Japan – heraus aus der Krise mit Erneuerbaren Energien

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Japan – heraus aus der Krise mit Erneuerbaren Energien
INTERNATIONAL
Von der Tsunamiwelle mitgerissene Gegenstände, zu Schuttbergen
aufgetragen auf ehemaligen Reisfeldern in Minami-Soma.
Reisebericht
Japan – heraus aus der Krise
mit Erneuerbaren Energien
Gerd Paffenholz und Marianne Karpenstein-Machan waren als Vertreter des Bioenergiedorf-Projektes Jühnde
Ende April 2012 nach Japan in die Region Fukushima eingeladen worden, um über die Bioenergiedorfprojekte
in Deutschland zu berichten. Karpenstein-Machan ist Wissenschaftlerin an der Universität Göttingen, sie war
Koordinatorin des Bioenergiedorf-Projektes Jühnde und hat an der Umsetzung weiterer Bioenergiedörfer in
Deutschland mitgewirkt. Gerd Paffenholz betreut als Gästeführer auf der Energieanlage in Jühnde zahlreiche
in- und ausländische Gäste.
Von PD Dr. Marianne Karpenstein-Machan
J
apan blickt oft interessiert nach
Deutschland, um aus erfolgreichen Projekten zu lernen. Schon das deutsche
Bier fand vor mehr als hundert Jahren großen Anklang in Japan. Und so holten sich
die Japaner sogar deutsche Brauer ins Land,
um den Gerstensaft nach deutschem Reinheitsgebot in Japan zu brauen. Die Erzeugung dieser alkoholischen „Bioenergie“
schien aber bis dato die einzige Nutzung von
Bioenergie in Japan zu sein. Ein Anbau von
Energiepflanzen auf Ackerflächen, wie er in
Deutschland seit 2004 verstärkt stattfindet,
ist in Japan nicht zu verzeichnen. In Japan
steht auf den Ackerflächen die Nahrungs-
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mittelerzeugung im Vordergrund und die
Produktion von Getreide, insbesondere
Reis, wird hoch subventioniert. Der Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln liegt in
Japan nur bei 40 Prozent und Weizen, Soja,
Rind- und Schweinefleisch werden zum
überwiegenden Anteil importiert. Japans
Landwirtschaft muss, bei höherer Bevölkerungszahl und etwa gleich großer Landesfläche wie Deutschland, nur mit einem Anteil von 15 Prozent an der Landesfläche (4,3
Millionen Hektar) auskommen, während in
Deutschland die landwirtschaftliche Nutzung etwa 52 Prozent (17 Millionen Hektar)
der Landesfläche einnimmt. Die hohen Flä-
chenanteile an Wald in Japan weisen jedoch
auf die Möglichkeiten der Nutzung von
forstlichen Biomassen zur energetischen
Zwecken hin.
Viel Wald, wenig Ackerflächen
Japan ist ein langer schmaler Inselstaat, der
aus drei Hauptinseln (Hokkaido, Honshu
und Kyshu) besteht. Diese erstrecken sich
vom 20. bis zum 45. Breitengrad. Im Norden
und in der Mitte der Insel herrschen
kalt/kühl gemäßigtes Klima und im Süden
subtropisches Klima. Auf fast dreiviertel der
Ackerflächen wird Reis angebaut, des weiteren Weizen, Kartoffel (auch SüßkartofBIOGAS Journal | 6_2012
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feln), Zuckerrübe und Gemüsekulturen. Im
Norden auf der Insel Hokkaido herrscht
Grünland und Milchviehhaltung vor, im bevölkerungsärmeren Süden ist neben dem
Reisanbau auch die Schweinemast eine Erwerbsquelle in der Landwirtschaft.
In Punkto Energieversorgung sind die Japaner ebenso wie die Deutschen weitgehend
von Öl-, Gas-, und Kohleimporten abhängig.
Über Atomstrom will die japanische Regierung diese Importabhängigkeit verringern,
was jedoch nur bedingt möglich ist, da auch
Uran importiert werden muss. Der im Vergleich zu Deutschland hohe Atomstromanteil an der Energieversorgung in Japan wird
von 54 Atomkraftwerken bereitgestellt.
Biomass Nippon Strategie
löst Interesse an Bioenergiedörfern aus
Vom Erdbeben zerstörte Häuser in Minami-Soma.
Im Jahr 2002 verabschiedete das japanische
Kabinett die „Biomass Nippon Strategie“.
Sie hat die Förderung der Nutzung von heimischer Biomasse für die Biodieselproduktion zu Transportzwecken und die Nutzung
von regionalen Biomasseressourcen in Gemeinden und Städten zum Ziel. Zur Umsetzung dieser nationalen Strategie wurde 2003
eine Konferenz an der TUAT Universität
(Tokyo University of Technologie and Agriculture) veranstaltet, zu der Biomasseexperten aus aller Welt eingeladen wurden, um
über ihre Ergebnisse und Erfahrungen mit
Biomasseprojekten zu berichten.
Eine Einladung erging auch an das Interdisziplinäre Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Universität Göttingen, mit
der Bitte das Bioenergiedorfprojekt Jühnde,
dessen Konzept im IZNE entwickelt wurde,
in Japan vorzustellen. So reiste die Autorin
im März 2003 quer durch Japan, um an der
TUAT Universität in Tokyo und auf Einladung von Umweltorganisationen in den Regionen Shiga, Yamagata, Kumamoto, und
Fukuoka) über die ökologischen, technischen, ökonomischen und sozialen Aspekte
des Bioenergiedorfprojektes zu berichten.
In der Shiga- und Yamagataregion gibt es
viele aktive Gruppen, die zu dem Nanohana-Project-Network, einem gemeinnützigen
Verein, gehören. Nanohana ist das japanische Wort für Raps. Die Gruppen möchten
den Rapsanbau für die Produktion von Biodiesel populärer machen. Zurzeit wird Raps
Mobile Umesterung im Biodiesel-Fahrzeug.
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fast ausschließlich als Gemüse angebaut. Es
werden die noch nicht geöffneten Blütenstände geerntet und auf Märkten in kleinen
Mengen verkauft. Das Gemüse wird gedünstet und warm gegessen.
Biodieselproduktion in
dezentralen Kleinanlagen
Darüber hinaus beschäftigen sich die Aktiven
aber auch mit dem Einsammeln von gebrauchten Speiseölen und -fetten in der Region. Diese werden gereinigt und in Kleinanlagen zu Biodiesel verestert. Es existieren
auch viele mobile Kleinanlagen, die vor Ort
Biodiesel aus Altfetten- und Ölen erzeugen.
Ein guter Werbeträger ist ein Pkw, der gebrauchte Speiseöle einsammelt und mit Hilfe
einer Aufbereitungsanlage, die im Fahrzeug
eingebaut ist, Biodiesel herstellt, der auch
gleich zum Transport und Einsammeln von
weiteren Speiseölen verwendet wird.
Das Bioenergiedorf-Projekt ist für diese
Menschen so interessant, weil es wie ihre eigene Initiative auch von den Bürgern getragen wird. Frau Ayako Fujii, die Direktorin
des Nanohana-Project-Network sagte auf
der Veranstaltung in Takashima City in der
Shigaregion: So ein Bioenergiedorf wollen
wir auch in der Shigaregion haben! Zwei
Monate später, im Mai 2003 kam die erste
japanische Delegation, angeführt von Frau
Fujii, nach Göttingen und Jühnde, um vor
Ort die Akteure zu treffen und sich über den
Stand der Umsetzung des Projektes zu informieren.
Obwohl noch keine Energieanlagen in
Jühnde zu diesem Zeitpunkt zu sehen waren
und auch der Baubeginn noch nicht anstand, waren die Japaner nicht davon abzubringen, sich dieses Dorf Jühnde in Nieder- F
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Kontrolliertes Gemüse auf dem Bauernmarkt in Sukagawa.
sachsen anzuschauen, das sich nahezu autark mit Biomasse versorgen wollte. So wurde der Besuch genutzt, die Menschen in
Jühnde kennen zu lernen und die Motivation der Dorfbewohner für die Energieumstellung zu ergründen.
So konnten die Japaner erfahren, dass neben
dem Schutz des Klimas für die Jühnder Bürger auch die Unabhängigkeit in der Energieversorgung und eine preiswerte Energieversorgung, deren Preisentwicklung sie selbst
mitbestimmen können, wichtig ist. Wichtige
Argumente für die Besucher, um die Menschen im eigenen Land zu überzeugen. Des
Weiteren wurden die Energiepflanzenversuche, die vom IZNE auf dem Betrieb von Familie von Werder durchgeführt wurden, besichtigt.
Es folgten weitere Besuche in Japan (2005,
2009) und Gegenbesuche von vielen japanischen Delegationen und Presseteams
nach der erfolgreichen Inbetriebnahme des
Bioenergiedorfes in Jühnde. Zwischenzeitlich hatte sich auch in Japan einiges in Sachen Bioenergie getan. Auf der jüngsten Besichtigungstour stand ein Pilotprojekt in
Takashima-City in der Shigapräfektur, wo
ein nagelneues 600–kW-Holzhackschnitzelheizwerk installiert worden war, um die
Wärme zur Beheizung eines Schwimmbades
und zur Heizung/Kühlung des Gemeindehauses einzusetzen. Als Brennstoffe werden
Abfallprodukte aus einem nahegelegenen
Sägewerk und Waldholz verwendet.
Eine kommunale Kompostier- und Biogasanlage stand im Süden von Japan auf Kyushu zur Besichtigung an. In dieser Anlage
werden regional anfallende Gülle, Speisereste und Fäkalien vergoren. Der im Blockheizkraftwerk (BHKW) erzeugte Strom
wird für die Reinigung der aus der Kompos-
www.maprodeutschland.com
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tieranlage anfallenden Emissionen genutzt
und die entstehende Wärme wird im Kompostierprozess eingesetzt.
Zu geringe Einspeisevergütung
für Biomassestrom
Auf einem Workshop, den die Autorin mit
dem Kollegen Peter Schmuck in Yamagata
zu dem Thema: „Chancen und Hemmnisse
des Einsatzes von Bioenergie in Yamagata“
im September 2005 veranstaltet hat, beklagten viele der Teilnehmer die geringe Einspeisevergütung für Strom aus Erneuerbaren
Energien. „Es gibt zwar ein ErneuerbareEnergien-Gesetz in Japan, aber die Vergütungstarife für Strom aus Erneuerbaren
Energien sind viel geringer als in Deutschland, sodass sich Investitionen kaum lohnen“, sagte Herr Aoki von der Firma „Green
power“ der gerne mit seinem Bruder ein Biomassekraftwerk bauen möchte.
2006 wurde von der japanischen Regierung
die „Biomass Nippon Strategie“ novelliert
und die Förderung regionaler Biomasseprojekte zur Initiierung von Biomassestädten
im Land in den Focus der Förderung gestellt.
Minamata City in der Kumamoto Präfektur
im Süden von Japan gab im März 2006 bekannt, Biomasse-Stadt werden zu wollen
und 92 Prozent des biogenen Abfalls und 40
Prozent der ungenutzten Biomasse in Form
von Waldrestholz und Gülle zur Energieversorgung einzusetzen. In 2010 wurden bereits 276 Gemeindeprojekte auf der Basis
von Biomasse gezählt.
Ein Jahr nach der Katastrophe von Fukushima im März 2011 wurde die Autorin zusammen mit Gerd Paffenholz, vom Centrum
neue Energien in Jühnde vom „NanohanaCommitees“ in Sukagawa und der „Japan
Groundwork“ in Fukushima eingeladen, um
vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse in Japan über Alternativen in der
Energieerzeugung am Beispiel Deutschlands zu berichten. Auch hier sollten natürlich die mittlerweile über 100 umgesetzten
Bioenergiedörfer in Deutschland als Paradebeispiel für kommunale Biomasseprojekte in Bürgerhand dienen.
Mit Geigerzähler nach Fukushima
Mit einem Geigerzähler im Reisegepäck,
nahm die Autorin die Herausforderung an
in das Krisengebiet Fukushima zu reisen. Es
waren drei große Veranstaltungen organisiert worden, zu denen mehr als 1.000 Teilnehmer kamen. Die erste Veranstaltung
fand in Sukagawa in der Präfektur Fukushi-
ma, etwa 80 Kilometer von dem zerstörten
Kernkraftwerk Fukushima 1 statt.
Hier waren 700 Teilnehmer aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Landwirtschaft und
Bürger aus der Region, zum Teil auch aus
anderen Regionen Japans, angereist. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch einen
Kinderchor, der ein Heimatlied sang. Dann
traten einige Jugendliche auf, die in ihren
Ansprachen die Schönheit ihrer Heimat, in
der ihre Familien schon lange leben, hervorhoben, aber auch den Schmerz, den sie empfinden, wenn sie jetzt nach der Katastrophe
an ihre Heimat denken. Sie fühlen sich
durch die radioaktive Verstrahlung um ihre
Zukunft in der Region betrogen.
Der Bürgermeister der Stadt Sukagawa
Hideo hielt die Eröffnungsrede. Er brachte
seine tiefe Betroffenheit über die Katastrophe, die die Menschen in der Präfektur Fukushima zu erleiden haben, zum Ausdruck
und gedachte der etwa 20.000 Opfer, die
durch das Erdbeben und den Tsunami ums
Leben gekommen oder noch vermisst sind.
Er sprach von eigentlich drei Katastrophen,
die die Region zu verkraften habe: Zuerst
kam das schwere Erdbeben, dann überflutete die bisher größte Tsunamiwelle den gesamten Küstenbereich und dann wurde das F
• Emi ssi onsmi nderung
(Formaldehyd)
• Bi ogasentf euchtung
• Gasauf berei tung f ür M i crogasnetze
• Nachrüstbar
• I n al l en Baugrößen l i ef erbar
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Halle 21
G09
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Frau Ayako Fujii, die Veranstalterin des Symposiums mit Referenten (Dr. Marianne Karpenstein-Machan und Gerd Paffenholz,) und Organisatoren.
Land durch das zerstörte Kernkraftwerk Fukushima 1 verstrahlt.
Er beklagte aber auch, dass die Präfektur Fukushima, die touristisch so vieles zu bieten
hat, in der Presse nur noch mit der Katastrophe in Verbindung gebracht wird und das
Image, das Selbstbewusstsein der Menschen
und die Wirtschaft der Region darunter zusätzlich leiden. Bürgermeisters Hideo: „Die
Region steckt emotional und wirtschaftlich
in einer schweren Krise“.
Drei Katastrophen sind
zu verkraften
Mehr als 100.000 Menschen haben die Region Fukushima verlassen. Viele Dörfer, wie
zum Beispiel Iitate mussten aufgrund hoher
Strahlenbelastungen evakuiert werden.
„Aber auch in anderen Dörfern und Städten
der Präfektur, die nicht so hoch belastet sind,
verlassen viele junge Familien mit Kindern
die Region aus Angst vor der radioaktiven
Strahlung“, so Hideo. Neben all dem Leid,
gibt es auch viele innerfamiliäre Konflikte,
wenn die jüngeren Menschen die Region
verlassen wollen, weil sie dort für sich keine
Zukunft sehen und die älteren Familienmitglieder an ihrer Heimat festhalten wollen.
Die Landwirtschaft ist in vielen Teilen der
Präfektur fast vollständig zum Erliegen gekommen. Der Politiker hofft, dass die Menschen wieder in die Region zurückkommen,
wenn die Säuberungs- und Wiederaufbau-
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arbeiten abgeschlossen sind. An vielen Orten wird weiterhin der Boden um Kindergärten, Schulen, Gemeindezentren abgetragen, um die radioaktive Strahlung zu reduzieren. So auch um das Gemeindezentrum von Sukagawa, damit die Verwaltung
dort wieder einziehen kann.
Rapsanbau auf verstrahlten
Böden als Lösung?
Die Direktorin des Nanohana (Raps)Project
Networks und Veranstalterin des Symposiums Ayako Fujii, sagte: die hohe Teilnehmerzahl aus ganz Japan bringe zum Ausdruck, wie sehr die Menschen mit der
Region Fukushima verbunden sind und sich
für das Wiedererstarken einsetzen. Sie sieht
große Chancen für die Wiederaufnahme der
landwirtschaftlichen Produktion, wenn die
kontaminierten landwirtschaftlichen Böden
für den Anbau von Nanohana (Raps) zur
Biodieselproduktion verwendet werden.
Langjährige Versuche von einem japanischen Wissenschaftler in der Region um
Tschernobyl und erste Versuche in der Region Fukushima haben gezeigt, dass Raps
auf kontaminierten Böden wächst. Das im
Boden befindliche Cäsium 137 und Strontium 90 wird aufgenommen und in von allen
Pflanzenteilen, besonders im Samen, gespeichert. Beim Auspressen des Samens werden
die radioaktiven Stoffe aber fast vollständig
in den Rapskuchen überführt und das Pflan-
zenöl selbst ist nur noch geringfügig belastet.
Das Rapsöl kann damit sowohl als Biodiesel
als auch als Lebensmittel Verwendung finden, so Ayako Fujii.
Weitere Referenten gaben Informationen
zum Grad und der Dauer der Verstrahlung,
zur Aufnahme von radioaktiven Elementen
über den Boden in verschiedene Pflanzenarten und Pflanzenteile und zur Versalzung
der Böden durch den Tsunami. Der Anbau
von Raps und anderen Kulturen zur Energiegewinnung wurde als eine mögliche Alternativen diskutiert.
Es sind aber noch viele Fragen offen, wie
zum Beispiel: Ist es gesundheitlich unbedenklich auf den Feldern zu arbeiten? Welche anderen Kulturen können in der Rapsfruchtfolge angebaut werden, denn Raps
kann nur alle drei bis vier Jahre in der
Fruchtfolge stehen. Was passiert mit den radioaktiv belasteten Reststoffen, dem Rapskuchen?
Darüber hinaus kamen Bedenken auf, ob die
Landwirte denn diese gravierende Umstellung so einfach hinnehmen. „Die Region ist
seit Generationen geprägt durch den Anbau
von Reis und Gemüse und eine völlige Neuorientierung der Landwirtschaft fällt den
Menschen schwer. Die Bauern wollen wieder Reis anbauen, vor der Katastrophe waren sie die besten Reisbauern des Landes“,
so ein Vertreter der Landwirtschaftsverwaltung in Fukushima.
Es gibt keinen Königsweg
aus der Krise
In der Diskussion wurde deutlich, dass es
keinen Königsweg aus der Krise gibt und die
Region auch noch nach Jahrzehnten unter
der radioaktiven Verstrahlung des Bodens
leiden wird, während die Versalzung der Böden nur zu einer vorübergehenden Schädigung der Pflanzen führt. Zurzeit werden die
Felder der Region nur zum Teil bearbeitet
und der Reisanbau ist, insbesondere in der
Region Minami-Soma, wo die Kontaminierung des Bodens besonders hoch liegt, zum
Erliegen gekommen.
Die Bauern bekommen Entschädigungszahlungen, damit verbunden ist ein Anbauverbot. Diese Lösung wurde jedoch von den
Diskutanten als sehr problematisch angesehen, da damit viele soziale Probleme verbunden sind. Die Bauern, die es gewohnt
sind viel zu arbeiten, werden zum Nichtstun
verpflichtet, woraus sich psychische Probleme ergeben können. Andererseits gibt es viele Stimmen, die sagen die Zahlungen seien
zu hoch, was die sozialen Spannungen in
der Bevölkerung zusätzlich zu all den Pro- F
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die Studenten, ob sie denn keine Angst hätten, dass die radioaktive Strahlung bei ihnen
später zu gesundheitlichen Problemen führen könnte. Sie lächelten aber nur und es
gab keine Antwort auf meine Frage. Wie so
oft in Japan, werden problematische Dinge
weggelächelt. Aber vielleicht ist das ja nicht
nur eine japanische Eigenschaft.
In der Stadt Minami-Soma selbst konnten
wir keine gefährliche Strahlenbelastung
mehr messen. Aber eine Fahrt durch die
Stadt und die Region um die Stadt herum
zeigte, das die Katastrophe noch längst
nicht überstanden ist: eingestürzte Häuser,
Autos und andere Gegenstände in bizarrer
Stellung auf den Reisfeldern, eingeknickte
Strommasten und überbordende, zusammengeschobene Haufen aus Gegenständen,
die der Tsunami mitgerissen hat, lagerten auf
den Feldern. Mit diesen entsetzlichen Bildern vor Augen starteten wir dann in das
Symposium das den Titel trug: Wir stehen
wieder auf! Hierzu hatte „Japan Groundwork“, eine universitätsnahe Umweltorganisation, eingeladen, mit der auch Prof. Senga und seine Studenten zusammen arbeiten.
Unbearbeitete ehemalige Reisfelder in Iitate.
blemen erhöht. Die Produktion von Nahrungsmitteln wird in der Region mit Risiken
behaftet sein. Das wurde auch deutlich beim
Besuch des Bauernmarktes in Sukagawa.
Hier zeigte der Geigerzähler zum ersten Mal
in der Nähe des gelagerten Gemüses erhöhte
radioaktive Strahlung an. Die Messwerte lagen mit Werten um 0,45 mc Sv/h im orangen
Bereich (high radiation background). Bisher
lagen alle gemessenen Werte Zuhause, in
Tokyo, Fukushima City und im Stadtgebiet
von Sukagawa nur um 0,2 mc Sv/h und damit im grünen Bereich (normal radiation
background). Das Gemüse auf den Bauernmarkt war mit Schildern versehen, auf denen stand, dass das zum Verkauf angebotene
Gemüse kontrolliert wurde und die Radioaktivität unter den gesetzlichen Grenzwerten liegt!
Die Nähe zum Kernkraftwerk ist nicht der
entscheidende Faktor für die Höhe der Kontaminierung des Bodens, sondern die Windrichtung und die Witterung nach der Explosion des Kernkraftwerkes, die die
radioaktive Wolke zum Teil auf das Meer
aber auch in den Nordwesten der Präfektur
getragen hat. Die Dörfer der Gemeinde Iitate im Tal hinter der Bergkette sind besonders
schwer getroffen, da hier die radioaktive
Wolke sich niedergeschlagen hat. Die Menschen in diesen Dörfern sind alle evakuiert
worden.
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Geigerzähler schlägt Alarm
Ingenieur entschuldigt sich für
seine Arbeit am Atomkraftwerk
Unsere Weiterreise nach Minami-Soma
führte uns genau durch dieses verlassene Tal,
durch das nur noch eine intakte Straße nach
Osten an die Küste führt. Die zweite Veranstaltung fand dann am 29. April direkt in die
Stadt Minami-Soma statt. Drei Tage zuvor
lagen Teile der Stadt noch in der 20-Kilometer-Sperrzone und waren vollständig evakuiert. Mittlerweile ist die Sperrzone auf zehn
Kilometer verringert worden und die Menschen sind teilweise wieder in ihre Häuser
zurückgekehrt, wenn diese nicht vom Erdbeben zerstört wurden.
Prof. Senga und drei Studenten der TUAT
Universität in Tokyo nahmen uns mit dem
Kleinbus mit nach Minami-Soma. Die Forschungsgruppe um Prof. Senga arbeitet seit
der Katastrophe in dem Gebiet, sie nehmen
aus der ganzen Region Bodenproben und
haben eine Landkarte erstellt, aus der die radioaktive Belastung des Gebietes hervorgeht. Als wir durch die Gemeinde Iitate fuhren schlug mein Geigerzähler Alarm und das
Display zeigte erstmalig Werte zwischen
1,65 bis 1,87 mc Sv/h an und warnte mit
dem Wortlaut: dangerous radiation background.
Jetzt wurde es mir doch etwas mulmig. Senga und die Studenten bestätigten: Ja, hier ist
die radioaktive Strahlung hoch, dass stimmt
mit unseren Messwerten überein! Ich fragte
Auch hier wurde das Thema Bioenergie und
Wege aus der Krise diskutiert. Atsuo Watanabe, ein Referent des Symposiums entschuldigte sich zunächst bei den anwesenden Teilnehmern dafür, dass er als Ingenieur
die Pläne für Fukushima I gezeichnet hat. Er
bedauert es jetzt sehr, dass er so lange geglaubt hat, dass die Atomkraft eine sichere
Technologie ist. Heute beschäftigt er sich mit
Erneuerbaren Energien und der Frage, wie
man ganzheitliche Energiekonzepte ohne
Abfälle verwirklichen kann.
Sein Modell zeigte technische Möglichkeiten auf, alle Erneuerbaren Energien so zu
vernetzten, dass sie zu einer Vollversorgung
der Region führen. Viele Dinge, die auch wir
hier in Deutschland diskutieren, kamen zur
Sprache: Kombikraftwerke gespeist aus
Sonne, Wind und Biomasse, Windgas, Biodieselproduktion und Rapskuchenvergärung sowie dezentrale Stromnetze.
Unsere deutschen Themen „Die Energiewende in Deutschland, der Ausstieg aus der
Atomkraft und Bioenergiedörfer als ein Beispiel für klimaschonende, ökologische und
sozial gerechte Umsetzung der Energiewende“ sowie der Bericht über das Bioenergiedorf Jühnde wurden freundlich aufgenommen und gaben möglicherweise auch Raum
für eine Vision, wie es denn am Ende des
Tunnels einmal weitergehen könnte in Mi- F
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Parameter
pH-Wert
TS
oTS
FOS/TAC
NH -N
Essigsäure
Propionsäure
i-Buttersäure
Buttersäure
i-Valeriansäure
Valeriansäure
Einheit
%FM
%TS
g/l
mg/l
mg/l
mg/l
mg/l
mg/l
mg/l
grüner Bereich
7,4 - 8,1
5-8
72 - 80
< 0,3
<3
< 500
< 100
< 60
< 50
< 50
< 50
gelber Bereich
7,1 - 7,6
< 5; 8 - 9
80 - 85
0,3 - 0,5
3-5
500 - 2000
100 - 500
60 - 200
50 - 100
50 - 100
50 - 100
roter Bereich
< 7,1; > 8,1
>9
> 85
> 0,5
>5
> 2000
> 500
> 200
> 100
> 150
> 150
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nami-Soma, ohne Atomkraft. Aber es war
auch zu spüren, dass bei den Menschen hier
noch ganz andere Probleme im Vordergrund
stehen. Der Wiederaufbau der zerstörten
Privathäuser, der Verwaltungsgebäude, der
Infrastruktur und die Rückgewinnung der
Normalität nach den dramatischen Ereignissen und die Frage, können wir hier bleiben ohne unsere Familien zu gefährden,
bestimmen zurzeit ihr Leben. Da in Minami-Soma schon an vielen Stellen um Gebäude und an öffentlichen Plätzen Boden abgetragen wurde, um die radioaktive Belastung
zu verringern, stellt sich die Frage, wohin
mit all den kontaminieren Material?
Es gab Gerüchte, dass der kontaminierte
Boden in den evakuierten Dörfern gelagert
werden sollte. Dies wiederum hat die Menschen sehr verärgert. Eine Frau sagte auf
dem Symposium: „Wir werden uns mit allen
Mitteln dagegen wehren, dass unsere Dörfer
zusätzlich belastet werden. Wir werden dahin zurückkehren“. Die Stimmung war zurückhaltend gereizt. Es wurde auch der Bedarf nach weiterer praktischer Aufbauhilfe
deutlich. Zurzeit gibt es nur eine Straße die
nach Minami Soma führt. Die Bahnlinie ist
zum Teil zerstört und die Hilfstruppen der
Polizei und des Militärs aus ganz Japan gelangen nur auf dieser Straße in die Stadt.
Wir stehen auf
Um das Motto des Symposiums „Wir stehen
auf“ Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf
es wohl noch einiger Anstrengungen und
der Bewältigung traumatischer Erlebnisse.
Indiz dafür ist wohl, dass noch keine Normalität in Minami-Soma eingekehrt ist, dass
kein einziges Kind in der Stadt zu sehen war.
Aber vielleicht kann man das Motto der Tagung ja auch so verstehen, dass die Menschen aufstehen und jetzt stärker für ihre Interessen eintreten.
Das dritte Symposium fand dann in der
Hauptstadt der Präfektur Yamagata in Yamagata, 200 Kilometer von Fukushima entfernt statt. Hier traf die Autorin auf viele
Menschen, die sie bereits von ihren vorherigen Besuchen in Japan und den Gegenbesuchen in Deutschland kannte. Wir wurden
vom Bürgermeister der Tourismuschefin
und anderen Verwaltungsmitarbeitern der
Stadt empfangen.
Stolz zeigten sie uns den neuen rosa, mit
Blumen bemalten Button der Stadt, der für
die Region als Blütenparadies werben soll.
Auch dieses Symposium stand ganz im Zeichen der Bioenergie und es waren über 100
Menschen gekommen, viele aus der Stadtverwaltung, aus Nichtregierungsorganisa-
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tionen und aus der Landwirtschaft. Hier war
deutlich zu spüren, dass die Katastrophe von
Fukushima zwar ein Thema für die Menschen ist, sie aber nicht in ihren Auswirkungen direkt von ihr betroffen sind.
Da aber das nächste Kernkraftwerk nur weniger als 50 Kilometer entfernt liegt, machten die Menschen sich dennoch Sorgen und
das Thema Erneuerbare Energien schien
wichtig für die Menschen zu sein, was auch
die hohe Teilnehmerzahl der relativ kurzfristig angesetzten Veranstaltung dokumentierte. Das einzige Thema war hier „Bioenergiedörfer in Deutschland“ und die Frage:
geht das auch in Japan?
Zunächst berichtete Frau Yamazaki aus Yamagata, ein Mitglied der japanischen Delegation, die im Januar 2012 in Deutschland
vier Bioenergiedörfer besucht hatten, über
ihre Reise nach Deutschland und stellte den
Reisebericht vor. Die Delegation um Frau
Fujii und Frau Yamazaki hat mittlerweile so
viel Wissen über Bioenergiedörfer erworben, sodass die Umsetzung nun eigentlich
kurz bevor stehen müsste. Aber wie immer
ist für die Umsetzung eines solchen Projektes das Mitmachen der Menschen wichtig.
Mutig geworden, den Atomausstieg zu fordern
Später thematisierte die Autorin zunächst
den Atomausstieg als Folge der Katastrophe
in Fukushima und die Ziele der Bundesrepublik im Rahmen der Energiewende. In der
Diskussion wurde deutlich, dass der Atomausstieg Deutschlands eine wichtige Signalwirkung für viele Japaner hatte. „Wir haben
jetzt auch den Mut, einen Atomausstieg von
unserer Regierung zu fordern“, sagte Yamazaki. So wies die Autorin auf die japanisch/
deutsche Potenzialstudie „Energy Rich Japan“ hin, in der Japan hervorragende Bedingungen für den Ausbau regenerativer Energien bescheinigt werden.
Im Bereich der Bioenergie können neben direkt auf dem Acker angebauten Energiepflanzen, Reststoffe und Dung aus der Landwirtschaft, kommunale Grünabfälle und
Lebensmittelreste eingesetzt werden. Forstliche Nutzflächen sind in Japan im Vergleich
zu den landwirtschaftlichen Nutzflächen
reichlich vorhanden. In einer am IZNE erstellten Studie zeigte sich zudem, dass die
Wärmeversorgung in den Bioenergiedörfern
für die an das Wärmenetz angeschlossenen
Wärmekunden deutlich billiger ist als die
Wärmeversorgung mit fossilen Rohstoffen.
Darüber hinaus konnte Gerd Paffenholz die
Japaner davon überzeugen, dass die Menschen im Bioenergiedorf Jühnde sehr zufrie-
den und stolz auf ihr Bioenergiedorf sind
und sich viele weitere Projekte im Bereich
der regenerativen Energien in Jühnde daraus
entwickelt haben.
Wettbewerb um erstes
Bioenergiedorf
In einem Abschlussstatement wurde dann
auch von dem Verwaltungsdirektor der
Stadt Yamagata Herrn Hideo quasi ein
Wettbewerb eröffnet, in dem er sagte: „Wir
werden auch ein Bioenergiedorf in Yamagata haben und dabei schneller sein als die Shiga-Region“, die ebenfalls ein solches Projekt
anstrebt. Dem widersprach die Vertreterin
aus Shiga, Frau Fujii, vehement.
Gute Aussichten für Herrn Aoki und seinen
Bruder von der Firma „Green power“ und
andere Unternehmer in der Region, die in
den Startlöchern stehen und in Erneuerbare
Energien investieren wollen. Eine weitere
positive Nachricht wurde uns wir noch während unseres Aufenthaltes in Japan zugetragen: Die japanische Regierung hatte am 26.
April 2012 beschlossen, die Vergütungssätze
für Strom aus Photovoltaikanlagen auf umgerechnet rund 42 Cent/kWh anzuheben.
Das Gesetz ist am 1. Juli in Kraft getreten.
Darüber hinaus wurde auch für Windkraftanlagen eine Einspeisevergütung von rund
23 Cent/kWh beschlossen. Experten rechnen mit einem starken Boom der Wind- und
Solarbranche in Japan in den kommenden
Jahren. Der deutsche Solartechnikhersteller
SMA aus Niestetal in Nordhessen hat bereits von der Energiewende in Japan profitiert. Das Unternehmen liefert die Wechselrichter für die mit 70 Megawatt bislang
größte Photovoltaikanlage, die in der südjapanischen Stadt Kagoshima errichtet wird
und im Herbst 2013 in Betrieb gehen soll.
Es bleibt zu hoffen, dass auch für den Energieträger Biomasse noch bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit der
Durchbruch in eine dezentrale, ungefährliche, saubere, von Bürgern mitgetragene
Energieversorgung auch in Japan ihren Anfang nimmt. D
Autorin
PD Dr. Marianne Karpenstein-Machan
Interdisziplinäres Zentrum
für Nachhaltige Entwicklung
Universität Göttingen
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Tel. 05 51/39 127 81
E-Mail: [email protected]
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