr aggressiven Verhalten der Kinder stellt für LehrerInnen eine große
Herausforderung dar, indem sie auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder angemessen
reagieren und der Situation entsprechend handeln müssen.
Die wichtigste und meiner Meinung nach auch schwierigste Aufgabe der LehrerInnen besteht
jedoch darin, die betroffenen Kinder in die Klassengemeinschaft zu integrieren und sie nicht
auf sich alleine gestellt zu lassen, denn nur so bekommen diese Kinder eine Chance aus der
Isolation zu entkommen und ihre sozialen Fähigkeiten weiterzuentwickeln, denn sie müssen
trotz ihrer Defizite und Stärken eine Chance auf bestmögliche Bildung und Förderung
erhalten, wenngleich dies eine große Herausforderung darstellt. Aus diesem Grund stellt der
Unterricht in einer Integrationsklasse für mich prinzipiell den besten Weg zur Förderung dar,
weil Kinder mit autistischer Wahrnehmung gerade hier von ihren MitschülerInnen im Bereich
des Interaktions- und Kommunikationsverhaltens ganz besonders profitieren können.
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Literatur
DIESTELBERGER, Anton, ZÖTTL, Therese (2005): Autismus: Strukturiertes Lehren und
Lernen. Pädagogisches Modell. Wien: Rainman's Home Forschung
DODD, Susan (2007): Autismus. Was Betreuer und Eltern wissen müssen. München:
Spektrum Akademischer Verlag
HÄUSSLER, Anna, HAPPEL, Christina, TUCKERMANN, Antje, ALTGASSEN Mareike,
ADL-AMINI Katja (2003): SOKO Autismus: Gruppenangebot zur Förderung sozialer
Kompetenzen bei Menschen mit Autismus. Erfahrungsbericht und Praxishilfen. Dortmund:
Verlag Modernes Lernen
MATZIES, Melanie (2008): Sozialtraining für Menschen mit Autismus, URL:
www.sozialtraining-autismus.de/leistungen/einzelfoerderung-im-bereich-sozialtraining
[3.3.2010]
MAYRING, Philipp (2008): Qualitative Sozialforschung. Weinheim, Basel: Beltz Verlag
MÖRWALD, Brigitte (2007): Das Konzept zur integrativen Beschulung von SchülerInnen mit
autistischer Wahrnehmung im Pflichtschulbereich in Wien. In: Tuschel, Gerhard; Mörwald,
Brigitte (Hrsg.): Miteinander 2. Möglichkeiten für Kinder mit autistischer Wahrnehmung in
Wiener Schulen. Wien: VWZ Zeitschriften Verlag 2007
Autorin: Stefanie Schindler B.Ed.
Jahrgang 1989
im September 2010 Abschluss des Sonderschullehramts an der KPH Strebersdorf,
seit Oktober 2010 als Intensivlehrerin im sonderpädagogischen Zentrum
Herchenhahngasse tätig
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Zur schulischen Integration eines ganz
besonderen jungen Mannes
Im Rahmen meiner Tätigkeit als Mentorin für Schüler/innen mit Autismus-Spektrum-Störung
(ASS) begleite ich seit dem Schuljahr 2009/2010 u.a. einen Schüler mit Asperger-Syndrom.
Er gab sein Einverständnis zur Verfassung eines Artikels und für ein Interview, besteht aber
darauf, dass ich kein Namenssynonym, sondern die Bezeichnung „junger Mann“ verwende.
Der folgende Artikel setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Im ersten schildere ich den
Verlauf der schulischen (Re-) Integration des Jugendlichen aus meiner Perspektive, im
zweiten Teil wird dieser durch ein Interview, das ich mit dem jungen Mann geführt habe, aus
seiner Sicht ergänzt.
Zum Erstkontakt
Ende des vorletzten Schuljahres (2008/2009) erhielt ich zu Beginn der Ferien eine E-Mail
von Frau Mörwald (Integrationsberatungsstelle SSR), in der sie mir von einem Schüler mit
einer sehr turbulenten Schullaufbahn, verbunden mit etlichen Schulwechseln, berichtete. Ein
weiterer Wechsel stand bevor. Der Jugendliche ging zu diesem Zeitpunkt bereits seit ca.
einem halben Jahr nur sporadisch und stundenweise in die Schule und galt als „schwer
integrierbar“. So begann ich im September aktiv mit der pädagogischen Begleitung seiner
schulischen Integration. Der junge Mann war zur diagnostischen Abklärung im AKH
aufgenommen.
Im September des Schuljahres 2009/2010 lernte ich den jungen Mann im AKH kennen. Er
nahm am Unterricht der Heilstättenschule teil. Bereits die erste Begegnung mit ihm war
spannend. Er hielt lange Monologe (eine Besonderheit, die bei Menschen mit AspergerSyndrom relativ häufig auftritt) und düste dabei mit dem Roller durch den Hof. Nach kurzer
Zeit
waren
mir
viele
seiner
Spezialinteressen
weitgehend
bekannt,
alle
Lieblingscomputerspiele so vertraut, als hätte ich sie selbst bereits gespielt und ich gewann
einen ersten Eindruck, wie er kommunizierte und Kontakt aufnahm. Er schien grundsätzlich
ein eher reizoffener Mensch zu sein, wies ein hyperkinetisches Erscheinungsbild auf und
schien bei vielen Gelegenheiten einen starken Drang zur Provokation zu verspüren. Es
schien ihm nur schwer möglich, empathisch zu sein und die Reaktionen auf seine
Provokationen adäquat abzuschätzen. Ich vermutete, dass der junge Mann ziemlich viel
Unterstützung von mir brauchen würde. Nach diesem ersten Kontakt plante ich bereits eine
intensive Begleitung beim Einstieg in die Schule, da ich ahnte, dass dieser für uns beide eine
herausfordernde Erfahrung werden würde.
Beobachtung und Beziehungsaufbau
In meinen folgenden Besuchen in der Heilstättenschule konnte ich den jungen Mann in
verschiedenen Situationen beobachten (bei der Einzelarbeit, in Gruppenarbeiten, in Pausen,
in der Interaktion mit anderen Schüler/innen und mit Erwachsenen). So war es mir möglich,
seine Verhaltensmuster und Reaktionen besser zu verstehen. Auch ein erster
Beziehungsaufbau durch Anknüpfung an seine Interessen (sein Spezialinteresse war damals
ein bestimmtes Computerspiel) gelang mir in dieser Zeit. Obwohl er in der Heilstättenschule
ausschließlich in einer Kleingruppe beschult und von zwei kompetenten Lehrer/innen
unterrichtet wurde, gestaltete sich der Unterricht mit ihm aufgrund der zahlreichen
Provokationen und der Reizoffenheit herausfordernd. Er ärgerte seine Mitschüler/innen
manchmal punktgenau, was starke Reaktionen und damit auch Unruhe und Konflikte zur
Folge hatte. Seine Konzentrationsphasen waren kurz, seine Lernbereitschaft variierte.
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Kooperation und Netzwerkarbeit
Um dem jungen Mann einen angenehmen (Wieder-) Einstieg in eine neue Schule zu
ermöglichen, war eine Planung des Prozesses mit genauem Informationsaustausch und
konkreten Unterstützungsmaßnahmen aller Beteiligten notwendig. Es gab viele zeitintensive
Vernetzungstreffen mit der Fall führenden Klinischen Psychologin vom AKH, Frau Mörwald,
den Lehrer/innen, der Mutter, der Therapeutin des jungen Mannes, und mir. Nach
gemeinsamen ausführlichen Überlegungen zu einem adäquaten Rahmen der schulischen
Bedingungen war klar, dass eine Beschulung in einer KMS eher seinen sozial-emotionalen
Bedürfnissen entspricht als eine weitere Beschulung in der AHS.
Vor der Einschulung klärte Frau Mörwald einige organisatorische Umstände und ebnete dem
jungen Mann seinen schulischen Weg in diesem Bereich. Sie fand ein LehrerInnenteam, das
interessiert war und sich zu dem Versuch, den jungen Mann zu integrieren, bereit erklärte.
Ein motiviertes engagiertes LehrerInnenteam war eine gute und wesentliche Voraussetzung
für diesen positiven Integrationsprozess. Das Team hatte bereits jahrelange Erfahrung in
Integrationsklassen und war offen für die neue Herausforderung. Außerdem war die
Klassenzusammensetzung der Integrationsklasse eine günstige, da die Mitschüler/innen
sozial eingestellt waren.
Schuleinstieg
Der Krankenhausaufenthalt dauerte etwas länger, weshalb der junge Mann und ich erst
Anfang Dezember das erste Mal vom AKH in die neue Schule fuhren. Das U-Bahn fahren
stellte zu diesem Zeitpunkt noch eine enorme Herausforderung für ihn dar, da es ihm nur
schwer möglich war, seine Provokationen für sich zu behalten. Seine verbalen Assoziationen
und Kommentare erweckten nicht nur „interessante“ Reaktionen der Passagiere. In den
folgenden U-Bahnfahrten spielten wir in der U-Bahn „4 gewinnt“, um die für ihn anstrengende
Situation durch die Fokussierung auf etwas anderes zu erleichtern. Die weiteren Fahrten
waren relativ stressfrei. Der erste Schulbesuch verlief gut. Er wirkte sehr nervös, berührte
alles, was er nur irgendwie berühren konnte. Es war ihm kaum möglich kurz ruhig zu stehen
oder zu sitzen. Die Schüler/innen stellten sich vor, auch der junge Mann erzählte von sich.
Nach einer Stunde fuhren wir wieder zurück ins AKH. Für ihn schien diese kurze Zeit schon
sehr anstrengend gewesen zu sein. Auf dem Weg zurück erklärte er mir zu seinem Eindruck
der Schule nur: „Das kannst du vergessen. Ich hasse Schule und besonders in dieser Schule
gefällt es mir überhaupt nicht. Die Umgebung finde ich äußerst hässlich.“ Auf die Umgebung
hatte ich leider keinen Einfluss. Ich war trotzdem zuversichtlich.
Wichtige Faktoren des Gelingens
Der junge Mann ging bald täglich zur Schule, ausschließlich in meiner Begleitung und
anfangs nur einige Stunden. Es war für ihn enorm herausfordernd, sich wieder an eine große
Gruppe zu gewöhnen. Er reagierte mit provokantem Verhalten, schimpfte lautstark und nicht
jugendfrei über längere Zeiträume und forderte sein Umfeld wirklich in jeder Hinsicht. Die
große Gruppe schien ihn aufgrund seiner Anpassungsschwierigkeiten zu überfordern. Er
hatte bereits viele und teilweise negative Erfahrungen mit der Schule gesammelt und es
schien ihm nicht möglich, wieder eine positive Einstellung zur Schule zu entwickeln. Es
fanden Gespräche mit den Schüler/innen der Klasse statt, in denen das LehrerInnenteam
und ich offen über seine Besonderheiten im Rahmen des Asperger-Syndroms sprachen und
gemeinsame Vereinbarungen mit der Klasse trafen. Diese Sensibilisierung war notwendig,
um gegenseitiges Verständnis anzubahnen. Der junge Mann benötigte für eine positive
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Kontaktaufnahme mit den Mitschüler/innen konkrete Anleitung und intensive Begleitung. Ich
unterstützte ihn dabei, höfliche Worte und einen adäquaten Umgangston mit anderen
Menschen zu finden. Es gelang ihm infolge dessen zum ersten Mal in seinem Leben, einen
Freund in seiner Klasse zu finden. Dies war für ihn ein wesentlicher Beitrag, um sich in der
Schule wohl zu fühlen. Zu diesem Zeitpunkt gab es auch schon ein kleines Zugeständnis
seinerseits: „Na ja, so schlecht, wie ich geglaubt habe, ist es hier auch wieder nicht“. „Na
bitte…“, dachte ich.
In kleinen Schritten, mit vielen Strukturierungshilfen (visuelle Hilfen, Motivationssysteme, …)
gelang es günstige und für ihn adäquate Bedingungen herzustellen, auf die er nach einigen
Rückschlägen und Krisen gut reagierte. Eine engagierte Assistentin der Österreichischen
Autistenhilfe unterstützte ihn nach einigen Wochen 4x wöchentlich bei der Bewältigung des
Schulalltags. In der Zeit, als der junge Mann seine Besonderheiten im vollen Spektrum zur
Geltung brachte, gab es auch Momente der Verzweiflung und manchmal sogar Ratlosigkeit.
Es war nicht immer sicher, ob der Versuch, ihn wieder in eine Gruppe zu integrieren,
gelingen wird. Die begleitende Vernetzung aller Beteiligten war enorm zeitintensiv und ein
wesentlicher Baustein der erfolgreichen Beschulung des junges Mannes, da alle Beteiligten
über die bevorstehenden Ziele und Entwicklungsschritte Bescheid wussten und mitwirkten.
Momentane Situation und Ausblick
Ende des letzten Schuljahres durfte er nach langen Überlegungen des LehrerInnenteams
und mir, mit Begleitung (durch mich und dann durch die Assistentin der ÖAH) auf die
Projektwoche mitfahren. Diese Woche war ein voller Erfolg. Für die Integration in die Gruppe
war seine Teilnahme bedeutungsvoll. Die Schule ist nun wieder ein positiv besetzter Ort, den
er gerne besucht. In diesem Schuljahr kann er bereits einmal in der Woche am
Nachmittagsunterricht teilnehmen, was eine großartige Leistung ist.
Ich interviewte den jungen Mann Ende des letzten Schuljahres. So können Sie nun anhand
einiger Ausschnitte des Interviews mehr über seine Perspektive erfahren:
I (Interviewerin): Weißt du eigentlich noch, wo wir uns kennen gelernt haben?
S (Schüler): Ja, das war im AKH in dem Garten. Da bist du zu mir gekommen und da
haben wir uns dann eben kennen gelernt. Da haben wir uns dann eben gegenseitig Fragen
gestellt und auch beantwortet.
I: Genau. Ich war ja öfter bei dir in der Schule im AKH. Kannst du dich noch erinnern, als
wir zum ersten Mal in diese Schule gekommen sind? Welchen Eindruck hattest du da?
S: Ja, das war vor Weihnachten. Und eigentlich ist mir diese Schule hier sehr, sehr laut
vorgekommen und war etwas unbequem, weil da so viele Kinder sind, habe ich erst einmal
geglaubt. Aber jetzt ist es eigentlich eh recht angenehm.
I: Du hattest also den Eindruck, dass es in der Schule laut ist. Welchen Eindruck hattest du
noch?
S: Ja, ich habe mir auch noch gedacht, dass das Licht in der Klasse ziemlich hoch an der
Decke oben ist und ich dachte, die Fenster bringen auch nicht so viel Licht. Es ist mir hier
sehr düster vorgekommen.
I: Du hast gefunden, es ist zu dunkel in der Schule?
S: Ja, am Anfang schon, aber jetzt hat sich eben meine Meinung auch geändert.
I: Wie ist es denn jetzt?
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
S: Jetzt finde ich es eigentlich recht schön in der Schule, recht angenehm. Der Unterricht ist
auch sehr lehrreich, was ich am Anfang nicht geglaubt habe, dass man in einer KMS so viel
lernen kann.
I: Wer hilft dir am Vormittag in der Schule?
S: Am Vormittag helfen mir eben die Lehrer und Thomas (Anmerkung Kaluza: Name wurde
geändert), das ist mein Schulfreund in den Pausen und Claudia und die Frau M. (Anmerkung
Kaluza: Assistentin Österreichische Autistenhilfe)
I: Wie unterstützen dich die Lehrer?
S: Wenn ich irgendetwas gemacht habe, was nicht so ganz passt, dann reden die Lehrer mit
mir darüber und dann sagen sie mir, wie ich das besser machen könnte, das versuche ich
dann auch.
I: Und wie unterstützen dich Frau M. oder ich?
S: Frau M. oder Claudia sagen mir dann eben schon vorher, wenn es dann wirklich reicht.
I: Wenn es worauf bezogen wirklich reicht?
S: Wenn ich geschimpft habe oder wenn ich die Anderen provoziert habe. Halt etwas, was
daneben ist, völlig daneben ist.
I: Das heißt du empfindest das als Hilfe, dass wir dir das schon vorher sagen?
S: Genau, das empfinde ich schon stark als Hilfe.
I: Wie ist es für dich so viel Unterstützung zu bekommen? Dass ich 1x in der Woche bei dir
bin und Frau M. 4x in der Woche bei dir ist?
S: Also, am Anfang ist es mir noch unheimlich lästig vorgekommen - unheimlich lästig. Aber
jetzt bin ich eigentlich drauf gekommen, es ist ziemlich nützlich gewesen. Weil jetzt habe ich
nämlich auch zwei Freunde gefunden. Und mit denen treffe ich mich auch öfter zu Hause.
I: Hattest du vorher schon einmal einen Freund in der Schule?
S: Eigentlich nicht, dass ich mich erinnern könnte. Einmal in der ersten Klasse Volksschule,
aber das war auch nur so ein Halbfreund.
I: Kannst du dich noch an diese Bilder erinnern? Du hattest sie ganz am Anfang, als du in
die Schule kamst, auf deinem Tisch.
Ein Beispiel der Bilder:
Ich schimpfe und
proviziere.
Ich bin freundlich zu
anderen Menschen.
(Symbole aus: www.sclera.be)
S: Ja, an die kann ich mich schon noch erinnern. Die waren eine sehr große Hilfe den Weg
eben von dem nicht so guten Leben, also vom schlimmen Leben, ins gute Leben zu
schaffen.
I: Kannst du das bitte kurz beschreiben?
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
S: Diese Bilder sagen mir, wann es genug ist von meinem schlechten Verhalten.
I: Was steht da zum Beispiel?
S: Da gibt es eben einen roten Bereich, das ist der schlechte Bereich und einen grünen
Bereich. Und im roten Bereich steht z.B: ich schimpfe, ich bin aufgeregt, ich rufe hinaus, ich
bleibe trotz Aufforderung sitzen. Im grünen Bereich steht ich bin freundlich und höflich zu
anderen Menschen oder ich zähle leise bis 10 beruhige mich und nehme mir ein Auszeit.
I: Und konntest du dich damit besser orientieren oder war das eher nicht so hilfreich?
S: Das war sehr, sehr hilfreich, weil sonst wäre ich nämlich jetzt nicht so weit.
I: Erinnerst du dich noch an das Provokationsthermometer?
S: Ja, das war auch so kurz nachdem wir diese Bilder wieder weniger gebraucht haben. Da
haben wir eben das Provokationsthermometer gemacht. Das war eben ein super
Anhaltepunkt für mich wie provokant ich schon bin und ob es jetzt wirklich schon sehr reicht
oder ob nicht ganz so.
I: Was zeigt dir das Provokationsthermometer an? Wie funktioniert
denn das?
S: Also das Provokationsthermometer das zeigt mir eben an, wenn ich
etwas mache was nicht so passt mit meinem Verhalten, wenn ich
provoziere oder schimpfe. Dann zeigt es mir an, ob es schon sehr reicht
oder ob nicht. Immer wenn ich provoziere oder schimpfe, dann wächst
das um ein paar Kugeln mehr.
I: Brauchst du diese Sachen jetzt noch? Die Bilder und das
Provokationsthermometer? Ist das noch notwendig, bist du noch
provokant in der Schule und schimpfst du noch oder ist diese Zeit jetzt
vorbei?
S: Vorbei ist diese Zeit auch noch nicht, manchmal kommt es halt noch hoch, aber im
Grunde genommen, brauche ich es nicht mehr so. Mir fällt es eben jetzt in der Klasse
generell leichter, mit meinen Freunden. Dadurch fällt es mir prinzipiell auch leichter, dass ich
jetzt keine Schimpfwörter mehr verwende.
I: Kannst du bitte so nett sein und mir von deinem Guinness-Buch erzählen?
Anmerkung: Das Guinness-Buch ist ein kleines Buch und dient als Motivationssystem (positive Verstärkung).
Titelblatt:
Beispiel Innenseite:
Ich bin
im Unterricht
aufmerksam.
(aus: http://www.paulkrenz.de/kunstlager/urkunde2.jpg)
27.4.
•••
28.4
•••••
29.4.
••
(Symbol aus: www.sclera.be)
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INTEGRATIONSJOURNAL
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S: Also, bei meinem Guinness-Buch geht es darum, da sind jetzt verschiedene Punkte z.B.
ich bin im Unterricht aufmerksam oder ich berühre nicht alles. Wenn ich einen dieser Punkte
erfüllt habe, dann bekomme ich einen Punkt für diese Stunde. Und wenn ich an einem Tag
alle Punkte geschafft habe, dann wird mir das auch in meinen Kalender eingeschrieben.
I: Welche Punkte sind am schwierigsten zu erreichen in deinem Guinness-Buch?
S: Der schwierigste Punkt ist für mich der Punkt ich bleibe freundlich und höflich.
I: Und wenn du über eine Woche Punkte gesammelt hast, was passiert dann?
S: Wenn ich über eine Woche alle Punkte jeden Tag geschafft habe, dann kann ich halt am
Wochenende etwas länger Computer spielen oder ich mache mich meiner Mutter einen
Ausflug.
I: Ist das Guinness-Buch eine Hilfe für dich?
S: Ziemlich, weil daran kann ich nämlich auch erkennen, wie eben früher an dem
Provokationsthermometer ob es jetzt reicht oder eben ob es noch ein bissl geht.
I: Kannst du mir bitte noch von deinem Kalender erzählen?
S: Also, ich habe von der Frau B., das ist meine Klasselehrerin, so einen Schülerkalender
bekommen. Auch schon einen für nächstes Jahr. Und in den Schülerkalender schreibe ich
eben meine ganzen Hausübungen ein, wer mich an dem Tag abholt oder ob ich alleine
fahren kann. Da stehen dann auch Informationen drinnen, die für mich wichtig sind, die ich
nicht vergessen darf in der Schule.
I: Wie ist denn das, früher bist du ja jeden Tag von der Schule abgeholt worden. Wieso war
das so?
S: Das war weil ich mich nicht ganz so richtig verhalten habe. Aber wie das jetzt genau war,
das möchte ich jetzt nicht erzählen.
I: Und wie ist es denn jetzt?
S: Jetzt darf ich schon mittlerweile zwei Mal pro Woche entweder zu meiner Oma fahren
oder zu meiner Mutter.
I: Und freust du dich darüber?
S: Ja, sehr.
I: Wie geht es dir denn jetzt im Unterricht?
S: Der Unterricht, der ist für mich schon recht einfach vom Verhalten her.
I: Wie meinst du das einfach vom Verhalten her?
S: Also das ist so, es fällt mir nicht mehr sehr schwer, nicht irgendwelche unhöflichen
Bemerkungen zu machen oder gar Schimpfwörter zu verwenden, aber das ist eh schon so
lange her.
I: Wie war die Projektwoche? Du konntest ja dann mitfahren.
S: Ich fand die Projektwoche eigentlich recht schön und es war auch sehr schön mit Thomas
(Anmerkung Kaluza: Name geändert) in einem Zimmer zu schlafen.
I: Was habt ihr auf der Projektwoche gemacht?
S: Es war eigentlich eine Reitwoche. Wir waren jeden Tag reiten. Manchmal waren wir auch
auf Ausflug und einmal gab’s auch Morgensport.
I: Und wie war das Reiten für dich?
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S: Ich hatte am Anfang voll Angst, dass mich das Pferd runter haut oder so, aber dann habe
ich mich dann eben doch überwunden und dann war’s das.
I: Wie hast du es geschafft, dich zu überwinden?
S: Ganz einfach rauf aufs Pferd und das war’s dann.
I: Welche Ziele möchtest du im nächsten Schuljahr erreichen? Was ist dir wichtig?
S: Also, es ist zwar geplant, dass ich einen Nachmittag fix bleibe, aber es ist mir schon
wichtig, dass ich noch einen zweiten Nachmittag vielleicht auch schaffe, so im zweiten
Semester.
I: Wolltest du immer schon so lange in der Schule sein?
S: Immer nicht. Wie ich am Anfang in die Schule gekommen bin, wollte ich erst überhaupt
nicht in diese Schule.
I: Welche Ziele möchtest du langfristig erreichen? In weiterer Ferne?
S: Dass ich alle Nachmittage in der Schule bleiben kann und dass ich eben mehrere Freunde
finde. So zehn Freunde oder so.
I: Worauf bist du besonders stolz?
S: Ich bin besonders stolz auf den jetzigen Nachmittag, der bis jetzt immer am Montag war.
(Anmerkung Kaluza: in den letzten Schulwochen durfte der Schüler als Motivation für das
nächste Jahr bereits ein paar Mal am Nachmittagsunterricht teilnehmen). Ich bin auch stolz
darauf, dass ich zu Ostern dadurch, dass ich mich das Monat vor Ostern so schön
benommen habe, von meiner Mutter einen Computer bekommen habe. Und ich bin auch
noch stolz auf die Guinnesspunkte, die ich erreicht habe. Ich bin auch noch darauf stolz,
dass ich in Mathe jetzt etwas besser geworden bin und darauf, dass wir das
Provokationsthermometer nicht mehr brauchen und auch darauf, dass diese Bilder auch nicht
mehr so notwendig sind.
Der erfolgreiche Prozess der schulischen Integration des Schülers hebt die Bedeutung eines
Netzwerkes rund um ein Kind mit besonderen, anspruchsvollen Bedürfnissen hervor. Es ist
noch ein langer Weg mit vielen Entwicklungsschritten und Teilzielen, den der junge Mann vor
sich hat. Ich bin sicher, dass er auch die weiteren Schritte gut bewältigen wird.
Lieber junger Mann – danke für das Interview und weiterhin viel Erfolg!
a
Autorin: Mag. Claudia Kaluza
Sonderschullehrerin, Studium der Pädagogik
derzeit tätig als Mentorin für Schüler/innen mit ASS
vorher tätig als Sonderschullehrerin in einem SPZ für schwerstbehinderte Kinder
Seminare in der Fortbildung der PH Wien und der KPH
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INTEGRATIONSJOURNAL
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„Ich bin dabei!“
Meine Klasse und ich beim Morgenkreis.
Viktorias Weg im integrativen Schulsystem in Wien
Beiträge von Volksschullehrerin Barbara Eberhart und Integrationslehrerin Alexandra
Strohmeier (VS – Team), Integrationslehrerin Carla Schindler (KMS-Team) und der Mentorin
der Schülerin SL Susanne Otruba
Eine entscheidende Phase bei der Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit einer
Autismus-Spektrums-Störung (ASS) ist der Schulwechsel in die Sekundarstufe der KMS.
Dabei sollen die in der Grundschulzeit erworbenen Fähigkeiten und Kompetenzen der
SchülerInnen in ein völlig neues Bezugssystem transferiert werden.
Aus verschiedenen Blickwinkeln und ausgehend von der integrativen Praxis beschreiben die
Lehrerinnen und die Mentorin der Schülerin, welche nach dem Lehrplan der Allgemeinen
Sonderschule unterrichtet wird, ihre Erfahrungen mit einem autistischen Mädchen während
der ersten vier Schuljahre bis zum Wechsel in die Sekundarstufe. Mittels der Darstellung des
Förderverlaufs im sozialen Bereich an Hand von konkreten Unterrichtssituationen lässt sich
die Entwicklung der Schülerin gut einschätzen. Die Mentorin lässt die auf das autistische
Spektrum zutreffenden Zusammenhänge und eigene Erfahrungen mit der Schülerin mit
einfließen.
Kinder und Jugendliche mit einer ASS-Diagnose stoßen in fast allen Bereichen unserer
Gesellschaft permanent auf soziale Barrieren. Die meisten von ihnen befinden sich
zusätzlich in laufender therapeutischer Behandlung. Erfolgreiche Entwicklung basiert, wie
auch im Fall von Viktoria, auf dem Zusammenwirken vieler Fachleute und der Unterstützung
der Eltern. Von pädagogischer Seite her gibt es eine Fülle an strukturellen Hilfestellungen,
von denen einige auch im weiteren Text genannt und beschrieben werden.
Grundstufe 1:
Viktoria ist eine von meinen Schützlingen, die ich im Rahmen des Projekts
‚Integration von SchülerInnen mit Autismus-Spektrum-Störung im Wiener Regelschulwesen’
betreue.
Als Mentorin wird die Schülerin von mir seit dem 2. Semester der ersten Volksschulklasse
begleitet. Ich erlebte sie als neugierig Fragen stellend, schreibend und zeichnend an der
Tafel, geschickt beim Bestreichen von Broten, lachend beim Aussprechen von „verbotenen
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Wörtern“ und konzentriert auf das akribische Ordnen ihrer Farbstifte. Ich erinnere mich, dass
Viktoria während der ersten Monate unseres Kennenlernens sehr interessiert war an einem
für sie signifikanten Erkennungsmerkmal meiner Person. Am Anfang jeder Begegnung schob
sie meine Ärmel hoch, um das für sie so wichtige Kennzeichen, - ein Muttermal zu sichten.
Der Anpassungsdruck für die Kinder mit ASS ist beim Schuleinstieg besonders extrem. Der
Schuleintritt beginnt für sie oft mit einer Fülle an neuen Eindrücken. In für sie ungewohnten
Situationen können viele SchülerInnen des Autismus-Spektrums zumeist auf kein passendes
Verhaltensmuster zurückgreifen. Im Fall von Viktoria betraf das die Teilnahme am
Morgenkreis.
Die VS-LehrerInnen beschreiben die Situation beim Morgenkreis so:
„Die SchülerInnen versammelten sich jeden Montag in der ersten Stunde am Teppich zum
Morgenkreis und erzählten ihre Wochenendgeschichten. Viktoria konnte in der ersten Klasse
kaum dabei sitzen bleiben, gab unpassende Laute von sich und lachte laut. Zwischendurch
zog sich die Schülerin ihre Socken aus. Sie beschnupperte die anderen Kinder und zog
gerne auch an deren Ohrringen!“
Meine Lieblingsbeschäftigung beim Morgenkreis!
Über die Lernausgangslage der zweisprachig aufwachsenden Schülerin im Bereich
Kommunikation berichtet die Integrationslehrerin: Am Beginn der ersten Klasse bestanden
Viktorias verbale Äußerungen vor allem aus dem echoartigen Nachplappern von Sätzen und
ein paar wenigen Wörtern bzw. kurzen Sätzen wie: „Viktoria Klo gehen“, wenn sie etwas
nicht tun wollte oder etwas nicht verstanden hat, sagte sie: „Viktoria muss weint!“.
Echolalie, - das Wiederholen des letzten Teils von Äußerungen und Fragen gilt als auffälliges
Merkmal des frühkindlichen Autismus. Die Schülerin verwendete auch immer wieder die
zweite Person wenn sie eigentlich von sich sprach: „Du hast neue Ohrringe!“. Beim Erzählen
fiel auf, dass das Mädchen oft die Zeitform des Präsens benutzte, obwohl sie von
Vergangenem oder Zukünftigem berichtete. Pronomenumkehr und die eingeschränkte
Anwendung von Zeitformen bei Kindern mit Autismus sind kein grammatisches Problem, die Ursache liegt im Fehlen des übergeordneten Kontextes (FRITH 1992, 141f.). Aufgrund
der beeinträchtigten Informationsverarbeitung von Zeiträumen, Abläufen, und sozialen
Handlungsmustern bei Kindern im Autismus-Spektrum werden diese Bereiche in der
individuellen Förderung besonders berücksichtigt.
Wesentliche Abläufe im Unterricht wurden mit Bildern, Fotos und Symbolen sowie gezielter
verbaler Anleitung in Erarbeitungssequenzen unterstützt. Allgemeine Hilfestellungen waren
eine gleich bleibende Wortwahl sowie einfache, eindeutige und kurze Sätze im Gespräch
mit der Schülerin.
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Die Einsicht in Reglements (Klassenregeln sowie Spezialregeln/Abmachungen für die
Schülerin) wurden geübt und wesentliche Handlungsabläufe möglichst anschaulich
demonstriert und konsequent wiederholt. Die Kompetenzen und Defizite der SchülerInnen
mit ASS werden stets in die individuelle Förderung miteinbezogen und setzen klare
Arbeitsanforderungen im Unterricht fest.
„Jetzt hab ich's kaputt
gemacht!“
Dieses Foto brachte die
Schülerin
sehr
zum
Nachdenken! Es zeigt
Viktoria, als sie wieder
einmal ein Bauwerk der
Buben zerstörte.
Fotos sind besonders für
Kinder des AutismusSpektrums ein ideales
Feedbackinstrument!
Die Schülerin lernte nun Schritt für Schritt, sich an den tragenden Strukturen der Klasse zu
orientieren und die nötige Arbeitsroutine zu entwickeln. Die Integrationsklasse wurde als
´Bewegte Klasse` geführt, Sitzkreise, Arbeitspläne, Arbeiten am PC, Arbeitsphasen in der
Kleingruppe, Klassenrat, Lehrausgänge, und ein bis zwei Mal jährlich eine Musicalaufführung
in Projekterarbeitung waren fixer Bestandteil des Lernprogramms.
Schon bald konnten herausragende Leistungen in Teilbereichen beobachtet werden, wie die
Integrationslehrerin Alexandra Strohmeier anmerkt:
Viktoria konnte nach zwei Wochen alle Namen der SchülerInnen in der Klasse lesen und
auch bald richtig schreiben. Auch die Geburtstage wusste sie bald auswendig. Die Namen
aller LehrerInnen konnte sie sehr rasch richtig zuordnen. Wörter, die sie einmal geschrieben
hat, schrieb sie danach immer richtig und schön.
Auffällig war auch die Tatsache, dass Viktoria später beim Abschreiben immer nur einmal auf
den Text schauen musste, um den Satz vollständig ins Heft zu übertragen.
Inselbegabungen zu erkennen und in den Unterricht einzubeziehen, wie bei Viktoria die
visuelle Merkfähigkeit durch das Speichern von Namen, Daten und Sätzen, wirkt sich
oftmalig positiv auf Motivation und Arbeitshaltung aus.
Doch das Mädchen hat offenbar auch die Fähigkeit, Gerüche Menschen zu zuordnen. Ein
Beispiel der beiden Lehrerinnen: Als sie einmal bei der Sprachheillehrerin war, saß ein
neutral riechender Schüler auf ihrem Platz. Nach der Pause kam sie wieder in die Klasse
zurück und der Sitzplatz war leer. Viktoria erstaunte uns sehr, denn sie konnte durch
Riechen an ihrem Platz erkennen, wer zuvor dort gesessen hatte!
Die im ersten Schuljahr erworbenen Beziehungen und die individuelle Förderung tragen
bereits die ersten Früchte:
In der zweiten Klasse gelang es der Schülerin schon besser im Sitzkreis zu sitzen, ohne zu
stören. Wenn sie zu laut wurde, setzte sie sich anfänglich nach Aufforderung, dann von
selbst auf ihren Platz.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Viktorias Mutter gab auf unsere Bitte hin kommentierte Fotos und Mitbringsel zum Herzeigen
mit. Eine Fotomappe, in der Alltagssituationen und erwünschte bzw. unerwünschte
Verhaltensweisen dokumentiert wurden, wurde mit ihr regelmäßig angeschaut und
besprochen. Später dokumentierte sie neue Bilder sowohl verbal als auch schriftlich selbst.
Die wichtigste Regel für
Viktoria im Sitzkreis wurde
mittels eines Fotos erarbeitet.
Für sie war nun klar, in
welcher Gruppensituation sie
ihr
Verhalten
anpassen
musste. Trotzdem wurde für
den Fall, dass es dem
Mädchen
nicht
gelingen
würde, leise zu sein, eine
weitere
Abmachung
getroffen.
Verhaltenscoaching ist ein
wesentlicher Bestandteil der
individuellen Förderung von
Kindern mit ASS!
Mit der Fotomappe lernte Viktoria von ihrer Welt zu erzählen. Sie berichtete von ihrer
Familie, ihren Freundinnen, erzählte von der Therapie mit dem Delfin und ihrem LieblingsMusical. Das Mädchen zeigt auf ein Foto nach dem anderen und spricht: „Das ist Olivia,
meine Schwester und das ist mein Wings und meine Barbie, -mein Wings und meine Barbie!
Das ist mein Bett zu Hause, -mein Bett.“ Sie beantwortet die Frage einer Mitschülerin wegen
eines Posters am Foto:“ Das habe ich gemalt. Das habe ich gemalt! “. Beim Anblick eines
Fotos ruft sie immer auf die gleiche Art und Weise: “Schneemann! Schneemann!“. Ein Foto
ihres Therapiedelfins kommentiert sie mit: „Delfin, süß, Bussi!“ und ein anderes, auf dem sie
im Schwimmbad zu sehen ist mit “Schau mal, das bin ich!“
Ich kann dir viel erzählen!
Viktoria begann auch damit, das
Personalpronomens
´ich`
zu
verwenden und machte damit
einen
großen
Schritt
zum
Unterscheiden von ich und du –
von ihr und der Welt!
Beim Durchblättern von Viktorias Fotomappe, ihres „Ich-Buchs“ konnte sie am besten auf die
Fragen der anderen Kinder eingehen. Das Interesse ihrer Klassenkameraden veranlasste
sie, von ihrer mechanischen Erzählweise etwas abzuweichen um die Fragen genauer zu
beantworten.
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Grundstufe 2:
Im Entwicklungsverlauf stellte sich heraus, dass das für einige SchülerInnen aus dem AS
typische unausgewogene Leistungsprofil auch auf Viktoria zutraf.
In Mathematik nahm sie längere Lern- und Festigungsphasen in Anspruch, zum
selbständigen Rechnen brauchte sie konkretes Material. Deutliche Fortschritte wurden im
Bereich Kommunikation und Verhalten verzeichnet, denn schließlich legte die Schülerin in
der dritten Klasse die störenden Verhaltensweisen beim Morgenkreis ab.
Viktorias Lehrerinnen: Sie beteiligte sich an den Wochenendgeschichten, indem sie mit der
plötzlichen Frage: „ Viktoria auch erzählen?“ signalisierte, auch etwas erzählen zu wollen,
was sie dann auch mit für uns nicht zusammen hängenden Wörtern und Sätzen versuchte.
Am Ende ihrer Erzählungen forderte sie dann die Kinder auf sie zu beklatschen!
Die LehrerInnen erinnern sich auch an eine bestimmte Situation im Zusammenhang mit den
Bildkarten zum Visualisieren des Tagesablaufs auf der Tafel. Bis dahin wurde das von der
Schülerin zwei Jahre lang scheinbar ignoriert. Umso mehr brachte sie die Lehrerinnen eines
Tages zum Staunen, als sie von der Schülerin auf einen Fehler im Stundenplan aufmerksam
gemacht wurden!
Innerhalb von zwei Jahren entwickelte sich das Mädchen zu einer gut integrierten Schülerin,
die in der Pause mit den Freundinnen samt der neuesten Handtasche am Gang flanierte!
Viktoria sang gerne Musicalsongs mit ihren Mitschülerinnen und wirkte in den
Musicalaufführungen der Klasse in einfachen Rollen mit. Im Turnsaal beim Geräteparcours
probierte sie mit den anderen Kindern alle Stationen aus. Im Textilen Werken zeigte sie
Genauigkeit und Ausdauer.
Die Schülerin hinterfragt nach wie vor standardgemäß neue Frisuren und Accessoires.
Selbst gut auszusehen ist ihr wichtig! Ihr Interesse ging früher oft soweit, dass sie so manch
frivolen Blick ins Dekolleté von Kolleginnen riskierte!
Hier sticke ich in verschiedenen Farben!
Hilfestellungen für die Schülerin waren der Einsatz von konkreten Materialien, vor allem in
Mathematik, wie Rechenrahmen, Multiplikationsbrett, Rechengeld und Glassteine sowie
immer wieder kehrende Aufgaben und Übungsabfolgen.
Die Mutter des Mädchens stellte für die Arbeit mit Viktoria auch einen Laptop zur Verfügung,
an dem sie täglich ihre Einheit (Lilos Lesewelt) selbständig erledigte.
Beim Morgenkreis in der vierten Klasse erzählte Viktoria dann detailgetreu, mit der Nennung
der passenden Wochentagen, was sie am Wochenende erlebt hat. Sie beendete ihre
ausführlichen Erzählungen mit dem Wort: „Fertig!“.
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INTEGRATIONSJOURNAL
Hier muss Viktoria rechnen!
Motopädagogik macht Spaß!
DEZEMBER 2010
Projekt „Unser Sonnensystem“
Vor der Musical-Vorstellung `Der kleine Vampir´
Die Volksschullehrerinnen ziehen über die gemeinsamen vier Schuljahre Bilanz:
„Zu Anfang war es mit Viktoria sowohl für uns als auch für die Kinder und ihre Eltern eine
ziemliche Herausforderung ihre Eigenarten zu akzeptieren. Im Laufe der Zeit haben wir sie
alle mit ihren Besonderheiten und ihrem liebenswerten Wesen ins Herz geschlossen. Die
Echolalie und die unerwünschten Verhaltensweisen legte sie mit der Zeit ab und wurde in
der Klassengemeinschaft als gleichwertiges Mitglied integriert. Wir vermissen sie!“
Für die Lehrperson ist die Akzeptanz und Annahme der besonderen Eigenheiten,
Bedürfnisse der Schülerin / des Schülers die Basis für den Aufbau einer stabilen Beziehung
zum autistischen Kind. Das Vorleben einer bedürfnisorientierten herzlichen Beziehung mit
klaren Grenzen ist immer Vorbild für alle SchülerInnen der Klasse. So wie auch in anderen
Bereichen der Pflichtschulintegration spiegelt sich die Haltung der LehrerInnen durchaus in
einer Verbesserung der sozialen Kompetenzen der am Setting mitwirkenden SchülerInnen
wider. Immer wieder übernehmen Kinder von sich aus die Rolle eines Tutors, indem sie dem
Kind mit ASS in bestimmten Situationen hilfreich zur Seite stehen. Wenn mehrere
KlassenkollegInnen dafür in Frage kommen, dann kann sich dadurch eine Peergroup bilden,
die verstärkt mit dem autistischen Schüler interagiert und wenn nötig, von einer
Lehrerin/einem Lehrer oder der Mentorin gecoacht wird.
Viktoria entwickelte sich von einem Schulkind mit teilweise schwierigem Verhalten zum
selbstbewußten integrierten Schulmädchen. Vor allem in den ersten zwei Schuljahren
musste von den LehrerInnen viel geleistetet werden. Diese zwei Jahre brauchte Viktoria, um
die Strukturen um sich herum anzunehmen, sowie die benötigten Fertigkeiten zu entwickeln,
einzusetzen und abzurufen. In der zweiten Hälfte ihrer Volksschulzeit gelang es ihr eine gute
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Arbeitshaltung in puncto Selbständigkeit, Konzentration und Ausdauer zu entwickeln.
Phasenweise zeigt Viktoria oft eine scheinbar grundlose emotionale Instabilität (Weinen,
Ängstlichkeit, Unsicherheit, Wut) bei Überforderung, - diese Situationen fordern
Einfühlungsvermögen und Flexibilität von der Lehrperson.
Nahtstelle Volksschule – Kooperative Mittelschule
Die Prognose hinsichtlich des weiteren Verlaufs ihres Weges im integrativen Schulsystem
hängt vorwiegend von den Rahmenbedingungen ab. Optimale Lernvoraussetzungen für
autistische SchülerInnen setzen, wie für andere Kinder auch, ein kleines Team voraus.
Im Fall Viktorias stellten sich an der Nahtstelle zur KMS viele Fragen:
- Wie wird die Umstellung auf die neuen LehrerInnen verlaufen?
- Wie werden die Eigenheiten der Schülerin angenommen?
- Wird sich Viktoria in ihrer neuen Klasse genauso gut integrieren?
- Wie wird sich das Mädchen an das neue Setting anpassen?
- Wie wird sie generell in ihrer zukünftigen Schule auf- und angenommen?
- Wird sie dem Unterricht folgen können?
- Wie wird sie die längeren Unterrichtszeiten verkraften?
Im Fall der integrativen Beschulung von Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung kann
der Schulwechsel in die KMS schon im Vorfeld enorme innere Spannungen bewirken.
Die ´Angst vor Neuem` wird zu oft auch vom Umfeld angenommen und reflektiert, da es
tatsächlich viele Unsicherheitsfaktoren gibt.
Die Unterstützung der Mentorin an der Nahtstelle zur KMS läuft auf mehreren Ebenen:
Bezugsperson und ´Sicherheitsnetz` für die SchülerInnen mit ASS
Begleitung zum Schnuppertermin für das erste Kennenlernen
Beratung der Eltern
Beratungs- und Planungsgespräche mit DirektorInnen
Beratungs- und Planungsgespräche mit LehrerInnen
Kompetenztransfer im Unterricht
Schulinterne Fortbildungen zum Thema Autismus-Spektrum
Auf diese Art kann die Aussicht, `Neuem zu begegnen´, mittels individueller pädagogischer
Planung und fachlicher Begleitung durchaus zu einer Bereicherung für das Kind und seine
Lebenswelt werden.
Die erste Übung am PC beim Besuch in der `neuen Schule´
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Dazu die Integrationslehrerin Carla Schindler:
Als ich im letzten Frühjahr die Liste jene SchülerInnen bekam, welche meine zukünftige erste
Klasse besuchen werden, fand ich darauf auch Viktorias Namen – dazu gab es einen kleinen
Vermerk: Autismus. Dieser kleine Zusatz veranlasste mich, mit Viktorias Lehrerinnen in der
Volksschule Kontakt aufzunehmen, denn ich hatte großes Interesse, das Mädchen so bald
als möglich kennen zu lernen.
Ich traf Viktoria kurze Zeit darauf erstmals im Kreis ihrer Volksschulklasse. Ich verbrachte
einen Vormittag in der VS Wilhelm-Kreß-Platz und bekam so die Möglichkeit, mit meiner
zukünftigen Schülerin zu arbeiten. Ich sah dem Treffen mit durchaus gemischten Gefühlen
entgegen, denn bislang hatte ich keinerlei Erfahrung im Umgang mit Menschen mit
autistischer Wahrnehmung. Doch Viktoria nahm mir vom ersten Moment an jegliche
Berührungsängste, da sie einfach offen auf mich zukam. Sie zeigte sofort ihr äußerst
sonniges, gewinnendes Wesen und ich arbeitete von der ersten Minute an gerne mit mir.
Nach diesem positiven ersten Kontakt bekam ich noch zwei Mal an der KMS von Viktoria
Besuch, sie sollte auch ihr neues Schulumfeld und meine Kollegin Edith Jungwirth kennen
lernen.
Bei diesen Besuchen wurde das Mädchen von Susanne Otruba, ihrer Mentorin, und einem
Klassenkollegen begleitet. Diese Treffen waren für mich sehr wertvoll, denn ich konnte auf
diese Weise Viktoria besser verstehen lernen.
Zu Besuch in der neuen Schule: Hier gefällt es uns!
Besonders hervorzuheben ist die gelungene Planung des Settings hinsichtlich der Anzahl
der unterrichtenden LehrerInnen. Ein
Setting mit möglichst wenig Wechsel der
unterrichtenden LehrerInnen bietet auch für autistische SchülerInnen optimale
Lernvoraussetzungen.
Dazu die Integrationslehrerin:
„Die Planungsgespräche von Seiten der Direktionen des SPZ und der KMS ermöglichen uns
die Arbeit mit einer kleinen Klasse (17 SchülerInnen, davon 7 Integrationskinder) und einem
Team von nur 5 LehrerInnen, um für Viktoria die Umstellung auf ein neues Arbeitsumfeld so
sanft als möglich zu gestalten. Weiters ist positiv hervorzuheben, dass meinen KollegInnen
und mir nicht nur ein Klassenraum, sondern auch ein vollständig eingerichteter, direkt
angrenzender Gruppenraum zur Verfügung stehen, um dort die SchülerInnen in
Kleingruppen gezielt fördern zu können.“
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Sekundarstufe 1:
Integrationslehrerin Carla Schindler berichtet weiter:
Trotz der vorbereitenden Zusammentreffen mit meiner zukünftigen Schülerin stellte der
Schulbeginn noch ein gewisses Unbehagen für mich dar. Ich war mir noch nicht sicher, ob es
gelingen würde, Viktoria einen wirklich guten Start in der neuen Schule zu ermöglichen.
Doch meine Zweifel hatten keinerlei Berechtigung, denn das Mädchen fühlte sich vom ersten
Tag an in der neuen Klasse wohl. Sie zeigte eine Offenheit für die neue Situation, wie ich es
von einem Menschen mit autistischer Wahrnehmung niemals vermutet hätte.
Durch ihre sympathische Art gelang es ihr in kürzester Zeit, ihren Platz in der
Klassengemeinschaft zu finden. Viktorias MitschülerInnen haben sie als Freundin und
Klassenkameradin angenommen und stehen ihr stets helfend zur Seite. Selbstverständlich
kopierten die Kinder meine Verhaltensweisen Viktoria gegenüber. So unterstützen sie ihre
MitschülerInnen beim Herrichten der Materialen für die nächste Stunde, nehmen sie an der
Hand mit zum Spielen und zur Hofpause und trösten sie, wenn sie sich durch eine Überzahl
von Eindrücken einmal überfordert fühlt.
Beim Malen in meiner Klasse
Als besonders positiv empfinde ich, dass sich Viktoria mittlerweile im Kreise ihrer
KlassenkollegInnen so sicher und wohl fühlt, dass es für sie kein Problem mehr darstellt,
wenn ein/e ihr völlig fremde/r LehrerIn den Unterricht führt. Sie kann sich problemlos an ihren
MitschülerInnen orientieren und benötigt nicht zwingend eine zusätzliche Unterstützung.
Einziger Wermutstropfen am wirklich gelungenen Schulstart Viktorias an der KMS war zu
Beginn das noch ungelöste Problem der Nachmittagsbetreuung, die die Mutter in Anspruch
nehmen wollte. Da an unserer Schule nur diverse Freigegenstände an den Nachmittagen
angeboten werden, war es nötig, mit Hilfe der Direktoren der KMS und des SPZ eine
mögliche Betreuung an einigen Nachmittagen zu organisieren. Doch auch dieses Problem
konnte gemeinsam gelöst werden.
Am Beispiel Viktorias zeigt sich deutlich, dass die Integration von Kindern mit autistischer
Wahrnehmung eine für alle Seiten bereichernde Situation darstellen kann. Viktorias
MitschülerInnen wiederum trainieren ihre sozialen Fähigkeiten, in dem sie ihre Kollegin so
annehmen, wie sie ist, ohne ihre Eigenheiten zu hinterfragen.
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Meine neuen Freundinnen
Das Mädchen profitiert vom
Vorbild
der
anderen
SchülerInnen und lernt, wichtige
soziale Kontakte aufzubauen und
zu
pflegen.
Viktorias
MitschülerInnen
wiederum
trainieren
ihre
sozialen
Fähigkeiten, in dem sie ihre
Kollegin so annehmen, wie sie
ist, ohne ihre Eigenheiten zu
hinterfragen.
Viktoria arbeitet in der Großgruppe ebenso begeistert, wie in der Kleingruppe. Gesicherte
Lernerträge in den Hauptgegenständen, Biologie und Geografie sind allerdings nur in der
Kleingruppe zu erzielen, da sie die persönliche Zuwendung eines Lehrers/einer Lehrerin
benötigt.
Ein besonderes Highlight meiner bisherigen Arbeit mit Viktoria ist der Englischunterricht.
Viktoria überrascht mich Tag für Tag mit einer überaus erstaunlichen Merkfähigkeit – jedes
Wort, welches einmal von ihr geschrieben und ausgesprochen wird, kann von ihr wieder
richtig wiedergegeben werden. So kann sie sämtliche bisher gelernten Hörübungen völlig
fehlerfrei erzählen und schreiben. Schwierigkeiten bereitet ihr lediglich die gezielte
Anwendung der gelernten Redewendungen, doch auch hier macht sie große Fortschritte und
gibt erste Antworten in englischer Sprache.
Wie positiv der Schulwechsel schließlich von Viktoria bewältigt wurde, zeigt sich auch im
Wechsel des Begrüßungsrituals der Schülerin, wenn sie von ihrer Mentorin besucht wird: „In
der Volksschule ließ sie sich durch die Reaktion der halben Klasse mitreißen, sie rannte
meinen Namen schreiend auf mich zu und umarmte mich! In der KMS begrüßt mich die
Schülerin jetzt angepasst an die aktuelle Situation mit Nachnamen, einem Kopfnicken oder
kurzem Winken, was mich als Viktorias Mentorin ganz außerordentlich freut, obwohl ich die
stürmische Umarmung der kleinen Viki auch reizend fand!“
Das habe ich schon in Englisch gelernt!
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Viktoria hat sich also rapide an das neue schulische Bezugssystem angepasst, beinahe als
hätte sie einen Schalter betätigt. Viktoria ist übrigens die erste Schülerin mit frühkindlichem
Autismus an der Schule, sie hatte ca. drei Monate Zeit, sich auf den kommenden Wechsel
einzustellen, wobei ihr das Schulhaus, die Klasse, zwei ihrer zukünftigen LehrerInnen und
der Leiter der KMS durch zweimaliges Schnuppern bekannt waren. Sie profitiert weiterhin
vom Sicherheitsnetz einer an Inklusion orientierten Pädagogik! Das Mädchen selbst ist
inzwischen offenbar erleichtert, dass sie ihre Mittagspause in einer integrativen Kleingruppe
im vertrauten Klassenraum verbringt, anstatt mit einer täglich wechselnden Großgruppe in
unterschiedlichen Räumlichkeiten konfrontiert zu sein.
Ihre einzigartige Persönlichkeit mit verblüffenden Stärken scheint im aktuellen schulischen
Umfeld bislang gut anzukommen. Das positive Feedback der KollegInnen und
MitschülerInnen trägt viel zum emotionalen Gleichgewicht der Schülerin bei und motiviert sie
weiterhin dabei zu sein! Um das Mädchen abschließend selbst wieder zu Wort kommen zu
lassen: „A new Start“ (siehe Bild oben), - ein neues Kapitel wurde geöffnet und ein für alle
neuer Weg beschritten.
Alexandra Strohmeier ist Sonderpädagogin und arbeitet seit 2006
in einer Integrationsklasse mit einem autistischen und anderen
Integrationskindern in Wien Simmering.
Ausgebildete Montessorilehrerin, und Motopädagogin, Diplomlehrgang zum
Bewegten Lernen, Lehrerinnen – Fortbildungen zum Thema Autismus.
Barbara Eberhart ist Volksschullehrerin und arbeitet seit 2006 in einer
Integrationsklasse mit einem autistischen Kind und anderen
Integrationskindern in Wien Simmering. Sie ist ausgebildete
Montessorilehrerin, und Motopädagogin, Diplomlehrgang zum Bewegten
Lernen, Lehrerinnen – Fortbildung zum Thema Autismus.
Carla Schindler ist seit dem Schuljahr 2009/10 als Integrationslehrerin
an der KMS Enkplatz 4/II in 1110 Wien tätig. Davor unterrichtete sie als
Religionslehrerin in Volksschulen, Hauptschulen, einem SPZ und
Sonderschulen für schwerstbehinderte Kinder. Weiters erwarb sie die
Ausbildung zur Hauptschullehrerin für Deutsch.
Derzeit befindet sie sich in Ausbildung zur Sonderschullehrerin.
Autorin: Susanne Otruba ist seit dem Schuljahr 2006/2007 als
Mentorin für SchülerInnen mit ASS im Wiener Pflichtschulbereich tätig.
Davor unterrichtete sie als Integrationslehrerin sowie
als Lehrerin an einem SPZ für schwerstbehinderte Kinder,
Sonderpädagogische Beratungstätigkeit an der Nahtstelle VS/KMS;
Workshops zum Thema Autismus an der PH Graz und Salzburg.
Quellen:
Frith, U. (1992). Autismus:
Akademischer Verlag.
Ein
kognitionspsychologisches
Puzzle.
Heidelberg:
Spektrum
Homepage des Projekts: www.integration-autismus.at
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Integration – Gedanken einer Beratungslehrerin
•
Integration (Soziologie), in der Soziologie allgemein der Zusammenhalt von
Teilen in einem systemischen Ganzen
•
Integration (Soziale Arbeit), bezeichnet gelungene Prozesse zur Inklusion von
Akteuren/Klienten Sozialer Arbeit innerhalb von Sozialen Räumen
•
Schulische Integration, in der Pädagogik das Einbinden von Menschen mit
Behinderungen in den Schulunterricht
•
Integrative Pädagogik, der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht
behinderten Menschen
•
Integrative Therapie, in der Psychotherapie die Synthese verschiedener
Heilverfahren und Lehrmeinungen zu ganzheitlichen Verfahrens- und
Therapieweisen
Dies sind nur einige Erklärungen, die ich bei de.wikipedia.org kopiert habe, um mich selber
auf den Artikel einzustimmen, den ich hier schreiben möchte.
Ich liege auf meiner Dachterrasse, blicke in den wolkenlosen Himmel und denke über die
Arbeit nach, die ich tagtäglich verrichte.
Ein Samensporn vom Löwenzahn gleitet am blauen Firmament dahin, scheinbar mühelos.
Und so meine ich, ist meine Arbeit, wenn sie gut ist, mühelos. Leicht soll sie sein und der
Natur gleich.
Der Same schwebt durch die Luft, ich bin dankbar – und schon ist er über die Dächer aus
meinem Gesichtskreis entschwunden.
So ist auch meine Arbeit, wenn ich sie authentisch betreibe.
Mit meiner ganzen Hingabe bin ich am Geschehen interessiert und kann los lassen, wenn es
an der Zeit ist. Wenn es an der Zeit ist, kann alles fließen. Und ich kann nur mit offener Hand
das Fließen zulassen – mit geballter Hand werde ich nicht das Fließen spüren.
Und dazwischen ist Arbeit mit den Kindern, mit Eltern und Lehrern, mit Ämtern,
außerschulischen Einrichtungen und Diagnostikern.
Während ich mir Notizen mache, höre ich lautes Geschrei einer Frau aus den
Nachbarhäusern. Es muss eine ausländische Frau sein, denn ich verstehe nicht ein Wort.
Aber ich fühle die Not und die Enge, die diese Frau bedrücken und was sie mit ihrem
Geschrei ausdrückt.
Ich bin unterbrochen in meinen Gedanken über den Bericht über gelungene Integration in
der Schule. Doch dann erkenne ich, auch diese Frau hat nicht das Andere integriert, kämpft
dagegen an, als ob es um ihr Leben ginge.
Es geht um unser Leben. Wir sind nur zu Gast hier, wir können nichts mitnehmen ins andere
Leben. Oder doch?
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Unsere Existenz hier Auf Erden ist durch viele Leben gekennzeichnet. Wir machen einen
Entwicklungsschritt nach dem anderen. Und immer müssen wir „sterben“, müssen etwas los
lassen, um zu Neuem zu gelangen.
Jede Kindheit beinhaltet Verwundungen, die wir los lassen müssen. Jede Kindheit ist dem
Wandel unterworfen: Vom Baby zum Kleinkind, zum Kindergartenkind, zum Schulkind, zum
Jugendlichen, zum Erwachsenen bis letztendlich zum Greis.
Viele Stufen gilt es zu erklimmen. Um nicht zum Toren zu werden müssen alle Stufen
adäquat erlebt und gelebt werden.
Jene Kinder, die ich betreue, haben besondere „Verwundungen“ in dieser oder jenen Weise
erlebt und tragen diese als Mängel oder Schwächen mit sich.
Viel zu oft wird in Fachartikeln darauf hingewiesen, was Wissenschafter, Ärzte, Therapeuten
und solche, die sich als Experten betiteln, als Punkte anführen, wie „normale“ Entwicklung zu
geschehen hat, was Charakteristika „fehlgeleiteter“ Entwicklung sind.
Das ist für mich als Beratungslehrerin sehr interessant und diskussionswürdig. Aber worum
es mir im Großen und Ganzen geht, ist, das zu machen, was ich spüre, was Not tut.
Liebevoll und vorurteilsfrei auf die Kinder zu gehen, ihnen und ihren Eltern eine gute
Zuhörerin zu sein. Ihre Freuden und Stärken zu entdecken und diese zu fördern.
Die Zusammenarbeit aller Beteiligten (Kinder, Eltern, Lehrer, Direktion, Therapeuten,
Institute etc.) ist mir ein Anliegen.
Aber am meisten Zeit lege ich in die verlässliche Arbeit mit den Kindern. Sie sollen einen
Punkt finden, wo sie wissen, da sind sie jetzt gefragt. In dieser Stunde interessiert sich
jemand für sie, nur für sie und ihre Anliegen. Gespräche, kreative Arbeiten, Körperarbeit,
Verhaltensmodifikation, Freude und Spontaneität beinhalten unsere Stunden.
Das Kind entdeckt seine Präsenz im Hier und Jetzt. Durch Lob und Anerkennung wird es in
seiner „Beschränktheit/Behinderung“ (oft durch äußere Einflüsse, aber sehr oft auch durch
persönliche Konditionen und Anschauungen) „erhoben“, d.h. herausgeführt aus seinem
Kreislauf des Versagens.
Es ist wie ein Theaterstück, das schlecht läuft. Gemeinsam mit dem Kind suchen wir nach
neuen Regieanweisungen, nach neuen Einsichten. Die funktionieren nur, wenn ich als
„Metaregisseur“ mit allen Betrauten herausfinde, was das Kind zum Schwingen bringt. Und
das wiederum geht nur, wenn das Kind bereit ist, es anzunehmen was ihm fehlt, das zu
integrieren, was fremd ist und Angst macht.
Manchmal bin ich es, die annimmt, alles, was das Kind mir entgegenbringt an Kummer und
Bedrücktheit.
Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen mit der Verantwortlichkeit eines Erwachsenen
gegenüber einem Kind, das Schutz und Hilfe sucht, das sonst überall aneckt, das stört, das
anders ist.
Aber genau dieses Anderssein will von uns Menschen integriert werden, um Mensch zu sein.
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„Weisheit ist nichts als eine Bereitschaft der Seele, die Fähigkeit, eine geheime Kunst, jeden
Augenblick, mitten im Leben den Gedanken der Einheit denken, die Einheit fühlen und
einatmen zu können.“ 1
Wir alle sind Schüler dieses Lebens. Geben wir doch auf, nur Lehrer sein zu wollen. Stellen
wir uns der wunderbaren Aufgabe, Interaktion zu betreiben, manchmal still zu sein und auf
den Fluss des Lebens zu hören. Dann ist alles möglich:
„Das Herz des Berufenen ist stille; darum ist er der Spiegel von Himmel und Erde.“ 2
Der Weg zur Entwicklung und Integration ist kostspielig. Alles Gute ist kostbar. „Der Weg
wird dich deine Unschuld, deine Wunschbilder und deine Gewissheit kosten.“ 3
Wie oft wollte ich alles geben, nur um ein Leid eines Kindes (familiäre Gewalt, Aggressionen,
Minderwertigkeitsgefühle, etc.) abzuwenden, bis ich erkannte:
Liebe ist mehr als nur offen zu sein für die Qual der anderen; sie ist die Bereitschaft, mit dem
Wissen zu leben, dass wir nichts tun können, um den anderen von seinem Schmerz zu
befreien.
Und doch ist meine Arbeit Teil der Arbeit an Integration und Heilung. Das Annehmen des
Anderen, welches vielen als Gefahr, Bedrohung und Ablehnung erscheint, trägt zu einer
Integration bei, die uns Menschen auferlegt ist.
Mein Dank sind die kostbaren Kinderherzen, die mir anvertraut sind zur Arbeit an unser aller
Ganzwerdung und Gesundung.
Autorin: Dipl. Päd. Anna Christina Dedlmar
Beratungslehrerin
PS: Ich habe bewusst auf Fotomaterial verzichtet, um in jedem Leser seine ureigensten
Bilder zuzulassen, die jeder in sich trägt und jeder nach seinem Stand weiter entwickeln
kann.
1
H. Hesse: Siddhartha, S. 105
Dschuang Dsi: Das wahre Buch vom südlichen Blütenband, verwendet in Sheldon B. Kopp: Triffst du Buddha
unterwegs (Psychotherapie und Selbsterfahrung)
3
Sheldon B. Kopp: Triffst du Buddha unterwegs
2
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Ein kurzer Rückblick: Integration eines blinden
Schülers in die AHS
In der letzten Juniwoche des Schuljahres 2003/04 ersuchte mich meine Direktorin erneut, ein
vollblindes Kind in der Volksschule zu betreuen. Ohne viel Information über den Schüler und
die Klassenlehrerin der Regelklasse zu haben, wagte ich den Sprung ins kalte Wasser!
Jetzt haben wir Oktober 2010, und Alexander (Name geändert) geht bereits in die 4. Klasse
des Gymnasiums. Wir sind ein gut zusammengeschweißtes Team. Ein sehr wichtiges
„Teammitglied“ ist natürlich auch Alexanders Mutter, die zuhause volle Unterstützung bietet.
Aber auch die am Gymnasium unterrichtenden Lehrerinnen sind wichtige „Teammitglieder“.
In der Volksschule war Alexander eines von vier Integrationskindern, wobei er „nur“ blind
war, die anderen jedoch eine Lernbeeinträchtigung hatten. Durch die hervorragende
Unterstützung des LehrerInnenteams entwickelte sich Alexander hervorragend. Sozial war er
gut integriert – es fanden immer wieder private Kontakte statt.
Im Laufe der 3. VS wurde uns klar, dass Alexander die Reife für eine AHS hatte – so
begannen wir (Eltern von Alexander und ich) eine geeignete Schule zu suchen. Das erwies
sich als ein dorniger Weg! Einige der angesprochenen Schulen wiesen Alexander sofort ab,
andere meldeten sich nach einer Vorsprache überhaupt nicht mehr. Aber der Direktor eines
Gymnasiums war sofort interessiert!
Gleich bei der ersten Vorsprache stellte er den Kontakt mit dem Klassenvorstand der
damaligen Integrationsklasse (8. Schulstufe) her. Dieser war gerne bereit, sich dieser
Aufgabe zu stellen – und voilà – Alexander hatte einen Schulplatz!!
Aber aller Anfang ist schwer! Um den Kolleginnen und Kollegen der AHS den Einstieg zu
erleichtern, ermöglichte ich ihnen eine Teilnahme an einem Fortbildungsseminar am BundesBlindenerziehungsinstitut in Wien. Sie bekamen unter anderem die Möglichkeit, in
Selbsterfahrung unter der Augenbinde, verschiedene schulische Bereiche zu absolvieren
und auch die damit verbundenen Schwierigkeiten selbst zu erleben. Dadurch wurden sehr
viele Ängste seitens der Lehrerinnen beseitigt bzw. gemildert. Von kleinen
Anfangsschwierigkeiten abgesehen, verlief das erste Schuljahr ohne gröbere Probleme.
Alexander schaffte sogar einen sehr guten Schulerfolg!
Eine Hilfe war und ist es, dass die Integrationslehrerin der 4. Klasse, die drei lernbehinderte
Kinder betreut, sich auch für Alexander einsetzt. Sie ist immer ein Rettungsanker. Am
Anfang der 2. Klasse trat eine neue, junge, aber sehr engagierte Sonderschullehrerin ihren
Dienst in dieser Klasse an. Sie trug auch wesentlich zum Erfolg bei.
Wie sah nun die soziale Integration aus?
Im ersten Schuljahr gab es häufig Kontakte mit Freunden aus der Volksschule und
vereinzelte mit neuen Kolleginnen aus dem Gymnasium. Aber dieser Kontakt verflachte
zusehends. Momentan sieht es so aus, dass es noch immer Treffen mit Volksschulfreunden
gibt, aber der außerschulische Kontakt mit derzeitigen Kolleginnen sehr dünn gesät ist. Auf
der anderen Seite muss man auch sehen, dass es innerhalb der Klasse kaum bis gar keine
Probleme gibt. Es wird miteinander geplaudert, aber nicht sehr intensiv.
Anders hat es auf den vergangen Schulveranstaltungen ausgesehen. Bisher fanden zwei
Schikurse und eine dreitätige Schullandwoche statt. Alexander wohnte selbstverständlich
immer mit Klassenkollegen im Zimmer, die ihn auch in ihre „Zimmeraktivitäten“ (Spiele
spielen, plaudern, …) miteinbezogen. Man muss aber auch verstehen, dass sich diese
jungen Menschen in einem Alter befinden, das sie selbst auch sehr fordert und da bleibt
eben manchmal wenig Raum für ständiges soziales Denken. Aber wer macht das schon?
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Auf diesen Veranstaltungen war ich immer als Betreuerin mit, da ich als Blindenlehrerin am
BBI über viele Jahre die Schikurse leitete und so Alexander auch hier unterstützen konnte.
Anfangs waren wir am Schikurs noch ein „Zweierteam“ – aber das änderte sich bald! Da
Alexander sehr geschickt ist, konnte er bald mit der Anfängergruppe mithalten und wir
bildeten bald eine nette Gruppe zu dritt. Heuer im März waren wir in Obertauern, wo
Alexander gemeinsam mit einer Schulkollegin in einer Gruppe fuhr – die beiden
Jugendlichen hatten viel Spaß!
Aber auch nach dem Schilauf konnte Alexander einiges gemeinsam mit anderen Kindern
unternehmen. Da für die Schülerinnen auf den Kursen abends immer verschiedene
Ballspiele angeboten wurden, musste ich für Alexander ein anderes Programm finden.
Während des Tages war er immer stark gefordert (Konzentration, Lärm, usw.), sodass es
wichtig war, immer wieder „Ruheinseln“ zu schaffen. So durfte er sich, je nach Bedarf, ein
bisschen alleine im Zimmer Musik oder Hörbücher anhören. Dann spielten wir „Mensch
ärgere dich nicht“, „Uno“ und verschiedene Quizspiele. Dabei bekamen wir Gesellschaft. Es
gab immer wieder Schülerinnen, die gerne mitspielten. Auch bei den anderen
Abendgestaltungen konnte Alexander mitmachen und wurde von seinen Schulkolleginnen
miteinbezogen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine schulbezogene soziale Integration
stattfindet, aber im privaten Bereich eher sehr bescheiden vorhanden ist.
Aber Alexander hat in der Schule Verstärkung bekommen! Matias ist auch ein vollblinder
Bursche, der ein Jahr jünger als Alexander ist. Die Klassen der beiden Burschen befinden
sich gegenüber, sodass sie sich besuchen können und so manche „große“ Pause
miteinander verbringen.
Seit dem heurigen Schuljahr trainieren sie einmal in der Woche das klassische BlindenBallspiel „Torball“ zusammen mit anderen blinden und sehbehinderten Jugendlichen.
Trainiert werden sie von einer erfahrenen Sportlehrerin aus dem BundesBlindenerziehungsinstitut. Dies ist ein wesentlicher Beitrag für ihre Entwicklung, da es für die
Jugendlichen wichtig ist, Herausforderungen unter gleichen Bedingungen zu erleben. Es gibt
für blinde Menschen in einer sehenden Gesellschaft immer wieder Grenzen, die sie spüren,
aber nicht überschreiten können.
Neben dieser Freizeitgestaltung haben die beiden Burschen auch in der Schule je eine
Stunde Sportunterricht. Von Bildnerischer Erziehung sind sie befreit, diese Stunden werden
zur Aufarbeitung verschiedenster Gegenstände verwendet. An allen anderen
Unterrichtsgegenständen können sie teilnehmen und mitarbeiten, da ihnen Bücher und
Arbeitsblätter digital zur Verfügung stehen. Alexander und Matias haben beide einen Laptop
und eine mobile elektronische Braillezeile, sodass auch ein Klassenwechsel möglich ist.
Heuer muss sich Alexander entscheiden, wie es in der Oberstufe weitergehen wird – eine
große Umstellung, denn dann muss er viele Dinge alleine bewältigen.
Ich bin mir aber sicher, dass er auch das schaffen wird!
Autorin: Gabi Thon
Seit 1983 Lehrerin am Bundes-Blindenerziehungsinstitut im Bereich der HS (D, BWS),
1986 Sonderschullehramt für Blinde,
1997 bis 2001 Integration VS 1040 Wien (volle Lehrverpflichtung –
1 schwerstbehindertes vollblindes Kind, 2 hochgradig sehbehinderte Kinder)
2003 bis 2007 Integration VS 1230 Wien (volle Lehrverpflichtung
– 1 vollblindes Kind, 2-3 ASO, sehend)
seit Sept. 2007 Integration AHS mit 5 – 6 Stunden /Woche
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Das Büro für Inklusive Bildung (BIB) an der PH
Das
üro für
Wien
B
Inklusive
Bildung (BIB)
an der PH Wien
Präambel
Will sich eine Gesellschaft als demokratisch und human definieren, so muss sie von
der Partizipation aller ihr innewohnenden Menschen an ihr ausgehen. Es muss das
Bestreben dieser Gesellschaft sein, allen Faktoren, die die Ausgrenzung von
Menschen zur Folge haben, auf allen Ebenen entgegen zu wirken – so auch im
Bildungswesen.
In der österreichischen Bildungslandschaft manifestierte sich dieser Gedanke in der
Einrichtung von „Integrationsklassen“, in denen behinderte Kinder und nicht
behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Unter „Integration“ versteht man
aber auch – gerade im Ballungsraum Wien – die Integration von SchülerInnen mit
unterschiedlichen Herkunftssprachen. Beide Modelle sind als Entwicklungsschritte zu
einer nicht ausschließenden Gesellschaft zu verstehen. Dennoch wird in beiden
Fällen von einer Minderheit ausgegangen, die der sogenannten Norm der Mehrheit
nicht entspricht.
Der Begriff „Inklusion“ stellt hingegen die Unterschiedlichkeit der Menschen als
gemeinsames Merkmal des „Mensch-Seins“ in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die
Vielfältigkeit menschlichen Lebens in Bezug auf Geschlecht, Religion, Kultur,
Sprache, soziale Lage und Fähigkeiten wird als „Entwicklungsressource“ für alle
gesehen. Heterogenität ist Normalität.
In der erziehungs- und bildungsrelevanten Praxis bedeutet dies nach Feuser, dass
alle Kinder und SchülerInnen in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen
Entwicklungsniveau nach Maßgabe ihrer momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und
Handlungskompetenzen in Orientierung auf die nächste Zone ihrer Entwicklung an
und mit einem Gemeinsamen Gegenstand spielen, lernen und arbeiten.
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Unsere Aufgaben
Das Büro für Inklusive Bildung (BIB) fungiert als Drehscheibe, als Informations- und
Aktions-Pool für LehrerInnen, Lehrende, Studierende, aber auch Betroffene
(Organisationen, SelbstvertreterInnen, …), die sich im Bildungswesen eine Schule für
alle zum Ziel gesetzt haben. In dieser wird Verschiedenheit als Bereicherung
gesehen und Leben und Lernen in Vielfalt ermöglicht.
In folgenden Bereichen befinden sich Tätigkeitsfelder des BIB:
Forschung & Entwicklung
Das BIB initiiert und unterstützt
Forschungs- und Entwicklungsprojekte
in inklusiven Zusammenhängen (u.a.
Disability Studies). Dazu werden
Instrumentarien zur (Selbst)Evaluation
und ein Leitfaden zur Implementierung
inklusiver Pädagogik entwickelt und
verbreitet.
Beratung & Mentoring
Das BIB bietet Beratung und Begleitung
für Studierende, Lehrende und
LehrerInnen bezüglich inklusiver Praxis.
Konzepte zur individuellen und
standortbezogenen Beratung bei Schulund Unterrichtsentwicklung werden
gemeinsam erstellt und umgesetzt.
Unterstützt wird – nach Bedarf – auch
durch den Einsatz von EmpowermentBeraterInnen.
Lernwerkstatt & Lernorte
Die BIB-Lernwerkstatt bietet Materialien und
Medien, Raum für Diskussionen zur
Thematik „Inklusive Bildung“. Eine interaktive
Lernplattform ermöglicht den Austausch im
virtuellen Raum.
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Initiativen & Netzwerk
Durch Vernetzung mit kommunalen, nationalen und internationalen Organisationen
und „Communities“ werden Anregungen, Ideen und Initiativen zur Umsetzung von
Inklusiver Bildung entwickelt.
Das Team des Büros für Inklusive Bildung (BIB) freut sich auf Kontaktaufnahme.
Mag. Rainer Grubich
Büro für Inklusive Bildung
(BIB)
Raum 4.0.036
Institut für Forschung,
Innovation und
Schulentwicklung (IFIS)
Pädagogische Hochschule
Wien
Grenzackerstraße 18
1100 Wien
Tel.: 01/60118/3714
Fax: 01/60118/3711
E-Mail:
[email protected]
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
„Differenz und Inklusion“ als Thema der
hochschulischen LehrerInnenbildung – am
Beispiel der Ausbildungscurricula der
Pädagogischen Hochschulen in Österreich
LehrerInnenbildungsinstitutionen müssen sich heute wie Schulen mit der Herausforderung
auseinandersetzen, wie Gleichheit und Differenz, Heterogenität und Inklusion gelehrt, gelernt
und gelebt werden können, sodass Studierende, spätere LehrerInnenpersönlichkeiten,
entsprechend Wissen, Können und Haltungen des Diversity Managements für das eigenen
Handeln erwerben. Die Erststudienzeit gilt dabei trotz des lebenslangen Lernens als intensiv
erlebte Initiation in ein Thema und eine Haltung.
Die Fragen von Differenz, Heterogenität und Inklusion betreffen die hochschulischen
Qualitätsstandards von LehrerInnenbildung auf vielen Ebenen: Inhaltlich-curricular,
personell, hochschuldidaktisch, institutionell-organisatorisch – so wie Qualität in der
LehrerInnenbildung immer mehrdimensional ist es geht um Inhalte, Prozesse,
personbezogene Kompetenzen; Ergebnisse und Kulturen gleichermaßen.
Die Differenzlinien sind unterschiedlich und nicht bloß an Gender-, Kultur-, Religions-,
Behinderungs- und Begabungsdifferenzen aufzuzeigen. Lernstrukturen und Lerntempi,
Sozialisationen und Milieus, Motive, Interessenslagen und andere Lebenswelten,
Biographien und Erwartungen – die Heterogenität im Schulsystem könnte nicht größer sein.
Dennoch werden derzeit bestimmte Differenzlinien bevorzugt behandelt – Gender, Kultur,
Begabung und/trotz/oder Behinderung. Natural vorgegeben und statisch dualistisch wird das
nicht mehr gedacht, weit eher verschieben sich in neuen, konstruktivistisch gedachten
Dynamiken die Konstellationen immer neu und finden sich Differenzpärchen, die wiederum
andere Fragen erzeugen. Ein modernes Normalitätsmodell maximaler Gleichheit und ein
postmodernes Vielfaltsmodell unbewerteter Differenzen greifen dabei beide zu kurz.
Gleichheit und Differenz müssen vermutlich auf der normativen Ebene und auf der
empirischen Ebene unterschiedlich und neu gedacht werden.
Nötig ist dabei auch ein tieferes Verstehen, in welche Grundprobleme der zweiten reflexiven
Moderne das Schulsystem mit dem Thema Differenz und Inklusion hineingekommen ist.
Wollen, Können und Müssen (sowie die Negationen Nicht-Wollen etc.) stehen dabei bei
Lehrenden und Lernenden in mitunter vertrackten Wechselverhältnissen.
Von den Inhalten der Curricula über personalentwicklerische Fragen der Berücksichtigung
von unterschiedlichen Begabungen der Lehrenden und ihrer Kooperation im
Hochschulganzen bis hin zu den Fragen der individualisierenden Begleitung von
Studierenden: Die Leistungsfähigkeit und Kultur von LehrerInnenbildung hängt davon ab,
was man unter Differenz überhaupt versteht, welche man als solche wahrnimmt (Frage des
Diversity Managements), welche Heterogenität erwünscht und welche unerwünscht ist und
wie man mit welcher Form von Differenz im System wie umgeht. Professionalität ist dabei
mehr als nur eine „gut gemeinte Inklusionshaltung“, rechnet mit den Dynamiken von
Systemen, durchaus auch in ihren Widersprüchen – und fördert konsequent die Individualität
des einzelnen unter Maßgabe eines gemeinsamen Kultur- und Leistungsverständnisses,
ohne das weder Schule noch Hochschule gelingen.
Je mehr schulische Inklusion, im Sinne von Berücksichtigung und Beteiligung der
Verschiedenen, umso stärkere und leistungsfähigere sowie sozialkompetente
Leitungspersönlichkeiten brauchen Schule und Hochschule, denn Handeln in mitunter
paradoxalen Ansprüchen und Paradoxien braucht Mut und Konsequenz und vor allem die
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
klare Übernahme von Verantwortung. Neben dem so wesentlichen Handeln der
verantwortlichen Einzelakteure hat das System allerdings auch einen erheblichen
Entwicklungsbedarf: LehrerInnenbildung muss sich neue Formen überlegen, um Theorie
„state of the art“ und Praxis „der heutigen Gegenwart“ in ein dynamisches Wechselverhältnis
zu bringen. Kasuistik als Lernen am Fall nimmt den und das einzelne ernst, und buchstabiert
das Allgemeingültige der Theorie am Singulären des konkreten Falls neu. Aber das sind
hochschuldidaktische Fragen, die die Prozesse berühren – jetzt zu den Inhalten.
Grundlage für die Curricula der Studiengänge zum „Bachelor of Education“ an den
Pädagogischen Hochschulen ist die Hochschul-Curricula-Verordnung (HCV 2006). Sie
regelt die Grundsätze der näheren Gestaltung, gibt einen verpflichtenden Rahmen für die
Studienfachbereiche (Humanwissenschaft 39 ECTS, Fachwissenschaft und Fachdidaktik 84;
Schulpraktische Studien 36, ergänzende Studien 12 und Bachelorarbeit 9 ECTS) vor.
Innerhalb dieser Vorgaben entscheiden die jeweiligen Studienkommissionen autonom über
die inhaltliche Ausgestaltung der Curricula. Je nach Kultur und Tradition der jeweiligen
Hochschule fand das integrative Berufsfeld dabei mehr oder weniger Beachtung, es gibt aber
keine PH, an der die Integration nicht im Curriculum verankert ist, denn im allgemeinen
Bildungsziel der Hochschulcurricula-Verordnung (§ 3/2) werden neben einer Reihe
inhaltlicher Schwerpunktsetzungen auch die Bereiche der integrativen Bildung angeführt:
§ 3 (1): Die Studien sind unter Beachtung der gesellschaftlichen, pädagogischen,
wirtschaftlichen, technologischen und bildungspolitischen Entwicklungen als
wissenschaftlich fundierte und berufsfeldbezogene Hochschulbildung zu gestalten,
wobei auf Anforderungen wie insbesondere lebensbegleitendes Lernen, Integrative
Pädagogik, lebende Fremdsprachen, Deutsch als Zweitsprache, Individualisierung
und Differenzierung des Unterrichtes, Förderdidaktik, Medienpädagogik, Einsatz
moderner Informations- und Kommunikationstechnologien, Kompetenzerwerb im
Bereich des e-learning, Herstellung internationaler, europäischer und interkultureller
Bezüge, Gender Mainstreaming, Stärkung sozialer Kompetenzen, Integration von
Menschen mit Behinderungen sowie Begabtenförderung einschließlich
Hochbegabtenförderung Bedacht zu nehmen ist.
Damit die Aspekte des integrativen Berufsfeldes ausreichend in den Curricula der PHs
verankert werden, hat das BMUKK 2006 ein Positionspapier zum Thema „Berufsfeld
Sonder- und Integrationspädagogik“ zur Aus- und Weiterbildung an Pädagogischen
Hochschulen erarbeitet, das eine Neudefinition des Rollenbildes aller Lehrerinnen und
Lehrer und den Erwerb entsprechender Kompetenzen für einen inklusiven Unterricht
verlangt:
„Der gemeinsame Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder muss ein
schüler/innenzentrierter Unterricht sein. Der/die Lehrer/in ist dabei nicht
hauptsächlich Wissensvermittler/in, sondern vor allem Begleiter/in ihrer Schüler/innen
bei deren persönlicher und individueller Entwicklung innerhalb der sozialen
Gemeinschaft. Unterschiedliche Aufmerksamkeit, unterschiedliches Arbeitstempo,
Bewegungs- und Kommunikationsbedürfnis können nicht als störende Faktoren
eliminiert werden, sondern müssen als individuelle Lernbedingungen betrachtet und
so in die Unterrichtsarbeit miteinbezogen werden, damit jeder/jede Schüler/in sich
erfolgreich weiterentwickeln kann. Der integrative Unterricht stellt an alle Lehrer/innen
damit die folgenden neuen sozialen, emotionalen und fachlichen Anforderungen.
* Innere Differenzierung einer äußerst heterogenen Schüler/innengruppe durch
Individualisierung
* Offene, projektorientierte und schüler/innenzentrierte Unterrichtsformen,
* Verwendung und Herstellung neuer Lernmaterialien, Gestalten von Lernumgebungen
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
* Prozessorientierte
Förderdiagnostik
(mit
Verwendung
angemessener
Instrumentarien) und das Erstellen von individuellen Förderplänen
* Neue Formen der Leistungsfeststellung, -rückmeldung und -beurteilung, welche den
individuellen Lernfortschritt und die individuellen Lernbedingungen festhalten
* Enge Zusammenarbeit mit einem/einer oder mehreren Lehrer/innen – Arbeiten im
Team
* Anpassen und Reagieren auf die Handlungen des/der jeweils anderen Partner/in
* Gemeinsame Vor– und Nachbesprechungen des Unterrichtsgeschehens
* Reflexion und Anpassung der eigenen Werte, Einstellungen und Handlungsmuster
* Verstärkte Einbeziehung der Eltern in den schulischen Prozess
* Interkulturelles Lernen
* Begabungsförderung
* Genderpädagogik
* Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit weiteren Lehrer/innen, Therapeut/innen sowie
anderen schulischen und außerschulischen Einrichtungen
* Eigenständige und laufende Fortbildung mittels Erfahrungsaustausch, Literatur, etc.
* Qualitätssicherung und Schulentwicklung (z.B. unter Einsatz des Index für Inklusion)
* Öffentlichkeitsarbeit zur Gestaltung des Meinungsbildungsprozesses mit allen
Schulpartner/innen“ (Feyerer/Niedermair/Tuschel 2006, 164)
Dieses Positionspapier wurde allen Rektor/innen zur Kenntnis gebracht. Da die
Studienkommissionen jedoch autonom über die Inhalte der Curricula entscheiden, hat dieses
Papier ausschließlich empfehlenden bzw. beratenden Charakter. Um zu wissen, inwieweit
das Positionspapier umgesetzt wird, führte das BMUKK an den Pädagogischen Hochschulen
im Studienjahr 2008/09 eine Befragung durch. In dieser Erhebung wurden Fragen zur
Umsetzung des Positionspapiers zur Aus- und Weiterbildung im Berufsfeld Sonder- und
Integrationspädagogik gestellt.
Die Vertreter/innen von zwölf der insgesamt 14 pädagogischen Hochschulen haben die
Frage: „Inwieweit können sich die Studierenden aller Studiengänge bereits jetzt die im
Positionspapier aufgezählten Kompetenzen aneignen – (Kap. 4.1., S. 17f). Sind diese Inhalte
in den Curricula aller Studiengänge verankert?“, beantwortet. Unterschiedlichste
Rückmeldearten der Hochschulvertreter/innen lassen aber nur Tendenzen sichtbar werden,
die im Country Report an die European Agency for Developement of Special Needs
Education folgendermaßen zusammengefasst werden5:
„Die meisten Pädagogischen Hochschulen thematisieren in den Schulpraktischen Studien
die Themenbereiche „Heterogenität, Differenzierung und Individualisierung, kooperative
Pädagogik, Teamentwicklung und Teamarbeit und Konzepte der Reformpädagogik“.
Die Themenfelder Heterogenität/ Inklusion/ Individualisierung/ Begabtenförderung und
Offene, projektorientierte und schülerzentrierte Arbeitsformen werden von den meisten
Hochschulen in den humanwissenschaftlichen und didaktischen Modulen der allgemeinen
Lehrerausbildung behandelt. Allerdings fällt auf, dass der Begriff „Inklusion“ nur von vier
Hochschulen im Curriculum verwendet wird.
Die Pädagogische Diagnostik und das breite Feld der Leistungsbewertung scheint einen
hohen Stellenwert zu haben, da sie an allen Pädagogischen Hochschulen thematisiert wird.
Interkulturelles Lernen und Genderpädagogik wird zwar auch an allen Hochschulen genannt,
oft aber nur im Zusammenhang mit Wahlpflichtmodulen. Die Schulung der Kompetenzen im
Bereich der Reflexion der eigenen Werte und Haltungen dürfte an mehr als der Hälfte der
Standorte in der Ausbildung einfließen.
4
Feyerer, E./Niedermair, C./Tuschel, S.: Berufsfeld Sonder- und Integrationspädagogik. Positionspapier zur Ausund Weiterbildung an den zukünftigen Pädagogischen Hochschulen. Wien: Bm:bwk, Abteilung I/8, 10.6.2006
Link: http://www.cisonline.at/fileadmin/kategorien/Positionspapier_Lehrerinnenbildung_8.4.08.pdf (1.3.2010)
5
Brunner, Ivo; Feyerer, Ewald & Moser, Irene: Country Report: Austria, März 2010, http://www.europeanagency.org/agency-projects/teacher-education-for-inclusion (29.9.2010)
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
An einer Pädagogischen Hochschule werden die Anforderungen der integrativen Pädagogik
in den allgemeinen Grundsätzen der Hochschulpädagogik hervorgehoben.6
In fast allen Pädagogischen Hochschulen werden studienfachübergreifend Module
angeboten, welche die Kooperation der Studierenden strukturell fördern. Diese beschränken
sich allerdings auf wenige Bereiche (z.B. die Studieneingangsphase, Module zum Thema
Lehren und Lernen, Umgang mit Heterogenität, Schulentwicklung und Evaluation,
Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens), bzw. werden im Wahlpflichtfach angeboten. In
einer Pädagogischen Hochschule soll „…eine große Zahl an themenorientierten
studienfachbereichs- und fachübergreifenden Modulen eine Zusammenschau und ein
Zusammenwirken der Fächer im Hinblick auf die angestrebten Kompetenzbereiche
ermöglichen und die Fähigkeit der Studierenden zu vernetzendem Denken und kooperativem
Handeln fördern.“ (PH X, S.1)
(…)
Im studienfachübergreifenden Modul „Inklusion“ einer Hochschule haben die vermittelten
Inhalte und die verwendeten Unterrichtsmethoden positive Auswirkungen auf die Einstellung
der Studierenden zum gemeinsamen Unterricht. Im Selbsterfahrungsprojekt einer anderen
Hochschule berichten die Studierenden über nachhaltige Auswirkungen auf ihre Haltungen
zu Menschen mit Behinderungen. Randgruppen der Gesellschaft werden eher als
selbstverständlicher Teil der Gesellschaft wahrgenommen, als vor dem Seminar.
In den „Schulpraktischen Studien“ erhalten die Studierenden an vielen Ausbildungsstätten
die Möglichkeit, in Integrationsklassen mit Kolleg/innen (anderer Studienbereiche) im Team
zu arbeiten. Die Erfahrungen mit sehr heterogenen Schülergruppen, die Zusammenarbeit im
Team, die Auseinandersetzung mit prozessorientierten Förderdiagnosen und alternativen
Leistungsbeurteilungen stellen für die Studierenden eine große Herausforderung dar. Sie
haben die Möglichkeit schülerzentrierte Lernformen wie Projektunterricht und
Werkstattunterricht kennen zu lernen und anzuwenden. An einer Hochschule etwa führen
beispielsweise die Studierenden im 6. Semester ein Projekt in Teamarbeit durch, welches
von Lehrenden im Seminar vorbereitet wird und in der Praxis sorgfältig vor- und
nachbesprochen wird.
An
manchen
Standorten
erleben
die
Auszubildenden
den
Unterricht
in
schulstufenübergreifenden
Klassen
mit
Schüler/innen
mit
SPF
und/oder
Migrationshintergrund, trainieren individuelle Fördermöglichkeiten, setzen kooperative
Lernmethoden ein und setzen sich mit sozialen Prozessen in der Gruppe auseinander.
Die Lehrenden an den Hochschulen sind nicht verpflichtet, inklusionsfördernde Methoden
wie unterschiedliche Sozialformen, eigenverantwortliches Lernen, problemlösungsorientierte
Methoden udgl. in den Studiengruppen anzuwenden. Die Freiheit der Lehre ermöglicht nach
wie vor auch rein dozierende Methoden. Obwohl Teamteaching in der Lehre die
Teamkompetenzen der Studierenden erweitern würde, bieten die Hochschulen nur teilweise
Teams als Modell an. Die Gründe liegen vor allem in der schwierigen Finanzierbarkeit der
Doppelbesetzung.
(…)
Alle Pädagogischen Hochschulen bieten in unterschiedlichem Ausmaß Module an, welche
eine Pädagogik der Vielfalt unterstützen. Durch die Autonomie der Pädagogischen
Hochschulen obliegt es den Studienkommissionen, welche Schwerpunkte gesetzt werden.
Aus der Umfrage des BMUKK geht hervor, dass die Pädagogischen Hochschulen vor allem
im Bereich der Schulpraktischen Studien bemüht sind,
inklusionspädagogische
Kompetenzen zu vermitteln. Ein unabhängiges Qualitätsmonitoring existiert nicht.
6
Die detaillierte Auswertung kann bei der nationalen Koordinatorin Irene Moser angefordert werden.
51
INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
(…)
Tendenziell kann gesagt werden, dass es nur sehr, sehr wenige Lehrer/innen mit
Beeinträchtigungen gibt und Lehrer/innen mit unterschiedlichem ethischem, kulturellem,
sprachlichem und/oder religiösem Hintergrund vor allem als muttersprachliche
Zusatzlehrer/innen (mit einem geringeren Status als Assistenzlehrer/innen) eingesetzt
werden. Dementsprechend gibt es auch nur sehr wenige Lehrerausbildner/innen und
Lehramtsstudierende aus diesen Gruppen. Dem Nationalen Bildungsbericht kann
entnommen werden, dass 2006/07 genau 237 Lehramtsstudierende (= 2,6%) eine anderer
Erstsprache als Deutsch aufwiesen. 1993/94 waren das noch weniger: 58 Studierende (=
0,8%). Vergleicht man den Relativen-Risiko-Index nach Erstsprachen und Schularten zeigt
sich, dass 2006/07 zwar 0,9% aller Schüler/innen mit Erstsprache Deutsch eine Lehrer- oder
Erziehungsanstalt besuchten, aber nur 0,09% mit bosnischserbokroatischer, 0,04% mit
türkischer, 0,42% mit polnischer, tschechischer, slowakischer oder ungarischer und 0,27%
mit anderer Erstsprache. Es liegt hier also eine deutliche Unterrepräsentation vor (vgl.
Herzog-Punzenberger/Unterwurzacher 2009, 168f7).“
Abschließend sei hier festgestellt, dass gemessen an den Contents der Curricula der
Pädagogischen Hochschulen die Themen von Differenz und Inklusion offiziell in die
österreichische Pflichtschullehrerbildung aufgenommen wurden, aber Qualitätsstandards für
ihre Bearbeitung in der Ausbildung noch ausstehen. Die Mehrdimensionalität der
Inklusionsthematik erfordert theoretisch wie praktisch professionelle Zugänge, die sich die
österreichische LehrerInnenbildung im Rahmen einer Gesamtarchitektur für die Aus- Fort
und Weiterbildung der pädagogischen Professionen erarbeiten wird müssen.
Die im Jahr 2009 von der Bildungsministerin und dem damaligen Wissenschaftsminister
beauftragte Arbeitsgruppe hat eine solche Gesamtstruktur entwickelt, weist in ihren
Empfehlungen für die LehrerInnenbildungNEU auch auf Bereiche wie inklusive Pädagogik,
Diversity Management, Deutsch als Zweitsprache hin und fordert eine ausgewogene
Balance zwischen Generalist/innen und Spezialist/innen.8 Das LehrerInnenbildungsmodell
selbst, das zwischen Grundbildung, Induktionsphase (samt weiterer Ausbildung) sowie Fortund Weiterbildung unterscheidet und einheitliche Standards der gesamten Profession der
pädagogischen Berufe (Grundkompetenzen) UND Spezialisierungen erfordert, weil es auch
im Schulsystem zunehmende Binnendifferenzierungen erwartet, ist als Modell selbst der
Inklusion geschuldet, und das auf der Basis von notwendigen Differenzen der Aufgaben,
Kompetenzen und Verantwortungen.
Das Thema wird uns – als Thema des 21. Jahrhunderts – noch lange begleiten.
Zur Autorin: Ulrike Greiner,
DDr. habil., war Gründungsrektorin der
Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems
und ist seit April 2010
Rektorin der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich.
7
Herzog-Punzenberger, B./Unterwurzacher, A.: Migration – Interkulturalität – Mehrsprachigkeit. Erste Befunde für
das österreichische Bildungswesen. In: Specht, W. (Hrsg.): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2009. Band 2:
Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen. Graz, Leykam 2009, 161 - 182
8
vgl. Härtel et al.: LehrerInnenbildung NEU. Die Zukunft der pädagogischen Berufe. Wien, 18. Dezember 2009.
Gesamtbericht März 2010. http://www.bmukk.gv.at.
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Leserbriefe
An die Redaktion des Integrationsjournals
Liebe Frau Mörwald!
Danke für die Übersendung der Integrationsjournale - die ich bisher nicht kannte.
Ich hab sie mir durchgesehen und hineingelesen und finde, Sie haben da ein inhaltlich sehr
interessantes Journal, das noch dazu ansprechend gestaltet ist, geschaffen - informativ,
lehrreich, anregend.
Gratuliere! Da steckt sicher eine ganze Menge Arbeit dahinter. Danke.
Bitte belassen Sie mich in Ihrem Verteiler!
Herzlichen Gruß und schönen Sommer!
Anita Bauer
Anita Bauer
Fachbereichsleiterin
FONDS SOZIALES WIEN
Fachbereich Behindertenarbeit, Mobilität & Beratung
Fachbereichsleitung
1030 Wien, Guglgasse 7-9
Sehr geehrtes Redaktionsteam!
Liebe Kolleginnen!
Wieder einmal durfte ich die gedruckte Version des Integrationsjournals lesen. Die Vielfalt
der Artikel und die professionelle Gestaltung der Publikation sind beeindruckend und
dokumentieren, wie vielfältig im Bereich der Sonderpädagogik gearbeitet wird.
Es ist mir deshalb ein Anliegen, dem Redaktionsteam in diesem Zusammenhang meinen
besondern Dank auszudrücken.
Nochmals herzliche Gratulation zu dieser Publikation!
Mit freundlichen Grüßen
Mag. Dr. Susanne Brandsteidl
Amtsführende Präsidentin des Stadtschulrates für Wien
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INTEGRATIONSJOURNAL
DEZEMBER 2010
Liebe Leserin! Lieber Leser!
Wir freuen uns, Ihnen die neueste Ausgabe des Integrationsjournals präsentieren zu dürfen.
Unser herzlicher Dank gilt auch diesmal wieder allen Autorinnen und Autoren, ohne deren
Beiträge es uns nicht möglich wäre, dieses Journal herauszugeben. Die Qualität und die
Vielfalt der Artikel sind immer wieder beeindruckend und bringen sehr deutlich auch die
Vielfältigkeit der Arbeit mit den uns anvertrauten Kindern zum Ausdruck.
Wir planen, die nächste Ausgabe im Juni 2010 erscheinen zu lassen und freuen uns über
Ihre/Deine Beiträge.
-
Die Auswahl der Artikel, die publiziert werden, trifft das Redaktionsteam.
-
Fotos bitte im jpg. Format mitschicken. Bitte unbedingt das Einverständnis der
Erziehungsberechtigten zur Veröffentlichung der Fotos einholen.
-
Alle Autorinnen und Autoren sind eigenverantwortlich für den Inhalt der Artikel.
Beiträge bitte als Word-Dokument (Standard, 12pt, Arial) mittels E-Mail oder CD an die
unten angeführte Adresse senden.
Wir bitten alle Autorinnen und Autoren um geschlechtergerechtes Formulieren,
wie es in der Broschüre des bm:ukk (vormals bm:bwk) erläutert wird:
http://www.bmukk.gv.at/medienpool/15104/2002_22_beilage.pdf
Die Beiträge senden Sie bitte an:
Stadtschulrat für Wien - Integrationsberatungsstelle
Brigitte Mörwald, Mag. Judith Stender, Gerda Kargl
1010 Wien, Wipplingerstraße 28
bzw. per E-Mail an:
[email protected]
[email protected]
[email protected]
Abgabeschluss für Beiträge:
8.4.2011
Online finden Sie unser Journal unter der Internetadresse:
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Wir freuen uns auf Ihre/Deine Mitarbeit!
Das Redaktionsteam:
Brigitte Mörwald
Mag. Judith Stender
Gerda Kargl
(Redaktion)
(Redaktion)
(Redaktion und Layout)
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